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Band 153

 

Der Atem des toten Sterns

 

Rainer Schorm

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Prolog: FERNAO

1. Perry Rhodan: Der zehnte Kreis der Hölle

2. Namenlos: Aufgeweckt

3. Perry Rhodan: Getrennte Wege

4. Rufus Darnell: Wirbel und Ströme

5. Namenlos: Betrachtungen

6. Tim Schablonski: Lunatic

7. Perry Rhodan: Ein verlassener Ort

8. Rufus Darnell: Rendezvous

9. Anonymous: Betrachtungen

10. Perry Rhodan: Blockaden

11. Rufus Darnell: Befürchtungen

12. Anonymous: Betrachtungen

13. Perry Rhodan: Frisch verpackt

14. Reginald Bull: Schweigen

15. Anonymous: Betrachtungen

16. Rufus Darnell: Es werde Licht!

17. Perry Rhodan: Erwachen

18. Anonymous: Betrachtungen

19. Reginald Bull: Feuerring

20. Anonymous: Betrachtungen

21. Perry Rhodan: Aktivität

22. Anonymous: Betrachtungen

23. Josue Moncadas: Wellness

24. Rufus Darnell: Verriegelt!

25. Perry Rhodan: Panic Room

26. Reginald Bull: Heißer Abgang

27. Anonymous: Betrachtungen

28. Perry Rhodan: Ergebnisse?

Epilog: Faufoa

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Es beginnt im Jahr 2036: Der Astronaut Perry Rhodan entdeckt auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit erschließt er der Menschheit den Weg zu den Sternen.

In den Weiten der Milchstraße treffen die Menschen auf Gegner und Freunde; sie machen gewaltige Fortschritte, erleben aber auch Rückschläge. Seit dem Jahr 2051 durchleben sie eine besonders schwere Zeit. Die Erde ist unbewohnbar geworden, Milliarden Menschen wurden an einen unbekannten Ort umgesiedelt.

Der Schlüssel zu den aktuellen Ereignissen scheint in der Nachbargalaxis Andromeda zu liegen. Dorthin bricht Perry Rhodan im modernsten Raumschiff der Menschheit auf. Anfang 2055 gelangt Rhodan am Ziel an.

Die Galaxis wird offenbar von den geheimnisvollen Meistern der Insel kontrolliert. Zu den Geheimnissen in Andromeda zählt anscheinend auch DER ATEM DES TOTEN STERNS ...

Prolog

FERNAO

Feldlinien

 

Übergangslos durchfluteten Geräusche den Raum. Ein irritierendes, intensives Singen hing in der Luft, dazu ein vibrierendes Summen und Zischen. Rufus Darnell presste die Hände auf die großen Ohren. Alles, was er hörte, schrie geradezu »elektromagnetische Entladung«. Der Leitende Ingenieur der FERNAO krümmte sich zusammen. Das lag weniger an der Lautstärke als vielmehr am Ton selbst – er war durchdringend, schnitt ins Gehirn.

»Was ... wie ...?«, ächzte er. Direkt vor ihm flackerte eine bläuliche Flamme aus einer metallischen Projektorkappe.

Elmsfeuer?, dachte er entsetzt. Wo kommen die denn her? Hier, mitten im Maschinenring? Das kann unmöglich sein ...!

Das hatte nichts mit der Transition zu tun. Die FERNAO war ins System der Sonne Reunion gesprungen, um die MAGELLAN zu treffen. Im Maschinenring hatte nichts auf Probleme hingedeutet – erst recht nicht auf etwas derart Verrücktes.

Der Rücksturz in den Normalraum war nichts Ungewöhnliches. Eine Transition hatte immer etwas Gewalttätiges an sich. Die Strukturfelder zerrissen die Raumzeit und katapultierten das Schiff durch den Hyperraum. Den üblichen Transitionsschmerz kannte jeder Raumfahrer. Dass ein Wiedereintritt jedoch derart wild ablief, war für Rufus Darnell ein Schock.

Blaue, flackernde Entladungen tauchten den Maschinenring in geisterhaftes Licht. Die Atmosphäre produzierte ein andauerndes, enervierendes Knacken.

Erst in diesem Moment schrillte der Alarm durch die Halle. Viel zu spät, wie Darnell registrierte. Der hagere, hochgewachsene Mann mit den schiefen Pferdezähnen starrte auf die bizarre Umgebung. Seltsam war nicht der Maschinenring an sich. Den kannte Darnell längst in- und auswendig. Er zog sich wie ein dicker Gürtel rings um die FERNAO, mit all den Aggregaten, Meilern, Projektoren und Umformerblöcken, die das Raumschiff am Leben hielten. Die FERNAO durchmaß 400 Meter; ein riesiger Diskus. Nur im Vergleich mit der gewaltigen MAGELLAN wirkte sie klein. Darnell befand sich im Bereich der Generatoren und der Deuteriumtanks. Absurd war vielmehr das allgegenwärtige Geflacker der Elmsfeuer – eine Unmöglichkeit in einer derartig gesicherten Umgebung. Darnell bemerkte einen kleinen Technikertrupp. Die Gesichter der Männer waren verzerrt. Das hohe Singen und Summen war penetrant, schwächte sich aber offenbar langsam ab.

»Autsch!«, entfuhr es Darnell. Er leckte sich über die Unterlippe und schmeckte Blut. Bei seiner Zahnstellung geschah das häufiger, vor allem in Stresssituationen. Wie so oft nahm er sich vor, das Problem beheben zu lassen.

Der Ingenieur stolperte auf einen Kontaktsockel zu und aktivierte ein Diagnoseprogramm. Die holografisch aufbereiteten Daten machten ihm sofort klar, was für die sonderbaren Phänomene verantwortlich war.

»Ein extern induziertes Magnetfeld von solcher Stärke?«, wunderte er sich. »Das gibt's doch nicht ...«

Die Hilfspositronik fühlte sich angesprochen. »Das externe Magnetfeld weist eine Flussdichte von über zehn hoch acht Tesla auf. Ursache kann nur ein Neutronenstern sein.«

»Und wo zum Teufel soll auf einmal ein Neutronenstern herkommen?«, schrie Darnell wütend. »Kompletter Blödsinn!«

»Leider nicht!«, widersprach die Positronik. »Die Angaben der Ortung sind eindeutig. Statt der Sonne Reunion steht ein junger, hochaggressiver Neutronenstern in unmittelbarer Nähe. Ein Magnetar. Der Aufbau des Libraschirms dauert nach der Rematerialisierung im Normalraum stets eine bestimmte Zeit. Das reichte, um das massive Magnetfeld seine Wirkung entfalten zu lassen!«

Darnell überprüfte sofort den Wirkungsgrad des Libraschirms. Das fünfdimensionale, grün schimmernde Schutzfeld, das die FERNAO umgab, lief auf Hochtouren. Obwohl die Abwehrkapazität gute acht Mal höher war als bei den Schirmen der Vorgängergeneration, hatte die Energieblase erhebliche Mühe, die aufprallenden Gewalten des herantobenden Magnetfelds zu kompensieren.

»Meine Güte«, murmelte Darnell. »Dieses Magnetfeld hätte einen älteren, schwächeren Schirm förmlich in Fetzen gerissen ...!«

»Das ist korrekt!«, bestätigte die Positronik sachlich. »Der Wiedereintrittspunkt der FERNAO hat sich verschoben – zum Magnetar hin. Es ist bekannt, dass die extremen Magnetfelder von Neutronensternen dieser Ausprägung den Quantenraum doppelbrechend werden lassen.«

»Soll mich das etwa beruhigen?«, beklagte sich Darnell und zuckte zusammen, als direkt neben ihm eine blau flackernde Flamme aus einem Kopplungskopf schoss. Er horchte. »Das klingt nicht gut!«

Er meinte die Arbeitsgeräusche der Projektoren, die den Libraschirm speisten. Wie alle kompetenten Ingenieure hatte Darnell ein gutes Ohr für die Maschinen, die er betreute. Das leise Wummern und Heulen im Hintergrund alarmierte ihn. Hunderte kleiner Service- und Reparaturroboter schwirrten umher. Die von der Überspannung verursachten Schäden im Schiffsinnern waren offenbar größer, als der Ingenieur angenommen hatte.

Darnell aktivierte mit einem Wink einen Kommunikationskanal zur Zentrale der FERNAO. »Darnell hier!«, sagte er. »Was immer Sie da oben tun: Machen Sie, dass wir wegkommen. Bringen Sie schnellstmöglich eine große Entfernung zwischen uns und diesen höllischen Dynamo! Das reißt uns sonst in Stücke. Nehmen Sie das bitte wörtlich!«

Es roch nach Ozon. Die Elmsfeuerentladungen zerlegten Sauerstoffmoleküle und dabei entstand triatomarer Sauerstoff. Die Stärke des Geruchs beunruhigte Rufus Darnell. Nicht unbedingt die Tatsache, dass Ozon gesundheitsschädlich war, sondern die Überlegung, wie stark die elektrodynamischen Potenzialdifferenzen sein mussten, um eine solche Menge dieses Gases zu erzeugen. Er griff nach einem Schieberegler, mit dem man bei Ausfall der holografischen Interfacematrix grundlegende Funktionen steuern konnte, und zuckte mit einem leisen Aufschrei zurück. Der elektrische Schlag war nicht sehr stark ... zu seinem Glück.

»Verdammt, das Material dürfte eigentlich nicht in diesem Maße leitend sein!« Er warf einen Blick zu Freder van Helk, einem der Techniker, die die Deuteriumtanks betreuten.

Der kleine Mann, dessen Kopf immer so aussah, als zöge er ihn zwischen die Schultern, machte einen beinahe hysterischen Eindruck. Das war kein gutes Zeichen. Van Helk bewegte sich hektisch hin und her, wusste nicht, in welche Richtung er fliehen sollte.

»Legen Sie sich hin!«, brüllte Darnell entsetzt, als er bemerkte, dass sich van Helk einem Leitungsbündel näherte, aus dem Elmsfeuer schlugen. Es sah beinahe aus wie eine blau glühende Tulpe.

Van Helk starrte in die andere Richtung; er sah die Entladungen nicht. Hinter ihm knisterte es laut. Darnell drehte sich um und registrierte einen Überspannungsbogen, der zwischen zwei Speicherblöcken hin und her zuckte. Van Helk befand sich zu nahe an der Entladung. Ein kleinerer Lichtbogen baute sich auf und schleuderte den Mann gegen eine Verkleidung. Er blieb regungslos liegen.

»Notfall!«, gab Darnell sofort durch. »Ich habe hier einen Verletzten. Stromschlag, dazu wahrscheinlich Verbrennungen zweiten oder dritten Grades. Schnell!«

Er wartete die Bestätigung nicht ab, sondern rannte geduckt zu dem reglos daliegenden Techniker. Die Haltung bot keine Sicherheit. Ein Überspannungsbogen nahm keine Rücksicht auf Respekt; dass Darnell sich klein machte, war eine reine Instinktreaktion. Er drehte den Verletzten auf den Rücken. Van Helks Augen waren geschlossen, und bis auf eine leichte Rötung im Halsbereich war keine Verletzung zu sehen. Er atmete.

»Nur ein leichter Schlag, wenn er Glück hat«, sagte Darnell hoffnungsvoll zu sich selbst. Allerdings brachte unter Umständen sogar der Stromstoß eines Tasers das Herz zum Stillstand, das wusste er.

Darnell prüfte den Puls. Er war schwach, aber gut fühlbar und regelmäßig, soweit der Ingenieur das beurteilen konnte. Darnell war beruhigt. Er packte van Helk unter den Achseln und zog ihn aus der Gefahrenzone. Nach wie vor zuckten kleinere Entladungen in den Raum, waberten blaue Flammen über die Decke.

Darnell stöhnte. Van Helk war erheblich schwerer, als er vermutet hätte. »Um Himmels willen, was hast du gefrühstückt?«, keuchte er. So sanft es ihm möglich war, ließ er den Ohnmächtigen zu Boden gleiten.

Hektisch warf er einen Blick in die Umgebung. Hier sollte es sicher sein. In einiger Entfernung flackerte es allerdings nach wie vor, obwohl die Entladungen schwächer wurden. Das Singen in der Luft war mittlerweile kaum noch zu hören – das lag nicht zuletzt am Lärm der nun auf Volllast arbeitenden Meiler.

»Es beruhigt sich!« Vorsichtig drehte Darnell den Ohnmächtigen in die stabile Seitenlage.

Endlich öffnete sich das Schott, und ein Notarzt kam auf ihn zu. Ein kleiner, dicker, glatzköpfiger Mann, der die Energie eines abwärts rollenden Felsblocks verströmte. Er war allein.

»Nanu ...«, wunderte sich Darnell. »Kein Medoroboter?«

Der Mediziner warf ihm einen düsteren Blick zu. »Glauben Sie bloß nicht, Sie wären der Einzige, der Ärger hat. Die Maschinen sind ausgelastet wie nie! Kümmern sich um die kleineren Verletzungen ... Was ist mit Ihnen?«

»Es geht nicht um mich!«, korrigierte Darnell. Er zeigte auf van Helk, der sich nicht regte. »Er ist von einem Überspannungsbogen erwischt worden. Er hat Puls, aber ich bin kein Arzt!«

Der Bordmediziner beugte sich über den Besinnungslosen und untersuchte ihn. »Das hat niemand unterstellt, Mister Darnell. Seien Sie froh, dass Sie nicht selbst in eine solche Entladung hineingelaufen sind ...«

»Hineingelaufen ist gut!«, protestierte Darnell.

Der Arzt winkte ab. »Ich weiß. Ich weiß!«

Er prüfte die Vitalwerte. Darnell hörte ihn leise vor sich hin murmeln. Auf der Kopfhaut des Arztes bildeten sich Schweißtropfen. Er zückte ein Analysegerät und presste es auf die Brust des Bewusstlosen. Darnell sah etliche Signale aufleuchten, aber damit konnte er nichts anfangen. Medizintechnik war nicht seine Spezialität.

Der Arzt machte einen zufriedenen Eindruck. Er setzte eine kreislaufstabilisierende Injektion und richtete sich auf. »Er hat Glück gehabt. Keine schweren Verbrennungen, und das Herz ist offenbar in Ordnung. Ich lasse ihn dennoch abholen. Ein genauerer Check wäre gut.«

Darnell winkte bestätigend. »Aber denken Sie dran: Wir brauchen die Leute. Ich weiß nicht genau, was die Zentrale gerade an Manövern fliegt, um diesem Monstrum aus dem Weg zu gehen. Aber wir werden alle Systeme durchprüfen müssen, sobald es etwas ruhiger geworden ist. Sonst sind Elektroschocks eventuell unser kleinstes Problem.«

Der Arzt schmunzelte. »Ihr Raumfahrer seid immer ein Quell von Zuversicht und guter Laune. Wollten Sie mich damit etwa aufheitern?«

»Ich bin ein Sonnenschein, Doktor«, erwiderte Darnell knurrig. »Wussten Sie das nicht?«

Der Arzt war schon wieder auf dem Weg nach draußen. »Eine Sonne ist auch nur ein Stern – in unserem Fall ein Neutronenstern, wenn ich das richtig verstanden habe. Kein guter Vergleich!« Die Schleuse schloss sich hinter ihm.

Darnell blickte ihm nach. »Spaßvogel!«, brummte er. Er winkte zwei Technikern zu, die sich vorsichtig aus Richtung der Deuteriumtanks näherten. »Wir sollten ihm eine Isodecke unterlegen!«, sagte er. »Eine zusätzliche Unterkühlung ist sicher nicht gesund.«

»Darnell?« Die Stimme war der beste Beweis dafür, dass er die Verbindung in die Zentrale nicht unterbrochen hatte. Die Bildübertragung indes zeigte kräftige Ausfallerscheinungen: Die holografische Darstellung seines Gesprächspartners war rudimentär und verwischt, stabilisierte sich allerdings langsam. Darnell sah etwas Rötliches.

»Mister Bull?«, fragte er.

»Ich sehe Sie kaum, Darnell!«, kam es zurück. »Ist bei Ihnen alles im grünen Bereich?«

»Ich habe bisher keinen Überblick über den Zustand meiner Mannschaft«, antwortete der Ingenieur und öffnete eine Personalübersicht. »Ein Verletzter ist bereits grundversorgt. Andere Personenschäden scheint es im Maschinenring nicht zu geben. Wenn, dann handelt es sich offenbar um Kleinigkeiten.«

»Ich weiß, Ingenieure sind hart im Nehmen«, sagte Bull, hörbar amüsiert. »Aber es ist gut, das zu hören. Was machen die Maschinen?«

»Gute Frage. Ausfälle bei vitalen Systemen sind derzeit nicht zu verzeichnen. Allerdings habe ich derart viele Energieentladungen gesehen wie in meinem ganzen bisherigen Leben nicht. Die FERNAO muss unglaubliche Überspannungspotenziale aufgebaut haben, die sich nun an allen passenden und unpassenden Stellen abbauen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zu Schäden kommt – wenn es sie nicht längst gibt. Die Analysen und Prüfprotokolle laufen, aber ich habe zum jetzigen Zeitpunkt kein Endergebnis vorliegen. Immerhin: Die Lebenserhaltung ist nicht zusammengebrochen. Ich habe keine Warnanzeigen.«

»Sie verstehen es, einem Mut zu machen!«, spottete Bull bissig. »Wir leben – was will man mehr?«

»Wie sieht's anderswo im Schiff aus?«, erkundigte sich Darnell.

»Viel kleineres Unbill, wie ich höre!«, sagte Bull. »Wir haben anscheinend gewaltiges Glück gehabt. Wenn sich der Libraschirm eine Sekunde später aufgebaut hätte, wäre es nicht bloß bei leichten elektrischen Schlägen und solchen Dingen geblieben. Das Ding dort draußen ist ein Monstrum, haben Sie das mitbekommen?«

Darnell fühlte einen Kloß im Hals. »Ein Magnetar, Mister Bull. Ich weiß. Und ich weiß allzu gut, was diese Dinger anrichten können – rein abstrakt! Ich glaube nicht, dass ein anderes irdisches Raumschiff einem Magnetar jemals so nahe gekommen ist wie wir. Dafür geht's uns erfreulich gut, nicht?«

Bulls Bild stabilisierte sich. Der stämmige, rothaarige Mann zeigte seine Besorgnis unverhohlen. »Das können Sie verdammt noch mal laut sagen! Wenn Sie vor Ort nicht gebraucht werden, kommen Sie umgehend in die Zentrale. Ich habe hier etwas, das dürfte voll auf Ihrer Wellenlänge liegen!«

»Ich weise meine Leute kurz an, dann komme ich!«, war Darnell einverstanden.

Zwei Minuten später war er unterwegs. Als er den kuppelförmigen Befehlsstand der FERNAO betrat, hielt er die Luft an. Einer der zentralen Kommandosockel wies eine deutliche Schwärzung auf. Die Entladung, die das verursacht hatte, würde einen Menschen ohne Frage getötet haben. Zugleich stellte er fest, dass Rhodan nirgendwo zu sehen war.

»Ist ...«, setzte Darnell an, als Bull sich näherte.

Der schüttelte den Kopf, als könne er Gedanken lesen. »Perry Rhodan ist unterwegs zu den Hangars. Wir sind alle unverletzt; das ist allerdings reines Glück. Meister Kogaddu dort drüben weiß noch immer nicht, warum er lebt! Der Überspannungsbogen hat ihn beinahe gestreift, aber alles, worunter er leidet, ist eine elektrostatische Frisur. Kommen Sie!«

Darnell musterte kurz den Chef der kleinen Beibootflotte der FERNAO. Major Shinawatra Kogaddu war untersetzt. Seine schwarzen Haare, üblicherweise kurz und glatt anliegend, standen wirr in alle Richtungen. Darnell registrierte, dass sich sogar die Augenbrauen leicht sträubten.

Kogaddu bemerkte den Blick offenbar und setzte eine vorwurfsvolle Miene auf. »Verletzen Sie bloß nicht meine Gefühle, verehrter Ingenieur! Wie Sie sehen, stehen mir die Haare zu Berge, das macht keinen Spaß, glauben Sie mir!« Kogaddu wirkte tatsächlich nicht verletzt, sondern nur ein wenig durch den Wind.

»Ich weiß genau, was Sie meinen«, versicherte Darnell. »Fragen Sie bei Gelegenheit Doktor Leyden, der kommt ausgezeichnet mit diesem Phänomen klar. Außerdem will er immer hoch hinaus. Auch was seine Frisur angeht.«

»Hochfliegende Pläne führen meist zu Höhenangst. In meinem Fall ist das eine haarige Angelegenheit. Das ist ein Gespräch mit Doktor Leyden leider meist ebenfalls!«

Darnell grinste und beeilte sich, als Bull ungeduldig winkte. Kogaddu nickte ihm schweigend zu.

»Sehen Sie sich das an!« sagte Bull. Er hatte eine stark aufbereitete Wiedergabe der Außenbordbeobachtung aktiviert.

Der Magnetar war eine gerade mal 25 Kilometer durchmessende Kugel aus ultradichter Materie, die sich rasend schnell drehte. Die gesamte Masse der Sonne Reunion, die übrig geblieben war, wurde von der Gravitation gnadenlos zusammengepresst. Der Rest der Sonnenmaterie war durch die Supernova, die Ursache für diese Verwandlung des Sterns sein musste, in den Raum geschleudert worden: ein Inferno.

Darnell las die Daten eines parallel laufenden Flachhologramms ab. »Fünfundzwanzig Kilometer!«, murmelte er fassungslos. »Und eine solche Flussdichte? Das ist ...«

Bull unterbrach ihn. »Ein verdammt bösartiges kleines Miststück. Ganz recht!«

Die Darstellung des Magnetars und seines ungeheuren Magnetfelds hatte etwas Gewalttätiges. Rufus Darnells Kehle war mit einem Mal trocken und kratzig.

Bull wandte sich dem Ingenieur zu. »Kommen Sie mit, Rufus! Wir müssen uns klar werden, was wir tun sollen. Kommandant Rainbow hat einen Fluchtkurs angelegt, der uns in die äußeren Bereiche des Systems bringen wird. Dort sollte es ein wenig ruhiger sein. Dennoch: Wir haben einige Ergebnisse aus der Ortung, die uns eindeutig in Schwierigkeiten bringen. Die Besprechung beginnt in ein paar Minuten.«

»Schwierigkeiten?«, staunte Darnell. »Ich würde sagen, die haben wir längst.«

Bulls Gesicht verzog sich, als habe er Zahnschmerzen. »Das größere Übel ist nicht annähernd so klein, wie man es sich wünscht, würde Kogaddu vielleicht sagen.« Er unterbrach sich kurz und räusperte sich. »Die MAGELLAN ist verschwunden!«

1.

Perry Rhodan: Der zehnte Kreis der Hölle

 

Perry Rhodan saß angespannt vor einer ganzen Holobatterie. Er blickte kurz auf, als Reginald Bull und Rufus Darnell den Besprechungsraum betraten. Er winkte den beiden, sich zu setzen.

Um den Tisch hatten sich etliche Personen verteilt. Neben Tuire Sitareh, Tim Schablonski und Autum Legacy war das komplette Leyden-Team anwesend: Belle McGraw, Abha Prajapati, Luan Perparim und selbstverständlich Eric Leyden selbst. Sitareh saß ein wenig abseits, ungewöhnlich für den Mann mit den kupferroten Haaren und dem Rabentattoo auf der Stirn. Meist zog er es vor, im Zentrum des Geschehens zu sein. Rhodan sah, dass Bull den Auloren musterte.

In der Luft lag ein leises Knistern und Singen.

»Kommandant Rainbow ist uns über Interkom zugeschaltet!«, sagte Rhodan. »Unsere Situation ist schwierig, um es nett zu formulieren. Alle wissen mittlerweile, dass die MAGELLAN verschwunden ist. Den Grund dafür kennen wir nicht, aber alle Möglichkeiten, die mir in den Sinn kommen, sind unerfreulich. Zuallererst sind wir beschädigt in einer Gegend herausgekommen, wie sie gefährlicher kaum sein kann.«

Er warf Tim Schablonski einen auffordernden Blick zu.

Der stämmige Chefingenieur aktivierte eine ganze Schar Hologramme und etliche Flachdarstellungen, hauptsächlich Tabellen und Zahlenkolonnen.

Ein Bild baute sich auf. Im Zentrum saß eine kompakte, kleine Kugel: eine Darstellung des Neutronensterns, zu dem die Sonne Reunion kollabiert war. Um sie herum zeichnete die Positronik ein wildes Gewirr von Feldlinien: die grafische Umsetzung des magnetischen Felds, das der tote Stern erzeugte. Er selbst rotierte mit enormer Geschwindigkeit, und die eingeblendeten Daten beschrieben eine tektonisch hochaktive Oberfläche aus kristallinem Eisen, darüber eine dünne Schicht aus Eisenplasma.

»In dieser hochverdichteten Kruste kommt es ständig zu Brüchen und infolgedessen zu Sternbeben«, sagte Leyden. Die düsterblaue Beleuchtung des Holos verwandelte sein Gesicht in eine dämonische Fratze – das Flackern der Feldlinien verstärkte diesen Eindruck. Von seiner Virusinfektion war bis auf eine leichte Heiserkeit nichts mehr zu bemerken. Der raue Tonfall unterstrich seine Worte jedoch auf unheimliche Weise.

Die Positronik hat Sinn für Dramatik, konstatierte Rhodan im Stillen. Dieses blauschwarze, rasend rotierende Monstrum hätte man kaum effektvoller darstellen können. Alles daran ist mörderisch und gewalttätig! Wer da die Meinung vertritt, Natur sei Harmonie, hat den Bezug zur Realität verloren. Auf der anderen Seite: Wer bekommt etwas Derartiges jemals zu sehen?

Tatsächlich wirkte das Bild extrem bedrohlich. Das vibrierende Geräusch, das in der Luft lag, unterstrich das Gefühl, das die Wiedergabe wohl in allen auslöste.

»Und der Kern?«, fragte Bull. Nervös fuhr seine Hand durch das rote Haar mit den angegrauten Schläfen. »Was steckt unter dieser ständig splitternden Eisenkruste?«

Eric Leydens Hand griff in das Hologramm und teilte es. Im Innern des Magnetars war eine diffuse, violette Masse zu sehen, die sich bewegte. »Konvektionsströme«, antwortete der Hyperphysiker. »In einer supraflüssigen und supraleitenden Neutronenflüssigkeit. Viele dieser Modellannahmen sind nicht ausreichend gesichert. Was der Kern selbst ist, wissen wir gar nicht. Vielleicht ein fester Block, der eventuell aus Quarks bestehen könnte. Alles in allem ein extremer Ort – in jeder Hinsicht.«

Die Astronomin Belle McGraw schaltete sich ein: »Die Flussdichte im Magnetfeld dieser widerlichen Sonnenleiche beträgt in der Spitze weit über zehn hoch acht Tesla. Das Magnetfeld der Erde ist im Vergleich geradezu jämmerlich: null Komma eins acht Tesla. Bisher hatten wir mit Magnetaren nur theoretisch zu tun. Exakte Messungen oder eine solide Datenbasis waren nicht zu finden – nicht einmal in den arkonidischen Datenbanken, die uns zur Verfügung stehen. Ich würde sagen, die Arkoniden gehen diesen Dingern seit Tausenden von Jahren zielgerichtet aus dem Weg. Eine kluge Entscheidung übrigens.«

Ein grelles Aufflackern des Holos zog die Aufmerksamkeit auf sich. Rhodan nahm für einen kurzen Moment ein Nachbild wahr.

»Und was war das, bitte schön?«, ächzte Abha Prajapati. Der Inder blinzelte.

Leyden ließ sich Zeit mit der Antwort. »Ein Gammablitz!«, sagte er dann. »Wenn es auf der Oberfläche zu Brüchen oder gar einem Sternbeben kommt, entlädt sich die Energie. Das ist ein sogenannter Soft Gammaray Repeater, ein SGR.«

»Hauptsache, es gibt eine Abkürzung!«, spottete Belle McGraw. »Dann fühlt sich der Hyperphysiker sofort wohler.«

Leyden runzelte die Stirn und warf ihr einen tadelnden Blick zu. Sie zog den Kopf zwischen die Schultern. Für einen kurzen Augenblick sah sie aus wie eine gedrungene Schildkröte. Darnell hob die Hand. Leyden räusperte sich und sah ihn auffordernd an. Rhodan konnte sich vorstellen, dass den Leitenden Ingenieur der FERNAO einige Fragen quälten.

»Der Grund dafür, dass es zu solchen Auswirkungen bei uns an Bord kam, ist, dass sich der Libraschirm erst bilden kann, wenn die Meiler die erforderliche Mindestmenge an Energie zur Verfügung stellen«, sagte Darnell. »Der Schwellenwert definiert den Zeitpunkt, an dem die aktivierten Projektoren den Schirm aufbauen können.«

»Das war diesmal etwas zu spät, nehme ich an?«, fragte Rhodan.

Darnell und Schablonski wechselten Blicke.

Darnell kratzte sich am linken Ohr. »Das magnetodynamische Feld des Magnetars hat zu einer minimalen zeitlichen Verzögerung geführt. Einzelheiten spare ich mir. Tatsache ist, dass diese Verzögerung von einigen Nanosekunden ausgereicht hat, um zu diesen technischen Irritationen zu führen. Das Magnetfeld ist derart stark, dass die Auswirkungen überall spürbar sind.«

»Nanosekunden?«, staunte Bull.

»Ganz recht«, sagte Darnell. »Der Libraschirm an sich hätte ausgereicht, uns zu schützen. Aber er hat sich ein klein wenig zu spät geschlossen. Das hat genügt. Jetzt können sich alle vorstellen, was geschieht, wenn ein Schiff ohne entsprechenden Schutz in ein solches Feld gerät. Ich nenne das ›elektromagnetisches Schreddern‹. Was uns solchen Ärger macht, sind nicht mehr als ein paar Tropfen, die sich durch die Ritzen gequetscht haben.«

»Tropfen!«, wiederholte Luan Perparim entsetzt. Rhodan bemerkte, dass sich auch in ihrer braunen, löwenartigen Mähne einige Haare aufstellten. Wahrscheinlich hatte sie vor Kurzem ein schwaches elektrostatisches Feld durchquert, ohne es zu merken.

Leyden musterte die Exolinguistin mitleidig. »Dazu darfst du einige hyperphysikalische Reaktionen addieren, die kein bisschen angenehmer sind. Wir können von Glück sagen, dass sich der Libraschirm trotz dieser Verzögerung überhaupt aufgebaut hat. Bei etwas mehr Pech wäre das unterblieben, weil das Magnetfeld die Projektoren ruiniert hätte. Und dann ...« Er brach ab.

Eric Leyden rief ein weiteres Bild auf. Es zeigte eine stark reduzierte Flächenprojektion des inneren Systems. Rhodan registrierte einen grünen und einen roten Punkt. Der rote stand erheblich näher am Magnetar.

»Unsere Rücksturzpunkte nach der Transition«, erläuterte Leyden. »Grün ist der berechnete, rot der reale Rematerialisationspunkt.«

»Der Magnetar hat den Sprung beeinflusst?«, fragte Bull gedehnt und lehnte sich zurück. »Wie das denn? Hat das etwas mit diesem nervtötenden Summen zu tun?«

»Nun ja ...« Schablonski zögerte. »Ein Neutronenstern wirkt selbstverständlich ebenso im hyperdimensionalen Umfeld wie im Normalraum. In diesem speziellen Fall beeinflusst er sogar die Quantenebene, die Raumzeit selbst. Die Einflüsse auf die Quantengravitation sind größer, als wir das jemals vermutet hätten. Wir sind – bildlich gesprochen – auf einer glatten Fläche weiter gerutscht, als wir wollten. Das macht die Navigation ... hm: ein wenig unberechenbar.«

Leyden lachte auf. »Ein bisschen unberechenbar gibt's nicht. Tatsache ist, dass wir in dieser Umgebung nur mit Näherungen arbeiten können. Auch der Pilot!«

Aus dem Akustikfeld in Rhodans Ohr drang ein gepresster Laut: Cel Rainbow verfolgte die Besprechung aus der Zentrale mit.

Schablonski grinste düster. »Der Häuptling ist begeistert, wie man hört!«

Prajapati war blass geworden, und Perparim war sichtlich geschockt.

McGraw hingegen war als Astronomin mit Magnetaren vertraut – zumindest theoretisch. Sie wischte sich eine schwarze Haarsträhne aus den Augen. »Die FERNAO hat's überstanden!«, sagte sie. »Was ist mit der MAGELLAN? Das ist der springende Punkt!«

Rhodan zog ein Orterbild nach vorn, das ein stark verkleinertes Schema des ganzen Systems zeigte. »Der Stern kollabierte erst vor Kurzem«, stellte er fest. »Die bei der Supernova weggeschleuderte Sternmasse füllt das System mit ionisiertem Gas, Plasma und jeder Menge exotischer Teilchen, die die Feldlinien entlanghuschen. Die Ortung hat einige Probleme mit diesem Hexenkessel. Einige Planeten, die nahe an Reunion standen, sind geradezu pulverisiert worden. Wir finden Trümmerfelder, die sich zu Teilringen auszudehnen beginnen. Das ist das eine. Zweitens gibt es einen Planeten, der die Katastrophe überstanden hat. Ziemlich unversehrt, wie es scheint. Er umkreiste Reunion in einem Abstand, der dem des Pluto zu Sol entspricht – mehr oder weniger.«

Bull räusperte sich. »Alles in mir sträubt sich, dieses ekelhafte kleine Monster als Reunion zu bezeichnen.«

Rhodan lächelte. »Du meinst den Magnetar ...«

»Ja, klar.« Bull knurrte. »Sicher nicht diese mickrige Eiskugel. Möchte nur wissen, wieso ausgerechnet sie diesen Schlamassel überlebt hat.«

»Sie ist weit genug weg. Glück gehabt!«, sagte Leyden lakonisch. »Manchmal ist es so einfach! Das Summen, nach dem Sie fragten, Mister Bull, ist übrigens ein direktes Resultat der Potenziale, die sich überall an Bord aufgebaut haben ... nichts Schlimmes.«

»Schön«, äußerte Bull schlecht gelaunt. »Ich würde diesen toten Stern dennoch lieber anders nennen. Wie wär's mit Typhoon?«

»Das Ungeheuer aus der griechischen Mythologie?«, fragte Perparim. »Sohn der Gaia und des Tartaros. Er machte den Göttern einigen Ärger, bis Zeus den Ätna auf ihn warf. Man hat ihn häufig mit dem ägyptischen Gott Seth gleichgesetzt.«

Bull verzog das Gesicht. »Ich hatte eher eine militärische Schiffsklasse im Sinn – und ein Ungeheuer. Mehr eigentlich nicht!«