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ÜBER DEN AUTOR

Truman Capote wurde am 30. September 1924 in New Orleans geboren. Er wuchs in den Südstaaten auf, bis ihn seine Mutter als Achtjährigen zu sich nach New York holte. 1948 erschien sein Roman Andere Stimmen, andere Räume, der als das sensationelle Debüt eines literarischen Wunderkindes gefeiert wurde. 1949 folgte eine Sammlung erster Kurzgeschichten unter dem Titel Baum der Nacht, 1950 die Reisebeschreibung Lokalkolorit, 1951 der Roman Die Grasharfe. Das 1958 veröffentlichte Frühstück bei Tiffany erlangte auch dank der Verfilmung mit Audrey Hepburn große Berühmtheit. 1965 erschien der mehrmals verfilmte Tatsachenroman Kaltblütig, 1973 Die Hunde bellen, 1980 Musik für Chamäleons. Postum wurden 1987 – unvollendet – Erhörte Gebete und 2005 das wiederentdeckte Debüt Sommerdiebe veröffentlicht. Bei Kein & Aber erscheint das Gesamtwerk des Autors, zuletzt Wo die Welt anfängt, seine frühesten Erzählungen. Truman Capote starb am 25. August 1984 in Los Angeles.

ÜBER DAS BUCH

In seinen letzten Lebensjahren haben sich Truman Capote und Lawrence Grobel mehrmals getroffen, aus einem ursprünglich geplanten Interview wurde dieses lange intime Gespräch. Funkelnd, scharfzüngig und sehr persönlich erzählt Capote über sein Leben, spricht offen über alltägliche Dinge, über sein Schreiben, seine Probleme mit Drogen und Alkohol, seine Homosexualität. Zudem lässt er sich mit Genuss schonungslos über berühmte Zeitgenossen wie John F. Kennedy, Jacqueline Onassis, Norman Mailer oder Marilyn Monroe aus.

Ein literarisches Zeitdokument und zugleich der unverzichtbare Schlüssel zu Truman Capotes Person und seinem Werk.

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Für Truman,
der seine Bleistifte spitzte
und keine Angst hatte

Grobel: Glauben Sie, dass Konversation Literatur sein kann?
Capote: Nein, aber sie kann eine Kunst sein.

VORWORT

von James A. Michener

Truman Capote war für Schriftsteller wie mich von ungeheurer Bedeutung, denn er übernahm eine notwendige Rolle in der amerikanischen Literatur – eine Rolle, von der wir profitierten, die aber selbst auszuüben wir nicht geschaffen waren.

England hat schon immer Raum für den wahrhaft skandalösen Exzentriker geboten und gab daher für den ungebärdigen Iren Oscar Wilde eine glänzende Bühne ab, von der herab dieser der Welt, von den Londoner Salons bis in die Bergarbeiter-Camps von Colorado, ein extravagantes Schauspiel gab.

Jean Cocteau, den großen französischen Maler-Dichter-Schauspieler-Poseur, habe ich nie kennengelernt, doch in den Jahren nach 1900, als der unsägliche Oscar Wilde starb, wurde Cocteau zu dem Künstler im Blickpunkt, einem, der sich in der Kunst des Epater les bourgeois gefiel, der Kunst, dem Bürger der Mittelschicht eins auf die Schnauze zu hauen. Extravagant in seiner körperlichen Erscheinung, exhibitionistisch mit Absicht, überschwänglich in Wort und Tat, dazu ein überragender Künstler in jedem Medium, gemahnte er, wo immer er wollte, die Welt unaufhörlich daran, dass Künstler anders sind und dass ihr Wert überwiegend in der Tatsache gründet, dass sie sich, verdammt, genau so aufführen, wie es ihnen gefällt. Cocteau hat Generationen von wohlanständigen Franzosen, Engländern und Deutschen bezaubert, verwirrt und brüskiert, stets zum Ergötzen der wachen Welt und zur Bereicherung der Freunde der Kunst und des spektakulären Schauspiels. Eitle und selbstgerechte Gemeinwesen profitieren davon, dass es Männer wie Jean Cocteau und Oscar Wilde gibt, die ihnen auf die Hacken treten. Man muss sie daran erinnern, dass Künstler manchmal schockierend widerborstig sind, dass sie unpopuläre Anliegen verfechten, dass sie sich auf eine Art und Weise benehmen, die für andere undenkbar wäre, und dass sie manchmal spitze Zungen haben. Ich hatte immer schon den starken Verdacht, dass solche Künstler mithelfen, die Gesellschaft in Ordnung zu halten, wachsam und auf dem Sprung, und zivilisierter, als sie es sonst wäre.

Zu meiner Zeit hatten wir in Amerika drei solche Männer – Norman Mailer, Gore Vidal und Truman Capote, und deren Beiträge an das Leben unseres Landes sind von unschätzbarem Wert. Lassen Sie es mich verdeutlichen und Ihnen erzählen, was vor etlichen Jahren innerhalb von nur fünf Tagen geschah. Zuerst verdrosch Norman Mailer Gore Vidal in New York – in einem öffentlichen Literaturkrawall, der es auf die Titelseiten schaffte. Am nächsten Tag gab John Gardner, würdige Ergänzung des Schrecklichen Trios, der Washington Post ein Interview, worin er rundheraus feststellte, er sei der größte Meister der englischen Sprache seit Chaucer, und Größen wie John Milton, Ernest Hemingway und eine Schar weiterer Scharlatane vom gleichen Schlage wären, so oder anders betrachtet, Nullen. Da standen so viele ähnliche Aussprüche, dass ich die Post anrief, um mich zu vergewissern, dass Gardner tatsächlich all das gesagt hatte; man versicherte mir: »Er hat es gesagt, und er war nüchtern.«

Dann kam Truman Capote in unsere Gegend, um vor einem College zu sprechen, doch als er an jenem Abend um acht auf die Bühne torkelte, war er blau und machte sich daran, die Studenten in einer recht kräftigen Sprache zu beschimpfen. »Wieso seid ihr«, wollte er wissen, »wenn ihr Schriftsteller werden wollt, nicht zu Hause und schreibt etwas, statt euch in diesen Saal zu drängen, um eine alte Flasche wie mich anzuhören?« Bei diesen Worten taumelte er und brach am Fuß des Podiums zusammen, von wo der entnervte Direktor der Englisch-Abteilung, zusammen mit zwei Helfern, seinen reglosen Körper von der Bühne schleppte. Ende der Vorlesung.

Als ich am Ende jener Woche von den dramatischen Ereignissen las, sagte ich zu meiner Frau: »Mir ist, als sei ich neunzig und stünde am Ende eines verpassten Lebens. Nie war ich an den Ereignissen des Tages beteiligt. Ich habe kein Recht, mich Schriftsteller zu nennen.« Insgeheim war ich eifersüchtig auf Mailer, Vidal und Capote. Sie haben stets beharrlich dafür Zeugnis abgelegt, dass sie Künstler sind. Und sie haben uns daran erinnert, dass Künstler oft eine besondere Freiheit brauchen, die Leute in anderen Berufen nicht zu benötigen scheinen.

Gegenüber Schriftstellern wie diesen, die sich zu Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens hochstilisieren, sind Schriftsteller wie ich wie gewerkschaftlich Nicht-Organisierte in der Arbeiterschaft; wir profitieren von den Lohnsteigerungen, die von der Gewerkschaft erstritten werden, ohne selbst Beitrag zahlende Mitglieder zu sein oder Drecksarbeit, wie Streikpostenstehen oder die Reihen des Fußvolks führen, tun zu müssen. Wir sind Schmarotzer, und wir wissen es.

Mein Umgang mit Truman Capote, den ich als einen mir selbst so ganz entgegengesetzten Mann schätzen lernte, nahm seinen Anfang in den Geschäftsräumen von Random House, als Bennett Cerf mit einem Abzug jener unsäglichen Fotografie zu mir hereingestürzt kam, das dieses Jüngelchen aus dem tiefsten Magnolienplantagen-Süden zeigt, träge auf eine Chaiselongue hingegossen. Unter das berühmte Foto des Sybariten hatte irgendjemand ein Wortspiel auf den Titel jenes Buches gekritzelt, das Capote einst Ruhm brachte: Other Vices, Other Rooms.

»Sehen Sie, was so ein Schlawiner mir da geschickt hat!«, zeterte Cerf mit seiner hohen, aufgeregten Stimme. Dann aber konnte er sich das Lachen doch nicht verbeißen. »Was Sie brauchen, Michener, ist ein Foto wie dieses. Einen Aufmerksamkeits-Anreißer.«

Danach begegnete ich Capote gelegentlich im Lektorat von Random House, und ich war zugegen an jenem fröhlichen Tag, an dem sich herausstellte, dass ein anderer Verlag – so viel größer als Random House, dass er es riskieren konnte, seine Geschäftsräume in einem un-fashionablen Teil New Yorks zu unterhalten – versucht hatte, Truman mit der Verheißung riesiger Tantiemen in seinen Stall zu locken. Cerf platzte mit der Nachricht heraus: »Capote ist in Versuchung geraten, das muss ich zugeben. Man hat ihm einen Preis geboten, bei dem wir nicht mithalten konnten. Aber schließlich hat er ihnen mit seiner hohen, quäkenden Stimme gesagt: ›Kein junger Mann, der anstrebt, ein seriöser Schriftsteller zu sein, wäre einverstanden, von einem Verlag herausgebracht zu werden, der seine Geschäfte westlich der Fifth Avenue betreibt.‹«

Später irgendwann fiel ich bei Cerf in Ungnade, weil ich mich in den New Yorker Bistros mit meinem alten Freund Leonard Lyons, dem Kolumnisten der New York Post, blicken ließ, der eine Schwäche für Künstler, Musiker und Schriftsteller hatte. Lyons hatte Cerf öffentlich vorgeworfen, er habe Zitate aus seiner Kolumne geklaut, um sie in den klugen Satiren-Anthologien zu verwenden, die er, Cerf, so regelmäßig und erfolgreich herausgab. Wenn ich mit Lyons befreundet sein wollte, konnte ich nicht mit Cerf befreundet sein, und umgekehrt. Wiewohl Capote und ich beide Cerf-Favoriten waren, sollte ich Truman erst durch Lyons kennenlernen; und wichtiger noch, Lyons machte mich auch mit einer phänomenalen Möchtegern-Sängerin-Schauspielerin-Causeuse bekannt. Sie besaß ein Minimum an Talent, ein Maximum an Schönheit und einen derben Sinn für Humor. Auch war sie 188 cm groß, einen halben Kopf größer als ich und anderthalb Köpfe größer als Truman.

Letzteres ist wichtig, weil Truman und ich abwechselnd mit ihr ausgingen, und es war so reizend mit ihr, dass ich es nicht gerne sah, wenn sie Truman begleitete. Sie waren ein phänomenales Paar, die statuenhafte, himmelhoch aufstrebende Bergmannstochter und der rundliche kleine, neben ihr dahintänzelnde Gnom. Es bekümmert mich noch immer, gestehen zu müssen, dass sie Truman viel lieber mochte als mich, zum Teil wohl, weil sie wusste, was für ein auffälliges Paar sie abgaben, und dies war wichtig für eine junge Frau, die in New York ihren Weg zu machen versuchte. Sie mochte auch Leonard Lyons, weil er ihren Namen ziemlich häufig in seiner Kolumne erwähnte, und eines Abends sagte sie mir: »Er macht mich in New York noch zum Stadtgespräch.« Und eine Weile tat er das auch, denn sie konnte eine aufsehenerregende Fernsehshow landen, und alle drehten die Köpfe nach ihr um, wann immer sie wie eine Amazonenkönigin mit Capote oder mir im Schlepptau hereinmarschierte.

Gut, wie sie war, hat sie mir nie von Truman erzählt, noch Truman von mir, aber wir mussten das Doppelspiel bemerken, das sie spielte, doch mochten wir sie deshalb nicht weniger gern. Ich war ganz hingerissen von ihr, wie halb New York in jenem Jahr, und ich verfolgte ihren Weg aufmerksam und liebevoll, denn sie war der erste wirkliche Star, den ich kannte – ich selbst hatte sie in diese Kategorie befördert, wenn auch der Rest der Welt weniger dazu geneigt war. Als dann Capotes sensational gutes Breakfast at Tiffany’s erschien und eine Frau in New York Capote verklagen wollte, weil, wie sie behauptete, die Hauptfigur, diese unbeschreibliche Holly Golightly, ihr nachgebildet sei, setzte ich mich daher in meiner Herzensgüte hin, griff zur Feder und ließ einen Brief an Random House los, in dem ich meinen Schriftstellerkollegen verteidigte. Aus Gründen, die gleich einsichtig werden, darf ich vermuten, dass der Brief, den ich an Donald Klopfer, den Vizepräsidenten des Verlags, abschickte, vernichtet wurde; aber ich kann mich noch gut an seinen Inhalt erinnern:

Lieber Donald,

Ich kann nicht dasitzen und zusehen, wie Ihr und mein Freund Truman Capote durch die Gerichtsklage, die über ihm schwebt, gekreuzigt werdet. (Eine hübsch zusammengestoppelte Metapher.) Die Klage, die von der jungen Frau aus New York angestrengt wird, ist offenbar falsch, denn zufällig weiß ich, dass Truman seine Holly Golightly einer wunderbaren jungen Dame aus Montana nachgebildet hat, und sollte es zur Verhandlung kommen, bin ich gerne bereit, dies zu bezeugen.

Jim Michener

Nun, der Brief war noch keine sechs Minuten bei Random House, als Bennett Cerf schon am Telefon hing und keifte: »Haben Sie Durchschläge von diesem verrückten Brief, den Sie uns geschickt haben?« Bevor ich auch nur den Mund aufmachen konnte, fuhr er fort: »Verbrennen Sie sie! Als ich Truman Ihren Brief zeigte, jammerte er: ›Ich fürchte schon, sie wird mich auch verklagen?‹«

Mir war klar, dass Capote seine Holly jener fröhlichen jungen Dame nachgebildet hatte, die wir beide so sehr liebten, aber sie hat ihn nicht verklagt. Wahrscheinlich vor allem, weil sie die enorme Publicity genoss, die sein Buch ihr im Kreis ihrer Freunde aus der Café-Society einbrachte, die den wahren Sachverhalt kannten. Doch nach dieser Beinah-Pleite mit den Prozessen sah Truman sie immer seltener und überließ das Feld mir, und ich war weiterhin betört vom sprudelnden Charme des Mädchens. Ich musste mich dann allerdings aus der Konkurrenz zurückziehen, und zwar wegen ihres unvermindert starken Drangs, Aufmerksamkeit zu erregen.

Das war der Beginn einer sporadischen Freundschaft mit Capote, der sich bei mir für die erbotene Hilfe bedankte, so irrig sie auch gewesen sein mochte. Ich sah ihn manchmal im El Morocco, wo er Marilyn Monroe hofierte, die, wenn sie mit ihm tanzte, ihre Schuhe auszog (sonst wäre auch sie einen Kopf größer gewesen).

Je mehr ich über Capote erfuhr, desto besser konnte ich ihn leiden. Ein Produzent, für den ich in Hollywood arbeitete, erzählte mir, dass Truman, wenn er über Land reiste, sich gern zur Bibliothek irgendeiner verschlafenen Kleinstadt chauffieren und den Fahrer draußen warten ließ, während er, Capote, hineinrannte. »Das erste Mal sagte ich nichts. Das nächste Mal fragte ich: ›Truman, was zum Teufel tun Sie da in den Bibliotheken?‹ Und er antwortete mit kindlichem Vergnügen: ›Die Karteikarten durchsehen. In dieser hatte Mailer sieben Karten. Vidal hatte acht. Ich aber hatte elf.‹«

Truman lud mich zu seinem großen Karacho im Waldorf ein, der Sensation jener Saison, aber ich war in Europa, und später sah ich ihn, glaube ich, nicht mehr. Nach dem Debakel in Maryland, wo er vor seinem studentischen Publikum betrunken umgekippt war, schrieb ich ihm eine Nachricht, die besagte: »Bleib dran, Junge. Wir brauchen Dich.«

Ich jedenfalls brauchte ihn, denn mit den Jahren war ich ihm zunehmend dankbar dafür, dass er die Rolle des Genie-Clowns spielte, der das breite Publikum daran erinnert, dass Künstler stets anders sind, und dies manchmal radikal. Mein letzter Kontakt mit ihm brachte diese Überzeugung auf den Nenner. Ich hatte in den New Yorker Büros von Random House emsig an einem Manuskript gearbeitet – drauflosgeschuftet, wäre das treffendere Wort – und kam mit verschwommenem Blick aus dem Verlag, als ich mich von der grellweißen Umschlagseite einer großen Greenwich-Village-Zeitung angestarrt fühlte. Sie enthielt keinen Titel, nur ein herrlich verlottertes Foto meines Freundes Capote, der mich – einen Sombrero auf dem Kopf, oder war es ein Opernhut à la Toulouse-Lautrec aus dem vorigen Jahrhundert? – höhnisch angrinste, und links oben vier fette Druckzeilen:

Ich bin Alkoholiker
Ich bin süchtig
Ich bin schwul
Ich bin ein Genie

Die ersten drei Behauptungen gestand ich ihm zu, aber mit der letzten hatte ich Schwierigkeiten. In einem Leben langer Wanderschaft habe ich persönlich nur zwei Genies kennengelernt, Tennessee Williams, der mit Wörtern und menschlichen Situationen brillanter umgehen konnte als irgendeiner von uns, und Bobby Fischer, den Schachweltmeister, der einzigartig verrückt programmiert war. Beide Männer fanden, dass es ein unerträglicher Zustand sei, bergendes Gefäß des Genius zu sein, und beide gingen an dieser Belastung zugrunde.

Larry Grobel, der Gesprächspartner bei den Interviews, auf denen dieses Buch beruht, begann seine langen Sitzungen mit Capote etwa um die gleiche Zeit, als er mich in Florida interviewte, und ich hatte das lohnende Erlebnis, von diesem Unternehmen und später von seiner Reaktion auf einen Schriftstellerkollegen zu hören, den ich seit Langem bewunderte. Grobel sagte unumwunden, Capote sei ein Genie; der Fluss seiner Worte, stets absolut richtig gesetzt, käme aus keiner gewöhnlichen Quelle.

Grobels Urteil zwang mich, meine Einschätzung Capotes zu überdenken.

Zur Zeit der Veröffentlichung von In Cold Blood arbeitete ich in weit verstreuten Teilen der Welt, und wohin ich auch kam, wurde In Cold Blood in die Landessprache übertragen – mit all der Wucht, die es im Englischen gehabt hatte. Kritiker, Leser und andere Schriftsteller waren allesamt fasziniert, und kein anderes Buch während meiner produktiven Jahre genoss solchen Beifall von Publikum und Kritikern.

Ich schätzte damals, dass Truman mindestens vier Millionen Dollar mit seinem Buch verdient haben musste, und wahrscheinlich fünf. Sein außerordentlicher Reichtum erlaubte ihm ein außerordentliches Auftreten.

Aber ich respektierte ihn nicht wegen seiner Einkünfte; es war wegen seiner Beharrlichkeit, wegen der hohen Qualität seiner Arbeit und wegen seiner Weigerung, sich unterkriegen zu lassen. Mir gefiel, wie meisterlich er das treffende Zitat setzte, eine Fähigkeit, die mir abgeht. Auch schätzte ich die Art, wie er einmal eine Sentenz anbrachte, die ich nie zuvor gehört hatte, auch wenn andre behaupteten, es sei ein alter Klassiker, für den passenden Augenblick wiederbelebt. Capote hatte seiner Freundin Prinzessin Lee Radziwill, Jackie Kennedys Schwester, eine Rolle in einem Fernsehstück eingepaukt, und sie war durchgefallen. Um sie zu trösten, sagte Capote: »Die Hunde bellen, und die Karawane zieht weiter.« Als ein Mann, der jahrelang mit Karawanen umhergezogen ist, war ich bezaubert von dem glücklichen Einfall, ob nun original Capote oder von ihm aufgeschnappt. Ich denke jährlich ein Dutzend Mal daran, und ich bin dankbar, dass er mich darauf aufmerksam gemacht hat.

Weil vielleicht gerade viele junge Leute dieses Buch lesen werden, muss ich einen Punkt klären. Ich hatte Capote gern, trotz seiner Schwierigkeiten, und ich schätzte ihn hoch als Schriftstellerkollegen, aber nie habe ich ihn oder Oscar Wilde oder Jean Cocteau als den idealen Schriftsteller auf den Thron gesetzt. Byron war ein Truman Capote seiner Zeit; Wordsworth und Goethe waren es nicht. Die meisten guten Bücher der Welt werden von gewöhnlichen oder gar farblosen Menschen geschrieben – Leuten wie Saul Bellow, Anthony Trollope, Gustave Flaubert, Joyce Carol Oates oder Wladyslaw Reymont, dem polnischen Nobelpreisträger. Gewiss gefällt mir Capote, aber ich möchte ihn nicht endlos kopiert sehen von unseren jugendlichen Aspiranten. Er wäre einzuordnen als ein später Thomas Chatterton, unzweifelhaft brillant, unzweifelhaft lodernd, unzweifelhaft zum Scheitern verurteilt.

Hat Grobel Recht, wenn er Capote ein Genie nennt? Ich bin mir nicht sicher, denn ich habe strenge Maßstäbe für dieses Wort, aber ich möchte doch zwei Beweisstücke ins Mahlwerk der Kritik werfen, die vielleicht Grobels Behauptungen stützen.

Erstens bezweifle ich, dass irgendein anderer Schriftsteller, gleich welcher Sprache, der zur Zeit der Morde von Kansas lebte, In Cold Blood mit jener strengen Selbstbeherrschung hätte schreiben können, wie Capote sie übte. Ich meine damit die Darstellung eines Themas von aischylianischer Tragik, ohne verdrießliches Moralisieren; ich meine die Wahl des exakt richtigen Vokabulars; ich meine die Handhabung von Spannung und Horror, ohne in falsches Pathos zu verfallen; ich meine das Erzählen einer sehr persönlichen Geschichte – seine Interaktion mit zwei abscheulichen Mördern –, ohne sich selbst zu einer zentralen Figur werden zu lassen; ich meine auch die Pioniertat eines neuen Stils, Romane zu schreiben. Aus allen diesen Gründen kann man Capote rühmen, ein Ehrfurcht heischendes Meisterwerk hervorgebracht zu haben. Niemand als er hätte es damals tun können, und wenige könnten es heute erreichen.

Zweitens habe ich Jahre später mit gebanntem Interesse Auszüge aus Capotes letztem Werk gelesen, jenen nie vollendeten Answered Prayers, wie sie 1975 und 1976 im Esquire veröffentlicht wurden. Ich hatte seit Jahren gehört, Truman arbeite an etwas, das er als sein Meisterwerk betrachte, und ich hatte ein mehr-als-übliches Interesse entwickelt. Ein Schriftsteller hört dauernd, dass irgendein Zeitgenosse an dem Opus summum bonum arbeitet, das sich einen sicheren Platz in der Nachwelt behaupten wird. Mailer arbeitet an solch einem Werk. Das tut auch James Baldwin, und das tut auch Graham Greene. Das tut auch Joyce Carol Oates. Das tut auch Otto Defore, von dem noch niemand gehört hat, draußen in Idaho. Das tun wir alle.

Hier aber bot Capote tatsächlich Proben aus seinem Chef d’œuvre, und ich war ungeduldig, sie zu prüfen. Bevor ich mit der zweiten Lieferung fertig war, stand meine Meinung fest, und ich hielt mein Urteil in einem Aide-mémoire für mich fest:

Ein schockierender Vertrauensbruch und Klatschen auf der Toilette, ein Um-den-Tisch-Sitzen. Ich bin bekannt mit vieren der Leute, die T.C. so misshandelt, und ich kann die falschen Behauptungen, die er aufstellt, kategorisch bestreiten. Ein Meisterwerk an reiner Biestigkeit, das viele vordem aufgetane Türen schließen wird. Warum hat er das getan? Hat er kein Verantwortungsgefühl oder Noblesse oblige? Die Sicht eines Proktologen auf die amerikanische Gesellschaft.

Aber ich bin sicher, dass Answered Prayers, falls er das Ganze zu Ende bringen kann, der Schlüsselroman unseres Jahrzehnts sein wird, das Werk eines amerikanischen Proust, von dem man sagen wird, es habe unsere Epoche auf den Nenner gebracht. Ich kann mir vorstellen, wie Harvard-Absolventen im Jahr 2060 ihren Dr. phil. machen, indem sie rätseln, wer die verruchtesten und gemeinsten Charaktere Capotes waren, und dann die Gerechtigkeit seiner Anmerkungen bewerten. Die beste dieser Studien, eine, die seinen Ruf festigen wird, könnte den Titel tragen: »Truman Capote und seine Zeit.« Wie Toulouse-Lautrec wird er schließlich seine Epoche repräsentieren, und man wird ihn schätzen für die meisterhafte Art, wie er sie auf ihren Begriff brachte.

Aber nur, wenn er sein Werk in großem Stil abschließen kann, nur wenn er genügend führende oder bedeutsame Persönlichkeiten einbezieht, nur wenn er seinen Stoff meistert, statt sich von ihm überwältigen zu lassen. Ich höre, er trinkt so viel und hängt so schwer an Drogen, dass er es nur schwerlich schaffen dürfte. Was wird er uns dann hinterlassen haben? Ein paar Fragmente, in Fußnoten abzuhandeln. Eine verdammte Menge Fast-Literatur wird in Fußnoten zusammengedrängt.

Aufgrund einer ungewöhnlichen Kombination von Umständen war es mir vergönnt, Capote flüchtig kennenzulernen und seine Leistung mit einiger Genauigkeit einzuschätzen. Ich hatte eine beständige Zuneigung zu dem Mann, und ungeheuren Respekt vor seinem Talent. Ich beneidete die klassische Art, wie er sich gab und in seiner öffentlichen Pose schwelgte. Seine spöttischen Hiebe waren erste Klasse, seine besten Schriften von hohem Verdienst, und sein In Cold Blood außerordentlich in seiner Meisterschaft.

Sein Weggang hinterlässt eine Lücke. Aber mein Gruß an ihn soll sein, was ich ihm in meinem letzten Brief sagte: »Bleib dran, wir brauchen Dich.«

Austin, Texas

Oktober 1984