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INHALT

Vorbemerkungen

Öffentlicher Bildungsauftrag versus Einzelinteressen

Rechte und Pflichten von Lehrern, Eltern und Schülern

Rechtsprechung und Gerichtsurteile

Handlungsgrundlagen und Handlungsspielräume

1Organisation der Schulgemeinschaft.

Befreiung vom Unterricht

Inhalt und Gestaltung des Unterrichts

Informationsanspruch von Eltern und Schülern

Ansprüche behinderter Schüler

Kündigung des Schulvertrags

2Gestaltung des Unterrichts

Angemessenes Verhalten im Unterricht

Angemessene Kleidung

Pausenzeiten

Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern

Körperkontakt von Lehrern mit Schülern

3Folgen von Fehlverhalten im Unterricht

Auswirkungen von Regelverstößen

Herstellung der schulischen Ordnung

Konfiszierung des Smartphones

Ausschluss vom Unterricht

Aktive Beteiligung am Unterricht

Beschwerde, Widerspruch und Klage

4Leistungsbeurteilungen, Versetzungen und Prüfungen

Leistungsbeurteilung

Chancengleichheit bei Prüfungen

Leistungsverweigerung durch unentschuldigtes Fehlen

Prüfungsunfähigkeit

Leistungsverweigerung durch Täuschung

Nachschreiben einer Klassenarbeit

Beurteilungsspielraum der Lehrer bei der Notenvergabe

Einwände gegen die Notenvergabe

5Auseinandersetzungen und deren Folgen.

Unmutsäußerungen, Beleidigungen und falsche Anschuldigungen

Unangemessene Bild- und Tonaufnahmen

Nötigung und Bedrohung

Sachbeschädigung

Körperverletzung und Schmerzensgeldanspruch

Aufsichtspflicht und Schadensersatz

Verdachtsmomente und Straftaten

6Schulveranstaltungen.

Schulveranstaltung oder nicht?

Klassenfahrten

Versicherungsschutz auf Klassenfahrten

Erkrankung während der Klassenfahrt

Betreuung im Krankenhaus

7Außerschulisches Verhalten.

Versicherungsschutz auf dem Schulweg

Streitereien auf dem Schulweg

Umgang mit privaten Konflikten

Umgang mit Straftaten

Schutz der Persönlichkeitsrechte von Lehrern

Umgang mit (Cyber)Mobbing

Schlussbemerkungen.

Dank.

Über den Autor.

Für Elke, Christoph und Clarissa, die den Schulalltag
täglich erleben, erlebt haben oder wieder erleben werden

VORBEMERKUNGEN

»Ich muss mal!«, verkünden kerngesunde 17-jährige Schüler mitten in der Unterrichtsstunde und sind mehr oder weniger schon auf dem Weg zur Klassenzimmertür. Sie sind – ebenso wie ihre Eltern – felsenfest davon überzeugt, nicht nur das Schulrecht, sondern sogar die Menschenrechte auf ihrer Seite zu haben, die es ihnen erlauben, nach Belieben zur Toilette zu gehen. Sollte sich ein Lehrer diesem Wunsch widersetzen, könnte das einen Anruf bei der Polizei mitsamt einer Anzeige wegen Nötigung und Körperverletzung oder aber das Schreiben eines Rechtsanwalts, in dem dieser einen Verstoß gegen die Menschenwürde konstatiert, nach sich ziehen.

Die Situation als solche könnte man als kurios oder absurd abtun, doch sie ist, wie viele Lehrer aus leidvoller Erfahrung wissen, schulische Realität. Vor allem aber ist sie symptomatisch – für die Anspruchshaltung von Eltern und Schülern, für die infantile Verabsolutierung individueller Bedürfnisse, für den Einsatz von Rechtsbegriffen als Drohkulisse und für die Ignoranz gegenüber den Folgen des eigenen Verhaltens für andere. Symptomatisch ist auch die Verunsicherung vieler Lehrer: Obwohl sie in Deutschland in Schulen in einem Rechtsstaat, also auf gesetzlicher Grundlage, tätig sind, fehlt die Vermittlung ausreichender Rechtskenntnisse in der Lehrerausbildung, um die Pädagogen rechtlich handlungssicher zu machen.

Verantwortungsbewusste Lehrer handeln nur selten rechtswidrig, da die Weite vieler schulrechtlicher Begriffe (z. B. »wichtiger Grund«, »Fehlverhalten«) die Beurteilungsspielräume bei der Leistungsbeurteilung sowie zahlreiche Kann-Vorschriften ausreichend Spielraum für vertretbare pädagogische Entscheidungen eröffnen. Lehrern fällt es aber oft schwer, ihre rechtmäßigen Entscheidungen rechtssicher zu begründen. Schwache Lehrer geben schnell dem Druck von Eltern und Schülern nach, starke Lehrer setzen auf ihre Autorität und ihre Macht. In Konfliktsituationen siegt damit nicht das Recht, sondern der Stärkere. Rechtliche Begründungen erfordern die Kenntnis der Rechtsbegriffe sowie der Systematik und Argumentationsweise des Rechts, die in der universitären und praktischen Ausbildung nicht oder nur unzureichend vermittelt werden. In keinem Bundesland ist das Schulrecht verpflichtender Bestandteil des Lehramtsstudiums und lediglich Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen legen Wert auf die systematische Vermittlung von Rechtskenntnissen in der praktischen Lehrerausbildung.

Viele Lehrer nehmen aber auch eine widersprüchliche Haltung dem Schulrecht gegenüber ein. Einerseits fordern sie eindeutige Regelungen, andererseits betonen sie die Freiheit des pädagogischen Handelns. Die widersprüchliche Haltung offenbart ein unzureichendes Rechtsverständnis, da die Forderung nach eindeutigen Regelungen ein schematisches, dem Einzelfall nicht angemessenes Handeln nahelegt und das Verlangen nach möglichst uneingeschränkter Freiheit Willkür fördert. Außerdem garantiert die Unerfüllbarkeit widersprüchlicher Forderungen Unzufriedenheit.

Zur Distanz vieler Lehrer dem Schulrecht gegenüber trägt auch eine von der Bildungspolitik nur allzu oft geförderte, völlig überzogene Vorstellung von den Rechten und Ansprüchen der Eltern und Schüler bei. Die zunehmende Bürokratisierung der Schulen durch Berichtspflichten und Rechenschaftslegungen, Konzepte, Programme, Leitbilder und schriftliche Dokumentationen wird von vielen Lehrern ebenfalls dem Recht angelastet, obwohl sie durch Kontroll- und Herrschaftsansprüche der Politik und den schwindenden gesellschaftlichen Konsens, aber nicht durch unabdingbare Anforderungen an die Rechtmäßigkeit schulischen Handelns bedingt ist.

Auch das zunehmende öffentliche Interesse am Schulrecht kommt nicht von ungefähr. Sowohl Lehrer als auch Schüler und Eltern suchen nach Orientierung – und das Recht ist oftmals der letzte Rettungsanker. Was Lehrer, Schüler und Eltern dürfen oder nicht dürfen, sagt das Schulrecht. Dabei gilt, was für jedes Recht gilt: Es stellt Regeln auf, begrenzt Egoismus, Macht und Willkür, und es verlangt Begründungen. Es ist dabei flexibel, aber nicht beliebig. Die Rechte des einen sind die Pflichten des anderen.

ÖFFENTLICHER BILDUNGSAUFTRAG VERSUS EINZELINTERESSEN

Die Bildungspolitik und viele Medien betrachten das Verhältnis der Schüler und Eltern zur Schule als von Ansprüchen der einzelnen Schüler an die Schule geprägt. Aus dieser Perspektive betrachtet stellen Lehrer lediglich die Erfüllungsgehilfen des »Dienstleistungsunternehmens Schule« dar. Doch diese Perspektive ist nicht nur rechtlich wie faktisch falsch, sie gefährdet darüber hinaus auch den Lernerfolg und die Erziehung der Schüler, da sie für alle vorgegebene Leistungsanforderungen nicht begründen und die Zurückstellung eigener Wünsche und Bedürfnisse hinter die anderer nicht fordern kann.

Die Schule erfüllt einen öffentlichen Bildungsauftrag und ist daher nicht an individuellen Ansprüchen, sondern am Gemeinwohl orientiert. Die in den Länderverfassungen und Schulgesetzen vorgegebenen Erziehungsziele nennen gemeinwohlorientierte Ziele wie »Bereitschaft zum sozialen Handeln« (Art. 7 Abs. 1 Verf. NRW) und »Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt« (Art. 131 Abs. 2 Verf. Bayern), aber nicht die Orientierung an individuellen Eltern- oder Schülerwünschen. Eltern und Schüler sind selbstverständlich keine bloßen Objekte schulischen Handelns, sondern handelnde Subjekte des Bildungsprozesses mit eigenen Rechten und Pflichten. Aus ihren Rechten kann aber die Schulpflicht nicht abgeleitet werden. Sie lässt sich nur mit der für Gesellschaft, Wirtschaft und Staat unabdingbaren Bildung der Bürger rechtfertigen, da der Wunsch von Eltern und Schülern nach Selbstverwirklichung durch Bildung und nach individueller Förderung beim Lernen nicht zwangsläufig durch den Schulbesuch erfüllt werden muss; ein Einzelunterricht oder ein Unterricht in privat organisierten Kleinstgruppen dürfte ihn eher erfüllen.

Die Schule als staatliche Institution kann ihre Existenz und ihren Auftrag also nicht mit den Wünschen der Eltern und Schüler begründen. Die Unterordnung der Wünsche und Ansprüche der Eltern und Schüler unter gesellschaftliche, wirtschaftliche und staatliche Ziele dient zwar dem Allgemeinwohl, kann aber sehr problematisch sein, wenn die Qualität der schulischen Ausbildung und Erziehung schlecht ist, ohne dass Eltern und Schüler gegen dubiose Ziele, läppische Inhalte oder den Lernerfolg vermindernde Methoden rechtlich vorgehen könnten.

Lehrer erfüllen einen öffentlichen Bildungsauftrag; sie sind kein Dienstleister zur Erfüllung der Glücksansprüche von Schülern. Das Schulwesen muss den kulturellen und sozialen Bedürfnissen des Landes entsprechen (Art. 8 Abs. 1 Verf. NRW). Macht der Schulbesuch im Allgemeinen oder machen bestimmte Aktivitäten in der Schule im Speziellen die Schüler glücklich, ist das sicherlich der Zustand, den sich alle Beteiligten wünschen. Das Ziel der Schule ist aber nicht der Spaß der Schüler, sondern der Lern- und Erziehungserfolg im Interesse der Schüler sowie im Interesse von Staat und Gesellschaft.

Dieses Buch möchte einer vorherrschenden Tendenz entgegentreten, die unsere Schulen schwächt und eine ichbezogene Anspruchshaltung über das Gemeinwohl und ein kluges Eigeninteresse stellt.

Sich allein auf die Fragestellung zu fokussieren, was Lehrer nicht dürfen, erweckt den Eindruck, als seien Lehrer eine Gefahrenquelle für Schüler und Eltern, sodass es Schülern und Eltern nützt, wenn deren Handlungsspielraum möglichst eingeschränkt ist. Eine Blickrichtung, die nicht nur rechtlich, sondern auch empirisch leicht zu widerlegen ist:

Hindern Lehrer Schüler häufiger am Lernen als Mitschüler, die durch ihr Verhalten den Unterricht stören?

Wird Cybermobbing in sozialen Medien häufiger von Lehrern oder von Mitschülern inszeniert?

Werden Schüler häufiger von Lehrern oder von anderen Schülern geschlagen?

Lehrer setzen Schülern gegenüber also nicht ihre eigenen, individuellen Ansprüche durch, sondern vielmehr die der Mitschüler und die des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags. Was Lehrer dürfen beschreibt demnach nicht individuelle Rechte und Machtbefugnisse von Lehrern, sondern beschäftigt sich mit der Erfüllung des öffentlichen Bildungsauftrags unter Berücksichtigung der Rechte aller Schüler und Eltern sowie der Durchsetzung der Pflichten der Schüler.

RECHTE UND PFLICHTEN VON LEHRERN, ELTERN UND SCHÜLERN

Schule, das ist kein Verhältnis zweier Vertragspartner – eines Schülers und eines Lehrers –, sondern eine auf Gesetzen beruhende Gemeinschaftsveranstaltung. Die Rechte eines Schülers begrenzen in der Regel nicht die Rechte der Lehrer, sondern die seiner Mitschüler. Ein Schüler, der von seinem Lehrer besondere Aufmerksamkeit fordert, mindert beispielsweise die Aufmerksamkeit dieses Lehrers für alle anderen Schüler. Ebenso greifen Schüler, die ihre Mitschüler schlagen, nicht in die Rechte der Lehrer ein, sondern missachten die fundamentalen Rechte ihrer Mitschüler – in diesem Fall das Recht auf körperliche Unversehrtheit.

Ebenso wie Lehrer, Schüler und der Staat sind die Eltern wichtige Rechtsträger im Schulverhältnis. Die Wünsche und Forderungen der Eltern treffen nicht nur auf staatliche Vorgaben, sondern auch auf die Anliegen der anderen Eltern: Dem Verlangen nach besonderer Aufmerksamkeit der Lehrer für das eigene Kind, anderen Unterrichtsinhalten oder einem anderen Ziel für die nächste Klassenfahrt stehen in der Regel die Wünsche anderer Eltern entgegen.

Eltern und Lehrer sind aus der Sicht des Schulrechts aber keine potenziellen Gegner, sondern natürliche Partner, wie das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont hat. Das Elternrecht beinhaltet keine unbeschränkte Dienstleistungspflicht der Schule, sondern vorrangig die Pflicht der Eltern, ihre Kinder zu schützen und zu fördern und im Interesse der Kinder zu handeln. Eltern haben entscheidenden Einfluss auf den Lernerfolg und die Erziehung ihrer Kinder. Schüler, die ohne Unterstützung der Eltern lernen müssen, haben es schwer, und gute Erziehung ohne oder gegen die Eltern gelingt nur selten. Viele Eltern wünschen und benötigen bei der Erziehung die Unterstützung der Schule.

Der Zusammenhang von Rechten und Pflichten lässt sich weder rechtlich noch faktisch auflösen. Das Recht auf Bildung beinhaltet die Pflicht der Schule, Bildungsmöglichkeiten zu schaffen, aber auch die Pflicht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen und beim Lernen zu fördern und zu unterstützen, sowie die in den Schulgesetzen verankerte Pflicht der Schüler, aktiv zum Erfolg von Unterricht und Erziehung beizutragen. Eltern, die ihre Kinder fördern und schützen wollen, und Schüler, die angstfrei die Schule besuchen und erfolgreich lernen wollen, brauchen starke Lehrer an ihrer Seite.

Es klingt paradox, ist aber wahr: Eine starke Schule und starke Lehrer schützen die Schüler und nützen den Schülern. Verbote für Schüler nützen niemandem so sehr wie den Schülern, sofern es sich um rechtmäßige Verbote handelt. Lehrerrechte schützen dabei Schülerrechte. Konflikte zwischen einem Lehrer und bestimmten Schülern sind in der Regel bei genauerer Betrachtung Konflikte zwischen bestimmten Schülern und den vom Lehrer zu verteidigenden Rechten der übrigen Schüler. Sind demzufolge also die Schüler die Bösen und die Lehrer die Guten? Nein, eindimensionale Rollenverteilungen sind etwas für Hollywoodfilme und die Politik, nicht für das Recht. Wer ausschließlich ein einziges Ziel verfolgt, verliert im (Schul-)Recht schnell die Orientierung.

Was Lehrer dürfen ist ein Buch für Lehrer, Schüler und Eltern, das Regeln beschreibt, die Egoismus, Macht und Willkür begrenzen. Schüler sind nicht nur einer von Lehrern repräsentierten mächtigen staatlichen Institution unterworfen – was ihre Schutzbedürftigkeit begründet –, sondern sie üben auch selbst Macht aus und missachten gelegentlich die Rechte ihrer Mitschüler. Warum es vor allem den Schülern zugutekommt, wenn Lehrer vieles dürfen, will dieses Buch zeigen.

RECHTSPRECHUNG UND GERICHTSURTEILE

Das Recht ist immer auslegungsbedürftig, und im Schulrecht gibt es zahlreiche weite Formulierungen, um möglichst viele schulische Situationen erfassen zu können. Der Rechtsprechung kommt eine besonders große Bedeutung zu, da die Gerichte viele Auslegungsstreitigkeiten und Zweifelsfragen entscheiden. Die Aussagen zur Rechtslage in Was Lehrer dürfen beruhen daher überwiegend auf Rechtsprechung. Besteht in wichtigen Rechtsfragen keine Einigkeit, werden die unterschiedlichen Rechtsauffassungen dargestellt. Interpretationsspielräume sollen dabei nicht verunsichern, sondern vielmehr die Handlungsspielräume von Lehrern und Schulen beschreiben.

Nichtsdestotrotz ist dies kein Buch für Rechthaber, sondern für Lehrer, die ihr pädagogisches Handeln im Interesse der Schüler rechtlich gut begründet verteidigen wollen, aber auch einsichtig revidieren können, wenn das Recht einmal nicht auf ihrer Seite steht. Starke Lehrer sollten nicht nur wissen, was sie dürfen, sondern auch begründen können, warum sie etwas dürfen. Auf diese Weise werden zugleich die Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten deutlich.

Die Gesetzgebungskompetenz für das Schulrecht liegt in Deutschland bei den Bundesländern. Die Unterschiede zwischen den Ländern sind vor allem bei der Organisation des Schulwesens und den Schulformen groß. Außerdem gibt es zahlreiche Detailregelungen zu Versetzungen, Prüfungen, Unterrichtsinhalten und -methoden. Diese Vorgaben sind jedoch in der Regel präzise formuliert und leicht zu handhaben. Es stellt daher kein wirkliches Rechtsanwendungsproblem dar, beispielsweise anhand der Versetzungsordnung festzustellen, bei welchem Notenbild eine Versetzung möglich ist.

Die Grundlagen des Schulrechts und viele praxisnahe Regelungen sind hingegen in allen Bundesländern einheitlich. Das gilt auch für das Verständnis und die Anwendung grundlegender Rechtsbegriffe. In allen Ländern gelten die Grundbegriffe des Verwaltungsrechts und die Rechtsprechung übt eine stark vereinheitlichende Wirkung aus:

Die Grundrechte als oberste Normen der Rechtsanwendung prägen selbstverständlich die Rechtsanwendung in allen Bundesländern.

Versetzungs- und Prüfungsentscheidungen sowie Ordnungsmaßnahmen sind in allen Bundesländern Verwaltungsakte.

Die Verhältnismäßigkeit einer Ordnungsmaßnahme wird in allen Ländern von den Gerichten nach denselben Maßstäben beurteilt.

Die grundlegenden rechtlichen Anforderungen an die Aufsichtspflicht gelten ebenso bundesweit wie das Verbot des Rechtsmissbrauchs oder die rechtlichen Kriterien der Notengebung.

Die Verwaltungsgerichte nehmen aufmerksam die Entscheidungen der Gerichte in anderen Bundesländern wahr und tragen so zu einer einheitlichen Rechtsprechung bei.

Aus der Rechtsprechung werden in Was Lehrer dürfen nur Entscheidungen und Begründungen zitiert, die bundesweit gelten.

Für die praktische Rechtsanwendung – und um die geht es in diesem Buch – ist die Rechtsprechung von ausschlaggebender Bedeutung. Die geschilderten Fälle sind nicht frei erfunden, sondern haben sich tatsächlich ereignet und sind häufig der Rechtsprechung entnommen. Allen, die sich gerne regelmäßig über aktuelle praxisnahe Fälle und Gerichtsentscheidungen informieren möchten, empfehle ich die Zeitschrift SchulRecht, in der die in diesem Buch zitierten Gerichtsentscheidungen veröffentlicht wurden.

Was Lehrer dürfen meint nicht »Was Lehrer sich erlauben dürfen«, sondern welche Rechte und Pflichten Lehrer im Interesse der Eltern und Schüler haben. Die Botschaft dieses Buchs lautet daher: »Lehrer, handelt selbstbewusst und rechtssicher im Interesse der Schüler und des Bildungsauftrags!« Direkte und indirekte Appelle, so richtig und berechtigt sie auch sein mögen, haben immer auch etwas Hilfloses. Es wird sich aber zeigen, dass diese Aufforderung den Rechten und Pflichten der Lehrer, Schüler und Eltern entspricht. Es geht nicht um Appelle, sondern um die Rechtslage.

HANDLUNGSGRUNDLAGEN UND HANDLUNGSSPIELRÄUME

Die Schule im Rechtsstaat ist an gesetzliche Grundlagen gebunden; sie darf also nur auf der Grundlage der Gesetze handeln. Das Schulrecht sichert aber auch Handlungsspielräume der Lehrer durch Kann-Vorschriften und unbestimmte Rechtsbegriffe wie »Fehlverhalten« oder »wichtiger Grund«, damit Lehrer nicht gezwungen werden, schematisch zu handeln, sondern jedem Schüler durch pädagogische Überlegungen gerecht werden können.

Weite Rechtsbegriffe gestatten jedoch keine beliebigen, von den persönlichen Überzeugungen und Wertungen eines Lehrers abhängigen Entscheidungen oder die bloße Ausübung von Macht (wobei die Kombination der Überzeugung, im alleinigen Besitz der pädagogischen Weisheit zu sein, und des Willens, Macht auszuüben, besonders gefährlich ist). Eine gesunde Skepsis gegenüber Macht und Heilslehren sowie auf Abwägungen beruhende Entscheidungen zeichnen eine gute Rechtsanwendung ebenso aus wie eine gute Pädagogik. Lehrer zahlen für große Beurteilungs- und Entscheidungsspielräume allerdings den Preis der weitreichenden Begründungspflicht. Die Darstellung der Rechtslage beschränkt sich daher nicht auf die Präsentation von Ergebnissen, sondern erfordert immer auch Begründungen.

Das Schulrecht begrenzt demnach einerseits die Willkür von Lehrern, stärkt die Lehrer aber auch, indem es ihnen mit Gesetzen und Vorschriften eine allgemeingültige Handlungsgrundlage bietet. Auch für Eltern und Schüler entfaltet das Schulrecht eine doppelte Wirkung: Es bietet ihnen rechtliche Maßstäbe zur Überprüfung schulischen Handelns und sichert ihre Rechte; zugleich erlegt es ihnen aber auch Pflichten auf und überträgt die Entscheidungsbefugnis in aller Regel auf die Lehrer.

Gibt es keinen Konflikt, fragt niemand nach der Rechtslage: »Wo kein Kläger, da kein Richter«, wie es so schön heißt. Doch bei Konfliktlösungen bindet das Recht die Beteiligten an bestimmte Regeln und fordert eine argumentative Auseinandersetzung. Gespräche verlaufen sachlicher und Entscheidungen müssen begründet werden. Das Schulrecht fördert auf diese Weise eine angemessene und friedensstiftende Lösung und ermöglicht Kritik, da Argumente und Wertungen offengelegt werden müssen. Es eröffnet aber auch einen kritischen Blick auf pädagogische Entscheidungen und offenbart, ob hinter der oft zu hörenden Aussage »Das muss man pädagogisch sehen« tatsächlich ernsthafte pädagogische Überlegungen oder doch eher Eigennutz oder Vorurteile stecken.

Im Schulrecht fließen Pädagogik und Recht zusammen, daher können pädagogische Wertungen nicht ausgeblendet werden. Die Schulgesetze verbieten beispielsweise ein »Fehlverhalten« von Schülern – aber abgesehen von strafbarem Handeln ist es eine pädagogische Entscheidung, welches Verhalten als Fehlverhalten eingestuft wird.

Es ist sicherlich wichtig zu wissen, was Lehrer nicht dürfen, aber es ist gleichermaßen wichtig zu wissen, was sie dürfen – sowohl grundsätzlich als auch in Ausnahmefällen.

1ORGANISATION DER SCHULGEMEINSCHAFT

Der Unterricht bleibt die zentrale Aufgabe der Schule, aber Ganztagsschulen, die Öffnung der Schulen gegenüber außerschulischen Institutionen, Partnern und Einflüssen, vor allem aber eine Gesellschaft mit schwindendem kulturellen Konsens und sehr unterschiedlichen Werten haben das Schulleben dramatisch verändert. Die Schulen sollen eine gemeinsame Basis schaffen, die auch außerhalb der Schule trägt. Diese Aufgabe können sie aber nur erfüllen, wenn schon Gemeinsamkeiten zwischen Eltern und Schülern sowie Lehrern vorhanden sind und eine grundsätzliche Kooperationsbereitschaft und Einigkeit hinsichtlich der Ziele besteht. Doch es herrscht eben nicht immer und überall Einigkeit.

BEFREIUNG VOM UNTERRICHT

Die Schule ist der gemeinsame Lernort für Schüler mit allen erdenklichen religiösen und weltanschaulichen Prägungen. Sie könnte ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag, zu dessen zentralen Elementen die Integration einer äußerst heterogenen Schülerschaft in eine gemeinsame Gesellschaft gehört, nicht erfüllen, wenn Eltern und Schüler die Anpassung der Unterrichtsinhalte an ihre religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen einfordern oder sich von der Unterrichtsteilnahme befreien lassen könnten. Der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag rechtfertigt demnach eine Beeinträchtigung religiöser und weltanschaulicher Erziehungsziele der Eltern.

UNTERRICHTSBEFREIUNG AUS RELIGIÖSEN GRÜNDEN

Eine zwölfjährige muslimische Schülerin verweigerte aus religiösen Gründen die Teilnahme am koedukativen Schwimm- und Sportunterricht. Die Schülerin erklärte zudem, ein Burkini sei keine Lösung für die Teilnahme am koedukativen Schwimmunterricht, da es ihr verboten sei, männliche Mitschüler zu berühren oder von diesen berührt zu werden.

War die Rechtsprechung zunächst von einem unter bestimmten Bedingungen gegebenen Befreiungsanspruch ausgegangen, hat das Bundesverwaltungsgericht eine Befreiung durch seine aktuelle Rechtsprechung nahezu vollständig ausgeschlossen (BVerwG, Az.: 6 C 25.12). Entscheidend für diese Änderung der Rechtsprechung waren eine geänderte Gewichtung der Religionsfreiheit und des schulischen Erziehungsauftrags sowie die Erfindung des Burkini.

Die Eltern und die Schülerin müssten sich auf ein religiöses Verhaltensgebot mit imperativem Charakter berufen. Dieser imperative Charakter fehlt bei religiösen Überzeugungen, die lediglich Vorgaben für alltägliches Verhalten ohne unmittelbaren Bezug zum religiösen Bekenntnis, zur Vornahme kultischer Handlungen oder zur Ausübung religiöser Gebräuche machen.

Nicht alles, was religiös begründet wird, steht also in gleichem Maße unter dem Schutz der Religionsfreiheit. Die Tatsache, dass die meisten Frauen und Mädchen muslimischen Glaubens die Teilnahme an einem koedukativen Sport- oder Schwimmunterricht nicht als aus religiösen Gründen verboten ansehen, zeigt, dass es sich hierbei lediglich um eine auf religiöse Auffassungen gestützte soziale Regel, aber nicht um ein unabdingbares Glaubenselement des Islam handelt. Die Verpflichtung zur Teilnahme am koedukativen Schwimm- oder Sportunterricht stellt daher keine besonders gravierende Beeinträchtigung der Religionsfreiheit dar.

Das Tragen eines Burkinis im koedukativen Schwimmunterricht entschärft zudem nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts den Konflikt von Glaubensfreiheit und staatlichem Bildungs- und Erziehungsauftrag. Verweigert eine Schülerin diese Kompromisslösung, kann sie sich nicht länger auf ihre Glaubensfreiheit berufen. Dem Argument, es sei einer Schülerin nicht zuzumuten, in einem Ganzkörperschwimmanzug am Schwimmunterricht teilzunehmen, hält das höchste deutsche Verwaltungsgericht entgegen, derjenige, der auf die konsequente Umsetzung seiner religiösen Überzeugungen im Rahmen des Schulunterrichts dringe, müsse grundsätzlich akzeptieren, dass er sich hierdurch in eine gewisse, für andere augenfällig hervortretende Sonderrolle begibt. Daraus entstehende Belastungen seien im Falle des Tragens eines Burkinis hinzunehmen, zumal die Lehrer unangemessenen Reaktionen der Mitschüler entgegentreten könnten.

Auf die Realitäten des Lebens weist das Gericht auch hin, wenn es anmerkt, das Gebot, sich nicht mit dem Anblick von Jungen und Männern in knapp geschnittener Badebekleidung zu konfrontieren, laufe darauf hinaus, vom Anblick einer Bekleidungspraxis verschont zu werden, die auch außerhalb der Schule zum allgemein akzeptierten Alltagsbild, jedenfalls an bestimmten Orten, beziehungsweise zu bestimmten Jahreszeiten, gehört. In der Konfrontation der Schüler mit der in der Gesellschaft vorhandenen Vielfalt an Verhaltensgewohnheiten, wozu auch Bekleidungsgewohnheiten zählen, bewährt und verwirklicht sich die integrative Kraft der öffentlichen Schule in besonderem Maße.

Das Gebot, keine männlichen Mitschüler zu berühren oder von diesen berührt zu werden, kann im Schwimmunterricht durch Lehrkräfte und die betroffene Schülerin in einem Maße verwirklicht werden, wie es auch außerhalb des Schwimmunterrichts im schulischen und außerschulischen Alltag möglich ist (BVerwG, Az.: 6 C 25.12). Damit liegt es an der Schülerin selbst, sich entsprechend zu verhalten, und an den Mitschülern, Rücksicht zu nehmen. Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht nicht.

Auch damit, dass ein Befreiungsantrag nur eine einzelne Unterrichtsstunde oder eine überschaubare Zahl von Unterrichtseinheiten betrifft, kann eine Unterrichtsbefreiung nicht hinreichend begründet werden. Ein Anspruch auf Unterrichtsbefreiung könnte allenfalls bestehen, wenn ein religiöses Verhaltensgebot aus Sicht der Eltern imperativen Charakter aufwiese, also den Kern des religiösen Bekenntnisses, die Vornahme kultischer Handlungen oder die Ausübung religiöser Gebräuche beträfe. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit dieser Rechtsprechung nahezu jede Möglichkeit der Befreiung vom Unterricht wegen der Unterrichtsinhalte oder -methoden aus religiösen Gründen ausgeschlossen.

UNTERRICHTSBEFREIUNG AUFGRUND VON RELIGIÖSEN FEIERTAGEN

Die Befreiung vom Unterricht an bestimmten religiösen Feiertagen ist in Erlassen der Bundesländer geregelt.

Eltern hatten, nachdem ihr Beurlaubungsantrag abgelehnt worden war, ihren Sohn am 21. Juni, dem Welthumanistentag, nicht zur Schule geschickt. Auf dem Zeugnis wurde ein unentschuldigter Fehltag aufgeführt. Die Eltern forderten die Streichung dieses Zeugnisvermerks und verlangten außerdem die Verpflichtung des Bundeslandes, den Welthumanistentag in das Verzeichnis der unterrichtsfreien Tage aufzunehmen.

Der Schüler durfte dem Unterricht am 21. Juni nicht fernbleiben, auch wenn die Eltern der Auffassung sind, der Welthumanistentag sei zu Unrecht nicht in die Liste der unterrichtsfreien Feiertage aufgenommen worden. Dies berechtigte die Eltern nicht zur »Selbsthilfe«, denn sie waren nicht ohne Rechtsschutz, da sie gegen die Versagung der Beurlaubung gerichtlich hätten vorgehen können.

Ein Bundesland ist nicht verpflichtet, den Welthumanistentag generell als unterrichtsfreien Tag zu behandeln. Eltern und Schüler haben keinen Anspruch darauf, dass das Bundesland von ihnen für wichtig gehaltene weltanschauliche Feiertage als unterrichtsfreie Tage behandelt (VG Berlin, Az.: 3 K 1020.11).

Die Entscheidung gewinnt zusätzlich an Überzeugungskraft, wenn man sich vorstellt, an welchen Tagen noch alle Schüler einer Klasse anwesend wären, wenn jede religiöse oder weltanschauliche Gruppierung an ihren Feiertagen eine Unterrichtsbefreiung beanspruchen könnte.

SCHULPFLICHT VERSUS VERSAMMLUNGSFREIHEIT

Die Schulpflicht kann aber nicht nur mit religiösen oder weltanschaulichen, sondern auch mit politischen Überzeugungen kollidieren.