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Das Wissen dieser Welt aus den Hörsälen der Universitäten.

Fachbereich WISSENSCHAFTSGESCHICHTE

Als das Neue noch neu war

Von Prof. Ernst Peter Fischer

Wir leben in einer Welt, die das Neue liebt, die das Neue umschwärmt und das Neue gerne kauft. Läden werben mit einer Neueröffnung, es gibt neue Musik zu hören und neue Filme zu sehen. Insgesamt hat man den Eindruck, dass es darauf ankommt, dass wir viele Neuigkeiten und vieles Neue um uns haben.

Ich möchte heute davon erzählen, dass es mal eine Zeit gegeben hat, als das Neue wirklich neu war, und dass das Neue heute eher immer etwas Altes ist. Dass überhaupt ein Problem mit dem Neuen besteht, wenn wir uns auf das Neue konzentrieren. Wenn nur das Neue zählt, dann wächst eigentlich nur das Alte, denn das was neu ist, ist in dem Moment, wo es da ist schon wieder das Alte. Dann muss ich also wieder etwas Neues haben, das heißt, wenn ich nur auf das Neue achte, bekomme ich nur Altes. Bei all den vielen Fragen weiß ich gar nicht, ob das Neue auch gut ist, ob es überhaupt geeignet ist.

Mir wäre lieber, wir würden auf das Gute achten und nicht auf das Neue. Wie kann ich das tun? Wie kann ich mich absetzen?

Noch verehren wir das Neue. Wir sprechen gerne von einem neuen Tag, manchmal auch von einer neuen Zeit und merken gar nicht, dass die Zeit gar nicht anders kann, als neu zu sein. Sie ist ja weitergelaufen, sie ist jetzt neu. Morgen ist ein neuer Tag, dann gibt es eine neue Zeitung, und was ich sage, ist jetzt auch schon wieder neu. Das ist einfach aufgrund einer zeitlichen Abhängigkeit, ohne etwas Besonderes zu sein.

Der Gedanke wird nicht besser, wenn wir ihn in die spätlateinische Form der Innovation überführen. Innovation gilt heute als der Maßstab aller Dinge. Menschen preisen sich an, dass sie innovativ sind, Firmen preisen sich an, dass sie innovative Produkte haben, die Arzneimittelindustrie sagt, sie hat tausend innovative Medikamente im Jahr.

Ich glaube das alles gar nicht. Ich denke, man sollte vorsichtiger sein mit dem Wort, mehr auf das qualitative Andere achten und nicht nur auf die Neuartigkeit.

Zum Beispiel ist es unsinnig, von innovativen Modellen bei Autos oder innovativen Laptops zu sprechen. Der Laptop, das war eine Innovation, der Computer, das ist eine Neuigkeit. Ein Auto, das Auto überhaupt zu haben, das ist neu. Aber jedes Automodell ist keine Innovation. Man sollte versu chen, die Inflation dieses Begriffes wegzulassen. Man sollte versuchen, sich auf das zu konzentrieren, was man braucht, was nützlich ist, was in dem Sinne das Gute ist. Insofern bin ich skeptisch und eher kritisch eingestellt, wenn zu viel vom Neuen die Rede ist.

Trotzdem, es gab mal eine Zeit in unserer Geschichte, in der das Neue Sinn gemacht hat. Über diesen Zeitpunkt und die Bedeutung dieses Zeitpunktes möchte ich erzählen.

Den Begriff des Neuen hat es in unserer Kultur schon sehr früh gegeben. Wir kennen alle das Neue Testament, das ist natürlich teils geschichtlich gemeint, indem man eine neue Botschaft für den neuen Menschen gemacht hatte, einen Neuen Bund mit Gott einging. Aber davon möchte ich auch nicht sprechen, das ist eine eigene Komplikation.

Wir sind in einer säkularen Welt, in der es auf das Wirtschaftliche ankommt, auf das Ökonomische.

Und die Ökonomie hat tatsächlich die Innovation für uns entdeckt. Vor cirka 100 Jahren hat der Nationalökonom Josef Schumpeter entdeckt, dass die Wirtschaft, um die Lebensweise, an die wir uns gewöhnt haben, weiter produzieren, wachsen muss.

Wie wächst Wirtschaft? Indem sie neue Produkte schafft. Mit anderen Worten, wir brauchen Innovationen, um wirtschaftliches Wachstum zu erzielen. Innovationen und Wachstum das sind die Schlagwörter. Schumpeter konnte im 19. Jahrhundert auch sehen, wo das hergekommen ist. Denn das Wachstum, zum Beispiel der deutschen Industrie beim Ausgang des 19. Jahrhunderts, ist vor allen Dingen dadurch möglich geworden, dass man die Wissenschaft in die Industrie geholt hat, Laboratorien eingerichtet hat, so dass neue Ideen zu neuen Produkten und dann zu wirtschaftlichem Wachstum geführt haben. Innovation und Wachstum, das ist die Verbindung.

Die Suche, die Sehnsucht nach dem Neuen ist insofern berechtigt, als dass wir uns weiter im wirtschaftlichen Wohlstand aufhalten und wohl fühlen wollen. Dieser Gedanke, dass das Neue für Wachstum sorgt, dass sozusagen immer etwas Neues in die Welt gesetzt werden muss, der entspringt ganz selbstverständlich einer Industriegesellschaft, die sich ausbreitet, die größer werden und zunehmen muss. Dem entgegen steht der uralte Gedanke, den man aus der Bibel kennt, aus den Sprüchen des Predigers Salomon:

„Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“

Das entspricht dem Denken der Agrargesellschaft. Wir müssen versuchen herauszukriegen, wie wir diesen Gedanken, „dass es nichts Neues unter der Sonne gibt,“ ausgetauscht haben gegenüber dem Gedanken, dass wir „nur Neues unter der Sonne“ brauchen.