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Fachbereich RECHT

Wirtschaftsstrafrecht

Von Prof. Klaus Volk

Wirtschaftskriminalität

Verbrechen lohnt sich nicht, und Strafe muss sein. So haben wir es gelernt.
Da kann man aber ins Grübeln kommen. Strafrechtler fragen sich im Stillen, ob Strafe wirklich sein muss. Am glücklichsten wären sie, wenn es ihnen gelänge, das ganze Strafrecht abzuschaffen und durch etwas besseres zu ersetzen (wobei allerdings jeder aus unserer Zunft ehrlicherweise zugibt, dass es ihm recht wäre, wenn diese sensationelle Erfindung von etwas Besserem erst nach seiner Pensionierung gemacht werden würde - man will ja nur das Strafrecht überflüssig machen und nicht sich selbst). Dieses Unbehagen an der Sache, mit der man sich beschäftigt, unterscheidet Strafrechtler von Ärzten, Pfarrern und anderen, die immer gebraucht werden und Gutes tun.

Ins Grübeln kommt man aber vor allem über den Spruch „Verbrechen lohnt sich nicht“. Wenn man liest, welche gigantischen Schäden durch Wirtschaftskriminalität angerichtet werden und wie wenige der Fälle aufgeklärt werden, vor Gericht kommen und schließlich damit enden, dass nichts mehr zu holen ist, dann fragt man sich schon, wo das viele Geld bleibt und ob es nicht bei den Falschen hängen bleibt. Also muss man die Wirtschaftskriminalität noch energischer bekämpfen, und das ist ja auch seit etwas 30 Jahren das Anliegen des Gesetzgebers und der Justiz.

Nun möchte ich Ihnen erklären, wie das funktioniert, ohne dass wir zuvor über die Grundregeln des Strafrechts gesprochen hätten. Das ist durchaus möglich. Wenn Sie zum Orthopäden gehen, weil Ihnen das Knie wehtut, muss der Ihnen auch nicht erst den menschlichen Körper im Allgemeinen erklären. Manchmal wird es allerdings sinnvoll sein, schnell mal ein zweites Fenster aufzumachen und etwas Grundsätzliches einzublenden.

1. Wirtschaftskriminalität - was ist das?

Sie wüssten nun gerne, was Wirtschaftskriminalität eigentlich ist. Ich auch. Noch ist es niemandem gelungen, diese Art von Kriminalität einigermaßen präzise zu definieren. Wenn wir von Jugendkriminalität sprechen, meinen wir Delikte, die von Jugendlichen begangen werden. Die Umweltkriminalität umfasst Taten gegen die Umwelt, mit dem Ausdruck organisierte Kriminalität sind bestimmte Formen und Begehungsweisen von Verbrechen gemeint. Was aber heißt Wirtschaftskriminalität? Sind das Delikte, die von der Wirtschaft begangen werden, oder solche, die gegen sie gerichtet sind, oder sind es Taten, die sich durch wirtschaftliche Verhaltensweisen und Organisationsformen auszeichnen? Ja - alles das trifft zu.

Korruption z.B. wird aus einem Unternehmen heraus begangen, und sie richtet sich zugleich gegen dieses Unternehmen und gegen die Wirtschaft. Wirtschaftskriminalität ist auch eine bestimmte wirtschaftliche Verhaltensweise, nämlich der Tausch von Vorteilen unter Verstoß gegen Regeln.

Wirtschaftskriminalität, das ist nicht nur in der Umgangssprache ein diffuser, oszillierender Ausdruck. Auch mit wissenschaftlich anspruchsvollen Methoden läßt er sich nicht „auf den Begriff“ bringen. Das eine Merkmal, das die legale wirtschaftliche Tätigkeit, die riskante, glänzende, erfolgreiche unternehmerische Entscheidung abgrenzt und unterscheidet von der illegalen Machenschaft, von der gefährlichen, dunklen, kriminellen Entscheidung, dieses eine Merkmal gibt es nicht. Der Vertrauensmissbrauch ist es nicht, der Machtmissbrauch ebenfalls nicht. Auch die Kombination diverser Elemente führt nicht recht weiter.

Noch in den siebziger Jahren, als die öffentliche Entrüstung über Wirtschaftskriminalität gerade auf ihren Höhepunkt war, hat es Versuche gegeben, die Taten durch den Täter zu beschreiben. Zu einer Zeit, da sich in der Kriminologie die Einsicht durchgesetzt hatte, dass es den typischen Mörder, Räuber und Betrüger nicht gibt, ausgerechnet in dieser Zeit wurde das Phantombild des typischen Wirtschaftskriminellen gezeichnet.

Man sah einen machthungrigen Egozentriker mit überragender Intelligenz, intimen Schwierigkeiten und psychischen Auffälligkeiten. Nachdem diese ärgerlichen Banalitäten vom Markt der Meinungen verschwunden waren, blieb als das Bild des typischen Wirtschaftskriminellen eines übrig, das viele von uns morgens beim Rasieren im Spiegel sehen: so um die 40, verheiratet, nicht vorbestraft. Es ist nun einmal so, dass sich der eine hier, der seinen Vorteil anständig sucht, und jener andere dort, der die Leute unanständig übervorteilt, zum Verwechseln ähnlich sehen.