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Fachbereich
GESCHICHTE

Die griechisch-römische Antike: Eine Einführung

Von Prof. Dr. Hartwin Brandt

1. Was ist die „Antike“?

Kann man über die Antike heute noch streiten? Man kann - und wie!

Man braucht nur die Zeitung aufzuschlagen oder ins Fernsehen zu schauen. So hätte man seit demJahre 2002 erkennen können, dass Troja, der trojanische Krieg bis heute unter den Gelehrten aktuell ist und immer wieder neu ausgefochten wird. Anlass war eine Troja-Ausstellung. An der fachgerechten Deutung von Troja entzündeten sich die Geister der Gelehrten und Kollegen.

Nach Troja werden wir auch gleich kommen, denn, wenn man über die Antike redet und nachdenkt,kommt man an Troja nicht vorbei.

Trotzdem muss man sich, bevor man sich auf die Antike einlässt, natürlich klarmachen, was diese eigentlich ist und was sie ausmacht. Sind es nur die Griechen und Römer oder sind es nicht auch ganzandere Hochkulturen, andere Völker, die berücksichtigt werden müssen und die eine Rolle spielen?Mesopotamien, der alte Orient, Ägypten, Israel, Phönizien – gehören die nicht auch alle zur Antike?

Griechen und Minoer, Römer und Etrusker

Die Griechen kamen ja schließlich auch nicht aus dem historischen Niemandsland. Wir wissen, dass das griechische Alphabet dem phönizischen entlehnt ist, also dem Bereich des heutigen Libanon. Oder die minoischen Kreter, deren Palastkultur im frühen zweiten Jahrtausend vor Christus eine Art archäologische Vorstufe für die mykenischen Paläste bildet - diese minoischen Kreter waren keine Griechen.

Wer heute nach Kreta fährt, und sich die Paläste von Knossos und Phaistos anschaut, der denkt, er sieht frühgriechische Paläste. So ist es aber nicht. Er sieht Anlagen, die viel mehr mit altorientalischer Palastkultur zu tun haben.

Erst wenn der Besucher nach Mykene kommt, dann ist er tatsächlich im frühgriechischen Kernland: in Mykene selbst, in Tiryns oder in Pylos an der südwestlichen Ecke der Peloponnes. Dort trifft er auf archäologische Reste aus der Zeit der trojanischen Helden.

Dort könnte möglicherweise auch Homer gewesen sein, aber wir wissen nichts von ihm. War er ein Grieche oder war Homer vielleicht ein assyrischer Schreiber (wie heutzutage unter den Gelehrten behauptet wird und worüber man sich streitet)? Was wir wissen, ist, dass Homer, wenn er denn überhaupt als historische Figur existiert hat, im 8. und 7. Jhd. vor Christus geschrieben hat - jedenfalls die Werke, die uns unter seinem Namen überliefert sind. Diese stammen aus jener Zeit.

Sie sind ungeheuer wirkungsvoll gewesen – in der Antike und über die Jahrhunderte, über das Mittelalter hinweg bis in unsere Zeit. Man kann sagen, dass die homerischen Werke den Beginn der europäischen Literaturgeschichte markieren.

Auch die frühen Römer stehen in diesem Kontext. Sie haben über die Etrusker Verbindung nach Kleinasien gepflegt, und sie haben schon sehr früh erkennen lassen, dass sie die griechische Kultur wahrgenommen haben, dass sie die griechische Kultur rezipiert haben, dass sie Homer kannten.

Unter der Antike versteht man also im Grunde genommen die gesamte Vorgeschichte der gesamten antiken Mittelmeerwelt. Die kann man nicht in sechzig, siebzig Minuten präsentieren. Wir werden uns auf die Griechen und auf die Römer konzentrieren, aber immer mal wieder nach links und rechts schauen, nach Süden, nach Westen und nach Osten und die antiken Nachbarkulturen in unsere Überlegungen mit einbeziehen.

Von der Palast-Kultur zur Polis-Kultur

Die Griechen selbst brauchten sehr lange, um überhaupt wahrzunehmen, dass sie eine homogene Gemeinschaft darstellten, dass sie „die Griechen“ in ihrer Gesamtheit waren. Politisch gelingt das erst im frühen 5. Jhd. vor Christus, also nach etlichen Jahrhunderten, die wir heute bereits zur griechischen Geschichte zählen. Das gelingt auch erst, als äußerer Druck dafür sorgt, dass sich die vielen kleinen griechischen „Poleis“ darüber bewusst werden müssen, dass sie eigentlich zusammen gehören. Insofern ist die Entstehung eines griechischen Gemeinschaftsgefühls, eines griechischen Gemeinschaftsbewusstseins, eines griechischen Zusammengehörigkeitsgefühls erst das Ergebnis der berühmten, sogenannten „Perserkriege“. Als sich die Perser aufmachen, um nach Griechenland vorzudringen und Griechenland zu erobern (im frühen 5. Jhd. vor Christus), erst da finden die Griechen gewissermaßen zu sich selbst.

Vorher ist die griechische Welt vollkommen zersplittert. Eine Welt voller kleiner Siedlungen, autonomer Gemeinwesen, die wir vielleicht ab dem späten 7. oder frühen 6. Jhd. „Polis“ nennen dürfen. Auf jeden Fall ist es eine Welt, die noch kein hellenisches Gemeinschaftsdenken oder Gemeinschaftsgefühl kennt.

Die sogenannten dunklen Jahrhunderte, die den homerischen Epen vorausgehen (das 10., 9., 8. Jhd. v. Chr.), sind es, in denen sich diese frühgriechische Identität oder Mentalität herausbildet.