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Fachbereich

ALTE GESCHICHTE

Die Griechische Polis: Stadt und Bürgergemeinde

Von Prof. Dr. Martin Zimmermann

Einführung

„Rom, du hast aus der Mittelmeerwelt eine einzige Polis gemacht.“Mit diesen Worten lobt der Rhetor Aelius Aristides im 2. Jahrhundert nach Christus die zivilisatorische Leistung des römischen Reiches. Die gesamte Mittelmeerwelt, so Aelius Aristides, sei eine griechische Polis gewesen. Nicht nur das: Die Mittelmeerwelt sei auch gleichzeitig von einer Vielzahl von Poleis durchdrungen gewesen, die die zivilisatorische Kraft Roms dokumentierten.

Vor Augen hatte Aelius Aristides in diesen Ausführungen eine Eigenheit der römischen Verwaltungsstruktur. Die Römer hatten es verstanden, unterworfene Gebiete in sich selbst verwaltende Einheiten zu unterteilen. So traten sie nicht als Beherrscher auf, sondern gaben den Unterworfenen das Gefühl, ihre Geschicke weiterhin selbst bestimmen zu können.

Zu diesem Zweck hatten die Römer im Westen ihres Reiches die eroberten Gebiete in Civitates, sich selbst verwaltende Gemeinwesen, und Municipia unterteilt. Im Osten des römischen Reiches konnten sie an die Tradition der Polis, von der Aelius Aristides sprach, anknüpfen.

Ursprünge der griechischen Polis

Zur Zeit des römischen Reiches und zur Zeit der Rede des Aelius Aristides hatte die griechische Polis bereits eine 2000-jährige Geschichte hinter sich. Was ist das also, diese griechische Polis, mit ihrer Stadt und ihrer Bürgergemeinde?

Die ersten Nachrichten, die wir über die griechische Polis haben, setzen mit der ersten schriftlichen Überlieferung der griechischen Welt ein. Das sind selbstverständlich die Epen Homers, die Ilias und die Odyssee. Zwei große Texte, die am Anfang der europäischen Kulturgeschichte stehen und in Tausenden von Versen die Abenteuer der griechischen Helden besingen. In diesen Texten ist die Polis schon präsent.

Das Bild von ihr bleibt aber noch diffus. Es sind Siedlungen mit Mauern, in denen Menschen leben, Gemeinschaften sich zusammen finden und eine geschlossene Siedlung bilden. Darin feiert man gemeinsame Feste, man begeht Hochzeiten, und man verteidigt sich gemeinsam gegen Angriffe anderer. Was aber genau ist diese Gemeinschaft der Polis? Und wie müssen wir uns diese Polis in der früharchaischen und archaischen Zeit vorstellen?

Um die Polis in ihren Wesenselementen verstehen zu können, müssen wir uns zunächst die naturgeographischen Voraussetzungen der Region vor Augen führen.

Das Klima Griechenlands ist durch einen 3-Jahreszeiten-Rhythmus geprägt, einen kurzen Frühling mit einer Wachstumsphase, einen trockenen, heißen Sommer und einen sehr regenreichen Winter. Die Landschaft ist kleinteilig, gebirgig, zerteilt in einzelne Binnenregionen, aber auch zum Teil große Schwemmebenen.

Ein weiteres Charakteristikum dieser Region ist, dass alle Einzelteile der Landschaft Zugang zum Meer haben und dies das Verbindende dieser Welt ist. Gleichzeitig ist diese kleinteilige Landschaft und das Klima dafür verantwortlich, dass man immer in prekären Verhältnissen wirtschaftet.

Man muss sich vorstellen, dass der Anbau von Getreide und die Bewirtschaftung der Felder in dieser Zeit sehr mühselig gewesen ist. Wettereinbrüche, Krankheiten der Pflanzen und ähnliches führten rasch zu Missernten, Dürrekatastrophen und Hungersnöten. Diese Gemeinschaften waren also darauf angewiesen, sich in diesen schwierigen äußeren Verhältnissen zusammenzuschließen.

Diese kleinteilige Landschaft war auch dafür verantwortlich, dass wir schon in archaischer Zeit eine Vielzahl von kleineren Siedlungsplätzen finden, in denen sich die Bewohner dieser Region niedergelassen hatten. Wir werden später sehen, in klassischer Zeit sind es dann Hunderte, wenn nicht gar Tausend, die im griechischen Raum oder in dem Raum, in dem man griechisch sprach, entstanden sind.

Der Ursprung dieser Gemeinwesen sind also bäuerliche Gesellschaften mit ihren Höfen und Bauernstellen. Diese bäuerlichen Gesellschaften haben versucht, sich in Gemeinschaften zusammenzufinden und mussten dabei ganz elementar grundlegende Fragen verhandeln. Eine dieser Fragen war zum Beispiel die erste grundlegende: Wer gehört überhaupt zu dieser Gemeinschaft und wer ist von ihr ausgeschlossen? Eine weitere: Welche Götter verehrt man, welche Götter sind verbindlich für die Gemeinde, die sich etwa in einem Tal zusammenfindet.

Dann musste man überlegen, wie man das Gebiet, in dem man wohnt, gegenüber Nachbarn militärisch sichert, wie man dieses Gebiet verteidigt, wie man Verteidigung organisiert, wie man sich bewaffnet, wer welche Rolle bei diesen militärischen Aktionen zu spielen hat. Dann musste man überlegen, wie man Entscheidungen trifft und wer an diesen Entscheidungen beteiligt war. Und in einem weiteren Schritt musste man darüber nachdenken, ob man gemeinsame Bauten und Platzanlagen errichtet, um sich zu versammeln.

Sozialstruktur

Zunächst aber ganz allgemein zur Sozialstruktur dieser bäuerlichen Gesellschaften. Sie sind sehr schlicht strukturiert. Wir haben die Freien und die UnfreienSklaven, die in militärischen Konflikten verschleppt worden sind und in den bäuerlichen Gemeinschaften arbeiten mussten. Dann haben wir die Unterteilung Bürger und Nichtbürger, also Fremde, die nicht unfrei, aber auch nicht Bürger waren, d. h. auch nicht an öffentlichen Diskussionen, Debatten und Entscheidungen teilnehmen konnten.