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Fachbereich

ALTE GESCHICHTE

Alexander der Große

Von Prof. Dr. Ralf Behrwald

I. Einleitung [560]

Mit dem makedonischen König, der im Jahr 336 mit gerade einmal 19 Jahren die Herrschaft antrat, der zwei Jahre später das größte Reich der Mittelmeerwelt, das Reich des persischen Großkönigs angriff und dieses Reich in einem zehnjährigen Feldzug erobert, der bis nach Indien zog und der schließlich den Anspruch auf die Herrschaft über die gesamte Welt erhob: mit diesem Alexander, der 323 gerade einmal 32jährig starb, beginnt eine neue Epoche der europäischen Geschichte, der Hellenismus.

Alexanders Eroberungen brachten Gebiete Asiens unter makedonische Herrschaft, die kaum ein Grie -che zuvor betreten hatte: “Mesopotamien“, das Zweistromland mit seinen jahrtausendealten Kulturen; den Iran, das Kernland des Perserreiches, und dessen östlichen Teile bis nach Afghanistan und an den Rand der zentralasiatischen Steppen, ja bis nach Indien.

In der Folge seines Eroberungszuges wurden ganz Kleinasien, die Levante und Syrien, Ägypten für die nächsten Tausend Jahre zu Kernländern griechischer Kultur, deren Eliten sich so sehr als griechisch verstanden, dass selbst nach der römischen Eroberung dreihundert Jahre später Griechisch die Sprache des gesamten östlichen Mittelmeerraumes blieb.

Alexanders Eroberungen ist es geschuldet, dass auch die Sprache des jungen Christentum das Griechische sein sollte, dass das Neue Testament auf Griechisch verfasst wurde. Tausend Jahre sollte diese Koiné, diese Gemeinschaft griechischer Kultur, bestehen, bis zur arabischen Eroberung im sieb ten Jahrhundert.

Wie lässt sich eine solche Eroberung, wie lassen sich ihre so weitreichen Folgen erklären? Und: Was für ein Mann war dieser junge Alexander, der sein Weltreich, so könnte es scheinen, ganz auf seiner eigenen militärischen Fähigkeiten begründete? Diese Fragen gehören zu den zentralen Fragen, die Hi storiker des Altertums sich bis heute stellen.

Und gerade in den letzten Jahren haben neue Forschungsergebnisse zu neuen Fragen geführt: Können wir hinter dem Mythos Alexander, der schon zu Lebzeiten des Königs entworfen wurde, überhaupt die historische Person erkennen? Sahen die Zeitgenossen, die Makedonen, die griechischen Verbündeten, die unterworfenen Perser und die anderen Völker des eroberten Reiches nicht jeweils einen ganz anderen König vor sich, ja musste Alexander nicht während des Feldzugs in immer neuen Rollen für sie auftreten? Die Forschung ist noch weit davon entfernt, diese Fragen endgültig zu beantworten. Doch in jüngster Zeit hat sie solche Fortschritte erzielt, dass es lohnt, eine Bilanz zu ziehen.

Das Phänomen Alexander hat schon seine Zeitgenossen fasziniert. Alexander selbst ließ Münzen mit seinem Bild prägen und Statuen aufstellen, beschäftigte Maler und Schriftsteller und verbreitete so sein eigenes Bild in der griechischen Öffentlichkeit. Auch ein Hofhistoriker, Kallistehens, begleitete den Feldzug, bis er im Jahr 327 in Ungnade fiel und starb. Nach Alexanders Tod verfassten Teilnehmer des Alexanderzuges ihre Erinnerungen, und griechische Historiker erforschten den König, der für alle seine Nachfolger ein übermächtiges Vorbild blieb.

Von diesen Schriften aus der Zeit Alexanders ist keine einzige erhalten. Wir kennen sie nur aus den Werken späterer antiker Historiker, die aus einem Abstand von mehr als 300 Jahren über Alexander schrieben und denen die Originalberichte noch vorlagen.

Unser Bild Alexanders bleibt ein Schattenspiel: Wir sehen, wie die ursprünglichen Zeugnisse sich in den späteren Berichten wie auf einem Schirm niederschlagen. Doch hinter diese späteren Berichte von Autoren der römischen Kaiserzeit können wir nicht vordringen. Nur wenn diese ihre Vorlagen klar benennen können, gewinnen wir Sicherheit.

So sehen wir etwa, dass das Alexanderbild eines Kallisthenes, das dieser in der ersten Hälfte des Feldzuges entwarf, sich deutlich von den Bildern unterscheidet, die spätere Zeitgenossen von Alexander hatten oder die nach seinem Tod entworfen wurden.

I. Voraussetzungen [900]

Als Alexander im Juli 356 geboren wurde, herrschte sein Vater PhilippPhilipp