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Fachbereich

GESCHICHTE/MITTELALTER

Kaiser Friedrich Barbarossa und das heilige reich

Von Prof. Dr. Stefan Weinfurter

1. Der Mythos Barbarossa

Die Geschichte des fränkischen und deutschen Mittelalters kennt zwei herausragende Herrscher, die zu allen Zeiten im Gedächtnis geblieben sind: Karl den Großen und Friedrich I. Barbarossa. Während man den großen Karolinger, den ersten Kaiser des Abendlandes, gewissermaßen mit den Franzosen teilen musste, gehörte Barbarossa, der von 1152 bis 1190 regierte, den Deutschen ganz allein.

Dass er schon bei seinen Zeitgenossen besonderen Eindruck hinterließ, erfahren wir aus einer berühmten Quelle, den „Taten Kaiser Friedrichs“ (Gesta Friderici imperatoris). In diesem – von Bischof Otto von Freising und seinem Kaplan Rahewin zwischen 1156 und 1160 verfassten – Geschichtswerk ist folgende Beschreibung des damals etwa 35jährigen Staufers überliefert (Buch IV, Kapitel 86): „Der göttliche Kaiser Friedrich zeichnet sich durch seinen Charakter und sein Äußeres so sehr aus, dass er auch den Menschen nähergebracht werden soll, die ihn nur selten zu sehen bekommen. In überaus reichem Maße haben Gott, der Herr, und die Vernunft der Natur die gemeinsame Mitgift vollkommenen Glücks auf ihn gehäuft. Sein Charakter ist derart, dass man ihn nur loben kann. Seine Gestalt ist vorzüglich gebaut, und an Größe steht er über den Mittelgroßen. Sein Haar ist blond und oben an der Stirn leicht gekräuselt. Die Ohren werden durch darüber fallende Haare kaum verdeckt, da der Friseur aus Rücksicht auf die Würde des Reiches das Haupthaar und den Backenbart durch dauerndes Nachschneiden kürzt. Seine Augen sind scharf und durchdringend, die Nase schön geformt, der Bart ist rötlich, die Lippen sind schmal und nicht durch breite Mundwinkel erweitert. Das ganze Antlitz ist fröhlich und heiter. Die in schöner Ordnung stehende Reihe der Zähne ist schneeweiß. (…) Die Schultern sind etwas hochstehend, in den kurzen Weichen liegt Kraft (…) Sein Gang ist fest und gleichmäßig, seine Stimme hell und die ganze Körperhaltung männlich. Durch diese Leibesgestalt gewinnt er sowohl im Stehen wie im Sitzen höchste Würde und Autorität.“

Soweit die zeitgenössische Beschreibung, die sicherlich nicht nur ein Idealbild zeichnet. Auch die Nachwelt hat in Barbarossa eine ganz ungewöhnliche Gestalt erblickt, die bald mit der Aura eines Mythos umgeben wurde. Nach dem Tod seines Enkels, Friedrichs II., 1250 war zwar zunächst die Vorstellung entstanden, dieser sei mit seinem Heer in den Ätna geritten und werde als künftiger Friedenskaiser von dort wiederkommen. Aber im 15. Jahrhundert ging diese Rolle Schritt um Schritt auf Barbarossa über.

Damals entstand die Sage, Kaiser Friedrich Barbarossa schlafe und residiere im Kyffhäuser in Thüringen. Andere Quellen verlegten seine Wohnstatt nach Kaiserslautern. Dort habe sich ein Mann in eine Felsenhöhle hinabgelassen und dort tatsächlich Kaiser Friedrich sitzen sehen – von vielen Leuten umgeben.

Im 16. und 17. Jahrhundert entstand ein regelrechter Wettstreit um die wahre Schlafstätte Barbarossas. In der Pfalz glaubte man, der Kaiser habe sein Bett auf dem Trifels. Und im Elsaß war man überzeugt, er säße dort irgendwo unter einem Felsen, und wenn es ringsum still sei und man das Ohr an den Stein halte, so höre man, wie ihm der Bart wachse.

Aus dem Beginn des 18. Jahrhunderts erfahren wir dann, dass dem Kaiser sein roter Bart schon durch den Tisch bis auf die Füße gewachsen sei. Er nicke ständig mit dem Kopf und zwinkere mit den Augen, als wenn er etwa nicht recht schliefe oder bald wieder aufwachen wolle, um sein verlassenes Kaisertum wieder anzutreten. Und in der Tat: Seine große Zeit kam ein Jahrhundert später: In den Befreiungskriegen, im Vormärz und in der Revolution von 1848, insbesondere dann in den Jahren zwischen 1866 und 1871 erreichte der Barbarossa-Mythos seinen Höhepunkt.

Am 18. Januar 1871 war es dann soweit. „An diesem Tag“, so lesen wir in den Schulbüchern der Zeit, „ist statt des Rotbarts der Weißbart, nämlich Wilhelm I., als Kaiser auferstanden und hat das neue deutsche Kaiserreich groß und mächtig gemacht!“ Friedrich Barbarossa hatte damit seine Mission erfüllt und hätte sich nun eigentlich zur Ruhe setzen können. Aber die dritte Reichsgründung hat ihn dann doch nochmals aufgeschreckt.