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Nr. 2902

 

Im Sternenkerker

 

Als Mörder verurteilt – zur Haft in einem Gefängnis des Goldenen Reiches

 

Oliver Fröhlich

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Frischfleisch

2. Am Hof der Kristallkönigin

3. Ein Feuerwerk am Himmel

4. Schmetterlinge

5. Der Trost des Lärms

6. Viele Gefangene und ein Gerechter

7. Siege und Niederlagen

8. Eine spektakulär scheiternde Flucht

9. Nachwehen

Stellaris 57

Vorwort

»Der Bettler von Terrania« von Olaf Brill

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Wir schreiben das Jahr 1551 NGZ, gut dreitausend Jahre vom 21. Jahrhundert alter Zeitrechnung entfernt. Nach großen Umwälzungen in der Milchstraße haben sich die Verhältnisse zwischen den unterschiedlichen Sternenreichen beruhigt; im Großen und Ganzen herrscht Frieden.

Vor allem die von Menschen bewohnten Planeten und Monde streben eine positive Zukunft an. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als »nichtmenschlich« bezeichnet hätte.

Trotz aller Spannungen, die nach wie vor bestehen: Rhodans Vision, die Galaxis in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, scheint sich langsam zu verwirklichen. Man knüpft sogar vermehrt Kontakte zu anderen Galaxien.

In dieser Situation bietet das Goldene Reich der Thoogondu Perry Rhodan ein Bündnis an. Beim Erstkontakt geraten allerdings Besatzungsmitglieder von Rhodans Raumschiff RAS TSCHUBAI unter Mordverdacht und landen IM STERNENKERKER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Farye Sepheroa-Rhodan – Rhodans Enkelin umgibt sich mit Verbrechern.

Donn Yaradua – Der Metabolist schaut hinter den Schleier.

Vogel Ziellos, Lua Virtanen und Ben Jello – Sie fühlen sich nicht nur als Frischfleisch unter Gefangenen.

Gucky – Der Ilt erhält eine Sonderbehandlung.

1.

Frischfleisch

 

Krchchch krchchch krchchch ...

Das kratzende, schabende Geräusch zerrte an Vogel Ziellos' Bewusstsein und holte ihn nach und nach aus der Ohnmacht.

Er wollte die Augen öffnen, doch die Lider gehorchten nicht.

Er versuchte, die Arme zu bewegen oder wenigstens einen Finger zu rühren, und scheiterte.

Es fühlte sich an, als schliefe sein Körper, wohingegen der Geist erwacht war.

Krchchch krchchch krchchch ...

Waren die Laute real? Oder das Gespinst eines wie in Watte gepackten Gehirns?

Eine heisere Stimme überlagerte das Geräusch. »Solche habe ich noch nie gesehen. Was sollen wir mit denen anfangen?«

Das Hämmern unter Vogels Schädeldecke und das Ziehen in den Schläfen unterbanden jeden klaren Gedanken.

»Frag nicht so dumm«, antwortete ein Zweiter. Er klang sanft und zugleich gefährlich. Wie der Erste bediente er sich einer Sprache, die Vogel verstand, obwohl sie ihm fremd erschien. Merkwürdig. Wenn er sich nur an etwas erinnern könnte! »Das, was wir mit allen Neulingen anfangen«, fuhr die Stimme fort.

»Schau sie dir doch an, die drei. Die sind ja nicht mal gepanzert. Glaubst du wirklich, die arbeiten sich irgendwann mal hoch? Die können wir noch so lange knechten, ihren Wert werden die nie beweisen.«

»Und wenn schon. Dann ab in die Arena mit ihnen. Zur Unterhaltung sind sie allemal gut.«

Vogel bemühte sich um eine ruhige, gleichmäßige Atmung. Endlich verebbten die Kopfschmerzen zu einem dumpfen Druck und verklangen schließlich ganz.

Der Sprecher mit der heiseren Stimme stieß einen kratzenden Laut aus, der ein Lachen darstellen mochte. Oder das Husten einer unheilbaren Krankheit. »Ernsthaft? Kannst du dir das Bürschlein mit dem Schnabel und den hübschen Federn im Kampf gegen einen von Torkhots Kolossen vorstellen? Ich nicht.«

Die reden über mich, wurde Vogel klar. Wo bin ich? Was soll dieses Gerede von einer Arena? Und wer sind die überhaupt?

Mit einem Mal kehrte ein Begriff in sein Gedächtnis zurück.

Sie sprechen Gondunin. Die Verkehrssprache des Goldenen Reiches, des ... Wie heißt es gleich wieder? Richtig, des Gondunats. Ich habe sie per Hypnoschulung gelernt, bevor ...

Ja, wovor?

Erneut drängte sich das Geräusch in den Vordergrund. Krchchch krchchch krchchch ...

Links neben Vogel erklang ein Ächzen. Obwohl es in dem Kratzen und Schaben beinahe unterging, hätte er es unter Tausenden erkannt: Lua Virtanen.

Der Gedanke an sie mobilisierte seine Kräfte – zumindest ein wenig. Immerhin gelang es ihm zu blinzeln. Grelles Licht peinigte seine Augen und entfachte die Kopfschmerzen erneut. Hastig schloss er die Lider.

»Sieh nur«, sagte der mit der sanften Stimme. »Zwei von ihnen wachen auf. Hat das so kurz nach der Ankunft schon einmal jemand geschafft?«

»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete der Heisere.

»Vielleicht steckt mehr in ihnen, als man auf den ersten Blick erkennt.«

»Wen kümmert's? Lass uns sehen, was sie mitgebracht haben.«

Vogel Ziellos fühlte, wie ihn jemand abtastete. An der Brust, den Armen, den Beinen, ja, sogar im Schritt. Er versuchte, den fremden Fingern auszuweichen, und ihm wurde bewusst, dass er auf einem harten, kühlen Untergrund lag.

Endlich überwand er die Regungslosigkeit. Er riss die Augen auf, ignorierte das Stechen des Lichts, sah schemenhaft zwei über ihn gebeugte Gestalten, die sich vor dem Gleißen abzeichneten, und schob sich hektisch mit Händen und Füßen zurück.

Das heisere Lachen ertönte erneut. »Was für einen flinken Burschen sie uns geschickt haben. Was denkst du, hat er angestellt, Keelim?«

Allmählich gewöhnten sich Vogels Augen an die Beleuchtung. Sie entpuppte sich als nicht annähernd so grell, wie es ihm zunächst vorgekommen war.

Die schemenhaften Gestalten gewannen an Kontur und Details. Humanoide, beide mindestens zwei Meter groß, mit weißer Haut, unter der sich das Muster der blauen Adern deutlich abzeichnete. Ihre Kleidung wirkte durcheinander und uneinheitlich, wie aus verschiedenen Quellen zusammengetragen und schlampig vernäht. Unförmige, schlecht zugeschnittene graue Stoffbahnen waren durchsetzt von Fragmenten, die von einfachen Raumanzügen stammen mochten. Die Arme und Rücken blieben unbedeckt, sodass die Knochenpanzer aus überlappenden, daumennagelgroßen Platten frei lagen.

Soweit Vogel das aus seiner Position beurteilen konnte, wiesen die Panzer an etlichen Stellen Beschädigungen auf – Scharten, Kerben, Kratzer. Spuren häufiger Kämpfe?

Er hatte Wesen wie diese erst kürzlich kennengelernt, allerdings mit deutlich kunstvollerer und farbenfroher Kleidung: Thoogondu.

Was denkst du, hat er angestellt?

Mit Verzögerung sickerten die Worte des Heiseren in Vogels Bewusstsein ein. Schlagartig kehrten Fragmente der Erinnerung zurück.

Angeblich hatte er gemeinsam mit dem Kosmolinguisten Ben Jello einen Thoogondu ermordet. Während eines Streits um das Thema Kindeserziehung. Was für ein lächerlicher Gedanke.

Einer, den er mit voller Überzeugung von sich weisen würde, zumal sich weder er noch Ben an die Tat erinnerten.

Allerdings gab es eine Zeugin, die sämtliche Vorwürfe bestätigte. Ein Mitglied der Besatzung der RAS TSCHUBAI, genau wie sie selbst. Also musste an den Anschuldigungen etwas dran sein.

Trotzdem hatte Vogel keinen blassen Schimmer, was ihn zu der Tat getrieben haben sollte. Und warum er sich nicht daran erinnerte.

Hatte ihn jemand geistig beeinflusst und dazu gezwungen? Schwer vorstellbar, schließlich war er mentalstabilisiert.

Nein, obwohl es sich schrecklich anfühlte, musste er sich wohl mit dem wahrscheinlichsten Szenario vertraut machen: Er hatte die Kontrolle verloren, jemanden umgebracht und im Schock über seine Tat anschließend die Erinnerung daran verdrängt.

Und Ben Jello ergeht es genauso? Welch ein Zufall. Oder besser gesagt: was für ein Schwachsinn!

Wie er es drehte und wendete: Vermutlich war er ein Mörder oder jedenfalls zumindest ein Totschläger. Der Gedanke bereitete ihm Übelkeit.

Vogel strampelte sich aus der Flut der Erinnerungen frei.

»Wer ... seid ihr?«, fragte er. Nur zu gerne hätte er sich nach Lua umgeschaut, aber er wagte es nicht, die beiden Thoogondu aus den Augen zu lassen. Von dem Dutzend, das sich einige Schritte hinter ihnen versammelt hatte, ganz zu schweigen. »Was wollt ihr von uns?«

»Ich heiße Pohranu«, sagte der Heisere. Das Muster der Adern in seinem Gesicht erinnerte Vogel an die Luftaufnahme einer flussreichen Gegend. Mit einer lässigen Handbewegung deutete er zu dem Zweiten, auf dessen Wange eine schlecht verheilte Narbe vom Augen- bis zum Mundwinkel verlief. »Das ist Keelim. Wir sind eure neue Familie.« Er zeigte eine Mischung aus Lächeln und Grimasse. »Wenn ihr euch als würdig erweist. Und was wir von euch wollen? Das, was wir von jedem Frischfleisch wollen: euer Zeug.«

Wovon redete der Kerl?

Nun wagte es Vogel doch, sich umzuschauen.

Gut zwei Meter neben ihm richtete sich Lua Virtanen auf dem metallischen Boden halb auf. Sie lächelte ihm zu. Mir geht es gut, sollte das wohl ausdrücken. Er glaubte ihr nicht.

Zwei Thoogondu tasteten sie ab, durchsuchten die Taschen ihrer grauen, sackartigen Kleidung, zogen einen fingerlangen Metallstab, einen prall gefüllten Stoffbeutel, einen Pack an Spielkarten erinnernde Folienstreifen und verschiedene andere Dinge hervor, die Vogel nicht identifizieren konnte. Wie kam Lua an all diese Sachen?

»Grobwurzsamen«, sagte ein Thoogondu mit auffälligen X-Beinen nach einem Blick in das Säckchen. »Da schicken sie uns nach Langem endlich wieder Frischfleisch, und was geben sie ihnen mit? Grobwurzsamen!«

Er stieß ein hart klingendes Wort hervor, das Vogel nicht verstand. Vermutlich ein Fluch, der nicht zur grundlegenden Gondunin-Hypnoschulung gehörte.

Der zweite Mann bei Lua betrachtete den Metallstab, brummte etwas von einem »Varianzwiderstand«, einer »Refraktionsspule« und dass sie nun die Wasseraufbereitung in Außensektor Shasson-1 reparieren könnten.

Vogel hörte nicht länger zu. Er wandte sich von Lua ab, die sich weiter mit stoischer Gelassenheit durchsuchen ließ, und drehte den Kopf zur anderen Seite.

Dort lag Ben Jello. Ohnmächtig. Auch an ihm machten sich zwei Thoogondu zu schaffen und kramten allerlei Dinge aus seinen Taschen. Jedes Fundstück wurde mal mit Freude, mal mit Enttäuschung kommentiert.

Vogel sah an sich hinab. Er trug das gleiche sackartige Gewand wie Lua und Ben. Einheitskleidung.

Oder genauer: eine Gefängniskluft.

Auch in der Bekleidung der Thoogondu bemerkte er Überbleibsel des grauen Stoffs. Offenbar trug jeder Neuankömmling – jedes Frischfleisch – diese Kutte und reparierte Schäden im Laufe der Zeit mit allem, was sich dazu eignete.

Mit einem Mal begriff er, was geschehen war. Die Thoogondu hatten ihn und Ben als Mörder verurteilt, betäubt und in dieses Gefängnis geschafft. Nur weil er sich mit Lua einen Zellaktivator teilte, der sich gegen das Mittel in ihrem Körper wehrte, waren sie bereits vor Ben erwacht.

Moment. Lua? Warum war sie bei ihm?

Ach ja, richtig. Sie und Gucky hatten versucht, die Verhafteten zu befreien und ...

Gucky?

Wo steckte er?

Hastig sah Vogel sich um, konnte den Mausbiber aber nirgends entdecken.

Stattdessen nahm er erstmals den Raum wahr, in dem er lag. Er erinnerte an einen kleinen Hangar. An der Decke verliefen zwei parallele Reihen Leuchtröhren. Die Luft roch abgestanden.

Hinter den versammelten Gefangenen bemerkte Vogel ein kreisrundes, geschlossenes Schott – und schräg davor eine kleine Transportkapsel von höchstens fünf Metern Durchmesser. Ihre Einstiegsluke war heruntergeklappt und diente als Rampe ins Innere, wo sich weitere Gefangene mit Messern und Metallstücken an der Verkleidung zu schaffen machten. Sie schnitten sie auf, lösten sie mit den Klingen von der Wandung ...

Krchchch krchchch krchchch.

... und zogen sie in Bahnen herab. Selbst die Verkabelung und andere Leitungen waren nicht vor ihnen sicher.

Sie schlachteten die Kapsel aus.

Wozu?

Ein Schauder überlief Vogel, und seine Flaumfedern stellten sich auf, als er sich die offensichtliche Antwort gab: weil die Gefangenen an diesem Ort alles gebrauchen konnten, dessen sie habhaft werden konnten.

»Wo ... sind wir?«, fragte er. »Was habt ihr mit unserem Freund gemacht?«

Keelim beugte sich zu Vogel vor. »Ihr befindet euch in einem Scuul. Einem Gefängnis. Mehr müsst ihr im Augenblick nicht wissen. Als ich vor achtundvierzig Wachwechseln hier ankam, war ich genauso neugierig wie du. Nicht lange nach meinem Erwachen lernte ich die erste Lektion: Frischfleisch stellt keine Fragen; Frischfleisch gehorcht.« Er deutete auf die Narbe in seinem Gesicht. »So hat mir der damalige Akzeptor die Lektion beigebracht. Begreifst du sie schneller als ich?«

Die restlichen Gefangenen traten einen Schritt auf Vogel zu. Nun bemerkte er auch Angehörige anderer Völker unter ihnen. Aber alle wirkten bedrohlich.

»Ich habe verstanden«, sagte er.

»Ausgezeichnet. Dann lass uns sehen, was du mitgebracht hast.«

Bereitwillig breitete Vogel die Arme aus.

Während Keelim und Pohranu seine Taschen entleerten, fragte er sich unentwegt, wo das Gefängnis lag, wie sie hergekommen sein mochten – und ob sie es jemals wieder verlassen würden.

 

*

 

Raagnul stand mit dem Rücken an die Wand des Empfangshangars gelehnt und musterte die Neuankömmlinge. Merkwürdige Gestalten. Zwar ähnelten sie den Thoogondu, doch statt der Knochenpanzer von der Stirn über den Kopf und den Rücken hinab trugen zwei von ihnen lediglich Haare auf dem Schädel.

Waren sie männlich oder weiblich? Wie sollte man das ohne die Panzer erkennen? Oder gab es bei diesen Wesen die Unterscheidung in Geschlechter überhaupt nicht?

Die dunkle Haut verhinderte einen Blick auf das Aderngeflecht darunter. Sie kamen Raagnul vor, als hätten sie etwas zu verbergen.

Noch sonderbarer war der Dritte. Der mit dem Schnabel. Dadurch erinnerte er vage an eine Mischung aus einem Thoogondu und einem Sheoshesen.

Was Raagnul aber besonders ins Grübeln brachte, war die Frage des Schnabelträgers: Was habt ihr mit unserem Freund gemacht?

Nach der Freigabe des Empfangshangars von der Scuul-Steuerung waren die Akzeptoren, die jeden Neuankömmling in Empfang nahmen, zur Transportkapsel geeilt und hatten die vier neuen Mitglieder ihrer Gemeinschaft geborgen.

Gleich darauf war eine Tonaufzeichnung erklungen: der Befehl der Scuul-Verwaltung, einen der Gefangenen in einen gesonderten Bereich zu bringen, nämlich das hässliche kleine Pelzwesen mit dem breiten Schwanz.

Etwas, das gelegentlich vorkam.

Wie jedes Mal fragte sich Raagnul, warum sie dem Befehl nachkamen. Offiziell befanden sich ausschließlich verurteilte Verbrecher an Bord des Gefängnisses. Wen also scherte es, wenn sie die Aufforderung missachteten? Würde es die Verwaltung überhaupt bemerken?

Nur, wenn sich Spitzel im Scuul befanden. Angehörige des Geheimdienstes. Observanten.

Die meisten Insassen glaubten nicht an ihre Existenz, befolgten die Befehle vorsichtshalber aber trotzdem.

Raagnul hingegen war der festen Überzeugung, dass ihnen das Gondunat Aufseher untergeschoben hatte. Aus entlegenen Bereichen im Scuul, unzugänglich für normale Gefangene, berichteten sie den hohen Herren des Goldenen Reiches von den Verhältnissen im Gefängnis.

Daran bestand für Raagnul kein Zweifel.

Besonders misstrauisch machte ihn bei dem Frischfleisch die scheinbar besorgte Frage des Schnabelträgers: Was habt ihr mit unserem Freund gemacht?

Eine Frage, die ein Observant niemals stellen würde. Schließlich wüsste er von dem Befehl, den vierten wegzubringen.

Oder die er gerade deshalb stellte, weil sie ihn so unauffällig erscheinen ließ.

Es gab keinen Beweis, dass der Schnabelträger und seine Begleiter den Pelzigen tatsächlich kannten. Schließlich hatten einige eifrige Akzeptoren ihn sofort weggeschafft.

Diente er womöglich nur dazu, den Neuankömmlingen den Anschein normaler Gefangener zu geben, obwohl es sich um neu eingeschleuste Observanten handelte?

Nicht mehr als eine Theorie, gewiss. Aber eine, die Raagnul durchaus wahrscheinlich vorkam.

Andere Insassen hätten ihn wegen seines Misstrauens vermutlich ausgelacht. Ihn daran erinnert, dass es eben jenes Misstrauen gewesen war, das ihn überhaupt in den Scuul gebracht hatte.

Womöglich hätten sie ihn wie so oft als einen, der allein geht, bezeichnet. Anders ausgedrückt: einen Dummkopf.

Doch wie sein Großvater stets gesagt hatte, stellte das Misstrauen dem Nächsten gegenüber die Grundvoraussetzung für echten Zusammenhalt dar. Nur, wer nicht alles hinterfragt, mein Junge, geht wirklich allein.

Ein weiser Mann, sein Großvater.

Raagnul beschloss, das Frischfleisch im Auge zu behalten – und sie zu enttarnen, wenn er sie als Observanten erkannt hatte.

Wollen wir mal sehen, ob ihr mich dann immer noch auslacht.

2.

Am Hof der Kristallkönigin

Einige Stunden zuvor

 

»Ich will mich nicht beschweren«, sagte Donn Yaradua, »aber ein Missionsteam ohne Mission erscheint mir reichlich nutzlos.«

Farye Sepheroa-Rhodan löste den Blick von dem Planeten Thooalon im Zentralholo der BJO BREISKOLL und drehte sich zu dem Mann mit den Stoppelhaaren um. In seinem Gesicht lag der Hauch eines Lächelns. Verschmitzt, leicht spöttisch. Er stand neben dem Kommandantensessel, die Arme vor der Brust verschränkt.

Farye hatte den Sessel vor zehn Minuten verlassen, weil sie die Untätigkeit selbst nicht mehr aushielt. Insofern pflichtete sie Yaradua innerlich bei, obwohl sie das nie zugeben würde.

Seit sie kurz nach Ankunft in der Galaxis Sevcooris aus der RAS TSCHUBAI als Eingreifreserve vom Mutterschiff abgekoppelt hatten, taten sie nichts anderes, als auf einen Anlass zum Eingreifen zu warten. Drei Tage lag das inzwischen zurück. Die Borduhr zeigte den 29. September 1551 Neuer Galaktische Zeitrechnung.

Ein dauerhafter Funkkontakt mit dem Mutterschiff bestand nicht, um die Geheimmission nicht zu gefährden. Andererseits: Ein allzu großes Geheimnis stellte sie ohnehin nicht mehr dar, da den Thoogondu die leere Hangarbucht in der Oberfläche der RAS TSCHUBAI aufgefallen war. Zwar blieb die BJO BREISKOLL im Schutz des Paros-Schattenschirms für die Augen der heimischen Zivilisationen so gut wie unsichtbar, allerdings vermuteten die Thoogondu das Schiff gewiss in der Nähe.

Farye kannte Donn Yaradua inzwischen gut genug, um ihn einzuschätzen. Er betrachtete sich als Außenseiter, was er gelegentlich hinter übertrieben dargestelltem Selbstbewusstsein und Respektlosigkeiten zu verstecken versuchte.

»Keine Sorge, Donn. Deine Chance, dich zu beweisen, wird kommen. – Hast du die Hypnoschulung absolviert?«

»Jawohl, Frau Oberstleutnant.« Sein spöttisches Lächeln behielt er bei. »Wollen wir hoffen, dass dein Haustier ein ausgewogenes Programm der Alltagssprache zusammengestellt hat und wir uns nicht wie Nachrichtensprecher anhören.«

Sie ignorierte die Spitze, dass sie die Schiffspositronik der BJO nach ihrem verstorbenen Dodo benannt hatte. Er war keinesfalls ein Haustier gewesen, sondern ein treuer Freund. Obwohl er schon lange nicht mehr lebte, vermisste sie ihn manchmal. »OXFORD blieb genug Zeit, Gondunin zu analysieren und eine ausgewogene Schulung daraus zu entwickeln. Aber falls es dich beruhigt: Er hat dafür nicht nur auf öffentliche Medien zugegriffen, sondern auch auf unverschlüsselten Funkverkehr. Das sollte für ein breites Spektrum der Sprache ausreichen. – Wo bleiben die anderen?«

»Müssten jede Sekunde kommen. Ich bin vorausgegangen.«

Ihr Blick glitt über seine Schulter hinweg zum Schott der Zentrale, das sich in diesem Augenblick öffnete. Zwei Männer und zwei Frauen traten ein und stellten sich zu Donn Yaradua.

Farye betrachtete ihr momentan unterbeschäftigtes Einsatzteam. Außer dem Metabolisten Yaradua bestand es zunächst aus Captain Bertrand Faust, dem Kommandanten der LAURIN I, zumindest wenn Farye nicht selbst das Kommando führte. Ein militärischer Typ mit kurzen schwarzen Haaren, kantigen Gesichtszügen, durchdringenden blauen Augen – und keinerlei erkennbarem Humor.

Neben dessen durchtrainierten fast zwei Metern Körpergröße wirkte die Pilotin Leutnant Lydia Brassac beinahe zierlich. Unter einer wallenden kupferroten Mähne lugten Farye aus einem von Sommersprossen übersäten, bleichen Gesicht zwei lebhafte Augen entgegen, die zu sagen schienen: »Gondunin haben wir inzwischen gelernt. Was unternehmen wir als Nächstes?«

Zum Kernteam der Einsatztruppe gehörten außerdem Major Dja Dibaba, Nachfahrin schwarzafrikanischer Auswanderer vom Kolonialplaneten Far-Foumban, und der Robotiker Master-Sergeant Quentin Slocombe, ein gemütlich wirkender Glatzkopf mit fasrigem Schnurrbart, dem man nicht ansah, welcher harter Kern sich hinter der weichen Schale verbarg.

Farye war mit ihrer Auswahl unterschiedlicher Typen für das Einsatzteam sehr zufrieden. Sie glaubte, dass sie gut zusammenarbeiten würden und dass sich selbst ein Außenseiter wie Yaradua einfügte – sobald sie endlich die Gelegenheit dazu bekamen.

Aus exakt diesem Grund hatte sie den Trupp nach der Hypnoschulung zu sich gebeten.

Sie nickte ihnen zu und bat sie in einen kleinen Besprechungsraum neben der Zentrale.

Nachdem sich alle um den runden Tisch gesetzt hatten, sagte sie: »Obwohl wir aus Sicherheitsgründen nicht mit der RAS TSCHUBAI in Funkkontakt stehen, hat sie uns in den letzten Tagen gelegentlich über Geheimfrequenzen gut abgeschirmt und verschlüsselt verschiedene Daten zukommen lassen. Ihr kennt Ero Mae und Karim Balthasar?«

Yaradua und Faust nickten. Die anderen schüttelten den Kopf. Kein Wunder. Immerhin tummelten sich 35.000 Personen an Bord der RAS TSCHUBAI.

»Sie waren auf Thooalon im Einsatz und haben offenbar gute Arbeit geleistet. Sie fanden nämlich einiges über die Technologie der Thoogondu heraus. OXFORD wertet die Fülle an Material derzeit aus. Womöglich werden wir von unserem Wissen bald Gebrauch machen können. Und müssen.«

Erneut verschränkte Donn Yaradua die Arme vor der Brust und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Wir bekommen Arbeit?«

»Das steht noch in den Sternen. Aus den Nachrichten der RAS weiß ich jedoch, dass sich etwas Alarmierendes und – wie ich finde – höchst Merkwürdiges ereignet hat. Etwas, das zu glauben mir schwerfällt.«

Sie atmete tief durch und suchte mit jedem Teammitglied kurzen Blickkontakt. »Vogel Ziellos und Ben Jello haben einen Thoogondu ermordet«, sagte sie schließlich.

»Ijioh!« Mit einem auf ihrem Heimatplaneten gängigen Ausruf des Erstaunens setzte sich Dja Dibaba stocksteif hin.

»Unmöglich!«, rief Bertrand Faust.

»Warum hätten sie das tun sollen?«, fragte Lydia Brassac.

»Wer behauptet so einen Unfug?«, ereiferte sich Quentin Slocombe.

Farye Sepheroa-Rhodan gab dem Team ein wenig Zeit, um das Gehörte zu verarbeiten. Bis auf Donn Yaradua, der stumm dasaß, redeten sie durcheinander, entwickelten blitzschnell Theorien, verwarfen sie wieder.

Farye zählte innerlich langsam bis zwanzig. Sie hob die Hand, und augenblicklich verstummten die Gespräche.

»Ich kenne keine Details«, sagte sie, »aber es gibt eine vertrauenswürdige Zeugin. Attina Hopkinson.«

»Unsere Attina Hopkinson?«, fragte Yaradua. »Von der RAS TSCHUBAI?«

»So ist es. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass etwas anderes dahintersteckt. Eine – entschuldigt meine Ausdrucksweise – riesengroße Schweinerei.«

»Und wir sollen sie aufdecken?«, fragte Bertrand Faust. Sein Gesicht blieb nahezu regungslos, zeigte weder Wut noch Entschlossenheit, ja, nicht einmal allzu großes Interesse. In seinem Inneren sah es vermutlich anders aus.

»Bisher haben wir keinen Auftrag erhalten«, stellte Farye klar. »Aber ich rechne damit, dass uns Perry Rhodan darum bitten wird. Leider gibt es noch mehr schlechte Nachrichten: Gucky und Lua Virtanen haben versucht, die beiden zu befreien.«

»Versucht?«, fragte Slocombe.

»Sie wurden erwischt und ebenfalls gefangen genommen.«

»Wo stecken sie im Augenblick?«, wollte Dja Dibaba wissen. Sie wirkte ernst und nachdenklich. Keine Spur von ihrer sonstigen Fröhlichkeit, die Farye so an ihr schätzte und die sie zu Freundinnen gemacht hatte.

»Mein letzter Wissensstand ist einige Stunden alt. Danach hält man sie in einem Gefängnis in einer Stadt namens Goenetki fest. Wir kennen die Koordinaten und könnten ...«

Ein Signalton fiel ihr ins Wort. Gleich darauf baute sich über dem Tisch das Holo einer Frau mit schulterlangem, rötlichem Haar auf. Milena Jovanotti, die Erste Kommunikationsoffizierin der BJO BREISKOLL. »Entschuldige, falls ich störe«, füllte ihre Stimme den Raum. »Aber es ist wichtig.«

»Was gibt's?«, fragte Farye.

»Einen Hyperfunkspruch von Perry Rhodan.«

Das verblüffte Farye. »An uns?«

»An die RAS TSCHUBAI. Aber offen und unverschlüsselt, sodass jeder zuhören kann. Ich vermute, genau darauf legt er es auch an.«

»Abspielen!«

Zunächst erklang Cascard Holonder von der RAS. »Ja, Perry?«

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Illustration: Dirk Schulz

»Hör mir gut zu, Kommandant«, sagte Rhodans Stimme. »Ich vertraue auf die Thoogondu, auf unsere Gastgeber hier, was ihr Urteil über die Gefangenen betrifft. Ich verlange, dass niemand an Bord der RAS TSCHUBAI etwas zu ihrer Befreiung unternimmt. Rhodan Ende.«

Im ersten Augenblick verblüffte der Befehl Farye. Dann begriff sie und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

»Antworten wir?«, fragte Milena Jovanotti. »Und falls ja, wie?«

Farye brauchte nicht lange zu überlegen. »Wir antworten. Einen ultrakurzgerafften Spruch. Aye. Farye.«