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Der Autor Michael Bartsch wurde 1951 in dem Örtchen Garmisch-Partenkirchen geborgen. Er wuchs dort als Jüngstes von vier Geschwistern auf. In frühester Jugend führte ihn die Mutter ans Bücherlesen heran, seitdem blieb er davon infiziert. Als zünftige Leseratte verschlang er sämtliche Karl May-Geschichten, sogenannte Groschenheftchen, mit einer Vorliebe für Western. Dieser Periode folgten nacheinander Perry Rhodan-, Science Fiction- Abenteuer-, Krimi- und Thriller-Lektüren. Letztendlich brach sich die Leidenschaft für alles Sagenhafte die Bahn und leitete ihn unweigerlich zur Sparte Fantasy.

Der Umzug 1961 nach Köln brachte ihn als g'standenen Bayern, in der Schule und im Berufsleben, mit der rheinischne Lebensart zusammen. Zum i-Tüpfelchen der "Eingliederung ins Rheinland" erwies sich die Heirat mit einem echten "Kölschen Mädchen". Zwei Söhne und später die Enkelinnen bereicherten die glückliche Gemeinschaft. Der gelernter Schriftsetzer – mit historischem Gautschbrief – wurde mit seiner Lese-Leidenschaft täglich konfrontiert.

In dieser Zeit reifte in ihm der Gedanke, einen Roman zu schreiben. Es entstand der Fantasy-Zyklus ‚Die Artefakte der Götter‘. Heute wohnt und arbeitet der Autor im Kölner Umland.

Erschienen im tredition GmbH:

Die Artefakte der Götter

Erstes Buch, Teil 1 – Das Tor nach Niihama

ISBN: E-Book 978-3-86850-398-2; print-Book 978-3-8495-0339-0

Die Artefakte der Götter

Erstes Buch, Teil 2Niihama - Land der Götter

ISBN: E-Book 978-3-8495-3857-6; print-Book 978-3-8495-3858-3

Die Artefakte der Götter

Zweites Buch, Teil 1 – Die Rückkehr nach Niihama

ISBN: E-Book 978-3-86850-924-3; print-Book 978-3-86850-908-3

Die Artefakte der Götter

Zweites Buch, Teil 2 – Shimabara – Götterland

ISBN: Paperback 978-3-7323-4358-4; Hardcover 978-3-7323-4359-1;

ISBN: E-Book 978-3-7323-4360-7

Die Artefakte der Götter

Drittes Buch - Götterdämmerung

ISBN: E-Book 978-3-8491-1656-9; print-Book 978-3-8472-8744-5

Die Artefakte der Götter

Viertes BuchWiederkehr (In Vorbereitung)

Verlorene Seelen

Für Gisela, meine geliebte Frau, ohne sie bin ich nur die Hälfte wert!

„Der Klang der Glocken des Gion-Tempels verkündet die Unbeständigkeit aller Dinge und die Färbung der Blüten des Sala-Baums enthüllt, dass diejenigen, die erblühen, ebenfalls verwelken müssen.

Der Stolze währt nicht ewig, er ist wie ein Traum in einer Frühlingsnacht. Selbst der Mächtigste vergeht wie Staub vor dem Wind.“

Auszug aus "Heike Monogatari - Kakuichi-Version von 1371

Michael Bartsch

Verlorene Seelen

Fantasy

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2017

Autor: Michael Bartsch

Lektor: Karl-Heinz Hemmersbach

Covergestaltung: Annelie Mundt

http://www.kunstnet.de/corvi-noctis/

Verlag: tredition GmbH

ISBN:

978-3-7323-4161-0 (Hardcover)

978-3-7323-4162-7 (E-Book)

Inhaltsverzeichnis

Prolog

01. Sekai- Die Verbannung

02. Sentōki

03. Sechzehn Jahre zuvor

04. Training und Anwartschaft

05. Ernennung und andere Ereignisse

06. Sayos Kampf

07. Konfrontation

08. Sachikos Suche

09. Chikyú - „Die Sennin“

10. Wundersames

11. Orientierung und Planung

12. Kampf und Exkursionen

13. „Kazumi“

14. Erkenntnis und Erinnerungen

15. Jäger und Gejagte

16. Jagdgesellschaften

17. Sekai - „Die Suche“

18. Chikyú - „Zusammentreffen“

19. Krieg und Rückkehr

20. Zurück nach Chikyú

21. Drachenfeuer

Erläuterungen

***

Wer nach dem Yin und Yang lebt, lebt in vollendeter Harmonie. Denn Ying und Yang sind mit den vier Jahreszeiten der Anfang und das Ende, die Wurzeln von Leben und Tod.

Aus den Schriften der Kriegerin Skaði

***

 

Prolog

Der Mann trat auf die Veranda, stellte den Rucksack ab und sagte zum Jungen: „Kommst du mit? Ich wandere auf den Gipfel des Howaitokôn!“ Der Jugendliche unterbrach das Graben und stützte sich auf den Spatengriff. Er zog ein Tuch aus der Hosentasche und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Auf dem nackten, für einen vierzehnjährigen enorm muskulösen Oberkörper, rannen die Schweißtropfen hinunter. Er wusste, dass es dem von ihm verehrten Krieger ein ausgeprägtes Bedürfnis ist, den Berg zu erklimmen, um dort oben die innere Ruhe zu finden.

„Ich muss bis spätestens morgen Abend den verschütteten Ablauf freilegen. Deine Frau meinte, es wird ein Unwetter heraufziehen. Wenn wir keine nassen Füße bekommen wollen, muss ich vorher fertig werden. Ich schaff das, schau nur, dass du bis dahin zurückkommst.“ Sein Idol vertraute ihm für die Zeit der Abwesenheit den Schutz der Lieben an, das schmeichelte seinem Stolz. Aufgrund dessen versicherte er ihm: „In der Zwischenzeit passe ich auf die Familie auf.“

Insgeheim belustigt über die Ernsthaftigkeit des Jungen, hörte der Mann sich die Erklärungen an. Wie üblich unterstrich der Bengel diese mit Achselzucken, deutenden Bewegungen oder mit kleinen Gesten der Hände.

„In Ordnung, ich verlasse mich auf dich. Jetzt kann ich beruhigt aufbrechen.“ Er gab ihm zum Abschied einen leichten Klaps auf den schweißnassen Rücken und befestigte den Rucksack auf dem Buckel. Mit einem letzten Blick auf den im Sonnenlicht glitzernden Saiko-Sees marschierte er zügig los. In neun Stunden wollte er den Gipfel erreichen.

Vorbei an der kleinen Wiese, auf der die Pferde weideten, stapfte er den steilen Pfad hinan, der von immergrünen Eiben-Sträucher vor Blicken verborgen wurde. Er schlängelte sich zwischen den Laub- und Nadelbäumen den Berg hinauf. Bevor der Mann zwischen den Felsen und Büschen verschwand, drehte er sich um. Er sah seine Frau die Veranda betreten, den Sohn in den Armen. Er winkte und warf ihr einen Handkuss zu, den sie lächelnd zurückgab. Nach dem Gruß setzte er den Weg fort. An der ersten Wegbiegung traf er die Sennin. Er verbeugte sich vor den beiden, begrüßte sie in der ‚Alten‘ Sprache: „Ég heilsa þér, ich grüße sie!“ Maioshan lächelte ihn an, während Doumu keine Miene verzog, wie immer. Er deutet nochmals eine Verbeugung an, dann bat er sie: „Als Würd der Erde, bitte ich Euch, schützt das Anwesen mit eurem Zauber vor allem Unheil!“

Sie werden eine Art von Bannkreis erstellen, der in jedem Lebewesen, ob Mensch oder Tier, Ekelgefühle hervorrief und sie vertrieb. Ohne diese Gewissheit wäre er nicht gegangen. Maioshan nickte bestätigend, dabei huschte ein angedeutetes Lächeln über ihre Gesichtszüge.

Mit einer kurzen anmutigen Handbewegung und den Worten: „Svo verður það! So soll es sein!“, lösten die Feen sich in Nichts auf. Nur einen leichten Jasminduft, der die Nase umschmeichelte, hinterließen sie. Mit einem letzten Blick zurückbegab er sich beruhigt auf den Weg nach oben. Zudem wusste er, dass Glaistig ebenfalls über die Lieben wachte, weil sie in seinen Sohn vernarrt ist.

Gegen Abend erreichte er das Plateau unter dem hoch aufragenden Kegel, der die Spitze des Howaitokôn bildete. Schnaufend stellte er den Rucksack auf dem schneebedeckten Boden ab, befreite die Steinbank vom Schnee und setzte sich. An der Gipfelwand stand im Schutze der Ausbuchtung eine Sitzgelegenheit, die Wanderer vor vielen Jahren aus mehreren Steinquadern zusammen bauten. Trotz des ständig wehenden Windes mit der Abendkälte, ist man dort in der Lage, den Sonnenaufgang zu erwarten und zu genießen.

Der Anstieg auf dem Gestein- und Geröllpfad gegen Ende des Weges ist zwar arg anstrengend, nicht zuletzt angesichts der zahlreichen Windungen, dazu kam natürlich der tiefe Schnee. Das trübte aber die Freude auf das bevorstehende Naturereignis nicht. Sein Blick fiel auf den mit bunten Stoffstreifen geschmückten Steinhaufen. Morgen, wenn er zurückging, würde er einen kleinen Stein hinzufügen.

Er ließ sich vor dem fahnengeschmückten Steinhügel im Schneidersitz auf die Tatamimatte nieder, führte eines der bunten Banner an die Stirn und verbeugte sich tief. Fürsorglich, wie stets, hatte seine Frau ihm einen selbst gestrickten Wollschal, ein Stück frisch gebackenes Brot nebst einen kräftigen Schluck selbstgebrannten Gerstenschnaps mitgegeben. Damit wappnete er sich gegen die Nachtkälte.

Während er auf dem Bergplateau auf den Sonnenaufgang wartete, dachte er an Sekai, die Heimat. Beim Anblick der funkelnden Sterne, die zum Greifen nahe schienen, befiel ihn leise Wehmut. Sie strahlten wunderschön, aber es waren nicht die ‚seinen‘, die er dort mit der Liebsten jahrelang bewundert hatte. Die Bilder jener fernen Ereignisse, voller Aufregung und Freude, aber teilweise auch getrübt von unendlicher Trauer, waren ihm stets gegenwärtig. Sein Blick verlor sich in der Weite, während viele Darstellungen von Geschichten und Begebenheiten vor dem inneren Auge abliefen.

Wie stark hatte er sie vermisst, seine erste wunderschöne Frau, die ehemals sein Leben erhellte; ebenfalls die Freunde, mit denen zusammen er die Kindheit verbrachte und etliche Kämpfe bestanden hatte. Er war bei der Taufe der Tochter des besten Freundes dabei; wie stolz er und seine Frau seinerzeit waren, als die jungen Eltern sie baten, die Taufpaten zu werden. Erfreut und begeistert hatten sie zugestimmt, der Kyôfu zu sein, vor allem die geliebte Frau, weil sie traurigerweise keine Kinder bekommen konnte.

Warum nur hatte er nicht schon früher auf die Mahnungen von ihr und seiner Freunde gehört, in Bezug auf die Shisai nebst dem verbrecherischen Obersten Priester. Wie oft haben sie und ihre Freundin Akira auf den Werdegang der Priesterschaft und deren Doktrinen hingewiesen, die mit ihren Lehrsätzen die gesamte Geschichte Sekais veränderte. Er seufzte tief und wischte eine Träne weg, die auf seiner Wange eine feuchte Spur hinterließ. Langsam wich die Nacht der Morgendämmerung. Die ersten Sonnenstrahlen, die der goldene Ball am Horizont in den wolkenlosen Himmel sandte, beendeten die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Der Mann kostete mit all‘ seinen Sinnen das prachtvolle Naturereignis aus.

„Mono no aware“, murmelte er. Damit drückte er seine tiefe Bewegung über diese wiederkehrende Schönheit aus. Sein Yin und Yang standen von Neuem im Gleichklang. Die Wanderung, die Stille hier oben und das Erlebnis des Sonnenaufgangs haben ihm gutgetan. Wenn er wieder zuhause ankam, wird er die Partnerin in die Arme schließen, sie und den Sohn liebevoll küssen. Sicher schaute ihnen dann die verstorbene Ehefrau vom Himmel herab wohlwollend zu. Und wenn der Sohn einst groß genug ist, werden sie zusammen mit dem Jungen die Welt erkunden.

Sanfte Traurigkeit überkam ihn, es wurde Zeit diesen friedlichen Ort zu verlassen, den Rückweg anzutreten. Er legte einen von Wind und Wetter rundgeschliffenen Stein auf den Haufen, verneigte sich dann dreimal. Ihm schien, als würden die flatternden Fahnen seine Gedanken an den Wind weitererzählen, der sie dann an die ganze Welt ausplauderte. Er begann den Abstieg. Im Westen tauchten am Himmel die ersten dunklen Wolken auf; anscheinend behielt die geliebte Partnerin recht mit ihrer Prophezeiung über ein drohendes Unwetter.

***

„Am Morgen des vierten Tages wird das absolut Böse das kalte Schwert Vondur mit den Händen ergreifen und der dunkle Rabe krächzt über den Leichen, verkündet dem Geschmeiß vom vielen Fraß.“

Álfas Weissagung

***

 

01. Sekai- Die Verbannung

Vor mehr als einem halben Jahrtausend kamen die Shisai aus einem von Sekai‘s Außenländer und ‚heimsuchten‘ das Land. Sie begannen sofort mit ihrer aggressiven Heilslehre, in deren Mittelpunkt die Gottheit Kannon stand, die eingesessene Bevölkerung zu missionieren. Jahrzehntelang lagen sie mit ihrer wachsenden Gefolgschaft mit dem Glaubenssatz der Göttin Izanami im Streit. In diesen unruhigen Zeiten spaltete Katsuro Hirudo, ein Hoch-Priester der Shisai, sich von der Kannon-Lehre ab und begründete eine neue Heilslehre. Er und seine Anhänger praktizierten ‚Schwarze‘ Magie und brachten dem dunklen Gott Hoedhur Menschenopfer dar.

Vor fünfhundert Jahren trafen sich die Verehrer Izanami‘s mit den gemäßigten Jünger der Kannon-Gottheit und gründeten ein Triumvirat unter der Leitung der Græðari Skadi Jónsdóttir, die seit jeher ‚Weiße‘ Magie betrieb. Die Shisai mit ihrem obersten Priesters Tadashi schlossen sich ebenso an, wie die Krieger des Kaisers Chinzu, um gemeinsam dem bösen Treiben des Katsuro Hirudo ein Ende zu setzen. Durch die magische Kraft der Græðari wollten sie die Kuroi doa zur Parallelwelt Chikyú öffnen, um die Hoedhur-Anhänger dorthin zu verbannen.

**

Zuckender Fackelschein leuchtete den Suchenden voraus. Sie bewegten sich vorsichtig, damit kein knackendes Zweiglein vorzeitig ihr Kommen verriet. Der Weg schlängelte sich durch das Dickicht, an den drei Findlingen vorbei, bis auf die Waldwiese. Nur vereinzelt drangen gurgelnde Laute von paarungswilligen Kröten durch das Säuseln des Windes. In den Baumwipfeln beklagte ein Uhu mit unheimlichem Rufen die Ruhestörung in seinem Revier, als Nächstes brach er auf zur lautlosen Jagd. Eine gespenstische Stille umgab jetzt die Kolonne.

Plötzlich dröhnten dumpfe Trommeln, fernes Gemurmel mit eintönigem Singsang übertönten die Nachtgeräusche des Waldes. Sie erreichten die Lichtung. Auf der Waldschneise vor ihnen knieten schwarz gewandete Frauen und Männer außerhalb eines magischen Signums. Katsuro hatte auf dem Boden mit der grau-weißen Asche eines verbrannten Menschenopfers ein Ornament markiert. Ein äußerer Kreis umschloss einen kleineren inneren; der Raum zwischen den beiden Ringen ist in neun Felder unterteilt. Im Zentrum des inwendigen Zirkels stand ein Opferaltar. In der Mitte der Steinplatte prangte ein großer schwarzer Onyx. Davor lagen, zum rituellen Ensemble arrangiert, eine runde Bronzeschale, ein goldener Kelch und ein Opfermesser.

Katsuro Hirudo zog Helgisiðir, die heilige Speerspitze, aus einer Rockfalte, tauchte sie in den blutgefüllten Kelch, erhob sie hoch über den Kopf und rezitierte die rituellen Galdr-Sprüche. Helgisiðir zuckte in seiner Hand hin und her wie ein wütender Schlangenkopf. Dumpf wiederholten die Knienden in endloser Folge die Beschwörung: „Hoedhur, du dunkler Gott, komm zu uns hernieder!“ Zum Abschluss der Anrufung kreischte der Priester: „Gebieter! Gib mir Kraft!“, damit beendete die Litanei der Sprüche. Seine Anhänger verstummten und starrten erwartungsvoll ihren Hohepriester an.

Der küsste andächtig die Speerspitze und legte sie auf den Altar. Katsuro packte das Opfermesser und ritzte symbolisch das magische Siegel in den Stein. Wiederholt betete er unterdessen die Formel herunter: „Gib mir Kraft!“. Wie zuvor Helgisiðir, erhob er dann den Dolch über den Kopf und rief: „Hoedhur, hilf uns, die Feinde zu zerstören!“

Die Gefolgschaft reckte die Fäuste gen Himmel und antwortete ihm: „So soll es sein!“ Der Oberpriester platzierte den Dolch auf die Altarplatte, nahm sodann den goldenen Kelch in beide Hände, wandte sich zu den Jüngern um und hob ihn dem Kosmos entgegen. Salbungsvoll rief er: „Dieser Lebenssaft ist für Hoedhur!“ Dann trank er einen Schluck vom Blut des eingeäscherten Opfers. Er stellte den Gral neben den Dolch und wischte sich den Mund mit einem Tuch sauber. Im Anschluss warf er die Fingerknochen des Toten, die er nach der Verbrennung aus der Asche herausgeklaubt hatte, in die Bronzeschale. Er fügte getrocknetes Olibanum-Harz vom Boswellia-Baum hinzu, dann zündete er das Ganze an. Seine Getreuen begleiteten das schaurige Ritual mit ihrem eintönigen Singsang: Hoedhur, hilf uns, die Feinde zu zerstören!“

Als der würzige Rauch des Harzes gen Himmel emporstieg, geriet die Schar in Trance, Katsuro präsentierte den Gefolgsleuten erneut den Kelch, die daraufhin aufstanden und sich bei den Händen fassten. Er drehte sich zum Altar zurück und goss den Rest des Opfertrankes über den Stein. Das Blut rann über die Furchen im Onyx und wurde von ihnen in die Bronzeschale abgeleitet. Während die Flüssigkeit zischend ins Feuertropfte, intonierte Katsuro zusammen mit den Jüngern: „Hoedhur leihe uns deine überlegenen Kräfte! Rufe die Höllenkreaturen! Schicke sie zu uns! Sende sie uns!“

In diesem Moment erreichte die Kolonne der Weißen Magie die Lichtung. Sie bildeten eine keilförmige Formation. An der Spitze die Anführerin Skadi Jónsdóttir, links neben ihr stand Tadashi, der Oberste Priester der Shisai. Rechts von ihr trug Sanjohiro, der Hatamo des Kaisers Chinzu, den Enburemu, das Hoheitszeichen des Regenten. Skadi drohte dem schaurig singenden Katsuro und seinem Gefolge mit Sjáanda, dem Jahrtausende alten Wahrzeichen der obersten Instanz.

Die Stabspitze in ihrer Faust leuchtete hell weiß und pulsierte. Wie der Donner eines vernichtenden Gewitters trat sie den Schwarzgekleideten entgegen: „Die Göttin Izanami verurteilt Euch! Die gerechte Strafe für Eure Frevel ist die Verbannung! Zukünftig komme über Euch nichts als Not und Verzweiflung!“.

Der Stab vibrierte in ihrer Hand; auf dem Schaft glühten weißliche Runen auf. Die Ankömmlinge fassten einander bei den Händen; sobald Tadashi und Hatamo als letzte Skadi ebenso berührten, schloss sich der magische Verbund. Augenblicklich erstrahlten die Zeichen noch heller und verstärkten den Strahl von Sjáanda. Gemeinsam beteten sie gegen Katsuro und sein Gefolge an: „Höre uns Izanami, wir sind die wahren Gläubigen! Verbanne den schwarzen Hoedhur für alle Zeiten in die Unterwelt zu Enmaô, dem Herrscher der Finsternis!“

Dann rammte Skadi die untere, fünfzehn Zentimeter lange Eisenhülse ihres Stabes tief in den Waldboden. Sogleich glühte die obere Spitze, mit der gleichfalls langen Metallhülse hell gleißend auf. Erschütterungswellen rasten durch den Erdboden auf die Mitglieder der ‚Schwarzen‘ Gefolgschaft zu und ließen sie wanken. Katsuro, dessen Augen gerade noch in Erwartung von Hoedhur's Erscheinung siegessicher glitzerten, ließ den Kelch fallen, so als würde er glühen. Er taumelte gegen den Altar und gurgelte entsetzt: „Das darf nicht sein!“ Dabei stieß er die Opferschale um; zischend erlosch das Feuer in ihr.

Während des dramatischen Geschehens richtete die oberste Instanz den Stab Sjáanda auf die schwarze Bruderschaft. Von der Spitze strahlte ein pulsierender Bogen, dessen ringförmige Strahlen zwischen grünem, blauem, violettem und rotem Licht hin und her wechselten. Die Luft knisterte spürbar, eine Art Energieblase baute sich über dem Altar und dem magischen Kreis auf.

Izanami, erhöre uns! Wir sind treu! Die dort indes sind falsche Propheten! Öffne das Tor Kuroi doa! Hinaus mit euch in den Schatten zu Enma-ô!“, tönten aus Skadi Jónsdóttir's Mund die Worte des Verbannungsrituals. Die Angehörigen der Weißen Magie bekräftigten die Verurteilung: „Hinaus mit euch in den Schatten!“ Daraufhin vollendete sie den Bannfluch und rief: „Izanami! Öffne das Tor! Izanami! Öffne das Tor!“

Hinter dem Steinaltar waberte die Luft und als ob ein großes Bild in der Mitte zerrissen würde, öffnete sich ein Tor zu einer anderen Welt. Die Zuschauer erhaschten durch die Öffnung einen Blick in das Gegenstück zu ihrer Welt. Jenseitig sah man eine üppig grüne Waldlandschaft und eine von mächtigen Findlingen umrahmte Lichtung. Katsuro, sowie seine jammernden und klagenden Anhänger wurden von der Kraft der Energieblase langsam unaufhaltsam ins Unbekannte gezerrt.

Überraschend für alle, die Szene voller Schrecken miterlebten, erschien plötzlich an der Grenze zwischen den beiden Welten eine Frau mit feuerroten schulterlangen Haaren; sie trug ein gleichfarbenes rotes Kleid. Sie schaute auf das Geschehen und rief anklagend zu den „wahren Gläubigen“ hinüber: „Ich bin Sennin Doumu! Warum sendet ihr diese Höllenbrut in unsere Welt?“

Wild schüttelte sie ihre Lockenpracht. Bitter fügte sie hinzu: „Denn ihr wisst nicht, was ihr da tut!“. Das Tor zwischen den Erdzwillingen schloss sich und sie verschwand gemeinsam mit den Hoedhur-Anhängern in der fremden Parallelwelt.

Einige Augenblicke später ist von dem unheimlichen Spuk nicht das Geringste mehr zu sehen, selbst der Steinaltar mitsamt allen Utensilien hatte sich in Luft aufgelöst. Müde und entkräftet ließ sich Skadi Jónsdóttir auf dem Waldboden nieder, dann legte sie den erloschenen Stab auf ihren Schoß. Sanft strich sie über das rötliche Holz, das vom heiligen Baum Sacred Tree stammte. Die Beschwörungszeremonie mit den heftigen magischen Reaktionen hinterließen im Holz, nahe der Metallhülsen, leichte Brandspuren.

Die Ausführenden der Vertreibung fanden nach dem Schock langsam in die Wirklichkeit zurück. Trotz ihrer Erschöpfung stellten sich Erleichterung mit Triumpfgefühlen bei ihnen ein. Vereinzelt erklangen Hochrufe: „Wir haben gesiegt!“ Freudetrunken marschierten ‚die wahren Gläubigen' nach Hause. Skadi Jónsdóttir ging am Ende der Prozession - und sie sah ganz schön nachdenklich aus.

Am darauffolgenden Tag erließ der Shisai Tadashi ein Dekret, mit dem er anordnete, dass der Tag dieses Triumphes als Gedenktag ‚Ytist‘ alle zehn Jahre feierlich begangen wird. Am Tage darauf verlor der Uhu als Erster sein Revier. Unter der Leitung des Hohe-Priesters wurde der kleine Wald gerodet.

Dort, im Tale Fenggù, dem Tal des Windes am Fluss Seisui, begann man im Auftrage des Priesterrats mit dem Bau eines gemeinsamen Tempels für die Göttin Izanami und der Gottheit Kannon. Genau an der Stelle des triumphalen Sieges dankte man ihnen damit für die Vertreibung des „Bösen“.

Bevor sich Skadi Jónsdóttir in ihre Privatgemächer zurückzog, ordnete sie an, dass sich der Rat in vier Tagen am Sacred Tree zusammenfindet. Erschüttert vom Erlebten, mit dem Wissen um Feen auf der Schattenwelt, durchforschte sie alte Unterlagen in der Bibliothek. Dabei stieß sie auf eine Seite im ‚Libro Umbrae‘, dem Buch der Schatten, die ihr beim regelmäßigen Studium des Werkes nicht in dieser Beschaffenheit aufgefallen war. Eine Zeichnung am Ende der Vorlage glänzte sonderbar, sah unnatürlich aus, als seien die Konturen doppelt. Die Abbildung zeigte den Gott Pangu im geöffneten ‚Kuroi doa‘ stehen. Skadi Jónsdóttir beugte sich über das Buch und betrachtete das Bild durch ein Vergrößerungsglas.

Bei der Vergrößerung entdeckte sie neben dem Gott zwei kleine menschliche Figuren, die ihre Hände nach einer dritten Person ausstreckten, die auf der anderen Seite des Tores stand. Aufmerksam las sie den Text mehrmals, aber mit keinem Wort wurde auf die Szene des Bildes eingegangen. Nachdenklich strich sie leicht mit einem Finger über die Zeichnung. Sie fragte sich, in welchen Unterlagen, Büchern oder Schriftrollen sie dazu etwas finden konnte. Plötzlich flimmerte das Bild vor ihren Augen und eine ‚Magische‘ Seite entfaltete sich.

Der Text ist in der uralten „Ersten Schrift Tungumál“ verfasst. Tagelang brütete sie schlaf- und pausenlos über dem Geschriebenen. Sie vergaß die Zeit. Am dritten Tag wollte sie erschöpft, müde, aufgeben. Plötzlich kam ihr die Erleuchtung und sie konnte den Text übersetzen. Während sie sich den Wortlaut komplett in der richtigen Reihenfolge vorlas, verflog ihre Müdigkeit, war sofort hellwach.

Der Schreiber verkündete die - ‚Vereinigung‘ zwischen Gott Pangu und Göttin Frîjô - dazu bot Venus an diesem klaren, tiefdunklen Oktobermorgen ihre Strahlpracht auf. Frîjô brachte unter Schmerzen die Zwillingsschwestern Eir und Skaði zur Welt, derweil vergnügte sich Pangu im Schoße seiner neu erschaffenen Erde. Aus dem Speichel des Hrimfaxi formte der Gott für Chikyú die Sennin Maioshan und Doumu, die für ihn die Menschen in dieser Welt beobachten. Ihnen zur Seite stellte er das Volk der Fairys, die von der ‚Göttlichen Jörd‘ abstammten.

Im Text wurde die Schönheit der beiden Schwestern beschrieben, Skaði sei eine große Kriegerin im Gefolge ihrer Mutter geworden und Eir wurde zur Erleuchteten der Heilkunde. Als der Pangu Eir verführen wollte, wies sie ihn ab und verfluchte ihn. Der Gott wurde wütend, denn niemanden ist es erlaubt, sich ihm zu widersetzen. Er verbannte die Tochter aus seiner Welt, sie durfte Chikyú nie wieder betreten.

Skadi Jónsdóttir’s Augen füllten sich mit Tränen: „Was haben wir nur getan?“, flüsterte sie bedrückt. Es gab also Menschen und Feen in dieser Welt. Minutenlang weinte sie bitterlich, weil ihr klar wurde, was für einen schmerzlichen Weg sie, die Befleckten, einschlagen mussten.

Eine weitere Erkenntnis aus den Zeilen besagte, dass Eir, die Erleuchtete der Heiler, ihre Vorfahrin ist. Bevor sie in der Götterdämmerung verschwand, brachte sie den Menschen die Heilkunde. Zuletzt gab sie ihre Kräfte sowie die Weiße Magie, die aus einem Blutopfer und magischen Formeln bestand, an die erste Græðari weiter. Und nur die durfte diese Gabe an ihre Nachfolgerin weitergeben, so wie es auch bei ihr, Skadi Jónsdóttir, geschehen ist. Jetzt ergab alles einen Sinn, sie erkannte, wie der Hîrâ-Clan entstanden ist, der älteste Clan auf Sekai!

Sie belegte die ‚schwarze Tür‘ mit einem starken Bannspruch. Fortan ist ihr Zauber nur mit der neuen Öffnungsformel zu überwinden. Außer von der jeweils amtierenden Græðari, die zukünftig den Titel Æðsta vald trägt, wird es niemandem gestattet, die Kuroi doa zu öffnen. Den Öffnungsspruch hinterlegte sie in der Zeichnung im Libro Umbrae und versiegelte sie zusätzlich mit einem rituellen Spruch. Im Anschluss daran bereitete sie sich auf die Sitzung vor, die sie einberufen hatte.

Am nächsten Tag kam unter ihrer Leitung der Rat der Heilkundigen am ‚Heiligen Baum‘, dem Sacred Tree, zusammen. Man entzündete Fackeln und pilgerte in einer Prozession zum ‚Cromleh‘, dem Kreis aus vierzehn mannshohen Steinsäulen. Die Græðari trug den Runenstab Sjáanda und führte den feierlichen Fackelzug an. Ein mächtiger Deckstein bildete mit zwei Pfeilersteinen das Steintor, durch das sie Steinkreis betraten. Dieser mehrere tausend Jahre alte Ort ist der Sitz des Things, hier wurde schon seit Urzeiten Gericht gehalten.

Alle Ratsmitglieder setzten sich auf quadratische Steinblöcke, die in einer Runde angeordnet standen. Ihre Fackeln steckten sie in Metallhülsen, die neben den Sitzen aus der Erde ragten. Skadi Jónsdóttir nahm auf den ihrem hohen Amte vorbehaltenen steinernen Thron platz, auf dem das heilige Kultbäumchen der Heiler, der ‚Græðari útibú‘, eingemeißelt war. Als sie die Versammlung eröffnete, sagte sie: „Heute sitze ich nicht nur als Græðari auf diesem Stuhl, sondern auch als Dómari, als Richter, vor euch!“

Sie wartete, bis sich das erregte Murmeln in der Runde gelegt hatte, dann trug sie ihnen das Ergebnis ihrer Überlegungen vor: „Wir sind Heilkundige und allein dem Leben verpflichtet; deshalb durften wir die Abtrünnigen nicht töten. Darum haben wir sie in die ‚Schattenwelt‘ vertrieben! Den Bewohnern dieser Welt haben wir aber mit der Verbannung des Bösen zu ihnen schlimmes angetan. Wir waren zu selbstgefällig. Wir wussten bisher nicht, dass dort Feen und Menschen leben! Dies jedoch steht im Libro Umbrae sowie in den ‚Alten‘ Schriften geschrieben! In unserem Hochmut haben wir versäumt, die Vergangenheit gründlicher zu erforschen!“

Diese grundsätzliche Wahrheit traf die Versammelten wie ein Schock. Zuerst herrschte nur betroffene Stille, dann erhob sich erregtes Gemurmel und zuletzt entbrannte eine lebhafte Diskussion über die selbstkritischen Worte. Jedoch nach längerer Debatte pflichtete das Triumvirat der 'Obersten Instanz' und ihrer Selbstanklage bei. Zum Schluss der Besprechung erhob sich Skadi Jónsdóttir. Sie schaute nachdenklich in die Runde, jeden Heilkundigen sah sie einzeln an. Anschließend stellte sie bedauernd fest: „Was haben wir nur getan? Wir haben große Schuld auf uns geladen!“

Einen Monat später trat der gesamte Rat mit der Græðari geschlossen zurück. Sie ernannten eine neue Oberste Instanz, deren neuer Titel von heute an Æðsta vald lautete. Skadi händigte ihr die Insignien der Macht aus und übergab ihr den Öffnungsspruch, der nur mündlich an ihre Nachfolgerin weiterzugegeben ist. Nachfolgend wurden die neuen Ratsmitglieder gewählt. Eine Woche später wählten alle am Verbannungs-Ritual beteiligten Mitglieder des alten Rates zusammen mit der ehemaligen Græðari gemeinsam den Freitod. Das Geheimnis zum Öffnen des schwarzen Tores wurde mit ihnen begraben. Nur die Æðsta vald kannte den Spruch.

**

Nach Katsuro‘s Vertreibung fanden auf Sekai große Veränderungen statt. Verdiente Priester und Krieger der Shisai und die Getreuen des Kaisers erhielten Land-Schenkungen und hohe Geld-Beträge. Als Ergebnis dieses ‚Hōbi‘ entstanden neue soziale Verbände, enorm umfangreicher als die ehemaligen Clans. Viele verschiedene Familien wurden vereint; aus ihnen wurde der Clan der Senshi.

Die Krieger schworen den Oberhäuptern der ursprünglichen Kern-Familien immerwährende Treue und entwickelten sich zu deren Vasallen. Ihr neuer, wichtigster Grundsatz lautete: "Die herrschende Klasse setzt sich ausschließlich aus Kämpfern zusammen, die miteinander durch ein persönliches Band verbunden sind. Ein Band, so stark, dass jeder Krieger sich unbedenklich auf die Treue und Aufrichtigkeit aller Mitglieder seines Clans verlassen kann; selbst über den eigen Tod hinaus."

Ihre religiös begründete Verfassung stützte sich auf eine politische Philosophie, deren moralische Grundsätze dem Ziel einer harmonischen Gesellschaft dienten. Die fünf wichtigen Beziehungen standen dabei im Mittelpunkt: Ehemann und Ehefrau, Mutter und Kinder, ältere und jüngere Geschwister, Freund und Freunde, Meister und Schüler.

Nach einigen Jahrzehnten friedlichen Zusammenlebens wurde das Triumvirat aufgelöst. Auf Sekai wurde die Lehre der Göttin Izanami weiterhin von den Senshi-Verbund gelehrt. Dazu zählten die Hîrâ, der Clan der Heilkundigen mit ihrer weißen Magie. Die Macht über diesen Clan hielt allein die Æðsta vald in Händen. Die Shisai stellten dagegen ihre Gottheit Kannon über Izanami’s Lehre. Sie strebten an, dass ausschließlich die 18 Gesetze, die Gott Kannon zum Wohl der Menschen erlassen hatte, für alle Bewohner Sekai‘s galten. Nach ihrem Verständnis ist dieser Glaube der einzig legitime. Sie kämpften für eine gesetzliche Verpflichtung der Bevölkerung, ihrer Glaubensüberzeugung beizutreten. Damit stritten sie, genau wie zuvor Katsuro Hirudo - wenn auch mit anderen Mitteln, für den Alleinanspruch ihrer Religion. Das führte zum Bruch mit den Senshi. Die Clans blieben ihrer Göttin treu, sie lehnten die Shisai-Doktrinen ab. Sie suchten den Beistand und die Nähe der Heilkundigen, sie boten diesen ihren Schutz an.

Schon bald traten die Priester überall im Lande auf, um die Bekanntmachungen der Shisai und Kannon’s Gebote zu verbreiten. „Der große Kannon wacht über Euch, er ist unfehlbar! Befolgt allein seinen Willen und bleibt wachsam gegenüber den Irrgläubigen. Die Abtrünnigen sind Ketzer, sie werden in der Hölle schmoren!“

Die Priester überwachten und bedrängten alle Andersdenkenden. ‚Sünder‘ wurden durch die Priester-Krieger schwer bestraft. Zur Abschreckung fanden Züchtigungen in der Öffentlichkeit statt. So gezwungen, richtete sich über die Hälfte der Bevölkerung nach den Dekreten der Priesterkaste, zumindest außerhalb der Familie. Die Anhänger von Izanami hielten sich auf Anweisung ihrer Clanführer und der Obersten Instanz zurück, um Konfrontationen mit den Andersgläubigen zu vermieden.

In der Folgezeit kam es trotzdem häufiger zu Reibereien zwischen den Parteien, wobei sich die Sondereinheiten der Shisai mit Provokationen hervortaten. Der spezielle Kampfverband, Kubi jikken genannt, ist allein dem Obersten Priester unterstellt und ihm fanatisch ergeben. In der Bevölkerung sowie in Adelskreisen waren sie gleichermaßen verhasst und gefürchtet. Ihre grausige „Spezialität“ ist die Zurschaustellung der aufgespießten Köpfe ihrer Opfer vor den Toren der Hauptstadt Ôto-ga.

Der Sitz der Hohepriester, die Tempelanlage Kaminokura, lag im Norden des Reberu-Gebirges, im Tal des Fenggù. Diese riesige Anlage ist die ihrer Gottheit Kannon geweiht. Angrenzend stand die Burg der Priester-Ritter mit ihrer Ausbildungshalle. Die Shisai verfügten daneben über eine kleine, mit Kanonen bewaffnete Segelschiff-Flotte, besetzt mit ihren Kriegern und Kubi jikken-Verbänden. Weil nur sie Kriegsschiffe besaßen, bewachten und beherrschten allein sie die Küsten Sekai’s.

Linker Hand, in östlicher Richtung, am Daiko-See und am Sunôkôn, dem 3006 Meter hohen Vulkan, lag das Gebiet der Clans. Durch das Tiefland floss der Seisui. Der Fluss mündete in den See, den er am südlichen Seeufer wieder verließ. Die Anwesen des Chiba-, des Amori- und des Isamu-Clans standen in der Ebene Reberu. Sie grenzte an das gleichnamige Gebirge, am Fuße des Berges Hôn, dem ‚Heiligen Horn‘. Die Familien waren seit mehreren Generationen freundschaftlich miteinander verbunden. Die Burg ‚Azuchi‘ ist der Sitz der Amori, die Festung ‚Nagoya‘ der des Isamu-Clans und die Burg ‚Himeji‘ der Sitz der Chiba’s.

Zu ihren Gefolgsleuten zählte der Schwertschmiedemeister Ushiro Ókawa mit den fünf Gehilfen. Seine Schmiede stand sich in der Burg Himeji. Darüber hinaus lebten auf dem Gebiet der drei Clans fünfzig Bauernfamilien mit insgesamt etwa fünfhundertfünfzig Köpfen. Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine sowie unzählige Hühner und Gänse sorgten für die Fleischversorgung der Bewohner. Zum Einzugsgebiet gehörten auch die Reis- und Tee-Anbauflächen rund um den Daiko-See, die von zwanzig Bauernfamilien mit rund einhundertvierzig Angehörigen bewirtschaftet wurde.

Dem großen Senshi-Verband gehörten auch die Honsei- und die Heishi mit ihren etwa dreihundert Gefolgsleuten an. Sie sind Obstbauern oder Flussschiffer. Wegen der guten Behandlung und Versorgung konnte sich der Verbund der Treue ihrer zahlreichen Gefolgsmänner mit deren Familien sicher sein. Ihre politische Macht auf Sekai ist gewichtig. Das Einzugsgebiet des Heishi-Clans lag zwischen dem Hekisui, dem grünen Fluss und dem Lán hé, dem blauen Strom im Nordosten des Landes. Das Gebiet der Honsei lag am Mündungsdelta des Junsui, was ‚Reines Wasser‘ bedeutet und dem Kobito-Gebirge.

Die Hîrâ als die Heilkundigen, genossen eine Sonderstellung. Ihre Ansiedlung mit der Residenz, lag am Heiligen Baum, unterhalb des Berges Hôn, nordöstlich der Ausläufer des Howaitokôn-Gebirges. Hier unterhielt der Clan auch eine Ausbildungsstätte für Heiler. Ihre Heilmittel stammten allesamt aus der Natur, nur bei schwer heilbaren Krankheiten bedienten sie sich der Weißen Magie ihrer Anführerin. Ihre Berufssprache ist die alte Sprache: Tungumál.

Am Heiligen Baum erhob sich der Steinkreis, in dem vor tausenden Jahren die Græðari, die höchste erste Heilkundige und der Hohe Rat, ihre Sitzungen abhielten. Später nutzten die Nachfahren ihn für ihre spirituellen Zusammenkünfte. Nur noch selten übte die Dómari hier das Thing, die Gerichtsbarkeit, aus. Das Richteramt wurde nur von der Æðsta vald ausgeübt.

Weiter südlich, etwa zwei Reitstunden entfernt, lagen die Hauptstadt Ôto-ga am Ufer des Seisui-Flusses. In der Metropole lebten etwa dreißigtausend Menschen. Der Grundriss der Residenzstadt ist schachbrettartig gegliedert. Die Mitte, umgeben von einem separaten Wall, bildete der Kaiserpalast Kyûjô. Dort saß auf dem Kôi, dem Kaiserthron, Sekai‘s politischer Führer, der Chinzu Gozemon Tanneka. Der Kaiser war in Fragen der Religion wankelmütig, so wie viele seiner Vorgänger. Mitunter bevorzugte er die Göttin Izanami, dann wieder die Gottheit Kannon. Hauptsächlich durch diese Unentschlossenheit hatte das Kaisertum nach und nach die Macht verloren, entwickelte sich politisch zur Marionette der Shisai. Rund um den Regierungssitz lagen die einzelnen Viertel der Händler, der Kaufleute und der Handwerker. Sie lebten jeweils in eigenen, voneinander getrennten Stadtteilen. An die äußere Stadtmauer grenzte im Süden das Hanamachi, ein riesiger Amüsierbezirk mit einem großen Onsen, der von den Bewohnern ‚heiß‘ geliebt wurde.

Die restliche Bevölkerung Sekais setzte sich aus selbstständigen Bauern, Viehzüchtern, Fischern sowie den Fahrensleuten zusammen. Sie lebten, verstreut auf Sekai, in kleinen Ansiedlungen und Höfen. Es gab da eine weitere Gruppe, die Sôhei-Mönche. Sie spalteten sich vom Shisai ab und wurden zurzeit von den Priestern noch geduldet.

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Wie beschwerlich das Gestern auch war, im Jetzt kann man mit den 18 wahren Geboten stets vom Neuen beginnen!

Anweisung des Predigers, 2. Bergpredigt

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02. Sentōki

Hinter sich hörte Sentôki das Fußgetrappel der Verfolger. Schon seit Stunden hetzten sie ihn durch die unterirdischen verschlungenen Gänge des Kaminokura-Tempels. Für einen Augenblick blieb er keuchend stehen, um sich zu orientieren. Er ist sich bewusst, dass die Shisai ihn nicht entkommen lassen werden. Sie müssen ihn zum Schweigen bringen, Mundtod machen, obwohl er bis vor kurzem zu den engsten Vertrauten des obersten Priesters in der Krieger-Priesterschaft gehörte. Aber sein Wissen über die ungeheuerlichen Machenschaften des Jûshoku Mutsuhito, würde die Macht der Priestervereinigung ins Wanken bringen. Und aufgrund dessen wird dieser es nicht riskieren ihn zu verschonen.

Bisher befolgte Sentôki alle Vorgaben und Aufträge des Klerus, desgleichen die des Vorgesetzten, ohne die Anordnungen groß infrage zu stellen. Dann vor zwei Wochen berichtete ihm sein Freund Utau ken von dem unfassbaren Verdacht gegen den obersten Priester. Er behauptete, dass der tödliche Unfall der geliebten Frau Sanshain in Wirklichkeit kein Unglück, sondern ein angeordneter Mord sei.

Sentôki rann eine Träne die Wange herunter, während er an seinen „Sonnenschein“ dachte. Im Nachhinein schmerzten ihn ganz besonders die Meinungsverschiedenheiten, die er gerade in letzter Zeit oft mit ihr ausdiskutiert hatte. Ihre Kritik an ihn, wegen der zuweilen unnachgiebigen Haltung von ihm gegenüber den Gegnern des Klerus, traf ihn schwer und empörte ihn. Wie stark sie damit Recht hatte, merkte er jetzt geradewegs am eigenen Leibe. „Leider weiß man erst hinterher alles besser“, murmelte er verbittert.

Utau ken schwor ihm, dass Jûshoku auf eine undurchsichtige Art auf irgendeine Weise an dem tödlichen Unfall involviert ist. Im Übrigen, so behauptete er weiter, besäße der Oberpriester einen hinterhältigen Charakter. Die jüngsten Ereignisse bewiesen eindeutig, dass er korrupt sei. Um ein Haar wäre er ihm an die Gurgel gesprungen. Erst als Taiji, der gemeinsame Spezi aus der Priesterschaft und Sayo Jônin, die engste Vertraute seiner Familie die Geschichte Utau ken’s bestätigte, glaubte er es widerwillig. Unabhängig davon, warum würde ihn der beste Freund, den er seit der Kindheit kannte, anlügen? Zudem er der Taufpate, der Kyôfu, dessen Tochter Sachiko ist. „Ich werde mich von der Richtigkeit der Vorwürfe persönlich überzeugen!“, schoss es ihm damals wütend durch den Kopf.

Zwei Tag später fand das allwöchentliche Treffen beim obersten Priester statt, bei dem er ihm seinen Bericht über ungewöhnliche Vorgänge und Vorfälle erstattete. Bei dieser Gelegenheit stellte er Jûshoku zur Rede. Natürlich stritt der vehement alles ab. Er schwor ihm bei der Gottheit Kannon, dass alle Unterstellungen infame Lügen sind. Das Ganze ist ein Teil einer Verschwörung gegen ihn. Aber seine Augen verrieten ihn. Jûshoku tobte und wollte von ihm erfahren, wer diese Ungeheuerlichkeiten über ihn verbreitete, aber er gab die Namen der Freunde nicht preis.

Weil dessen Leibwache aus Kubi jikken-Kämpfer und dem Anführer Roukoy Issen zugegen waren, war es ihm leider nicht vergönnt, diesen Mörder gleich auf der Stelle zu richten. Gegen zehn Männer wäre es ein aussichtsloses Unterfangen geworden; also verließ er zähneknirschend das Treffen. Jûshoku rief ihm höhnisch hinterher: "Denk darüber nach! Womöglich sollte der Unfall eine Warnung an Dich sein?"

Von dem Tag an hatte er alle Hände voll zu tun, am Leben zu bleiben. Indirekt wurde ihm so nochmals die Richtigkeit der Anschuldigungen bestätigt. Nur dem schnellen Pferd Breezy, die Windsbraut, hatte er es zu verdanken, dass er den Häschern fürs erste entkam. Er versteckte sich in den Bergtälern, damit die Freunde nicht durch ihn in Gefahr gerieten. Zugleich wollte er seinem Clan keine Schwierigkeiten zuteilwerden lassen.

Er flüchtete zuletzt zu Sato, einem langjährigen Freund, einem Priester. Er berichtete ihm vom Verlauf der Unterredung mit Jûshoku, von den Vorfällen im Anschluss der Besprechung - und bat ihn um seinen Beistand. Daraufhin erzählte ihm Sato, er habe vor einiger Zeit im Buch der Schatten, dem Libro Umbrae, von einem Durchgang zur Parallelwelt Chikyú gelesen. Bei dem Gespräch holte er eine Karte des unterirdischen Tempel-Labyrinths hervor und gab sie ihm; in dem Lageplan ist die vermutete Stelle der Tür eingezeichnet.

Sentôki hatte zwar in der Ausbildung zum Kriegerpriester von dieser Kuroi doa und dem Buch gehört, dass die Schwarze Tür ein Zugang in eine andere Welt darstellte. Er hatte die Geschichte abgetan, in die Sagen- und Märchenwelt verwiesen. Aber jetzt hatte er keine weitere Wahl mehr, als an die Existenz dieser Parallelwelt zu glauben; sie blieb die einzige winzige Chance. Obendrein flüsterte ihm der Kamerad bei der Aushändigung des Planes vertraulich zu, dass er ihren gemeinsamen Freunden vom Ziel seiner Flucht berichten werde. Wenn über die Angelegenheit Gras gewachsen sei, würde der beste Kumpel Utau ken ihn in Chikyú suchen und mit ihm zusammen zurückkehren. Sato gab er ihm sein Ehrenwort - letztendlich hatte er eingewilligt, sich dorthin zu wenden.

Er hatte Breezy auf die Weide der Wildpferde zurückgeschickt und schlich in den Tempel. Aber irgendetwas ging schief, beim Eintritt in den unterirdischen Teil wurde er von Roukoy Issen mit mehreren Kubi jikken-Kämpfern erwartet. Der Anführer sah ihn kalt lächelnd an und wedelte mit eisernen Handfesseln. Sentôki bemerkte, dass zwei der Schergen mit den neuen Gewehren bewaffnet sind, die die Ausländer an die Shisai‘s verkauft haben. Ein eiskalter Schauer lief über seinen Rücken; die Nackenhaare stellten sich wie Igelstacheln hoch.

„Wieso erwarteten ihn diese Verbrecher?“, ging ihm durch den Kopf. „Hatte Sato ihn verraten?“ Fieberhaft dachte er über die Situation nach; freiwillig würde er sich nicht gefangen lassen. Einen Wimpernschlag später explodierte er. Mit dem Mut der Verzweiflung sprang er den überraschten Kommandanten der Leibwache an, der siegessicher seinen Mund zu einem sardonischen Grinsen verzogen hatte.

Sentôki riss während des Sprunges das Messer aus der Scheide und verpasste ihm damit einen Schmiss quer durchs Gesicht. Roukoy taumelte vor Schmerz brüllend zur Seite. Ehe seine Krieger reagierten, verschwand er blitzschnell in den Gängen des Tempels. Blöderweise versperrten ihm die Verfolger jetzt den Weg nach draußen. Es blieb ihm kein anderer Ausweg mehr als die schwarze Tür.

Er betrachtete im Licht der Fackel den Plan und bog in den rechten Gang ein, so wie es auf der Karte stand. Laut Zeichnung sollte sich die Tür nach etwa zehn Metern im Stollen befinden. Er leuchtet in den Tunnel und nach kurzem Zögern schlich er hinein. Dabei lauschte er auf die Geräusche der Verfolger.

Im Geiste zählte er die Schritte mit ... Acht ... Neun ... Zehn! Er blieb stehen, musterte die Wände intensiv. Da war rechts und links nicht die Spur einer Vertiefung zu sehen, geschweige denn eine Tür; die suchenden Finger erspürten keine Rille.

Es polterte hinter ihm und ihm wurde bewusst, dass die Verfolger jeden Moment auftauchten. Trotz der Kälte hier unten, rannen ihm Schweißtropfen den Nacken hinunter. Hastig hielt er die Karte ins Licht der Fackel. Zu seiner Überraschung bewirkte die Hitze der Flamme, dass sich nach einigen Sekunden auf dem Schriftstück eine verborgene, blassblau leuchtende Schrift zeigte.

Er hielt die Flamme nahe an den Plan, damit die Lettern an Schärfe gewannen. Als das Papier zu qualmen begann, erkannte er, dass es Schriftzeichen der alten Sprache Tungumál sind. Er rezitierte, was er da entzifferte: „Opna í nafni Izanami! - Öffne im Namen der Izanami!

Holprig kamen die Wörter aus seinem Mund. Nichts passierte. Nervös wiederholte er den Satz lauter: „Öffne im Namen der Izanami!“ Mittlerweile schwelte der Kartenrand; fluchend versuchte er den Brand zu löschen, aber es gelang ihm nicht. Just in diesem Moment erschienen unter der Zeile die Wörter „fjórum sinnum“.

„Aha, also viermal!“, rief er. Hastig wiederholte er die Hauptzeile noch zweimal, beim letzten Mal schrie er fast. Zu seiner rechten Seite begann ein Teil der Wand zu flimmern. Wenige Augenblicke später erschien die schwarze Pforte, die sich langsam öffnete. Helles Licht drang aus der Öffnung. Er trat einen Schritt dichter heran. Plötzlich spürte er einen starken Sog, der ihn in die offene Tür rein zerrte. Er ließ den brennenden Plan fallen und griff Haltsuchend mit der freien Hand nach dem Türrand.

In diesem Augenblick sprangen mehrere Personen in den Gang hinein. Wut kroch in ihm empor, als er Sato erkannte. Roukoy Issen mit zwei Kriegern und ein weiterer Hohepriester begleiteten ihn. „Also deshalb!“, murmelte er verbissen. Jetzt wusste er, warum ihn die Leibwache erwartet hatte.

„Bleib stehen!“, schrie der Priester und die zwei Soldaten richteten ihre Gewehre auf ihn. Im engen Gang ist es zum sicheren Zielen viel zu dunkel und eben dieser Umstand rettete ihm vorerst das Leben. Wütend schleuderte er die Fackel den Verfolgern entgegen. Verächtlich schrie er Sato an: „Du dreckiger Verräter! Ich werde dich finden und dir deine Seele aus dem Leib reißen!“ Danach ließ er den Türrand los und sprang todesmutig durch die Schwarze Tür.

Sentôki stolperte, vom grellen Licht geblendet und konnte sich gerade noch an einer Säule auffangen. Er drehte sich taumelnd um; die Pupillen stellten sich rasch auf das neue hellere Umfeld ein. Sein Blick fiel auf eine riesige Statue, die eine übergroße, schwarze Männergestalt mit vier Armen und drei Köpfen darstellte. Ist er schon auf Chikyú, der Parallelerde? Es schien so. Jedenfalls besaßen die Schriftzeichen auf der Tafel große Ähnlichkeiten mit seiner Sprache. „Gehorche Hoedhur, dem einzigen wahren Gott!“, entzifferte er.

Bevor er darüber nachdenken konnte, spürte er wieder den Sog der Tür. Die Jäger folgten ihm. Ohne weitere Blicke an die fremde Umgebung zu verschwenden, spurtete er los in Richtung eines Tores, das anscheinend nach draußen führte. An einem schwarzen, riesengroßen Stein vorbei raste er zur Pforte, die von zwei mächtigen Säulen flankiert wurde. Dort sah er Bäume und einen blauen Himmel. Während er durch den Torbogen hetzte, hörte er hinter sich die Flüche der wütenden Verfolger. Er hastete die Stufen einer steilen Treppe hinunter, die in einen weitläufigen Park führte.

In etwa fünfhundert Metern Entfernung grenzte ein dichter Wald an den Park. Sentôki wusste, er hatte nur eine Chance den Jägern zu entgehen, wenn er die Bäume erreichte. Er sprang die letzten Tritte hinab und rannte wie von Furien gehetzt durchs tiefe Gras. Sein Rucksack und das Schwert Okite auf dem Rücken schlugen ihm hart gegen die Schultern. Die Lungen forderten pfeifend mehr Sauerstoff und das Herz in der Brust hämmerte wild. Im Unterbewusstsein registrierte er, dass ringsherum alles unbewohnt, verlassen aussah.

Hinter ihm brüllten wieder die Schergen Jûshoku’s: „Bleib endlich stehen! Du kannst uns ja doch nicht entkommen.“ Bis zu den ersten Büschen fehlten nur noch wenige Schritte „Du schaffst es“, jubilierten seine Sinne und während er die letzten Meter überbrückte, schaute er über die Schulter zurück. Nur noch die beiden Kubi jikken-Krieger verfolgten ihn. In diesem Augenblick blieben sie stehen. Er sah, wie sie mit ihren Gewehren auf ihn anlegten. Dann drückten mehrmals ab.

Eine Kugel durchschlug die linke Hand, eine zweite traf seinen Kopf. Der jähe Schmerz raubte ihm den Atem und tausend Sterne explodierten vor den Augen. Er taumelte herum, da traf ihn die dritte Kugel in die Schulter und schleuderte ihn in einen Busch. Die Zweige minderten den Aufprall, als ob er in ein weiches Bett fiel.

Rasender Schmerz tobte durch den Körper. Im Reflex richtete er sich auf, wollte sich den Gegnern stellen. Dann schwanden ihn die Kräfte. Mit einem Seufzer fiel er mit dem Gesicht vornüber auf den Grasboden neben dem Busch. Vögel wurden vom Knallen der Schüsse aufgeschreckt und verließen zeternd ihren Sitzplatz in den Zweigen.