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Mit besonderem Dank an Janet Bingham

Warten auf Regen

„Tolles Frühstück, Opa“, sagte Ella und häufte sich Speck und Ei auf die Gabel.

Paul, Ellas siebenjähriger Bruder, nickte. Er konnte nicht sprechen, weil sein Mund vollgestopft war.

Opa lächelte verschmitzt. „Cirrus scheint es auch zu schmecken.“

Der braun-weiße Cockerspaniel hatte sich unter dem Tisch versteckt. Ella konnte seine flauschige Schwanzspitze sehen, die jedes Mal wippte, wenn Paul ihm heimlich einen Leckerbissen zusteckte.

Paul grinste. „Ich gebe ihm nur den Rand vom Speck.“

„Aber der ist doch das Beste“, sagte Opa gespielt empört.

Ella sah aus dem Fenster und seufzte. „Es ist so ein schöner Sommertag, aber ich wünschte, es würde regnen“, dachte sie.

Ella und Paul hatten einen geheimnisvollen Regenschirm im Schrank ihres Großvaters entdeckt. Wenn es regnete, zauberte der Regenschirm sie fort und sie erlebten die tollsten Abenteuer. Deshalb wünschte sich Ella, dass es jeden Tag regnete. Allerdings war das in den Sommerferien eher unwahrscheinlich.

Als sie mit dem Frühstück fertig waren, klopfte es an der Tür. „Das ist bestimmt Herr Brown, der dich für das Tennisturnier abholt, Paul“, sagte Opa.

Paul und Cirrus rannten zur Tür. Ella folgte ihnen. An den Wänden in der Eingangshalle hing die Regenschirmsammlung ihres Großvaters. Vom Boden bis zur Decke leuchteten bunte, zusammengefaltete Schirme. Paul öffnete die Tür.

„Hallo, Paul! Hallo, Ella!“, sagten Nina und Ben. Ihr Vater stand hinter ihnen. In der Hand hielt er eine Tasche mit Tennisschlägern.

Die Familie Brown machte im Haus nebenan Ferien. Paul und Ella hatten Nina und Ben erst vor ein paar Tagen kennengelernt, aber Ella hatte das Gefühl, als ob sie sich schon ewig kennen würden. Der magische Regenschirm hatte sie zu viert nach Afrika gezaubert, wo sie ein Zebrababy gerettet und den Brunnen in einem Dorf repariert hatten. Nach so einem Abenteuer waren sie natürlich beste Freunde geworden.

„Bist du bereit, Paul?“, fragte Herr Brown. „Nina glaubt, dass du gewinnen wirst. Willst du auch mitkommen, Ella?“

„Oder willst du mit mir meine Fotos auf Mamas Laptop anschauen?“, fragte Ben. „Ich habe ein paar sehr schöne Bilder gemacht, nachdem wir aus Afr… äh … vom Spielen im Regen gekommen sind.“

Ella nickte. „Die würde ich gerne sehen. Auf das Turnier kann ich auch verzichten.“

„In Ordnung“, sagte Herr Brown. „Hol deine Sachen, Paul.“

Paul und Ella gingen ihre Schuhe anziehen. Sie standen im Esszimmer unter einer Reihe antiker Barometer, die an der Wand hingen. Das polierte Holz der Instrumente glänzte im Sonnenschein, der durch das Fenster fiel. Ihr Großvater hatte die Geräte liebevoll restauriert und sie funktionierten alle einwandfrei.

Paul tippte gegen ein Barometer. Der schwarze Metallzeiger auf dem Ziffernblatt schwang nach links in Richtung des Worts Regen.

„Sieht so aus, als würden Ben und du heute ein neues Abenteuer mit dem magischen Regenschirm erleben“, wisperte er.

Ella lachte überrascht. „Du hast recht! Der Luftdruck fällt. Dann wird es bald regnen!“

Draußen stieg Paul zu Nina in Herrn Browns Auto.

Ella winkte. „Viel Glück beim Turnier!“, rief sie.

„Bringt einen Pokal mit!“, fügte Ben hinzu.

Cirrus saß neben Opas Füßen und beobachtete, wie das Auto davonfuhr. „Armer Cirrus“, sagte Opa. „Ich weiß, dass du Paul am liebsten begleiten würdest. Komm und leiste mir stattdessen Gesellschaft. Ich muss meine Wettertabelle auf den neuesten Stand bringen.“

Ellas und Pauls Großvater war ein pensionierter Meteorologe. Er verbrachte Stunden damit, Wettermessungen zu machen und die Daten in seinen Computer zu tippen.

„Ich bin bei Ben drüben“, sagte Ella. Opa winkte ihr fröhlich zu und ging dann ins Haus.

In diesem Augenblick fuhr Sarah in ihrem alten, klapprigen Postauto vor. Sie schaltete den Motor ab und aus dem Auspuff quoll eine dicke schwarze Rauchwolke.

„Hallo!“, sagte Sarah und stieg aus.

„Oje, ist dein Auto kaputt?“, fragte Ben.

„Nein, nein“, antwortete Sarah. „Es ist nur ein bisschen überhitzt, das arme alte Ding.“

„Es sieht aus wie ein Oldtimer“, meinte Ben. „Kannst du dir kein neues kaufen?“

Sarah machte ein schockiertes Gesicht. „Es ist vielleicht alt, aber ich liebe es. Alte Autos haben einen großartigen Charakter.“ Die Postfrau zwinkerte. „Denkt doch mal, vor hundertfünfzig Jahren mussten die Leute noch zu Fuß gehen oder reiten oder mit dem Fahrrad fahren, wenn sie irgendwohin wollten. Die ersten Autos müssen wie Wundermaschinen gewirkt haben!“

„Wie schön es wäre, wenn alle Menschen Pferde hätten und überallhin reiten könnten“, dachte Ella. „Aber Autos sind natürlich viel schneller. Und praktischer bei Regen.“

Sie verabschiedeten sich von Sarah und gingen nach nebenan. Frau Brown war in der Küche, umgeben von Töpfen, Löffeln und scharfen Messern.

„Hallo, Mama“, sagte Ben. „Was machst du da?“

„Rote-Bete-Rosinen-Suppe“, erwiderte Frau Brown.

Ben steckte sich eine Rosine in den Mund. „Mama schreibt einen Koch-Blog“, erklärte er Ella. „Sie ist auf verrückte Rezepte spezialisiert.“

„Ungewöhnliche Rezepte“, korrigierte Frau Brown ihn und Ben grinste.

„Kann ich deinen Laptop haben, Mama?“, fragte er. „Ich möchte Ella meine neuesten Bilder zeigen.“

„Ja, klar“, antwortete sie.

Ben ging ins Wohnzimmer und setzte sich auf das Sofa. Er schob den Laptop auf seinen Schoß. Ella setzte sich neben ihn und sah zu, wie er die ersten Bilder auf dem Bildschirm öffnete.

„Was ist das?“, fragte sie. „Sieht wie eine Speerspitze aus.“

„Das ist eine Zacke von der Gartenharke“, erklärte Ben.

Auf dem nächsten Bild war eine Art Fenster mit einem Netzvorhang zu sehen. „Etwas, um die Fliegen auszusperren?“, vermutete Ella.

Ben schüttelte den Kopf. „Das ist eine Nahaufnahme vom Filter des Rasenmähers. Was sagst du dazu?“

Ella betrachtete das nächste Foto. Der Gegenstand erinnerte an feine braune Spitze. „Ich habe keine Ahnung!“

„Das ist das Skelett eines Blatts“, erklärte Ben. „Man sieht die einzelnen Adern, wenn der Rest des Blatts verfault ist.“

Ella schüttelte erstaunt den Kopf. „Du hast ein gutes Auge für Details, Ben.“

Bens Wangen röteten sich. „Ich gucke mir Dinge gern ganz aus der Nähe an. Es macht Spaß zu überlegen, wie sie funktionieren.“

Ella lächelte. „Ich auch. Es war toll, wie du die Windmühle in Afrika repariert hast.“

„Ich will so eine irgendwann mal nachbauen“, sagte Ben. Er sah Ella mit strahlenden Augen an. „Sind wir wirklich in Afrika gewesen?“

Ella nickte. „Der magische Regenschirm ist einfach spitze! Paul und ich haben beschlossen, Opa nichts davon zu erzählen.“

„Es ist unser Geheimnis“, stimmte Ben zu. „Das werden die besten Ferien aller Zeiten!“

Ella blickte aus dem Fenster. Dicke graue Wolken erschienen am Himmel. Sie drehte sich grinsend zu Ben um. „Es wird noch besser, komm!“