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Rainer M. Schröder

Sir Francis Drake

Pirat der Sieben Meere

Roman

hockebooks

32.

Dunkelheit lag über der Bucht von Port Saint Julian. Am wolkenverhangenen Nachthimmel waren weder Mond noch Sterne zu erkennen. Ein kühler Wind aus Nordost kam von See her und hatte die Männer unter Deck getrieben. Wasser klatschte gegen die Schiffsrümpfe und gurgelte um die Ankerketten. Das Gelächter der Matrosen drang aus dem Zwischendeck der Pelican nach draußen.

Thomas Doughty zog seinen Umhang enger um die Schultern, als er aus dem Niedergang an Deck trat. Er schwang sich an Steuerbord über die Reling und kletterte in das Beiboot hinunter, das ihn zur Marigold bringen sollte. Es war nicht ungewöhnlich, dass die Männer sich gegenseitig besuchten. Weshalb sollte er nicht zur Marigold hinüber rudern dürfen, wenn er sich in seiner Kabine an Bord der Pelican langweilte? Es konnte ja niemand wissen, was er dort mit Richard Cook besprechen wollte.

Er bemerkte die drei Gestalten nicht, die hinter dem Steuerbordschanzkleid auftauchten und ihn nicht aus den Augen ließen, während er zur Marigold pullte, die nur eine viertel Kabellänge vom Flaggschiff entfernt ankerte.

»Liegt das Boot für uns bereit?«, fragte Francis Drake leise, als Thomas Doughty nur noch schemenhaft zu erkennen war.

»Das Boot liegt an Backbord.«

»Gut«, sagte Francis Drake. »Wir warten noch einen Augenblick.«

Francis Drake, Chris Mitchell und John Brewer lauschten angestrengt in die Dunkelheit. Thomas Doughty war kein Seemann und hatte wenig Übung im Pullen. Jedes Mal, wenn er die Riemen ins Wasser eintauchte, gab es ein klatschendes Geräusch. Und wenn er die Riemen durchzog, plätscherte es deutlich. In der Stille der Nacht war das gut zu hören.

Dann hörten sie einen dumpfen Laut.

»Ich glaube, er hat angelegt«, brach John Brewer das Schweigen.

»Dann wollen wir jetzt rüber rudern«, sagte Francis Drake. Er trug an seinem Gürtel Schwert und Dolch. Auch Chris Mitchell und John Brewer waren bewaffnet. Zudem war John Thomas, der Kapitän der Marigold, informiert. Er und seine Mannschaft standen vorbehaltlos zu dem wahren Ziel der Expedition. Francis Drake hatte nichts dem Zufall überlassen.

Mitchell und Brewer pullten das kleine Boot zur Bark hinüber und vertäuten es neben dem Boot, mit dem Thomas Doughty herübergekommen war.

John Thomas erwartete sie schon.

»Wo ist Doughty?«, fragte Francis Drake, kaum dass er auf Deck stand.

John Thomas wies zum Achterschiff. »Bei Richard Cook in der Kajüte.«

Sie begaben sich nach achtern. John Thomas ging voraus und blieb schließlich vor einer schmalen Tür stehen.

Francis Drake nickte und lockerte unwillkürlich den Dolch in der Scheide. Gedämpfte Stimmen drangen zu ihnen in den Gang. Wortfetzen waren zu verstehen.

»… es gibt keinen anderen Weg! Er führt uns ins Verderben. Nicht nur uns, sondern auch ganz England. Es ist reinster Wahnwitz, was er plant!«

Kein Zweifel, das war Thomas Doughtys Stimme.

Thomas Doughty hatte sich offensichtlich in Rage geredet, deshalb konnte man ihn einigermaßen gut verstehen. Richard Cook dagegen blieb besonnen und auch gedämpft im Ton. Seine Antwort war im Gang kaum zu verstehen. Francis Drake und Kapitän Thomas schnappten nur gelegentlich Wortfetzen auf.

»… sehr gut überlegen … immerhin im Auftrag der Königin … ein erfahrener Kapitän«, hörten sie ihn sagen.

»Ich bin nicht der Einzige, der die Überzeugung vertritt, dass diese Expedition aufgehalten werden muss, bevor sie sich zu einer nationalen Katastrophe entwickelt«, erwiderte Thomas Doughty beschwörend. »Männer, die am königlichen Hofe höchste Ämter bekleiden, halten dies Unternehmen für eine ungeheure Gefahr!«

Offenbar hatte Richard Cook die letzte Behauptung bezweifelt, denn Thomas Doughty versicherte: »Ich gebe dir mein Wort als Gentleman, dass es sich so verhält. Es ist im Sinne Englands, wenn wir uns mit aller Härte gegen Francis Drake und das Ziel seiner Expedition stellen. Du wirst uns doch nicht im Stich lassen, oder?«

Einen Augenblick herrschte Schweigen.

Francis Drake hielt den Atem an. Er hoffte, dass sich Richard Cook auch weiterhin neutral verhielt. Auf diese Weise würde er als Zeuge bei einem Prozess aussagen und Thomas Doughty belasten können.

Wie entschied sich Cook? Seine Worte waren nicht zu verstehen.

»Du musst mich falsch verstanden haben, Richard!«, brauste Thomas Doughty nun auf. »Das ist nicht nur ein Gedanke, sondern ein reiflich überlegter Plan, den ich schon bald in die Tat umsetzen werde. Und niemand wird mich daran hindern können.«

»Das werden wir ja sehen«, murmelte Francis Drake.

»Deshalb rate ich dir«, fuhr Thomas Doughty mit drohendem Unterton fort, »dich aus der Sache herauszuhalten, wenn du schon nicht bereit bist, mich aktiv zu unterstützen.«

»Das reicht«, raunte Francis Drake dem Kapitän der Marigold zu. »Haben Sie alles mitbekommen, was Doughty gesagt hat? Ist Ihnen klar, was seine Worte bedeuten?«

John Thomas nickte knapp. »Meuterei.«

»Vergessen Sie das nicht!«, knurrte Francis Drake und stieß die Tür zu Richard Cooks Kajüte mit einer heftigen Bewegung auf. Die beiden Männer fuhren erschrocken herum.

»Sie?«, stieß Richard Cook verständnislos hervor.

»Ich hoffe, ich störe nicht, Gentlemen!«, sagte Francis Drake mit beißendem Spott und deutete eine Verbeugung an. Dabei ließ er Thomas Doughty nicht aus den Augen.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Thomas Doughty und bemühte sich, sein Erschrecken hinter einer Maske von Arroganz zu verbergen.

»Das wissen Sie sehr wohl, Doughty!«, stieß Francis Drake hervor. »Sie haben den Bogen überzogen und mich schändlichst hintergangen. Aber Sie waren nicht geschickt genug, mein Freund. Das wird Ihnen den Kopf kosten.«

»Was reden Sie bloß für einen Unsinn!«, empörte sich Thomas Doughty und bemühte sich, die Fassung zu wahren. »Ich verlange auf der Stelle eine Erklärung für Ihr beleidigendes Verhalten! Sie haben es nicht mit irgendeinem Ihrer dreckigen Matrosen zu tun, vergessen Sie das nicht!«

Francis Drake bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick und verschränkte die Arme vor der Brust. Er war sich seiner Sache nun völlig sicher und kostete seinen Triumph aus.

»Geben Sie sich keine Mühe, Doughty«, sagte er abfällig. »Sie erreichen mit Ihrem scheinheiligen Gewäsch ja doch nichts. Das Spiel ist vorbei. Aus Ihrer Meuterei wird nichts.«

Der Höfling wurde blass und stand einen Augenblick wie erstarrt. Er begriff, dass sein Plan gescheitert war. Unwillkürlich zuckte seine Rechte zum Dolch hinunter. Er wollte die gefährliche Waffe aus der Scheide reißen.

Doch Kapitän Thomas schlug die Hand des Höflings mit einem wuchtigen Hieb zur Seite und entwaffnete ihn, bevor er wusste, wie ihm geschah.

»Chris!«, rief Francis Drake über seine Schulter. »Fessel ihm die Hände, und führt ihn ab.«

Thomas Doughty leistete keinen Widerstand. Sein Gesicht wurde aschfahl. Er war intelligent genug, um zu wissen, was ihm bevorstand. Sein Ehrgefühl verbot es ihm, um Gnade zu bitten.

»Kapitän Thomas, Sie sind mir dafür verantwortlich, dass der Gefangene weder die Flucht ergreifen noch selbst Hand an sich legen kann«, sagte Francis Drake mit Nachdruck. »Ich verlasse mich dabei ganz auf Sie.«

»Das können Sie auch«, erwiderte John Thomas und fragte, als Doughty abgeführt worden war: »Was geschieht mit ihm?«

»Ich werde ihm den Prozess machen – hier in Port Saint Julian!«, erklärte Francis Drake mit schneidender Schärfe. »Genauso wie Magellan es getan hat. Doughty wird sich wegen versuchter Meuterei zu verantworten haben und dafür seine gerechte Strafe bekommen!«

33.

Der spektakuläre Prozess gegen Thomas Doughty fand zwei Tage später, am 30. Juni 1578, statt. Auf Befehl des Generalkapitäns Francis Drake hatten sich die Mannschaften der Schiffe am Ufer der felsigen Insel versammelt, um der öffentlichen Gerichtsverhandlung beizuwohnen. Die vierzig ranghöchsten Männer der Flotte fungierten bei diesem Prozess als Richter.

Francis Drake ging auf Nummer sicher und bot nicht weniger als neunundzwanzig Zeugen auf, die Doughty des Verrats und der versuchten Meuterei beschuldigten. Am stärksten wurde er von John Brewer, John Thomas und von einem Schiffszimmermann namens Edward Bright belastet – sowie von Francis Drake selbst.

»Nur ein Gericht Ihrer Königlichen Majestät kann und darf mich zur Rechenschaft ziehen,« protestierte Thomas Doughty.

»O nein!«, widersprach Francis Drake heftig. »England ist weit. Und niemand weiß, wie lange wir noch fern der Heimat sein werden. Als Generalkapitän dieser Flotte habe ich das Recht und die Pflicht, in besonders schwerwiegenden Fällen, die eine sofortige Entscheidung verlangen, ein Gericht einzuberufen. Und dies ist ein solcher Fall!«

Als Thomas Doughty erkannte, dass er den Prozess nicht verhindern konnte, bemühte er sich, die Vorwürfe zu entkräften. In vielen Fällen gelang es ihm auch, die Zeugenaussagen als unglaubwürdig darzustellen.

Aber Francis Drake war nicht gewillt, Doughty auch nur die geringste Chance zu geben. Es ging ihm überhaupt nicht darum, Doughty Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Er war entschlossen, sich des gefährlichen Widersachers hier in Port Saint Julian ein für allemal zu entledigen. Es nützte auch nichts, wenn Thomas Doughty für den Rest der Reise gefesselt unter Arrest gehalten wurde. Doughty musste sterben.

Francis Drake war ein ausgezeichneter, ja, geradezu brillanter Redner, der es verstand, bei Richtern und Mannschaften den Eindruck zu erwecken, Thomas Doughty habe sich schon vor Beginn der Reise mit Lord Burghley gegen ihn, Francis Drake, verschworen.

»Wir alle wissen, dass Lord Burghley ein erklärter Gegner jeglicher Aktionen ist, die sich gegen die Spanier richten!«, wetterte Francis Drake. »Die Königin selbst, die mich mit dieser für England so wichtigen Mission beauftragt hat, wusste schon, weshalb sie auf strengster Geheimhaltung bestand. Lord Burghley durfte nichts von dieser Expedition erfahren. Das war auch Thomas Doughty bekannt. Doch was hat Doughty vor wenigen Augenblicken hier vor dem versammelten Gericht ausgesagt, Gentlemen? Ich habe es noch genau in meinem Ohr!« Francis Drake machte eine dramatische Pause und sagte dann mit erhobener, anklagender Stimme: »Er hat ausgesagt, dass er höchstpersönlich Lord Burghley von Ziel und Zweck dieser Expedition unterrichtet habe – gegen die Order unserer Königin. Allein das ist schon Hochverrat, auf den die Todesstrafe steht!«

Thomas Doughty hatte diese Aussage wirklich gemacht. Und es nützte ihm nun gar nichts mehr, dass er versuchte, die Folgerung, die Francis Drake daraus schloss, für unsinnig zu erklären.

Und Drake zog die Schlinge immer enger. Er ließ den Schiffszimmermann Edward Bright vor das Gericht kommen. Der Zimmermann sagte unter Eid aus, Thomas Doughty schon in Plymouth von Verschwörung habe reden hören.

»Bis zu diesem Tag hatte ich jedoch nicht daran glauben wollen«, beschloss Edward Bright seine Aussage, die Thomas Doughty den Todesstoß versetzte.

Obwohl das Gericht noch mehrere Stunden am Ufer der Insel tagte, war der Prozess zu diesem Zeitpunkt schon entschieden. Schließlich trat die vierzigköpfige Jury zusammen und fällte nach kurzer Beratung das Urteil.

John Winter, Kapitän der Elizabeth und Sprecher der Jury, verkündete schließlich das Urteil: »Die Jury erklärt Thomas Doughty in allen Anklagepunkten für schuldig. Im Namen Ihrer Majestät Königin Elizabeth I. von England verurteilen wir den Angeklagten zum Tode durch das Schwert des Scharfrichters!«

Beklemmende Stille folgte dem Urteilsspruch.

Thomas Doughty zuckte nicht einmal mit der Wimper. Der Verlauf des Prozesses hatte ihm jegliche Illusionen genommen, und er hatte mit dem Todesurteil gerechnet.

Auch das Gesicht von Francis Drake zeigte nach außen hin keinerlei Gefühlsregung. Nur Chris Mitchell bemerkte das kurze triumphierende Aufblitzen in den Augen des Generalkapitäns. Er hatte sein Ziel erreicht: sein gefährlichster Widersacher war endgültig ausgeschaltet. Chris Mitchell wurde das bedrückende Gefühl nicht los, dass Francis Drake so manche Zeugenaussage vorher zu seinem eigenen Vorteil erheblich beeinflusst hatte.

Wenngleich Thomas Doughty auch das harte Urteil wie ein echter Gentleman annahm, war sein Überlebenswille doch stark genug, um Francis Drake und die Richterjury um Gnade zu bitten. Er bat, nicht hingerichtet, sondern an der Küste von Peru ausgesetzt zu werden.

Francis Drake schlug ihm das rundweg ab.

Zwei Tage später fand die Hinrichtung statt. Oberhalb der Zelte hoben eine Handvoll Matrosen ein Grab aus und stießen dabei auf einen großen Mühlstein, der in zwei Teile zerbrochen war. Vermutlich stammte er noch aus Magellans Zeiten. Francis Drake ordnete an, den Mühlstein als Grabstein zu verwenden.

Auf Wunsch des zum Tode Verurteilten zelebrierte Francis Fletcher, der Prediger und Pfarrer der Flotte, das heilige Abendmahl vor der Hinrichtung.

Schließlich war es so weit.

Thomas Doughty wurde zur Hinrichtungsstätte geführt. Der schwere Holzblock stand bereit. Und der Scharfrichter wartete mit dem Schwert, dessen Klinge fast so breit war wie die einer Axt.

Thomas Doughty war aschfahl im Gesicht und schluckte schwer, als er das Schwert sah. Er bewahrte jedoch die Fassung. Der Tod, der ihm bevorstand, würde schnell eintreten und war eines Gentlemans würdig. Das Gericht hätte ihn auch zum Tode durch den Strang verurteilen können. Doch um einem solch entehrenden Urteil zuvorzukommen, hatte Thomas Doughty während des Prozesses keinen Hehl daraus gemacht, dass das Hängen an der Rah nur etwas für Seeleute und Hunde war. Zum Glück hatten sich die Richter seiner Meinung angeschlossen.

Francis Fletcher murmelte ein letztes Gebet. Thomas Doughty kniete vor dem Holzblock nieder und entblößte seinen Nacken. Er war plötzlich ganz ruhig.

»Sieh zu, dass du auch gut triffst!«, rief er dem Scharfrichter mit spöttischer Stimme zu. »Ich habe einen kurzen Hals! …Gott schütze die Königin!« In Erwartung des Schlages schloss er die Augen.

Fragend blickte der Scharfrichter zu Francis Drake hinüber. Dieser nickte knapp. Der Scharfrichter packte das Schwert mit beiden Händen, holte weit aus und ließ es auf den entblößten Nacken von Thomas Doughty hinuntersausen. Der Kopf rollte über den Rand des Holzblockes und fiel in den Sand.

Die versammelten Mannschaften, Offiziere und Reisebegleiter starrten wie gelähmt auf den enthaupteten Körper von Thomas Doughty. Es war ein grausiges Bild.

Francis Drake schritt auf den Richtblock zu, beugte sich hinunter und ergriff den blutenden Kopf an den Haaren. Er hielt ihn für alle gut sichtbar in die Höhe und rief mit klarer, warnender Stimme: »So enden Verräter!«

34.

Die Hinrichtung des meuternden Höflings verfehlte ihre Wirkung nicht. Francis Drake hatte bewiesen, dass er willens und auch in der Lage war, seine Macht als Generalkapitän zu behaupten. Niemand wagte es von nun an, sich Francis Drake in den Weg zu stellen und seine Entscheidungsgewalt anzuzweifeln. Dass er sich mit dieser Hinrichtung auch zahlreiche Feinde gemacht hatte, ließ ihn kalt.

»Es ist mir gleichgültig, was sie heute von mir halten«, sagte Francis Drake, als Chris Mitchell ihn daraufhin ansprach. »Der Erfolg wird mir letztlich recht geben.«

Am 17. August 1578 verließ die Expeditionsflotte, jetzt nur noch aus drei Schiffen bestehend, Port Saint Julian und nahm Kurs auf die Magellan-Straße, deren Einfahrt sie drei Tage später erreichte.

Schon aus vier Seemeilen Entfernung konnte man die erschreckend steilen, schwarzgrauen Klippen erkennen, die nahe der Einfahrt ins Meer hinausragten. Capo Virgin Maria hatten die Spanier diese vorspringenden Felsen genannt, gegen die die unruhige See donnerte, dass die Gischt hoch in den fahlen Himmel spritzte.

Francis Drake hielt in Sichtweite des Kaps einen Gottesdienst ab und änderte den Namen seines Flaggschiffes in Gedanken an seinen Gönner und Freund, Sir Christopher Hatton, in Golden Hind um. Sir Hatton führte in seinem Wappen nämlich eine goldene Hindin, eine Hirschkuh. Dann fuhr die kleine Flotte in die Magellanstraße ein.

Wieder kam Sturm auf. Das Labyrinth der engen Wasserstraßen brachte die englischen Schiffe mehr als einmal in ernsthafte Gefahr. Mehrmals drohten die Schiffe an den felsigen Ufern der Magellanstraße zu zerschellen. Eisige Winde fegten über die Decks, und so mancher Matrose und Reisebegleiter wünschte im geheimen: »Hätte Thomas Doughty doch mit seiner Verschwörung Erfolg gehabt!«

Die Flotte brauchte sechzehn Tage, um durch die 150 Seemeilen lange Magellanstraße ins Südmeer zu gelangen. Am 6. September hatten sie es endlich geschafft – vor ihnen lag der Pazifik, den man damals noch Südmeer nannte.

Francis Drake hatte geplant, am pazifischen Ende der Magellanstraße an Land zu gehen und einen Dankgottesdienst abzuhalten, doch das Wetter vereitelte diese Absicht. Die böigen Winde wuchsen zu einem wilden Sturm an, der die Schiffe weit nach Süden trieb. Nach acht Tagen, als der Sturm noch nichts von seiner Heftigkeit verloren hatte, verfinsterte sich zu allem Unglück auch noch der Mond. Die abergläubischen Seeleute nahmen das als böses Omen.

Hilflos waren die drei Schiffe dem grausamen Spiel der Naturkräfte ausgeliefert. Kaum einer wagte noch zu hoffen, diesem tosenden Inferno jemals zu entkommen. Stündlich konnte die aufgepeitschte See sie verschlingen.

»Wir werden immer weiter nach Süden getrieben«, meldete Chris Mitchell mit vor Erschöpfung heiserer Stimme am dreiundzwanzigsten Sturmtag. »Wir sind längst über Feuerland hinaus, Francis. Es ist ein Wunder, dass wir noch nicht auf dem Grund der See liegen. Die Männer sind kaum noch in der Lage, ein Tau zu belegen.«

Eine gewaltige Hecksee leckte am Achterkastell hoch und klatschte gegen die Fenster der Kapitänskajüte, die mit Brettern zugenagelt waren. Dennoch drang Wasser durch die Ritzen. Auf dem Schiff gab es nicht eine trockene Stelle mehr.

Francis Drake wischte sich eine nasse Haarsträhne aus der Stirn. Sein Gesicht war eingefallen und von fahler Blässe. Die Strapazen hatten auch ihn gezeichnet, doch seine Energie und der Glaube an den Erfolg seiner Mission waren ungebrochen.

»Dieser Sturm hat auch sein Gutes«, sagte Francis Drake.

Chris Mitchell sank müde auf die Holzbank. »Ich kann dem Sturm nichts Gutes abgewinnen, Francis«, knurrte er und sehnte sich nach einer trockenen Koje und ein paar Stunden Schlaf.

»Wir wissen jetzt wenigstens, dass die Gelehrten sich geirrt haben«, erklärte Francis Drake und ignorierte das Heulen des Sturms in der Takelage. »Es gibt hier keinen neuen, unbekannten Kontinent. Die Terra Australis Incognita können wir vergessen. Hier ist nichts als unendliche Wasserwüste.«

Chris Mitchell betrachtete den Generalkapitän mit halb bewunderndem, halb verständnislosem Ausdruck. »Wir können jeden Augenblick elendig absaufen, und du machst dir Gedanken über diesen verdammten Kontinent? Hier geht es um unseren Kopf, Francis!«

»Nicht nur darum«, erwiderte Francis Drake gelassen.

»Der nächste Brecher kann die Golden Hind in die Tiefe reißen, aber dich scheint das völlig kalt zu lassen. Manchmal machst du sogar mir Angst. Hast du denn überhaupt keine Gefühle?«

»Alles zu seiner Zeit«, lautete Drakes kühle Antwort.

In derselben Nacht, es war der 30. September, steigerte sich der Sturm zu einem Orkan. Francis Drake harrte auf dem Achterdeck aus, durch eine Leine gesichert. Seine Kleider waren klitschnass, die Haare vom Salzwasser verkrustet.

Die Kommandos des Generalkapitäns gellten über das Deck. Mühsam richtete sich das Schiff nach jedem schweren Brecher wieder auf und ging den nächsten Wellenberg an.

Wenige Stunden vor Einbruch der Dunkelheit war die von John Thomas befehligte Bark Marigold an Backbord aus einer grauen Wand von Gischt und Regenschauer aufgetaucht. Jetzt sah man die Bark nur dann und wann einmal als tiefschwarzen Schatten.

In dieser Nacht ereilte die Marigold ihr schreckliches Schicksal. Sie hatte schon vor Tagen alle Masten verloren. Und nun zertrümmerte ein gewaltiger Brecher auch noch ihr Ruder. Damit war sie in dieser Hölle verloren. Die Schreie der Besatzungsmitglieder drangen bis zur Golden Hind hinüber, als die Bark Schlagseite bekam und ihr Untergang nicht mehr abzuwenden war.

»Können wir ihnen nicht helfen?« Chris Mitchell umklammerte die Backbordreling auf dem Achterdeck und starrte mit zusammengekniffenen Augen zu jener Stelle in der wasserdurchtränkten Dunkelheit, wo die Männer der Marigold verzweifelt um ihr Leben kämpften.

»Wir sind noch nicht einmal in der Lage, uns selbst zu helfen, geschweige denn den Männern auf der Marigold«, gab Francis Drake zur Antwort. »Die meisten unserer Leute sind schwer erkrankt, und der Rest ist kaum dazu fähig, unser Schiff vor den schlimmsten Schlägen des Orkans zu schützen. Hier ist jeder auf sich gestellt …«

»Gott sei ihrer Seele gnädig«, murmelte Chris Mitchell, als die Schreie verstummten. Die Wogen hatten die Bark für immer verschlungen. Und er fragte sich, wann die Golden Hind ihr in das nasse Grab folgen würde. Viel fehlte wahrlich nicht. Sie hatten den Fockmast verloren und einen Anker. Das Schiff leckte zudem derart, dass die wenigen Männer, die noch einigermaßen bei Kräften waren, unermüdlich an den Pumpen standen.

Francis Drake wusste, dass die Golden Hind verloren war, wenn die Seeleute die Hoffnung auf Rettung aufgaben und den Kampf gegen die See als sinnlose Anstrengung betrachteten. Deshalb hielt er sich so oft wie möglich oben auf Deck auf und sprach ihnen Mut zu.

»Jeder Sturm nimmt einmal ein Ende! Sollen alle Strapazen und Opfer sinnlos gewesen sein?«, redete er auf sie ein und riss sie aus ihrer gefährlichen Resignation. »Wir haben es bis ins Südmeer geschafft. Unermessliche Schätze liegen vor uns. Wir müssen jetzt nur durchhalten. Wir sind die ersten Engländer, die die Magellanstraße passierten. Wir dürfen nicht aufgeben, denn Gott ist mit uns! Wir haben eine heilige Mission zu erfüllen!«

Nach zweiundfünfzig endlos langen, zermürbenden Tagen flaute der Sturm endlich ab, die windgepeitschten Wogen glätteten sich und der Himmel spannte sich wieder klar und hell über dem pazifischen Ozean.

»Die Expedition ist gescheitert! … Francis Drake ist tot! … Die Golden Hind ist im Orkan mit Mann und Maus untergegangen! … Drake hat einfach zu viel gewagt und alles verloren!«

Diese erschütternde Nachricht brachte Kapitän John Winter, der das Kommando über die Elizabeth geführt hatte, nach England und begrub damit die Hoffnungen und Wünsche zahlreicher Leute, die Geld in das Unternehmen gesteckt hatten. Anfang Oktober verlor John Winter ungefähr auf der Höhe des 57. Breitengrades Francis Drakes Flaggschiff, die Golden Hind, aus den Augen. Nachdem sich der Sturm gelegt hatte, trat John Winter die Heimreise an und segelte zurück durch die Magellanstraße. Er erreichte England am 2. Juli des folgenden Jahres. Er berichtete von Thomas Doughtys Hinrichtung und versäumte es dabei selbstverständlich nicht, sich selbst in gutes Licht zu setzen.

Wer hätte ihm auch widersprechen können, da außer ihm und der Besatzung der Elizabeth scheinbar niemand sonst die Expedition überlebt hatte?

35.

John Winter war mit seiner Nachricht ein wenig zu voreilig gewesen. Die Golden Hind war nicht gesunken, und Francis Drake fühlte sich wie neugeboren, als sich das Wetter besserte und er endlich Kurs auf die Küste Perus nehmen konnte.

Schon wenige Wochen nach dem entsetzlichen Sturm, es war der 6. Dezember, unternahm Francis Drake mit seinen Leuten den ersten großen Überfall auf eine der spanischen Siedlungen. Ein indianischer Lotse, den die Engländer Tage zuvor an Bord genommen hatten, führte sie in den Hafen Valparaiso (heute der Hafen von Santiago/Chile).

Unter gerefften Segeln lief die Golden Hind im Hafen ein. Eine bauchige spanische Galeone lag in der Bucht vor Anker.

»Irgendwie ist mir unheimlich zumute«, sagte Chris Mitchell, als sie sich dem feindlichen Schiff näherten. »Wir riskieren eine Menge.«

Francis Drake lachte siegesgewiss. »Gar nichts riskieren wir, Chris. Es ist so, als würden wir uns mitten im Palast des spanischen Königs befinden. Die hochnäsigen Spanier sind fest davon überzeugt, dass es keinem Engländer gelingen kann, in das von ihnen beherrschte Südmeer einzudringen. Deshalb haben sie bestimmt nicht die geringsten Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Wahrscheinlich werden die Leute die Golden Hind für ein spanisches Schiff halten.«

»Und wenn nicht?«

»Unser Schiff ist klar zum Gefecht«, antwortete Francis Drake gelassen, und sein Blick wanderte über das Deck. Die Männer kauerten mit Entermessern, schussbereiten Musketen und Schwertern hinter dem Schanzkleid. Die Geschütze waren geladen und auf die Galeonen gerichtet. Was konnte da schon schiefgehen?

»Wenn die Spanier Verdacht schöpften, läge ihr Schiff bestimmt nicht mit nackten Masten und geschlossenen Geschützpforten vor Anker«, fügte Francis Drake hinzu. »Du kannst sicher sein, dass die Burschen dort drüben völlig ahnungslos sind. Bevor sie begriffen haben, wie ihnen geschieht, werden wir die Galeone in unsere Gewalt gebracht haben.«

»Vermutlich hast du mal wieder recht«, bemerkte Chris Mitchell. »Es will mir nur nicht in den Kopf, dass wir es so leicht haben sollen.«

»Dafür haben wir es die letzten Monate ja auch, weiß Gott, schwer genug gehabt«, erwiderte Francis Drake und gab den Befehl, die Segel noch mehr zu reffen.

Trommelwirbel drangen auf einmal über das Wasser.

Chris Mitchell starrte angestrengt zur spanischen Galeone hinüber und brach dann in schallendes Gelächter aus. »Es ist kaum zu glauben, aber die Spanier begrüßen uns sogar mit Trommelwirbel! Wenn die wüssten …«

Nur drei Kabellängen trennten die beiden Schiffe. Die Golden Hind glitt mit achterlichem Wind auf die spanische Galeone zu. Francis Drake wartete noch einen Augenblick, bevor er den Befehl zum Beidrehen gab. Auf sein Kommando hin legte der Rudergänger das Ruder hart nach Backbord, und das Schiff beschrieb eine scharfe Halse. Die Segel killten, als sich die Golden Hind in den Wind drehte und sich nun auf gleicher Höhe mit der spanischen Galeone befand. Noch nicht einmal drei Meter lagen zwischen beiden Schiffen.

»Enterkommando vor!«, rief Francis Drake.

Zwei Dutzend Männer sprangen hinter dem Schanzkleid hervor und schleuderten ihre Enterhaken, die sich in der Takelage und hinter der Reling der Galeone verfingen. Kurz darauf krachte die Golden Hind gegen die bauchige Galeone, und im gleichen Augenblick sprangen die englischen Freibeuter auf das feindliche Schiff hinüber, das Schwert in der Rechten und eine Muskete in der Linken, bereit, jeglichen Widerstand mit Waffengewalt zu brechen.

Die wenigen Spanier jedoch, die sich auf der Galeone befanden und zur Begrüßung der »Landsleute« auf Deck angetreten waren und sogar einen Krug mit chilenischem Wein bereithielten, dachten überhaupt nicht an Widerstand.

Zuerst hatten sie das schnittige Segelmanöver der Golden Hind verständnislos beobachtet und sich gefragt, weshalb das einlaufende Schiff kein Beiboot zu Wasser ließ, um an Bord der Galeone zu kommen. Und dann waren sie vor Entsetzen erstarrt, als die Enterhaken flogen und die bis an die Zähne bewaffneten Männer aus den Wanten der Golden Hind auf die Galeone hinübersprangen.

»Engländer!«, schrie einer der Spanier, und seine Stimme überschlug sich.

Der spanische Lotse ließ vor Schreck den Weinkrug fallen. Alle anderen Matrosen flüchteten hinunter in den Laderaum, doch der Lotse blieb an Deck zurück. In einer Reflexbewegung griff er nach seinem Kurzschwert.

Doch in diesem Moment war der Zimmermann Tom Moone schon bei ihm. Er schlug dem Spanier die Faust ins Gesicht und brüllte ihn in der Sprache des Lotsen an: »Nieder mit dir, du Hund!« Zitternd vor Todesangst sank der Lotse auf die Knie.

»Da versucht jemand zu fliehen!«, schrie Francis Drake, als er eine Gestalt bemerkte, die am Großmast vorbeihuschte und zum Achterkastell hochsprang.

Vier Engländer nahmen sofort die Verfolgung auf, vermochten den Flüchtenden jedoch nicht mehr einzuholen. Beherzt sprang der Spanier über das Schanzkleid und schwamm dem Ufer entgegen.

Francis Drake unterdrückte einen Fluch. »Der Bursche wird die Bevölkerung warnen. Aber wir werden ihnen nicht genug Zeit lassen, um alle Schätze vergraben oder aus der Stadt bringen zu können. Verschließt die Ladeluke!«, befahl er. »Und dann lasst das spanische Beiboot und unser eigenes zu Wasser. Wenn wir uns nur beeilen, gibt es in der Stadt noch genügend wertvolle Beutel.«

In Windeseile wurden die beiden Boote zu Wasser gelassen und bemannt. Die Männer trieben die Boote mit schnellem Riemenschlag über die Bucht ans Ufer.

Mit schussbereiten Musketen und blankgezogenen Schwertern stürmte Francis Drake mit zwei Dutzend Männern in die Stadt. Doch schon nach wenigen Minuten war klar, dass die Bewohner bereits in panischer Angst geflohen waren.

»Ich gebe die Stadt zur Plünderung frei!«, verkündete Francis Drake.

Das war ganz nach dem Geschmack der englischen Freibeuter. Monatelang hatten sie auf solch eine Gelegenheit gewartet. Jetzt stürmten sie in die Häuser, schlugen Türen und Fenster mit dem Enterbeil ein und plünderten nach Herzenslust.

Francis Drake stand seinen Männern in nichts nach. Er ließ seinem Hass gegen die katholische Kirche freien Lauf und plünderte die Kapelle der Stadt. Er erbeutete einen silbernen Kelch, zwei silberne Gefäße und eine kostbare Altardecke. Anschließend brach er mit seinen Gefährten ein Lagerhaus auf.

Als Francis Drake nach einigen Stunden wieder auf die gekaperte Galeone zurückkehrte, eilte ihm Chris Mitchell, der auf der Prise zurückgeblieben war, mit einer freudigen Nachricht entgegen.

»Wir haben Gold unten im Laderaum gefunden!«, rief er begeistert.

»Wie viel?«

»Vierhundert Pfund!« Chris Mitchell lachte übermütig und strahlte vor Freude über das ganze Gesicht.

»Das ist ein recht guter Anfang«, sagte Francis Drake gelassen und nur mit dem Anflug eines zufriedenen Lächelns.

»Anfang?« Chris Mitchell verzog das Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. »Vierhundert Pfund bestes Gold! Das ist ein Vermögen, Francis. Die Barren bringen uns mindestens 40 000 Dukaten. Und dabei haben wir noch nicht einmal einen einzigen Schuss abgeben müssen.«

»Nun beruhige dich, Chris. Du hast ja recht, wir können wahrlich zufrieden sein. Aber gegen das, was uns noch an Schätzen auf dieser Seite des Kontinents erwartet, sind diese vierhundert Pfund nicht mehr als ein schäbiges Trinkgeld. Wir werden den Papisten eine Lehre erteilen, die sie nie vergessen werden. Und glaube mir, Valparaiso stellt nur den sehr bescheidenen Anfang dar!«

36.

Francis Drakes scheinbar überhebliche Voraussage erfüllte sich wirklich. Auf der Suche nach Trinkwasser gelangten die englischen Freibeuter wenige Wochen nach dem erfolgreichen Überfall auf Valparaiso zu einem Ort namens Tarapaca. Ein Erkundungstrupp, der an Land nach einer Wasserstelle suchen sollte, stieß in Sichtweite der kleinen Ansiedlung auf einen Spanier, der ausgestreckt im Gras lag und schlief.

Es war Tom Moone, der die Silberbarren neben dem Schlafenden entdeckte. »Seht mal da!«, rief er mit gedämpfter Stimme und hob einen der Barren hoch. »Der Kerl muss sich ja verteufelt sicher fühlen, dass er das Silber einfach so unbewacht liegen lässt.«

»Wer sollte es ihm auch stehlen?«, fragte der spindeldürre Jo Rance verschmitzt.

»Wir«, erwiderte Tom Moone mit breitem Grinsen.

»Aber das kann der doch nicht wissen«, sagte Jo Rance und kratzte sich am Hinterkopf. »Was meint ihr, sollen wir ihn aufwecken und uns vorstellen?«

»Weshalb sollen wir seinen gesunden Schlaf verkürzen?«, mischte sich Chris Mitchell ein, dem der Wortwechsel zwischen Tom und Jo Spaß bereitet hatte. »Es wäre ein zum Himmel schreiendes Unrecht. Nehmen wir die Silberbarren an uns und sorgen wir dafür, dass er ruhig weiterschlafen kann.«

Mit dreizehn Silberbarren, die das Gewicht von gut viertausend spanischen Dukaten hatten, zog der Erkundungstrupp weiter. Tage darauf lief ihnen bei einem ähnlichen Landunternehmen ein Spanier in die Arme, der acht schwerbeladene Lamas mit sich führte.

»Es ist eines Edelmannes nicht würdig, dass er Lasttiere treibt«, sagte Tom Moone, als der Spanier in lautes Gezeter ausbrach und um Gnade bettelte. »Wir sollten das Problem für ihn lösen, Männer.«

»Richtig, Tom!«, stimmte ihm Jo Rance zu und öffnete einen der Leinensäcke. Er enthielt fünfzig Pfund Feinsilber. Und jedes Lama trug zwei dieser Säcke. Das bedeutete, dass der Spanier mindestens achthundert Pfund Feinsilber aufgeladen hatte. Jo Rance pfiff durch die Zähne. »Herrje, ist das eine Menge Silber. Was muss das für diesen Mann eine schwere Bürde sein!«

»Wir werden ihn davon befreien und nicht einmal Dank dafür erwarten«, verkündete Tom Moone; und die Männer brachen in schallendes Gelächter aus, während der Spanier verzweifelt die Hände rang.

Ohne sich weiter um den Spanier zu kümmern, ergriffen die Engländer die Stricke, die man den Lamas um den Hals gelegt hatte, und trieben die Tiere mit höchster Eile zu jener Stelle, wo die Boote lagen.

Francis Drake war sehr zufrieden, als er von den achthundert Pfund Feinsilber hörte. Er teilte jedoch nicht die Begeisterung der Besatzung.

»Achthundert Pfund sind eine hübsche Beute«, sagte er zu Chris Mitchell, als sie am selben Abend in der Kapitänskajüte zu Abend aßen. »Aber es ist nicht das, was mir vorschwebt, Chris. Dieses Silber ist nicht mehr als einen Tropfen auf den heißen Stein.«

»Immerhin summiert es sich«, gab Chris Mitchell zu bedenken und schenkte Wein nach. Die Vorratskammern der Golden Hind waren gefüllt, und sie besaßen mehr Wein als Wasser.

Francis Drake machte eine unwillige Handbewegung und stocherte in seinem Essen herum. »Die verfluchten Spanier haben mir und John Hawkins in San Juan de Ulua eine hinterhältige Falle gestellt und ihr Ehrenwort gebrochen. Damals habe ich geschworen, mich für dieses Unrecht zu rächen. Der Überfall auf die Schatzkarawane vor Nombre de Dios war der erste Teil meiner Rache, Chris. Ich bin aber noch längst nicht zufrieden. Ich beabsichtige nicht, mich mit ein paar Brosamen abspeisen zu lassen, und mehr als Brosamen sind diese Silberbarren ja nicht. Ich will Gold, haufenweise Gold, und ich werde es auch bekommen, verlass dich darauf. Wir haben mit unserem Beutezug ja gerade erst angefangen.«

»Vergiss nicht, dass wir hier im Südmeer völlig auf uns gestellt sind«, gab Chris Mitchell zu bedenken. »Noch kann die Nachricht von unserer Ankunft nicht sehr weit gedrungen sein, aber in ein paar Wochen wird sich die gesamte Küste bis hoch nach Panama in höchster Alarmbereitschaft befinden. Man wird uns verfolgen!«

»Bis dahin sind wir schon längst wieder über alle Berge«, erwiderte Francis Drake unbeeindruckt. »Es ist natürlich bedauerlich, dass wir die anderen Schiffe verloren haben. Aber wir schaffen es auch allein.«

»Dein Wort in Gottes Ohr«, seufzte Chris Mitchell, der manchmal das Gefühl hatte, Francis Drake stelle sein Glück zu sehr auf die Probe.

Eine Woche nach diesem Gespräch überraschten die englischen Freibeuter in dem kleinen Hafen Arica zwei ahnungslos vor Anker liegende Barken.

Die eine Barke erleichterten sie um vierzig Silberbarren, die andere dagegen hatte nichts an Bord, was des Mitnehmens wert gewesen wäre. Einige Seeleute waren deshalb verärgert und steckten das Schiff kurzerhand in Brand.

Auf dem Weg nach Lima fiel den Engländern eine weitere Bark in die Hände. Beute machten sie keine, erhielten dafür aber von einem verängstigten spanischen Matrosen eine wichtige Information.

»Im Hafen von Lima liegen dreißig Schiffe, von denen mehr als die Hälfte voll einsatzbereit ist. Sie werden zur Zeit mit Silberbarren und wertvollen Stoffen beladen«, berichtete der Spanier. »Besonders das Schiff von Miguel Angel soll eine besonders wertvolle Ladung an Bord nehmen.«

»Das trifft sich gut«, meinte Francis Drake.

»Du willst dich doch wohl nicht mit der gesamten spanischen Südmeer-Flotte im Hafen von Lima anlegen?«, fragte Chris Mitchell verblüfft.

»Zu einem Gefecht wird es gar nicht kommen«, versicherte Drake beruhigend.

Der Zimmermann Tom Moone meldete nun auch Bedenken an. »Ich nehme es allein mit einem Dutzend Papisten auf, aber mit einem Schlag dreißig feindliche Schiffe auf dem Hals zu haben, ist eine andere Sache. Wir sollten nicht übermütig werden, auch wenn Gold und Silber noch so sehr locken.«

»Von Übermut kann keine Rede sein«, erklärte Francis Drake. »Wir nutzen nur die Gunst der Stunde, Freunde. Ihr habt selbst erlebt, wie ahnungslos die Spanier in Valparaiso waren. Wir wurden mit Trommelwirbel und Wein begrüßt, und das bei strahlendem Sonnenschein. Wenn wir uns bei Einbruch der Dunkelheit in den Hafen von Lima einschleichen, wird niemand Verdacht schöpfen. Und wenn sie merken, wer sich da unter sie gemischt hat, wird schon alles vorbei sein.«

Tom Moone blickte den Generalkapitän skeptisch an. »Wir setzen alles auf eine Karte …«

»Es ist eine Trumpfkarte«, korrigierte ihn Francis Drake mit einem entwaffnenden Lächeln. Er wandte sich dem Rudergänger zu und gab den Befehl: »Wir nehmen Kurs auf Lima!«

37.

Schwache Lichter tanzten in der Dunkelheit über dem Wasser. Die Masten der spanischen Schiffe ragten wie schwarze Skelette in den Nachthimmel. Wolkenfelder wurden von einer warmen Nordwestbrise über die Bucht getrieben. Die Häuser am Ufer verschwammen in der Dunkelheit mit den düsteren Berghängen, die sich hinter der Siedlung erhoben.

Es war eine Stunde vor Mitternacht, als Francis Drake den Befehl zum Einlaufen gab. Er befand sich an Bord einer Pinasse, die wendiger und leichter zu manövrieren war als die Golden Hind. Er hatte außerdem das große Beiboot mit bewaffneten Männern bemannen lassen. Dieses Beiboot wurde von Tom Moone kommandiert, während Chris Mitchell an Bord der Golden Hind den Generalkapitän vertrat.

Die Pinasse und das Beiboot glitten so leise als irgend möglich durch das Wasser, gefolgt von der Golden Hind, die einen Abstand von nicht ganz zwei Kabellängen hielt.

Francis Drake trug einen leichten Brustpanzer und hatte sein Schwert umgegürtet. Zwei Musketen lagen griffbereit. Die Männer in der Pinasse und dem Beiboot waren mit Entermessern, Hellebarden und Pfeil und Bogen ausgerüstet. Atemlose Spannung lag über den Booten.

»Geschossen wird nur auf mein Kommando!«, schärfte Francis Drake den Leuten noch einmal ein, als sich die Umrisse der ersten spanischen Galeone vor ihnen aus der Dunkelheit schälten. »Und klirrt nicht mit den Hellebarden und Entermessern!«

Die Freibeuter gaben durch Nicken zu verstehen, dass sie sehr wohl wussten, was auf dem Spiel stand. Und so manch einer hielt den Generalkapitän nun endgültig für größenwahnsinnig und gänzlich übergeschnappt. Das war das reinste Selbstmordkommando, wenn auch nur irgendetwas schiefging. Andererseits war dieses Unternehmen so frech und tollkühn, dass es gerade deshalb Erfolg haben konnte.

Tom Moone fuhr mit dem kleinen Boot voraus. Seine Leute hatten ihre Waffen unter Decken und Leinentüchern versteckt. Als das Beiboot die erste spanische Galeone erreichte, rief Tom Moone einen Matrosen an, der gelangweilt an der Reling stand.

»He, Kamerad, wo liegt das Schiff von Miguel Angel?«, erkundigte er sich, und sein Spanisch war so perfekt, dass nur ein äußerst misstrauischer Spanier Verdacht geschöpft hätte.

»Miguel Angel?«, fragte der spanische Matrose gedehnt zurück und lehnte sich über die Reling. Die englischen Freibeuter fürchteten, der Mann würde jeden Augenblick Alarm schlagen. Vorsichtig tasteten sie nach ihren Waffen. »Was wollt ihr denn um diese späte Stunde noch bei Señor Angel?«

»Zum Feiern ist es nie zu spät, Kamerad«, antwortete Tom Moone mit bewundernswürdiger Kaltblütigkeit. »Also wo liegt der Kahn?«

»Drüben auf der anderen Seite der Bucht«, gab der Spanier nun bereitwillig Auskunft und deutete auf eine dickbäuchige Galeone. »Direkt neben dem Schiff von Señor Alonso Rodriguez Baptista.«