Kapitel 3 | Böse Kinder kommen in den Keller


Ich ließ sie eine halbe Stunde lang in der Dunkelheit schmoren, bevor ich zur Kellertür zurückkehrte. Die menschliche Einbildungskraft ist eine mächtige Waffe und ich wollte, dass die jugendlichen Gehirne meiner Gäste gut auf das Programm, das ich ihnen darzubieten beabsichtigte, vorbereitet waren. Ich schob den Riegel zur Seite und leuchtete mit einer Taschenlampe ins Dunkel. Farny und Rotschopf hatten sich auf dem Fußboden aneinandergekauert und heulten sich die Augen aus. Sie hatten sozusagen die weiße Flagge gehisst und waren offensichtlich entschlossen, ihrem Schöpfer so wenig würdevoll wie möglich gegenüberzutreten (na gut, sie waren ja auch erst zwölf), während Tommy eine Maurerkelle umklammert hielt und sich schützend vor seinem kleinen Bruder aufbaute. Geblendet vom Licht der Taschenlampe drehten Farny und Rotschopf die Heul-Lautstärke auf. Tommy versuchte währenddessen, mit seiner Kelle Löcher in die Luft zu sensen.

»Lass uns raus, du Pisser! Lass uns raus oder wir rufen die Bullen!«, drohte er.

»Warum habt ihr das dann nicht schon getan?«, fragte ich. Die Antwort kannte ich natürlich längst. Ich hatte den Großteil meiner Bleivorräte im Zimmer direkt über dem Keller auf dem Fußboden angehäuft, was bedeutete, dass ihre Handys ungefähr die gleiche Chance auf ein Netz hatten wie mein Haus auf eine Fotostrecke in Schöner Wohnen.

»Funktionieren die Handys etwa nicht, Jungs?«, kicherte ich.

»Ich will nach Hause«, schniefte Barry, unfähig sich noch länger zu beherrschen.

»Das kann ich mir vorstellen«, knurrte ich. »Nur leider bekommt man im Leben nicht immer, was man will.«

Die Stufen vor mir hatten sich im 45-Grad-Winkel eingeklappt und die Kellertreppe dadurch in eine spiegelglatte Rutschbahn verwandelt. Ich hielt meine alte Automatikpistole in den Lichtkegel der Taschenlampe und dirigierte die Jungen vom Fuß der Treppe weg.

»An die Wand. Los, Bewegung. Wenn ihr tut, was ich sage, lasse ich euch vielleicht lebend hier raus«, ermunterte ich sie.

Die Jungs begaben sich zur hinteren Wand, wo ich sie dazu überredete, sich auf ein angeschlagenes, zerfetztes Sofa zu setzen, von dem ich schon vergessen hatte, dass es überhaupt existierte, bis ich das ganze verdammte Blei nach oben geschleppt hatte. Ich legte einen Hebel an der Wand am Kopf der Treppe um und die Stufen vor mir klackten zurück in eine benutzbare Treppenform. Vorsichtig stieg ich hinunter, den Lauf meiner Browning immer auf die Bande gerichtet. Auf dem Boden des Kellers angelangt, tastete ich nach dem Lichtschalter, der hinter einem Regal versteckt war. Eine 40-Watt-Glühbirne in der Ecke flammte auf. Den Lampenschirm für diese Birne bildete ein alter Schafsschädel. Als das Licht durch die Augenhöhlen und das grinsende Maul brach, stöhnten die vier Jungen kollektiv erschrocken auf, also wies ich sie an, still zu sein, sonst würde ich auch aus ihren Schädeln Lampenschirme machen.

Ich zog ein umgedrehtes Ölfass ans Sofa heran und setzte mich darauf, bevor mein verfluchter Rücken mich noch umbrachte.

»Na dann«, sagte ich. »Rausziehen!«

Ihrem Gesichtsausdruck nach mussten sie wohl »ausziehen« verstanden haben, deswegen zeigte ich auf die linke Seite des Sofas, wo Tommy einen langen Ledergurt in der Ritze zwischen Sitzfläche und Lehne fand, dessen eines Ende am Holzrahmen des Möbels festgemacht war. Mit etwas Überzeugungsarbeit brachte ich ihn dazu, das andere Ende weiterzugeben, sodass Rotschopf, der rechts außen saß, den Gurt an einem Haken befestigen konnte, den ich unterhalb der Armlehne eingeschraubt hatte. Es war nicht gerade der Sicherheitsgurt von Hannibal Lecter, aber es würde sie davon abhalten, sich sofort auf mich zu stürzen, sollte ich mich mal kratzen müssen.

»So, Jungs, dann fangen wir doch am besten mit euren Namen an, okay?«

Tommy erklärte, von ihm würde ich gar nichts erfahren, was einerseits bewundernswert widerspenstig, andererseits ziemlich sinnlos war, wenn man bedachte, dass er eine Baseballkappe mit dem Schriftzug Tommy trug. Barry dagegen sang wie ein Vögelchen, ebenso Farny und Rotschopf, die sich als Ralph Farnsworth (von seinen Freunden Farny genannt) und Colin Dunlop (von Freund und Feind Ginger genannt) herausstellten.

»Ich heiße John Coal«, erklärte ich ihnen, wobei ich die Waffe senkte und in meiner Jacke nach der Pfeife suchte. »Und das Haus, in das ihr eingebrochen seid, ist mein Eigentum.«

»Sie lassen uns jetzt sofort gehen, sonst sag ich's meinem Vater«, drohte Tommy erneut.

»Dann sag's ihm doch«, entgegnete ich. »Na los, geh und erzähl's ihm.«

Tommy blieb einen Moment lang stumm, während die Hemmnisse, die der Verwirklichung dieser Drohung entgegenstanden, in seinem Kopf rotierten.

»Wenn ich euch nicht gehen lasse, kannst du deinem Papa wohl schlecht irgendwas erzählen, oder?«, gab ich zu bedenken.

Tommy antwortete nicht, stattdessen appellierte sein kleiner Bruder Barry, der den Ernst der Lage anscheinend besser einzuschätzen wusste, an mein Gewissen und bat um Gnade. So ist das mit Kindern; bis sie zehn Jahre alt sind, kann man ihnen mit Gartenschere und Heckentrimmer hinterherlaufen und sie glauben allen Ernstes, dass man ihnen die Beine abschneiden wird, wenn man sie erst gefangen hat. Aber sobald sie in dieses furchtbare Teenager-Alter kommen, entwickeln sie über Nacht ein Gespür für das englische Strafrecht. Tommy wusste in seinem Alter wahrscheinlich – oder glaubte, es wenigstens zu wissen – dass ich ihnen nicht wirklich etwas tun konnte, nicht in echt, jedenfalls nicht, ohne Strafverfolgung, Verurteilung und Gefängnis zu riskieren. Aber dieses Halbwissen ist gefährlich, denn ab und zu kommt es vor, dass so ein großspuriger junger Heißsporn auf einen unberechenbaren alten Sack trifft, der eben nicht nur labert. Und dann hat er seine letzte Geburtstagskerze ausgeblasen, da hilft ihm kein Strafgesetzbuch der Welt mehr. Jetzt war es an mir, meine Gäste zu überzeugen, dass ich genau dieser unberechenbare alte Sack war.

»Tut mir leid, Jungs, nehmt es nicht persönlich, aber ich kann nun mal nicht dulden, dass irgendwelche kleinen Petzen in meinem Haus und Hof rumschleichen. Ich habe viel zu viele Leichen im Keller, und wenn ihr ihnen nicht Gesellschaft leisten wollt, dann solltet ihr mir besser aus dem Weg gehen, zu eurem eigenen Besten.«

»Was für Leichen?«, fragte Farny, als ob ich ihm das nach dem ganzen Sermon auf die Nase binden würde.

»Die dunkelsten Geheimnisse; Mord und Tod, Blut und Dämonen«, zischte ich, mir die sprichwörtliche Taschenlampe unters Kinn haltend. »Deswegen bin ich überhaupt in dieses erbärmliche Kaff gekommen: um all die Schrecken hinter mir zu lassen. Und deswegen lebe ich so zurückgezogen, nicht auf eigenen Wunsch, sondern um die Menschen um mich herum zu schützen. Denn wenn meine Geheimnisse jemals ans Licht kämen, würde es Tod und Verderben für diese ganze gottverlassene Gegend bedeuten.«

»Sie labern doch nur«, sagte Tommy. »Mein Vater meint, Sie sind bloß ein alter Penner, der zufällig ein Haus hat. Und wenn ich nicht enden will wie Sie, soll ich endlich die Schule schmeißen und mit ihm auf den Bau gehen.«

So sehr ich es schätzte, an Tommys elterlicher Karriereberatung teilhaben zu dürfen, merkte ich doch, dass meine Redekunst verschwendet war, sollte ich nicht mit ein paar stichhaltigen Einzelheiten aufwarten. Daher steckte ich meine Pfeife an, nahm einen tiefen Zug, vernebelte die abgestandene Kellerluft mit einer blaugrauen Wolke und bedachte die weitere Vorgehensweise.

»Ist das so?«, überlegte ich dann laut. »Ich dachte immer, gerade Väter erzählen ihren Kindern allen möglichen Blödsinn. Mein eigener Vater war da keine Ausnahme, und ausgesprochen überzeugend. Natürlich ist er längst tot, er starb vor vielen Jahren. Aber als er noch lebte, hätte ich alles für ihn getan. Einfach alles. Oder wenigstens fast alles …

 

TEIL 1 | WIE DER VATER, SO DER SOHN


I


Mein Vater, Reginald Coal, war ein außergewöhnlicher Mann; umso mehr, wenn man seinen außerordentlich schwierigen Start ins Leben bedachte. Von seiner unverheirateten Mutter ausgesetzt und sich selbst überlassen in den blutgetränkten Laken, in die er geboren worden war, grenzte es an ein Wunder, dass man ihn überhaupt gefunden hatte, bevor die Kälte des Winters seinem kurzen Leben ein Ende setzen konnte.

Die Haushälterin der Lloyds hatte sich gerade zur Nachtruhe fertig gemacht, als sie von draußen aus der Gasse die Schreie einer Katze zu hören glaubte. Damit die gnädige Frau nicht gestört wurde, stand sie auf, um das Tier zu verscheuchen – und bekam den Schreck ihres Lebens.

Ich nehme an, die Absicht meiner Großmutter – mal abgesehen davon, dass sie nicht mit der Schande leben wollte, als die ein Kind der Liebe in solch ungnädigen Zeiten nun einmal galt – war es gewesen, meinen Vater bei einer wohlhabenden Familie unterzubringen. Und eine solche waren die Lloyds. Sie rühmten sich einer langen, illustren Ahnenreihe, besaßen ihre eigene Loge in Ascot und einen Haufen Aktien, der sie bis zum Börsencrash 1929 finanziell in trockenen Tüchern hielt. Leider erhalten Familien wie die Lloyds ihre erlesene Ahnenreihe nicht dadurch, dass sie jedes hergelaufene Waisenkind adoptieren, das ihnen irgendjemand in den Kohlenschuppen legt.

»Nehmen Sie es mit«, verfügte Mr. Lloyd knapp, als der Arzt ihm mitteilte, dass der kleine Reginald außer Gefahr sei.

»Natürlich«, buckelte der Doktor. »Ganz wie Sie wünschen.«

Anstatt in privilegiertem Luxus verbrachte Reginald seine ersten zehn Jahre deshalb im örtlichen Waisenhaus, chronisch unterversorgt mit Liebe und Vitamin D. Von hier aus hätte alles auch ganz anders kommen können, aber eines Tages, im Frühling des Jahres 1932, erbarmte der Reverend Charles Eckett sich des schlaksigsten Waisenjungen im Heim St Mary's of the Blessed Salvation (und ganz Norwich). Er bot ihm an, wovon alle Waisenkinder der Welt bei Tag und Nacht träumen: ein Zuhause und eine Familie ganz für sich allein.

Wisst ihr, der gute Reverend und seine Frau konnten nämlich keine eigenen Kinder bekommen, also taten sie ein Werk christlicher Nächstenliebe und holten sich ein Kind von der Müllkippe des Lebens. Je elender und bedauernswerter dieses Kind war, so meinten sie, umso heller strahlte dadurch das Licht ihrer noblen Geste.

Reginald Coal erhielt zum ersten Mal in seinem kurzen Leben saubere Bettwäsche und warme Umarmungen, und er gewöhnte sich sehr schnell daran. Die Rachitis, die seine frühen Jahre überschattet hatte, verschwand und er wuchs mit der Zeit zu einem stattlichen jungen Mann heran. Wenn Reichskanzler Hitler die Laufbahn meines Vaters nicht durch seinen Einmarsch in Polen abgelenkt hätte, wer weiß, ob er unter anderen Umständen nicht nach Oxford oder Cambridge gegangen wäre? Unter den gegebenen Umständen ging er nach Nordafrika.

Wie so viele Kriegsveteranen sprach mein Vater selten von seinen Erlebnissen, aber er muss sich wohl in der Schlacht bewährt haben, denn er begann als einfacher Gefreiter in Tobruk und kam als Captain in Rom an. Als Reiseandenken hatte er die Brust voller Medaillen, darunter auch das Victoria-Kreuz.

Jetzt hätten Oma Coal und die Lloyds sich bestimmt nur zu gerne mit Reginald sehen lassen.

Er machte allerdings nie viel Aufhebens um seine Auszeichnungen. Sie waren nichts anderes als Sinnbilder dafür, dass er seine Pflicht getan hatte. Er hatte zu viele Kameraden verloren, als dass er Lust gehabt hätte, mit seinen Medaillen anzugeben, also legte er sie nach seiner Heimkehr in eine Blechdose, tauschte sein Schiffchen gegen eine Melone und kümmerte sich um seine Ausbildung.

Und so kam es, dass zwei Jahre (und tausend während nächtlichen Lernens abgebrannte Kerzen) später Reginald Coal schließlich doch noch in Oxford angenommen wurde.

»Warum hieß er immer noch Coal?«

»Was?«

»Warum hieß er immer noch Coal? Warum hat er seinen Namen nicht in Eckett geändert, so wie sein neuer Vater, der Reverend?«, fragte Tommy.

»Er hatte den Namen Coal in seinen ersten zehn Lebensjahren getragen. Man hatte ihn so genannt, weil er im Kohleschuppen gefunden worden war«, erklärte ich. »Der Reverend hielt es für wichtig, dass mein Vater seine Wurzeln nicht vergaß. Wie dem auch sei, ihr sollt mich nicht unterbrechen«, rügte ich, klopfte meine Pfeife gegen die Wand des Ölfasses und griff in meinen Tabaksbeutel, um sie aufzufüllen.

Jedenfalls war das eine erstaunliche Leistung für ein uneheliches Kind, das auf einem Haufen Kohle zum Sterben abgelegt worden war. Und sie wird noch erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass er, während er für das Examen lernte, noch in Vollzeit arbeitete, um mich und meine Mutter zu ernähren.

Ich wurde 1945 geboren, beinahe auf den Tag genau neun Monate, nachdem die Royal Air Force den gefeierten Captain Coal aus Italien für eine Woche in den verdienten Heimaturlaub geschickt hatte. Als er 1946 dann endgültig nach Hause kam, warteten wir schon in einem Cottage in der Nähe von King's Lynn auf ihn. Meine Mutter, Rhea Eckett, war die Nichte des Reverends, und mein Vater hatte sie wahrscheinlich aus Pflichtgefühl seinem Adoptivvater gegenüber geheiratet, oder weil er merkte, dass Geduld doch nicht mehr die höchste Tugend war, wenn einem erst die Maschinengewehrkugeln um die Ohren flogen. Ich weiß nicht, vielleicht bin ich auch etwas ungerecht zu meinen Eltern. Vielleicht liebte mein Vater meine Mutter aufrichtig und war mit ihr auf eine Weise verbunden, die man nur mit dem Herzen erfassen kann. Schon möglich. Weil ich sie aber nicht nur als meine geliebte Mutter kannte, sondern auch als die ewig nörgelnde alte Schreckschraube, die sie leider war, bin ich mir ziemlich sicher, dass Kriegsheld Captain Coal durchaus etwas Besseres hätte finden können. Nach fünf weiteren Jahren voll mit Lernen, Pauken, Büffeln und Schuften wurde mein Vater 1953 endlich Anwalt, und später zu einem der besten Strafverteidiger, die seine Generation hervorgebracht hat.

Über die nächsten fünfzehn Jahre vertrat er sie alle, von Donald Cooper, dem Kühltruhenkiller (gehängt), bis Sir Henry Davenport-Fielding, dem Hausmädchen mordenden Ehebrecher mit einflussreichen Freunden (auch gehängt – seine Freunde waren offenbar gerade nicht da, als er sie gebraucht hätte). Natürlich hatte mein Vater auch seine Erfolge, zum Beispiel Penny Wilson, die Witwe von Wimborne, die dem Galgen entkam, nur um für den Rest ihrer Tage in einer Zelle in Holloway Schals zu stricken – genau solche Schals wie die, die ihren Liebhabern immer die Luft abgeschnürt hatten, wenn sie gerade mit der armen Penny Schluss machen wollten. Dann war da noch Ryan Douglas, der Kidnapper von Colchester, der nicht nur von jedem Verdacht freigesprochen wurde, irgendetwas mit dem Verschwinden von Beryl Ashby zu tun zu haben, sondern es später noch zu einem berühmten Dichter brachte. Avantgardistische Poesieliebhaber und Kritiker bejubelten seine Anthologie Mit den Augen eines Geistes, die nach seiner Verhandlung herauskam. Darin stellte er seine und Beryls stürmische Liebesbeziehung dar, die am Ende in Beryls (rein fiktiver) Entführung und Ermordung durch seine Hand gipfelte. Sie machte den jungen Douglas zum Star, und wahrscheinlich hätte er noch größere literarische Höhen erklommen, wenn Beryls Vater, Gordon Ashby, sich damit begnügt hätte, ihn nach seiner Lesung im The Black Cat nach einem Autogramm zu fragen, anstatt ihm gleich ein Messer in den Hals zu stoßen. Wie auch immer, Gordon Ashby gab daraufhin seinerseits einen sehr sympathischen Angeklagten ab, und das Ansehen meines Vaters wuchs enorm, weil er während des folgenden Gerichtsverfahrens nicht von seiner Seite wich, bis sich schließlich die Falltür unter Ashbys Füßen öffnete.

Tja, so war das in den Fünfzigern. Vergesst die Popstars und Filmidole; Kidnapper und Killer waren damals ebenso groß in den Schlagzeilen wie irgendein Sänger mit wackelnden Knien, der ein kurzes Strohfeuer entfachte – besonders, wenn sie schlussendlich baumeln mussten. Und durch seinen unermüdlichen Beistand für aufsehenerregende Mörder und seinen tadellosen Ruf aus Kriegszeiten wurde der Name meines Vaters berühmt.

Ich sollte am besten von vornherein erwähnen, dass ich immer große Ehrfurcht, um nicht zu sagen: Furcht, vor meinem Vater hatte. Nicht, weil er ein besonders strenger Mann gewesen wäre – ganz im Gegenteil – sondern weil er ein so bewundernswert guter Mann war. In meinen frühen Jahren hatte ich immer das Gefühl, dass ich so unglaublich hohen Anforderungen, wie er sie stellte, niemals gerecht werden könnte. Zwar sagte er nie ein böses Wort zu mir, er verhielt sich auch nicht herablassend oder grausam, aber sein Lob kam nie von ganzem Herzen und seine Anerkennung war eher oberflächlich als aufrichtig.

Aber wie schon gesagt: Denkt bitte nicht schlecht über meinen Vater, denn er war kein schlechter Mensch. Ich war wohl eher ein enttäuschender Sohn, wenn ich ehrlich bin.

Im Herbst '62 ging Mutter für immer in das große Modegeschäft im Himmel ein. Das war damals sehr hart für mich, besonders weil ich ein Einzelkind war, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, denn ich wollte vor meinem Vater nicht als Weichei dastehen. Stattdessen gewöhnten wir uns eine stramme Routine an, lernten die Wäschemangel zu bedienen und erledigten zusammen gerade genug Hausarbeit, um sicherzustellen, dass uns die Unterhemden, Socken oder sauberen Taschentücher unter der Woche nicht ausgingen.

Ich hatte inzwischen die Schule verlassen und bei einem örtlichen Elektriker eine Lehre angefangen. Ich war nicht so der akademische Typ, sehr zum Leidwesen meines Vaters, aber dafür konnte ich in diesem Jahr den Fernseher reparieren, als ausgerechnet vor der Weihnachtsansprache der Queen eine Röhre durchbrannte.

»So, das wär's«, sagte ich, drehte den Knopf an der Vorderseite der Kiste und wurde fast verrückt, während der Fernseher gute dreißig Sekunden lang brummte und knisterte, bis sich endlich aus einem Lichtpunkt das Bild entfaltete. Ich drehte die Lautstärke auf und die Melodie von Good King Wenceslas erklang in unserem Wohnzimmer.

Mein Vater betrachtete das Bild eine oder zwei Sekunden lang, sah mich an und nickte.

»Fein gemacht, John. Gute Arbeit«, sagte er, bevor er sich in seinem Sessel zurücklehnte, um den Gedanken ihrer Majestät zum vergangenen Jahr zu lauschen.

Und da habt ihr es: Das Netteste, was mein Vater je zu mir gesagt hat. Ich fühlte mich zwei Meter groß und hätte vor Freude singen können, aber das ging natürlich nicht. Stattdessen saß ich einfach da und sah mit meinem Vater die Ansprache der Königin an, ohne auch nur ein Wort davon mitzubekommen.

Das war das schönste Weihnachten meines Lebens.



II


Sechs Wochen später, in der tiefsten, schwärzesten Februarnacht meines Lebens, kam mein Vater zu mir. Er trat an mein Bett, riss mich aus dem Schlaf und schüttelte mich mit einem Ausdruck tiefsten Entsetzens in den Augen. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Noch nie hatte ich meinen Vater so gesehen. Ich weiß nicht, ob ihn überhaupt schon einmal jemand so gesehen hatte, wahrscheinlich noch nicht einmal die Deutschen. Eine Angst hatte von ihm Besitz ergriffen, als ob alle Dämonen der Hölle hinter ihm her wären. Ich holte den Scotch von der Anrichte und tat, was ich konnte, damit er sich wieder beruhigte.

»Ich wollte das nicht. Es war nicht meine Schuld!«, schluchzte er immer wieder. Mit hochgezogenen Knien saß er da und kippte den Whisky hinunter.

»Was denn, Vater? Was wolltest du nicht?«, fragte ich, aber ich konnte ihn kaum dazu bringen mich anzusehen, geschweige denn zu antworten. »Vater, bitte sag doch was«, flehte ich, und endlich, nach einem weiteren enormen Schluck Scotch, flüsterte er etwas. Ein kaum wahrnehmbares Krächzen.

»Was?« Ich musste mehrmals fragen, bevor ich schließlich verstand.

»Ich habe jemanden getötet«, schniefte er. »Ich habe ein Mädchen getötet.«

Zu sagen, ich war fassungslos, wäre untertrieben. Ich war wie von einer Abrissbirne getroffen, aus den Klamotten gehauen, plattgebügelt, wieder in meinen Schlafanzug gesteckt und auf die Füße gestellt, und das alles, bevor ich zwinkern konnte.

Mein Vater hatte jemanden umgebracht!

Logischerweise hatte er eine Menge Leute umgebracht – das Victoria-Kreuz wurde schließlich nicht für höflich interessiertes Zuschauen bei den Kampfhandlungen vergeben – aber das waren alles Deutsche oder Italiener gewesen, die meinen Vater zuerst selber umbringen wollten.

Aber ein Mädchen?

Mein Vater hatte ein Mädchen getötet?

»Wer war sie?«, fragte ich, in der Dunkelheit inzwischen ebenso zitternd wie mein Vater.

»Ich weiß nicht«, schluchzte er. »Eine von der Straße. Ein leichtes Mädchen.«

»Leichtes Mädchen?«

»Oh Gott, jetzt sieh mich nicht so an, John. Ich wusste nicht, dass sie eine Gunstgewerblerin war. Ich schwöre es«, sagte er, als er merkte, wie ich zurückschreckte.

»Das glaube ich dir, Vater«, versicherte ich ihm. »Aber wie ist es passiert?«

Mein Vater schwieg einige Sekunden lang. Er hielt nur sein Glas zum Nachschenken hin und schaute mich mitleiderregend an. Ich füllte sein Trinkglas bis zur Hälfte, dann nahm ich mir selbst eins. Normalerweise hätte ich nicht im Traum daran gedacht, in Gegenwart meines Vaters Alkohol zu trinken, aber jetzt brauchte ich einen Drink. Außerdem schlussfolgerte ich, er würde, wo er schon dazu übergegangen war Prostituierte umzubringen, wahrscheinlich Fünfe gerade sein lassen.

»Es ist kalt draußen«, begann er. »Bitterkalt, und der Nebel so dicht, dass man eine Axt braucht, um durchzukommen. Als ich sie so bibbernd am Straßenrand stehen sah, dachte ich, sie braucht eine Fahrgelegenheit nach Hause. Ich schwöre dir, John, ich schwöre es auf meines Vaters guten Namen: Ich hatte keine Ahnung, dass sie eine Dirne war.«

Das war wieder typisch mein Vater. Er war so ein guter Mann, dass es manchmal an Naivität grenzte. Eigentlich lächerlich, besonders wenn man bedenkt, dass er ein Strafverteidiger war, aber für die Schlechtigkeit in anderen Leuten hatte mein Vater eben einen blinden Fleck.

»Natürlich nahm sie mein Angebot an«, musste er nun fast lachen, wobei er den Kopf über seine eigene Dummheit schüttelte.

»Doch als wir erst einmal auf der Landstraße waren, wurde mir mein Irrtum bewusst, als sie … nun, sagen wir einfach, sie lenkte meine Aufmerksamkeit auf die wahre Natur ihres Berufes.«

Ich blinzelte ein paarmal in der Dunkelheit, zwar völlig ahnungslos über die Art und Weise, wie sie das getan haben mochte, aber nichtsdestotrotz rechtschaffen schockiert.

»Erzähl weiter«, drängte ich. Meine Vorstellungskraft verweilte noch auf dem Beifahrersitz von Vaters Auto, wo die junge Dame ihm ihre Referenzen zeigte.

»Nun, ich … äh … dankte ihr für das großzügige Angebot, das ich leider ablehnen musste, gab ihr ein paar Schillinge, um sie für ihre Unannehmlichkeiten zu entschädigen, und setzte sie wieder an der Stelle ab, von wo aus sie ihrem Geschäft nachging.«

»Wo war das, Vater?«

»Das ist unwichtig. Aber du darfst dort niemals hingehen, verstanden?«

Ich versprach ihm natürlich umgehend, das nie zu tun, auch wenn mir später klar wurde, dass ich den Ort schlecht vermeiden konnte, wenn ich nicht wusste, wo er sich befand.

»Jedenfalls nahm die junge Dame mein Geld an. Dann sagte sie allerdings, sie würde mich aus der Zeitung kennen, und dass es bestimmt einen Riesenskandal geben würde, wenn herauskäme, dass der berühmte Rechtsanwalt sich nachts Frauen des horizontalen Gewerbes in sein Auto holt – wenn ich wüsste, was sie meint.«

»Was meinte sie denn?«

»Erpressung, John. Sie meinte, sie würde mir die Presse auf den Hals hetzen, wenn ich ihr nicht helfe, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Ach, John, Alter schützt vor Torheit nicht«, jammerte er.

»Du hättest zur Polizei gehen und sie als Nutte anschwärzen können«, wandte ich ein.

»Dann hätte mein Wort gegen ihres gestanden.«

»Das wäre ja wohl keine Konkurrenz gewesen.«

»Für dich vielleicht nicht, John, und sicher nicht für die meisten meiner Freunde, aber ich bin nun einmal ein Strafverteidiger. Soweit es die Polizei betrifft, stehe ich auf der Seite des Feindes, und sie würden mir bestimmt liebend gern eins auswischen«, erklärte er. Dann starrte er in die Dunkelheit, auf den Kadaver seiner zerfetzten Karriere, und fragte sich, wie sein lebenslanger mustergültiger Einsatz ihn an diesen Punkt hatte bringen können.

»Und deshalb hast du sie umgebracht?«, fragte ich schließlich.

»Was? Gütiger Gott, John, nein!«, rief er aus. »Ich könnte keine Fliege töten, nur um meinen Ruf zu schützen, schon gar nicht ein hübsches junges Mädchen. Wie kannst du so etwas bloß denken?«

»Tut mir leid, Vater, ich habe nicht nachgedacht.«

»Nein, in der Tat nicht«, rügte er. »Es war ein Unfall, nicht mehr und nicht weniger. Als ich ihr sagte, sie solle tun, was sie nicht lassen könne, fing sie an zu schreien und griff mich an. Ich wollte mich nur verteidigen, aber ich habe wohl leider meine eigene Kraft unterschätzt.«

»Natürlich, Vater.«

»John, die letzte Person, gegen die ich gekämpft habe, war ein stämmiger deutscher Steuermannsmaat, und diese Begegnung habe ich nur um Haaresbreite überlebt. Es kann sein, dass ich mich vielleicht durch den Schock zurückversetzt gefühlt und dieselbe Kraft angewendet habe wie damals bei dem Jerry«, lamentierte er.

Was für eine Ironie des Schicksals: Mein Vater war nicht nur den Umtrieben eines hinterhältigen Flittchens zum Opfer gefallen, zu allem Übel hatten sich auch noch seine eigenen traumatischen Kriegserlebnisse gegen ihn verschworen.

»Was willst du jetzt machen?«, fragte ich.

Mein Vater zuckte bloß mit den Schultern und schüttelte den Kopf.

»Hängen«, mutmaßte er.

»Was? Aber das geht nicht.« Mein umgestoßenes Glas rollte durchs Zimmer.

»Es wird sich wohl leider nicht vermeiden lassen. Ich mache eine Fahrt nach Tyburn, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«

Ganz abgesehen von dem dramatischen Euphemismus, konnte ich kaum begreifen, was mein Vater da sagte. Er war ein Kriegsheld, der Tapferste der Tapferen, ausgezeichnet vom König persönlich. In den letzten Jahren hatte er sich einen Ruf als hoch angesehener Verteidiger hoffnungsloser Fälle erworben. Wenn es in dieser unseligen Angelegenheit ein unschuldiges Opfer gab, dann war er das. Konnte er dafür wirklich hängen?

»Sie verkaufte Sex. Wenn ein Mädchen dieses Gewerbes unter solchen Umständen stirbt, geht man so gut wie immer davon aus, dass das Motiv ebenfalls sexuell ist. Und das ist ein eindeutiges Kapitalverbrechen. Keine mildernden Umstände. Keine Gnade. Nur drei Sonntage Frist und dann eine Verabredung mit dem Seil im Morgengrauen.«

»Oh, Vater!« In mir brach alles zusammen. »Das ist so ungerecht, so unfair. Gibt es denn überhaupt nichts, was wir tun können?«

»Nein, mein Sohn, wenn ich morgen früh zur Polizei gehe, muss ich ihnen alles erzählen und mein Schicksal in Gottes Hände legen.«

Die Überraschungen kamen in dieser Nacht dicht an dicht und diese letzte Offenbarung haute mich ebenso um wie mein Whiskyglas.

»Du meinst, die Polizei weiß noch gar nichts?«

»Nein«, erwiderte mein Vater mit unschuldigem Augenaufschlag. »Woher sollte sie?«

»Aber wo …?« Ich schüttelte mir die Fragen aus dem Kopf und ordnete für einen Moment meine Gedanken. Seltsam, aber der Beruf meines Vaters und mein eigener waren in gewisser Weise gar nicht so verschieden, wie er dachte. Wenn etwas nicht funktionierte, musste ich es mir gedanklich als dreidimensionales Schaltdiagramm vorstellen können, um den Fehler zu lokalisieren. Nun wandte ich dieselbe Technik im Bezug auf das Problem meines Vaters an.

»Wann ist das alles passiert, Vater? Um wie viel Uhr?«

»Ungefähr vor einer Stunde, denke ich. Vielleicht zwei.«

»Hat irgendjemand gesehen, wie das Mädchen zu dir ins Auto stieg?«

»Ich glaube nicht, schon wegen des Nebels. John, worauf willst du hinaus?«, fragte er, aber ich wischte die Frage weg, um noch ein paar eigene zu stellen.

»Wo ist sie jetzt?«

»Sie ist tot!«, schnappte er, verärgert über meine Unverschämtheit.

»Ja, aber wo ist sie?«

Mein Vater funkelte mich durch das Zwielicht an. Für einen Moment dachte ich, er würde mir raten, mich zum Teufel zu scheren, aber stattdessen zog er ein weiteres totes Kaninchen aus dem Zylinder, indem er antwortete, sie sei noch im Auto.

»Im Auto?«

»In der Garage«, ergänzte er.

Wir hingen beide unseren eigenen Gedanken nach. Die Zeit verrann, aber der nächste Schritt musste wohlüberlegt sein. Ich verwandte einige kostbare Sekunden darauf, zu überprüfen, ob alle Glühbirnen meines imaginären Schaltplans leuchteten, dann nahm ich meinem Vater den Scotch aus der Hand.

»Geh ins Bett.«

»Was?«

»Geh ins Bett«, wiederholte ich. »Und sag niemandem irgendwas, besonders nicht der Polizei. Ich werde alles für dich in Ordnung bringen, Vater.«

»In Ordnung bringen? Was meinst du mit in Ordnung bringen?«, wollte er wissen.

»Vater, was passiert ist, ist passiert, und niemand kann es mehr ungeschehen machen. Aber es wäre völlig sinnlos, dich wegen eines Unfalls selbst zu opfern.«

»Aber welche Wahl haben wir denn?«, staunte er.

»Mein Gott, falls ich jemals in Schwierigkeiten gerate, erinnere mich daran, dass ich bloß nicht dich als Anwalt nehme«, seufzte ich.

»John …?«

»Ich lasse sie verschwinden. Verwische die Spuren zu dir.«

»Sie verschwinden lassen? Die Spuren verwischen? Einfach so? Sie wegwerfen wie ein Stück Abfall? Meinst du das? Mein Gott, John, wie konnte es so weit kommen …«, fing mein Vater wieder an zu predigen, aber zum ersten Mal in meinem Leben setzte ich mich durch und sagte ihm, er solle still sein.

»Dein Sinn für Gerechtigkeit wird dir bloß den Strick um den Hals legen. Das ist für dich und deine verdrehten Moralvorstellungen vielleicht in Ordnung, aber was ist mit mir? Ich brauche einen Vater. Ich brauche dich in meinem Leben. Deine Klienten brauchen dich. Die Welt braucht dich. Du bist ein guter und wichtiger Mensch. Du kannst dich jetzt nicht ausliefern, nur um dein eigenes Gewissen zu beruhigen. Das wäre selbstsüchtig. Du musst dem widerstehen«, redete ich auf ihn ein.

Mein Vater wusste nichts zu sagen. Bestürzt starrte er mit offenem Mund auf den Sohn, der vor seinen Augen zum Mann wurde, dann senkte er den Blick und nickte traurig.

»Dann soll es so sein, John. Wenn es dir so viel bedeutet, werden wir alles so machen, wie du willst«, erklärte er sich endlich einverstanden.

Ich griff mir seine Autoschlüssel und machte mich in Richtung Garage auf, aber mein Vater rief mich zurück, bevor ich die Tür der guten Stube erreicht hatte.

»John?«

Ich schaute zurück. Aus der Dunkelheit sah er zu mir auf. »Ich … ich möchte nur, dass du weißt … Ich bin sehr stolz auf dich«, sagte er schließlich.

Ich antwortete nicht. Ich nickte nur, dann machte ich mich auf, um die tote Prostituierte zu entsorgen, die mein Vater in dieser Nacht mit nach Hause gebracht hatte.



III


Sie war genau dort, wo er gesagt hatte: zusammengesunken auf dem Beifahrersitz seines Morris Oxford und so leblos wie ein liegen gelassenes Kleid. Ich näherte mich ihr vorsichtig, voller Furcht vor dem Anblick, der mich erwartete, aber das stellte sich als unnötig heraus, denn es gab keine sichtbaren Zeichen von Gewaltanwendung. Weder war ihr Schädel eingeschlagen noch ihr Gesicht irgendwie entstellt. Ihr Haar war ein bisschen zerzaust und ihre Bluse zerrissen, aber davon abgesehen sah sie aus, als ob sie nur mit dem Kopf am Seitenfenster eingeschlafen sei und auf den Kuss eines schönen Prinzen wartete, der sie wieder erweckte.

Ich packte eine Spitzhacke und eine Schaufel in den Kofferraum und öffnete das Garagentor.

Die Nacht war immer noch nebelverhangen und kalt wie ein Grab, aber das nahm ich kaum wahr. Zu konzentriert war ich auf die Aufgabe, die vor mir lag. Ich legte meiner Beifahrerin den Sicherheitsgurt an, damit sie nicht während der Fahrt auf mich fallen konnte, und steuerte in die Nacht.

Ich ließ es langsam angehen. Da die Sicht nur bis zur Motorhaube reichte, hatte ich auch keine andere Wahl, trotzdem schaffte ich es durch die Stadt bis zur Landstraße. Dort gab es ein paar abgelegene Stellen, die am Tag zum Picknick und in der Nacht von Liebespaaren aufgesucht wurden. Bei dieser Kälte würde allerdings wohl niemand auch nur einen Knöchel dem Frost aussetzen wollen. Nichtsdestotrotz gab es, wie das unglückselige Mädchen auf dem Beifahrersitz nur zu gut wusste, immer ein paar wetterharte Burschen, auf die man aufpassen musste, also bewegte ich mich mit aller Vorsicht.

Ich kurvte über die Landstraßen, auf der Suche nach dem Waldweg, der hinunter zum See führte. Bei der dritten Vorbeifahrt fand ich ihn endlich. Der Weg war schlammig aber festgefroren, also rumpelte und ruckelte ich mit dem Auto zum Ufer und parkte ein paar Meter vom Wasser entfernt, direkt vor einigen kahlen Bäumen mit knorrigen, verdrehten Ästen.

Keine anderen Pärchen waren an diesem Abend hier hergekommen. Ich schnallte meine Beifahrerin ab und fing sie auf, als sie mir über den Schoß fiel.

Mein Gott, sie war wirklich entzückend: jung, schön und nicht mehr belastet von weltlichen Sorgen. Abgestoßen von meinen eigenen Gedanken stieg mir die Galle hoch und ich musste würgen, als mich die Erkenntnis traf, dass mein eigener Vater hierfür verantwortlich war.

Mein Vater hatte dieses Licht ausgelöscht!

Sie war vielleicht ein knappes Jahr älter als ich und mein Vater hatte sie umgebracht.

Gut, es war ein Unfall gewesen, er hatte es nicht absichtlich getan und würde es ungeschehen machen, wenn er nur könnte, sogar zum Preis seines eigenen Ruins. Trotz alledem war sie tot. Sie war jung, schön und blond. Aber sie war tot. Und die Schuld dafür lag ganz allein bei ihr.

Diese groteske Tatsache rief mir wieder in Erinnerung, warum ich überhaupt hergekommen war. Ich stieg aus dem Auto, griff mir die Werkzeuge und begab mich auf die Suche nach einer passenden letzten Ruhestätte.

Ungefähr dreißig Meter vom Auto entfernt stieß ich auf eine kleine Lichtung. Der Boden war dick mit welken Blättern bedeckt, die sich hervorragend eignen würden, um mein Werk zuzudecken. Ich schob den knisternden Blätterteppich mit den Füßen zur Seite und begann die Spitzhacke zu schwingen. Leider war der Boden von zwei Wochen strengem Frost so durchgefroren, dass die Erde hart wie Beton war. Seit fast dreißig Minuten hatte ich gegraben wie ein Wahnsinniger und eine Schicht von gerade fünf Zentimetern abgetragen. Bei diesem Arbeitstempo würde ich im April noch hier sein und die ersten Picknicker begrüßen. Ich ließ die Hacke fallen, wischte mir über die Stirn und überdachte die Situation.

Ich konnte das Mädchen nicht einfach hier liegen lassen, wo jeder sie finden konnte. Mein Vater sagte immer, der Zeitfaktor sei entscheidend bei kriminalistischen Ermittlungen, also war es notwendig, dass ich uns so viel Zeit wie möglich verschaffte. Das würde die Erinnerung eventueller Zeugen trüben und mögliche Spuren, die mein Vater hinterlassen haben mochte, tilgen.

Ich überlegte, bis mir fast der Kopf platzte.

Unter den Blättern? Sollte ich das Mädchen einfach mit Blättern zudecken und hoffen, dass niemand über sie stolpern würde? Nein – Tiere würden sie wittern, außerdem waren hier ständig Spaziergänger mit Hunden unterwegs. Ich musste sie außer Reichweite von schnüffelnden Nasen bringen. Bloß wo?

Da fiel mein Blick auf den See.

Er war gefroren, genau wie der Boden, aber im Unterschied dazu musste ich mich nicht durch zwei Kubikmeter granitharten Dreck wühlen, um mein Problem zu beseitigen. Ein einziges Loch, einen halben Meter breit, würde bequem ausreichen.

Ich bedeckte die Mulde, in der man keine Flunder hätte begraben können, mit Blättern und begab mich aufs Eis. Da es mein Gewicht ohne das geringste Knacken trug, nahm ich an, dass es mindestens fünfzehn Zentimeter dick sein musste. Leider hat Eis die unangenehme Eigenschaft, gerade dort am dünnsten zu sein, wo das Wasser am tiefsten ist, deshalb ging ich sehr vorsichtig an die Stelle, wo ich die Mitte des Sees vermutete.

Dort holte ich mit der Spitzhacke aus. Ihr Auftreffen hallte wie ein Schuss durch den Wald, sprengte aber nur einen mickrigen Splitter aus der ansonsten makellos glänzenden Eisfläche. Mein zweiter Schlag krachte an derselben Stelle ins Eis. Der Widerhall schüttelte den Frost von den Zweigen der Bäume am Ufer und ließ mich zusammenzucken. Doch anders ging es nun mal nicht. Besser fünf Minuten Krach als sechs Stunden schuften und schwitzen, und da die Nacht nach wie vor dicht vernebelt war, würden eventuelle Spaziergänger sowieso nicht in der Lage sein, die Quelle des Lärms zu orten. Also machte ich tapfer weiter, schwang die Hacke und schlug mich durch die Eisschicht bis zum Wasser. Nach drei oder vier Dutzend Schlägen wurden meine Bemühungen mit einem Spritzen belohnt. Ich arbeitete an der Erweiterung des Loches, bis ich fast ausrutschte und selbst hineinfiel.

Es war inzwischen schon kurz vor sechs Uhr morgens. Bald würden die Milchmänner und die ersten Autos die Straßen beleben und ich durfte mich auf keinen Fall von möglichen Zeugen sehen lassen. Schnell rannte ich zum Auto zurück, um den Grund meiner nächtlichen Unternehmungen herauszuholen.

Als ich den Wagen endlich fand, rechnete ich beinahe damit, dass sie nicht mehr da sein würde. Beim Ausheben ihres nassen Grabes war meine Fantasie Amok gelaufen, hatte diesen Albtraum zu fürchterlichen Dimensionen aufgeblasen, bis ich davon überzeugt war, sie sei gar nicht tot, lediglich schwer verletzt, sodass es an mir wäre, zu entscheiden, ob ich ihr den Rest geben oder sie wieder gesund pflegen musste. Doch zum Glück hatte ein gütiger Gott mir dieses Dilemma erspart. Sie war immer noch genauso tot wie vorher und erwartete meine Rückkehr mit glasigen Augen.

Da soll noch mal einer behaupten, mein Vater wüsste nicht, wie man junge Frauen umbringt.

Ich zog ihr die Schuhe von den Füßen und stopfte sie in ihre Bluse, damit sie nicht auf dem Weg verloren gingen, dann griff ich unter ihre Arme und zog sie vom Beifahrersitz. Als ich sie erst einmal auf dem Eis hatte, war das Ziehen einfacher. Ich dachte schon, die Sache wäre so gut wie geschafft, da merkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wo das verdammte Loch war.

Der See war fast eine Viertelmeile lang und so stockdunkel, wie der Nebel es zuließ. Den Großteil der nächsten halben Stunde verbrachte ich damit, sie kreuz und quer über das Eis zu schleppen, bis ich vor Angst und Erschöpfung zusammenbrach. Womöglich hatte ich sie nur Zentimeter an dem Loch vorbeigezogen und es in der Dunkelheit nicht bemerkt. Ich entschied, noch einmal alleine auf die Suche zu gehen, ohne zusätzliche Last, und die Leiche anschließend abzuholen.

Zehn weitere schreckliche Minuten vergingen, dann stolperte ich endlich in mein eigenes Machwerk. Mein Fuß verschwand in der eiskalten Öffnung und ich konnte mich nur vor einem frühen Seemannsgrab bewahren, indem ich die Arme blitzartig zu den Seiten ausstreckte, auch wenn das Krachen meiner Knochen auf die ausgezackte Eiskante mich vor Schmerz fast bewusstlos werden ließ.

Nachdem ich mich wieder hochgezogen hatte, schickte ich einen stummen Schrei in die Nacht und machte unbeirrt weiter. Zuerst riss ich mir die tropfnasse Jacke und den Pullover vom Körper. Beides legte ich links und rechts neben den Rand, damit ich die Öffnung später leichter wiederfinden konnte. Außerdem nahm ich einige Zweige und flache Steine, die ich auf der Eisfläche gefunden hatte, und legte alles in einem Umkreis von zehn Metern um das Loch herum aus. Ich würde es nicht noch einmal verlieren, so viel war sicher. Leider wurde mir genau in diesem Moment klar, dass mich das Schicksal für den bescheidenen Erfolg anscheinend mit Zins und Zinseszins zur Kasse bitten wollte.

Ich hatte das Mädchen verloren.

So fixiert war ich auf die Suche nach dem Loch gewesen, dass mir dadurch das Gleiche noch einmal passiert war: Ich hatte sie einfach irgendwo liegen lassen, in der Annahme, es würde mir schon gelingen, sie wiederzufinden.

Oh Scheibenkleister!

Es war inzwischen Viertel vor sieben und der Nebel lichtete sich langsam. Das war ein zweischneidiges Schwert, bedeutete es doch einerseits, dass ich meinen Schützling leichter finden konnte, andererseits aber auch, dass der Deckmantel, unter dem ich operierte, sich zu lüften begann.

In weit ausgreifenden Bögen schlitterte ich über den See, fast verrückt vor Verzweiflung und mehr denn je davon überzeugt, dass das Mädchen einfach aufgestanden und weggegangen sein musste, als mich ein plötzlicher Schreck auf die Knie fallen ließ. Irgendwo da draußen schlug eine Autotür zu.

Ich hielt den Atem an und lauschte angestrengt in die Dunkelheit, den Kopf in alle Richtungen drehend, um so viel wie möglich zu hören. Bald wehten Stimmen über das Eis herüber.

»… da draußen … auf dem See … so etwas wie … lauter Krach …«

»Oh Gott.« Ich erschauerte. Die Angst vor Entdeckung legte sich um meinen Hals wie eine Schlinge.

Wieder stürzte ich mich in den Nebel, rutschte über die tödliche Oberfläche ohne einen Gedanken an meine Sicherheit zu verschwenden, denn die Zeit war plötzlich knapp geworden, sowohl für meinen Auftrag als auch für mein Leben. Natürlich könnte man argumentieren, dass ich ja die Tat nicht begangen, sondern nur versucht hatte, die Spuren zu beseitigen, und dafür konnte ich nicht gehängt werden. Aber sogar wenn mein Vater sich stellte und die volle Verantwortung für sein nächtliches Werk übernahm … Passte es nicht sehr viel besser ins Bild, dass ein liebender Vater sich für seinen missratenen Sohn opferte, als alles, was ansatzweise der Wahrheit entsprach? Besonders wenn dieser Vater der berühmte Reginald Coal war, Träger des Victoria-Kreuzes, Kronanwalt und allgemein anerkannter Gutmensch.

Das nächste Geräusch, das meine Nerven erschütterte, war das Bellen eines Hundes. Er kam zornig kläffend aus dem Nebel auf mich zugerast und schlitterte direkt an mir vorbei. Beim Anblick des schwarzen Köters bekam ich fast einen Anfall, aber das Tier schnüffelte nur flüchtig an mir und trabte seiner Wege.

»Jupiter!«, ertönte wieder ein Rufen, kaum die Länge eines Fußballfeldes von mir entfernt. »Jupiter, mein Junge, wo bist du? Was hast du gefunden?«

Der Hund war offensichtlich von der Leine gelassen und auf den See geschickt worden, damit er suchte, was immer es hier zu finden gab, also drehte ich mich um und folgte seinem aufgeregten Gebell bis zu der Stelle, wo er neben der Leiche einer näheren Bekanntschaft meines Vaters auf und ab hüpfte.

Ich trat den Hund zur Seite, packte das Mädchen unter den Armen, und trat noch einmal nach dem Hund, weil der sich entschieden hatte, bei dem Spiel mitzumachen und sie an ihren Knöcheln in die entgegengesetzte Richtung zu zerren.

»Was hast du da? Was ist da, Junge?«, tönten die aufgeregten Stimmen jetzt noch näher als zuvor. Das war der Moment, in dem ich mich entschied, in meines Vaters Fußstapfen zu treten, und das tat, was er in einer solchen Situation sicherlich machen würde: Ich zog den Gürtel aus meiner Hose und erdrosselte den Hund. Innerhalb von dreißig Sekunden war er tot, oder jedenfalls kein Titelanwärter mehr für eine Hundeschau. Ich schnallte den Gürtel wieder um, griff mir ein paar Knöchel und zog das Mädchen zum Loch.

Meine Verfolger fanden ihren Hund, bevor ich mein Loch gefunden hatte. Ihr Gebrüll zeugte in gleichem Maße von Wut und Verzweiflung.

»Oh Gott, nein!«

»Du Mistkerl! Du verfluchtes Arschloch! Wir wissen, dass du da irgendwo bist, und wir kommen und bringen dich um!«, versprachen sie, aber ich hatte meine durchnässte Jacke schon gefunden und das Loch war nur noch einen kleinen Ruck links davon.

Ursprünglich hatte ich geplant, ein paar feierliche Worte zu sprechen, bevor ich sie der Tiefe überantwortete. Diese noblen Absichten hatten meine neuesten Gefährten zunichtegemacht, daher schmiss ich sie einfach kopfüber in die Öffnung und stopfte ihre Beine hinterher.

»Was war das?«

»Jemand ist reingefallen. Hier lang, komm schon«, erklang die unvermeidliche Antwort, doch mein Werk war vollbracht und nun war definitiv Rückzug angesagt.

Ich packte meinen Pullover und meine Jacke und machte mich auf zum Ufer. Natürlich hatte ich in dem verdammten Nebel jetzt auch noch das Auto meines Vaters verloren. Andererseits, wenn ich dermaßen viele wichtige Sachen in dieser nervenaufreibenden Nacht verlieren konnte, war es den ehemaligen Hundebesitzern bestimmt möglich, wenigstens meine Spur zu verlieren.

Ein paar Sekunden später erreichte ich das Ufer und suchte im sich lichtenden Nebel nach vertrauten Umrissen. Nichts kam mir bekannt vor, also rannte ich stolpernd und strauchelnd am Rand des Sees entlang, bis ich wegen einer Baumwurzel, die nicht vom Eis verschluckt worden war, auf den Hintern fiel.

»Da hinten ist der Mistkerl!«, wurden wieder die Stimmen laut, aber jetzt hatte ich endlich auch mal Glück: Als ich aufblickte, sah ich Vaters Oxford zwischen den Bäumen stehen.

Mit frischer Entschlossenheit stürmte ich darauf zu und bekam noch einmal fast einen Herzinfarkt, weil ich gute zehn Sekunden in meinen Taschen nach den Autoschlüsseln wühlen musste. Dann trat ich endlich das Gaspedal durch, wirbelte das Lenkrad herum und verschwendete keinen Gedanken an die schlechte Federung. Das Auto hüpfte über jeden Huckel und durch jede Kuhle, bis die Vorderräder schließlich so etwas wie ebenen Untergrund fanden. Ich kuppelte, schaltete und beschleunigte wie ein geölter Blitz. Im Rückspiegel kamen Gestalten aus dem Nebel gerannt. Ich traute mich nicht, zurückzuschauen. Ich trat einfach durch bis zum Bodenblech, schoss den Weg hoch und auf die Landstraße, als ob die Welt um mich herum in den Abgrund stürzen würde.

Und wisst ihr was?

Das tat sie auch.



IV


Um kurz nach acht kam ich zu Hause an, stellte den Oxford in die Garage und schloss das Tor hinter mir ab. Zuerst hängte ich die Werkzeuge an die Wand. Dann verbrachte ich dreißig Minuten damit, das Auto mit Terpentin auszuwaschen, bis ich von den ausgestandenen Schrecken so erschöpft war, dass ich an Ort und Stelle, ausgestreckt über die Vordersitze, einschlief.

Kurze Zeit später wachte ich auf. Zuerst wusste ich nicht, wie spät es war oder wo ich mich befand, doch dann stürzten die Ereignisse der letzten Nacht auf mich ein wie ein furchtbarer Traum. Aber es war kein Traum gewesen, wie mein Vater bezeugen konnte, der sich mit ängstlichem Gesichtsausdruck über mich beugte.

»Und?«, fragte er.

»Alles erledigt.«

Mein Vater blies die Wangen auf und schüttelte traurig den Kopf.

»Herr, habe Mitleid mit uns, deinen elenden Dienern«, lamentierte er, dann hielt er mir seine Hand hin. Ich zögerte zuerst, weil es eine für ihn so ungewohnte Geste war, aber schließlich ergriff ich sie feierlich.

»Es ist eine schreckliche Sache, die wir in dieser Nacht getan haben, John, doch du hattest recht, es war ein notwendiges Übel. So wahr Gott mein Zeuge ist, das war es. Und deshalb schlage ich dir jetzt einen Pakt vor. Wir wollen die Ereignisse dieser höllischen Nacht hinter uns lassen und bei unser beider Leben schwören, fortan niemals zu irgendjemandem außerhalb unseres Bundes auch nur ein Wort darüber zu sprechen, was dieser armen, unglückseligen Kreatur zugestoßen ist.«

Mein Vater hatte immer schon eine ausgeprägte Neigung zum Ausschmücken der schnöden Alltagssprache gehabt. Ich glaube, was er meinte, war in etwa: Ich erzähle es keinem, wenn du es keinem erzählst.

»Ja, Vater«, stimmte ich zu, wurde aber schlagartig blass, als mir meine Gesellschaft auf dem Eis wieder einfiel. »Warte mal, ich bin gesehen worden.«

Mein Vater sprang fünf Zentimeter nach links. »Aus der Nähe?«

»Nein, als ich weggefahren bin. Sie haben sich bestimmt die Autonum …« In Panik umrundete ich den Wagen und stellte fest, dass die Nummernschilder fehlten.

»Es ist schon gut, John, ich habe sie gestern Abend abmontiert«, sagte er. »Nur zur Sicherheit.«

Ich nahm diese Erklärung ohne Weiteres hin, erleichtert, dass er so vorausschauend eine Vorsichtsmaßnahme getroffen hatte, die mir selbst nicht in den Sinn gekommen war. Erst ein paar Tage später begann ich mich zu fragen, wann genau er die Nummernschilder wohl abgenommen hatte.

Und warum?

 

Die Zeitungen schrieben nichts von jungen Damen in Seen oder Mördern auf dem Eis. Es gab nur ein paar Zeilen im lokalen Käseblatt über den Hund eines Jagdaufsehers, der von einem eisfischenden Wilderer getötet worden war. Der Jagdaufseher war am Boden zerstört, nicht zuletzt weil er den Wilderer nicht erwischt hatte, und am Ende des Artikels stand eine Telefonnummer mit der Bitte um sachdienliche Informationen.

Ich seufzte voll dankbarer Erleichterung, weil diese ganze schreckliche Angelegenheit jetzt hinter mir lag, aber das gute Gefühl war nicht von Dauer, denn nur ein paar Tage nach unserer ersten Vater-Sohn-Aktivität fing mein alter Herr schon wieder an.

»Oh John, John!«, rief er aus, während er mich zum zweiten Mal innerhalb einer Woche aus meinen Albträumen schüttelte. Seine Züge trugen den nun schon vertrauten panischen Ausdruck. »Wach auf! Wir sind wieder in Schwierigkeiten!«

wir