Für meine Familie, die mir alles bedeutet und für alle Menschen mit einem Schicksalsschlag oder die in schwierigen Situationen sind.
Merci vielmal!
Hätte mir früher jemand gesagt, dass ich einmal ein Buch schreiben werde, ich hätte bestimmt gelacht und gesagt: „Ich? Ganz sicher nicht.“
Doch die Anfrage des Cameo Verlags hat mich gleich angesprochen und für mich war schnell klar: „Das mache ich.“
Jetzt, ein Jahr später, ist das Buch fertig geschrieben. Es war ein unglaublich spannender und sehr zeitintensiver Prozess, der von einigen privaten, emotionalen Ups und Downs durchkreuzt wurde.
Das Buch zu schreiben war wie eine zweite Verarbeitung und eine Vertiefung von allem, was ich in dieser schwierigen Zeit, aber auch danach, erlebt, realisiert und gelernt habe. Alles ist mir noch viel bewusster geworden und ich habe viele neue Zusammenhänge entdeckt.
Eines wusste ich von Anfang an: Wenn ich dieses Buch schreibe, dann mit Haut und Haaren, ehrlich und authentisch, ohne etwas zu beschönigen. Es ist das Persönlichste und Tiefste was ich bisher in meinem Leben der Öffentlichkeit preisgegeben habe.
Es sind meine Erfahrungen, Gedanken und innersten Gefühle. Vielleicht spreche ich dir dann und wann aus der Seele, vielleicht stimmen für dich bestimmte Passagen, Tipps oder Übungen wiederum nicht. Jeder ist individuell, mit eigenen Ansichten, Gefühlen und Bedürfnissen. Nimm an, was dich berührt und für dich passt und lass das Übrige einfach beiseite.
Wenn du aus meiner Geschichte Erkenntnisse gewinnen kannst, die dich in irgendeiner Art und Weise unterstützen und weiterbringen, dann freut mich das sehr.
Lediglich meine Erfahrung und Ansicht weiterzugeben, hat mir aber nicht gereicht. Ich wollte mehr. Ich wollte auch Informationen, Übungen und Tipps vermitteln.
Dieses Buch wäre in der Art nie entstanden, wenn ich nicht so viel Unterstützung von Spezialisten bekommen hätte.
Allen voran möchte ich Dr. med. Anton Lukes, Facharzt für Neurochirurgie, Spezialarzt für Hirntumoren- und Wirbelsäulenleiden, am Lindenhofspital Bern, danken. Du hast mir mein zweites Leben geschenkt und mich bei der Entstehung dieses Buches enorm unterstützt! Merci tausend Mal Toni! Du bist ein Schatz!
Ein riesiger Dank geht auch an Simon Raeber, Psychologe lic. phil., Systemischer Therapeut, Coach und Supervisor, Geschäftsführer und Partner Neomentum.
Ein großes Merci auch an alle weiteren Spezialisten! Es freut mich sehr, dass ihr mir so tatkräftig unter die Arme gegriffen habt.
Andreas Lanz, Personal Trainer und Inhaber Tatkraft-werk, Bern
Manuela Wyss, Pflegeexpertin Medizin, Kantonsspital Baden
Dr. med. Amineh Troendle, Fachärztin für Endokrinologie / Diabetologie und innere Medizin, Praxis Lindenhofspital Bern
Dr. med. Alexandra Schüller, MediZentrum Lyss
Andrea Imboden-Steinlin, Physiotherapeutin
Dr. med. Christian Weisstanne, Dr. med. Eike Piechowiak und Carole Stuker, MTRA am Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie (DIN), Inselspital Bern
Fabian Lüthy, Sportwissenschaftler lic. phil.
Prof. Dr. Stephan Rüegg, Präsident und Dr. Julia Franke, Geschäftsführerin Schweizerische Epilepsie-Liga
Und natürlich: Merci Cameo Verlag!
Ich danke Gabriel Palacios und Rafael Schlegel von ganzem Herzen für die Idee und die Möglichkeit, dieses Buch zu realisieren. Aber auch für eure Unterstützung, die schöne Freundschaft und all die guten Ratschläge und die wundervolle Zusammenarbeit im Hypnose Center. Ihr seid eine wahre Bereicherung in meinem Leben!
Dass ich eine sehr schwierige und prägende Zeit so gut durchstehen und verarbeiten konnte und weiterhin noch viele schöne Momente erlebe und mich vom Leben getragen fühle, das habe ich ein paar ganz besonderen Menschen zu verdanken:
Danke Sacha, dass du mir in dieser Zeit ein guter Partner gewesen und mir beigestanden bist. Das ist nicht selbstverständlich. Du hast dich grandios verhalten.
Das größte Dankeschön geht an meine Familie. Ich liebe euch von ganzem Herzen!
Mam und Pap, ihr habt mir so viel mit auf den Weg gegeben! Ihr seid immer für mich da und unterstützt mich wo ihr nur könnt. Ihr habt mir in der schwierigen Zeit den Rücken gestärkt, mir Mut gemacht und mir gezeigt, dass ihr mich liebt und zu mir steht, egal was ist. Tausend Dank für alles, was ihr für mich und auch für Ian tut! Es ist so schön und ein Privileg euch als Eltern zu haben.
Merci vielmal Chrigi für deine Unterstützung, die guten Gespräche und die schönen und lustigen Erlebnisse! Du bist eine großartige Schwester!
Vielen Dank auch an Siro, dass du mich nach wie vor in allem unterstützt, da bist und ein so wundervoller Mensch und Vater für Ian bist.
Ian, du bist für mich das Wichtigste im Leben. Ein wundervoller kleiner Mann mit einem wunderschönen Herzen. Auch wenn du es noch nicht verstehen kannst, aber du bist mir eine große Stütze im Leben und ich habe in diesen zwei Jahren schon so viel durch dich gelernt und mit dir so viele einzigartige, schöne und tiefe Momente erlebt. Ich könnte mir keinen besseren Sohn wünschen. Merci dass es dich gibt! Ich liebe dich!
Es ist Weihnachten. Ich werde als Hirntumorspezialist beigezogen bei einer jungen Frau mit einem soeben im MRI diagnostizierten Hirntumor. Unterwegs durch die mit Weihnachtsduft erfüllten Spitalgänge ins Besprechungszimmer frage ich mich: Haben denn Schicksalsschläge keine Weihnachtsferien?
Trotz beinahe 30 Jahren Neurochirurgie auf dem Buckel und weit über 3000 behandelten Hirntumorpatienten bleibt für mich der Moment der Eröffnung dieser Diagnose an den Patienten einzigartig, persönlich, unerwartet und ungewiss. In keinem anderen chirurgischen Fach kommt man strukturell näher an das Zusammenwirken von Geist, Körper, Gedanken, Träumen, Emotionen, Bewegung und Planung. Neurochirurgie ist unerbittlich und die kleinste Unsicherheit während der Operation hinterlässt einen bleibenden Schaden. Und das unbestechliche Auge des Neuropathologen entscheidet bei der mikroskopischen Untersuchung des Tumors über Gut oder Böse.
Ich begegne an diesem Weihnachtstag einer jungen Patientin, stelle bohrende Fragen und versuche, sie emotional auf die dringliche und riskante Operation vorzubereiten. Sie wirkt gelassen, stimmt der Operation zu und hadert keinen Moment mit dem Schicksal. Dies war der Beginn. Der entfernte Tumor erwies sich als gutartig und nach jahrelangen regelmäßigen Kontrollen bei mir ist diese junge Patientin geheilt.
Im vorliegenden Buch schildert Frau Gutmann ihr Schicksal und ihre persönlichen Erkenntnisse während der langen Zeit nach erfolgreicher Operation. Die bemerkenswert persönliche Sichtweise ist erfrischend und eröffnet jedem Leser eine neue Wahrnehmung bei Schicksalsschlägen. Nebst Hoffnung und Zuversicht beinhaltet das Buch wichtige Anleitungen und Strategien beim Umgang mit einer unverhofften Diagnose. Albert Einstein sagte: „Man muss die Welt nicht verstehen, man muss sich nur darin zurechtfinden.“
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern das Finden ihres Weges und Frau Gutmann weiterhin alles Gute in naher und ferner Zukunft.
Bern, im August 2016
Dr. med. Anton Lukes
Spezialarzt Neurochirurgie FMH
Lindenhofspital Bern
1. KAPITEL Schock-Diagnose
2. KAPITEL Mit der Diagnose in den Alltag
3. KAPITEL Weihnachten
4. KAPITEL Spitaleintritt
5. KAPITEL Angiographie – Endlich geht etwas!
6. KAPITEL Es kommt alles gut!
7. KAPITEL Der Abend vor der Operation
8. KAPITEL Jetzt wird’s ernst!
9. KAPITEL Intensivstation
10. KAPITEL Erholung und Schmerzen
11. KAPITEL Gefühle und Gesten
12. KAPITEL Visite
13. KAPITEL Körper und Psyche
14. KAPITEL Ein kleiner Ausflug zum Kiosk
15. KAPITEL Egoismus
16. KAPITEL Pathologiebericht
17. KAPITEL Eine kleine Neujahrsfeier
18. KAPITEL Story im Spitalzimmer
19. KAPITEL Endlich ab nach Hause!
20. KAPITEL Die ersten Tage zu Hause
21. KAPITEL Medienrummel
22. KAPITEL Reaktionen
23. KAPITEL Die Belastung der Angehörigen
24. KAPITEL Gesundheitssendung
25. KAPITEL Im Hoch
26. KAPITEL Vom Fokus und dem fehlenden Vertrauen in den Körper
27. KAPITEL Die 1. Nachkontrolle
28. KAPITEL Zurück an die Arbeit
29. KAPITEL Depressionen
30. KAPITEL Wie hat sich der Tumor bemerkbar gemacht?
31. KAPITEL Und noch etwas zum Schluss …
Es ist Dienstag, 24. Dezember 2002. Ich sitze im Auto und die Tränen laufen mir in Strömen herunter. Ich stehe unter Schock. Alle meine Emotionen werden wie von einem Schalter von off plötzlich auf on gesetzt. Habe ich vor wenigen Minuten noch nichts gespürt, überfallen mich jetzt alle Gefühle auf einmal.
Tief in mir drin ist eine Fassungslosigkeit, ein Nicht-begreifen-Können, eine unglaubliche Angst. Eine Todesangst. In dem Moment fühle ich, zum ersten Mal in meinem Leben, dass der Tod plötzlich da sein könnte. Dass das Leben unberechenbar ist. Und gleichzeitig bin ich dem Leben so nah wie nie zuvor.
Ich beginne zu realisieren, was gerade passiert ist und löse mich langsam aus meiner Schockstarre.
War’s das? Ich bin erst 25. Soll mein Leben etwa jetzt schon zu Ende sein? Ich habe doch noch so viel vor!
Vor etwas mehr als einem Jahr habe ich die Schauspielschule abgeschlossen. Ich bin erst gerade nach München gezogen und will jetzt so richtig loslegen. Vor wenigen Tagen hat mir ein bekannter deutscher Regisseur eine Filmrolle angeboten. Meine erste Rolle!
Ich wollte immer Kinder haben, reisen, die Welt entdecken und überhaupt, wie sag ich es meinen Eltern, meiner Schwester, meinem Freund?!
Es kommt mir vor, wie wenn mein Leben aus normaler Geschwindigkeit auf Slow Motion heruntergebremst wird, bis es fast stillsteht.
Ich sehe mich, wie ich mich von meiner Familie verabschieden muss, male mir aus, was ich ihnen als Letztes sagen würde, bevor ich sterbe und fühle eine so unglaublich tiefe Trauer, dass ich meine Angehörigen jetzt bald zurücklassen würde.
Ich heule von neuem drauflos und schluchze laut. Jemand läuft durchs Parkhaus und an meinem Auto vorbei. Es ist mir so was von egal, wenn jemand hört, wie elend ich mich gerade fühle. Ich schluchze einfach weiter.
Was, wenn das alles nur ein böser Traum ist und ich gleich aufwache? Schön wär’s! Ich habe Mühe alles einzuordnen. Was ist Wirklichkeit, was nicht? Die Situation ist einfach zu surreal.
Was war eben gerade passiert?
Vor rund einer Stunde war meine Welt noch völlig in Ordnung. Ich hatte einen Termin in der Neurologie im Inselspital Bern. Ich hatte zwar keinen blassen Dunst, was ich hier wirklich sollte. Mein Hausarzt wollte unbedingt, dass ich noch weitere Tests machen lasse, nachdem wir die MRI-Bilder von meinem Gehirn besprochen hatten. Er sagte mir, ich müsse mir keine Sorgen machen, es sei alles in Ordnung, da sei nur etwas, das nicht sein müsse. Aber das wäre nicht weiter ein Problem. Ich begriff zwar nicht, warum ich dann noch ins Spital zu weiteren Untersuchungen sollte, aber ich habe das auch nicht näher hinterfragt. Dass ich seine Antwort einfach so geschluckt habe, das verstehe ich heute noch nicht. Normalerweise rieche ich 10 Kilometer gegen den Wind, wenn etwas komisch ist.
Also sitze ich nun da mit einem Neurologen, der Hirnnerventests mit mir macht.
Ich muss z. B. die Augen schließen und erst mit dem rechten und dann mit dem linken Zeigefinger auf meine Nase tippen oder auf einem Bein hüpfen. Er streicht mir mit einem spitzen Gegenstand über die Fußsohlen und die Arme um mein Gefühl zu testen.
„Wozu das wohl gut ist?“, frage ich mich. Solche Übungen haben wir ja schon im Turnunterricht in der 1. Klasse gemacht.
Und ich muss eigenartige Fragen beantworten. Zum Beispiel ob ich schon einmal Lähmungserscheinungen oder Sprachstörungen gehabt habe.
Nachdem wir alle Tests durchgeackert hatten, und das dauerte rund eine halbe Stunde, fragte er mich, ob ich Zeit hätte zu warten, dann würde er alles mit seinen Kollegen besprechen und mir gleich Bescheid geben.
Ich hatte Zeit, ja, es war ja der 24. Dezember und ich wollte danach nach Luzern zu meinem Freund fahren, um mit ihm und seiner Familie Weihnachten zu feiern.
Also saß ich da und wartete.
Das Zimmer war eher klein. Da gab es ein Untersuchungsbett, einen Spiegel, ob ein Pult darinstand, weiß ich nicht mehr, aber es gab eine große Leuchtwand um die Röntgenbilder anzuschauen und ein, zwei Stühle.
Ich saß da und ärgerte mich schon etwas, dass ich kein Buch dabeihatte. Denn da gab es absolut nichts zu lesen. Und ich wartete ziemlich lange.
Nach einer gefühlten Ewigkeit ging plötzlich die Tür auf und drei Neurologen kamen herein. Die Atmosphäre im Raum wurde plötzlich angespannt. Ich saß immer noch ahnungslos da, aber langsam wurde mir mulmig. Das war komisch. Gleich drei Ärzte? Und alle schauten so ernst.
Sie stellten sich kurz vor und einer fragte mich dann, ob ich alleine hier sei.
Ich antwortete: „Ja, warum?“
Diese Frage überraschte mich irgendwie und machte mich etwas misstrauisch.
Meine Eltern hatten mich gefragt, ob sie mitkommen sollten, aber ich hatte abgewunken. Ich sagte, das sei schon in Ordnung, ich würde da einfach hingehen und danach gleich nach Luzern zu meinem Freund Sacha fahren.
Also saß ich alleine da vor diesen drei Spezialisten, die sich nach meinem Ja kurz verdutzt anschauten. Da war auch ein kleines Zögern in der Körpersprache, so als ob sie jetzt gerade nicht wüssten was zu tun sei und das mit kurzen Blicken abklären müssten.
Oftmals spürt man, dass irgendetwas nicht stimmt, dann nimmt man plötzlich alles, die Umgebung, den Raum, das oder in meinem Fall die Gegenüber, ganz intensiv wahr. Man fasst die kleinsten Gesten, Blicke, Atemzüge oder ein winziges Zögern sofort auf.
Man scheint wie in Alarmbereitschaft zu stehen und kann alles in einer Millisekunde einordnen. Man denkt weder rational noch emotional. Der ganze Körper ist voll auf dem Intuitions-Modus.
„Hatte jemand in Ihrer Familie einmal einen Hirntumor“. Peng, da war der nächste Satz und peng, ich wusste, was es geschlagen hatte.
Ich nahm plötzlich alles wie in Zeitlupe wahr und die drei Neurologen rückten irgendwie in die Ferne. Innerlich war ich wie gelähmt und gleichzeitig hinter einer Glasscheibe.
Ich fühlte nichts. Ich war leer. Im Schock. Ich realisierte gar nichts mehr.
Ich antwortete mit nein.
Sie erklärten und zeigten mir auf dem MRI-Bild wo der Tumor war.
Ich kann mich noch so gut an diesen Moment erinnern. Ich schaute auf den Punkt im Kleinhirn auf der Höhe des linken Ohrs, auf den die Ärzte deuteten und dachte: „Habe ich es doch gewusst, dass da etwas nicht stimmt und nicht mitten im Hirn.“ Mein Hausarzt hatte nämlich immer auf die Hypophyse gezeigt, als er von dem „kleinen Problem“ sprach, das nicht sein sollte. Mein Gott, er hatte mich elegant hinters Licht geführt. Aber mehr dazu später.
Einer der drei Neurologen sagte mir, dass anhand von meinem Alter und so wie der Tumor auf dem Bild aussah, er zu 95 % gutartig sei. Aber wirklich wissen tue man es erst, wenn man ihn rausoperiert und im Labor untersucht habe.
Sie schätzten den Tumor auf 3 mal 3 Zentimeter.
Ich fragte, was sie mir empfehlen würden.
Operieren wäre eine Möglichkeit oder noch abwarten und schauen, wie er sich entwickelt, wäre die andere Option.
Ich sagte laut und klar, dass ich dieses Ding so rasch wie möglich draußen haben möchte.
Ich dachte nicht einmal nach, was das bedeutet oder welche Folgen eine Hirnoperation haben könnte. Für mich war einfach klar: Raus damit! Und zwar schnell. Ich will den Tumor keinen Tag länger als nötig in mir drin haben.
Einer der Ärzte meinte, er würde mir auch zu einer Operation raten, da der Tumor zwar wohl ziemlich sicher gutartig sei, sich aber mit der Zeit auch in einen bösartigen verändern könnte. Außerdem würde er weiter wachsen und könne mit der Zeit neurologische Probleme verursachen. Unter Umständen könnte man ihn dann nicht mehr vollständig entfernen.
Ich fragte nach den Risiken der Operation.
Einer der drei schaute mich verdutzt an und sagte zu mir: „Sie sind ganz schön hart im Nehmen.“
Dass ich so sachlich war und gleich aufs Ganze ging, war wohl nicht gerade eine übliche Reaktion auf eine solche Hiobsbotschaft.
Ich antwortete nur: „Ich begreife noch gar nicht, was hier gerade passiert.“
Nach außen hin schien ich ganz anders zu wirken, als ich mich innen drin fühlte. Ich redete mit ihnen über die Operation und besprach alle möglichen Details und Eventualitäten, wie wenn ich mit einem Kunden eine Moderation bespreche.
Aber so klar wie ich nach außen zu wirken schien, so leer war ich in meinem Innern. Ich war emotional ausgeschaltet.
Innen drin begriff ich überhaupt nichts. Die Diagnose berührte mich emotional nicht im Geringsten. Ich war wie fremdgesteuert und funktionierte einfach. Ich saß immer noch hinter einer dicken Schutzwand.
„Wie entsteht so ein Tumor? Habe ich etwas falsch gemacht?“, will ich wissen. „Man kann nicht genau sagen, warum sich ein Tumor entwickelt. Wir wissen es schlicht nicht. Es ist Schicksal“, klärt mich einer der Ärzte auf.
Na super! Jetzt habe ich so ein Teil im Kopf, das mir schadet, mich im schlimmsten Fall sogar umbringt und man weiß nicht mal wieso! Diese Antwort war für mich alles andere als befriedigend. So ist man ja einfach ausgeliefert, man kann nicht mal etwas ändern oder besser machen im Leben!
Wir sprachen lange über das Vorgehen. Und da ich mir zu 100 % sicher war, dass ich so rasch wie möglich operieren wollte, schlugen sie mir vor, gleich hier zu bleiben. Das überforderte mich dann doch etwas. Ich hatte nichts bei mir, keinen Pyjama, keine Zahnbürste, nichts.
Plötzlich zog es mich mit jeder Faser meines Körpers nach Hause zu meiner Familie. In dem Moment vermisste ich sie unglaublich fest.
Das war die erste Emotion die ich empfand. Ich wollte meine Mutter und meinen Vater sehen. Sie in die Arme nehmen. Und es war Weihnachten! Also wenigstens etwas feiern musste drin liegen.
Wir einigten uns, dass ich jetzt nach Hause fahren und am nächsten Vormittag im Spital einchecken würde.
Beim Rauslaufen fragte ich einen der Ärzte, ob es Sinn machen würde mich halbprivat oder privat im Spital anzumelden. Ich hatte bei der Krankenkasse eine sogenannte Flex-Versicherung abgeschlossen.
Er meinte: „Nein. Ich bin sowieso derjenige, der sie operieren wird. Sparen sie sich das Geld für die Reha.“
So, jetzt wusste ich auch, wer bei mir Hand anlegen würde: Dr. Lukes.
Ein anderer Arzt fragte mich, ob ich anonym ins Spital eintreten möchte. Ich sah ihn etwas perplex an.
Man könne unter einem anderen Namen registriert werden, klärte er mich auf.
Ich war ziemlich überrascht, dass so etwas überhaupt möglich ist. Aber es kam mir sehr gelegen.
Den Gedanken, dass jemand aus der Presse von meiner Erkrankung Wind bekommen könnte, fand ich gar nicht lustig. Innerlich sah ich schon ein Bild von mir in der Zeitung. Mit kahlem Kopf!
Das machte mir echt zu schaffen. Alle Haare entfernen zu müssen. Mich schauderte es.
Wir verabschiedeten uns und dann war ich plötzlich komplett alleine mit dem ganzen Schock und allen Informationen, die auf mich eingeprasselt waren.
Tipp: Sich auf eine mögliche negative Diagnose vorbereiten Da man in der Regel nicht weiß, an welche Ärzte man geraten wird und was alles auf einen zukommt, kann man vor allem eines tun: Sich mental vorbereiten und sich bewusstwerden, was man von einem Arzt erwartet und wissen will. |
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Hole vorab nur so viele Informationen über die Untersuchung und die Besprechung ein, die du für dich brauchst und die dir guttun. |
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Wenn du schon jetzt Fragen hast, schreibe sie auf. |
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Nimm dir einen Moment Zeit und versetze dich in die Sprechstunde mit den Ärzten. Fühle dich in diese Situation hinein. |
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Überlege dir, wie du in einer belastenden Situation reagieren würdest. Neigst du zum Beispiel dazu panisch zu werden, zu erstarren oder eher mechanisch zu funktionieren? |
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Was wäre in so einem Schockmoment für dich wichtig? Was unterstützt und beruhigt dich? |
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Überlege dir, von welcher dir nahestehenden Person du zum Termin begleitet werden willst. |
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Kommuniziere deine Erwartungen, Ängste und Bedürfnisse den Ärzten ehrlich und klar. |
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Bleib ruhig und denk positiv. |
Eine Untersuchung zu machen heißt noch lange nicht, dass man auch wirklich eine schlimme Diagnose bekommt. |
Tipp: Bei negativer Diagnose die richtige Entscheidung treffen Jeder Mensch reagiert anders auf negative Diagnosen. Manche entscheiden schnell und spontan aus dem Bauch heraus, was als nächstes passieren soll. Andere müssen zuerst den Schock verarbeiten und wiederum andere wollen eine Zweitmeinung und sich die besten Ärzte aussuchen. |
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Hör auf dein Bauchgefühl. Was ist deine erste Intuition. |
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Recherchiere im Internet nicht einfach drauflos. Da findest du alle möglichen Informationen. Lass dir von den Spezialisten, Beratern oder entsprechenden Stiftungen passende Seiten empfehlen. |
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Nimm deine Ängste und Bedürfnisse wahr, schreibe sie auf und teile sie den Ärzten mit. |
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Wenn du dich über mögliche Maßnahmen informieren möchtest, dann lass dir in Ruhe alles erklären. |
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Welche Behandlungsmöglichkeiten hast du? Wäge Pro und Contra ab. |
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Besprich, wenn du möchtest, alles mit deiner engsten Vertrauensperson. |
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Nimm dir die Zeit, die du brauchst, um die richtige Entscheidung zu treffen. |
Jetzt war ich also allein. Ich lief wie in Trance durch das Spital. Als ich draußen die kalte Luft spürte, kehrten langsam die ersten Gefühlsregungen in meinen Körper zurück. Die Scheibe, die mich vor allem abgeschottet hatte, wurde immer dünner.
Ich lief zum Parkhaus und die Tränen begannen mir über die Wangen zu laufen.
Aber erst im Auto konnte ich so richtig loslassen und bekam einen regelrechten Heulkrampf.
Ich stand immer noch unter Schock. Aber der Schock vermischte sich jetzt mit dem Begreifen, mit der Realität. Und vor allem mit den Gefühlen. Ich fühlte plötzlich die ganze Bandbreite an Emotionen. Alle brechen plötzlich über mich herein: Angst, Traurigkeit, Wut, Fassungslosigkeit und Liebe.
Da sitze ich nun heulend im Auto. In weniger als einer Sekunde hatte sich mein Leben um 180° gedreht. Plötzlich ist nichts mehr so, wie es war. Und ich weiß, es wird auch nie mehr so sein.
Diese Hiobsbotschaft hat mich bis ins Knochenmark durchgeschüttelt.
Ich heule mich aus und kann mich nach und nach wieder etwas fassen.
Irgendwann starte ich den Motor. Alles was ich tue fühlt sich so mechanisch an. Wie, wenn sich mein Körper, mein Innenleben, ja mein ganzes Ich in verschiedene Teile aufgesplittert hätte. Kein Teil harmoniert mehr mit dem anderen.
Von unterwegs rufe ich zu Hause an. Mein Vater nimmt den Anruf entgegen. Kaum höre ich seine Stimme, übermannen mich wider die Emotionen. Er fragt, was los sei. „Ich habe einen Hirntumor!“, schreit es förmlich aus mir heraus.
Dann ist es einen Moment still. Damit hat mein Vater nicht gerechnet.
Heulend erzähle ich ihm in der Kurzversion, was gerade passiert ist.
„Komm doch jetzt erst mal nach Hause, dann schauen wir weiter“, meint er geschockt und gleichzeitig beruhigend.
Er hatte Angst mich so nach Luzern fahren zu lassen, wie er mir später mal erzählte. Er wollte sich erst ein Bild von mir machen und mich in Sicherheit wissen.
Daraufhin rufe ich meinen Freund Sacha an, denn auch er wartet auf meinen Bericht und wir wollten ja heute mit seiner Familie Weihnachten feiern. Wie mein Vater war auch er völlig vor den Kopf gestoßen.
Zu Hause in Derendingen angekommen, fällt mir als erstes meine Schwester um den Hals. Ihr laufen die Tränen nur so runter. Wir stehen im Hauseingang beieinander und umarmen uns. Mein Vater wirkt wie der Fels in der Brandung. Ich spüre, dass auch ihm alles sehr nahegeht, er aber versucht sich zusammenzureißen, den Ausgleich zu schaffen und uns etwas zu beruhigen. „Es kommt schon gut, das schaffen wir“, meint er immer wieder.
Als Mam von der Arbeit nach Hause kommt, merkt sie natürlich sofort, dass hier etwas nicht stimmt. Sie ist fassungslos. Es sei gewesen, als ob einem jemand den Boden unter den Füssen weg zieht, hat sie mir später einmal erzählt. Schock pur.
Irgendwie komme ich mir etwas blöd vor und es tut mir total leid, dass schon wieder ich diejenige bin, die ihnen Sorgen bereitet.
Ich stehe da, umarme meine Mam und spüre, wie sie ein Flashback hat. Ich bekomme ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen. Keine Ahnung warum, aber es ist so. Ich merke und sehe ihr an, dass Erinnerungen an früher Erlebtes viele Emotionen auslösen.
Als zwei Monate altes Baby hörte ich in der Nacht immer wieder auf zu atmen. Meine Mutter wachte zum Glück immer rechtzeitig auf und brachte mich dazu, meine Lungen wieder mit Luft zu füllen. Sie hat mir mal gesagt, dass es eine Zeit gab, da traute sie sich fast nicht mehr einzuschlafen, weil sie Angst hatte mal nicht rechtzeitig aufzuwachen. Aber das war natürlich nie der Fall.
Es ist unglaublich, wie man als Mutter ein Band zum und eine Sensibilität für das eigene Kind entwickelt. Dieses „Spüren“ verblüfft mich, jetzt da ich selber Mami bin, auch immer wieder.
Damals stellte sich heraus, dass ich stark an Asthma litt. Ich war bis zu meiner Teenagerzeit immer wieder krank. Angina und Bronchitis waren sozusagen treue Begleiter. Manchmal fehlte ich in der Schule in einem Jahr insgesamt ein bis zwei Monate. Viele Arzttermine, Untersuchungen, Medikamente und Therapien folgten, bis ich gegen Ende der Schulzeit die Krankheit langsam verwuchs.
Die Sorge, dass etwas mit mir nicht stimmt und dass ich sterben könnte, scheint sie jetzt wieder voll einzuholen.
Jetzt sitze ich da und bin schon wieder diejenige, um die sich meine Eltern Sorgen machen.
Ich spüre, dass unsere Familie noch einmal stärker zusammenrückt. Ich weiß, dass ich voll auf meine Leute zählen kann und dass ich ihre ganze Unterstützung habe. Das tut mir unglaublich gut, gibt mir enorm Sicherheit und auch eine gewisse Ruhe.
Wir sitzen am Tisch und ich erzähle alles, was vor rund zwei Stunden über mich hereingebrochen ist. Die Situation ist immer noch völlig surreal. Ich begreife es überhaupt nicht und kann es in keiner Art und Weise fassen. Ich habe einen Hirntumor?!
Innerlich bin ich zwar sehr aufgewühlt, aber ich bleibe sachlich. Ich bin wieder in der genau gleichen Schutzhaltung, wie als ich die Diagnose erfahren habe. Meine Glasscheibe ist unten. Es gibt kurze Momente in denen niemand etwas sagt. Momente, in denen jeder in sich hineinzuhorchen scheint oder vielleicht auch einfach niemand weiß, was er sagen soll. Schließlich war keiner von uns je in einer solchen Situation. Mein Horizont reicht in diesen stillen Sekunden lediglich ein paar Zentimeter über meinen Körper hinaus. Ich bin völlig in mich gekehrt.
Meine Eltern möchten mich natürlich ins Spital begleiten. Ich denke, es macht ihnen zu schaffen, dass sie mich heute doch alleine zur Untersuchung haben fahren lassen. Obwohl ich das ja so gewollt hatte. Jetzt möchten sie sichergehen, dass ich gut aufgehoben bin und für mich da sein. Das ist wunderschön. Aber ich sage ihnen, dass mein Freund mich ins Spital bringen wird, dass sie aber bitte nach der Operation da sein sollen.
Und ich bitte sie, den anderen Familienmitgliedern morgen an den Weihnachtsfeiern nichts von meiner Situation zu erzählen. Ich möchte ihnen nicht auch noch die schöne Stimmung vermiesen und auch nicht, dass sie sich Sorgen um mich machen. Vor allem meine Großeltern würden wohl außer sich sein und sich den Kopf zerbrechen. Wenn alles vorbei ist, kann ich es ihnen dann selber sagen und sie auch gleich beruhigen.
Ich habe mich zudem entschieden anonym ins Spital einzutreten. Ich will meine Ruhe haben und mich voll auf mich konzentrieren. Ich möchte nicht, dass irgendjemand davon erfährt. Am allerwenigsten die Presse! Meine Eltern und meine Schwester verstehen mich voll und ganz und sichern mir zu, alles für sich zu behalten.
Tipp: Wie verarbeite ich eine Schocksituation? Ob man direkt von einem Schicksalsschlag oder Erlebnis betroffen ist, zu den Angehörigen und Freunden zählt oder man einfach eine belastende Situation beobachtet hat, unter Schock stehen oft |
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Akzeptiere, dass der Schock/das Trauma geschehen ist. |
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Gib dir Zeit, den Boden unter den Füssen wieder zu finden. Mach einen Schritt nach dem anderen. |
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Lass dich nicht hängen, hole dir als Erstes die psychische und seelische Stabilität zurück, indem du versuchst zu verstehen, was passiert ist, dir genügend Informationen einholst und versuchst, die Situation richtig einzuschätzen. Kannst du dir nicht selber erklären, was gerade passiert ist, dann finde jemanden, der dir das vermitteln kann. |
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Verkrieche dich nicht, sprich mit deinen Vertrauenspersonen oder einem Therapeuten über das Erlebte und die Gefühle. |
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Höre in dich hinein und tue was dir guttut. |
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Begib dich an einen gewohnten Ort oder umgib dich mit Menschen, die dir Sicherheit und Halt geben. |
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Auch Rituale können dir Sicherheit vermitteln. |
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Sei dir bewusst, die Schocksituation ist nur eine vorübergehende Situation. |
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Jeder Mensch kann in eine solche Situation geraten und hat Ängste. Nimm sie an und stelle dich ihnen. Du wirst sehen, sie verlieren ihre Kraft. |
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Wenn die Belastungssymptome anhalten, hole dir professionelle Hilfe bei einem Therapeuten. |
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Lass dich nur von jemandem therapieren, bei dem du ein gutes Gefühl hast und dem du vertrauen kannst. |
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Verarbeite die traumatische Situation gründlich. |
Ich breche langsam auf Richtung Luzern zu meinem Freund. Ich spüre, dass es meinen Eltern am liebsten wäre, ich würde bei ihnen bleiben. Aber ich möchte aus irgendwelchen Gründen, die ich auch heute noch nicht verstehe, an meinem Plan festhalten. Vielleicht auch, weil ich die Einladung nicht so spontan absagen will, mich irgendwie auch nicht traue, aber sicher auch, weil ich jetzt einfach ein Stück Normalität in meinem Leben brauche. Und diese Normalität ist eben am 24. Dezember mit der Familie meines Freundes zu feiern. Auch wenn das heißt, dass Weihnachten mit meiner eigenen Familie dieses Jahr ins Wasser fällt.