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Impressum

Vorwort

Prolog

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2016 novum Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-99048-683-2

ISBN e-book: 978-3-99048-684-9

Lektorat: Lucy Hase

Umschlagfoto: Higure | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum Verlag

www.novumverlag.com

Vorwort

Alle handelnden Personen, also Ermittler, Opfer, Verdächtige, Täter und sonstige sind frei erfunden. Sollten dennoch Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen gesehen oder vermutet werden, so sind diese von mir unbeabsichtigt und zufällig. Auch die genannten Hotels, Lokale, Betriebe und sonstigen Objekte sind frei erfunden, mit Ausnahme der Strandbar in Thailand, die vor dem Tsunami tatsächlich existiert hat.

Real sind die Städte und Gemeinden in Tirol und im benachbarten Bayern.

Einen vergleichbaren Kriminalfall hat es in den letzten fünfzig Jahren in Tirol nicht gegeben.

Reinhold Dullnig

Prolog

5. Dezember 2003

Der Tag begann so, wie er sich das wünschte. Strahlender Sonnenschein schon beim Frühstück, kaum Wind und ein fast leerer Pool, in dem er ungehindert seine Runden schwimmen konnte. Ein schöner Urlaubstag kündigte sich an, leider schon der letzte in diesem Jahr. Für morgen war der Rückflug gebucht.

Mit einem großzügigen Trinkgeld sorgte er dafür, dass ihm die freundlichen Kellner jeden Tag seinen bevorzugten Liegeplatz am Pool reservierten. Auch zwei Sonnenschirme stellten sie für ihn bereit, die ihm ausreichend Schatten spendeten, wenn er lange genug in der prallen Sonne von Thailand gelegen war. Eine möglichst intensive Bräunung war ihm sehr wichtig und er freute sich schon auf seinen ersten Saunabesuch nach dem Urlaub, wenn er Freunde und Bekannte mit seiner dunklen Hautfarbe und seinen Urlaubserinnerungen beeindrucken konnte. Er hatte diesen Platz auch deshalb ausgesucht, weil im Umkreis von mehreren Metern keine anderen Liegen aufgestellt waren. Das war ihm sehr wichtig. Er selbst suchte kaum Kontakt zu anderen Urlaubern und war recht einsilbig, wenn er doch einmal angesprochen wurde. Wenn einer von ihnen auf der Flucht vor der Sonne mit seiner Liege zu nahe an seinen bestens beschatteten Liegeplatz kam, konnte er sehr energisch werden. Erst vor wenigen Tagen hatte er eine ältere Frau deswegen lauthals beschimpft, was von anderen Urlaubern mit Kopfschütteln quittiert worden war.

Obwohl er den Kontakt zu den anderen Urlaubern mied, verfolgte er das Geschehen in seiner Umgebung doch genau. Auch dafür war sein Platz gut ausgesucht, weil er ihm einen Überblick über den größten Teil der Poollandschaft ermöglichte. Neuankömmlinge erkannte er an ihrer hellen Hautfarbe oder einfach daran, dass er sie zuvor noch nicht gesehen hatte. Auch die bevorstehende Abreise von Gästen entging ihm nicht, weil sie am letzten Tag meist kräftig ins Glas schauten und den Kellnern bei jeder Gelegenheit mit eindeutigen Handzeichen zu verstehen gaben, dass sie am nächsten Tag zurückfliegen wollten.

Die Pool-Bar war weit genug entfernt, dass die Musik trotz der zwei riesigen Lautsprecher erträglich blieb. Die Kellner kamen immer wieder bei ihm vorbei und fragten ihn nach seinen Wünschen. So konnte er seinen Durst auch dann stillen, wenn er keine Lust hatte, sein schattiges Plätzchen zu verlassen, und musste sich nicht, wie die weniger bevorzugten Gäste, an der Bar um ein Getränk anstellen.

Fast drei Wochen genoss er nun schon die Annehmlichkeiten eines Hotels der Fünf-Sterne-Kategorie in diesem beliebten und für seine Gastfreundschaft auf der ganzen Welt geschätzten Urlaubsland. Ein Bekannter hatte ihm vor vier Jahren von seinem Urlaub in diesem Hotel erzählt. Seither verbrachte er jedes Jahr zwei oder drei Wochen hier, immer von Mitte November bis Anfang Dezember. Das Hotel war unweit vom bekannten Patong-Strand in einer großen Parklandschaft gelegen und stand unter deutscher Führung.

Nach mehreren Jahrzehnten mit blühendem Massentourismus hatte die Wasserqualität stark nachgelassen. Trotzdem war der weit im Süden von Thailand auf der Halbinsel Phuket gelegene lange Strandabschnitt noch immer ein sehr beliebtes Urlaubsziel für sonnenhungrige Touristen aus allen Teilen der Welt.

Gegen sechzehn Uhr verließ er das Hotelgelände und erreichte in wenigen Minuten die belebte Uferstraße und dann den Strand. Die Sonne schien immer noch von einem beinahe wolkenlosen Himmel und hatte den Sand so aufgeheizt, dass er seine Badesandalen anbehalten musste, während er den Strand entlang in Richtung Osten wanderte. Anders als an den Tagen zuvor war es fast windstill und das Meer so ruhig wie selten. In einiger Entfernung war ein Kriegsschiff zu sehen, von dem gerade ein Boot ablegte. Er wusste, dass vor Phuket immer wieder amerikanische Kriegsschiffe vor Anker gingen, wenn der Besatzung Urlaub gewährt wurde. Bald würden wieder einige von diesen stiernackigen Typen mit ihren Kurzhaarschnitten am Strand zu sehen sein. Die Urlauber gingen ihnen aus dem Weg und die Einheimischen waren bemüht, ihnen möglichst viele von ihren Dollars abzunehmen und sich ihre Abneigung nicht anmerken zu lassen.

Nach einer halben Stunde sah er vor sich das Ziel seiner Wanderung: eine Strandbar, hinter zwei weithin sichtbaren, auffallend schräg stehenden Palmen gelegen, mit einem Gastgarten davor. Zwischen kleinen Palmen, Bananenstauden und anderen tropischen Gewächsen standen einige Bänke und Tische, auf einfachste Weise aus rohem Holz gezimmert und von Wind und Wetter schon ziemlich mitgenommen. Auch die Sonnenschirme mit den ehemals bunten Werbeaufschriften hatten schon einige Saisonen hinter sich.

Außer einem jungen Pärchen im hinteren Teil der Bar waren keine Gäste zu sehen. Einige Hunde, die sich im Schatten unter den Bänken in den Sand gelegt hatten, hoben kurz die Köpfe, als der neue Gast an ihnen vorbeiging, schenkten ihm dann aber keine weitere Aufmerksamkeit mehr und kehrten zu ihren Träumen zurück.

Der Wirt, ein ausgedörrter Aussteiger aus dem französischen Teil von Kanada, der sich mit einer Thailänderin zusammengetan hatte, wartete schon auf seinen Gast. Er kannte ihn seit mehreren Jahren, weil er täglich um die gleiche Zeit vorbeikam. Nach der freundlichen Begrüßung holte der Wirt unaufgefordert eine Flasche Bier, die er in eine Styroporhülle steckte, bevor er sie vor seinen Gast hinstellte. Dieser hatte sich in der Zwischenzeit auf seinem Stammplatz am Rand des Gastgartens niedergelassen. Von dort aus konnte er die beiden einheimischen Frauen beobachten, die einige Meter entfernt eine Art Zelt aufgebaut hatten. Unter diesem Sonnenschutz hatte jede ein großes Badetuch auf dem Boden aufgelegt. An einer Zeltstange war eine einfache Tafel mit der Aufschrift „Massage“ angebracht, die aber zumindest in der letzten Stunde keinen Kunden angelockt hatte, weil die beiden Frauen allein in ihrem Zelt saßen und plauderten. Als sie in seine Richtung blickten, winkte er ihnen kurz zu. Eine der beiden stand auf und kam zu ihm an den Tisch.

Die Frau war höchstens vierzig Jahre alt, hatte ein hübsches, rundes Gesicht und schwarze, halblange Haare und sie brachte mindestens achtzig Kilo auf die Waage, obwohl sie kaum mehr als 160 Zentimeter groß war. Eine stramm sitzende, kurze Hose umspannte ihr stattliches Hinterteil. Unter einem weiten, nicht mehr ganz sauberen T-Shirt wogten zwei mächtige Brüste, von keiner Haltevorrichtung gebändigt, mit zwei nicht minder mächtigen Brustwarzen, die sich unter dem dünnen Stoff mehr als deutlich abzeichneten. Sie begrüßte ihn mit einem Kuss auf den Mund und setzte sich dann neben ihn. Während er den Arm um ihre Schultern legte und sie zu sich hinzog, kam der Wirt mit einem Becher Cola für sie.

Obwohl er sie schon seit vier Jahren kannte, war die Unterhaltung zwischen ihnen immer noch sehr mühsam. Sie sprach ein wenig Englisch, allerdings mit vielen Fehlern und einer sehr eigenwilligen Aussprache. Dazu hatte sie sich in den Jahren, seit sie sich kannten, auch einige Sätze und Wörter in Deutsch angeeignet, die sie aber immer wieder verwechselte oder falsch verwendete. Deshalb saßen sie oft stundenlang nebeneinander, ohne viel zu reden.

An diesem Tag waren beide sehr schweigsam. Sein letzter Urlaubstag sollte auch ihr letzter gemeinsamer Tag für immer sein, wenn sie es sich nicht doch noch anders überlegte. Während er mit einer Hand ihre Brust streichelte, wanderten seine Gedanken zurück zu dem Tag vor vier Jahren, als er sie an seinem allerersten Urlaubstag kennengelernt hatte.

Nach einem Abendessen und einigen Drinks war sie ohne viele Worte mit ihm in sein Hotel gegangen und hatte die Nacht mit ihm verbracht. Obwohl sie kein Geld von ihm verlangt hatte, hatte er ihr am nächsten Morgen einige Baht-Scheine in die Hand gedrückt, die sie dann auch ohne Zögern angenommen hatte. Sie hatten dann bis zu seiner Abreise alle Nächte gemeinsam verbracht und er hatte ihr immer wieder einige größere Geldscheine zugesteckt. Schon damals hatten sie und ihre Freundin in ihrem Zelt Urlauber massiert und damit ihren Lebensunterhalt verdient und es hatte für ihn auch keinen Zweifel daran gegeben, dass sie ihre Arbeit auch in so manchem Hotelbett fortsetzte, wenn das gewünscht und entsprechend bezahlt wurde. Trotzdem hatte er eine starke Zuneigung zu ihr entwickelt, die vor allem auf die besondere sexuelle Erfüllung zurückzuführen war, die er in den Nächten mit ihr erfuhr und die er in dieser Intensität vorher nicht erlebt hatte.

Als sie ihm zu verstehen gab, dass sie nicht in Phuket bleiben würde, weil sie auf Dauer die Kosten für ihr bescheidenes Appartement nicht aufbringen konnte, hatte er sich bereiterklärt, die Miete für sie zu bezahlen, weil er schon damals das starke Bedürfnis hatte, sie im nächsten Urlaub wieder in seiner Nähe zu haben.

Er hatte dann Jahr für Jahr am Ende seines Urlaubs die Miete für ein Jahr im Voraus für sie bezahlt. Diesen Aufwand nahm er gerne auf sich. Die Miete für ein Jahr kostete ihn weniger als das, was er für seinen dreiwöchigen Aufenthalt im Hotel bezahlte.

Dafür hatte er im Urlaub eine Partnerin, die sich für ihn Zeit nahm, wenn er sie in seiner Nähe haben wollte, die aufregende Nächte mit bisher nicht gekannter sexueller Erfüllung mit ihm verbrachte und die ihn allein ließ, wenn er seine Ruhe haben wollte. Ihre gemeinsamen Nächte verbrachten sie aber nicht in ihrer Wohnung, sondern in seinem Hotelzimmer, was vom Hotelpersonal anstandslos geduldet wurde, weil er schon im ersten Urlaub durch eine Vereinbarung mit dem Hotel dafür gesorgt hatte, dass sie jederzeit zu ihm kommen und auch mit ihm frühstücken konnte, wenn sie bis zum Morgen blieb.

Eines Tages, im zweiten Jahr ihrer Urlaubsbeziehung, hatte sie ihm zu verstehen gegeben, dass sie gerne mit ihm nach Europa kommen würde. Sie beteuerte dabei immer wieder, dass er nur die Kosten für ihren Reisepass und den Flug übernehmen müsste und sie dann selbst für ihren Unterhalt sorgen würde. Obwohl er nicht gerade begeistert war, lehnte er ihren Vorschlag nicht einfach ab und vertröstete sie immer wieder auf das nächste Jahr.

Auch in diesem Jahr hatte sie an einem der ersten gemeinsamen Abende wieder damit angefangen und er hatte ihr gesagt, dass es wegen der strengen Gesetze in seinem Land nicht möglich sein werde, sie mitzunehmen. Einige Tage später erzählte sie ihm dann, dass sie vor einigen Monaten einen Mann kennengelernt hatte, der im Norden Thailands ein Stück Land besaß und zu dem sie nach Neujahr ziehen wollte. Zunächst hatte er das nicht ernstgenommen und geglaubt, dass sie ihn mit dieser erfundenen Geschichte umstimmen wollte.

Sie verbrachten seine Urlaubstage dann wie in den Jahren zuvor. Mit der Zeit erkannte er aber doch, dass sie ihm keine erfundene Geschichte aufgetischt hatte. Wenn er sie nicht mitnahm, würde er sie als Partnerin für seine Urlaubsaufenthalte verlieren. Einige Tage lang dachte er ernsthaft daran, ihren Wunsch zu erfüllen, weil er nicht auf die aufregenden Nächte mit ihr verzichten wollte.

Er wusste aber auch, welche Schwierigkeiten damit verbunden sein konnten und wie wenig er sich für eine dauerhafte Beziehung eignete. Am Ende fand er sich damit ab, dass die Zeit mit ihr zu Ende ging.

All das ging ihm durch den Kopf, während er neben ihr auf der schmalen Holzbank saß, ihre Brustwarzen streichelte und auf das Meer hinausblickte.

Als dann der kanadische Wirt an ihrem Tisch auftauchte und fragte, ob er noch ein Bier bringen sollte, wurden beide aus ihren Gedanken gerissen. Er bestellte noch ein Bier und eine Cola und versuchte dann, mit ihr den letzten gemeinsamen Abend zu planen. Sie blieb aber wortkarg und gab ihm zu verstehen, dass sie ihn im Hotel abholen wollte.

Auf dem Rückweg machte er noch seinen Abschiedsbesuch bei einer jungen Thailänderin, die an der Uferstraße, nicht weit von seinem Hotel entfernt, einen Stand hatte und mit einfachsten Mitteln köstliche Hühnerteile grillte. Jahr für Jahr hatte er fast täglich bei ihr Halt gemacht und sich trotz seiner sonst spröden Art mit ihr angefreundet.

Heute bestellte er nur ein Bier und setzte sich auf einen ihrer kleinen Campingsessel.

Wenige Meter entfernt boten zwei einheimische Frauen in ihrer Bude die üblichen Kleidungsstücke an. Sie hatten gerade ein älteres Ehepaar in ihren Fängen. Die Frau probierte ein kurzes Höschen mit der übergroßen Aufschrift einer europäischen Nobelmarke. Obwohl es ihr offensichtlich zu klein war und von ihren ausladenden Pobacken geradezu „gefressen“ wurde, wollte sie es anscheinend kaufen und versuchte, den Preis herunterzuhandeln. Mehrmals nannte sie einen Betrag, auf den die Verkäuferin jedes Mal mit schriller Stimme und den Worten: „Giff mi moooor“ reagierte. Sie einigten sich dann aber doch und die Frau ging mit ihrem kessen Höschen und dem gelangweilten Ehemann zum nächsten Stand weiter.

Inzwischen hatte er sein Bier ausgetrunken und verabschiedete sich von der Grillerin mit einem großzügigen Trinkgeld und der Ankündigung, dass er im nächsten Jahr wiederkommen werde. Sie hatte Tränen in den Augen, als sie ihm zum Abschied eine Kette aus weißen Blüten um den Hals legte und ihn auf beide Wangen küsste.

Nach dem Abendessen in einem kleinen Restaurant, das für seinen ausgezeichneten Phuket-Lobster bekannt war, flanierte er dann mit seiner Gefährtin, die ihn wie vereinbart im Hotel abgeholt hatte, an den zahlreichen kleinen Geschäften neben der Uferstraße entlang.

Danach kehrten sie zu seinem Hotel zurück. Bei ihrem letzten Getränk an der Hotelbar wurde ihm bewusst, wie sehr er sie an diesem Abend begehrte, und er überlegte kurz, ob er sie nicht doch mitnehmen sollte.

Schon im Lift zog er sie an sich und ließ seine Hände zwischen ihre kräftigen Schenkel wandern. Im Zimmer zogen sie sich dann hastig aus.

Als er aus dem Bad kam, lag sie mit weit geöffneten Beinen nackt auf dem breiten Doppelbett und schenkte ihm ihr eigenartiges Lächeln, das vieles bedeuten konnte.

Er setzte sich seitlich neben sie, legte seinen Kopf auf ihren Bauch und kraulte ihr dichtes, schwarzes Schamhaar. Schon bald spürte er ihre zunehmende Erregung, als sie versuchte, ihn mit ihren kräftigen Armen über sich zu ziehen. Er entzog sich ihr, ehe sie ihn mit Armen und Beinen umschlingen konnte, stand auf und schaltete den kleinen CD-Player ein, den er auf seinen Reisen stets mitführte.

Als er in sie eindrang, ertönte die kraftvolle Stimme einer bekannten deutschsprachigen Sängerin. Sie sang von einer Frau, die sein wollte wie eine andere, es letzten Endes aber doch nicht schaffte.

Es dauerte dann nur wenige Minuten, bis sie zunächst leise und dann immer lauter zu stöhnen begann. Sie warf ihm mehrere Male ihren Unterleib kraftvoll entgegen, drückte ihn mit ihren starken Armen so fest an sich, dass er nicht mehr weiter in sie stoßen konnte, und kam zu einem Orgasmus, wie er ihn bei keiner Frau zuvor erlebt hatte. Dann gab sie ihn frei, blieb regungslos auf dem Rücken liegen und sah lächelnd gegen die Decke, während seine Stöße immer schneller und heftiger wurden. Sie lächelte auch noch, als er sich aufrichtete und, auf die Ellbogen gestützt, seine Hände seitlich um ihren Hals legte.

Als er das vor vier Jahren, am Beginn ihrer Beziehung, erstmals getan hatte, war sie erschrocken und hatte seine Hände von ihrem Hals gerissen. Er hatte ihr dann aber zu verstehen gegeben, dass dies nur ein Spiel sei und sie nichts zu befürchten habe.

Tatsächlich drückte er nie fest zu und sie ließ es als Teil seines Liebesspieles zu, wohl auch deshalb, weil sie erkannte, wie sehr es ihn erregte, wie schnell er so zu seinem Höhepunkt kam und wie großzügig er nach solchen Nächten immer war.

Diesmal war aber alles anders.

Als sie spürte, dass er mit ganzer Kraft zudrückte, umfasste sie ihn an den Handgelenken und versuchte, seine Hände von ihrem Hals zu bekommen. Er umklammerte sie aber wie ein Schraubstock, sie bekam keine Luft mehr und vor ihren Augen begannen rote Ringe zu tanzen. Mit letzter Kraft gelang es ihr, ihn mit einer ruckartigen Bewegung ihres Unterleibes von sich zu stoßen. Als sie ihm dann noch ihr Knie zwischen die Beine rammte, ließ er endlich ihren Hals los und rollte mit einem Aufschrei seitlich aus dem Bett.

Sie zitterte am ganzen Körper und rang nach Luft, während sie hastig ihre Kleidungsstücke zusammensuchte und sich ankleidete. Er schien immer noch starke Schmerzen zu haben, als er langsam aufstand, zu ihr hinging und sie umarmen wollte. Sie stieß ihn aber so heftig von sich, dass er beinahe wieder hingefallen wäre, und kleidete sich fertig an. Immer noch wütend stieß sie dabei einige Sätze in ihrer Muttersprache hervor, die er nicht verstand. Daraufhin nahm er aus seiner Hose ein Bündel mit Dollarscheinen und warf es auf das Bett, ehe er sich in das Bad zurückzog und die Tür hinter sich schloss.

Wenige Augenblicke später hörte er die Tür ins Schloss fallen und kehrte in das Zimmer zurück.

Das Geld hatte sie mitgenommen.

Die Stimme aus dem CD-Player war immer noch zu hören. Jetzt ging es um einsame Wölfe, die durch die Nacht schlichen.

Nach und nach wurde ihm bewusst, was geschehen war.

Wie hatte es dazu kommen können?

Was war in ihn gefahren?

Was wäre geschehen, wenn sie ihn nicht von sich gestoßen hätte?

Er überlegte, ob er am Vorabend zu viel getrunken hatte. Daran konnte es nicht liegen. Es war weniger gewesen als an manchen Tagen davor. Betrunken war er jedenfalls nicht.

Schweißgebadet lag er auf seinem Bett und dachte darüber nach, was er jetzt tun sollte. Wenn sie zur Polizei ging, würde er große Probleme bekommen und über die Zustände in thailändischen Gefängnissen war er nach einigen Medienberichten auch informiert. Aber würde sie das tun? Er wusste, dass thailändische Frauen in den Urlaubsgebieten meist einen großen Bogen um die Polizei machten, und beruhigte sich. Immerhin war inzwischen schon eine Stunde vergangen und niemand hatte an seine Tür geklopft. Am nächsten Tag sollte er um neun Uhr vom Hotel abgeholt werden. Drei Stunden später würde er im Flugzeug sitzen und in Richtung Heimat unterwegs sein.

Nach dem vierten und letzten Bier aus seiner Minibar ging er endlich zu Bett und fiel trotz der Schmerzen in seinen Hoden, die er immer noch spürte, in einen bleiernen Schlaf, aus dem er so spät erwachte, dass er in aller Eile seinen Koffer packen musste, damit er noch rechtzeitig zum Flughafen kam.

Noch einmal packte ihn die Angst, als einer der Polizisten bei der Passkontrolle vor der Ausreise seinen Reisepass genau studierte und ihn dabei einige Sekunden lang musterte. Auch als ihm der Beamte den Pass schließlich mit einem freundlichen Lächeln zurückgab, war ihm noch immer nicht ganz wohl in seiner Haut.

Auf dem Weg zum Flugzeug und beim Einsteigen drehte er sich immer wieder um und hielt Ausschau nach Polizisten, die ihn abholen und in ein thailändisches Gefängnis bringen könnten. Er sah aber nur Urlauber mit Handgepäck und Kameras und fühlte trotzdem den kalten Schweiß am ganzen Körper.

Erst als das Flugzeug eine halbe Stunde später abhob, wusste er, dass er nichts mehr zu befürchten hatte, und lehnte sich entspannt in seinem engen Sitz zurück.

Die zahlreichen kleinen Inseln der Andaman-See unter ihm wurden kleiner und kleiner, die Wellen auf dem Meer waren kaum noch zu erkennen und die Flugbegleiterin brachte ihm den ersten Drink.

Als das Flugzeug dann in die Wolkendecke eintauchte, schloss er die Augen und dachte an die Frau, mit der er die letzte Nacht verbracht hatte, und an das Lied von den „einsamen Wölfen“.

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Man hatte sich Mühe gegeben, den großen Raum in einem Restaurant nahe der Innsbrucker Altstadt zu schmücken. Die Tische waren festlich gedeckt und mit Gestecken aus bunten Frühlingsblumen geschmückt worden. Auch die Wände hatte man dekoriert, allerdings mit Kunstblumen und ähnlichen Gebilden, die nicht unbedingt frühlingshaft aussahen und wohl auch schon so manchen Besucher einer Weihnachtsfeier erfreut haben mochten. Bei allem Bemühen war nicht zu übersehen, dass der Raum an anderen Tagen als Speisesaal diente.

An diesem 30. April 2004 fand hier aber das jährliche Frühlingsfest der Tiroler Gendarmerie-Kriminalabteilung statt.

Schon vor etwa zehn Jahren hatte man sich nach vielen Diskussionen dazu entschlossen, dieses Fest anstelle der früher üblichen Weihnachtsfeier zu begehen. Dafür hatte es mehrere Gründe gegeben. Hunderte Veranstaltungen in der Zeit zwischen Ende November und dem Weihnachtstag sorgten nicht nur für entsprechenden Stress in der Gastronomie. Wer sich ein passendes Lokal für seine Weihnachtsfeier sichern wollte, musste schon im August oder September reservieren. Unter den jüngeren, reiselustigen Mitarbeitern der Kriminalabteilung war der Dezember zudem ein beliebter Urlaubsmonat, den viele dazu nutzten, Überstunden abzubauen oder Urlaubsreste zu verbrauchen. Von ihnen war auch die Anregung zu dieser Veranstaltung im April gekommen. Am letzten Arbeitstag vor Weihnachten fand nur noch eine interne Feier in den Diensträumen statt.

Neben den aktiven Beamten lud man zu der Feier im Frühling auch die Pensionisten der Kriminalabteilung und Vertreter der Justiz, der Verwaltungsbehörden und des Landesgendarmeriekommandos ein. An diesem Tag wurden auch Beamte in den Ruhestand verabschiedet, neu zur Abteilung versetzte Mitarbeiter begrüßt und Beförderungen, Bestellungen und ähnliche Ereignisse verlautbart und gewürdigt.

An der Stirnseite der Tafel saß der Leiter der Kriminalabteilung, Oberst Konrad Baumann. Er war seit mehr als zwanzig Jahren Chef der Abteilung und sprach seit seinem sechzigsten Geburtstag ständig über seinen baldigen Abgang in den Ruhestand. Inzwischen war er schon dreiundsechzig und seine Mitarbeiter waren davon überzeugt, dass er wohl erst zum letztmöglichen Zeitpunkt, also nach seinem fünfundsechzigsten Geburtstag, in Pension gehen würde. Baumann schien trotz seines Gewichtes von weit über einhundert Kilogramm bei bester Gesundheit zu sein.

Schon vor seiner Bestellung zum Chef hatte er als Stellvertreter bei der Kriminalabteilung gearbeitet und sich dabei den Ruf eines fähigen und erfahrenen Kriminalisten erworben.

Als Leiter der Abteilung hatte er sich dann mit zunehmendem Alter und Gewicht aber auf seine Rolle als „Manager“, wie er immer wieder gerne betonte, zurückgezogen. Auch bei Mordfällen und anderen schweren Delikten mischte er sich kaum noch in die Maßnahmen vor Ort ein. Er ließ sich aber laufend über den Stand der Ermittlungen berichten und konnte sehr ungehalten sein, wenn das einmal nicht geschah.

Mit großem Einsatz kümmerte er sich stets um die Behörden- und Medienkontakte, ganz besonders um die Pressekonferenzen, die er häufig anordnete und bei denen er immer dann den Vorsitz führte, wenn ihm diese Aufgabe nicht ein Höherer streitig machte.

Wie immer bei feierlichen Anlässen hatte neben ihm der Obmann des Dienststellenausschusses der Personalvertretung Platz genommen.

Erich Baumann war höchstens zehn Kilo leichter als sein Chef, mit diesem aber trotz des gleichen Schreibnamens nicht verwandt und auch deutlich jünger. Die Namensgleichheit war allerdings nicht der einzige Grund dafür, dass er von seinen Kollegen den Spitznamen „Zwilling“ erhalten hatte. Es war vor allem die „ausgezeichnete und immer sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit“, von der er und sein Chef bei jeder Gelegenheit schwärmten, die ihm diesen Namen eingetragen hatte.

Links und rechts von den beiden saßen die Vertreter der Behörden, die der Einladung auch diesmal gerne gefolgt waren.

Pünktlich um zwanzig Uhr wuchtete sich der Abteilungsleiter aus seinem Sessel und hielt seine traditionelle Rede, die mit der Begrüßung der Gäste begann und mit dem Dank an seine Mitarbeiter endete. Dazwischen lobte er alle Anwesenden in den höchsten Tönen.

Besonders innig dankte er seinem Zwilling für die ausgezeichnete Zusammenarbeit und das „immer wieder hohe Maß an Verständnis für die Erfordernisse des Dienstes“.

Dieser lauschte andächtig den Worten seines Chefs und wartete auf das traditionelle Finale des Lobgesanges auf die Personalvertretung. Der Chef ließ sich dann auch nicht lange bitten, klopfte ihm auf die bereitwillig dargebotene Schulter und sprach wie jedes Jahr die von seinem Zwilling sehnsüchtig erwarteten Worte: „Wir Dicken müssen zusammenhalten.“

Alle Anwesenden kannten diesen Spruch seit Jahren und manche sprachen ihn leise an ihren Tischen mit, was zu allgemeiner Heiterkeit führte, die beiden Hauptakteure aber nicht weiter störte.

Dann war der Personalvertreter am Wort.

Er ließ zwar in seiner Rede überaus vorsichtig einige Wünsche für die Zukunft an den Chef anklingen, stellte ihn aber dann mit seinen Lobhudeleien über alles und jeden glatt in den Schatten. Als er endlich zum Ende seiner Rede kam, hörte man von einem der hinteren Tische halblaut, aber für alle gut zu verstehen, die Worte: „Wir Dicken müssen zusammenhalten.“

Nach dem Landesgendarmeriekommandanten, der diesmal persönlich der Einladung gefolgt war, richtete zuletzt einer der Behördenvertreter das Wort an die Anwesenden.

Auch er war voll des Lobes über die Kriminalabteilung und ihre Mitarbeiter und schwenkte gehörig das Weihrauchfass, obwohl er so manchen von ihnen oft mit seinen Anregungen, dem Wunsch nach umfassender Information und endlosen Erörterungen über seine Kompetenzen genervt hatte.

Nach den Reden kam für den Leiter der Kriminalabteilung der Zeitpunkt, auf den er sich seit dem Ende seiner Festrede besonders gefreut hatte.

In Anlehnung an die traditionelle Zeremonie beim Wiener Opernball erhob er sich von seinem Sessel, ging in die Mitte des Raumes und sprach die Worte: „Alles Buffet.“

Diese Inszenierung war wohlüberlegt.

Weil er schon in der Mitte des Raumes stand, hatte er einen Startvorteil, wenn er das Buffet eröffnete, und war als Erster mit seinem Teller an Ort und Stelle. Dieser war dann auch nach wenigen Minuten ordentlich gefüllt. Natürlich bediente er sich vorwiegend an jenen Platten, auf denen die teuersten und nach seinem Geschmack besten Speisen, allerdings in geringen Mengen, aufgelegt waren. Auf seinem Teller fanden sich neben Garnelenschwänzen, Flusskrebsfleisch und Räucherlachs auch Entenbrust und Roastbeef.

Weil er nicht nochmals aufstehen wollte, bediente er sich auch gleich bei den Nachspeisen. Mehr als zwei Teller konnte er aber nicht halten, und so lagen dann Eierlikörtorte und Gorgonzola nebeneinander. In der Hitze des Gefechtes rutschte ihm eine Mandelschnitte, die er sich als krönenden Abschluss sichern wollte, von seinem Teller auf eine Platte und kam mit Knoblauchsoße in Berührung. Mit einem schnellen Blick zur Seite vergewisserte er sich, dass ihm niemand zusah, wischte sie schnell mit der Serviette ab und legte sie zu den anderen Mehlspeisen zurück. Als würdigen Ersatz gönnte er sich ein stattliches Stück Heidelbeerkuchen.

Auch sein Zwilling war als einer der Ersten an das Buffet gestürmt und mit einem übervollen Teller an den Tisch zurückgekehrt.

In der nächsten halben Stunde saßen die beiden Dicken einträchtig nebeneinander, stopften alles in sich hinein, was sie am Buffet erbeutet hatten, und waren schon bei den Nachspeisen, als sich einige Nachzügler die letzten, schon ziemlich erkalteten Schnitzel und Hühnerschenkel holten und missmutig die abgeernteten Platten und Schüsseln begutachteten.

An einem der hinteren Tische, möglichst weit von der „Prominenz“ entfernt, saßen Roman Steinlechner und seine engsten Mitarbeiter beisammen. Steinlechner war der Chef jener Truppe, die man jahrzehntelang als die „Blutgruppe“ bezeichnet hatte. Die offizielle Bezeichnung für seine Funktion hatte sich nach jeder der mehrfachen Organisationsreformen geändert. Die letzte dieser Reformen hatte es im Jahr 2002 gegeben. Damals hatten viele ältere Beamte ihre Funktionen verloren und waren durch andere, meist jüngere Kollegen ersetzt worden.

Durch diese Veränderungen hatte es viele Enttäuschte und Verärgerte gegeben. Mit ein Grund dafür, dass längst nicht alle Beamten der Kriminalabteilung zu diesem Fest gekommen waren. Von denen, die seit dieser Reform – oft nicht ganz freiwillig – in Pension gegangen waren, war kein Einziger anwesend.

Auch die schon sehr konkreten Pläne für die Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie waren nicht dazu angetan, diesen Abend zu einem rauschenden Fest werden zu lassen.

Roman Steinlechner hatte seine Funktion auch nach der letzten Reform behalten. Er war bei den Vorgesetzten nicht ausgesprochen beliebt, wurde aber als fachlich unbestritten geschätzt. Zudem war er zum Zeitpunkt der Reform noch keine fünfzig Jahre alt gewesen und keiner politischen Partei zuzuordnen, was immer noch besser war, als mit jener Partei in Verbindung gebracht zu werden, die gerade nicht den Innenminister stellte.

Seit 2002 war Chefinspektor Roman Steinlechner also Leiter des „Ermittlungsbereiches Leib, Leben, Gesundheit“. An seinen Aufgaben hatte sich nicht viel geändert, auch seine Mitarbeiter waren ihm erhalten geblieben. Zwei davon saßen heute mit ihm am Tisch. Der ältere, Werner Brauer, arbeitete schon lange mit Steinlechner zusammen. Die beiden waren nach vielen gemeinsamen Fällen, die sie sehr oft erfolgreich abgeschlossen hatten, ein eingespieltes Team. Jeder schätzte und respektierte den anderen, Freunde waren sie aber in all den Jahren nicht geworden.

Brauer war auch Personalvertreter, allerdings im Fachausschuss, der für die gesamte Tiroler Gendarmerie zuständig war. Er war von der „roten Fraktion“ und aus diesem, aber auch noch aus einigen anderen Gründen kein besonderer Freund jenes anderen Personalvertreters, der immer noch einträchtig neben seinem Abteilungsleiter saß und ihm andächtig zuhörte.

Brauer war trotz seiner Tätigkeit im Fachausschuss in erster Linie Kriminalbeamter und als solcher auch in der Abteilung anerkannt. Auch das unterschied ihn von Erich Baumann, der zwar auf einer der bestbewerteten Planstellen saß, die damit verbundene Arbeit aber meistens seinem Stellvertreter überließ, weil er angeblich mit seiner Tätigkeit als Obmann des Dienststellenausschusses voll ausgelastet war. Das betonte er auch bei jeder Gelegenheit, wohl auch deshalb, weil es ihm niemand glaubte.

Etwas hatten die beiden Personalvertreter aber doch gemeinsam. Auch Brauer kämpfte seit Jahren mit Übergewicht, das er aber immer wieder mit Diäten in Schach hielt.

Gerhard Gapp, der etwas gelangweilt neben Brauer saß, war der Jüngste in Steinlechners Team. Trotz seiner Jugend hatte er sich als einfallsreicher und fleißiger Ermittler und als angenehmer, meist gut gelaunter Kollege in der Kriminalabteilung nach kurzer Zeit gut integriert.

Franz Kofler war als Einziger am Tisch nicht in Steinlechners Gruppe. Er war seit der letzten Reform „Leiter des Assistenzbereiches Tatort, Erkennungsdienst“ und hatte auch in den fast zwei Jahrzehnten vorher unter einigen anderen Funktionsbezeichnungen in diesem Bereich gearbeitet. Obwohl Kofler eine Reihe von tüchtigen Mitarbeitern hatte, war er immer noch selbst das „beste Pferd in seinem Stall“. Bei Tötungsdelikten war er meist am Tatort anwesend. Wenn Steinlechner ermittelte, war also Kofler oft an seiner Seite, häufig auch dann, wenn die Tatortarbeit nicht im Vordergrund stand. Kofler legte den Begriff „Tatort“ großzügig aus und Steinlechner hatte dagegen nichts einzuwenden.

Zwischen den beiden hatte sich eine Art von Freundschaft entwickelt, die sie aber nicht daran hinderte, bei schwierigen Ermittlungen ihre oft unterschiedlichen Ansichten in heftigen und lautstarken Diskussionen auszutragen.

Steinlechner mochte Veranstaltungen wie die heutige nicht besonders. Schon während der Reden hatte er mehrmals einen seiner spöttischen Kommentare abgegeben. Auch Brauer hatte zur Unterhaltung am Tisch beigetragen. Seine Bosheiten galten hauptsächlich dem Obmann der Personalvertretung und seiner Rede.

Gegen zweiundzwanzig Uhr verabschiedeten sich die Behördenvertreter. Die „Zwillinge“ beendeten ihre Unterredung und mischten sich unter das Volk.

„Ich habe den Dicken heute schon lange genug zugehört. Jetzt muss ich sie nicht auch noch am Tisch haben“, sagte Steinlechner und stand auf.

„Du wirst sicher noch ein wenig mit deinem Personalvertreterkollegen plaudern wollen“, fügte er dann noch grinsend an Brauer gewandt hinzu. Der reagierte auf Steinlechners Sticheleien wegen seiner Tätigkeit als Personalvertreter meist auf recht deftige Weise. Diesmal erfüllte er die Erwartungen Steinlechners und der anderen am Tisch aber nicht und begnügte sich mit einer abfälligen Geste.

Alle vier trafen sich dann noch in einem Lokal in der Nähe, wo sie bei einem Bier weiter über die Hauptdarsteller des Abends lästerten.

Als Steinlechner und Kofler dann auf dienstliche Angelegenheiten zu sprechen kamen, machte Brauer seinem Ruf als Frauenheld wieder einmal alle Ehre und lotste eine Kellnerin, die schon Dienstschluss hatte, und ihre Freundin, die gekommen war, um sie abzuholen, an den Tisch.

In dieser angenehmen Gesellschaft kehrten dann auch Kofler und Steinlechner wieder zu „zivilen“ Gesprächsthemen zurück und es war nach Mitternacht, als sich die Runde auflöste und zumindest drei von ihnen den Heimweg antraten.

Brauer wollte mit den beiden Damen noch eine Bar im Westen von Innsbruck aufsuchen.

2

Der Mann am Steuer des dunklen BMW kannte die Stelle gut, an der er die Geschwindigkeit verringern und nach rechts in den schmalen Waldweg einbiegen musste. Nach wenigen Metern drehte er das Licht aus, der Schein des Mondes reichte ihm für die letzten Meter seiner Fahrt. Als er in einiger Entfernung die Konturen der hölzernen Schranke sah, die er schon von früheren Besuchen her kannte, hielt er an, stellte den Motor ab und verriegelte die Türen. Er wandte sich seiner Beifahrerin zu, legte die Arme um ihre Schultern und zog sie an sich. Während sie seinen Kuss erwiderte, wanderte ihre Hand nach unten und mit geübtem Griff öffnete sie zuerst seinen Gürtel und dann die Hose. Beide wussten, dass ihre Beziehung keine Zukunft haben würde, umso gieriger kosteten sie ihre sporadischen Treffen aus, die immer schwerer zu organisieren waren, seit seine Frau Verdacht geschöpft hatte.

Hastig streifte sie ihre Schuhe ab, zog Jeans, Strumpfhose und Höschen gleichzeitig aus und ließ sich in die weiche Polsterung zurücksinken.

Sie dachte nicht mehr an den neuen Mann, den sie vor einigen Tagen kennengelernt hatte, und sie dachte auch nicht an ihren Ehemann, der immer wieder versuchte, sie zu kontrollieren, und sich selbst so viele Freiheiten nahm.

Sie dachte an gar nichts mehr, als sie seine Lippen auf ihren Brüsten spürte und seine Hände zwischen ihre nackten Schenkel wanderten. Während er sie mit beiden Händen anhob, rutschte er unter ihr auf den Beifahrersitz, drehte sie zu sich herum und drang sofort in sie ein.

Die Erschöpfung nach dem kurzen, aber doch sehr stürmischen Liebesakt und die späte Stunde, zu der sie sich diesmal getroffen hatten, ließ beide trotz ihrer nicht gerade bequemen Stellung bald einschlafen.

Eineinhalb Stunden später erwachten sie gleichzeitig vom Geräusch eines Lastkraftwagens auf der nahe gelegenen Straße. Er hielt sich die Armbanduhr vor das Gesicht und sah, dass es kurz vor drei Uhr morgens war. Wortlos lösten sie sich voneinander, suchten im Dunkeln ihre Kleidungsstücke zusammen und zogen sich hastig an. Nach einer flüchtigen Umarmung startete er den Motor und drehte das Licht an.

Fast gleichzeitig sahen sie im Kegel der Scheinwerfer die reglose Gestalt vor dem Auto auf dem Boden liegen. Nach einigem Zögern stieg er aus und blieb nach wenigen Schritten wie angewurzelt stehen.

Vor ihm lag eine halb nackte Frau auf dem Rücken. Zwei dicke, weiße Schenkel quollen aus halterlosen, dunklen Strümpfen hervor und mündeten in ein großes, dunkles Dreieck, auf das er für einige Sekunden wie gebannt starrte. Dann wanderte sein Blick weiter über den Bauch mit dem tiefen, trichterförmigen Nabel zu den massigen Brüsten, die zum Teil vom hochgeschobenen BH verdeckt waren. Der Kopf mit den kurzen, dunklen Haaren war unnatürlich zur Seite gedreht, was er als sicheres Zeichen dafür deutete, dass eine Tote vor ihm lag.

So schnell er konnte, setzte er sich hinter das Lenkrad seines Autos und fuhr im Rückwärtsgang auf die Straße hinaus.

Die Frau neben ihm hatte die ganze Zeit regungslos auf dem Beifahrersitz gesessen und auf die Gestalt am Boden gestarrt. „Wir müssen ihr doch helfen“, sagte sie schließlich mit brüchiger Stimme. „Der kann keiner mehr helfen, sie ist tot“, antwortete er mit einiger Verzögerung, als sie gerade an der Ortstafel von Absam vorbeifuhren. Er lenkte das Auto in eine Seitenstraße, stellte den Motor ab und drehte sich zu seiner Beifahrerin hin.

„Sie ist sicher tot, wir können ihr nicht mehr helfen, aber wir müssen die Gendarmerie verständigen. Je früher man sie findet, umso besser sind die Chancen, dass man auch den findet, der ihr das angetan hat.“

„Wir können nicht einfach zur Gendarmerie gehen, oder möchtest du, dass deine Frau und mein Mann erfahren, wo wir heute Nacht gewesen sind?“

„Natürlich nicht, wir melden es anonym. Ich fahre zur nächsten Telefonzelle, du wählst die Nummer 133, sagst, wo die Tote liegt, und legst auf, bevor man dich nach deinem Namen fragen kann.“

Nach mehreren Runden durch die menschenleeren Straßen von Hall in Tirol fanden sie endlich doch eine Telefonzelle. Ein Beamter mit verschlafener Stimme erfuhr, dass zwischen Absam und Gnadenwald eine tote Frau im Wald lag. Ohne sich unterbrechen zu lassen, beschrieb ihm die Frau am anderen Ende der Leitung dann noch die Stelle näher und legte auf, ehe er ihr weitere Fragen stellen konnte. Bevor sie wieder in das Auto einstieg, ging sie nochmals zur Telefonzelle zurück, weil sie sich vergewissern wollte, dass sie nichts vergessen hatte, und stellte dabei fest, dass immer noch kein Mensch in der Nähe war. Beruhigt setzte sie sich in das Auto und wiederholte für ihren Begleiter das kurze Gespräch, mit dem sie die Gendarmerie informiert hatte.

Auf der Fahrt nach Innsbruck blieben dann beide schweigsam. Bevor sie sich trennten, bemühte er sich nochmals, sie davon zu überzeugen, dass sie sich richtig verhalten hatten.

Man würde die Tote finden und die Dinge würden ihren Lauf nehmen.

Niemand konnte ihnen einen Vorwurf machen und niemand sollte von ihrem furchtbaren nächtlichen Erlebnis jemals etwas erfahren.

3

Es war kurz nach fünf Uhr morgens, als das Klingeln seines Handys Chefinspektor Roman Steinlechner aus dem Schlaf riss. Ein Kollege von der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos, der in dieser Nacht Journaldienst hatte, informierte Steinlechner davon, dass in einem Waldstück zwischen Absam und Gnadenwald, unweit der Gnadenwalder Landesstraße, eine weibliche Leiche lag. Zwei Beamte vom Gendarmerieposten Hall hatten nach einem anonymen telefonischen Hinweis die Tote im Wald gefunden.

Der zuständige Sprengelarzt hatte festgestellt, dass die Frau schon seit Stunden tot war und Würgespuren am Hals aufwies.

Man musste also von einem Mord ausgehen und Steinlechners Nachtruhe hatte wieder einmal ein vorzeitiges Ende gefunden. Auch die Hoffnung auf ein freies Wochenende war nach diesem Anruf in weite Ferne gerückt.

Roman Steinlechner war einundfünfzig Jahre alt und lebte seit der Trennung von seiner langjährigen Lebensgefährtin vor einigen Jahren allein in einer Altbauwohnung im Westen von Innsbruck.

Er war relativ groß, schlank und bekannt dafür, dass er Unmengen essen konnte, ohne jemals zuzunehmen. Von seinem früher dichten, brünetten Haar waren nur ein schon stark ergrauter Haarkranz und ein kleiner, dünn behaarter Bereich oberhalb der Stirn übrig, der trotz emsiger Pflege mit teuren Haarwuchsmitteln von Jahr zu Jahr kleiner wurde. Diese Frisur trug er erst seit der Trennung von seiner Freundin. Vorher hatte er versucht, seine schwindende Haarpracht dadurch zu verbergen, dass er seinen Scheitel immer tiefer gelegt und lange Haarsträhnen über die kahlen Stellen auf seinem Schädel drapiert hatte. Das hatte ihm oft den Spott seiner Kollegen eingebracht, besonders dann, wenn ihm bei Einsätzen im Freien der Wind die langen Haare von der Glatze geweht hatte.

Auf modische Kleidung legte er keinen besonderen Wert. Am liebsten trug er Jeans, von denen er eine ganze Menge besaß, und dazu die bei Kriminalbeamten allgemein sehr beliebten Lederjacken.

Bei Vorgesetzten und Kollegen galt Steinlechner als intelligenter, ausdauernder und erfahrener Ermittler, der sich in seine Kriminalfälle regelrecht verbeißen konnte und nur sehr ungern einen Fall ungelöst zu den Akten legte. Er konnte allerdings im Umgang mit seinen Mitarbeitern auch sehr ungeduldig und manchmal ungerecht werden, wenn er mit seinen Ermittlungen nicht weiterkam.

Seinem Chef gegenüber verhielt er sich distanziert, obwohl sich die beiden schon lange kannten. Oberst Baumann, der selbst gerne um den Brei herumredete, hatte sich im Laufe der Jahre damit abgefunden, dass Steinlechner meist schnell zur Sache kam, die Dinge beim Namen nannte, seine Meinung konsequent vertrat und geradezu allergisch reagierte, wenn er sich bevormundet fühlte. Sein Verhalten hatte ihn nicht zu jedermanns Freund in der Kriminalabteilung gemacht, seine Erfolge sprachen aber für sich und man nahm ihn so, wie er war.

Als Steinlechner in seinem alten VW Golf in den Hof des Landesgendarmeriekommandos fuhr, waren zwei Beamte der Tatortgruppe eben dabei, die Dienststelle zu verlassen. Er ersuchte sie, noch etwas zu warten, und ließ sich vom Journaldienst berichten, was bisher bekannt war. So erfuhr er auch, dass die Gerichtsmedizin verständigt worden war und Dozent Dr. Burger sich schon auf den Weg nach Absam gemacht hatte. Auch um alle anderen bei Mord und anderen schwerwiegenden Kriminalfällen notwendigen Meldungen und Informationen hatten sich die Journaldienstbeamten schon gekümmert. Zwei Mitarbeiter von Steinlechner, die außerhalb von Innsbruck wohnten, würden innerhalb der nächsten halben Stunde eintreffen und nachkommen. Steinlechner holte seinen Aktenkoffer aus dem Büro und fuhr gemeinsam mit den Beamten der Tatortgruppe nach Absam.

Es war für die Jahreszeit recht kühl an diesem 8. Mai 2004, einem Samstag, als Chefinspektor Steinlechner kurz vor halb sieben Uhr aus dem Auto stieg und sich an die Arbeit machte.

Ein strahlender Frühlingstag kündigte sich an. Steinlechner begrüßte den Bezirksgendarmeriekommandanten und die zwei Beamten des Gendarmeriepostens Hall und stellte zufrieden fest, dass der Gerichtsmediziner noch nicht eingetroffen war. So war es möglich, Übersichtsaufnahmen von der Leiche zu machen, bevor sie untersucht und dabei in ihrer Lage verändert wurde. Von den beiden Beamten, die die Tote aufgefunden hatten, erfuhr Steinlechner, dass der Sprengelarzt ihre Lage nicht verändert hatte.

Die beiden Männer der Tatortgruppe begannen unaufgefordert mit ihrer Arbeit. Während der eine die halb nackte, tote Frau von allen Seiten fotografierte, suchte der andere zunächst den Bereich rund um die Tote ab. Sie lag in der Mitte eines grob geschotterten Waldweges, der in mehreren Kurven von der Gnadenwalder Landesstraße aus ein rund sechzig Meter breites Waldstück durchquerte. Etwa drei Meter hinter der Leiche war der Weg durch eine hölzerne Schranke abgesperrt. Dahinter befand sich eine Wiese mit einigen vereinzelten Erlen und in einer Entfernung von fünfzig oder sechzig Metern eine baufällige Scheune, zu der der Weg hinführte.

Auf dem groben Schotterweg waren nur Fragmente von Reifenspuren zu sehen, allerdings von mehreren Autos, weil auch der Sprengelarzt und die beiden Gendarmen mit ihren Fahrzeugen bis knapp vor die Tote gefahren waren, damit sie die Scheinwerfer ihrer Fahrzeuge als Lichtquelle nutzen konnten. Mit verwertbaren Reifenspuren war also nicht mehr zu rechnen, was Steinlechner mit einer deftigen Bemerkung kommentierte.