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Über dieses Buch:

England im 12. Jahrhundert: Kurz vor ihrer lang ersehnten Hochzeit gerät das englische Edelfräulein Madlyn zwischen die Fronten im englisch-walisischen Machtkampf. Als Geisel wird sie vom finsteren Krieger Rhys nach Wales verschleppt. Sie weiß, sie kann ihm nicht trauen – doch wieso schlägt ihr Herz jedes Mal schneller, wenn sie ihn sieht? Ihren heimlich erwachenden Gefühlen zum Trotz hofft Madlyn, von dem englischen Ritter Philip befreit zu werden. Aber will er wirklich ihre Ehre retten oder will er blutige Rache nehmen?

Über die Autorin:

Allegra Winter studierte Englische Literatur und Mittelaltergeschichte. Ausgedehnte Reisen führten sie rund um die Welt, ehe sie begann, sich ihrer großen Leidenschaft – dem Schreiben – zu widmen. Heute lebt sie mit ihrem Mann an der amerikanischen Pazifik- und der deutschen Ostseeküste, wo sie es liebt, herrliche Romanzen zu ersinnen, mit Freunden zu kochen und am Stand Muscheln zu sammeln.

Von Allegra Winter erscheint bei venusbooks auch:

In den starken Armen des Lords

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eBook-Neuausgabe September 2016

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Copyright © der Originalausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Lizenzausgabe 2016 venusbooks GmbH, München

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Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Beate Darius

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/Eviled, bodich

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95885-401-7

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Allegra Winter

Das stolze Herz der Lady

Roman

venusbooks

Kapitel 1

Konzentriert betrachtete Madlyn die vor ihr auf dem Tisch liegenden getrockneten Bohnen. Es gab vier verschiedene Farben, die in einer grafischen Ausrichtung, jedoch ohne scheinbare Ordnung, auf der Holzplatte ausgebreitet waren. Madlyn schob drei der harten kleinen Kugeln in eine Spalte, wo das Holz der Tischoberfläche gerissen war, und schichtete sechs Bohnen zu einem Häufchen in der Mitte. Die junge Frau am Tisch betrachtete das bunte Arrangement eine Weile und schüttelte dann den Kopf. Zwei der soeben verschobenen Bohnen wanderten zurück zu ihrem Ausgangspunkt, und dafür kam eine der beiden roten Bohnen aus der rechten unteren Ecke in die Mitte. Madlyn warf der verbleibenden Bohne an ihrem Ellenbogen einen trübsinnigen Blick zu.

Was aussah wie ein Geduldsspiel, mit dem sich ein adliges Fräulein die Langeweile an einem grauen Februartag vertreiben wollte, war tatsächlich die Haushaltsaufstellung von Gut Loombridge. Und es sah um die Bestände in den Vorratskammern nicht gut aus. Jedes Jahr wurde es im Spätwinter knapp, doch dieses Jahr schien es ganz besonders eng zu werden. Das letzte Fass Kraut war bereits geöffnet worden, Rüben und Äpfel hatten ihre Lagerfähigkeit eigentlich schon überschritten, und zu allem Überfluss hatten sie bereits um Martini einen ganzen Sack Hafer wegwerfen müssen, weil er durch die Feuchtigkeit schimmlig geworden war. Sie warf einen letzten Blick auf ihren »Haushaltsplan«, wischte dann die Bohnen auf der Tischplatte zusammen und ließ sie in einem Lederbeutel verschwinden, um hinunterzugehen und sich mit der Köchin zu besprechen.

Madlyn hatte das Ende der Treppe bereits erreicht und wollte gerade in die Küche abbiegen, als ihre Freundin Hildi in den Hof geritten kam.

»Hallo! Was bringt dich so früh hierher?«

Hildi lenkte ihr uraltes, mageres Reittier zu dem großen Stein, der als Auf- und Absteighilfe diente, und glitt aus dem Sattel.

»Ich habe Neuigkeiten.«

»Ja, was denn?«

»Vater hat einen Bräutigam für mich gefunden«, platzte es aus Hildi heraus.

»Was? Wer ist es? Kennen wir ihn?«

Hildi schüttelte den Kopf.

»Aber was hat dein Vater denn gesagt?«

»Also«, Hildi holte tief Luft, »sein Name ist Philip de Forberry. Er hat ein Gut in der Nähe von Chester.«

»Das klingt großartig, dann wären wir gar nicht so weit auseinander. Was weißt du noch über ihn?«

Hildi schüttelte abermals den Kopf.

»Nicht viel. Ich weiß, dass er über 30 Leute verfügt und hauptsächlich Schafe hält.« Sie hielt inne und fasste Madlyn wieder am Arm: »Stell dir vor, er ist auch zur Taufe bei Lord Fulbert eingeladen!«

Vor etwas mehr als einem Monat war ein Bote nach Loombridge gekommen und hatte Sir Walter eine Einladung vorgetragen. Lord Fulbert und seine Gemahlin Beata baten zur Taufe ihres Erstgeborenen und Erben. Beata war eine Nichte Sir Walters, die im letzten Jahr geheiratet und zudem eine ausgesprochen gute Partie gemacht hatte. Madlyn war bei Beatas Hochzeit nicht mit dabei gewesen, da ihre Mutter im Sterbebett gelegen hatte. Ihr Vater war mit seinen beiden Söhnen allein gereist. Große Feste waren wichtige Angelegenheiten, anlässlich derer man sich sehen lassen musste, nicht nur um zu feiern, sondern vornehmlich auch, um Politik zu machen. Als sie zwei Wochen später zurückkehrten, lag Dame Mildred bereits aufgebahrt in der Kapelle. Madlyn vermisste ihre Mutter schmerzlich.

Seit der Bote die Einladung überbracht hatte, waren Madlyn und Hildi damit beschäftigt, Madlyns Festtagsgarderobe zusammenzustellen. Sie hatten gewebt, genäht, gestickt und geflochten. Die Aussicht auf ein Fest mit all seinen Zerstreuungen war einfach wunderbar, ganz besonders dann, wenn man den ganzen Winter nicht weiter als bis zum benachbarten Gut gekommen war, um seine Freundin zu besuchen.

»Dann können wir ja vielleicht zusammen Hochzeit feiern«, schlug Madlyn vor, als sie sich neben Hildi auf der Bank neben dem großen Herd in der Küche niederließ.

»Das wäre großartig. Habt ihr denn etwas Neues von Daniel gehört?«

»Nein, nur, dass er Ende des Sommers zurück sein wollte.«

Madlyns Verlobter Daniel war ein Freund von ihrem älteren Bruder William, den er während seiner Knappenzeit in Kent kennengelernt hatte. Daniel sollte einmal ein Gut in der Nähe erben, und während eines zweiwöchigen Besuchs auf Loombridge hatte er Madlyn als seine Braut auserkoren. Es war für alle Seiten ein erfreuliches Arrangement. Daniel war jung und hatte angenehme Manieren. Madlyn würde nicht irgendwohin in einen anderen Teil des Landes umziehen müssen, oder gar über das Meer aufs Festland, sondern in der Nähe ihrer Heimat bleiben. Endlich sollte sie mit dreiundzwanzig Jahren ihre eigene Familie gründen.

»Wenn du von dem Fest wieder da bist, können wir gleich mit unserer Brautausstattung weitermachen«, lächelte Hildi und biss den Faden ihrer Näharbeit durch.

»Schon fertig? Sir Philip kann sich glücklich schätzen, dich zur Frau zu bekommen. Ich wüsste nicht, was ich auf der Taufe anziehen sollte, wenn du mir nicht so tatkräftig mit den Näharbeiten helfen würdest.«

Sie verbrachten einen vergnüglichen Nachmittag mit Mutmaßungen und Plänen, bis es schließlich dämmerte.

»Komm, ich begleite dich ein Stück nach Hause, es wird bald dunkel.«

Den ganzen Tag schon war das Wetter nasskalt gewesen, und nun, gegen Abend, begann es zu nieseln. Madlyn zog die Kapuze ihres Umhangs tiefer in die Stirn.

»Wie ungemütlich.«

»Bis zum Frühling ist es noch etwas hin«, brummte der Stallknecht. »Soll ich mitkommen, Miss?«

Madlyn schüttelte den Kopf.

»Das ist nicht nötig, Ned, ich werde Hildi nur bis zur Brücke begleiten, von dort ist es für sie auch nicht mehr weit, und du hast gewiss anderes zu tun.«

Die Tiere kannten den Weg und folgten dem schmalen Pfad in die aufkommende Dunkelheit. Fest in ihre Mäntel gewickelt, dem Regen trotzend, ritten Madlyn und Hildi in Richtung Brücke. Die Brücke war eher ein Holzsteg, der über ein Flüsschen führte. Er lag auf halbem Weg zwischen Loombridge und Hildis Zuhause. Im Schutz des Waldes war der Regen kaum mehr zu bemerken, und sie scherzten und lachten und vertrieben sich die Zeit ihres Ritts wie immer, indem sie Zukunftspläne schmiedeten. Im Geiste hatten sie bereits unzählige Häuser eingerichtet und Namen für mindestens zwölf Kinder ausgewählt. Madlyn war gerade damit beschäftigt, zum wiederholten Male die Gästeliste für ihre Hochzeit zu erstellen, als ihr Pferd plötzlich die Ohren aufstellte. Auch Hildis Pony hob aufmerksam den Kopf. Instinktiv hielten sie an. In scharfem Kontrast zu ihrem unbeschwerten Gelächter erschien der Wald jetzt geradezu gespenstisch still.

»Hast du etwas gehört?«, flüsterte Hildi.

Madlyn schüttelte den Kopf.

»Aber die Pferde.«

Sie blickten sich unsicher um.

»Wahrscheinlich ein Tier im Wald.«

Sie war diesen Weg schon unzählige Male mit ihrer Freundin geritten, und wenn ihnen jemals Menschen begegneten, dann waren es stets ihre eigenen Leute gewesen. Fremde kamen über die Landstraße. Unschlüssig verharrten sie und lauschten. Vermutlich hatte irgendein Tier im Unterholz geraschelt, versuchte Madlyn sich zu beruhigen. Doch die Pferde standen immer noch mit erhobenen Köpfen und aufgestellten Ohren, und das Beben ihrer Nüstern zeigte, dass sie versuchten, eine fremde Witterung aufzunehmen.

»Nun komm schon, sonst komme ich nie nach Hause.« Hildi setzte ihr Pony wieder in Bewegung, und Madlyns Pferd folgte wie selbstverständlich.

Hildi wandte sich um. »Du hast doch nicht etwa Angst vor dem Waldschrat, oder?«, neckte sie ihre Freundin.

Madlyn schüttelte den Kopf. Dennoch war ihr ganzer Körper angespannt. Was sollte hier schon Schlimmes sein?, versuchte sie sich zu beruhigen, ihr Blick bemüht, das Dickicht des schwarzen Waldes zu durchdringen. Sie hätten Ned doch mitnehmen sollen, kam es Madlyn in den Sinn. Der Weg führte in einer Kurve um eine Anhöhe, und unvermittelt sahen sie sich einer Schar Reiter gegenüber.

Hildi stieß einen erschreckten Schrei aus, und auch Madlyn zog hörbar die Luft ein. Die Männer saßen ganz still auf ihren Pferden. Sie hatten auf sie gewartet, durchzuckte es Madlyn. Ihr Atem ging schneller. Das waren keine Reisenden mit farbenfrohen Umhängen und Satteldecken, Reiter, die sich im Wald verirrt hatten. Das waren unheimliche, dunkle Gestalten, die gleichsam mit der hereinbrechenden Nacht verschmolzen. Nur die Gesichter unter den Kapuzen waren als helle Schemen fahl in der regnerischen Dämmerung zu erkennen. Sie sahen aus wie Gespenster.

Madlyn schluckte trocken. Sie waren einer Meute Räuber in die Arme gelaufen. Jetzt konnte ihnen nur noch Gott helfen. Aus dem Augenwinkel gewahrte sie Hildis schreckensbleiches Gesicht, ihr Mund sprach ein lautloses Gebet, Tränen liefen über ihre Wangen. Eine Flucht war zwecklos, denn ehe sie die Pferde auf dem schmalen Pfad gewendet hätten, wären sie von den Räubern bereits gestellt worden.

Wie konnte es sein, dass eine ganze Gruppe derart still verharrte?, schwirrte es Madlyn durch den Kopf. Jetzt löste sich der vorderste Reiter von den anderen und hielt auf sie zu. Madlyns Hände zitterten. Als er dicht vor ihr zu stehen kam, musterte er sie, sprach aber kein Wort. Der Räuber mochte wohl so alt wie Warren sein, doch sein Gesicht zeigte die Spuren vieler Kämpfe. Sein Blick brannte sich wie ein glühendes Eisen in Madlyns Augen. Nach einem kurzen Moment, der ihr wie eine Ewigkeit erschien, winkte er seinen Leuten, und die Schar setzte sich in Bewegung. Madlyn und Hildi drückten sich an den Wegesrand und ließen den gespenstischen Trupp an sich vorüberziehen. Einen Augenblick später waren sie verschwunden. Hildi saß tränenüberströmt und angstbebend auf ihrem Pony.

»Komm, nichts wie fort von hier«, keuchte Madlyn. Ihr kam es so vor, als hätte sie während der gesamten unheimlichen Begegnung den Atem angehalten.

Sie trieben ihre Tiere an und passierten schon bald darauf die Brücke. Als der Wald endlich lichter wurde, preschten sie übers offene Gelände, die gesamte restliche Strecke bis zum Tor des mit einer Palisade bewehrten Hofes von Hildis Vater. Die Nachricht, dass sie im Wald einer Schar Räuber begegnet waren, löste sogleich Alarm aus. Während Hildi und Madlyn ihre regendurchnässten Kleider gewechselt hatten und nun ihre Haare am Kaminfeuer trockneten, hatte Sir Peter seinen Leuten Anweisungen zu einer möglichen Verteidigung gegeben. Jetzt kam er immer noch sehr aufgebracht in die Halle gestürmt.

»Ihr seid im Wald einer Schar Halsabschneider begegnet? Euch ist auch wirklich kein Leid geschehen?« Forschend blickte er von seiner Tochter zu Madlyn.

Hildi schüttelte den Kopf.

»Nein, Vater, sie haben uns nicht angerührt. Nicht ein Wort haben sie gesprochen!«

Sir Peter setzte sich auf die gegenüberstehende Bank.

»Wie viele waren es?«

Hildi zuckte mit den Schultern.

»Es waren zehn, ihr Anführer eingeschlossen, und zwei Packtiere.«

Sir Peters Blick wechselte zu Madlyn. Er stieß einen Pfiff aus.

»Zehn!«, wiederholte er. »Das ist eine ungewöhnlich große Gruppe.«

»Ich glaube nicht, dass es tatsächlich Räuber waren.«

»Nein? Warum nicht?«

»Zum einen, wenn es wirklich Räuber gewesen wären, hätten sie uns nicht ungeschoren davonkommen lassen«, stellte Madlyn fest. »Zum zweiten waren sie zu diszipliniert und zu gut ausgerüstet. Sie hatten Schilde auf dem Rücken und lange Schwerter. Vier von ihnen hatten Bögen. Der Anführer trug ein Kettenhemd.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das waren keine Räuber. Das war ein Kriegstrupp.«

Sir Peter nickte bedächtig. Hätte seine Tochter diesen Bericht abgegeben, hätte er ihn als Hirngespinst vom Tisch gewischt. Frauen hatten keinen Verstand und zu viel Fantasie. Aber bei Madlyn war das anders. Sie war in vielen Dingen gescheit wie ein Mann, und ihr entging nichts. Schade, dass Gott diese Gabe nicht Warren gegeben, sondern sie an dessen Schwester verschwendet hatte.

»Wir müssen die Nachbarschaft alarmieren.«

»Waren es nicht zu wenige, um hier jemanden angreifen zu wollen?«, gab Madlyn zu bedenken.

Sir Peter blickte sie mit zusammengekniffenen Augen an.

»Sie machten eher den Eindruck, als wenn sie auf dem Rückzug wären.«

»Warum?«

»Der Anführer hatte einen frischen Schnitt über der Augenbraue, einige Schwerter waren schartig, und die Schilde schienen erst kürzlich benutzt worden zu sein.«

Sir Peter zuckte ungeduldig mit den Schultern.

»Und sie hatten es offensichtlich sehr eilig, hier ungesehen durchzuziehen«, setzte Madlyn nach.

»Wenn ich jemanden angreifen wollte, würde ich auch nicht über die Straße kommen!«, antwortete Sir Peter schroff, der sich plötzlich über die selbstbewusste Meinung der jungen Frau ärgerte. Madlyn lehnte sich zurück an die Wand im Rücken der Bank. Sie hatte gelernt, wann es an der Zeit war, den Mund zu halten.

Sir Peter und Madlyns Vater kamen jedoch, nachdem man noch am gleichen Abend darüber Rat gehalten hatte, ebenfalls zu der Erkenntnis, dass die Rotte Räuber, wahrscheinlich Waliser, inzwischen über alle Berge war und sich eine Verfolgung nicht lohnte. Im Übrigen wurden auch alle Hände auf Loombridge benötigt, um die Abreise nach Danford, die Anfang der nächsten Woche anstand, vorzubereiten.

Kapitel 2

Burg Danford erhob sich trutzig und prachtvoll in den Himmel. Madlyn war von dem gewaltigen Bauwerk beeindruckt. Da der Platz in dem alten befestigten Teil sehr begrenzt war, hatte man die Anlage großzügig erweitert. Um den ursprünglichen Festungsturm, welcher der Familie im Falle einer Belagerung Zuflucht bot, drängten sich zahlreiche zusätzliche Gebäude, unter anderem die Festhalle, ein großes Gästequartier und riesige Stallungen. Zu dem erfreulichen Anlass der Taufe seines Erstgeborenen hatte Lord Fulbert neben Familie und Verwandten viele wichtige Persönlichkeiten eingeladen, mit denen er den einen oder anderen Plan zu besprechen hatte. Die Burg schien aus allen Nähten zu platzen. Jedes Bett war belegt, und die Bediensteten der Gäste mussten nachts in den Gängen schlafen.

Das Gedränge im Burghof ließ Madlyn im ersten Moment ganz schwindelig werden. Noch niemals hatte sie so viele Menschen auf so engem Raum erlebt, und außer auf dem Jahrmarkt in Chester wohl noch nie so viele Leute überhaupt!

Sie wurde in dem Flügel des Gästehauses untergebracht, der Damen ohne männlichen Begleitschutz und unverheirateten Jungfern vorbehalten war. Man hatte ihr ein schönes Gemach zum Garten hin zugewiesen, das sie mit einer Miss Jane teilen würde. Ihre Mitbewohnerin war offenbar bereits eingetroffen und hatte ihr Gepäck großzügig über den gesamten Raum verteilt. Unschlüssig stand Madlyn in der Tür und betrachtete die Unordnung. Es war nicht ersichtlich, welches der beiden Himmelbetten noch frei war, und alle Stühle waren mit Kleidern belegt.

»Ich komme schon, ich komme schon!«, kicherte hinter ihr eine hohe Stimme. Madlyn drehte sich um und sah eine kleine, rundliche Dame den Gang hinunter auf sie zueilen.

»Es tut mir leid, ich habe mich verplaudert, und nun sind Sie schon da. Ich werde gleich mein Mädchen rufen, damit es hier Ordnung schafft.« Sie schob sich an Madlyn vorbei durch die Tür, fegte ein grünes Kleid von einem der Ledersessel und winkte heftig.

»Ich bin Jane Beaumont, nennen Sie mich bitte einfach nur Jane. Kommen Sie doch und setzen Sie sich. Verzeihen Sie das Durcheinander, aber ich bin leider furchtbar unordentlich, und mein Mädchen ist da auch nicht viel besser. Sie sind Madlyn, eine Kusine von Lady Beata, richtig?«

Madlyn nickte überrascht.

»Nun, ich habe schon nachgefragt. Ich war neugierig, mit wem ich das Gemach teilen würde. Man weiß ja nie, auf wen man so trifft, und mit einem greisen Mütterchen hätte ich gewiss nicht viel Spaß«, lachte Jane.

Ihre Zimmergenossin schien häufiger Besuche zu machen als sie. Madlyn betrachtete ihr Gegenüber interessiert. Jane war vermutlich in ihrem Alter, und sie war ausgesprochen hübsch. Sie hatte den makellosesten, weißen Teint, den Madlyn jemals gesehen hatte. Ihre hellblauen Augen strahlten, und das rotblonde Haar glänzte, als wäre es flüssiges Gold. Sie trug ein erlesenes und sehr elegantes smaragdgrünes Seidenkleid, das alle diese Vorzüge noch unterstrich. Gemessen an Jane fühlte sich Madlyn wie ein gerupftes Huhn neben einem Schwan. Dennoch bewunderte sie neidlos die exquisite Erscheinung ihres Gegenübers. Es war Madlyns erste Begegnung mit einer Dame von Welt. Jane war nicht allzu groß und hatte üppige Rundungen, die Warren anerkennend als »griffig« bezeichnet hätte. Ihre sprühende gute Laune war ansteckend, und sie redete schnell und ununterbrochen.

»Wollen wir uns duzen?«

Madlyn nickte, und Jane sprach sogleich weiter: »Hattest du eine angenehme Reise? War das Wetter gut? Wie lange warst du unterwegs?«

Inzwischen war Janes Mädchen hereingekommen und schickte sich an, die verstreuten Kleidungsstücke ohne ersichtlichen Plan hin- und herzuräumen. Sie wurde jedoch, kaum, dass sie damit begonnen hatte, von ihrer Herrin unterbrochen und losgeschickt, um zwei Becher Buttermilch zu holen.

»Du magst doch Buttermilch, oder?«

»Ja, danke«, antwortete Madlyn und nutzte die Gelegenheit, zu ergründen, welches der Betten bereits von Jane belegt war. Sie legte ihr Reisecape ab und setzte sich auf das andere Bett, als Janes Zofe den gerade noch frei geräumten Ledersessel abermals mit einem Arm voll Gewänder belud.

»Wann bist du denn angekommen, Jane?«

»Wir sind schon seit gestern hier, meine Eltern sind im Westflügel untergebracht. Gottlob war es so beengt, dass ich dort nicht auch noch mit hineinpasste.« Jane zwinkerte Madlyn zu. »Wer will schon auf solch einem Fest mit seinen Eltern zusammen in einem Gemach übernachten.«

Madlyn war sich nicht recht sicher, ob sie diese Anspielung tatsächlich richtig verstanden hatte. Während sie darauf wartete, dass ihr Gepäck gebracht wurde, plauderte Jane fröhlich weiter.

»Ich bin letztes Jahr schon einmal zur Hochzeit hier gewesen. Mein Vater hatte gehofft, dass ein gewisser junger Herr ebenfalls anwesend sein würde, dem er mich hatte vorstellen wollen. Aber leider ist er nicht gekommen.« Jane schürzte missbilligend ihre sehr roten Lippen, lachte dann aber gleich wieder. »Damit hat er sich nicht nur meinen, sondern auch König Henrys Unmut zugezogen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Jetzt ist er in Ungnade gefallen, und deshalb brauche ich ihn auch nicht mehr kennenzulernen.«

»Sicherlich findet sich hier ein neuer Bräutigam für dich.« Madlyn, die ihre Zimmergenossin bereits ins Herz geschlossen hatte, lachte.

»Und wie steht es mit dir?«

Madlyn schüttelte den Kopf. »Ich bin bereits verlobt.«

»Ach! Du Glückliche. Ist er auch hier?«

»Nein, mein Bräutigam ist mit seinem Herrn auf dem Festland.«

Nachdem Madlyns Gepäck gebracht und ausgepackt war, nahm sie Janes Vorschlag an, ihr die Festhalle zu zeigen. Sie verließen das Gästequartier über eine Seitentreppe, die sich gleich neben ihrer Kammertür am Ende des Ganges befand. In dem geschäftigen Hof trafen weiterhin ununterbrochen Gäste ein, und Lord Fulberts Leute hatten alle Hände voll zu tun, Reittiere und Gepäck entgegenzunehmen und die Neuankömmlinge in die jeweiligen Unterkünfte zu führen.

Vorsichtig, mit geschürzten Röcken, wichen die beiden jungen Frauen den tiefen Löchern in dem aufgeweichten Boden aus, sorgsam darauf bedacht, auch die zahlreichen Pferdeäpfel zu umgehen und gleichzeitig nicht einem der heranrollenden Wagen vor die Räder zu kommen oder einer Dame auf die Schleppe zu treten. Sie betraten das Innere der Burg durch eine geöffnete Flügeltür, die direkt in die große Festhalle führte. Es war ein langgestreckter Bau, die Fundamente waren aus Stein, Wände und Dach aus Holz gezimmert. Alles war neu, bunt bemalt und über und über mit Fahnen und Wimpeln geschmückt.

»Das Essen ist wahrhaft gut hier«, schwärmte Jane. »Eine der Nachspeisen gestern war besonders köstlich, gezuckerte Nüsse in Fruchtgelee. Einfach himmlisch.«

»Hör bloß auf, Jane, mir läuft jetzt schon das Wasser im Munde zusammen.«

»Na, hör du auf. Du kannst dir all die Leckereien doch leisten, ich dagegen muss mich immer zusammennehmen, sonst werde ich bald so rund sein wie meine Mutter«, beschwerte sich Jane mit einem Blick auf Madlyns schlanke Gestalt. Madlyn hatte den gesunden, kräftigen Körperwuchs eines Landedelfräuleins, daran gewöhnt, auch mit anzupacken. Nach diesem langen, mageren Winter allerdings schienen ihre Gewänder doch eine Idee zu groß geworden, und sie freute sich schon darauf, ein paar Tage lang auf Lord Fulberts Kosten zu schlemmen.

Und Madlyns Erwartungen wurden an diesem Abend noch übertroffen. Da die Herren von den Damen getrennt saßen, hatte man sie bei Jane und ihrer Mutter platziert. Es war kaum zu glauben, was alles aufgefahren wurde. Es gab fetten Schweinebraten, Hühnchen in Mandelsulz, Fisch auf alle erdenklichen Arten, Pastete gefüllt mit Kalbfleisch, Lamm oder Aal, mit Obst gestopfte Wachteln, feinstes weißes Weizenbrot, Hafergrütze mit Honig und Mandeln, Kaninchen in Erbsenpüree, sogar Nudeln in Milch und Salbei gekocht.

Jane nahm von allem, was ihr angeboten wurde, gerne und reichlich, und überhörte geflissentlich sämtliche Ermahnungen ihrer Mutter, sich doch bitte etwas zu mäßigen.

»So etwas Gutes bekommt man doch nur ganz selten«, zwinkerte sie Madlyn zu, die zustimmend nickte.

Im Zuge des Mahls wurden zahlreiche Reden gehalten, und die Lobeshymnen auf den großzügigen Gastgeber und die überaus geschätzten Ehrengäste brachen auch während der Nachspeisen nicht ab. Unterdessen trank man ausdauernd auf Lord Fulbert und seinen Erben. Die allseitigen Trinksprüche würden den ganzen Abend über andauern. Doch bis die ersten nicht mehr stehen konnten, war es noch lange hin, und man räumte die Tische und Bänke beiseite, um Platz für Musikanten und Tanz zu schaffen. Madlyn hatte ein nettes Plätzchen auf einer der Bänke gefunden, die die Wände säumten. Sie beobachtete die Gäste. Obwohl Hildi und sie sich die allergrößte Mühe gegeben hatten, Madlyns Festtagskleidung aufzupolieren, gehörte sie zweifelsohne nicht zu den bestangezogenen Damen auf diesem Fest. Nicht einmal zu den einigermaßen modischen, dachte sie niedergeschlagen, als eine Frau in einer himmelblauen Seidenrobe mit Perlenstickerei an ihr vorbeischwebte. Sie beschloss, statt neidisch auf die Pelzverbrämungen, kunstvollen Edelsteinverzierungen und Goldnetze zu schauen, doch lieber Damen zu finden, die schlechter angezogen waren als sie selbst. Dieser Plan verbesserte Madlyns Laune erheblich, insbesondere nachdem Jane sich zu ihr gesellt hatte und sie sich gegenseitig auf zu enge Mieder, gewagte Farbkombinationen und zu kurze Schleppen aufmerksam machten.

»So, nachdem wir über alle Anwesenden hergezogen sind, was machen wir jetzt?«, fragte Madlyn eine ganze Weile später.

»Wir haben auch Lob ausgesprochen.«

»Aber nur sehr sparsam«, kicherte Madlyn und blickte sich suchend um.

»Wer soll denn nun mein Ritter sein?«, seufzte Jane, zu den Männern hinüberspähend.

»Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass dein Vater Schwierigkeiten haben könnte, einen Gemahl für dich zu finden.«

»Es ist wahrlich nicht so, als würde ich keine Angebote bekommen. Aber es sind eben nicht die richtigen.«

»Wie soll er denn sein, dein zukünftiger Gatte?«

»Er soll mich lieben.«

»Er soll dich lieben?«

»So wie Tristan und Isolde«, fuhr Jane träumerisch fort.

»Aber das ging doch nicht gut aus.«

Im letzten Sommer, als William mit seinem Freund aus Kent heraufgekommen war, hatte sich Sir Walter nicht lumpen lassen und tatsächlich zu ihrer Unterhaltung einen fahrenden Sänger nach Loombridge geholt. Seine musikalischen Vorträge über Helden und Jungfern und Drachen hatten Madlyn sehr beeindruckt. Aber ihre Wirklichkeit sah nun einmal gänzlich anders aus. Janes Wirklichkeit offenbar nicht.

»Aber sie haben sich doch so geliebt«, seufzte Jane verzückt.

Madlyn dachte an Daniel. Sie hatte in die Verlobung eingewilligt, weil es eine angemessene Verbindung war und sie es hätte schlechter treffen können. Nichts hatte dagegengesprochen und vieles dafür, aber hegte sie romantische Gefühle für Daniel? Hatte sie jemals romantische Empfindungen gehabt, außer für die Helden, die sie sich mit Hildi zusammen an langweiligen Nachmittagen erträumt hatte? Und jetzt war Hildi so gut wie versprochen, ohne ihren Bräutigam bislang zu Gesicht bekommen zu haben.

»Meine Freundin wird sich mit einem Ritter verloben, der auch hier auf dem Fest ist. Vielleicht kennst du ihn? Sein Name ist Philip de Forberry.«

Jane schüttelte den Kopf. »Nein, den kenne ich nicht.«

»Schade.«

»Ich werde schnell meinen Vater fragen«, erbot sich Jane und verschwand im Gedränge. Madlyn hätte es nur bei einer besonders dringlichen Frage gewagt, Sir Walter in einem Gespräch zu unterbrechen.

»Mein Vater kennt Philip de Forberry nur flüchtig, aber er hat ihn erst vorhin bei den Musikanten gesehen«, berichtete Jane, als sie wenig später zurückkehrte. »Er trägt eine blaue Jacke mit eingewirktem Muster und sieht ansonsten genauso aus wie jeder normale Mann«, wiederholte sie die Worte ihres Vaters und rollte mit den Augen.

Sie steuerten auf die Musiker zu, die sich an der linken Wand des Saales aufgestellt hatten und auf ein Zeichen von Lord Fulbert warteten. Der war allerdings damit beschäftigt, einen riesigen Bierkrug zu leeren, und zwar schneller als der rotgesichtige Herr, der ihm gegenübersaß. Bei den Musikanten stand tatsächlich ein Mann in einer blauen Jacke.

Madlyn blieb abrupt stehen. Das konnte er nicht sein. Das durfte er nicht sein!

»Du liebe Güte«, flüsterte Jane.

Das glänzende Rund seines kahlen Kopfes fand eine Entsprechung in der strammen Halbkugel seines Bauches, auf dem große halbrunde Knöpfe prangten. Seine veilchenblaue Jacke bestach durch ein auffälliges, eingewebtes Rautenmuster, das sich, da das Kleidungsstück ein wenig spannte, etwas verzerrte.

Zögernd trat Madlyn näher. Beim allerbesten Willen konnte sie sich diesen Mann nicht als Hildis Gatten vorstellen. Und doch, das Alter mochte stimmen, sie schätzte ihn auf etwa dreißig.

»Was machen wir jetzt?«, wisperte Jane.

»Ich weiß nicht recht. Ich kann mich ihm ja schlecht einfach vorstellen, das ist nicht schicklich.«

Nachdem sie unschlüssig eine Weile herumgestanden hatten, wurde es Jane zu langweilig.

»Dort drüben ist eine Bekannte von mir. Ich gehe schnell hinüber, um sie zu begrüßen«, sagte sie und war schon verschwunden.

An einen der Tische gelehnt, beobachtete Madlyn den Gentleman in Blau, wie er sich mit einem anderen Gast unterhielt. Als Unterhaltung konnte man es eigentlich nicht bezeichnen, denn sein Gesprächspartner kam überhaupt nicht zu Wort. Obwohl sie das Gesagte nicht verstand, wurde deutlich, dass sich Hildis Zukünftiger sehr wichtig nahm. Die Art, wie er über seinen, im Gegensatz zu seinem Haupthaar, überaus dichten Bart strich, wie er die Hände in die Hüften stemmte oder wie er mit seinem Zeigefinger gestikulierte, war ihr zutiefst unsympathisch. Unglücklich rang Madlyn mit den Händen. Was sollte sie bloß Hildi berichten?

»Wenn er sich auf einen Tisch stellen würde, würden wir alle an seiner Weisheit teilhaben können«, vernahm Madlyn eine Stimme neben sich.

Überrascht wandte sie sich um. Der Mann, der neben sie getreten war, zwinkerte ihr zu. Madlyn errötete, dass sie Hildis Verlobten in aller Öffentlichkeit angestarrt hatte.

»Es muss Ihnen nicht peinlich sein, mein Fräulein. Er ist nun einmal ein faszinierender Anblick.«

»Es ist trotzdem sehr ungebührlich.«

»Ach was, er hat es ja nicht bemerkt.«

Madlyn lächelte.

»Gott sei Dank.«

»Sie kennen ihn?«

»Nein, noch nicht.«

»Das heißt, Sie werden ihn kennenlernen?«

»Er ist der zukünftige Gatte meiner Freundin.«

»So? Das ist ja interessant.«

»Warum?«

»Meines Wissens ist er schon verheiratet.«

»Seine Frau ist gestorben.«

»So plötzlich?«

Madlyn nickte.

Ihr freundlicher Gesprächspartner legte die Stirn in Falten. »Hat sie das Essen nicht vertragen?«

Madlyn schickte ihm einen verwirrten Blick. »Ich dachte, der Herr dort drüben sei Philip de Forberry.«

»Nein, das ist ganz sicher nicht Philip de Forberry.«

»Ach herrje, jetzt habe ich die ganze Zeit den falschen Mann angestarrt. Auch das noch«, lachte Madlyn befreit.

»Sie scheinen erleichtert.«

»Und wie. Ich hätte gar nicht gewusst, wie ich diesen blau gezwirnten Kugelmann meiner armen Hildi hätte beibringen sollen.« Madlyn schlug die Hand vor den Mund. »Verzeihung, das hätte ich nicht sagen dürfen.«

»Ich habe Lord Vexet im Geiste schon ganz andere Namen gegeben, machen Sie sich nichts daraus.«

Madlyn betrachtete ihr Gegenüber interessiert. Für einen Mann war er nicht übermäßig hochgewachsen, nur wenig größer als sie, aber schlank und von angenehmem Äußeren. Er hatte freundliche Augen und einen Mund, der gerne lächelte.

»Kennen Sie Philip de Forberry?«

»Den Zukünftigen der armen Hildi?«

»Das ist mir nur so herausgerutscht«, verteidigte Madlyn ihre mangelnde Diskretion.

»Allerdings kenne ich Philip de Forberry.« Er verneigte sich. »Ich bin es selbst.«

»Oh nein«, flüsterte Madlyn.

»Ich fürchte doch.«

»So habe ich es nicht gemeint«, stammelte sie. Dann sah sie in seine lachenden Augen. »Mein Herr, Sie machen sich über mich lustig!«

»Nur ein bisschen. Verzeihen Sie mir?«

Madlyn errötete.

»Wollen Sie mir nicht wenigstens sagen, wer Sie sind?«

»Ich heiße Madlyn. Mein Vater ist Sir Walter of Loombridge.«

Philip de Forberry machte eine elegante Verbeugung.

»Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Miss Madlyn.« Er reichte ihr seinen Arm. »Kommen Sie, ich werde uns etwas zu trinken besorgen, all das Anstarren fremder Leute muss Sie durstig gemacht haben.«

Madlyn warf ihm einen empörten Blick zu, legte aber trotzdem ihre Fingerspitzen in seine Hand.

Von dem Tablett eines Pagen nahm er einen Becher Wein und reichte ihr diesen. Dann führte er sie hinaus. Der Vorplatz zum Festsaal war mit Fackeln erleuchtet, und man hatte Bänke und Tische aufgestellt. Madlyn blickte in den sternklaren Himmel.

»Lord Fulbert hat in der Tat Glück mit dem Wetter!«

»Ist Ihnen warm genug?«

»Ja, die Scham über mein unziemliches Verhalten brennt in mir wie ein Feuer.«

Philip de Forberry schaute sie zweifelnd von der Seite an. Madlyn beschloss, seinen Blick zu ignorieren.

»Wie kam es zu dieser Verwechslung mit Lord Vexet, wenn ich das fragen darf.«

»Mir wurde gesagt, dass der Herr in der blauen Jacke bei den Musikanten Philip de Forberry sei.«

»Ich hatte meinen Überrock abgelegt. Ich bitte inständig um Verzeihung.«

Madlyn musste lächeln.

»Erzählen Sie mir doch etwas über Hildi. Ist sie so wie Sie?«

»Nein, Hildi weiß sich immer zu benehmen!«, entfuhr es Madlyn. Sie stutzte. »Ich benehme mich üblicherweise auch besser«, fügte sie würdevoll hinzu.

»Selbstverständlich.«

»Hildi ist meine allerliebste und beste Freundin. Mit Hildi kann ich sein, wer ich bin.«

»Und das können Sie sonst nicht?«

Madlyn blickte in seine Augen, die sie interessiert betrachteten, und wunderte sich, dass ihre Unterhaltung mit einem Mal derart persönlich geworden war.

»Doch, natürlich kann ich das, aber wenn ich mit Hildi zusammen bin, muss ich mich nicht zurücknehmen und kann freiheraus sagen, was ich denke.«

»Da bist du!« Warren kam aus der Festhalle gewankt. »Ich habe dich schon gesucht.«

Er bemerkte Philip de Forberry und zog missbilligend die Brauen zusammen. Madlyn kannte diesen Blick, und er bedeutete, dass Warren Streit suchte.

»Und wer sind Sie und was machen Sie hier, allein mit meiner Schwester?«

»Es wäre zu viel gesagt, dass wir hier alleine sind, Warren«, stellte Madlyn fest.

»Erlauben Sie mir, dass ich mich vorstelle, ich bin Philip de Forberry.«

»Und was machen Sie hier allein mit meiner Schwester?«, wiederholte Warren mit leicht schleppender Zunge. »Das erklären Sie jetzt mal!«

Madlyn wollte vor Scham im Boden versinken, aber ihr neuer Bekannter ließ sich nicht aus der Fassung bringen.

»Ich wollte sie ausfragen.«

»Sie wollten Madlyn ausfragen?«, wiederholte Warren diese unerwartete Antwort und sah verdutzt von einem zum anderen.

»Über Hildi.«

»Hildi?«

»Genau.«

»Was zum Teufel hat Hildi damit zu tun?« Warren war verwirrt, und während er noch versuchte, seine Gedanken zu ordnen, um zu den richtigen Schlussfolgerungen zu gelangen, schob Philip de Forberry ihn bereits wieder in Richtung Saal.

»Bitte, Sir Warren, ich erkläre es Ihnen drinnen. Sie müssen mir auch Ihren Vater vorstellen, ich habe schon viel von ihm gehört.« Er drehte sich um. »Kommen Sie, Fräulein Madlyn?«

Kapitel 3

Madlyn lag in ihrem Himmelbett. Von draußen drang der Lärm des Festes zu ihr herauf. Zwar hatten viele Gäste inzwischen ihre Gemächer aufgesucht, die Verbliebenen waren dafür aber umso lauter. Jane war noch nicht zurück. Madlyn dachte an Philip. Welch ein Glücksfall für Hildi, einen solch reizenden Ehemann zu bekommen, Madlyn war hellauf entzückt. Sie hatte sich Philip de Forberry gänzlich anders vorgestellt. Hildi hatte erzählt, dass er Schafe hielt, und sein Besitz konnte nicht größer als der von Loombridge oder Little Blainewood sein, aber er war ganz sicher nicht so wie die anderen Landedelmänner, die sie kannte. Sein Auftreten war elegant und selbstbewusst, ohne anmaßend zu sein. Aus einer seiner Bemerkungen hatte sie schließen können, dass er sich eine Zeit lang im engeren Gefolge König Henrys bewegt hatte. Er schien viel über vielerlei Dinge zu wissen und war sicherlich gebildeter als alle Männer, die sie kannte. Philip de Forberry war ein großartiger Gesprächspartner, humorvoll und aufmerksam. Mehr als das schien er wirklich an ihren Antworten interessiert. Die Situation mit Warren hatte er elegant gelöst, ohne dass es zu einem Streit gekommen war.

Sie hatte sich bei ihm für Warrens Benehmen entschuldigen wollen, aber er hatte abgewinkt. Junge Männer waren nun einmal so. Das allein war Beweis genug, dass es sich bei Philip um einen gestandenen Mann handelte, der stets Herr der Lage blieb. Sie dachte an sein lächelndes Gesicht und wie er sie freundlich geneckt hatte. Ja, Hildi konnte sich glücklich schätzen, einen solchen Gatten zu bekommen.

Madlyn starrte eine Weile grüblerisch in die Dunkelheit, als ein unwillkommenes Bedürfnis ihren Gedankenfluss unterbrach. Sie blickte sich in dem dunklen Zimmer um. Wo in dieser Unordnung war hier der Nachttopf versteckt? Sie lehnte sich halb aus dem Bett und spähte darunter, konnte aber ohne Licht nichts erkennen. Seufzend schlug sie die Decke zurück, wickelte sich in ihren Schal und zog ihre Schuhe an. Ehe sie in diesem Durcheinander den Nachttopf entdecken würde, war es schneller, kurz nach draußen zu laufen.

Es dauerte eine geraume Zeit, ehe sie in der fremden Burg den Weg zurückgefunden hatte. Sie hatte ihre Kammertür schon fast erreicht, als sie hinter sich plötzlich Stimmen hörte. Madlyn, nur in ihrem Unterkleid, wollte keinesfalls jemandem begegnen und versteckte sich eilig in einer der tiefen Fensternischen.

Zwei Gestalten schlichen an ihr vorbei. In demselben Moment, in dem sie das unterdrückte Kichern von Jane erkannte, begriff sie, dass die andere Person ein Mann war. Ein Mann im Frauentrakt! Das war geradezu ungeheuerlich. Wenn das herauskäme, gäbe es einen handfesten Skandal. Madlyn lauschte angestrengt, darauf hoffend, dass sich das Paar voneinander verabschiedete und der Mann sich entfernte. Nichts dergleichen passierte. Vielleicht hatte der Mann einen anderen Weg als die Treppe genommen?

Madlyn spähte vorsichtig aus der Fensternische. Nein, die beiden waren noch da. Jane lehnte an der großen Truhe neben der Tür, und ihr Begleiter hatte soeben die goldfarbenen Schnüre ihres Mieders gelöst. Lustvoll schob er seine Hände unter Janes Brüste, umfing die pralle Fülle und hob sie aus dem Stoff.

In einer Mischung aus Bestürzung und Faszination verharrte Madlyn wie erstarrt.

Der Mann senkte soeben den Kopf und begann, mit seiner Zunge genießerisch über die weißen, festen Rundungen zu streifen. Er vergrub sein Gesicht in ihrem üppigen Dekolleté, seine Hände kneteten Janes weiches Fleisch. Sie seufzte und bog den Kopf zurück, ihre Hände streichelten seinen Nacken. Er löste die Hände von ihrem Busen, schlang beide Arme um ihre Taille und zog Jane zu sich heran. Sie küssten sich inniglich.

Madlyn spürte eine unbekannte Sehnsucht in ihrem Schoss prickeln. Sie sollte sofort wieder in ihrer Fensternische verschwinden, schalt sie sich, aber es gelang ihr einfach nicht, ihren Blick von den beiden Liebenden zu lassen.

Sie waren eng umschlungen, und der Mann stand zwischen Janes gespreizten Beinen. Er schob langsam ihren Rock hoch. Seine Hände verharrten auf ihren Oberschenkeln, und er flüsterte etwas in Janes Ohr. Sie legte ihre Hände auf die seinen und führte sie weiter hinauf zu ihrem Schoß. Der Unbekannte begann mit neuer Leidenschaft, Jane zu liebkosen, und sie rieben sich aneinander. Aber es war nichts Animalisches oder Abstoßendes daran, fand Madlyn. Es war die ungestillte Sehnsucht zweier Menschen, die nicht genug voneinander bekommen konnten. Jane hatte mit hastigen Fingern das Taillenband seiner Beinlinge gelöst, und sie glitten hinab auf den Steinboden. Begierig packte er die runden Hüften und presste Jane an sich. Mit einem unterdrückten Stöhnen vereinigte er sich mit ihr. Seine rhythmischen Stöße fanden ihr Echo in dem zunehmend lauter werdenden Seufzen seiner Geliebten. Sie schlang die nackten Beine um ihren Liebhaber, ihre Hände griffen sein Gesäß, befeuerten seine lustvollen Bewegungen. Immer schneller wurde ihr Rhythmus, bis er schließlich in einem erbebenden Aufbäumen der beiden endete. Jane presste sich die Hand vor den Mund, und ihr Liebhaber vergrub sein Gesicht keuchend in ihrem gelösten Haar. Sie hielten einander eng umschlungen.

Madlyn spähte zu den schemenhaften Gestalten in der Dunkelheit. Sie war Zeugin von etwas Großem und Einzigartigem geworden. Etwas, was zugleich strikt verboten war. Langsam erwachte sie aus ihrer Trance und wich dann rasch zurück in die Fensternische. Sie lehnte sich an den kühlen Stein, ihre Wangen brannten. Sie schämte sich, dass sie zugesehen hatte, und sie schämte sich dieses neuen unbekannten Gefühls in ihrem eigenen Schoß, der so sehnsuchtsvoll kribbelte. Die beiden Liebenden flüsterten leise miteinander und verabschiedeten sich dann. Als die Schritte des Mannes näher kamen, wandte Madlyn das Gesicht zur Mauer und zog voller Scham ihren Schal über den Kopf. So stand sie noch eine ganze Weile da, und als schließlich ihre Füße eisigkalt wurden, schlich sie sich leise zu ihrem Gemach und öffnete die Tür. Jane setzte sich in ihrem Bett auf.

»Wo kommst du denn jetzt her?«

»Ich musste ein dringendes Bedürfnis erledigen.«

»Oje«, Jane kicherte nervös, »waren wir im Weg?«

»Bist du denn von Sinnen, Jane?«, brach es aus Madlyn hervor.

»Es ist niemand mehr wach, und keiner hat uns gesehen.«

»Aber Jane, wenn das herauskommt?«

»Es weiß ja niemand.«

»Also von mir erfährt keiner was«, beeilte sich Madlyn zu versichern, als sie rasch wieder in ihr Bett stieg.

»Ich habe es das letzte Mal schon gewusst, dass er der Richtige ist«, seufzte Jane und warf sich zurück in ihre Kissen, um sich gleich darauf wieder aufzusetzen. »Was für ein Mann. Hast du ihn erkannt?«

»Nein!« Erneut stieg Schamesröte in Madlyns Wangen.

»Soll ich dir sagen, wer es ist?«

»Auf keinen Fall. Was ich nicht weiß, kann ich auch nicht ausplaudern.«

»Schade.«

»Es sei denn, er wird morgen um dich anhalten. Dann will ich es natürlich wissen.« Madlyn schöpfte neue Hoffnung.

»Es ist schwierig.«

»Oh.«

»Mein Vater würde einer Verbindung nicht zustimmen.«

»Meine Güte, Jane, welch ein Wagnis du eingehst. Ist es das denn wert?«

»Ist dir denn noch nie ein Mann begegnet, dem du dich sofort hingeben wolltest?«

»Nein, noch nie.«

»Du warst noch nie verliebt?« Jetzt war Jane fassungslos.

»Ich glaube nicht.«

»Dann warst du es gewiss noch nie, sonst wüsstest du es.«

Jane rückte ihr Kissen zurecht.

»Ich bin sterbensmüde, lass uns morgen weiterreden. Erinnere mich daran, in der Kapelle eine Kerze anzuzünden, beichten will ich meine Sünden lieber nicht.« Sie kicherte müde in ihr Kissen, und dann war es still.

Kapitel 4

Die Sonne schien an diesem Festtag freundlich auf die Gäste nieder, die sich in und um das mit Blumen geschmückte Zelt zum Gottesdienst versammelt hatten.

»Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Miss Madlyn?«

Erfreut drehte Madlyn sich um. Philip de Forberry reichte ihr einen Becher mit Wein.

»Kennen Sie die Paten des Kindes?«, fragte sie.

»Der erste Pate ist Heribert of Harton.« Philip runzelte die Stirn. »Mir war gar nicht bewusst, dass Lord Fulbert so eng mit ihm bekannt ist.« Er zuckte mit den Schultern. »Vermutlich will er eine Allianz schmieden, und das wäre auch gar nicht so dumm von ihm.«

Madlyn war überrascht und erfreut, dass ihr Eindruck sie nicht getäuscht hatte. Philip de Forberry schien sie tatsächlich als ebenbürtige Gesprächspartnerin zu betrachten. Üblicherweise wurde jedes Interesse ihrerseits an Themen, die über die Haushaltsführung oder die unmittelbare Nachbarschaft hinausgingen, im Keim erstickt. Ermutigt fragte Madlyn weiter: »Wer ist denn Heribert of Harton, dass eine Verbindung mit ihm von Vorteil wäre?«

»Sein Stammsitz liegt zwar in Derbyshire, aber durch seine Gattin hat er auch großen Besitz an der Grenze zu den Powys in Wales. Damit ist er quasi ein Nachbar, und mit dem will sich Lord Fulbert offensichtlich gut stellen. Sicherlich steckt noch etwas anderes dahinter, von dem wir aber nichts wissen sollen.«

»Tatsächlich? Was könnte das sein?«

»Das will ich mir lieber gar nicht ausmalen. Er ist ein sehr ehrgeiziger Mann mit wenig Skrupeln. Ich habe Gott sei Dank nichts mit ihm zu tun, aber ich bin auch nur ein kleiner Landadliger ohne viel Einfluss.«

Madlyn glaubte Bitterkeit in seiner Stimme gehört zu haben. Einmal mehr wunderte sie sich, wer Philip de Forberry tatsächlich war.

Während Madlyn an ihrem Wein nippte, betrachtete sie Philip durch ihre Wimpern. Sie mochte ihn wirklich sehr gern, Hildi war zu beneiden.

»Glauben Sie, dass es erneut Kämpfe geben wird?«

»Mit Wales?«

»Oder auch nur unter den Baronen.«

Philips Gesicht wurde ernst.

»Owain Gwynedd ist ein machtbesessener, grausamer Mann. Die Waliser sind Barbaren, und wenn wir nicht aufpassen, werden sie über die Grenzgebiete herfallen wie ein Rudel Wölfe.«

»Ist denn die Lage derart gefährlich?«

»Es gibt immer Männer, die zu kurzsichtig sind, um zu begreifen, dass, wenn sie sich mit dem Teufel verbünden, sie in der Hölle landen werden.«

Sein Ton war leidenschaftlich und heftig geworden. Dann hielt er inne.

»Verzeihen Sie, ich habe Sie nicht ängstigen wollen. Sprechen wir über etwas anderes.«

»Sie haben mich nicht erschreckt. Mich interessiert das alles sehr. Mein Vater und Warren sprechen in meinem Beisein nie über diese Themen.«

»Es sind auch eigentlich keine Angelegenheiten, über die sich eine Madlyn of Loombridge den Kopf zerbrechen sollte.«

Der Ausdruck auf ihrem Gesicht machte ihn stutzig.

»Jetzt habe ich Sie gekränkt. Es tut mir leid, ich meinte damit nicht, dass Sie dergleichen nicht verstehen, ich meine lediglich, dass Sie sich nicht mit Sorgen belasten sollten.«