4| Die Glücklichen

 

Sie waren die Glücklichen. Sie konnten ihre Toten begraben. Die meisten Familien, in denen niemand zu den zwei Prozent Überlebenden gehörte, wurden nicht beerdigt. Sie lagen in Krankenhausbetten, ihren eigenen Betten und manchmal in Fahrzeugen, gestorben bei dem Versuch, ein Ziel zu erreichen oder zu fliehen vor dem Zerrbild des Lebens, das sie einst gekannt hatten.

Schon kurz nach Beginn der Pandemie hatten siechende und sterbende Menschen die Krankenhäuser überfüllt. Anfangs hatte man noch versucht, jeden Toten in einen schwarzen Leichensack aus Plastik zu packen. Bald waren die Vorräte verbraucht. Als sich die Krankheit weiter ausbreitete, war man dazu übergegangen, die Leichen auf Parkplätzen zu verbrennen. Zahllose Körper hatte man einfach liegen gelassen, damit sie verrotteten. Abhängig von der Umgebung beschleunigte oder verlangsamte die Natur den Verwesungsprozess.

Der Geruch lockte Scharen von wilden Tieren aus den Wäldern in die Städte und Siedlungen. Sie erschienen unmittelbar an den Häusern und auf den mit schwarzem Asphalt bedeckten Straßen. Zahlreich säumten sie das Labyrinth der befestigten Wege, das über ihre Grenzen hinausführte. Angelockt vom Duft des verwesenden Fleisches füllten jetzt sie die Leere, die die fehlenden Geräusche der Menschen hinterlassen hatte. Aus alleingelassenen Haustieren wurden bald entweder Jäger oder Gejagte, die verwilderten und zu ihrer ursprünglichen Natur zurückkehrten. Häufig bildeten sie große Rudel und oft mischten sie sich mit Wildtieren.

Kojoten, Wölfe, Bären und Luchse jagten ihre natürliche Beute, das Rotwild, das früher nur kurz in der Dämmerung zu sehen gewesen war. Jetzt war immer häufiger der Klang der Hufe von Wiederkäuern auf dem harten Asphalt und auf den Bürgersteigen zu hören. Aber es gab nur noch wenige menschliche Ohren, die das wahrnehmen konnten. Diejenigen, die es hörten, vernahmen ebenso oft die Geräusche der Wildnis, wenn die Beute durch Fänge und Klauen zu Tode kam. Die Überlebenden mussten stets selbst fürchten, einem wilden Raubtier zum Opfer zu fallen. Also blieben sie in ihren Unterständen und Schutzhütten, wo ihnen langsam aber stetig die Vorräte ausgingen.

 

***

 

Graham setzte den Jungen ab und schloss die Tür. Der Wind frischte auf. Es begann wieder zu regnen. Bang stand nur da, reglos und benommen. Graham sah hinaus zu den Gräbern, jetzt sechs an der Zahl. Er lehnte seinen Kopf an das kalte Glas und kämpfte gegen die Verzweiflung, die ihn zu überwältigen drohte. Er dachte über die Antwort nach, die ihm sein Vater gegeben hatte auf die Frage: »Warum soll ich weitermachen?«

»Du wirst einen Grund finden, oder der Grund wird dich finden.« Graham sah den Jungen an. Großartig! Mein Grund ist ein todtrauriges Kind?

Graham seufzte und blickte auf seine mit Schlamm verkrusteten Stiefel. Er fing an, sie an der Fußmatte abzustreifen, merkte aber bald, wie sinnlos das war. Er zog sie aus und sah die Tennisschuhe des Jungen, die ebenfalls von Schlamm überzogen und zu schmutzig waren, um damit im Haus seiner Eltern herumzulaufen.

»He, Bang, zieh die Schuhe aus«, sagte er.

»Ich will nach Hause«, jammerte der Junge.

Graham fasste ihn an den Schultern und drehte ihn zu sich herum, damit der Junge ihn ansehen musste. »Hör zu, deine Mutter hat die letzten Momente ihres Lebens damit verbracht, dein Leben zu retten. Sie hat dich zu mir gebracht. Ich habe versprochen, mich um dich zu kümmern. Das werde ich tun, bis du es fertiggebracht hast, getötet zu werden. Bis dahin wirst du tun, was ich sage und wann ich es sage. Und wenn du wieder fortläufst, wirst du keine zwei Straßenkreuzungen weit kommen, bevor sich große, hungrige Hunde über dich hermachen. Nur dass ich dich dieses Mal nicht retten werde, weil du nicht auf mich gehört hast. Verstanden?«

Bang weinte, aber sein angstvoller Blick richtete sich auch nach draußen in die zunehmende Dunkelheit. Graham hoffte, dass die Warnung ausreichte, um ihn vom Weglaufen abzuhalten. Es hatte nicht viel gefehlt, und der Junge wäre schon vorhin zerfleischt worden.

»Jetzt zieh die Schuhe aus«, befahl er noch einmal.

Bang setzte sich auf den Teppich und schnürte seine Schuhe auf. Er schniefte weiter, tat aber immerhin, was ihm gesagt wurde.

»Hast du Hunger?«, fragte Graham in freundlicherem Ton.

Der Junge reagierte nicht.

Auch Graham verspürte kein Bedürfnis, etwas zu essen. Er sah auf seine schmutzigen Hände. Graham machte sich Sorgen, Bang könnte wieder versuchen davonzulaufen, sobald er ihm den Rücken zukehrte, also sagte er: »Okay, hör zu. Ich muss duschen gehen. Du hast zwei Möglichkeiten. Entweder kannst du mir versprechen, dass du hierbleibst und dich benimmst. Oder du kannst dich von den Hunden draußen fressen lassen. Entscheide dich, was willst du? Ich habe nämlich keine Zeit für Spielchen.«

Schluchzend sagte der Junge: »Bleiben.«

»In Ordnung«, sagte Graham. »Es wird dunkel hier im Flur. Lass uns nach hinten gehen.« Bang hob seinen Rucksack auf, der neben der Tür lag. Graham bemerkte erst jetzt, dass der Junge überhaupt einen Rucksack dabei hatte. Bang folgte ihm.

Seit die Krankheit ausgebrochen war, hatte Grahams Familie das Haus in der Nacht meist dunkel gehalten. Er nahm eine Taschenlampe, um den Weg zur anderen Seite des Hauses auszuleuchten. Dort öffnete er die Schlafzimmertür und richtete das Licht der Taschenlampe auf zwei Betten.

»Das dort am Fenster ist meins. Du kannst hier schlafen«, sagte Graham und zeigte auf das Bett neben der Tür. Dann zeigte er in die andere Richtung. »Da ist das Bad, gleich über den Flur. Ich möchte, dass du aufs Klo gehst und dir die Hände wäschst.«

Der Junge sah zu ihm auf. Graham begann sich schuldig zu fühlen, weil er ihn so hart anpackte, aber es ging nicht anders. Der Junge lief ins Badezimmer, in dem ein kleines Nachtlicht sanft leuchtete, und machte die Tür hinter sich zu.

Graham gehört das Wasser laufen und wartete im Flur, bis der Junge fertig war. In der Zwischenzeit lehnte er seinen Kopf gegen eine Schranktür. Er hatte heute noch nichts gegessen. Aber selbst wenn er es versuchte, es würde nicht drin bleiben, soviel wusste er.

Seine Gedanken wanderten zurück zum Beginn des Tages und zum Tod seines Vaters im Morgengrauen. Als er nach unten sah, stand dort Bang, der ihn stumm anblickte.

»Bist du fertig?«

Der Junge nickte.

Graham ging mit ihm ins Schlafzimmer und zog die Bettdecke für ihn zurück. »Okay, rein mit dir«, sagte er.

Der Junge kletterte ins Bett und ließ sich von Graham zudecken. »Ich gehe duschen. Du wirst hierbleiben, oder?« Bang nickte, aber seine Unterlippe zitterte. Graham versuchte, ihm über den Kopf zu streichen, aber der Junge schreckte vor seiner Berührung zurück.

Graham schloss die Schlafzimmertür, ließ aber die Tür zum Bad offen, damit er alles mitbekam. Er betrachtete sich im Spiegel, das Gewehr noch immer über der Schulter. Er erblickte einen Mann, den er nicht kannte. Er sah verdreckt und völlig ausgebrannt aus, bar jeder Energie und Emotion. Graham schälte sich aus der schmutzigen Kleidung, drehte die Dusche auf und lehnte das Gewehr gleich daneben an die Wand. Den Duschvorhang ließ er halb offen, sodass er hinausblicken konnte. Er ließ das heiße, dampfende Wasser über seinen geschundenen Körper laufen und beobachtete, wie sich das Wasser braun verfärbte. Nachdem er den Schmutz der Gräber abgeduscht hatte, sah er im Schlafzimmer nach. Der Junge war eingeschlafen.

Graham blieb an der Tür stehen und beobachtete das schlafende Kind. Dann bemerkte er das Buch mit Ledereinband, das oben auf dem Kinderrucksack lag. Er nahm es in die Hand und setzte sich auf sein Bett. Unter dem hellgelben Schein der Taschenlampe holte er das Buch aus dem Einband. Die ersten beiden Seiten zeigten einen Stammbaum. Ein Foto von Bang war an einem Ast ganz oben eingeklebt. An den Ästen darunter waren die Bilder und Namen seiner Vorfahren zu sehen. Unter dem, was er für koreanische Namen hielt, war sorgfältig die Übersetzung ins Englische eingetragen. Die tapfere Frau, der Bang so ähnlich sah, war eine Schönheit gewesen. Grahams Magen verknotete sich bei dem Gedanken, dass der Junge seine Mutter verloren hatte. Langsam blätterte er die Seiten um, bis ein lose gefalteter Brief zum Vorschein kam. Der Brief war an ihn gerichtet.

 

Lieber Mr. Graham,
ich schreibe Ihnen diesen Brief mit glücklichem Herzen. Ich weiß, dass Sie ein guter Mann sind und sich um meinen Sohn Bang kümmern werden. Bitte beschützen Sie ihn, und erinnern Sie ihn an seinen Vater und mich.
Wenn er traurig ist, bitten Sie ihn, Ihnen über seine Familie zu erzählen und darüber, wer wir waren. Im Geiste werden wir mit Ihnen beiden sein.
Ich will Ihnen ein wenig über Bang erzählen, damit Sie sich gut um ihn kümmern können.
Wir sind koreanische Amerikaner. Mein tapferer Vater entkam den Todeslagern in Nordkorea. Bang kennt die Geschichte. Er ist fünf Jahre alt, sein Geburtstag ist der 15. Juli. Er ist in Seattle geboren.
Er mag Autos und Tiere, hat Angst vor der Dunkelheit, und manchmal hat er böse Träume. Ich habe ihm beigebracht, dass er bei Ihnen tapfer sein muss. Er ist ein guter Jäger, was Kleinwild angeht.

 

Als er das las, hob Graham den Kopf und sah zu dem Jungen hinüber. Dann wandte er sich wieder dem Schriftstück zu.

 

Sein Vater und ich haben ihn gut trainiert. Er fängt Fische, jagt Enten, Hasen und Eichhörnchen. Er weiß, wie man kleine Fallen baut. In seinem Rucksack ist eine Steinschleuder, und er kann gut mit Pfeil und Bogen umgehen.
Bang ist meist ein ruhiger Junge, aber er kann für sein Alter gut lesen und schreiben. Das Wichtigste ist, glaube ich, dass Sie ihn so sehr brauchen wie er Sie. Sie beide sind jetzt allein. Deshalb habe ich mich für Sie entschieden.

 

Da war es, als wäre es die Antwort auf die Vorahnung seines Vaters: Du wirst einen Grund finden, oder der Grund wird dich finden. Offensichtlich hatte Hyun-Ok den nächsten Abschnitt zu einem späteren Zeitpunkt geschrieben, denn die Handschrift lief nun nicht mehr so weich und ruhig.

 

Bitte hören Sie auf meine Warnung!
Wenn Sie Bang mit sich nehmen und diesen Ort verlassen, muss ich Sie vor einem sehr bösen Mann namens Campos warnen. Ich habe alle, die hier noch leben, nächtelang beobachtet, um meine Entscheidung zu treffen. Campos hat zwei der wenigen Überlebenden, die die Stadt betreten haben, getötet. Wenn Sie fortgehen, dann gehen Sie bitte bei Nacht. Halten Sie sich von der Highway-Auffahrt fern. Campos lebt in dem kleinen, blaubemalten Haus neben der Tankstelle. Ich denke, er hat den Verstand verloren. Er spricht laut in verschiedenen Stimmen zu sich selbst. Er ist sehr gefährlich, und Sie sollten ihn meiden. Er hat Schusswaffen und trägt stets ein Beil am Gürtel. Er ist es, der das Feuer in dem großen Müllcontainer am Brennen hält. Er hat sogar einen der Überlebenden lebendig hineingeworfen. Wenn Sie diesen Ort verlassen, dann nehmen Sie kein Auto. Das wäre viel zu laut, Campos würde Sie finden. Er darf Sie nicht entdecken.
Verzweifeln Sie nicht wegen derjenigen, die gestorben sind, Mr. Graham. Sie haben nun jemanden, für den Sie leben müssen.
Ich danke Ihnen als Mutter aus tiefstem Herzen,
Hyun-Ok

 

Graham faltete den Brief zusammen und steckte ihn in das Buch zurück. Dann packte er das Buch wieder in den Ledereinband. Er war sich nicht sicher, was er von dem Jungen halten sollte. Von der Warnung war er nicht überrascht. Oft hatte er das ferne Hallen von Schüssen gehört und den schwarzen Rauch gesehen, der beinahe jeden Abend herüberwehte. Bisher hatte er keinen Grund gehabt, sich in diese Richtung vorzuwagen. Außerdem hatte sein Vater die Regel aufgestellt, dass jeder Kontakt mit der Außenwelt strikt zu meiden war. Die Familie war immer in der Nähe des Hauses geblieben, bis sie einer nach dem anderen gestorben waren. Graham hatte bis jetzt nicht einmal darüber nachgedacht, hier wegzugehen. Aber da gab es die Blockhütte der Familie, die sein Vater und er als Rückzugsort geplant hatten. Weit weg, so hoffte Graham, von all dem Irrsinn, Siechtum und Tod. Nun, da er von Campos wusste, würde er einen guten Plan brauchen, damit er und Bang diesen Ort sicher verlassen konnten.

Leider verlief der Weg zur Blockhütte geradewegs durch das problematische Gebiet. Sie waren von allen Seiten von Mensch und Natur eingeschlossen. Um auf die andere Seite des Highways zu gelangen, der als Überführung wie ein Damm über die Siedlung hinwegführte und auf beiden Seiten mit Betonwänden versehen war, mussten sie unter der Brücke hindurch. Genau dort hauste Campos. Was er über den Kerl gelesen hatte, klang ziemlich übel. Leider war die Immunität gegen das Virus nicht auf gute Menschen beschränkt, wie Grahams Vater immer zu sagen pflegte.

Bevor er schlafen ging, reinigte Graham sein Gewehr, so wie er es in den meisten Nächten zu tun pflegte. Er mochte die vertraute, immer gleiche Aufgabe. In der letzten Zeit hatte diese Routine sein ursprüngliches Einschlafritual, ein oder zwei Kapitel eines dystopischen Romans zu lesen, abgelöst. Neuerdings ähnelte die Welt da draußen der Welt in den Romanen zu sehr, um das Lesen wie früher genießen zu können.

Nachdem er mit seinem Gewehr fertig war, legte sich Graham ins Bett. Trotz allem, was heute geschehen war, dauerte es nur wenige Minuten, bis er eingeschlafen war.

 

8| Der Wahnsinnige

 

Horacio Campos war gerade damit fertig geworden, das letzte Schild in die feuchte Erde zu hämmern. Es war Teil der Grenze, die sein Reich umgab. Auf dem Schild war in großen Buchstaben zu lesen: BETRETEN VERBOTEN. Darunter stand: EINDRINGLINGE WERDEN ERSCHOSSEN, gefolgt von: WAREN UND VORRÄTE SIND EIGENTUM VON BÜRGERMEISTER CAMPOS.

Nun, da er die Schilder aufgestellt hatte, würde jeder wissen, dass diese kleine Stadt ihm gehörte. Ganz und gar ihm, mit allen Wohnhäusern und Gebäuden und allem, was darin war. Er würde keine Ausreden gelten lassen von irgendwelchen Eindringlingen, die die Regeln missachteten und es versäumten, die Maut zu zahlen, die er eingeführt hatte. »Hier gibt es nichts mehr auf Kosten des Hauses, wie diese beiden Trottel dachten, die hier einfach so, ohne zu bezahlen, hindurchspazieren wollten,«, grummelte er laut. Schon bevor er die Schilder aufgestellt hatte, gab es Regeln. Es musste immer Regeln geben.

Nur weil die Meisten tot waren, hieß das noch lange nicht, dass die wenigen Überlebenden sich einfach alles nehmen konnten. Immerhin war er es, der die wilden Tiere fernhielt, einschließlich der Hunderudel. Er sorgte für Strom und fließendes Wasser. Wenn sie dafür bezahlten, würde er ihnen auch Benzin verkaufen. Er hielt komplette Häuser bereit, sogar mit den dazugehörigen Autos, die er den Wenigen anvertrauen würde, die er als gute Bürger einschätzte. Sie mussten dafür nur ihren Teil bezahlen – entweder indem sie arbeiteten oder etwas zum Tausch mitbrachten. Wenn sie Proviant oder Waren benötigten oder seine Stadt durchqueren wollten, dann mussten sie zuerst beweisen, dass sie in der Lage waren zu zahlen.

Campos, der hier aufgewachsen und dessen Vater der Elektriker des Ortes gewesen war, wusste, dass einen die Menschen oft ausnutzten, wenn man es zuließ. Er hatte nicht vor, das zuzulassen. Einst hatte dieses Land seinem Großvater gehört, einschließlich der Tankstelle, an der er arbeitete.

Die Regierung hatte ihm seinen Besitz gestohlen, nachdem sein Großvater ihr erstes Angebot ausgeschlagen hatte. Damals in den Siebzigern hatten sie behauptet, das Land würde für den Schwachsinn benötigt, den sie »Stadterneuerung« nannten. Aber in Wirklichkeit hatten sie ihn einfach »zum Wohle der Öffentlichkeit« enteignet, nachdem sie nur die Hälfte dessen geboten hatten, was das Grundstück wert war. Sein ganzes Leben hatte er als Farmer dieses Land bestellt. Großvater hatte sich so aufgeregt, dass er auf der Stelle an einem Herzinfarkt gestorben war. Campos' Vater war als Waise im Alter von fünfzehn Jahren zurückgeblieben.

Voller Bitterkeit hatte ihm sein Vater davon erzählt, wie es gewesen war, seinen sterbenden Vater in den Armen zu halten, während die Mutter sich die Augen ausweinte. Aber ihre Tränen waren rasch getrocknet. Bald darauf hatte sie fröhlich herumgehurt und ihren Sohn alleingelassen. Campos hatte von da an für sich selbst sorgen müssen. Er erinnerte sich daran, wie sein Vater geschworen hatte, dass er sich das Land eines Tages zurückholen würde.

Sein Vater war zur Marine gegangen. Dort hatte er Elektriker gelernt und war dann in seine Heimat zurückgekehrt. Er hasste es, die Männer bedienen zu müssen, die einst für seinen Vater auf der Milchfarm gearbeitet hatten.

Als das Virus zugeschlagen und das große Sterben begonnen hatte, dem auch sein Vater zum Opfer gefallen war, hatte Campos beschlossen, dass jetzt die Zeit der Abrechnung gekommen war. Nun gehörte das Land wieder seiner Familie, und er hatte nicht vor, es sich von irgendjemandem noch einmal nehmen zu lassen. Sein Vater wäre so stolz auf ihn gewesen, wenn er nur das Virus überlebt hätte. Er wäre nie mehr wütend auf Campos gewesen.

Tag und Nacht hatte Campos aufgeräumt. Allein die Leichen zusammenzutragen und zu verbrennen hatte mehrere Tage gedauert. Damit sie nicht verwilderten, hatte er alle Haustiere getötet und sie zusammen mit ihren Besitzern verbrannt. Da der Ort jetzt ihm gehörte, sollte er schön sein. Wie in der guten alten Zeit sollte er aussehen, genauso, wie es sein Vater immer beschrieben hatte.

Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang hatte er geschuftet, um die Dinge in Ordnung zu bringen. Sogar in alle Häuser war er gegangen, hatte die Betten gemacht, Wäsche gewaschen und staubgesaugt. Er hatte sich jedes einzelne Zimmer vorgenommen, alten Plunder entsorgt, sauber gemacht und die Häuser soweit vorbereitet, dass sie die neuen Bürger in Empfang nehmen konnten, sobald er sie geprüft und für würdig befunden hatte.

Sein Vater war kein Freund von Wohltätigkeit gewesen. Für Campos galt das Gleiche. Vor allem nicht gegenüber den letzten beiden, die in die Stadt gekommen waren. Er war bereit, jedem Neuankömmling Arbeit anzubieten, aber er duldete keine faulen Säcke. Er wusste, dass sein Vater das nicht gutheißen würde.

Eine Sache beunruhigte Campos etwas, seitdem das Virus zugeschlagen hatte und die Lebensmittelläden leer geworden waren: Es gab keine Medizin mehr. Er war in die Apotheke eingebrochen, hatte aber keine Flasche finden können, auf der wie auf seiner Trilafon stand. Aber seine Medizin nicht mehr nehmen zu können hatte auch etwas Gutes. Sein Gesicht zuckte nicht mehr so häufig. Vielleicht brauchte er die Tabletten letzten Endes gar nicht.

Wenn es um ihn herum still und er nicht durch seine Arbeit abgelenkt war, konnte er wieder diese Stimmen hören. Wie böse Geister waren Sie hinter ihm her. Deshalb beschäftigte er sich, so gut er konnte, die ganze Zeit, von morgens bis abends. Er mähte den Rasen, reinigte die Häuser und wusch das alte Blut mit dem Hochdruckreiniger von den Bürgersteigen. Die niemals endende Arbeit sorgte dafür, dass die Stimmen fernblieben.

Sein Vater wäre sehr böse auf ihn gewesen, dass er seine Medizin nicht nahm. Aber wenn er sehen könnte, wie schön die Stadt jetzt war, würde ihn das vielleicht etwas milder stimmen. Nur für den Fall, dass sein Vater auch aus dem Jenseits ein Auge auf ihn hatte, arbeitete er, als wäre der Teufel hinter ihm her. Er betete darum, dass sein Vater nicht eine von den Stimmen war. Diese Vorstellung bereitete ihm mehr Angst als alles andere. »Bitte nicht«, wimmerte er, denn der bloße Gedanke daran ließ ihn zittern. Ich muss mich mehr anstrengen, meine Pillen zu finden, dachte er. Er hatte bereits alle Einfamilienhäuser durchsucht, denn ganz sicher hatte es noch jemanden gegeben, der das gleiche Medikament benötigt hatte.

Als Nächstes würde er sich das Apartmenthaus gegenüber vornehmen. Dafür hatte er bisher noch keine Zeit gehabt. Aber wegen der unangenehmen Sache, die dort geschehen war, dachte er schon eine Weile darüber nach, das Haus bis auf den Grund niederzubrennen.

Eines Tages hatte er dort eine Frau gefunden, die noch lebte. Er hatte sie schreien gehört, als sie vor einem verwilderten Hund davongelaufen war. So schnell er konnte, war er zu ihr gerannt und hatte das verdammte Vieh erschossen. Dann hatte sie ihn in ihre Wohnung eingeladen und sich bedankt. Zuerst hatte er gedacht, dass sie eine gute Bürgerin abgeben würde. Aber als er sie näher kennenlernte, wurde ihm klar, dass das nicht funktionierte. Sein Vater hätte sie als die Sorte erkannt, die herumhurte, wie seine Mutter. Sie trug diese kurzen Röcke und Tank-Tops, keine netten Damenkleider wie Mrs. Walker, die nebenan gewohnt hatte. Es war sehr traurig gewesen, dass sie gestorben war.

Er hatte versucht, der Frau zu erklären, dass sie eine Gegenleistung erbringen musste. Aber sie hatte ihn nur beschimpft. Niemand durfte ihn mehr beschimpfen. Er hatte ihr gesagt, dass sie die Stadt sofort verlassen sollte, aber das hatte sie nur noch wütender gemacht. Dann hatte sie ihn einen »Psycho« und ein »verrücktes Arschloch« genannt. Er erinnerte sich daran, wie er sie daraufhin am Arm gepackt hatte in der Absicht, sie wie ein Gentleman nach draußen zu führen. Aber sie hatte angefangen zu schreien und ihm auf die Brust geschlagen. Dann hatte sie ihn überrascht, seine Männlichkeit durch die Jeans gepackt und zugedrückt, woraufhin er sofort hart geworden war. Campos hatte sie gegen die Wand gedrückt, aber sich dann daran erinnert, dass sein Vater immer gesagt hatte, er dürfe sich dort nie berühren lassen. Also hatte er sie am Hals gepackt. Danach war er ein wenig ohnmächtig geworden.

Als er wieder zu sich kam, hatte sie an der mit Blut bespritzten Wand gelehnt. Ihr Kopf war säuberlich vom Rumpf getrennt. Dann hatte er das blutverschmierte Beil in seiner linken Hand entdeckt, von dem ihr Blut heruntertropfte und den weißen Teppich befleckte.

Er hatte geweint. Nicht für das Mädchen, sondern für sich selbst. Denn er wusste mit Sicherheit, dass die Stimmen zurück waren. Er hatte nicht vorgehabt, sie zu töten. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, es getan zu haben. Noch nie hatte er einen Menschen umgebracht. Er hatte ihre Leiche wie all die anderen in den brennenden Müllcontainer geworfen. Dann war er in sein kleines Haus zurückgekehrt, um das an seiner Haut klebende, langsam trocknende Blut abzuwaschen. Noch einige Zeit hatte er die Auswirkungen ihrer Berührung gespürt. Sein Vater wäre sehr wütend auf ihn gewesen. Er hatte sich wirklich sehr gewünscht, sie an sich zu ziehen, aber die Stimme seines Vaters war immer stärker geworden. Campos hatte gewusst, dass der Vater ihn beobachtete. Es machte ihm immer noch große Angst.

Für heute hatte Campos vor, alles verdorbene Obst und Gemüse sowie das vergammelte Fleisch und die ranzigen Milchprodukte aus dem kleinen Supermarkt auf die Straße zu schaffen. Er wünschte, er hätte sich eher darum kümmern können. Jetzt würde es eklig werden. Die Maden waren auf dem Vormarsch – und er hasste Maden. Deshalb machte er mit den Leichen stets kurzen Prozess und verbrannte sie einfach. Er konnte sie unmöglich alle begraben. Sie zu verbrennen war die einzige Möglichkeit, den Maden Einhalt zu gebieten.

»Puh«, entfuhr es ihm, als er die Ladentür öffnete. Unmittelbar drohte der Brechreiz die Oberhand zu gewinnen. Er zog sich das Halstuch über Mund und Nase, um den Gestank ein wenig zu lindern. Nachdem er seine Arbeitshandschuhe angezogen hatte, schnappte er sich einen Einkaufswagen und schob ihn mit quietschenden Rädern am Zeitungsständer vorbei, um mit der Obst- und Gemüseabteilung anzufangen. Er würde sich bis zur Fleischtheke vorarbeiten und sich dann das Regal mit den Milchprodukten vornehmen.

Er hatte bereits das Feuer in seinem großen Stahlmüllcontainer geschürt, den er mit einem Abschleppseil an dem kleinen Radlader seines Vaters befestigt und so zu einer fahrbaren Verbrennungsanlage gemacht hatte. Jeden Tag schleppte er ihn langsam dorthin, wo er gerade arbeitete. Auf diese Weise musste er das, was er entsorgen wollte, nicht über weite Strecken tragen.

Da war dieser eine vorlaute Kerl gewesen, der ihn »Seine königliche Durchgeknalltheit Campos der Erste« genannt hatte. Erst hatte er ihm in den Bauch geschossen und ihn dann, noch lebendig, in den brennenden Müllcontainer geworfen. Die Schreie waren länger zu hören gewesen, als Campos gedacht hatte. Aber das war diesem Herumtreiber ganz recht geschehen. Er hatte versucht, Campos zum Narren zu halten. »So etwas wie kostenloses Benzin gibt es hier nicht«, hatte er ihm mitgeteilt.

Campos hätte nie etwas in dem Laden mit bloßen Händen berühren können, aber mit seinen großen Arbeitshandschuhen konnte er furchtlos tief in die schleimigen, von Maden bedeckten Regale greifen. Nachdem er das vergammelte Obst und Gemüse in den Wagen geworfen hatte, schob er ihn zur Tür hinaus auf den Parkplatz, auf dem das Feuer loderte. Dann warf er alles in die Flammen und ließ die Funken zum dunkler werdenden Himmel aufstieben. Es war ein Anblick, der ihm das Herz erwärmte. Dann lief er zurück in den Laden, um die nächste Fuhre zu holen.

Zum Glück fand er trotz der durch die Pandemie ausgebliebenen Lieferungen noch genug Lebensmittel, die in Ordnung waren und ihn und vielleicht fünf weitere Menschen durch den Winter bringen konnten. Im nächsten Frühjahr würde er einen großen Garten anlegen. Er brauchte viele Arbeiter, die ihn bewirtschafteten. In seiner Stadt gab es mehr als genug Arbeit, und Campos hoffte, dass bald ein paar anständige neue Bürger auftauchen würden, damit er seine Pläne in die Tat umsetzen konnte.

 

20| Verloren und gefunden

 

Campos war froh, das Mädchen bei sich zu haben. Es bedeutete, dass er jemanden hatte, mit dem er die tägliche Arbeit teilen konnte. Er machte sich nur Sorgen darüber, dass die anderen sie nicht mögen würden und versuchen könnten, sie zu vertreiben. Er musste seine Medikamente finden. Wenn ihm das nicht gelang, war das Mädchen in Gefahr.

Als er den selbst gebauten Stacheldrahtzaun zur Seite schob, sah er sie aus dem Haus kommen, ihren Rucksack auf dem Rücken und bereit für den Tag. Sie sah ein wenig ängstlich aus, aber damit hatte er gerechnet. Er würde einfach sein Bestes geben, damit sie sich wohlfühlte. Vielleicht wollte sie ja bei ihm bleiben.

Campos begrüßte sie und zeigte ihr die Zäune, die er gebaut hatte, um die wilden Tiere in der Nacht aus der Stadt zu halten. »Sie sind nicht hundertprozentig sicher, aber zumindest schrecken sie die Tiere davon ab, direkt in die Stadt zu laufen«, erklärte er. »Lass uns dort lang gehen, dann zeige ich dir den Supermarkt, den ich gerade ausräume. Wir haben da noch etwa zwei Tage Arbeit, bevor wir uns um die anderen Geschäfte kümmern«, sagte er und zeigte auf ein paar Gebäude am anderen Ende der Straße.

»Ich räume alles auf, damit anständige Menschen, die in die Stadt kommen, einen Ort zum Leben haben. Ich hoffe, dass wir genug Einwohner sein werden, um im nächsten Frühjahr einen großen Garten anzulegen. Wir müssen unbedingt Saatgut organisieren, noch in diesem Winter. Die Felder sind ziemlich leer gefegt. Wir haben genug zu essen, um durch den Winter zu kommen, aber im Frühling könnte es schwierig werden«, sagte er.

Sie näherten sich dem Müllcontainer, an dem er den kleinen Radlader befestigt hatte. Campos erklärte ihr, wie er mit seiner Verbrennungsanlage auf Rädern durch die Stadt zog, um es leichter mit den Reinigungsarbeiten zu haben. »Sei vorsichtig, der Container ist sehr heiß. Fass ihn auf keinen Fall an der Seite an. Gibst du mir bitte den Benzinkanister da drüben?«

Marcy tat, was er verlangte. Er schüttete etwas Benzin in den Container und lief dabei hin und her, um den Kraftstoff gut zu verteilen. Dann stellte er den Kanister an der Tür des kleinen Supermarkts ab, ging zurück zum Müllcontainer und holte die Streichhölzer aus der Gesäßtasche. Er riss mehrere Hölzer auf einmal heraus, zündete sie an und warf sie in den Müllcontainer. Mit einem großen Zischen ging das Feuer an. Marcy sprang mit einem Schrei zurück.

»Oh Mann, die Flammen haben mich ganz schön erschreckt«, sagte sie. Ihr fiel auf, wie Campos' Kopf in einem unwillkürlichen Tick zuckte. Sie dachte sich nichts dabei, bis er sich zu ihr mit einem schiefen Grinsen im Gesicht umdrehte, das nicht länger sein eigenes zu sein schien.

»Oh, ja, meine Kleine. Du möchtest dort hinein?«, fragte er und lächelte sadistisch.

Marcy begann langsam vor seinem plötzlich abgrundtief böse aussehenden Profil zurückzuweichen, das von den brüllenden Flammen hinter ihm hervorgehoben wurde. Das war nicht Campos. Das ist der Mann von letzter Nacht. Jetzt wusste sie es. Es geschah direkt vor ihren Augen. Er veränderte sich. Etwas an diesem Kerl war ganz und gar falsch. Es war jetzt ganz offensichtlich, dass sie in Gefahr war. Er fing an, sie auszulachen, während sie sich weiter zurückzog.

»Wo willst du denn auf einmal hin, Süße?«, fragte er.

Marcy ging weiter rückwärts und versuchte, soviel Abstand zwischen sich und diesen Verrückten zu bringen wie möglich. »Ich denke, ich sollte jetzt g-g-gehen, zu meinem Vater«, stotterte sie in Panik, drehte sich um und rannte los.

»Nein, das tust du nicht, du kleine Schlampe!«, rief der grauenvolle Kerl. Er griff hinter sich und zog das Beil heraus, das er dort versteckt vor Campos bereithielt. Er zielte auf das Mädchen und schleuderte das Beil über Kopf durch die Luft.

 

23| Eine furchtbare Wahrheit

 

Graham trat hinaus in die feuchte Luft auf dem leeren Parkplatz. Die Mittagszeit war vorüber, und er dachte einen Moment darüber nach, etwas zu essen. Aber nach einem Blick auf den Rauch aus dem blauen Müllcontainer blieb von seinem Appetit nicht mehr viel übrig, auch wenn er seit dem Vortag nichts gegessen hatte.

Graham blieb stehen, die Hand an seinem Gewehr, und suchte mit konzentriertem Blick die Umgebung nach einem geeigneten Fahrzeug ab. Er lief auf die gegenüberliegende Straßenseite, an der mehrere Einfamilienhäuser standen. Dahinter lagen die größeren Apartmenthäuser. In einigen Einfahrten und entlang der Straße sah Graham ein paar Autos stehen, aber es war kein Pick-up darunter. Er wusste, dass er für die geplante Route ein Auto mit Allradantrieb benötigte. Ganz hinten am anderen Ende der Straße entdeckte er auf der rechten Seite einen roten Toyota, aber die entscheidende Frage war natürlich, ob der Schlüssel steckte.

Graham machte sich auf den Weg, um nachzusehen, als er plötzlich ein Geräusch hörte. Nur ein paar Häuser die Straße entlang, sah er drei Rehe, die sich den grünen Rasen in einem Vorgarten schmecken ließen. Noch eine freundliche Erinnerung daran, dass die Welt jetzt eine andere war. Eine Welt, in der sich Flora und Fauna immer mehr ausbreiteten und man besser einen sicheren Ort aufsuchte, um sich vor Raubtieren zu schützen. In einem gammeligen Lebensmittelladen zu kampieren übte keinen besonderen Reiz auf ihn aus, vor allem, weil die Gerüche noch ganz andere Tiere als nur Rehe auf der Suche nach zartem Gras anlocken würden.

Graham näherte sich dem roten Toyota und versuchte vergeblich, die Fahrertür zu öffnen. Er atmete tief durch, denn er wusste, dass er ins Haus gehen musste, um den Schlüssel zu finden.

Das kleine, weiß getünchte Haus war mit einem Spitzdach und dazu passender Tür versehen. Von den Rändern aus hatte sich grüne Patina ausgebreitet. »Muss in den vierziger oder Fünfzigerjahren gebaut worden sein«, sagte er leise zu sich. Diese kleinen Nachkriegshäuser waren damals rasch hochgezogen worden, um die nach dem Zweiten Weltkrieg heimkehrenden Truppen unterzubringen.

Wer auch immer hier gelebt hatte, hatte das Haus ziemlich gut gepflegt. Selbst die Betonplatten, aus denen der Gehweg bestand, waren gerade vor Kurzem mit einem Hochdruckreiniger gesäubert worden. Graham machte sich gar nicht erst die Mühe, zu klopfen, sondern betätigte einfach die Klinke. Die Tür war nicht verschlossen.

Die düstere Stimmung im Inneren, in dem nur noch wenig von dem trüben Nachmittagslicht dieses regnerischen Tages ankam, wirkte entmutigend. Er öffnete die Eingangstür weiter, aber ganz langsam, als ob jemand kommen könnte, um ihn zu begrüßen – obwohl Graham wusste, wie unwahrscheinlich das war. Die Gerüche, die ihm entgegenwaberten, waren muffig und schimmelig, aber es roch nicht nach Tod oder Verwesung. Es war nur der Geruch wie von einem alten Kleiderschrank der Großmutter oder von einem Keller voller mit Mottenkugeln gespickter Kleidung.

Als Erstes sah er sich neben der Tür um. Hoffentlich lag der Schlüssel gleich in der Nähe auf einem Tisch oder hing an der Wand. Er blickte in ein kleines Wohnzimmer, in dem das spärlich hereinscheinende Tageslicht ein braunes Ledersofa vor dem schwarzen Bildschirm eines Fernsehers enthüllte, den niemand mehr brauchte. Hinter dem Sofa führte ein Flur in einen weiteren Raum, von dem Graham annahm, dass es die Küche war.

Er stand auf Parkettboden aus Kastanienholz. Das echte Zeug, nicht die billige Kopie. Muss noch das Original sein, stellte Graham fest.

Immer noch mit der Hand an der Tür rief er: »Ist jemand zu Hause?« Als niemand antwortete, ließ er die Tür offen stehen und ging weiter in das seltsame Haus hinein. Nachdem er im Eingangsbereich nichts gefunden hatte, war die Küche der wahrscheinlichste Ort, an dem die Schlüssel deponiert sein konnten, vielleicht auf der Küchentheke oder an einem Haken neben der Tür zur Garage.

Graham durchsuchte die gut ausgeleuchtete Küche, die bis hin zu einer Kerze in der Mitte des Esstisches sauber und aufgeräumt war. Das ist ganz bestimmt eine aufgearbeitete Küche, dachte er. Niemals ist das Mobiliar hier original. Die Küchenmöbel waren mit einem Furnier aus Eichenholz versehen worden, und die Arbeitsplatten leuchteten mit einem hellen Laminat aus Pfirsichholz. Es war zwar alles nicht auf dem neuesten Stand, aber definitiv nicht aus den Vierzigerjahren. Das Haus war ungewöhnlich sauber und gepflegt, wie aus dem Ei gepellt. Wäre jemand zu Hause gewesen, als die Menschen in dieser Gegend starben, würden nach dem Chaos des vergehenden Lebens überall ihre Sachen verstreut herumliegen. Er sah sich um und durchsuchte die Küchentheken, die Schränke und einen kleinen quadratischen Küchentisch aus Eichenholz, aber ohne Glück.

»Vielleicht im Schlafzimmer«, sagte er laut und schaute in den kurzen Flur, der dorthin führen musste. Graham zog sich die Jacke über Mund und Nase. Er erwartete das Schlimmste, als er den Türknauf drehte. Er öffnete die Tür einen Spalt, dann noch ein wenig weiter. Aber was er sah, war nur ein ordentlich gemachtes Bett, auf dem eine Tagesdecke lag.

»Niemand zu Hause«, stellte er fest. Gleich hinter ihm war die Tür zur Garage, vielleicht die letzte Chance, die Schlüssel doch noch zu finden.

Er öffnete die unverschlossene Metalltür, die ganz sicher nachträglich eingebaut worden war und ursprünglich nicht zu dem alten Haus gehört hatte. Dann spähte er in die Dunkelheit der Garage, tastete nach dem Lichtschalter und machte mit einem laut hörbaren Klick das Licht an. Durch Zufall berührte er bei seiner Suche an der Wand etwas, das wie ein Schlüsselbund klang. Mit einem Klingeln fiel es zu Boden.

Als sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, stellte Graham überrascht fest, dass ein älterer, aber gut gepflegter beigefarbener International Harvester Scout vor ihm stand, wahrscheinlich Baujahr 1975. Er hatte zwei Sitzreihen, dahinter einen ordentlichen Kofferraum und sah groß genug aus, um auch die beiden Fahrräder mitnehmen zu können. Er las die heruntergefallenen Schlüssel auf und untersuchte sie. Am Schlüsselbund waren nur die Schlüssel für den Scout, nicht für den Toyota vor der Tür. Graham hoffte, dass der Wagen Allradantrieb hatte. Er betätigte den Schalter, der das Garagentor öffnete. Ein vertraut wirkendes, knackendes Geräusch bestätigte ihm, dass der Türmechanismus noch funktionierte.

Er ging zur Fahrerseite und öffnete die Tür mit dem Schlüssel. Er suchte nach dem Hebel, mit dem sich der Allradantrieb für Fahrten in unwegsamem Gelände einschalten ließ. Zu seiner Überraschung besaß der Scout einen. Er startete das Fahrzeug und legte sein Gewehr auf den Beifahrersitz. Es roch sauber, kein Müll lag herum. Der Tank war voll.

Graham dämmerte es, dass dies Campos' Werk war. Er musste von Haus zu Haus gegangen sein, um sie für die neuen Bewohner herzurichten, die er erwartet hatte. Graham wünschte sich plötzlich, er hätte den Mann nicht töten müssen. Etwas in ihm würde sich immer schuldig fühlen. Denn die Wahrheit war, dass ein Teil von Campos gut gewesen sein musste. Der Teil, der die Stadt aufgeräumt und sich um Marcy gesorgt hatte. Graham wusste, dass es diesen Teil von ihm gab, denn er hatte ihn im Blick auf Marcy gesehen, kurz bevor Campos gestorben war. Aber Graham hatte einfach nicht zulassen können, dass dieser Irre weiterlebte. Er stützte sich für einen Moment mit der Stirn auf das Lenkrad, während er den Motor warmlaufen ließ.

 

***

 

Es war gerade erst später Nachmittag, aber Graham fühlte sich schon völlig verbraucht. Zeit, die Kinder hier wegzubringen, dachte er, während er rückwärts aus der schmalen Einfahrt fuhr und auf die Hauptstraße einbog. Er parkte direkt vor dem Supermarkt und ließ den Scout laufen, damit es im Inneren warm wurde. Dann betrat er den Laden und stellte erfreut fest, dass die Kinder bereits zwei Einkaufswagen voller Lebensmittel herangeschafft hatten. Graham ging zu Marcy.

»Wie fühlst du dich?«, fragte er.

»Mir geht es gut«, sagte sie, »aber mein Kopf tut weh.«

Graham sah sie besorgt an, konnte aber nichts entdecken, was nicht in Anbetracht ihrer Verletzungen zu erwarten war.

»Wir kühlen deinen Kopf mit Eis, um die Schwellung möglichst gering zu halten, ja? Hast du dein Antibiotikum genommen?«

»Ja, habe ich, so wie Sie es gesagt haben«, sagte Marcy.

»Wie alt seid ihr Mädchen eigentlich?«

»Fünfzehn, aber ich bin fünf Minuten älter als Macy.«

Er lächelte die Mädchen an, amüsiert darüber, etwas Normales in dieser abnormalen Welt zu hören. »Verstehe. Marcy, du musst alle sechs Stunden zwei dieser Tabletten nehmen. Und jetzt ab mit dir auf den Rücksitz, damit du dich aufwärmen kannst. Danach laden wir die ganzen Vorräte ein.«

Graham hob das Mädchen hoch, ganz vorsichtig, ohne ihre Wunde zu berühren, und trug sie nach draußen in die neblige Kälte. Er öffnete die Autotür und legte sie auf den inzwischen warmen, mit gelbbraunem Lederimitat überzogenen Rücksitz.

»Etwas Neueres haben Sie nicht finden können?«, fragte sie.

»Nein, wir können von Glück sagen, dass wir das gute Stück hier haben«, sagte er.

»Wenigstens ist es warm«, gab sie zu.

Vorsichtig schloss er die Tür und sah zu Sheriff hinüber, der jede seiner Bewegungen beobachtete. Graham ging zur Rückseite des Wagens und öffnete die Heckklappe.

»Komm«, sagte er zu Sheriff, der ihn nur anblickte und offenbar nicht wusste, was von ihm erwartet wurde. »Hm, was für eine Sprache sprichst du, Großer?«

Macy schob einen Einkaufswagen durch die Tür und steuerte ihn auf die Rückseite des Fahrzeugs. »Hast du eine Idee, auf welche Befehle er hört?«, fragte er.

»Keine Ahnung. Er ist einfach auf den Rücksitz gesprungen, als wir losfahren wollten. Wir haben nicht einmal versucht, ihm Befehle zu erteilen.«

»Na gut, dann probieren wir es mal so«, sagte er und klopfte auf den Boden des Kofferraums. Sheriff nahm Anlauf und sprang in einem Satz hinein. »Guter Junge!«, rief Graham und kraulte Sheriff hinter den Ohren. »Ich wette, du hast auch Hunger«, sagte er.

»Bang hat etwas Hundefutter gefunden«, sagte Macy. »Die beiden haben sich auch schon gut angefreundet«, fügte sie hinzu, während sie Graham die Lebensmittel aus dem Einkaufswagen reichte.

Graham verlor keine Zeit und warf einfach alles in den Kofferraum. Sheriff drehte sich zu Marcy um und beschnupperte ihren Kopf, der an der Kopfstütze ruhte. Sie hob die Hand und tätschelte den Hund, der sich auf seine Hinterpfoten setzte und sie gewähren ließ.

»Ich wünschte, ich hätte auf dich gehört, mein Junge«, sagte sie leise.

»Tu dir das nicht an, Marcy. Bedauern hilft nicht weiter und bringt nichts Gutes, glaub mir«, sagte Graham so laut, dass es alle hören konnten. »Schaut, wir alle müssen jetzt vorsichtiger sein. Überall laufen wilde Tiere herum, nicht zu vergessen ein paar Verrückte, die, warum auch immer, bereit sind, uns wehzutun. Deshalb lauten die neuen Regeln wie folgt: Niemand geht irgendwo hin, ohne mir Bescheid zu sagen, und niemand ist jemals allein unterwegs. Ich werde meine Waffe immer bei mir tragen, und ihr drei müsst lernen, das auch zu tun. Ein Lineal und ein Eiskratzer sind für den Moment nicht schlecht, aber nicht gut genug, um sich zu verteidigen.«

Die Mädchen sahen einander an.

»Ich weiß, wir haben noch nicht darüber gesprochen, wie es weitergeht. Es ist natürlich eure Entscheidung. Ihr solltet euch das gemeinsam überlegen. Wenn wir alles eingeladen haben, holen wir die Fahrräder, die Bang und ich letzte Nacht versteckt haben. Dann gehen wir zur Wohnung eures Vaters. Euch ist sicher klar, dass er nicht mehr am Leben sein dürfte, aber wir werden zumindest hingehen und nachsehen. Dann ist es an euch beiden, zu entscheiden, ob ihr mit Bang und mir zu meiner Blockhütte in den Cascade Mountains kommen wollt. Dort ist es sicherer, man kann jagen und fischen. Außerdem kennen nicht viele Menschen die Gegend. Die Brände dort drüben«, er deutete in Richtung Seattle, »breiten sich immer weiter aus, und ich will nicht in der Nähe sein, wenn sie hier ankommen. Abgesehen davon zieht dieser Ort Menschen an, und wir wissen nicht, welche Typen zuerst hier auftauchen werden. Ich sage nicht, dass es schlecht ist, hierzubleiben, sondern nur, dass ich nicht hierbleibe. Es liegt bei euch, ob ihr mitkommen wollt. Es gibt hier eine Menge bewohnbarer Häuser, falls ihr dableibt.«

Die Mädchen sahen sich wieder an. Macy sprach zuerst. »Wir kommen mit Ihnen, zumindest was mich betrifft. Ich will hier nicht bleiben. Willst du, Marcy?«

»Niemals, auf keinen Fall. Nicht nach dem, was passiert ist«, sagte Marcy und machte mit ihrer Hand eine Geste über ihren Körper hinweg. »Ich kann ihn immer noch überall fühlen«, sagte sie. Gänsehaut überzog ihre Arme und den Nacken, und die körperliche Erinnerung ließ sie am ganzen Leib zittern.

»Gut, in Ordnung. Ich wollte nur sichergehen, dass ihr versteht, dass es eure Entscheidung ist«, sagte Graham und fuhr fort, die Nahrungsmittel einzuladen. Richtig viel war es nicht, aber ein paar Wochen kamen sie damit über die Runden.

Graham ging zurück in den Supermarkt und holte die rote Kühlbox, die er zuvor gepackt hatte. Er sah sich nach allem Möglichen um, was sie sonst noch gebrauchen konnten. Er entdeckte etwas Feueranzünder und nahm alle Packungen mit, genauso wie mehrere Feuerzeuge und eine Schneeschaufel, die in der Nähe der Eingangstür an der Wand lehnte. Mit Bangs Hilfe brachte er alles nach draußen. Während er die Sachen in den Kofferraum lud, kletterten Macy und Bang auf den Rücksitz neben Marcy. Bevor Graham einsteigen konnte, kroch erneut der süßliche Brandgeruch in seine Nase, der aus dem feuchten, qualmenden blauen Müllcontainer herüberwehte. Sein Magen verkrampfte sich. »Tut mir leid, Campos«, sagte er leise. Er empfand tatsächlich Mitleid, aber bereute nicht, was er getan hatte.

Graham stieg ins Auto und fuhr zu der Stelle, an der sie in der Nacht zuvor ihre Fahrräder versteckt hatten. Für ihn hieß das, an den Ort zurückzukehren, an dem Campos Marcy das erste Mal niedergeschlagen, und, was noch schlimmer war, wo Graham versagt hatte. Er hoffte nur, dass er seine Lektion gelernt hatte.

Graham stellte den Motor aus. »In Ordnung, Bang, lass uns die Fahrräder holen.« Zu den Zwillingen sagte er: »Mädchen, es dauert nicht lange. Wir sind gleich wieder da.« Dann machte er die Tür zu, um die Wärme im Inneren zu halten. Graham sah sich aufmerksam nach möglichen Raubtieren um. In diesen Tagen konnte man nicht vorsichtig genug sein.

Sie gingen zwischen den liegengebliebenen Autos hindurch zu den Büschen, in denen sie ihre Fahrräder und den Anhänger versteckt hatten. Jemand oder etwas Neugieriges hatte versucht, die blaue Camping-Box aufzubekommen, in der ihre Nahrungsmittel verstaut waren. Der Duschvorhang war in Fetzen gerissen und über die Wiese verstreut worden. Die Gewehre lagen umgestoßen auf dem Boden, waren aber zum Glück noch da.

Das Erste-Hilfe-Set lag zerrissen und überall verstreut auf dem Boden herum, aber zu Grahams Erstaunen war die Camping-Box selbst unversehrt geblieben.

Sie kuppelten den Anhänger ab und ließen ihn zurück. »Ich wünschte, wir könnten ihn mitnehmen«, sagte Graham, »aber wir haben nicht genug Platz.« Er nahm die Tragetasche mit den Gewehren und die Camping-Box und balancierte beides auf dem Sitz seines Fahrrads. Nachdem auch Bang sein Rad geholt hatte, schlängelten sie sich auf dem Weg zurück zum Scout durch das Labyrinth aus Autos. Es waren mehrere Dutzende, die kreuz und quer auf der Straße standen. Graham nahm sich einen Moment Zeit, um den Highway zu beobachten. Ihm fielen einige Hunde auf, die sich unterhalb einer Anhöhe herumtrieben. Einer hob den Kopf und schien ihn geradewegs anzusehen. »Beeil dich, Bang!«, rief Graham. »Wenn sie auf uns zu kommen, dann lass das Fahrrad fallen und renne zum Auto«, sagte er.

Beide versuchten, so schnell wie möglich voranzukommen. Der Hund begann laut zu bellen. Jetzt wurde auch der Rest des Rudels auf sie aufmerksam. Graham hörte ein Knurren und drehte sich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, wie der Junge einen seiner kleinen Pfeile in die Flanke eines Kojoten fliegen ließ, der sich hinter ihnen angeschlichen hatte. Der Kojote jaulte auf und zog sich zurück.

»Okay, das reicht, wir lassen die Räder hier«, sagte Graham und griff etwas ungelenk nach der Tragetasche mit den Waffen. Er balancierte sie auf seiner rechten Schulter und griff nach Bang, den er auf die andere Schulter zog. Den Rest des Weges zum Auto rannte er, verfolgt von mehreren weiteren Tieren des Rudels.

Graham öffnete die Beifahrertür, schob Bang ins Auto und stopfte die Camping-Box und die Gewehre direkt hinter ihn. Dann sprang er selbst hinein und schloss rasch die Tür.

Ein großer Kojote tauchte auf, gefolgt von einem bellenden Rottweiler. Sheriff knurrte die fremden Tiere an. Das Fell auf seinem Rücken sträubte sich. Irgendwie hatten sich die Haushunde ihren wilden Verwandten angeschlossen. Die Mädchen schrien und weinten, bis sich Graham zu ihnen umdrehte, mit der Handfläche ruhig nach unten gestikulierte und versuchte, sie zu beruhigen.

»Alles okay, wir haben es geschafft«, sagte er, kletterte über die Camping-Box und hob Bang auf den Beifahrersitz. »Du bist ziemlich gut mit Pfeil und Bogen, Kumpel.«

»Da kommen noch mehr böse Hunde«, sagte Bang.

Die Mädchen fingen an, in Panik zu schreien. In ihrer Erinnerung tauchte ihre letzte Fahrt mit einem Auto auf. Graham ließ den Motor aufheulen, setzte zurück und wendete. Inzwischen sprangen zahlreiche Hunde mit gefletschten Zähnen am Scout nach oben. Ihre Krallen hinterließen tiefe Spuren im Lack.

Graham raste die Hauptstraße hinunter und bog an der nächsten Kreuzung links auf die Straße ein, die zu den Apartmenthäusern führte. Es dauerte nicht lange und die Hunde gaben die Verfolgung auf.

»Okay, Marcy und Macy, wo muss ich hinfahren? Welches Haus ist es?«, fragte Graham.

Marcy zeigte auf ein graues Gebäude, das modernistisch mit weißen Streifen verziert war, und blickte durch ihr Fenster suchend nach oben zur zweiten Etage. »Da ist es, Nummer B204«, sagte sie.

Das Haus sah neu aus und musste erst in den letzten Jahren gebaut worden sein. Dahinter standen mehrere Gebäude desselben Typs, die mitten im Bau unvollendet geblieben waren. Graham stoppte den Scout, ließ den Motor aber laufen. Sie standen direkt vor dem überdachten Durchgang, der zur Eingangstreppe des Gebäudes führte. Er warf einen Blick durch das Heckfenster. Keine teuflischen Hunderudel waren zu sehen. Dann erst stellte er den Motor ab und drehte sich zu den Mädchen um. »Ich denke, ich sollte als Erster hochgehen. Habt ihr einen Schlüssel?«

Macy zog an einem Schlüsselband, das um ihren Hals hing. Sie nahm es ab und gab es Graham. »Es ist die erste Tür auf der linken Seite«, sagte sie und zeigte auf die zweite Etage.

»Vergessen Sie nicht, sein Gewehr mitzubringen. Es ist in seinem Kleiderschrank«, fügte Marcy hinzu. Sie zögerte und sagte dann: »Er heißt Brian.«

Graham nickte ihnen zu, nicht sicher, wie er reagieren sollte. Er sah Marcy und Macy lange an. »Lasst die Türen zu. Wenn es irgendwelche Probleme gibt, dann müsst ihr hupen. Ich beeile mich.«

Alle drei nickten im Gleichklang. Graham sah den Hund an. »Jetzt bist du der Boss, Sheriff.« Der Schäferhund gab den Blick zurück mit Augen, in denen Verständnis und ein Lächeln zu liegen schienen. Graham bemerkte, wie Bang den Hund angrinste, bevor er seinen Blick wieder ganz ernst auf die Gesichter der Mädchen richtete. Nach einem schnellen Blick nach draußen stieg Graham aus, das Gewehr in der Hand, und schloss leise die Fahrertür.