MacKenzie, Elena Anne und Jake

978-3-492-98268-9

September 2016

© Piper Fahrenheit, ein Imprint der Piper Verlag GmbH,

München/Berlin 2016

Piper Verlag GmbH, München 2016

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Prolog

Anne

Dean war die Liebe meines Lebens. Das wusste ich schon jetzt mit siebzehn Jahren. Ich liebte sein volles Haar, das mich an Schokoladeneis im Sommer erinnerte – vielleicht mit einem Hauch Nougat. Ich liebte den Blick aus diesen grasgrünen Augen, den er mir immer zuwarf – so als wäre ich das größte Wunder, das er sich vorstellen konnte. Und ich liebte das Tattoo auf seinem muskulösen Unterarm, das bewies, wie sehr er mich liebte: »Forever Anne« stand da. Er würde es immer sein. Ich würde nie zulassen, dass sich jemand zwischen uns drängte. Deswegen war er auch mein Geheimnis. Weder meine Eltern noch meine beste Freundin Lucy wussten von ihm, weil sie unsere Liebe nicht verstehen würden. Denn Dean passte nicht in das Bild eines normalen Jungen.

»Was wünschst du dir zum Geburtstag?«, wollte er wissen und sah mich mit dieser Aufmerksamkeit in seinem Blick an, die er nur mir schenkte.

»Hmm, ich weiß nicht. Wie wäre es mit noch einem Picknick am Strand?«, sagte ich glücklich, weil es heute so romantisch gewesen war mit Dean und unserem gemeinsamen Picknick.

»Wie wäre es mit T in the Park? Du wirst achtzehn, da darf es ruhig ein Musikfestival sein.«

»Ist das dein Ernst?«, jubelte ich aufgeregt. T in The Park war das größte Open-Air-Rockfestival Schottlands. Und natürlich wollte ich unbedingt einmal erleben, wie es war, zwischen all den Menschen die tollsten Rockbands zu sehen, in Zelten zu schlafen und ein ganzes Wochenende zu feiern.

»Ja, ich habe genug gespart.«

Eigentlich würde ich Dean jetzt gern sagen, dass ich genug Taschengeld für uns beide bekam, aber das wollte er nie hören. Dass ich auch einmal etwas bezahlen könnte, war immer ein großer Streitpunkt zwischen uns, weil er darauf bestand, alles allein zu begleichen. Was ich für sehr altmodisch hielt, aber Dean war nun mal so.

Ich schmiegte mich enger an ihn, er hatte seinen Arm um meine Schulter gelegt und wir liefen gemeinsam durch das abendliche Edinburgh. Der kalte Herbstwind blies mir Regenwasser ins Gesicht und ließ meine Wangen zu Eis gefrieren, aber das machte mir nichts aus. Nichts konnte mir etwas ausmachen, wenn Dean bei mir war. Den Abend hatten wir gemeinsam am Strand von Portobello verbracht. Dean hatte nicht viel, nur das bisschen Geld, das er mit Gelegenheitsjobs auf dem Bau verdiente. Aber er versuchte immer mir zu zeigen, wie sehr er mich liebte.

Dabei brauchte es dafür kein Geld. Trotzdem war es Dean wichtig, mir alles geben zu können, von dem er glaubte, ich würde mich darüber freuen. Und ich versuchte ihm diese Angst zu nehmen, die damit zusammenhing, dass er befürchtete, er allein wäre mir nicht genug, da ich aus einem reichen Elternhaus kam. Aber ganz konnte ich ihm diese Angst nicht nehmen, weil ich ihn gerade wegen seiner Armut und der Tatsache, dass er allem widersprach, was meine Mutter sich vorstellte, vor meinen Eltern geheim hielt. Dean akzeptierte und verstand das, aber ich wusste auch, dass er sich wünschte, ich würde anders handeln.

Und obwohl er alles für mich tat, mich beschützte, für mich da war, könnte meine Mutter trotzdem nie akzeptieren, dass ihre Tochter mit einem Jungen wie Dean zusammen war. Mit seinen unzähligen Tattoos, den Bikerboots und der Lederjacke entsprach er dem Albtraum meiner Mutter. Er hatte einige Jahre als Obdachloser um sein Überleben auf den Straßen kämpfen müssen und sie würde ihn wohl einen Herumtreiber nennen, weil er keinen richtigen Beruf erlernt hatte. Aber es war nicht seine Schuld, dass er auf der Straße hatte leben müssen. Das Leben hatte ihm übel mitgespielt. Seine verkorkste Familie hatte das verursacht. Eine untreue Mutter und eine kleine Schwester, die verunglückt war. Dean hatte niemanden mehr außer mich. Und trotz des Schicksals, das er durchleiden musste, war er so besonders, so fürsorglich und liebevoll. Er hatte zwei Seiten, die harte und aggressive, die er meistens vor mir verbarg und die immer dann aus ihrem Versteck hervorbrach, wenn er glaubte, mich beschützen zu müssen. Und die sanfte, das war diejenige, die ich die meiste Zeit zu sehen bekam.

Seine Familie hatte nie viel, aber genug, um über die Runden zu kommen. Sein Vater hatte als Automechaniker gearbeitet und war irgendwann weggegangen, seine Mutter hatte spätabends die Büros einer Mediengesellschaft in Glasgow geputzt. Alles schien zumindest geregelt zu laufen, bis zu dem Tag, an dem seine Eltern sich stritten und seine Schwester deswegen ums Leben kam. Was genau passierte, hatte er mir nie erzählt. Er konnte nicht darüber sprechen und ich wollte ihn nicht drängen. Der Großteil seiner Vergangenheit blieb immer ein Geheimnis für mich.

Wir liefen gerade die Merchiston Park entlang auf dem Weg in die Wohnung, die Dean sich mit einem Freund teilte, seit er alt genug war, um Verträge zu unterzeichnen. Vorher scheiterte mancher Job und eine eigene Wohnung an seiner fehlenden Volljährigkeit. Ich war mit Dean schon zwei Jahre zusammen, damals waren wir beide sechzehn und ich hatte noch miterlebt, wie es für ihn war, auf der Straße zu leben, um nicht dem System zum Opfer zu fallen. Mit System meinte er die Möglichkeit, vom Jugendamt in Heimen oder fremden Familien untergebracht zu werden. Manchmal hatte er Glück und hauste ein paar Monate bei einem Bekannten. Manchmal lief es nicht so gut, dann übernachtete er irgendwo. Wo, das sagte er mir nie, weil er nicht wollte, dass ich mir deswegen Sorgen machte. Aber vielleicht hätte ich mir weniger Sorgen gemacht, wenn ich es gewusst hätte.

Dean blieb stehen und zog mich in seine Arme. Ich sah verliebt zu ihm auf. Er schaffte es nach all der Zeit noch immer, dass mein Magen flatterte und meine Kehle ganz trocken wurde, wenn er mich ansah. »Ich liebe dich«, sagte er und küsste mich zärtlich. »Und ich bin froh, dass wir jetzt gleich ganz allein in der Wohnung sein werden.« Er grinste breit und leckte sich über die Lippen.

»Was?«, keuchte ich aufgeregt. Wir hatten nicht oft die Gelegenheit, uns so richtig nahezukommen. Ich legte meine Hände auf seine Brust und schmunzelte ihn glücklich an. Unter meinen Fingern fühlte ich das abgetragene Leder der dunkelbraunen Jacke, die er trug, solange ich ihn kannte.

Seine Hände strichen über meine Arme. »Außer, du willst lieber einen Film sehen.«

Ich schüttelte den Kopf, um ihn zu unterbrechen, und sah ihn gespielt entrüstet an. Er lachte. »Kommt gar nicht infrage«, sagte ich mit vor Aufregung zittriger Stimme. Er hatte diese kleine Narbe, die eine seiner Augenbrauen teilte, ich strich mit einem Finger darüber. »Dich würde ich nie gegen einen langweiligen Film eintauschen.«

Er küsste mich noch einmal innig, dann nahm er meine Hand und wir liefen weiter. Ein paar Meter vor uns stand eine Gruppe Männer in Lederkleidung vor einem Pub. Einige von ihnen saßen auf Motorrädern. Sie grölten, als die Tür des Pubs aufging und ein großer, breiter Mann einen anderen vor die Tür bugsierte und schrie, sie sollten hier verschwinden. Dass Dean in Alarmbereitschaft war, spürte ich daran, dass seine Hand sich fester um meine schloss. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie uns gefährlich werden könnten, sie hatten eindeutig ihre eigenen Probleme. Aber Dean hatte einen siebten Sinn, was Gefahren betraf. Das hatte sein Leben auf der Straße mit sich gebracht.

»Wir wechseln auf die andere Seite«, flüsterte er, als die Männer auf uns aufmerksam wurden.

»He, Süße! Wo willst du denn hin«, brüllte uns einer hinterher, als Dean mit mir auf die Straße trat.

Ein paar der Männer lösten sich lachend von der Gruppe und schoben sich uns in den Weg. Dean packte meine Hand noch fester und zog mich hinter sich her die Straße hinunter, aber wir kamen nicht weit, da die Kerle in ihren Bikerjacken unseren Weg blockierten. Ich wandte mich nach hinten um, aber wir waren eingekesselt. Das sah nicht gut aus. Etwa fünfzehn betrunkene Biker um uns herum und wir hatten nichts außer uns. Etwas traf mich hart im Rücken und aus mehreren Kehlen drang Gelächter. Ich keuchte, schrie auf und verlor Deans Hand, als ich mich krümmte vor Schmerz.

»Anne?« Dean blieb gerade noch Zeit, um mich besorgt anzusehen, als auch er im Rücken getroffen wurde. Aber Dean reagierte kaum darauf, er verzog nur flüchtig das Gesicht, dann verwandelte sich der Zug um seinen Mund in diese gefährliche Mimik, von der ich wusste, dass Dean jeden Moment seine harte Seite herauslassen würde. Ich rang nach Luft und kämpfte gegen den Schmerz. Die Männer lachten noch lauter. Einer bückte sich und hob einen weiteren Stein aus einer Beetverzierung am Rande des Fußwegs auf.

»Anne also. Hallo, Anne«, sagte ein kahl geschorener, leicht untersetzter Typ von etwa vierzig Jahren. »Ich bin George, nett, dich kennenzulernen.«

»Du hattest recht«, bestätigte ein anderer, der auffällig ungepflegt aussah mit seinem zerzausten Vollbart. »In dieser verdammten Stadt gibt es hübsche Mädchen. Und wir haben das Glück, gleich zwei gefunden zu haben.«

Dean griff nach meiner Hand und zog leicht daran, aber ich war wie erstarrt. Das Einzige, was bei mir immer funktionierte, war mein freches Mundwerk.

»Was wollt ihr Idioten?«, keifte ich den Glatzkopf an. Endlich lösten sich meine Füße wieder vom Asphalt und ich lief langsam mehrere Schritte rückwärts. Dean und ich entfernten uns von den Männern wie zwei in die Ecke gedrängte Hündchen, dabei brachte das gar nichts, denn hinter uns standen noch mehr gefährlich aussehende Biker. Ich weiß genau, wäre ich nicht hier bei ihm gestanden, hätte er schon längst seine Fäuste eingesetzt, auch wenn es noch so hoffnungslos gewesen wäre. Aber er versuchte, ohne Gewalt aus der Situation herauszukommen. Um mir nicht diesen anderen Dean zu zeigen, der mich immer schockierte, wenn ich ihm begegnet war. Den Dean, der mich selbst vor seinen Freunden mit Fäusten beschützte.

»Ich muss zugeben, mein Bruder hier ist ein Trottel, der einfach sein Maul nicht halten kann. Aber geistig ist er ja auch erst so etwa zehn. Diesmal hatte er allerdings recht«, meinte der Vollbart. »Hübsche Mädchen hier. Keine Angst, wir wollen nur ein bisschen Spaß.«

»Okay, war nett, euch kennengelernt zu haben, aber wir müssen«, warf Dean ein und zog an meinem Arm.

Ich wandte mich halb Dean zu, der vorsichtig nickte, um mir zu bedeuten, dass wir versuchen würden, einfach langsam weiterzugehen. Ich machte einen Schritt und wurde von einer klobigen Hand um meinen Unterarm gestoppt.

»Nicht so schnell, wir fangen doch gerade erst an«, meinte ein dunkelhaariger, sehr schmächtiger Kerl, der einfach nur lächerlich in seiner Lederjacke mit den Aufnähern wirkte.

Das war ein Fehler. »Lass sie los«, schrie Dean jetzt wütend, holte aus und donnerte dem Kerl, der es gewagt hatte, mich anzufassen, seine Faust so hart gegen die Nase, dass Blut herausschoss. Dann drängte Dean mich rückwärts und schob sich schützend vor mich. Sein Körper war so angespannt, dass ich das Beben spüren konnte, das sich durch seine Muskeln arbeitete. Er kämpfte mit seiner Kontrolle.

Ich hob den Blick über Deans Schulter, der sich an mich drückte. Aber da war schon der nächste Kerl, der nach mir griff, an meiner Jacke zerrte und mich lachend von Dean wegzog. Ich schrie auf und versuchte verzweifelt, mich an Dean festzuhalten. Hilflos sah ich Dean an und wusste, gleich würden diese Männer ihr blaues Wunder erleben. Dean würde jeden Augenblick zum Berserker werden. Den Dean, den ich bisher nur einmal erlebt hatte, als er mich vor einem Mann beschützen musste, der zudringlich geworden war. Vor diesem Dean hatte ich entsetzliche Angst, weil er so brutal war. Aber jetzt brauchten wir ihn.

»Jetzt hör schon auf zu jammern. Wir tun dir nichts. Nichts, was dein Freund nicht auch tun würde«, sagte der Kerl hinter mir und lachte wieder. Er zog mich näher an seinen Körper und roch an meinem Haar. Tränen versperrten mir die Sicht. Ich blinzelte, versuchte mich zu befreien, aber der Mann war viel stärker als ich.

Ein Biker versuchte, sich Dean zu schnappen, aber er duckte sich geschickt weg und sprang zur Seite. Dean machte plötzlich einen Schritt nach vorn und donnerte dem Glatzkopf seine Faust ins Gesicht und gleich darauf noch mal in den Magen. Der Glatzkopf jammerte und hielt sich den schmerzenden Leib, aber Dean hielt sich nicht zurück. Er schlug weiter seine Fäuste in den Körper des Mannes, bis er ächzend zu Boden ging. Dean sah sich nach dem nächsten Opfer um. In seinem Gesicht spiegelte sich all seine zügellose Wut wider.

»Ich hab doch gesagt, er ist noch ein Kind«, brüllte der Kerl hinter mir und schubste mich von sich. »Geht man so mit einem Kind um?«

Dean grinste nur höhnisch und winkte den Mann näher zu sich heran. »Komm schon.«

So stark Dean auch war, er würde das nicht allein schaffen, dazu waren es zu viele Männer. Noch standen sie nur da und beobachteten, aber das würde nicht lange so bleiben, befürchtete ich. Nervös versuchte ich mein Handy aus meiner Jackentasche zu holen, ließ es fast fallen, fing es auf, zitterte am ganzen Körper und schaffte es, den Notruf zu wählen und mir das Telefon ans Ohr zu halten.

»Brauchen Sie Hilfe?«, wollte eine Frau wissen.

»Wir werden überfallen, Merchiston Park«, brüllte ich in das Telefon und sah mit Tränen in den Augen zu Dean, der eben der Faust des Vollbarts auswich, indem er sich geschickt wegduckte. Er wich rückwärts aus und stolperte direkt in die Arme eines blonden Hünen, der ihn fest umschlungen hielt. Dean wehrte sich, zog und zerrte, trat mit den Beinen um sich, aber er hatte keine Chance gegen den großen, muskelbepackten Mann, der ihn wie einen Schraubstock umschloss.

»Dean«, schrie ich quiekend auf, als ich sah, wie er verzweifelt versuchte, sich zu wehren.

Der Vollbart stellte sich vor ihn und hieb seine Faust in Deans Magen. Dean keuchte. Der nächste Schlag traf ihn im Gesicht. Blut spritzte aus seiner Nase und lief ihm dann über das Kinn. Jetzt begannen der Glatzkopf und der Vollbart, auf ihn einzuprügeln. Ich sah mich hilflos um, aber um uns herum sah niemand aus dem Fenster und auch die Tür des Pubs war noch immer geschlossen. Bemerkte denn keiner, was hier geschah? Ich war panisch, wie gelähmt und in meinem Kopf drehte sich die Welt.

Der Hüne ließ Dean irgendwann los, als sein Gesicht über und über blutbeschmiert und zugeschwollen war. Dean kippte einfach vornüber und blieb liegen. Ich schrie panisch auf. In diesem Moment glaubte ich zu ersticken, so stark umschlang mich die Angst. All die Männer um mich herum lachten nur und klatschten. Ich wurde zur Seite gezerrt, als ich versuchte, an Dean heranzukommen. Dann traten plötzlich so viele Füße auf ihn ein. Alles verschwamm in einem Nebel in meinem Kopf und ich wachte erst wieder auf, als die Männer auf ihren Motorrädern an mir vorbeifuhren.

Ich schrie noch einmal hysterisch auf und ging neben Dean auf die Knie. Sein Kopf war zur Seite gefallen und er sah mich mit leerem Blick aus schmalen Schlitzen an. Seine stark geschwollenen Lippen bebten. Ich fühlte mich so verzweifelt, dass es mich fast zerriss. Hilflosigkeit war ein grauenvolles Gefühl. Deans Atem ging rasselnd. Ich krallte meine Fäuste in seine Kleidung und flehte ihn an aufzustehen. Und plötzlich war da Stille. Absolute Stille. Kein Atem, kein Rasseln, selbst die Luft um mich herum schien stillzustehen. Und dann war er tot und ich wusste nur, dass ich hier weg musste, denn wenn ich blieb, würden all die Lügen der letzten beiden Jahre wie ein Kartenhaus über mir zusammenbrechen. Also stand ich auf, mit dem Blut an meinen Händen, den Tränen im Gesicht, und rannte einfach los.

1. Kapitel

Anne

Es gibt diese Tage, an denen man nicht aufstehen möchte. An denen man sich wünscht, alles wäre anders. Die meisten Menschen erleben sie wahrscheinlich nur hin und wieder. Aber ich, ich erlebte sie immer. Und das Schlimmste war, dass keiner wusste, dass jeder Tag für mich ein neuer Kampf war. Ein Versteckspiel, das ich mit allen in meinem Leben spielte, denn niemand kannte mein Geheimnis. Niemand ahnte auch nur ansatzweise, dass es existierte. Weil ich gut war in diesem Spiel. Jeden Morgen, bevor ich die Augen aufschlug, setzte ich ein Lächeln auf, atmete tief ein und zauberte dieses Strahlen in mein Gesicht. Ich wurde zu dieser Person, für die mich alle hielten. Ich wurde zu Anne: immer witzig, immer glücklich, immer frech.

»Bitte schubs mich die Treppen runter, damit ich mir ein bis fünf Knochen breche«, flehte ich Lucy an. »Oder sag Ryan, er soll mit seinen Drumsticks auf mich einprügeln.«

Lucy kam kopfschüttelnd aus der Küche und hielt mir eine ihrer Kaffeekreationen vor die Nase. Ich nahm die Tasse, lehnte mich gegen die weichen Kissen unserer Couch und folgte Ryan mit den Augen, während er mit noch feuchtem Oberkörper und nur mit Jeans bekleidet durch das Wohnzimmer in die Küche lief. »Und sag ihm, er soll aufhören, nackt durch die Wohnung zu laufen. Ich bin seit Wochen untervögelt. Du weißt, wie sich das auf meinen Gemütszustand auswirkt.«

»Jetzt hör mal auf zu jammern. Es ist nur ein Geburtstag. Wir gehen hin, lassen uns sehen, schütteln deiner Mutter die Hand, streicheln ihr Ego und verschwinden wieder.«

Ich stöhnte frustriert auf. »Sie wird mich auf keinen Fall verschwinden lassen. Wahrscheinlich hat sie jeden Junggesellen der Oberschicht eingeladen und ihm einen Tanz mit mir versprochen.« Ich trank von dem Latte macchiato und leckte mir den Milchschaum und den Karamellsirup von den Lippen. Kaffee tat mir immer gut. Er wärmte mich von innen heraus und ließ mich kurz durchatmen. Aber das funktionierte nicht, wenn ich wusste, dass ich in wenigen Stunden meiner Mutter begegnen würde.

Eigentlich hatten wir uns immer ganz gut verstanden – wenn auch nur, weil es nicht anders ging –, aber seit sie mich unbedingt unter die Haube bekommen wollte, war es für mich unmöglich, mehr als ein paar Sekunden in ihrer Nähe zu verbringen, weil sie mir ständig von irgendwelchen Junggesellen vorschwärmte, die allesamt wahre Traummänner sein mussten, wenn ich ihr glauben durfte. Dabei ließ sie völlig außer Acht, dass ich mit vierundzwanzig Jahren viel zu jung für eine Ehe war. Sie hatte furchtbare Angst, ich könnte irgendwann mit einem Mann nach Hause kommen, der so gar nicht ihren Vorstellungen entsprach. Ganz einfach, weil auch ich nicht ihren Vorstellungen entsprach. Ich war nicht wie sie und passte nicht in die feine Gesellschaft von Edinburgh. In dieser Gesellschaft war eine der wichtigsten Aufgaben von Ehefrauen – neben dem Veranstalten von gesellschaftlichen Anlässen –, ihre Töchter möglichst vorteilhaft zu verheiraten. Und meiner Mutter war es noch wichtiger als den meisten anderen, denn unsere Familie stand kurz vor dem finanziellen Super-GAU. Nur deswegen ließ sie mich überhaupt mit Lucy in einer WG wohnen, obwohl das nicht standesgemäß war. Um also den familiären Ruf vor dem Niedergang zu schützen, war es wichtig, die einzige Tochter an einen reichen Mann zu bringen.

»Weißt du, eigentlich freue ich mich sogar ein bisschen. Ich habe deine Eltern seit Jahren nicht mehr gesehen.« Lucy warf mir einen traurigen Blick zu und ich zuckte schuldbewusst zusammen.

Sie war nicht mehr bei meinen Eltern gewesen, seit wir beide auf die Universität gingen. Kurz nach dem Autounfall, der ihr ihren Vater genommen und ihre Mutter zu einem Pflegefall gemacht hatte.

»Du weißt, ich tu das nur für dich«, stieß ich aus. »Also wirst du mir nicht von der Seite weichen und mich vor sämtlichen Verkupplungsversuchen meiner Mutter beschützen.«

Lucy grinste mich an und drehte ihr hellbraunes Haar in einem nachlässigen Dutt. »Das kommt gerade von dir, du Kupplerin.«

Ich grinste zurück, weil sie nicht ganz unrecht hatte, ich hatte maßgeblich nachgeholfen, Ryan und Lucy unter eine Decke zu bekommen. Und ja, es gab Momente – nennen wir es lieber Nächte –, in denen ich mir wünschte, ich hätte es nicht getan. Aber das waren nur die Augenblicke, in denen ich mir am liebsten die Ohren mit Knete füllen wollte, um nicht hören zu müssen, wie glücklich die beiden miteinander waren.

»Kommst du auch mit?«, wandte ich mich an Ryan, als er sich neben uns in den Sessel fallen ließ. Er trank hastig ein paar Schluck von seinem Kaffee und schüttelte den Kopf.

»Ich bin heute im Krankenhaus.«

»Quälst du wieder ein paar Patienten?«, hakte ich provozierend nach und trat ihm mit dem nackten Fuß gegen das Schienbein. Ryan kickte zurück und ich lachte. Zwischen uns gab es diese Übereinkunft, über die wir nie gesprochen hatten, aber im Wesentlichen beinhaltete sie, dass wir uns, sooft es ging, ärgerten. Das fing schon bei Lucys und meinem Einzug in diese Wohnung an.

Damals hatte Lucy noch tatkräftig mitgeholfen, aber mittlerweile stand ich allein auf dem Schlachtfeld, weil sie so sehr in Ryan verknallt war, dass sie keine Lust mehr hatte, ihn aufzuziehen. Aber Ryan brauchte öfter mal eine kleine Erinnerung daran, dass wir Frauen hier das Sagen hatten.

Seit auch seine Mutter nicht mehr hier wohnte, weil sie meinte, sie wäre zu alt für eine WG und sie müsse Ryan die räumliche Distanz zu seinen Eltern einräumen, blieb der Job an mir hängen, ihn gelegentlich zu nerven. Ryans Mutter war für kurze Zeit bei uns eingezogen, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hatte, weil er sie davon abgehalten hatte, ihren Sohn Josh zu sehen. Josh war drogenabhängig gewesen und hatte im Rausch jenen Verkehrsunfall verursacht, der Lucys Vater das Leben gekostet hatte. Lucys Mutter lag seither im Wachkoma. Josh hatte mit der Schuld nicht leben können und nahm sich deshalb das Leben.

»Vielleicht sollte ich die Schicht schwänzen und deiner Mutter ein wenig unter die Arme greifen«, schlug er vor, setzte seine Tasse an den Mund und schlürfte übertrieben.

»Ach hör schon auf!«, ermahnte ich ihn. »Du weißt genau, dass das nicht witzig ist.«

»Was? Das Schlürfen oder deine Mutter?« Er grinste, stellte seine Tasse auf den niedrigen Couchtisch und winkte Lucy zu sich. Sie stand lächelnd vom Sofa auf und kletterte auf Ryans Schoß. Ryan zog sie fest an seinen Körper, um sie ausgiebig zu küssen, ihren Dutt wieder aufzulösen und in ihren hellbraunen Wellen zu wühlen, nur um ihr Haar durcheinanderzubringen, weil er fand, dass der Frisch-aus-dem-Bett-Look ihr besser stand. Lucy gab sich jeden Morgen umsonst Mühe mit ihren Haaren. Mittlerweile war ich aber überzeugt davon, dass sie Spaß daran hatte, sie erst zu glätten, um sie dann von Ryan wieder zerwühlen zu lassen. Die beiden waren eines dieser Paare, die nie die Finger voneinander lassen konnten.

Genervt warf ich die Hände hoch. »Ich verschwinde. Ich muss mir noch etwas kaufen, das meine Mutter absolut nicht angemessen finden wird. Wenn sie mich unbedingt bei ihrer großen Geburtstags-schaut-her-ich-bin-noch-viel-feiner-als-ihr-Party haben will, dann zu meinen Bedingungen. Schließlich will ich auch etwas Spaß bei der Sache haben.« Ich flüchtete aus dem Wohnzimmer, bevor ich Zeugin eines Pornos wurde, der mich wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit in ein Kloster treiben würde.

Shopping hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. An Tagen wie diesen brauchte ich eine gehörige Portion Shopping. Ich musste mein Glücksdepot unbedingt aufbauen, bevor ich meiner Mutter begegnete. Ein paar Stunden allein sein würde mir vielleicht helfen, dieses komische Gefühl loszuwerden, das mich in letzter Zeit immer öfter ergriff, wenn ich in der Nähe von Lucy und Ryan oder Holly und Tyler war. Wahrscheinlich entwickelte ich gerade eine Allergie auf Paare.

Ich fuhr in die Princes Mall, mein liebstes Shopping Center, direkt gegenüber des Scott Monuments, mitten im wunderschönen Old Town von Edinburgh. Bei Joy suchte ich mir drei Abendkleider aus und nahm sie mit in die Garderobe. Als ich mich mit dem ersten im Spiegel betrachtete, hatte sich die sonst heilende Wirkung noch immer nicht eingestellt. In meinem Kopf kreisten weiter die Gedanken um eine Zeit, die längst vergangen war. Damals besaß ich noch die Fähigkeit zu lieben. Bedingungslos und vollkommen. Heute sah ich anderen bei der Liebe zu, weil mir das der sicherere Weg zu sein schien. Und doch spürte ich langsam eine Sehnsucht in mir wachsen.

Obwohl dieses Hochgefühl ausblieb, entschied ich mich für ein mitternachtsblaues Kleid, das eng an meinem Körper anlag, einen weit ausgeschnittenen Rücken hatte und etwa eine Handbreit über den Knien endete. Meine Mutter würde vor Wut kochen, weil dieses Kleid viel zu sexy war, um noch als anständig durchzugehen. Aber so war es ja auch geplant. Wenn ich sie schon nicht davon abhalten konnte, mich anzupreisen, dann wollte ich zumindest auch ein bisschen Spaß, indem ich sie verärgerte.

Ich hängte die beiden anderen Kleider zurück an den dafür vorgesehenen Ständer und betrachtete mich noch einmal im großen Spiegel vor den Garderoben. Das Kleid war sehr vorteilhaft geschnitten und verlieh mir eine wundervolle Sanduhrenfigur mit perfekten Rundungen. Die meiste Zeit fühlte ich mich etwas zu dick. Für meine geringe Größe von gerade einmal 1,65 Metern war ich das wohl auch, aber in Kleidern fühlte ich mich immer sexy, weil sie aus ein paar Pfunden zu viel etwas Wundervolles zaubern konnten. In Hosen war man einfach nur dick, aber in Kleidern sorgten ein paar Pfunde mehr für recht ansehnliche Kurven. Zufrieden strich ich über meine Taille.

»Du siehst fantastisch aus«, sagte jemand hinter mir. Ich wandte mich verwundert um und stand Brent Carter gegenüber. Er war einer der Männer, mit denen meine Mutter versucht hatte, mich zusammenzubringen. Manchmal ließ ich mich nur zum Schein auf einen von ihnen ein, um meine Mutter für eine Weile zufriedenzustellen. Dann kam es auch mal vor, dass ich mit einem Sex hatte. Brent war einer von ihnen. Ein kurzes Abenteuer, eine Ablenkung, ein Mittel zum Zweck … Nennt es, wie ihr wollt, der Punkt war, über einmaligen Sex lief es selten hinaus. Ich benutzte diese Männer, um die Leere zu füllen, die ich seit Deans Tod niemals überwunden hatte.

Zumindest war er keine üble Ablenkung gewesen. Er war groß, nicht unattraktiv, sehr intelligent und er hatte sogar Humor. Mit seinem perfekt sitzenden Anzug, den gut frisierten rotblonden Haaren und dem stoppellosen Kinn passte er perfekt zu der Katalogbraut an seinem Arm, die ich zufällig auch kannte. Sie war die Tochter einer Freundin meiner Mutter. Sehr wohlhabende Familie, alter Adel.

»Danke, du siehst unverändert aus«, entgegnete ich.

»Dana, das ist Anne«, stellte er uns vor.

»Nicht nötig«, winkte ich ab. »Wir kennen uns.«

»Hallo, Anne«, sagte Dana und hielt mir ihre Hand hin, an der ein Verlobungsring im künstlichen Deckenlicht aufblinkte.

In mir verkrampfte sich etwas. Und das verstand ich nicht, denn es hatte nichts damit zu tun, dass Brent vorhatte zu heiraten. Er bedeutete mir nichts. Sie alle bedeuteten mir nichts. Wir hatten Sex, das war’s. Mehr kam für mich nicht infrage. Seit Dean fort war, war ich nicht dazu in der Lage, etwas anderes als die ausgebrannte Hülle zu sein, die er zurückgelassen hatte. Gefühle für einen Mann? Die waren nur noch eine Erinnerung. Meine Fähigkeit zu lieben war mit Deans Blut im Asphalt dieser Straße versickert. Zurückgeblieben war nur die Schuld, ihn dort zurückgelassen zu haben und weggerannt zu sein.

Ich löste meinen Blick von Danas Hand und lächelte. »Was denkst du über mein Kleid?«

Offensichtlich gefiel es Dana nicht, dass ich den Ring einfach überging. Sie verzog das Gesicht zu einem krampfhaften Lächeln, ließ aber ihren Blick über mein Kleid gleiten. »Für einen Nachtclubbesuch perfekt.«

»Dann ist es das Richtige für die Geburtstagsfeier meiner Mutter heute Abend«, sagte ich und warf noch einmal einen gespielt glücklichen Blick in den Spiegel.

»Ja, sie wird begeistert sein«, murmelte Dana und runzelte wütend die Stirn, als sie bemerkte, dass Brent mir dieses Kleid wohl gerade in Gedanken vom Körper schälte. »Gehen wir«, befahl sie ihm.

Brent verzog das Gesicht und nickte. Es war offensichtlich, wer hier wen unter der Fuchtel hatte. Armer Brent. Ich ging zurück in die Umkleidekabine und zog das Kleid wieder aus. Jetzt fühlte ich mich noch weniger dazu imstande, meine Mutter an diesem Abend zu ertragen. Aber welche Wahl hatte ich schon?

Jake

Was machte ich hier eigentlich? Frustriert setzte ich mich auf das Bett in dem weiß-rosa Mädchenzimmer, in das ich mich geflüchtet hatte vor dieser aufgesetzten, falschen Freundlichkeit. Die Menschen da unten auf dieser Feier versuchten sich gegenseitig zu übertrumpfen. Jeder wollte schöner, reicher, angesehener sein als der andere. Diese Welt erschien mir so verlogen. Aber offensichtlich war das die Welt, in der mein Bruder sich wohlgefühlt hatte. Er hatte sogar Anzüge in seinem Schrank für solche Anlässe. Ich erschauderte bei der Erinnerung an den Wunsch meiner Mutter, dass ich einen davon heute anziehen sollte. Sie hatte mich unbedingt vorzeigbar machen wollen. Aber ich hatte mich geweigert. Ich wollte mich nicht verbiegen lassen. Vielleicht war das der Unterschied zwischen Dean und mir.

Als ich von Seattle nach Edinburgh gekommen war, wollte ich unbedingt herausfinden, warum Dean vor seinem Tod den Kontakt zu mir abgebrochen hatte. Um mehr zu erfahren über den Bruder, den ich seit vierzehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Ich wollte begreifen, wie es sein konnte, dass wir eigentlich nichts voneinander wussten und offenbar doch die gleichen Hobbys geteilt hatten. Dean liebte den Sport offensichtlich genauso sehr wie ich. In seiner Wohnung hatte ich ein Snowboard entdeckt, Boxhandschuhe und sogar ein Skateboard. Und ich hatte gehofft, dass meine Mutter und ich einen Weg fanden, die Vergangenheit hinter uns zu lassen.

Ursprünglich hatte ich immer gedacht, nur unsere Familie sei vollkommen verkorkst. Aber in den Wochen, seit ich nach Edinburgh gekommen war, meine Mutter und diese Welt kennengelernt hatte, hatte ich begriffen, dass alle ihre eigenen Lasten zu tragen hatten. Je tiefer ich in die feine Gesellschaft von Edinburgh eintauchte, desto stärker wurde die Gänsehaut auf meinem Körper. Aber noch war ich nicht bereit, wieder zurückzufliegen. Irgendetwas hielt mich noch in dieser Stadt.

Vielleicht würde ich nie ganz begreifen, wie mein Bruder in diese Welt hineingepasst hatte, aber ich wollte nicht gehen, bevor ich es nicht versucht hatte. Wahrscheinlich trieb mich das schlechte Gewissen dazu, so intensiv nachzuforschen, um alles über ihn zu erfahren. Ich hatte vierzehn Jahre gebraucht, um den Mut aufzubringen, wieder schottischen Boden zu betreten. Nicht einmal zu Deans Beerdigung war ich gekommen. Am Ende war es meine Mutter gewesen, die mich zurückgeholt hatte, indem sie mir Deans Wohnung überschrieben hatte. Aber es war nicht die Wohnung selbst, die mich herbrachte, sondern der Wunsch, etwas über das Leben meines Bruders zu erfahren. Vielleicht hatte mich auch das Schuldgefühl meiner Mutter gegenüber hergelockt. Schon vor ein paar Jahren hatte sich der tiefe Hass auf sie in ein Gefühl des Verlusts verwandelt. Und mit einem Mal schien der Zeitpunkt auch der richtige zu sein.

Stöhnend schloss ich die Augen und atmete tief ein. Von unten drang das Gelächter herauf und die Musik der Jazzband, die auf einer kleinen Bühne in einem großen Tanzsaal spielte. Das musste man sich mal vorstellen, in diesem Haus gab es einen Tanzsaal! Da hieß es immer, die Amerikaner neigten zur Übertreibung.

Ich schüttelte den Kopf und sah mich in dem Zimmer um, in das ich vor der feinen Gesellschaft geflüchtet war. Es war das Zimmer eines Teenagers. Weiße Möbel, ein Schreibtisch, eine rosa Tagesdecke auf dem Bett und dazu passende Vorhänge vor den beiden Fenstern. An den Wänden hing ein Poster einer Boygroup – das einzige Zugeständnis an ein wenig Persönlichkeit –, ansonsten wirkte der Raum viel zu kalt. So aufgeräumt und unpersönlich wie ein Krankenhauszimmer. Keine Fotos von Freunden oder der Bewohnerin, keine Erinnerungen, nicht einmal ein Teddybär aus Kindertagen. Nur Schulbücher im Regal, ein paar Stifte auf dem Schreibtisch und ein Schreibblock.