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Armin Himmelrath
Katharina Blaß
Die Flüchtlinge sind da!
ISBN Print: 978-3-0355-0642-6
ISBN E-Book: 978-3-0355-0650-1

1. Auflage 2016
Alle Rechte vorbehalten
© 2016 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

 

 

Zusatzmaterialien und -angebote zu diesem Buch:
http://mehr.hep-verlag.com/fluechtlinge

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Vorwort

»Wir leben in einem Zeitalter weltweiter Migration«, schreibt die frühere deutsche Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth im Jahr 2008. Sie bezieht sich dabei auf Migration als Teil der Globalisierung, »die durch die schnelle Überwindung weit entlegener Räume verstärkt ermöglicht wird«, sowie die »erzwungene Migration aus existenzieller Not«. Das Wort »Flucht« verwendet sie nicht. Im gleichen Aufsatz beschreibt sie den Status quo für Deutschland: »Im Unterschied zu den 1990er Jahren kommen in allerjüngster Zeit so gut wie keine Einwanderer mehr nach Deutschland (Wanderungssaldo 2007: 22 000).«

Flüchtlinge in oder auf dem Weg nach Europa sind zu diesem Zeitpunkt kein Thema, weder in der politischen Debatte noch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Dann kommt 2010 der Arabische Frühling, der in Syrien ein Jahr danach jäh in einen Bürgerkrieg mündet, an dem sich wenig später auch die Terrormiliz »Islamischer Staat« offen beteiligt. Als Rita Süssmuth ihre Worte schreibt, ahnt wohl niemand, dass deshalb knapp zehn Jahre später wegen der Flüchtlinge die Koalition in Berlin taumelt und eine neu gegründete rechtspopulistische Partei in acht von 16 deutschen Landesparlamenten sitzt.

Der Krieg trifft dabei nicht nur die Menschen, sondern auch seinen allergrößten Feind: die Bildung. Kinder, die während des Krieges, auf oder nach der Flucht nicht in die Schule gehen, laufen Gefahr, später wegen mangelnder Zukunftsperspektiven auf Abwege zu geraten. Krieg abzulehnen impliziert deshalb die Verpflichtung, uneingeschränkten Zugang zu Bildung zu gewährleisten.

Klar ist: Wenn Lehrkräfte, Schulleitungen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, schulpsychologisches Personal und nicht zuletzt auch Eltern und Schülerinnen und Schüler erst warten, bis Kultus- und Schulministerien flächendeckende Integrationskonzepte und Umsetzungsstrategien entwickeln und die dazugehörigen Erlasse auf den Weg gebracht haben, dauert es zu lange, bis im Schulalltag und in der einzelnen Klasse wirklich etwas passiert. Von 1,1 Millionen registrierten Geflüchteten allein in Deutschland und nur im Jahr 2015 gehen Experten aus – darunter sind, Schätzungen zufolge, bis zu 400 000 Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter. Die Zahlen werden, nach Erscheinen dieses Buchs, noch weiter gestiegen sein. Diese Kinder und Jugendlichen sind zum großen Teil längst im Bildungssystem angekommen.

Und so haben sich unzählige Lehrerinnen und Lehrer sowie andere Engagierte längst an die Arbeit gemacht: In Willkommensklassen und Arbeitsgruppen, in Deutschkursen und Handwerksprojekten, in kleinen und großen Zusammenhängen entwickeln sie täglich aufs Neue ihre Ideen weiter. Erprobte Strukturen gibt es nicht, Blaupausen und fertige Konzepte fehlen. »Es geht nur mit Offenheit und Zuversicht und dem Wissen, dass jeder neue Tag neue Herausforderungen und neue Überraschungen bringen kann«, sagt eine Lehrerin, die an einer Gesamtschule im Ruhrgebiet eine Willkommensklasse mit 14 Flüchtlingskindern leitet.

Wenn man mit den Akteuren spricht, die derzeit im Schulsystem des deutschsprachigen Raums Bemerkenswertes leisten, dann stellt man immer wieder fest, wie begeistert sie von ihrer Arbeit sind – trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten. Der Schwung und das Engagement von Lehrkräften und Ehrenamtlichen, die Lust aufs Lernen und die Neugier hunderttausender Flüchtlingskinder haben längst begonnen, unsere Schulen zu verändern und in den meisten Fällen auch zu verbessern. »Wir schaffen das«, ist ein viel zitierter und viel diskutierter Satz der deutschen Bundeskanzlerin zur Flüchtlingskrise. »Na klar, wir schaffen das!« – mehr als einmal bekamen wir diesen Satz bei unseren Besuchen vor Ort in den Schulklassen zu hören. Echte Zweifel daran ließ kaum jemand aufkommen.

Dieses Buch ist eine Bestandsaufnahme, die zeigt, wie es um den Bildungszugang für Flüchtlinge, die in Deutschland, der Schweiz und Österreich Schutz suchen, bestellt ist. Es will Lehrkräften und allen anderen Pädagoginnen und Pädagogen Mut machen, sich der Herausforderung zu stellen, Kinder und Jugendliche aus einer fremden Kultur mit einer manchmal traumatischen Vergangenheit bei uns willkommen zu heißen und ihnen Werkzeuge mit auf den Weg zu geben, mit denen sie hier ein neues Leben in mündiger Teilhabe an der Gesellschaft beginnen können. Das Buch erzählt von Projekten und aus dem Schullalltag, wie der Start gelingen kann. Es arbeitet aber auch heraus, dass es noch vieler Verbesserungen bedarf, um den Pädagoginnen und Pä­da­gogen eine qualitativ und quantitativ angemessene Arbeit und den Flüchtlingen den bestmöglichen Start in ein Leben in Deutschland möglich zu machen. Dabei können sie häufig auf Erfahrungen zurückgreifen, die sie bereits mit Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund gemacht haben, also mit jungen Zuwanderern, die nicht als Flüchtlinge nach Mitteleuropa gekommen sind. Auch bei ihnen ging und geht es um schnellstmögliche Integration durch gute Sprach- und Lernförderung, und im Grunde ist die Herausforderung bei den Flüchtlingskindern eine vergleichbare: Auch sie sollen schnell Anschluss an das Land, seine Kultur und Sprache finden – haben aber, und das ist eine Besonderheit, häufig noch traumatische Erfahrungen gemacht. Umso wichtiger ist es, sich Gedanken um die Integration dieser jungen, neuen Mitglieder unserer Gesellschaft zu machen.

Das pädagogisch-professionelle Handeln sollte dabei im Zeichen der universell geltenden UN-Kinderrechtskonvention stehen: »Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist« (UN-Kinderrechtskonvention 1990, Artikel 3). Nur so können wir lernen, die Vielfalt in unserer Gesellschaft wertzuschätzen und allen, die hier leben – hier geboren oder hinzugekommen – ein Zusammengehörigkeitsgefühl ermöglichen.

 

Hamburg und Köln, im Juni 2016

Zum Geleit

In den letzten beiden Jahren hat die öffentliche Debatte in Deutschland vor allem ein Problem beschäftigt und vielfältige Kontroversen ausgelöst: die unerwartet große Zahl von Menschen, die in Deutschland Zuflucht vor Krieg, Gewalt, Hunger und Not suchen. Mit der Ankunft hunderttausender Geflüchteter werden die Grundwerte unserer Gesellschaft auf die Probe gestellt: Humanität, Hilfsbereitschaft, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Chancengleichheit.

Die Situation der Geflüchteten ist zugleich die erste große Bewährungsprobe des wiedervereinigten Deutschlands. Angesichts der Tragweite und der Größenordnung des Geschehens kann man ohne Übertreibung von einer Jahrhundertaufgabe sprechen, die indes nicht nur in Deutschland, sondern im gesamten europäischen Kontinent eine Herausforderung für Generationen sein wird. Wir müssen lernen, Zuwanderung als etwas Alltägliches anzusehen und zu gestalten, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln und bestmögliche Rahmenbedingungen für die Integration von Menschen unterschiedlichster Herkunft in unseren Alltag zu schaffen, der sich dabei verändern wird. Zugleich sind Regeln zu entwerfen, deren Beachtung gelingende Integration gewährleisten kann.

Das Buch von Katharina Blaß und Armin Himmelrath zeigt uns, wie vielfältig und komplex die Konsequenzen sind, die aus der Aufnahme der Flüchtlinge erwachsen. Das Buch vermittelt die Zuversicht, dass es – trotz vieler Probleme – möglich ist, sie erfolgreich zu integrieren. Das gilt vor allem dann, wenn man früh beginnt und von Anfang an auf Bildung setzt. Erfolgreiche Integration hängt vor allem davon ab, wie es gelingt, auf die erste Generation der Neuankömmlinge, die Flüchtlingskinder, zuzugehen. Die Sprach- und Leseförderung spielt dabei eine Schlüsselrolle. Rund ein Drittel aller Geflüchteten, die derzeit nach Europa kommen, sind minderjährig, mehr als die Hälfte ist unter 25 Jahre alt, und mindestens zwei Drittel haben keinen Schulabschluss, an den sich in Deutschland eine Berufsausbildung anschließen könnte. Oft können sie kaum lesen und schreiben. Hier sind Kurse zur elementaren Bildung und zum Kennenlernen der neuen Alltagskultur gefragt, ehe überhaupt eine Aufnahme in reguläre Schulklassen erfolgen kann.

Das Leitmotiv der Autoren heißt »Verändern und Verbessern«. Dass sich die Schulen in Deutschland mit dieser neuen Herausforderung wandeln werden und verändern müssen, steht außer Frage. So sollten wir in der Tat den Anlass nutzen, Schule von Grund auf anders und neu zu denken, sie umzugestalten und dafür auch neue gesellschaftliche und pädagogische Wege zu beschreiten.

Integration durch Bildung, heißt es – das gilt aber ebenso im reziproken Sinn: Bildung durch Integration. Denn auch für die hier Aufgewachsenen ist es eine wichtige Erfah-rung, das Eigene mit dem Fremden konfrontiert zu sehen und zu lernen, diese Begeg-nung als Bereicherung anzusehen. Es geht ja nicht nur um diejenigen, die zu integrieren sind, sondern auch um jene, die ihrerseits Geflüchtete in ihre Gemeinschaft aufnehmen sollen. Auch das will gelernt sein. Alle Menschen, ob Zugewanderte oder Einheimische, bedürfen der Integration in eine weltoffene, tolerante, freundliche und faire Gesellschaft. Dazu müssen auch alle bereit sein, sich Neuem zu öffnen und dazuzulernen. Nur dann können wir alle heimisch werden in einer humanen, freiheitlich-demokratischen und gerechten Welt.

Geschrieben wurde dieses Buch vor allem für Lehrkräfte, Pädagoginnen und Pädagogen, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter sowie politisch Verantwortliche. Es soll ihnen das notwendige Rüstzeug vermitteln und ihnen Mut machen, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Es entstand nicht an einem fernen Redaktionsschreibtisch und ist auch viel mehr als eine sorgfältige journalistische Arbeit aus aktuellem Anlass. Die Autoren wollen informieren und motivieren, anleiten und bestärken, dokumentieren und anregen. Damit greifen sie in gewisser Weise selbst ein wichtiges pädagogisches Prinzip auf, das aus ihrem Projekt im besten Sinne ein lehrreiches Buch macht. Lehrreich ist es nicht nur durch die Analysen und Materialsammlungen, seien sie rechtlicher, administrativer oder einfach nur statistischer Art, sondern vor allem durch die unmittelbaren Zugänge: Vor-Ort-Besuche in Schulen oder Einrichtungen der Jugend- und Sozialarbeit, Vorstellung von Modellprojekten wie Willkommensklassen, persönliche Begegnungen und Interviews mit aktiven Gestaltern des Integrationsgeschehens.

Mit dieser Vielfalt von Themen und Aspekten der Arbeit mit Flüchtlingskindern ist ein sehr authentisches Buch entstanden, das dicht an der Praxis, zugleich aber wissenschaftlich fundiert, ein differenziertes Bild der Aufgaben zeichnet, vor denen vor allem die Schule steht.

 

Prof. Dr. Jan-Hendrik Olbertz
(Kultusminister a. D., Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin 2010-2016)

Berlin, im Juni 2016

Die Situation der Zugewanderten

Wie viele kommen?

Wer kommt?

Welchen Bildungsstand haben die Zugewanderten?

Integration durch Schule, Integration durch Bildung

So viel zur Theorie – doch wie sieht die Praxis aus?

Passen die Flüchtlinge in unser Ausbildungssystem?

Aus der Geschichte lernen

Zu Besuch beim Verein »Schüler Treffen Flüchtlinge e. V.«

Das Grundrecht auf Schul­besuch – auch für Flüchtlinge

Bildung ist ein Menschenrecht

Beginn der Schulpflicht

Ende der Meldepflicht

Ende der Schulpflicht

Eine besondere Herausforderung: Deutsch als Zweitsprache

Die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern

Im Gespräch mit Marita Müller-Krätzschmar

Systematische Sprachförderung als dynamischer Prozess

Das Hamburger Sprachförderkonzept

Im Gespräch mit Jasmin Bauer, DaZ-Lehrerin aus Leidenschaft

Integration durch Bildung

Leistungsdruck und Konkurrenz

Schulorganisatorische Modelle an einer Regelschule

Strukturelle Diskriminierung von zugewanderten Schülerinnen und Schülern

Das Konzept der Schlauschule

Senken Flüchtlinge das Niveau einer Schulklasse?

Zu Besuch in der Welt-Schule Borgfeld

Noch nicht im Fokus: Flüchtlinge in den Berufsschulen

Vielversprechende Ideen: Integration durch Berufsbildung

Im Gespräch mit Susanne Kraus-Lindner

Die Maßnahmen von Bund und Ländern

Ratschläge an die politischen Weichensteller

Die Maßnahmen der Bundesregierung

Die Maßnahmen der Länder am Beispiel Nordrhein-Westfalens

Zu Besuch an der Grundschule Schloss Benrath

Wie außerschulische Kooperations­partner die Integration unterstützen

Externe Hilfe, die stark macht

Zu Besuch bei einer Lehrerin in Sachsen-Anhalt

Zu Besuch in der Offenen Jugendwerkstatt Karlsruhe

Mit traumatischen Erfahrungen umgehen

Die besondere Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge

Der Weg von der Ankunft zum Asylverfahren

Traumatisierung als Folge der Flucht

Zu Besuch am Beruflichen Schulzentrum Regensburger Land

Blick über die Landesgrenzen: Die Schweiz

Trotz aller Diskussionen: Integration auf vielen Ebenen

Grundrecht auf Schule in der Schweiz

Zu Besuch in der Berufs-, Fach- und Fortbildungsschule (BFF) in Bern

Vom Trauma zum Schulabschluss?

Kanton Zürich: Erfolgreich mit QUIMS?

Blick über die Landesgrenzen: Der Integrationspakt in Österreich

Zeichen setzen mit einer »Integrationspflicht«

Grundrecht auf Schule in Österreich

Umstrittene Wertekurse

Schule im Integrationspaket

Schulorganisation und Deutsch als Fremdsprache

Reaktionen erwünscht: Was die Politik tun muss

Nachhaltige Bildungspolitik für Flüchtlinge: Noch fehlen Grundlagen

Zu Besuch am Gymnasium Wanne

Eine Frage der Finanzierung

Refugee Impact Fund

Zu Besuch in der Freien Waldorfschule Kreuzberg

Im Gespräch mit Fluisa Pasho

Literaturverzeichnis

Abbildungsnachweis

Die Situation der Zugewanderten

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Wie viele kommen?

Den Flüchtlingszuzug in Zahlen wiederzugeben ist ein ständiges Tauziehen zwischen Erhebung und Prognosen. Die Fakten (BaMF 2016 c) – soweit sie zu erfassen sind – stellen sich als Momentaufnahme wie folgt dar:

In Deutschland wurden 2015 insgesamt 1,09 Millionen Menschen im Datensystem Easy registriert, durch das die Hilfesuchenden nach ihrer Einreise auf deutsche Erstaufnahmeeinrichtungen verteilt werden.

476 649 formelle Asylanträge (davon 441 899 Erstanträge) wurden insgesamt im Jahr 2015 beim deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) gestellt.

Die Erst- und Folgeanträge wurden hauptsächlich von Flüchtlingen aus den Herkunftsländern Syrien (31,1 Prozent), Albanien (11,5 Prozent), Kosovo (7,8 Prozent), Afghanistan (6,7 Prozent), Irak (6,6 Prozent), Serbien (5,7 Prozent), Mazedonien (3,0 Prozent), Eritrea (2,3 Prozent) und Pakistan (1,8 Prozent) gestellt.

Im Jahr 2014 wurden 173 072 Erstanträge entgegengenommen; dies bedeutet einen Anstieg der Antragszahlen um 155,3 Prozent (BaMF 2016d).

Im Jahr 2015 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 282 726 Entscheidungen über die Bewilligung oder Ablehnung eines Asylantrags getroffen (Vorjahr: 128 911).

In der Schweiz stellten 2015 insgesamt fast 40 000 Zuwanderer einen Asylantrag (Staatssekretariat für Migration 2016). Darunter reisten ca. 10 000 minderjährige Flüchtlinge, davon etwa 3000 schulpflichtige, in das Land ein. Das sind 45 Prozent mehr als 2014 (Tagesanzeiger 2016). Die Schweiz hat rund acht Millionen Einwohner.

In Österreich wurden 2015 insgesamt 88 151 Asylanträge (davon 85 617 Erstanträge) gestellt. Das waren rund 200 Prozent mehr als 2014. Die meisten Antragsteller und Antragstellerinnen kamen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak (Bundesministerium für Inneres 2016). Wie viele Menschen in Österreich bei der Einreise registriert wurden, das Land jedoch wieder verlassen haben, ist nicht bekannt – Österreich gilt als Durchreiseland auf dem Weg nach Deutschland. Ca. 9300 zählten unter den Antragstellern laut Innenministerium zur Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Insgesamt geht das Bildungsministerium von etwa 8500 bis 9000 schulpflichtigen Zuwanderern aus (Die Presse 2015). Österreich hat rund 8,5 Millionen Einwohner.

Bei der Betrachtung der Zahlen für Deutschland gibt es zwei Momente, an denen es aufgrund der Bürokratie zu langen Wartezeiten kommt: zwischen der Registrierung und der Antragstellung sowie zwischen der Antragstellung und dem Bescheid. Rund 400 000 Personen warten momentan darauf, einen Asylantrag stellen zu können. Das Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (BaMF) bestimmt darüber, wann ein Asylbewerber den Antrag stellen kann, nämlich erst dann, wenn Kapazitäten frei sind, diesen zu bearbeiten. Der Zeitraum zwischen Easy-Registrierung und Asylantragstellung wird statistisch nicht erfasst, kann jedoch einige Monate dauern (vgl. Staib 2016). Ist der Antrag gestellt, folgt die zweite Hürde: die Entscheidung darüber, ob der Antragsteller im Land bleiben darf oder abgeschoben wird. Die Zahl der unerledigten Entscheidungen lag im März 2016 bei rund 370 000 Asylanträgen. Selbst Menschen aus Syrien, die in 98,8 Prozent der Fälle Schutz erhalten, warten durchschnittlich 2,4 Monate auf eine Entscheidung, Menschen aus Albanien 6,8 Monate. Afghaninnen und Afghanen hingegen warten 15,4 Monate, Pakistanerinnen und Pakistaner 20,8 Monate. Die durchschnittliche Dauer der Asylverfahren beträgt nach Angaben des BaMF 5,8 Monate (vgl. Staib 2016). Die Wartezeit verbringen die Asylsuchenden oft in Massenunterkünften – mit unklarer Bleibeperspektive.

Wer kommt?

Rund ein Drittel aller Geflüchteten, die derzeit nach Europa kommen, sind minderjährig (Townsend 2016), mehr als die Hälfte ist unter 25 Jahren (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2015). Es fliehen eindeutig mehr Männer als Frauen aus ihrem Heimatland – unter den Asylbewerbern in Deutschland 2016 sind in der Gruppe der 16- bis 18-Jährigen 64 Prozent Männer, unter den 18- bis 25-Jährigen 77,3 Prozent und bei den 25- bis 30-Jährigen sind es 72,5 Prozent (statista 2016). Im Februar 2016 waren 71,7 Prozent der Asylerstantragsteller jünger als 30 Jahre. Zwei Drittel aller Erstanträge wurden von Männern gestellt (BaMF 2016).

Welchen Bildungsstand haben die Zugewanderten?

Über den Bildungsgrad der Neuankömmlinge lässt sich meist nur spekulieren. Der Bildungsökonom Ludger Wößmann wagt eine Einschätzung anhand der Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus 81 Ländern zur Schulbildung: »Legt man die Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudien PISA und TIMSS von 2011 – also für die heute 18-Jährigen – zugrunde, ergibt sich ein niederschmetterndes Bild: In Syrien schaffen 65 Prozent der Schüler nicht den Sprung über das, was die OECD als Grundkompetenzen definiert. In Albanien liegt die Quote bei 59 Prozent – gegenüber 16 Prozent in Deutschland. Das heißt, dass zwei Drittel der Schüler in Syrien nur sehr eingeschränkt lesen und schreiben können, dass sie nur einfachste Rechenaufgaben lösen können. Und das bedeutet, dass diese Schüler in Deutschland, selbst wenn sie Deutsch gelernt haben, kaum dem Unterrichtsgeschehen folgen können« (Wiarda 2015). Wößmann konstatiert: »Den zwei Dritteln der jungen Syrer, die nach internationalen Bildungsstandards als funktionale Analphabeten gelten müssen, wird zumeist die nötige Ausbildungsreife für die hiesigen Betriebe fehlen« (Wiarda 2015). Seine Prognose für die Flüchtlinge: »Aufgrund verschiedener Quellen können wir davon ausgehen, dass rund zehn Prozent [der Asylsuchenden] Akademiker sind. Und zwei Drittel keinen berufsqualifizierenden Abschluss haben« (Wiarda 2015).

Im Januar 2016 gab das BaMF eine Studie heraus, für die im Jahr 2014 rund 2800 Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge unter anderem aus Afghanistan, Irak und Syrien über ihre Lebenssituation befragt wurden. Auch diese Studie kommt zu dem Ergebnis, dass nur zehn Prozent dieser Flüchtlinge einen höheren Schulabschluss gemacht beziehungsweise ein Hochschulstudium abgeschlossen haben (Worbs/Bund 2016).

Eine nicht repräsentative, weil auf freiwilliger Selbstauskunft der Befragten beruhende Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt zu folgendem Ergebnis: Unter den 2015 interviewten Flüchtlingen haben 13 Prozent eine Hochschule besucht, rund 17 Prozent ein Gymnasium und 30 Prozent eine Haupt- oder Realschule. 24 Prozent der Befragten hatten lediglich eine Grundschule besucht, acht Prozent gar keine Schule (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2015: 1). Weiter heißt es in der Studie: »Es kann davon ausgegangen werden, dass die berufliche Qualifikation der Flüchtlinge nicht nur deutlich geringer ist als die des Durchschnitts der Deutschen, sondern auch als die anderer Ausländer oder Migrantengruppen« (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2015: 5).

Aus dieser Bilanz schlussfolgert das Institut: »Das künftige Fachkräftepotenzial der Flüchtlinge wird erheblich von Investitionen in Bildung und Ausbildung abhängen. Angesichts des geringen Alters und der schulischen Voraussetzungen bestehen bei entsprechender Förderung erhebliche Qualifizierungspotenziale« (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2015: 6).

Integration durch Schule, Integration durch Bildung

Zugewanderte Kinder und Jugendliche verbringen einen Großteil ihrer Zeit in der Schule. Hier knüpfen sie soziale Kontakte, finden neue Freunde und in Lehrerinnen und Lehrern im Idealfall wichtige Bezugspersonen. Neue Freunde können aus dem gleichen Land stammen und in der gleichen Situation sein, was Zugehörigkeit und emotionale Unterstützung angeht. Hinzugewonnene Freunde aus anderen Kulturkreisen helfen bei der Entdeckung der neuen Umgebung und erleichtern die Integration. Diese kulturelle Mischung findet sich nur an einer Schule.

Freunde und soziale Bindungen, aber auch der klar strukturierte Unterricht und feste Regeln machen die Schule zu einem sicheren Ort. »Die Flüchtlingskinder wollen keine Extrabehandlung, sie wünschen sich nur ein ganz normales Leben. Und so sollten sie auch angekündigt und behandelt werden: als neue Mitschüler, die jetzt bei uns lernen möchten« (Greiner 2016). So können Kinder und Jugendliche durch die Alltagsnormalität ihre traumatisierenden Erlebnisse im Laufe der Zeit mit positiven Erfahrungen überschreiben. Das erhöht die Selbstsicherheit und das Vertrauen in System und Gesellschaft.

Eine gute Schule vermittelt Wissen, Sprache und Sozialkompetenz. Nur so ist der spätere Integrationsfaktor Arbeit erreichbar: Die Schule ermöglicht eine Lehre, eventuell ein Studium und/oder eine Hochschullaufbahn. Wer in die Arbeitswelt integriert ist, hat ein festes Einkommen, soziale Kontakte und einen geregelten Alltag. Deshalb ist Schule eine sehr gute Basis für gelingende Integration. Die Kosten dafür machen sich mehrfach bezahlt, wenn Flüchtlinge nicht in prekäre Verhältnisse oder gar Langzeitarbeitslosigkeit verfallen, wie Bildungsökonomen des Ifo-Instituts München für das WDR-Magazin Monitor ausgerechnet haben:

Von einer Million Flüchtlingen sind nach der 2015 verwendeten Statistik 174 000 schulpflichtig. Ein Schulplatz kostet im Jahr inklusive Fördermaßnahmen 7900 Euro – das macht insgesamt 1,4 Milliarden Euro, was 2,3 Prozent aller Ausgaben für die Schulen (60 Milliarden) entspricht. Wird das Geld im Bildungssystem nicht investiert, muss es an anderer Stelle als Ausgabeposten im Sozialsystem trotzdem veranschlagt werden.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verlangt, die Bildungsangebote quantitativ und qualitativ auszubauen – von der frühkindlichen über die schulische und berufliche bis zur Hochschulbildung. GEW-Vorsitzende Marlis Tepe macht deutlich, dass die Debatte auf das Thema »Bildung in der Migrationsgesellschaft« insgesamt erweitert werden müsse. »Bildung kann nicht warten! Bildung ist der Schlüssel für gelingende Integration«, sagt Tepe. »Gute Bildung für alle Menschen ist die beste Voraussetzung, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken, soziale und politische Teilhabe zu ermöglichen, Zugang zum Arbeitsmarkt zu schaffen und für eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft zu sorgen« (GEW 2016).

So viel zur Theorie – doch wie sieht die Praxis aus?

Die internationalen Schulleistungsstudien IGLU und PISA, die auch einen Einblick in die Ursachen des schlechteren Abschneidens junger Migrantinnen und Migranten im deutschen Schulsystem ermöglichen, zeigen: In Deutschland gestaltet sich die Integration junger Menschen mit Migrationshintergrund ins Schulsystem besonders problematisch. Bereits in der Grundschule bestehen Unterschiede im Kompetenzniveau zwischen Lernenden mit und ohne Migrationshintergrund. Diese Unterschiede nehmen dann im Laufe des Sekundarbereichs noch einmal deutlich zu. Eine besondere Rolle bei der Erklärung der Unterschiede spielen der soziale Hintergrund der Schülerinnen und Schüler sowie das Ausmaß des Gebrauchs der deutschen Sprache innerhalb der Fa­milien (vgl. Siegert 2008).

Die Daten aus amtlicher Bildungsstatistik (Bildungsbeteiligung und Bildungserfolg), Schulleistungsstudien wie IGLU und PISA (schulische Kompetenzen) sowie dem Mikrozensus (allgemeines Bildungsniveau der deutschen Bevölkerung) zeigen: Ausländische Lernende gehen seltener auf Realschulen oder Gymnasien als deutsche, dafür aber deutlich häufiger auf Haupt- und Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen. Ausländische Schülerinnen und Schüler verlassen die Schule deutlich häufiger ohne einen allgemeinbildenden Schulabschluss als deutsche. Darüber hinaus erzielen sie häufiger einen Hauptschulabschluss und seltener einen Realschulabschluss oder die Fach- oder Allgemeine Hochschulreife (vgl. Siegert 2008).

Anhand des Mikrozensus 2006 lässt sich zeigen, dass Menschen mit Migrationshintergrund deutlich häufiger über keinen allgemeinen Bildungsabschluss verfügen als Menschen ohne Migrationshintergrund. Hinsichtlich der vorliegenden Bildungsabschlüsse sind die Unterschiede dagegen eher gering (vgl. Siegert 2008). Aber nicht nur Deutschland bescheinigt die OECD strukturelle Schwächen im Bildungssystem für Migrantinnen und Migranten: In den meisten europäischen Ländern haben Schülerinnen und Schüler aus Migrantenfamilien einen weniger günstigen sozioökonomischen Hintergrund als einheimische, auch der Bildungsstand der Eltern ist geringer.

Volle Klassen, zu wenig Personal: In vielen Grundschulen ist die Klassenobergrenze von 29 Kindern erreicht. »Zu volle Klassen gefährden den Bildungsauftrag der Grundschulen und führen angesichts der großen Herausforderung der inklusiven Beschulung von Kindern mit und ohne Handicap und zugewanderten Kindern zu weniger anstatt mehr Bildungsgerechtigkeit«, sagt Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) Nordrhein-Westfalen (VBE Nordrhein-Westfalen 2016). Grundschulen hätten den Auftrag, alle schulpflichtigen Kinder eines Jahrgangs aufzunehmen und sie dem Grad ihrer individuellen Entwicklung entsprechend zu fördern. In manchen Bezirken von Berlin werden aber beispielsweise immer wieder Flüchtlingskinder abgelehnt, weil es nicht genügend Plätze in den überfüllten Willkommensklassen gibt. »Der Verteilungszufall entscheidet über den Bildungserfolg«, sagt Tobias Klaus von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, denn das Grundrecht auf Schulbesuch wird in jedem Bundesland unterschiedlich ausgelegt (Reiter 2015).

Darüber hinaus müssen Lehrerinnen und Lehrer in Willkommensklassen ihre Unterrichtsmaterialien immer noch mühsam zusammensuchen – geeignete Schulbücher, die Altersstruktur, ethnische Herkunft und die unterschiedlichen Sprachstände abbilden, gibt es bislang kaum.

Auch das Personal in den Schulen ist knapp: Fast 1000 der 3000 Grundschulen in Nord­rhein-Westfalen haben laut Landesregierung keinen Sonderpädagogen an­gestellt, sollen aber sonderpädagogisch präventiv besonders fördern (VBE Nordrhein-­Westfalen 2016). Bundesweit kommt rein rechnerisch lediglich ein Schulpsychologe zurzeit auf 8600 Kinder (Podium der Körber-Stiftung 2015).

Passen die Flüchtlinge in unser Ausbildungssystem?

Die Erhebungen zum Bildungsstand Zugewanderter sind ernüchternd. »Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Mehrheit der jungen Flüchtlinge an einer drei Jahre langen Vollausbildung mit hohem Theorieanteil scheitern würde. Laut Handelskammer München und Oberbayern haben 70 Prozent der Auszubildenden aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, die vor zwei Jahren eine Lehre begonnen haben, diese bereits wieder abgebrochen. Darum müssen wir ihnen andere Angebote machen; ihnen mehr Ausbildungsbegleiter an die Seite stellen; über teilqualifizierende Ausbildungen nachdenken, die stärker die praktischen Fähigkeiten betonen und die theoretischen Grundlagen begrenzen. Es gibt schon solche Berufe, etwa den Krankenpflegehelfer. Ähnliches muss auch in anderen Branchen möglich sein, bei Maurern zum Beispiel. Wir brauchen mehr einjährige Qualifikationen – mit der Möglichkeit, diese später in eine Vollausbildung auszuweiten«, sagt Bildungsökonom Ludger Wößmann (Wiarda 2015). Die Integration ist eine große Herausforderung, aber nicht nur für die Aufnahmegesellschaft, sondern auch für die Flüchtlinge selbst. Viele sind motiviert, berichten Pädagoginnen und Pädagogen. »Wie polnische, syrische, kurdische und albanische Kinder mit Feuereifer gemeinsam Deutsch lernen, hat mich tief beeindruckt«, sagt auch die Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, Marlies Tepe, nach einer Rundreise durch Deutschlands Willkommensklassen. Laut OECD sind Einwanderer der ersten Generation wegen des mit der Einwanderung verbundenen Optimismus grundsätzlich zur Integration motiviert. Es wird jedoch auch immer wieder von Schülerinnen und Schülern berichtet, die anstreben, sich in das soziale Sicherungsnetz Deutschlands fallen zu lassen.

Aus der Geschichte lernen

Als in den 1960er Jahren überwiegend italienische Gastarbeiter in die Bundesrepublik und vietnamesische Gastarbeiter in die DDR kamen, ging die Politik davon aus, dass sie eines Tages in ihre Heimat zurückkehren würden. Es kam anders: Drei Millionen Migrantinnen und Migranten blieben in Deutschland – und holten ihre Familien nach. Statt konzeptorientierter Integrationspolitik gab es jahrzehntelang vorwiegend sogenannte Ausländerpolitik, die kaum mehr war als Arbeitsmarktpolitik, angewendet auf Ausländer. Die Versäumnisse in der Integration bestanden auf beiden Seiten – die Aufnahmegesellschaft ignorierte die neuen Mitbürginnen und Mitbürger, die Arbeitswanderer ignorierten in vielen Fällen die Aufnahmegesellschaft (vgl. Bade 2007). Das sollten wir alle nun besser machen und den Wandel aktiv gestalten.

Zu Besuch beim Verein »Schüler Treffen Flüchtlinge e. V.«

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Ein Dienstagmorgen in der Georg-Klingenberg-Schule in Berlin-Biesdorf, einer Inte­grierten Sekundarschule (ISS), die als Schulform in Berlin seit 2010 Haupt-, Real- und Gesamtschule zusammenführt.

Normalen Unterricht gibt es diese Woche in der Klingenberg-Schule nicht, denn die Schülerinnen und Schüler arbeiten im Rahmen der Projektwoche in besonderen Arbeitsgruppen. In Raum 404 haben sie sich zum Projekt »Flucht und Vertreibung« versammelt und begrüßen als Gäste unter anderem Ahmed, 19 Jahre alt, aus Syrien, und Othman, 28 und aus dem Irak. »Wir haben an unserer Schule keine eigene Flüchtlingsklasse und auch kaum Kinder mit Migrationshintergrund«, sagt Monika Kassner, Referendarin an der ISS und eine der Betreuerinnen des Projekts. In der Fachkonferenz Ethik hatte sie zusammen mit ihren Kolleginnen Caroline Gruhne und Anja Pribbenow überlegt, wie sich der Projektwochenschwerpunkt »Buntes Berlin« mit dem aktuellen Flüchtlingsthema in Verbindung bringen lässt. Und auch, wie man Schülerinnen und Schülern vermitteln kann, dass es Flucht und Wanderungsbewegungen in der Geschichte eigentlich schon immer gab und sie deshalb als Phänomen nicht neu, sondern völlig normal sind.

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Bild rechts: Joshua Kriesmann, Helen Schmitz und Paula Fredrich von »Schüler Treffen Flüchtlinge e. V.«

So sind an diesem Morgen mehrere ältere Berlinerinnen und Berliner dabei, die als Zeitzeugen von den Flüchtlingsströmen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs berichten können – und eben Ahmed und Othman, die beide erst seit einigen Monaten in Deutschland leben. Den Kontakt zu den beiden Flüchtlingen hat der gemeinnützige Verein »Schüler Treffen Flüchtlinge e. V.« hergestellt, der von Lernenden des europäischen Gymnasiums Bertha-von-Suttner in Berlin-Reinickendorf gegründet wurde. Helen Schmitz und Paula Fredrich, beide 16 Jahre alt, sind in diesem Verein aktiv und begleiten Ahmed und Othman heute. In kleinen Tischgruppen sitzen sie jeweils mit einigen der Acht- und Neuntklässler von der ISS zusammen und helfen, die erste Scheu beim Kontakt zu den jungen Männern aus Syrien und dem Irak zu überwinden. Die Schülerinnen und Schüler haben sich Fragen aufgeschrieben.

»Mit wem sind Sie geflohen?«, wollen sie von Ahmed wissen. »Wie war die Flucht? Haben Sie einen Schaden davongetragen? Hatten Sie Essen und Trinken dabei?« Der 19-jährige Syrer überlegt kurz, bevor er antwortet. Er sei mit seiner Familie vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen, berichtet er. Und es gebe viele, sehr viele schlechte Erinnerungen, die ihn immer wieder bedrücken. Der Hunger und die Frage der Versorgung sei da eher das kleinere Problem gewesen. Andererseits habe er seit seiner Ankunft in Deutschland keine Benachteiligung erlebt und sei sehr dankbar, dass er jetzt in Sicherheit sei.

»Viele Schüler haben hier schon ganz bestimmte Vorurteile Flüchtlingen gegenüber“, erzählt eine Lehrerin unterdessen. Diese drehen sich um die Belästigung von Frauen und den Diebstahl von Handys, und genau an diesem Punkt will die Projektwoche ansetzen, um bisherige Denkgrenzen aufzusprengen. In den Gesprächsrunden kann man sehen, dass das Konzept aufgeht: Nachdem die anfängliche Zurückhaltung überwunden ist, kommt schnell ein Gespräch zustande, bei dem die ISS-Lernenden sich voller Stolz bemühen, bei Verständnisproblemen auf Englisch weiterzufragen.