ISBN eBook: 978-3-649-62328-1

© 2016 für die deutschsprachige Ausgabe

Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG, Hafenweg 30, 48155 Münster

Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2009

unter den Titeln »Running Horse Ridge – Sapphire: New Horizons« und »Running Horse Ridge – Hercules: A Matter of Trust«

bei HarperCollins, New York

Published by arrangement with HarperCollins Children's Books, a division of HarperCollins Publishers.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur

Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Aus dem Amerikanischen von Miriam Margraf

Umschlagfotos: Mädchen mit Pferd: Shutterstock

© Konstantin Tronin, Bildnr. 258040685;

Schild: Shutterstock © Odua Images, Bildnr. 182625806

Redaktion: Valerie Flakowski

www.coppenrath.de

Das Buch (Hardcover) erscheint unter der ISBN 978-3-649-67120-6

Heather Brooks
Wild Horse Ranch
Ein Traumpferd für Emily

Kapitel 1

Scott Summers trat so hart auf die Bremse, dass Emily die Reste ihres Schokoladenmilchshakes über ihren Lieblingsjeans verschüttete. »Dad!«

»Hätte ich das Pferd anfahren sollen?«, fragte ihr Vater und deutete auf die Straße.

Emily hob den Blick und sah einen anmutigen Rappen direkt vor den Wagen springen. Seine Ohren waren angelegt, die Zähne gebleckt, als wollte er das Auto zu einem Zweikampf herausfordern. Er hatte glänzendes schwarzes Fell und eine Blesse mitten auf der Nase. »Der sieht ja aus wie Bolero!«, rief Emily erstaunt.

Bolero war das Pferd, auf dem Emily zu Hause in New Jersey eine Reitbeteiligung hatte. Er war das besteDressurpferd im Stall und eigentlich hatte Emily an diesem Wochenende mit ihm an einem Turnier in Norfolk teilnehmen wollen. Doch dann war plötzlich Scotts Dad gestorben und sie hatten sich auf den Weg nach Oregon gemacht. Da Emily ihrem Großvater nie begegnet war, hatte sie anfangs gehofft, sie könnte ihren Vater überreden, allein zu fahren – die Vorstellung, das Turnier zu verpassen, war ihr unerträglich gewesen. Aber nachdem ihr Vater gesagt hatte, wie gerne er sie dabeihaben wollte, war ihr nichts anderes übrig geblieben, als ihn zu begleiten.

Seit dem Tod ihrer Mutter vor zehn Jahren war ihr Vater nicht mehr auf der Farm seiner Eltern gewesen. Er redete nicht viel über die Vergangenheit, und Emily akzeptierte das, obwohl sie darauf brannte, mehr über ihre Familie zu erfahren. Dass Scott diese Reise Unbehagen bereitete, war ihm nur zu deutlich anzumerken. Seitdem sie aus dem Flugzeug gestiegen waren, fummelte er nervös an seiner Armbanduhr herum.

Emily riss die Beifahrertür auf und hüpfte hinaus auf den Feldweg, wo ihre weißen Turnschuhe sofort im Schlamm versanken. Das Pferd schnaubte. »Hey, du Schöner. Was machst du denn hier so ganz allein?«

Der Rappe spitzte ein Ohr, hob den Kopf und sah sie aus dunklen Augen an. Er war schweißbedeckt und blutete aus zahlreichen kleinen Kratzern an der Brust. Seine Nüstern bebten, als er die Luft einsog, um Emilys Witterung aufzunehmen. Er war gut bemuskelt und wohlgenährt, mit vollen Flanken und glänzendem Fell. Die schwarze Mähne stand in alle Richtungen ab und der dicke Schopf fiel ihm tief in die Stirn.

»Emily, sei vorsichtig«, warnte ihr Vater, als er die Autotür öffnete und ebenfalls ausstieg.

Sie trat einen Schritt auf den Rappen zu, wobei sie ihren Fuß mit einem schmatzenden Geräusch aus dem Schlamm zog, und streckte eine Hand aus. »Wollen wir wetten, du bist irgendwo abgehauen«, sagte sie sanft.

Das Pferd spitzte auch das zweite Ohr. Dann senkte es den Kopf und ließ sich von ihr streicheln.

Triumphierend grinste Emily ihren Vater an. »Er mag mich.« Sie drückte ihr Gesicht in die Mähne, atmete tief den Duft nach Stroh ein und rieb ihre Haut an dem samtweichen Fell.

Ihr Vater kicherte. »Ich denke, er mag den Milchshake auf deiner Hose.«

Emily sah an sich hinunter und begann zu lachen.

»Halt ihn bitte fest!«, ertönte da plötzlich eine Stimme hinter ihnen.

Emily spähte über ihre rechte Schulter und sah ein Mädchen ihres Alters auf einer Apfelschimmelstute. Es trug Lederchaps, ein altes T-Shirt und einen Reithelm. Sein Pferd atmete schwer. »Halt ihn bitte fest, damit er nicht wieder weglaufen kann.« Das Mädchen nahm einen zusammengerollten Lederführzügel vom Sattel und hielt ihn Emilys Vater hin. »Könnten Sie ihr den geben? Ich will nicht dichter heran.«

Scott nahm den Zügel und reichte ihn Emily, die rasch den Karabiner in das Halfter einhakte. Sofort riss der Rappe den Kopf hoch, legte die Ohren an und fletschte die Zähne.

Emilys Vater trat einen Schritt zurück. »Pass auf, Schatz!«

Emily ruckte am Führzügel und flüsterte: »Hey, alles ist gut.«

Das Pferd warf den Kopf nach hinten, doch Emily blieb ruhig und allmählich fasste der Rappe Vertrauen zu ihr.

»Siehst du? Ich wusste, dass er sich nur aufspielt. Na los!« Langsam führte sie ihn um das Auto herum. »Wie heißt er?«, fragte sie das Mädchen.

»Blöd im Kopf.«

Emily runzelte die Stirn, während die Fremde den Führstrick entgegennahm. »Und wie heißt er wirklich? «

»Saphir, obwohl er den Namen nicht verdient hat. Er ist der reinste Horror.« Das Mädchen schnalzte mit der Zunge und wendete die Stute. Saphir tänzelte mit hoch erhobenem Schweif neben ihm her. »Danke für deine Hilfe. Ich bin schon seit über einer Stunde hinter ihm her. Manchmal macht er mich wahnsinnig!«

»Kein Problem. Er ist echt ein schöner …« Weiter kam Emily nicht.

Das Mädchen hatte seine Stute angaloppieren lassen und jagte mit donnerndem Hufschlag davon.

Mit offenem Mund schaute Emily ihnen hinterher. »Hast du das gesehen!«, sagte sie zu ihrem Vater. Mit Bolero trainierte sie ausschließlich im Dressurviereck. Sie wagte es nicht einmal, davon zu träumen, mit ihm über eine Wiese zu galoppieren! Es sah … aufregend aus.

Natürlich war Bolero viel zu wertvoll, um mit ihm ins Gelände zu gehen. Aber trotzdem wollte sie es wenigstens einmal tun … auf einem anderen Pferd … »Du … ähm … meinst du, Tante Debby lässt mich auf einem ihrer Pferde reiten … draußen?« Emily konnte ihren Dressurausbilder Les Martin beinahe hören, wie er ihr predigte, dass sich ein Dressurreiter durch den leichten Sitz im Gelände schnell nicht wiedergutzumachende Angewohnheiten aneignete. Augenblicklich stellte sich ein schlechtes Gewissen bei Emily ein.

Als ihr Vater nicht antwortete, sah sie zu ihm und bemerkte, dass er die Umgebung mit einem eigentümlichen Blick betrachtete. Als wäre er traurig und froh zugleich – und beinahe ein bisschen ängstlich.

Emily trat von einem Fuß auf den anderen und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte Scott noch nie so nachdenklich gesehen. Sie schluckte nervös. »Dad? Alles okay?«

Er blickte zu ihr. Dann lächelte er, schlang ihr den Arm um die Schultern und drückte sie an sich. Sofort fühlte sie sich besser. »Ja«, sagte er. »Debby hat sicher nichts dagegen, ihr gehören schließlich diese Ländereien. «

Emily sah ihn überrascht an. »Die ganzen Ländereien hier?« Sie betrachtete die Landschaft, die sich vor ihr ausbreitete, mit neuem Interesse. Sanft geschwungene Hügel, bedeckt mit kräftigem Grün von saftigen Wiesen. Das Gras duftete frisch und die Luft roch klar und sauber! Es war unglaublich. Als ob man tagelang geradeaus reiten könnte, ohne jemandem zu begegnen.

Außer dem Gesang der Vögel und dem Rascheln des Grases im Wind war nichts zu hören. Hier sollten Pferde leben. Es fühlte sich … richtig an. »Ich bin jetzt im Land der Pferde, oder?«

»Jepp.« Scott zerzauste ihr Haar. »Und es könnte gut sein, dass das eben deine Cousine Alison war. Sie müsste jetzt vierzehn sein, ein Jahr älter als du.«

Emily quietschte vor Aufregung. »Ehrlich?! Wir sind schon so nah an der Farm?«

»Wir sind noch ungefähr fünf Meilen davon entfernt. «

Emily starrte ihn ungläubig an. »Wow! So riesig ist das Gelände.« Kaum vorzustellen, dass ihr spießiger, Anzug tragender Vater in diesem Pferdeparadies aufgewachsen war! »Warum sind wir noch nie hier gewesen?«

Sein Lächeln verschwand. Sanft strich er ihr mit der Hand über das Haar. »Das ist eine lange Geschichte. Aber jetzt sind wir ja da, nicht wahr?«

Seine traurige Miene schnürte Emily die Kehle zu. Schnell wechselte sie das Thema. »Wie viele Pferde leben auf der Ranch?«

Ein Glitzern stahl sich in die Augen ihres Vaters und ließ sie erleichtert aufatmen. »Ich weiß es nicht genau«, sagte er, »aber sie haben so etwa fünfzig Boxen.«

»Fünfzig? Lass uns weiterfahren!« Emily wand sich aus der Umarmung ihres Vaters, rannte um das Auto herum und sprang auf den Beifahrersitz. »Na los!«

Scott kicherte und glitt hinter das Steuer. »Aber denk dran, das ist nicht wie in deinem Stall zu Hause. Diese Pferde haben keine Spitzenabstammung wie Bolero. Und Tante Debby ist auch nicht wie dein Reitlehrer. Sie ist … härter als Les.« Er ließ den Motor an. »Das hier ist eine andere Welt.«

»Pferde sind Pferde«, murmelte Emily. Sie beugte sich vor in der Hoffnung, noch einen Blick auf Saphir erhaschen zu können. »Dieser Ort ist wirklich etwas ganz Besonderes.«

Scott warf ihr einen Blick von der Seite zu. »Die Ranch ist in der Tat etwas ganz Besonderes, aber nicht vergleichbar mit deinem Stall, nicht einmal annähernd vergleichbar!«

Irgendetwas in seinem Tonfall machte Emily misstrauisch. Sie schaute ihren Vater an und fragte: »Was meinst du?«

Er zögerte und klopfte ihr dann auf den Oberschenkel. »Du wirst schon sehen.«

Bevor Emily nachhaken konnte, was genau er meinte, bog der Wagen in eine lange Auffahrt ein, und ihr Blick fiel auf eine verwitterte Holztafel am Straßenrand. Emily musste zweimal hinschauen, ehe sie die verblassten Buchstaben darauf lesen konnte: Wild Horse Ranch.

Sie setzte sich gerade hin und hielt die Luft an. Sie waren da.

Kapitel 2

Emily umklammerte das Medaillon mit dem Bild von Bolero, als der Wagen durch ein großes Schlagloch rumpelte und mit dem Bodenblech an der Erde entlangschrammte. Ihr Herz pochte aufgeregt. Eine Farm mit fünfzig Pferden? Sie konnte es kaum erwarten!

Dann kamen sie um eine Kurve und sie runzelte die Stirn. »Das ist es?« Der Weidezaun neben der Straße war halb zusammengebrochen und mit Stacheldraht geflickt. Zwei Schimmel standen in der Nähe der Straße und schauten gelangweilt zu ihnen herüber, wobei sie ab und an träge mit den Schweifen wedelten, um lästige Fliegen zu vertreiben. Der Rücken des einen war mit Wunden bedeckt, auf die eine weiße Salbe gestrichen worden war. Die beiden Pferde wirkten so elend, dass Emily am liebsten aus dem Auto gesprungen wäre und sie umarmt hätte. »Was ist los mit denen? Sie sehen schrecklich aus.« Ganz und gar nicht wie Saphir, dachte sie. Oder wie Bolero, der es liebte, mit hoch erhobenem Haupt über die grüne Weide zu galoppieren, wobei sein Fell im Sonnenlicht glänzte.

Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Denk dran, dies ist ein Pferdeasyl. Manche Tiere kommen hier in ziemlich schlechter Verfassung an. Debby pflegt sie gesund oder korrigiert ihre Verhaltensprobleme, sodass sie ein gutes Leben in einem neuen Zuhause führen können.«

»Die Armen.« Emilys Atem ließ die Scheibe beschlagen, als sie sich mit der Stirn dagegenlehnte. »Und was ist mit Saphir? Der sah doch gut aus.«

»Dann wird er wohl bald den Besitzer wechseln.«

Emily presste die Lippen aufeinander. Der Gedanke daran, dass Saphir verkauft werden würde, stimmte sie traurig. »Wirklich?«

Ihr Vater blickte sie überrascht an. »Hey, du kennst Saphir doch gar nicht!«

»Ich weiß, aber …« Sie runzelte die Stirn, als ihr klar wurde, dass ihr Vater recht hatte. Sie hatte schließlich Bolero, was ging sie Saphir an! Bolero war perfekt. Er fraß ausschließlich Müsli und Quetschhafer und erstklassiges Luzerneheu. Und er lehnte es ab, Wasser zu saufen, das nicht dreimal täglich gewechselt wurde. Er war genau so, wie es sich für ein Pferd seines Kalibers gehörte. Darum liebte sie ihn, weil er perfekt war.

Saphir war … na ja … Sie kicherte. Er war lustig. Und es war zu süß gewesen, wie er ihr das Hosenbein abgeleckt hatte. Und er war schön, mindestens genauso schön wie Bolero. Aber auch ein Unruhestifter, darauf würde sie wetten. Trotzdem wusste sie, dass es Spaß machen würde, ihn zu reiten, weil er etwas Wildes an sich hatte, das nichts mit ihrem Dressurtraining zu tun hatte. Nicht, dass ihr die harte Arbeit im Viereck etwas ausmachte oder sie das Reiten nicht ernst nahm, doch Saphir hatte dieses Funkeln in seinem Blick, das sie tief in ihrem Inneren berührte.

»Was ist denn?«, fragte ihr Vater.

»Ach, nichts.« Emily reckte den Hals und hielt Ausschau nach einem Stall oder einem Gebäude, aber alles, was sie sah, waren Kiefern. »Ist das Haus groß?«

»Schau selbst«, sagte ihr Vater.

Sie fuhren durch eine weitere Kurve und Emily hielt den Atem an. Die Ranch war riesig, zwanzig Mal größer als ihr Haus in New Jersey. Es hatte seine besten Jahre allerdings hinter sich. Die Farbe war von den Wänden abgeblättert, die Fenster wirkten marode und das Vordach hatte bereits Moos angesetzt.

»Es ist … ähm … verfallen.« Ihr Haus in New Jersey war brandneu, in einer Nachbarschaft von identischen Häusern mit perfekten Vorgärten und makellosen Fassaden. »Aber es hat Charakter, denke ich.«

»Mach dir keine Sorgen. Das hält mindestens noch mal zweihundert Jahre.« Ihr Vater hupte und bremste, als ein Schimmel mit tiefem Senkrücken gemächlich ihren Weg kreuzte. Er war so alt, dass er schon komplett weiß war. Doch in seinen Augen stand eine Arroganz, die ihn jünger wirken ließ. Er musterte das Auto lange und machte keine Anstalten, zur Seite zu gehen.

Emilys Vater grinste und beugte sich über das Lenkrad, um das Pferd zu betrachten. »Das ist Max. Er war Pas bester Freund. Er durfte sich immer schon frei auf der Farm bewegen. Macht, was er will. Ich hatte ihn ganz vergessen.«

»Ehrlich, er darf überall herumlaufen?« Emily wurde ganz aufgeregt. »Das ist ja cool!«

In diesem Moment schwang die Haustür auf und die Fliegengittertür fiel krachend zurück in den Rahmen. Emilys Blick wanderte zu einer Frau in Jeans, einem ausgeblichenen T-Shirt und Gummistiefeln, die winkend auf sie zukam. »Scott! Willkommen!«

Ihr Vater wirkte mit einem Mal angespannt. Er starrte die Frau an, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen.

»Dad?«, fragte Emily.

»Yeah.« Er atmete tief durch und schließlich zeigte sich ein schwaches Lächeln auf seinem Gesicht. »Das ist deine Tante Debby. Kaum zu glauben, wie lange unser letztes Treffen her ist.« Er öffnete die Autotür, stieg aus und lief seiner Schwester entgegen. »Deb!« Nach einem kurzen Zögern nahm er sie fest in die Arme. »Es tut mir so leid wegen Pa«, sagte er. »Ich wollte, ich wäre bei ihm gewesen.«

Tante Debby erwiderte die Umarmung mit Tränen in den Augen.

Emily stutzte. Sie war immer davon ausgegangen, dass ihr Vater seiner Familie nicht sehr nahe stand. Und dass das der Grund dafür gewesen war, dass sie sie nie besucht hatten.

Emily öffnete die Autotür und Scott und Tante Debby wandten sich ihr zu.

Ihre Tante hatte ihr braunes Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Um ihren Mund und ihre Augen zogen sich kleine Lachfältchen. »Emily, endlich lerne ich dich kennen!«

»Und ich dich …«, murmelte Emily in das T-Shirt ihrer Tante, als diese die Arme um sie schlang.

Dann machte Debby einen Schritt zurück und tätschelte Emilys Wange. »Du siehst wie deine Mutter aus. Dieselbe Nase.«

Emilys Augenbrauen schossen in die Höhe. Unwillkürlich fasste sie sich an die Nase. Sie konnte sich nicht an ihre Mutter erinnern. Als sie starb, war sie gerade mal zwei Jahre alt gewesen. Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit. Noch nie war sie jemandem begegnet, der ihre Mutter gekannt hatte. Und auf einmal wollte sie nur noch weg. »Tja, ähm, wo ist denn der Stall?«

Tante Debby lachte, ein tiefes, kehliges Lachen.

»Natürlich willst du den Stall sehen. Scott hat mir schon erzählt, was für ein Pferdenarr du bist.« Sie zeigte nach rechts. »Ums Haus herum und immer geradeaus. Deine Cousinen und dein Cousin müssten sich dort auch irgendwo herumtreiben. Viel Spaß!«

»Ah, okay, danke!« Emily schaute ihren Vater an. »Ist es in Ordnung, wenn ich mich mal ein bisschen umsehe?«

Er nickte. »Aber sei bitte in einer Viertelstunde zurück und hilf mir beim Auspacken.«

»Klar.« Sie wirbelte herum und rannte los. Ihre Turnschuhe knirschten auf dem Kies der Einfahrt. Als sie um die Hausecke kam, sah sie zum ersten Mal den Stall – und blieb wie angewurzelt stehen.

Kapitel 3

Wie alles auf der Farm war auch der Stall grau und alt und damit das genaue Gegenteil von Emilys Reithalle zu Hause.

Vor dem Gebäude parkte ein großer Pferdtransporter. Wild Horse Ranch stand in dunkelgrünen Lettern darauf. Die Schrift hatte dieselbe Farbe wie das Grün der Kiefern, die hoch über den Stallungen aufragten. Es gab Paddocks auf beiden Seiten, auf denen Pferde standen und grasten. Ein dunkelbrauner Wallach mit einer Laterne im Gesicht schnaubte leise und schlug mit dem Schweif nach Insekten.

Emily ging das Herz auf, als ihr der Duft von frisch gemähtem Heu in die Nase stieg. Irgendwo hier musste Saphir sein, dachte sie.

Sie betrat den Stall und wartete einen Moment, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Sie atmete tief ein und mit einem Mal war das komische Gefühl in der Magengegend verschwunden.

Auf der Suche nach Saphir schlenderte Emily den Stallgang hinunter. Neugierig streckten ein paar Pferde ihre Köpfe rechts und links über die Boxentüren. Ein hübscher Schimmel wieherte ihr zur Begrüßung entgegen. An der Hüfte und am Bauch hatte er eine riesige Narbe.

Emily wurde bewusst, dass das, was Tante Debby tat, wirklich toll war. Sie rettete Pferde.

Auf Höhe der Sattelkammer hörte sie plötzlich Stimmen. Ein paar Kids waren dabei, das Sattelzeug zu putzen. Emily musste grinsen, als sie daran dachte, wie viele Stunden sie schon damit zugebracht hatte.

Ohne Saphir entdeckt zu haben, erreichte sie schließlich das Ende des Ganges. Durch eine schwere Tür, die von einer ramponierten Schubkarre offen gehalten wurde, verließ sie den Stall. Von rechts erklang Hufgetrappel. Ein Reitplatz! Hier waren bunt angemalte Hindernisse aufgebaut, und das Mädchen, das sie vorhin auf der Straße getroffen hatte, ritt mit seiner Schimmelstute über den Parcours.

Vielleicht wusste es, wo Saphir war. Beim Näherkommen fiel Emily auf, dass sich das Mädchen nicht im Geringsten um einen korrekten Sitz kümmerte. Emily hingegen verbrachte Stunden damit, sich genau mit dieser Sache zu befassen. Es kam vor, dass sie eine Lektion über nur am Schritt ihres Pferdes arbeitete, weil selbst dabei jedes Detail zählte.

Die Hufe des Schimmels wirbelten Dreck auf, als er über den nächsten Sprung segelte. Er schien mit Spaß bei der Sache zu sein, und Emily war ein bisschen eifersüchtig, dass nicht sie es war, die in seinem Sattel saß … Nicht, dass sie sich etwas aus Springreiten gemacht hätte, natürlich nicht! Bei ihr drehte sich alles um Dressur …

Sie ließ ihren Blick über den Hof schweifen. Von einem Dressurviereck fehlte jede Spur. In diesem Augenblick entdeckte sie einen ungefähr zehnjährigen Jungen. Gemächlich kam er auf sie zugeschlendert.

Er sah zu ihr auf, das leuchtend rote Haar vollkommen zerzaust und das Gesicht sonnengebräunt. »Bist du meine Cousine Emily?«, fragte er.

Sie nickte. »Und wie heißt du?« Ihr Vater hatte den Namen bestimmt mal erwähnt, aber sie hatte ihn wieder vergessen.

»Kyle.« Er hielt eine Wasserpistole in der Hand und grinste sie schief an. »Schicke Klamotten.«

Emily sah an ihrem Top und den neuen Jeans hinunter. »Danke, hab ich extra für die Reise bekommen … Hey!«

Ihre Brust wurde von einem Wasserstrahl getroffen und Kyle brach in schallendes Gelächter aus. Dann sprang er auf und lief davon.

»Ignorier ihn, der ist immer so«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihr.

Überrascht drehte sich Emily um. Am Zaun des Reitplatzes hatte das Mädchen seinen Schimmel durchpariert.

»Ich bin Alison. Und du musst Emily sein.«

Emily richtete sich auf und nickte. Ihre Cousine hatte eine kleine, gerade Nase, perfekt geschwungene Lippen und großartige grüne Augen. Wow, ist die hübsch!, dachte sie.

»Ich habe gehört, du bist auch ein richtiger Pferdenarr «, sagte Alison lächelnd.

»Ich reite Dressur«, erwiderte Emily schnell.

»Aha«, machte Alison, als wäre das etwas total Langweiliges.

»Dressur ist unglaublich schwierig. Sie ist … ist … Ballett für Pferde.«

»Ja klar.«

Emily begann, sich zu ärgern. Ganz offensichtlich hatte Alison nicht viel für Dressur übrig.

Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen ihnen aus.

»Mom meinte, du könntest uns bei den Pferden helfen «, brach Alison schließlich das Schweigen.

»Na klar«, sagte Emily schnell.

»Klasse.« Alison nahm die Zügel auf. »Dann bis später, denk ich mal. Ich reite jetzt zum Abkühlen in den Fluss.« Alison wendete die Stute ab.

»Warte!«, rief Emily. »Wo ist eigentlich Saphir? Ich wollte ihm einen kurzen Besuch abstatten.«

»Letzte Box im Südgang. Aber pass gut auf. Mom ist mit ihm übervorsichtig, sie setzt große Hoffnungen in ihn.« Alison ließ den Schimmel antraben und jagte davon.

Dreck wirbelte auf und Emily blieb in einer Wolke aus Staub zurück. Voller Neid starrte sie ihrer Cousine hinterher, als sie zwischen den Bäumen verschwand.

»Das ist alles so anders als zu Hause!«, murmelte sie leise vor sich hin.

»Und wo ist dein Zuhause?«

Überrascht fuhr Emily herum und sah ein kleines Mädchen vor sich, das auf einem Heuhalm herumkaute. Es war etwa sieben, trug dreckige, abgeschnittene Jeans und ein fleckiges T-Shirt. Emily musste lächeln. »New Jersey.«

»Warum ist das dein Zuhause?«

»Weil alle meine Freunde dort wohnen.«

»Oh.« Das Mädchen dachte einen Moment lang über Emilys Worte nach. »Du kannst meine Freundinnen kennenlernen«, sagte es dann. »Sie sind nett.«

Emily musste lachen und ihre Anspannung ließ etwas nach. »Ja, danke, das ist lieb von dir.«

»Meine Freundin Tanja und ich bauen uns gerade eine Höhle in der Scheune. Ich wollte nur eben ein paar Pferdedecken holen, auf denen wir sitzen können. Willst du mitkommen?«

Emily blickte zum Stall. »Ich kann jetzt gerade nicht. Aber ein andermal gern.«

Das Mädchen nickte.

»Wie heißt du eigentlich?«, wollte Emily wissen.

»Kathleen, und du?«

»Ich bin Emily.«

»Meine Cousine Emily?«, fragte Kathleen.

»Richtig.«

»Dann wohnst du ja bei uns?«

»Für ein paar Tage.«

»Mommy hofft, dass ihr nicht wieder weggeht. Dass ihr für immer bleibt.«

»Für immer? Wir sind nur zum Begräbnis …« Emily runzelte die Stirn. Hatte ihr Vater ihr womöglich etwas verschwiegen … Klar, es war sicher toll, auf einer Pferdefarm zu leben, aber es war nicht ihr Zuhause. Sie wollte nicht hierbleiben. Natürlich würde Scott so eine Entscheidung nicht über ihren Kopf hinweg treffen, oder doch? Was, wenn ihm die Ranch so sehr gefehlt hatte, dass er nicht nach New Jersey zurückwollte?

»Na dann, bis später«, riss Kathleen sie aus den Gedanken und stürmte davon.

Emily wandte sich dem Stall zu. Dann hielt sie inne. Sie hatte keine Ahnung, wo der Südgang lag.

Instinktiv beschloss sie, nach rechts zu gehen – und fand Saphir schließlich in der letzten Box.

Er döste in seinem Stall mit hängendem Kopf, das rechte Hinterbein angewinkelt. Auf seinem Rücken lag eine zerlöcherte Abschwitzdecke aus Fleece, die einmal königsblau gewesen sein musste, jetzt aber schmutziggrau aussah. Trotzdem wirkte er majestätisch mit seiner breiten Brust und dem muskelbepackten Hals.

»Saphir!«

Er riss den Kopf hoch und wandte sich ihr zu. Seine schokoladenbraunen Augen leuchteten selbst im Halbdunkel des Stalls.

»Ich bin’s, Emily!«

Seine Ohren schnellten nach vorn und dann wieherte er leise zur Begrüßung.

Emily musste lächeln und wusste: Alles würde gut werden.

Kapitel 4

Saphir kam langsam zur Tür, als Emily den Riegel aufschob und die Box betrat. Sofort senkte er den Kopf und schnupperte auf der Suche nach MilchshakeÜberresten an ihren Jeans.

»Saphir.« Seufzend schlang Emily die Arme um den Hals des Rappen und drückte ihr Gesicht in seine Mähne. Sie duftete angenehm nach Sägespänen. Noch einmal seufzte Emily zufrieden.

Saphir wieherte und begann, am Saum ihres T-Shirts zu knabbern. Sie streichelte seinen Kopf, dann öffnete sie die Brustschnalle der Decke. Sie kicherte, als er mit dem Maul über ihren Oberschenkel fuhr. »Sorry, von der Eiscreme ist nichts mehr übrig.« Sie kraulte seinen Hals und bemerkte getrockneten Schweiß unter den Fingernägeln. »Du müsstest mal geputzt werden, Süßer, was! Warte, ich bin gleich wieder da!«

Sie trat aus der Box, verriegelte sie und schnappte sich aus der Putzbox, die im Gang stand, eine Kardätsche und einen Gummistriegel.

Als sie zurück in die Box schlüpfte, rieb Saphir den Kopf an ihrem Bauch. »Hey, hab ich dir gefehlt?«

Sie nahm ihm die Decke ab, warf sie über die Tür und begann, ihn zu striegeln. Mit gespitzten Ohren beobachtete Saphir sie. »Ich bin übrigens hier, weil mein Großvater gestorben ist«, plapperte Emily drauflos. »Daddy sagt, er wäre cool gewesen, aber ich habe ihn nie kennengelernt. Er war Tierarzt, genauso wie mein Onkel.«

Saphir schlug mit dem Schweif, als sie seinen Rumpf zu bearbeiten begann. Seine Muskeln strotzten unter dem Fell.

Kichernd fing Emily seinen Schweif ein. »Schlag mir damit ja nicht ins Gesicht, mein Freund!« Sie zupfte die Sägespäne aus den Haaren und grinste, als sie spürte, dass er versuchte, den Schweif freizubekommen.

Schließlich begann er zu tänzeln und drängte sie an die Boxenwand.

Dann drehte er ihr wieder den Kopf zu und sah sie mit leuchtenden Augen und gespitzten Ohren an, als würde er sich über sie lustig machen.

»Weißt du, Bolero steht immer mucksmäuschenstill, wenn ich ihn putze«, sagte sie. »Aber ich muss zugeben, das hier ist lustiger.«

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, schlug Saphir so kräftig mit dem Schweif, dass er ihr aus den Händen glitt und ins Gesicht klatschte.

Kaum hatte sich Emily von dem Schreck erholt, drehte Saphir sich um, senkte den Kopf und gab ihr einen Schubs, sodass sie ins Stolpern geriet und auf dem Hintern landete. Vorsichtig kam er näher und schnüffelte an Emilys Haar.

Sie musste wieder grinsen. »Nächstes Mal bringe ich was zum Naschen mit. Vielleicht ein paar Brownies? Würde dir das gefallen?«

»Emily?« Ein ungläubiger Tonfall schwang in der Stimme ihrer Tante mit, als sie vor der Boxentür erschien.

»Oh, hallo.« Emily rappelte sich auf. »Ich habe ihn gerade ein bisschen übergeputzt. Er war ganz verschwitzt. Ich hoffe, das ist okay?«

Tante Debby sah verärgert aus. »Eigentlich ist das nicht in Ordnung. Ich arbeite gerade hart an seinen Stallmanieren. Er muss links und rechts angebunden werden beim Putzen. Ihn dazu zu ermutigen, einen umzuschubsen, ist wenig hilfreich für meine Erziehung. «

Emily spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen. »Tut mir leid. Ich wollte mich nur nützlich machen.«

Emilys Vater trat in diesem Moment hinter seine Schwester. Er hatte seine braune Anzughose und die polierten Halbschuhe gegen ein Paar ausgeblichene Jeans und Stiefel getauscht. Emily riss überrascht die Augen auf. Sie hatte nicht gewusst, dass ihr Vater solche Klamotten besaß!

»Sei nicht so streng, Deb«, sagte er. »Sie konnte das ja nicht wissen. Es war doch lieb von ihr, ihn zu putzen, ohne dazu aufgefordert worden zu sein.«

Tante Debby runzelte die Stirn und nickte. »Du hast recht. Emily, danke für deine Hilfe.«

Saphir legte den Kopf auf Emilys Schulter und schnaubte.

»Kein Problem, beim nächsten Mal binde ich ihn an, versprochen.« Emily streckte den Arm aus und streichelte Saphirs Hals.

»Ich habe dich gesucht, Kleine«, sagte ihr Vater. »Ich muss noch mal kurz in die Stadt, was besorgen. Und da dachte ich, du kommst mit und ich zeige dir ein bisschen mehr von der Gegend.«

Emily seufzte. »Na gut.« Sie konnte sich nur schwer von Saphir trennen. »Aber ich muss ihm noch eben die Decke auflegen und …«

»Ich kümmere mich darum«, fiel Tante Debby ihr ins Wort.

Emily biss sich auf die Lippe, als Debby in die Box trat. »Darf ich ihn vielleicht mal reiten?«, wagte sie dann zu fragen.

Ihre Tante musterte sie abschätzend. »Weißt du was? Ich gebe dir morgen früh eine Reitstunde und danach sehen wir weiter. Ist das ein Deal?«

»Echt? Das wäre toll!« Emily klatschte vor Freude in die Hände. »Wann denn morgen?«

»Um acht.«

»Um acht?« Emily schluckte. Sie sollte in den Ferien so früh aufstehen?

»Am Nachmittag ist die Beerdigung.«

Ach ja, richtig, schoss es Emily durch den Kopf. »Um acht ist okay«, sagte sie schnell.

Tante Debby nickte. »Ich muss noch überlegen, auf wem ich dich reiten lasse. Bevor du morgen auf den Platz kommst, schau doch schnell auf dem Schwarzen Brett in der Sattelkammer nach, wen ich dir zugeteilt habe.«

»Was ist denn mit Saphir?«, fragte Emily.

Tante Debby schüttelte den Kopf. »Bevor ich nicht weiß, ob du in der Lage dazu bist, ihn zu reiten, bleibt er im Stall.«

»Aber …«

Scott fasste Emily am Arm. »Komm schon, Em. Wir müssen jetzt wirklich los, die Geschäfte schließen in einer halben Stunde.«

»Bis dann.« Emily drückte Saphir einen Kuss auf die Blesse, wirbelte herum und folgte ihrem Vater.

Er tätschelte ihre Schulter, als sie die Stallgasse hinuntergingen. »Sieht so aus, als wäre Bolero Geschichte, was?«

»Wie kommst du denn darauf?« Emily drehte sich noch einmal um und warf Saphir einen sehnsüchtigen Blick zu. »Ich würde ihn so gerne reiten, Dad.«

Ihr Vater wuschelte ihr durchs Haar. »Was die Pferde betrifft, nimmt es Tante Debby sehr genau. Du wirst beweisen müssen, was du kannst.«

»Das werde ich.« Emily ballte die Hände zu Fäusten. Alles würde von der Reitstunde morgen abhängen. Sie musste alles geben!

Kapitel 5

Emily war schwindelig vor Aufregung, als sie am nächsten Morgen die Sattelkammer betrat. Sie war früh aufgestanden, um ihre Gummireitstiefel zu putzen. Das tat sie eigentlich nie, denn normalerweise trug sie diese nur bei der Stallarbeit. Und sie hatte sich die Zeit genommen, ihr Haar zu flechten wie bei einem Turnier, sodass keine Strähne unter dem Helm hervorschaute. Tante Debby sollte sehen, dass es ihr ernst war, wenn es ums Reiten ging.

Sie schaute aufs Schwarze Brett. Deb hatte ihr ein Pferd namens Moondance zugeteilt. Als sie ihren Namen unter dem des Pferdes las, wurde ihr mit einem Mal ganz flau im Magen. Nun war der Augenblick gekommen, sich zu beweisen.

Emily fand schnell die richtige Trense und den dazu passenden Sattel. Sie biss sich auf die Unterlippe. Bei dem Gedanken daran, was wäre, wenn sie ihre Sache heute verpatzte, wurde ihr ganz schlecht.

Nein. Das würde nicht passieren. Alles würde gut gehen.

Auf dem Weg durch den Stall lief sie kurz bei Saphir vorbei, um ihm ein Leckerli zuzustecken und ihn kurz zu knuddeln. Dann ging sie zu Moondances Box. Bevor sie sie betrat, hievte sie den Sattel auf den ausklappbaren Sattelbock.

Eine schneeweiße Schimmelstute döste in der mit frischem Stroh eingestreuten Box.

»Guten Morgen, ich bin Emily!«

Moondance hob den Kopf, um den Neuankömmling in Augenschein zu nehmen, und senkte ihn dann sofort wieder.

Emily grinste. »Jaja, an manchem Morgen würde ich auch am liebsten im Bett bleiben. Aber wir werden Spaß haben, glaub mir.«

Moondance wirkte nicht besonders beeindruckt, als Emily einen Gummistriegel zur Hand nahm und die Dungflecken auf ihrer Hüfte zu bearbeiten begann. Nachdem Emily zehn Minuten lang auf derselben Stelle herumgerubbelt hatte, gab sie auf. »Meine Schöne, du bräuchtest ein Bad. Schimmel lassen sich unmöglich sauber halten.« Sie zog Moondance sanft am Ohr. »Vor allem, wenn sie sich nachts im Mist wälzen.«

Die Stute hob die Oberlippe und flehmte, und Emily musste lachen, weil es so komisch aussah. »Ah, ich verstehe schon, du schämst dich deshalb.«

Emily griff nach dem Hufkratzer, ließ die Hand an Moondances Bein hinabgleiten und lehnte sich mit der Schulter an die Vorhand. Gehorsam hob der Schimmel das Bein. Während Emily den Hufstrahl säuberte und dabei achtgab, nicht die empfindliche mittlere Strahlfurche zu verletzen, dachte sie über das Turnier in Norfolk nach. Würde Jenny Smith, ein anderes Mädchen aus dem Stall, Bolero reiten? Emily konnte Jenny nicht ausstehen, da diese jede Gelegenheit nutzte, ihr den schönen Rappen abspenstig zu machen.

Moondance schnaubte und gab Emily einen Stups.

»Du hast recht«, lachte Emily, »eigentlich kann mir das egal sein.« Sie sollte sich lieber auf das Hier und Jetzt konzentrieren.

Emily nahm das Zaumzeug und trenste die Stute auf.

Vielmehr – sie versuchte es.

In dem Augenblick, als sich das Trensengebiss Moondances Zähnen näherte, riss die Stute den Kopf hoch und richtete ihre Nase zur Decke, sodass Emily überhaupt nicht mehr daran kam. Als Emily die Trense sinken ließ, nahm Moondance den Kopf wieder herunter und tat so, als wäre alles in bester Ordnung.

»Du willst also Schwierigkeiten machen, was?« Emily schlang der Stute von unten den Arm um den Kopf, bevor sie die Trense mit der anderen Hand an deren Maul führte … Moondance wand sich jedoch aus Emilys Griff und riss den Kopf abermals in die Höhe.

Emily stöhnte frustriert auf und ließ die Hände sinken. »Okay, du legst es drauf an.« Sie dachte angestrengt nach. »Das ist sicher ein Test von Tante Debby, nicht wahr?«

Moondance schüttelte den Kopf, drehte sich um und begann, Heu zu fressen.

»Wenn du meinst, ich würde aufgeben, irrst du dich gewaltig.«