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Patric Brugger, Regula Kyburz-Graber

Unterrichtssituationen meistern

20 Fallstudien aus der Sekundarstufe II

ISBN Print: 978-3-0355-0430-9

ISBN E-Book: 978-3-0355-0431-6

 

 

1. Auflage 2016

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 hep verlag ag, Bern

 

www.hep-verlag.com

Inhalt

Was bringt dieses Buch?

Unterrichten ist eine einzigartige Tätigkeit

Fallbeispiele aus der Praxis von Lehrpersonen für Maturitätsschulen

Themenkreise der Fallbeispiele

Anregungen zum Studium der Fallbeispiele

Einführung in die Methodik der Fallstudie

Fallstudien in der Forschung

Fallstudien als didaktische Methode

Fallstudien in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen

Vorgehen bei der Fallstudienarbeit

Unterrichtsplanung und -durchführung

Heterogene Klassenzusammensetzung

Mündliche Beteiligung

Verweigerung von vertiefter Arbeit

Trittbrettfahrer bei der Arbeit in Gruppen

Fachliche Vorbereitung

Klassenfeedback

Konflikt mit Lehrplan

Klassenführung

Den Unterricht sabotierendes Verhalten

Eine impulsive Klasse oder das «Chaos»

Kleider machen Schülerinnen

Rivalitäten zwischen Jugendlichen

Angespanntes Verhältnis Klasse – Klassenlehrperson

Mögliche Rollenkonflikte Lehrperson – Privatperson

Leistungsbeurteilung und Förderung

Benotung der mündlichen Beteiligung

Benotung von Gruppenarbeiten

Gestaltung und Korrektur einer schriftlichen Prüfung

Notenpolitik der Schulleitung

Nachprüfungen

Betreuung einer Maturitätsarbeit

Umgang mit Teilleistungsschwächen (z. B. ADHS)

 

Was bringt dieses Buch?

Unterrichten ist eine einzigartige Tätigkeit

Unterrichten ist eine einzigartige Tätigkeit

Unterrichten ist vielschichtiger als alle anderen beruflichen Tätigkeiten, die mit der Interaktion mit Menschen zu tun haben. Eine Ärztin hat es in der Sprechstunde mit einer einzelnen Person, vielleicht höchstens einmal mit mehreren Familienangehörigen gleichzeitig zu tun; ein Büroangestellter interagiert in Bürositzungen gleichzeitig mit wenigen, vielleicht höchstens zehn Kolleginnen und Kollegen; eine Geschäftsführerin einer Firma hat meist nur mit direkt unterstellten Kadermitarbeitenden zu tun, also sechs bis zehn Personen; eine Verwaltungsratspräsidentin interagiert an Verwaltungsratssitzungen vielleicht mit zehn Verwaltungsratsmitgliedern und dem CEO der Firma. Sitzungen und Besprechungen sind einzelne Anlässe, sie bestimmen nicht jeden Arbeitstag, außer bei Ärztinnen und Ärzten. Zwischendurch arbeiten die meisten Berufsleute individuell oder in kleinen Teams an ihrem Arbeitsauftrag.

Eine Lehrperson hingegen interagiert jeden Tag mehrere Stunden direkt mit 20 und mehr Kindern oder Jugendlichen. Sie muss gleichzeitig allen gerecht werden, alle berücksichtigen, individuelle Lernprobleme im Auge behalten, Entwicklungsschritte beobachten und festhalten, die einzelnen Schülerinnen und Schüler fördern und fordern, erziehen, begleiten, ermutigen, beurteilen und vieles mehr. Vor allem aber muss die Lehrperson in jeder einzelnen Unterrichtsstunde mit höchster Präsenz die Klasse so führen, dass eine wirkungsvolle Lernatmosphäre entsteht. Sie muss also fachliche und pädagogisch-psychologische Aufgaben gleichzeitig bewältigen. Dabei tritt in jeder Unterrichtsstunde Unvorhergesehenes auf, der Verlauf des Unterrichts ist nur bedingt planbar.

Fallbeispiele aus der Praxis von Lehrpersonen für Maturitätsschulen

Fallbeispiele aus der Praxis von Lehrpersonen für Maturitätsschulen

Wie herausfordernd Unterrichtssituationen erlebt werden, haben wir mit angehenden und bereits im Beruf tätigen Lehrpersonen über Jahre an Fallbeispielen aus deren Praxis untersucht. Die Fallbeispiele und die Analysen, so zeigte es sich in Weiterbildungsveranstaltungen, sind aber nicht nur für Berufsanfängerinnen und -anfänger interessant, sondern auch für Lehrpersonen mit längerer Unterrichtserfahrung.

Die Fallbeispiele stammen aus dem Pflicht-Modul mit der wenig aussagekräftigen Bezeichnung Kolloquium, das wir seit vielen Jahren für die Kandidatinnen und Kandidaten des Lehrdiploms für Maturitätsschulen anbieten. Hinter diesem «Kolloquium» verbirgt sich systematische Fallstudienarbeit während eines Semesters. Jede Studentin, jeder Student beschreibt ein eigenes Fallbeispiel, in Gruppen von 10 bis 12 Studierenden werden aus der Sicht der Studierenden relevante Fälle ausgewählt und in den Semesterplan eingefügt. Jedes Semester werden auf diese Weise insgesamt acht Fallbeispiele genau analysiert, Lösungsansätze erarbeitet und gemeinsam in einem Plenum von 50 bis 60 Studierenden diskutiert. Jede Woche bereiten sich alle Studierenden auf das Fallbeispiel, das laut Semesterplan analysiert werden soll, vor. Im Kurs arbeiten die Studierenden zunächst in Kleingruppen, die über das Semester in fester Zusammensetzung formiert sind, anschließend werden die Analyseergebnisse und Lösungsansätze im Plenum präsentiert und diskutiert, wobei die Moderation von einer Studentin oder einem Studenten, welche sich Anfang des Semesters für das betreffende Thema und Datum eingeschrieben hat, übernommen wird.

Tabelle 1 zeigt die in den vergangenen 15 Semestern mit den Studierenden durchgeführten Fallanalysen, gruppiert nach Schulfächern.

Anzahl Fälle (Total 116)

%

Fächer

26

22

Deutsch

19

16

Englisch

14

12

Geschichte

12

10

Geografie

11

9

Französisch

7

6

Biologie

7

6

Mathematik

6

5

Wirtschaft & Recht

4

4

Latein

3

3

Chemie

1

1

Moderne Sprachen

1

1

Religion

1

1

Italienisch

4

4

Keine Angabe

Tabelle 1 Zusammenstellung aller analysierten Fallbeispiele aus 15 Semestern.
Insgesamt stammen 83 der 116 Fälle (72 %) aus geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern, 29 Fälle (25 %) aus mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern, und zu 4 Fällen (3 %) liegen keine Angaben vor.

Die vorgelegten Fallbeispiele stellen an alle Beteiligten hohe Ansprüche: Genau hinschauen, wie die Situation beschrieben ist, Auffälliges benennen, Besonderes herausheben, den ganzen Kontext der Situation verstehen und dann auf diesem Hintergrund die Fallsituation analysieren und schließlich Lösungsansätze suchen. Das ist mit jedem neuen Fallbeispiel eine neue Herausforderung.

Es ist nicht nur unser Ziel, Fallanalysen im Sinne von möglichst adäquaten Lösungsansätzen zu präsentieren. Auch für unsere Diplomkandidatinnen und -kandidaten ist dies nur ein Teilziel. Wir möchten mit den vorliegenden Fallanalysen Vorgehensweisen aufzeigen, die für eine umsichtige Lösungssuche zielführend sind. Natürlich hat man während des Unterrichtsgeschehens niemals Zeit, sich analytisch derart ausführlich mit der Situation zu befassen, wie wir das im vorliegenden Buch aufzeigen. Da gilt es eben meist, unter Druck rasch zu handeln. Aber je mehr man sich außerhalb des Unterrichts mit konkreten Fällen in genauen Analysen auseinandersetzt, desto flexibler und angemessener kann man in konkreten Situationen auch handeln.

Themenkreise der Fallbeispiele

Themenkreise der Fallbeispiele

Aus den Fallbeispielen, die wir im Laufe der Jahre zusammen mit den Studierenden analysiert haben, wählten wir für das vorliegende Buch solche Fälle aus, die wir im Blick auf die Praxis von möglichst vielen Lehrpersonen der Sekundarstufe II als besonders relevant erachten. Die Fallbeispiele stammen aus unterschiedlichen Unterrichtsfächern und Klassenstufen. Die ausgewählten 20 Fallbeispiele lassen sich den drei großen Themenkreisen Unterrichtsplanung und -durchführung, Klassenführung, Leistungsbeurteilung und Förderung zuordnen (Tabelle 2).

Themenkreise

Fallbeispiele

Unterrichtsplanung und -durchführung

Heterogene Klassenzusammensetzung

Mündliche Beteiligung

Verweigerung von vertiefter Arbeit

Trittbrettfahrer bei der Arbeit in Gruppen

Fachliche Vorbereitung

Klassenfeedback

Konflikt mit Lehrplan

Klassenführung

Den Unterricht sabotierendes Verhalten

Eine impulsive Klasse oder das «Chaos»

Kleider machen Schülerinnen

Rivalitäten zwischen Jugendlichen

Angespanntes Verhältnis Klasse – Klassenlehrperson

Mögliche Rollenkonflikte Lehrperson – Privatperson

Leistungsbeurteilung und Förderung

Benotung der mündlichen Beteiligung

Benotung von Gruppenarbeiten

Gestaltung und Korrektur einer schriftlichen Prüfung

Notenpolitik der Schulleitung

Nachprüfungen

Betreuung einer Maturitätsarbeit

Umgang mit Teilleistungsschwächen (z. B. ADHS)

Tabelle 2 Zuordnung der ausgewählten 20 Fallbeispiele zu drei Themenkreisen

Anregungen zum Studium der Fallbeispiele

Anregungen zum Studium der Fallbeispiele

Zunächst mögen die Titel, welche die Studierenden als Überschrift für ihr Fallbeispiel gewählt haben, zum Lesen einladen. Manche Titel erinnern an eigene Unterrichtssituationen; damalige Gefühle werden wieder wach, Lösungsvorschläge tauchen spontan auf. Vermutlich haben wir deshalb bei unseren Studierenden in jedem Kurs erlebt, dass manche so rasch wie möglich Lösungen finden und Ratschläge erteilen wollten. Mit diesem Rückgriff auf eigene Erfahrungen geht aber auch eine gewisse kritische Distanz verloren: Wir möchten mit unserer Schritt-für-Schritt-Vorgehensweise zeigen, dass es sich lohnt, eine Fallsituation genau anzuschauen und der emotionalen Lage der Lehrperson, wie sie in der Schilderung dargestellt wird, nachzuspüren. Man muss in das Geschehen eintauchen können, natürlich immer unter der Optik der betreffenden Lehrperson.

Vielleicht ziehen Sie es als Leserin oder Leser vor, zunächst möglichst rasch in den Lösungen zu blättern. Mit der Zeit werden Sie aber zweifelslos mehr über Hintergründe und Erklärungen wissen wollen, oder Sie möchten nachvollziehen, wie man grundsätzlich an eine Fallanalyse herangeht. Dazu finden Sie bei jedem Fallbeispiel situationsbezogene Überlegungen.

Wenn Sie bei Ihrer Lehrtätigkeit in eine schwierige Situation geraten, so mögen Sie durch die Fallstudien angeregt werden, Ihre Situation für sich so zu beschreiben, wie es für die vorliegenden Fallbeispiele gemacht wurde, mit einem prägnanten Text und einem Titel. Dies kann ein erster Schritt sein, um Lösungen zu erarbeiten, allein oder mit Kolleginnen und Kollegen. Wenn Sie sich dann Zeit für die Problemanalyse nehmen und Schritt für Schritt vorgehen, wie wir dies mit den vorliegenden Fallstudien exemplarisch zeigen, werden sich schließlich Lösungsmöglichkeiten abzeichnen. Die nützlichen Erfahrungen, welche die angehenden Studierenden bei der Fallstudienarbeit machten, haben uns veranlasst, eine Auswahl von Fallstudien einem größeren Kreis von Lehrpersonen als Anregung zugänglich zu machen, wie sich herausfordernde Unterrichtssituationen bewältigen lassen.

Einführung in die Methodik der Fallstudie

Fallstudien werden grundsätzlich in zwei verschiedenen Zusammenhängen eingesetzt:

(1)Fallstudien als Forschungsmethodik im Rahmen der empirisch-qualitativen Sozialforschung: Hier dient die Fallstudie der Erforschung von komplexen sozialen Situationen, in denen Einzelpersonen oder Gruppen agieren.

(2)Fallstudien als didaktische Methode im Rahmen von handlungs- und entscheidungsorientiertem Unterricht: Hier dient die Fallstudie der Auseinandersetzung mit einem realen Problem mit dem Ziel, dass die Lernenden Wissen und Fähigkeiten erwerben, um schließlich eine begründete Entscheidung in der Beurteilung des gestellten Problems zu treffen.
Eine Variante dieser Form hat sich in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen bewährt, indem Fallstudien als Werkzeug eingesetzt werden, um problematische Situationen im eigenen oder hospitierten Unterricht zu analysieren und Lösungen zur Verbesserung zu entwickeln. Dabei erweitern die Lehrpersonen ihr eigenes Fallwissen und bereiten sich auf das Handeln unter Druck (Wahl 1991, 2013) in zukünftigen Situationen vor.

Fallstudien in der Forschung

Fallstudien in der Forschung

Soziale Situationen, wie z. B. Unterricht, Krankenpflege, Beratung und Therapie, Change-Management-Situationen in Unternehmungen und Firmen, Familienhaushalte, Betriebe, sind hochkomplex und vielschichtig. Menschen mit ihren Erfahrungen, Einstellungen, Werthaltungen, früheren Erlebnissen, Entwicklungen und Ideen prägen die jeweiligen Situationen. Zusätzlich spielen die gegebenen gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen wie Wertvorstellungen, Normen, Gesetze und kulturelle Routinen eine handlungsrelevante Rolle. Den Beteiligten sind Hintergründe und Einschränkungen für das Denken und Handeln oft nicht bewusst. In Fallstudien lassen sich die komplexen Zusammenhänge Schicht für Schicht aufdecken und zur Erklärung und Lösung von Problemen heranziehen. Anders als mit einer distanziert-abstrahierenden Forschungsmethodik, wie sie zum Beispiel bei einer Fragebogenerhebung angewendet wird, ist das Ziel einer Fallstudie, so nahe wie möglich an das Geschehen heranzukommen. Fragebogendaten können zwar ebenfalls in eine Fallstudie einfließen, sie mögen die Sicht ergänzen. Aber für eine vertiefende Analyse braucht es andere Instrumente, wie etwa die Analyse von Dokumenten, Gespräche in Form von Interviews, Fokusinterviews, Erzählungen und moderierte Gruppengespräche. Weitere Methoden sind die teilnehmende Beobachtung und das «Shadowing», d. h. die Begleitung von einzelnen Personen über einen bestimmten Zeitraum (Stake 1995). In einer Fallstudie wird nicht nach dem «Wie viel» gefragt, sondern nach dem «Was» und «Wie» und schließlich auch nach dem «Warum» in der betreffenden Situation.

Fallstudien als Forschungsmethodik haben eine längere Tradition in den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften und in der Soziologie. Ein Standardwerk zur Fallstudienforschung ist «Case Study Research: Design and Methods» des amerikanischen Sozialwissenschaftlers Robert K. Yin (2012, 2014). Die wohl berühmteste Fallstudie ist William F. Whytes jahrelange Untersuchung eines Chicagoer Viertels mit Bewohnern italienischer Herkunft, der sogenannten «Street Corner Society» (1955, 1996 auf Deutsch). Dem Autor ist es hier gelungen, in präziser, beschreibender, analytischer und interpretierender Weise die Besonderheit des Lebens in einem Quartier italienischer Migrantinnen und Migranten zu erfassen.

Durch Fallstudien wollen Forscherinnen und Forscher durch ein explorierendes Vorgehen zu beschreibenden und möglichst auch zu erklärenden Aussagen über den Untersuchungsgegenstand gelangen. Durch die Methode der dichten Beschreibung wird versucht, ein ganzheitliches Verständnis des Untersuchungsgegenstandes unter Einbezug von möglichst vielen als relevant erkannten Variablen zu erreichen. Der Analyse- und Interpretationsvorgang soll dabei jederzeit für Außenstehende nachvollziehbar und plausibel sein, vergleichbar einer Indizienkette in einem Gerichtsverfahren (Kyburz-Graber 2004, 2016).

Eine oft diskutierte Frage ist, ob sich die mit Fallstudien gewonnenen Erkenntnisse auf neue Fälle übertragen lassen. Mit einer oder mehreren Fallstudien lassen sich, zum Beispiel wie bei einem naturwissenschaftlichen Experiment, verallgemeinernde Hypothesen generieren, die sich durch weitere Fallstudien oder andere forschungsmethodische Vorgehensweisen überprüfen lassen. Die Hypothesen gelten so lange als wahr, als sie sich nicht falsifizieren lassen. Fallstudien dienen aber auch oft als sogenanntes Sozialreportage-Modell, d. h. sie stehen exemplarisch für vergleichbare soziale Situationen, ohne dass sie den Anspruch erheben, allgemein gültig zu sein. Yin (2013) spricht hier von analytischer, theoriegeleiteter Generalisierung im Vergleich zu statistischer Generalisierung.

Fallstudien als didaktische Methode

Fallstudien als didaktische Methode

Fallstudien als didaktische Methode haben ihren Ursprung in der Ausbildung von Studierenden der Rechtswissenschaften an der Harvard Graduate School of Business Administration. Die Ursprünge sollen bis ins 19. Jahrhundert zurückgehen (Kaiser 1983, Kaiser und Kaminski 2011). Dabei wurden im Unterricht Gesetzmäßigkeiten am Beispiel von praktischen Gerichtssituationen induktiv vermittelt (Kasuistik, Harvard-Methode). Im Jahre 1985 folgte die Harvard Medical School der Fallstudientradition. Auch hier war die Überzeugung, dass ganz typische und repräsentative Beispiele aus der Praxis sich gut eignen, um Studentinnen und Studenten für die Praxis vorzubereiten.

In den Schulunterricht haben die Fallstudien als didaktische Methode erst später Eingang gefunden, zunächst vor allem im wirtschaftswissenschaftlichen Unterricht (Weitz 2000). Fallstudienarbeit gehört zur sogenannten «Anchored instruction»-Didaktik und bildet eine mögliche Variante zur Umsetzung des situierten Lernens anhand authentischer Situationen. Schülerinnen und Schüler lernen an gut ausgewählten Fallsituationen grundlegende Denkfertigkeiten und -strategien, wie

Probleme analysieren,

Informationen sammeln, strukturieren, auswerten und diskutieren,

Lösungsvarianten entwickeln,

begründete Entscheidungen treffen und argumentativ vertreten.

 

Die Fallstudie wird deshalb auch als methodische Entscheidungsübung bezeichnet. Als Fall wird eine Situation aus dem Alltag oder Erfahrungshorizont der Lernenden gewählt. Das Material für die Bearbeitung eines Falles wird in der Regel möglichst umfassend angeboten, die Lösung wird offengelassen. Zum didaktischen Material gehören eine Situationsbeschreibung des Falles; Fakten, Meinungen, Ansichten zum Fall; Vorschlag zum Vorgehen; Erwartungen bezüglich Lösungen. Bei Varianten der Fallstudienmethodik müssen die Lernenden selbst zusätzliche Informationen recherchieren, oder Lösungen werden mit dem Material angeboten und die Lernenden haben die Aufgabe, diese kritisch zu beurteilen und eine begründete Entscheidung für eine Lösungsvariante zu treffen oder eine alternative Lösung zu entwickeln.

Fälle können eine Person (real oder als literarische Figur), eine Institution, ein politisches Ereignis, eine Entscheidungssituation einer Einzelperson oder einer Gruppe, ein öffentliches Projekt, ein Programm sein. Der Fall soll herausfordern und Interesse wecken. Wichtig ist, dass mit dem Material nicht nur Fakten zur Verfügung gestellt werden, sondern dass auch Wertkonflikte, unterschiedliche Meinungen, Hintergründe der Akteure usw. thematisiert werden. Wichtige Materialien sind zum Beispiel: Berichte, Stellungnahmen, Gutachten, Zeitungsartikel, Leserbriefe, Pläne, historische Dokumente, Bilder. Interessant an der Fallstudienarbeit ist die Auseinandersetzung mit der Komplexität der realen Situation. Eine didaktische Reduktion dieser Komplexität würde dem Prinzip der Konfrontation mit der Alltagsrealität zuwiderlaufen. Dies trifft auch für die gesuchten Lösungen zu: Es wird selten eindeutige Lösungen geben, die Lernenden haben Vor- und Nachteile abzuwägen und sich schließlich für eine Lösung zu entscheiden, im Bewusstsein darum, dass der aktuelle Wissensstand immer vorläufig und mit Fehleinschätzungen behaftet sein kann. Bei der Auswertung der Ergebnisse hat die Lehrperson die Aufgabe, grundsätzliche Kenntnisse, die mit der Fallbearbeitung erworben wurden, bewusst zu machen.

Beispiele für Fallstudien finden sich unter http://sciencecases.lib.buffalo.edu/cs/ und http://alt.sowi-online.de/methoden/dokumente/weitzfall.htm.

Fallstudien in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen

Fallstudien in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen

In der Aus- und Weiterbildung werden Fallstudien als didaktische Methode eingesetzt. In der konkreten Anwendung lehnen sie sich aber an die Fallstudien als Forschungsansatz an. Als didaktische Methode in der Bildung von Lehrpersonen werden sie von Bastian und Helsper (2000) so begründet:

Für die Förderung der individuellen Professionalität bedarf es der Stärkung zweier Wissenstypen: Neben dem bislang eindeutig dominierenden Fachwissen, dem bislang eher drittrangigen erziehungswissenschaftlichen Theoriewissen und dem sich zumeist unter beruflichen Sozialisations- und Initiationszwängen weitgehend naturwüchsig aufschichtenden methodischen und didaktischen Handlungs- und Erfahrungswissen bedürfen Lehrerinnen und Lehrer vor allem eines kasuistischen, reflexiven Fallwissens, das mit Theoriewissen vermittelt ist, sowie eines (berufs)biographisch selbstreflexiven, selbstbezüglichen Wissens. (Bastian und Helsper 2000, 182)

In der Fallbearbeitung sehen Bastian und Helsper die Möglichkeit, erfahrungsnahes Praxiswissen mit theoretischem Erklärungswissen zu verbinden. Auch in anderen grundlegenden Studien zur Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen wird die Fallarbeit als wichtige methodische Arbeitsweise benannt. So werden im Bericht «Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften», beruhend auf dem Bericht einer Arbeitsgruppe (Terhart et al. 2002, KMK 2004a), unter den didaktisch-methodischen Ansätzen für die Vermittlung bildungswissenschaftlicher Inhalte folgende als relevant erachteten Aspekte genannt: «Situationsansatz, Fallorientierung, Problemlösestrategien, Projektorganisation des Lernens, biographisch-reflexive Ansätze, Kontextorientierung, Phänomenorientierung» ([KMK] Kultusministerkonferenz 2004b). Im Beschluss von 2014 wurde die Liste ergänzt mit Praxisorientierung und Forschungsorientierung (KMK 2014). Situationsansatz, Fall- und Praxisorientierung, Problemlösestrategien, Kontextorientierung und Phänomenorientierung sind methodische Prinzipien, die alle in der Fallstudienarbeit zum Zuge kommen. In der Studie zu Standards in der Lehrerbildung postulieren Oser und Oelkers als optimale Verarbeitungstiefe von Ausbildungsinhalten eine systematische Verknüpfung von Wissen, Handeln und Reflektieren, indem die angehenden Lehrpersonen theoretisches Wissen erwerben, Übungen durchführen und Praxissituationen reflektieren (Oser 1997; Oser und Oelkers 2001). Eine solche Verknüpfung lässt sich unter anderem durch Fallstudienarbeit erreichen.

Vorgehen bei der Fallstudienarbeit

Vorgehen bei der Fallstudienarbeit

Fallstudienarbeit gehört zum Ausbildungskonzept der Universität Zürich für zukünftige Lehrpersonen an Maturitätsschulen. Die Autorin hat als Lehrstuhlinhaberin für Gymnasialpädagogik zusammen mit dem Autor über viele Jahre das Pflichtmodul für Diplomstudierende angeboten. Anders als bei der Fallstudienarbeit im Schulunterricht lehnen wir uns dabei an eine elaborierte, einem Forschungsverfahren ähnliche Vorgehensweise an. Dennoch soll mit der Fallstudienarbeit nicht der Anspruch erhoben werden, dass die angehenden Lehrpersonen durch die Fallstudien befähigt würden, Fallstudien als Forschungsmethodik anzuwenden. Ziel ist der Erwerb von theoretisch fundiertem Fallwissen durch die genaue Analyse von Unterrichtssituationen, welche die Studierenden aus ihrer Praxis einbringen. Der Umfang und die Tiefe der Analyse soll angehenden und neu im Beruf stehenden Lehrpersonen einen guten Einblick in lösungsorientiertes Bearbeiten von Praxisproblemen geben. Eine Fallanalyse als Forschungsstudie würde deutlich darüber hinausgehen (vgl. z. B. Kyburz-Graber 2016).

Die Studierenden, die sich für die Fallstudienarbeit als obligatorisches Modul einschreiben, haben alle anderen Ausbildungsmodule weitgehend abgeschlossen und bereits einige Erfahrungen mit Unterrichten gesammelt. Sie haben ein großes Praktikum in einem Gymnasium absolviert, manche von ihnen unterrichten auch bereits einige Lektionen pro Woche als Lehrbeauftragte an einer Schule. Alle Studierenden schreiben ein eigenes Fallbeispiel, dessen Länge durch ein Formular vorgegeben ist. Die Fallbeschreibung soll prägnant, klar, aussagekräftig und authentisch sein und keine Aussagen zu möglichen Lösungsansätzen machen. Der Fall soll schließlich mit einem treffenden Titel versehen werden.

Alle Fallbeschreibungen, die in diesem Buch vorkommen, stammen original von Studierenden. Wir verzichten darauf, in ihren Texten Korrekturen anzubringen, um die Originalität nicht zu beeinträchtigen. Aus dem Text geht teilweise hervor, ob es sich um eine Lehrerin oder einen Lehrer handelt. In der Analyse verwenden wir jedoch generell die Bezeichnung Lehrperson.

Die Vorgehensweise bei der Analyse vollzieht sich in den Kursen auf die Weise, wie wir sie in den 20 Fallanalysen präsentieren:

1.Was fällt auf?
Das Fallbeispiel wird in diesem ersten Schritt beschreibend erfasst, nahe am Originaltext, jedoch paraphrasierend, mit Zitaten aus dem Text in Anführungszeichen, auffallende Formulierungen hervorhebend, möglichst nicht interpretierend. Dennoch finden sich in diesem ersten deskriptiven Schritt ab und zu Andeutungen von Interpretationen, die später in der vertiefenden Analyse wieder aufgegriffen werden.

 

2.Was ist das Problem?
In diesem zweiten Schritt unternehmen wir den Versuch, auf der Basis der vorausgehenden Deskription, das zentrale Problem zu identifizieren. Es geht hier darum, das Problem zu verstehen. Die Problemformulierung sollte für die Leserinnen und Leser nachvollziehbar sein. Selbstredend gäbe es aufgrund der Fallbeschreibung mehrere Probleme zu formulieren, zum Beispiel auch aus der Perspektive von Lernenden oder weiteren in den Fall involvierten Personen. Wir identifizieren jeweils das als Problem, was aus der Sicht der jungen Lehrperson am dringlichsten erscheint, oftmals auch unter Einbezug der Befindlichkeit, die aus ihren Sätzen spricht.

 

3.Erklärungsansätze und Hintergründe
Im dritten Schritt beleuchten wir verschiedene Aspekte der Problemsituation aus theoretischer Sicht, jedoch immer unter Bezug zum konkreten Fall. Es geht hier im Gegensatz zum ersten und zweiten Schritt darum, das geschilderte Geschehen zu erklären. Dieser dritte Schritt ließe sich beliebig ausbauen. Wir müssen allerdings berücksichtigen, dass wir mit dem Fallbeispiel einzig die Perspektive der betreffenden Lehrperson kennen. Einiges muss spekulativ bleiben. Wir beschränken uns in der Analyse auf das, was die Studierenden in den Kursen wichtig und besonders interessant fanden. Erst durch die genaueren Erklärungsversuche traten manchmal unerwartete Aspekte auf, mit denen die Fallanalyse theoretisch angereichert werden konnte.

 

4.Lösungsansätze
Im vierten und letzten Schritt stellen wir Lösungsansätze dar, die sich sozusagen als Früchte aus den bisherigen Schritten, vor allem aber aus Schritt 3, ergeben. Bewusst sprechen wir hier von Lösungsansätzen, erstens weil es nicht die Lösung, sondern immer mehrere Möglichkeiten gibt und zweitens weil es sich nicht um fertige Lösungen handelt, die sich in der Praxis überprüfen lassen, sondern um Ansätze, die im konkreten Kontext weiterzuentwickeln oder anzupassen sind. Aufgrund der Schritte 1 bis 3 sollten die Lösungsansätze nachvollziehbar und plausibel sein, zugleich auch so konkret, dass weniger erfahrene Lehrpersonen daraus Vorgehensweisen für den eigenen Unterricht ableiten können.

 

Wir hoffen, dass wir mit dem standardisierten Vorgehen Lehrpersonen anregen können, eigene Überlegungen zu den geschilderten Fallbeispielen anzustellen, zu vergleichen, nachzudenken, sich mit anderen auszutauschen und schließlich Situationen aus dem eigenen Unterricht in ähnlicher Vorgehensweise zu bearbeiten, allein, mit einem «kritischen Freund» (Altrichter und Posch, 2006), in Intervisions- oder Supervisionsgruppen, oder an Weiterbildungsveranstaltungen.

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Abbildung 1: Vorgehensweise bei der Fallstudienarbeit. Unter der Frage «Was fällt auf?» wird der Fall zunächst beschreibend erfasst. Darauf aufbauend wird das zentrale Problem identifiziert, worauf sich die genaue Fallanalyse mit Erklärungsansätzen und Hintergründen anschließt. Daraus werden Lösungsansätze abgeleitet und anhand der Fallbeschreibung überprüft.

Literatur

Altrichter, H. und Posch, P. (2006). Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht. Unterrichtsentwicklung und Unterrichtsevaluation durch Aktionsforschung. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Bastian, J. und Helsper, W. (2000). Professionalisierung im Lehrberuf – Bilanzierung und Perspektiven. In: J. Bastian et al. (Hrsg.). Professionalisierung im Lehrerberuf. Von der Kritik der Lehrerrolle zur pädagogischen Professionalität. Opladen: Leske und Budrich. S. 167 –192.

Kaiser, F.-J. (Hrsg.) (1983). Die Fallstudie. Theorie und Praxis der Fallstudiendidaktik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Kaiser, F.-J. und Kaminski, H. (2011). Methodik des Ökonomieunterrichts. Grundlagen eines handlungsorientierten Lernkonzepts mit Beispielen. 4., vollständig überarbeitete Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

KMK Kultusministerkonferenz (2004a). Standards für die Lehrerbildung: Bericht der Arbeitsgruppe. www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16-Standards_Lehrerbildung-Bericht_der_AG.pdf (26.10.2015)

KMK Kultusministerkonferenz (2004b, 2014). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften. http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16-Standards-Lehrerbildung.pdf (26.10.2015)

Kyburz-Graber, R. (2004). Does Case-Study Methodology Lack Rigour? The Need for Quality Criteria for Sound Case-Study Research, as Illustrated by a Recent Case in Secondary and Higher Education. Environmental Education Research, 10 (1), pp. 53–65.

Kyburz-Graber, R. (2016). Case Study Research on Higher Education for Sustainable Development: Epistemological Foundation and Quality Challenges. In: M. Barth et al. (Eds.). Routledge Handbook of Higher Education for Sustainable Development. London: Routledge. pp. 126 – 141.

Oser, F. und Oelkers, J. (2001). Die Wirksamkeit der Lehrerbildungssysteme. Von der Allrounderausbildung zur Ausbildung professioneller Standards. Zürich: Rüegger.

Oser, F. (1997). Standards in der Lehrerbildung. Beiträge zur Lehrerbildung 15 (1), S. 26 – 37.

Stake, R. E. (1995). The Art of Case Study Research. Thousand Oaks, CA: Sage Publications.

Terhart, E. (2002). Standards für die Lehrerbildung. Eine Expertise für die Kultusministerkonferenz. http://alt.sowi-online.de/reader/lehrerausbildung/terhart_standards.htm. Originalpublikation unter: Zentrale Koordination Lehrerausbildung (ZKL–Texte Nr. 23). Westfälische Wilhelms-Universität Münster.

Wahl, D. (1991). Handeln unter Druck. Der weite Weg vom Wissen zum Handeln bei Lehrern, Hochschullehrern und Erwachsenenbildnern. Weinheim: Deutscher Studienverlag.

Wahl, D. (2013) Lernumgebungen erfolgreich gestalten. Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln. 3. Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Weitz, B. O. (2000). Fallstudienarbeit in der ökonomischen Bildung. Hochschuldidaktische Schriften des Instituts für Betriebswirtschaftslehre der Universität Halle-Wittenberg. Beitrag 4/2000. (Siehe auch http://alt.sowi-online.de/methoden/dokumente/weitzfall.htm)

Whyte, W. F. (1955). Street Corner Society: The Social Structure of an Italian Slum. Chicago: University of Chicago.

Whyte, W. F. (1996). Die Street Corner Society. Die Sozialstruktur eines Italienerviertels. Einführung von Peter Atteslander. Nachdruck der 3., durchgesehenen und erweiterten Auflage. Berlin: De Gruyter.

Yin, R. K. (2014). Case Study Research. Design and Methods. 5th edition. Thousand Oaks: Sage Publications.

Yin, R. K. (2012). Applications of Case Study Research. 3rd edition. Los Angeles: Sage Publications.

Unterrichtsplanung und -durchführung

Dieses Kapitel handelt von Aspekten des Unterrichtens, die mit der Planung, der konkreten Ausgestaltung und der Verbesserung von Unterricht zusammenhängen.

Im Fallbeispiel «Heterogene Klassenzusammensetzung» stellt sich die Englischlehrperson die Frage, wie sie es schaffen kann, den sehr unterschiedlichen Voraussetzungen der Lernenden in einer neu zusammengesetzten Klasse gerecht zu werden, ohne die einen zu überfordern und die anderen zu unterfordern. Vor allem geht es aber auch um ihre eigene Belastung in dieser Situation.

Im Fallbeispiel «Mündliche Beteiligung» möchte die Geschichtslehrperson einen Weg finden, um möglichst alle Lernenden für die mündliche Mitarbeit im Unterricht zu gewinnen. Mit dem Hinweis auf die Benotung der mündlichen Beteiligung erreicht die Lehrperson keine Verbesserung. Die Frage stellt sich, wie der Unterricht didaktisch so gestaltet werden kann, dass sich die Lernenden aus eigenem Interesse aktiv beteiligen.

Im Fallbeispiel «Verweigerung von vertiefter Arbeit» stellt die Englischlehrperson fest, dass es ihr nicht gelingt, den Lernenden die Bedeutung einer vertieften Auseinandersetzung mit dem literarischen Text näherzubringen. Auch hier stellt sich unter anderem die Frage, welches didaktische Arrangement für eine vertiefende Arbeit der Lernenden geeignet ist.

Mit dem Fallbeispiel «Trittbrettfahrer bei der Arbeit in Gruppen» kommen grundsätzliche Fragen der Gruppenarbeit im Unterricht zur Sprache. Für die Biologielehrperson erweist es sich als schwierig, Gruppenarbeit so anzulegen, dass alle Lernenden aktiv mitarbeiten und es keine Trittbrettfahrer gibt. Die Analyse der Situation zeigt Hintergründe und didaktische Möglichkeiten für das Arbeiten in Gruppen.

Im Fallbeispiel «Fachliche Vorbereitung» beschreibt die Geschichtslehrperson die Schwierigkeiten, die sich stellen, wenn sie trotz aufwendiger fachlicher Vorbereitung durch Fragen der Lernenden im Unterricht immer wieder an ihre fachlichen Grenzen stößt. Sie fühlt sich dadurch verunsichert und empfindet das Abschieben auf die nächste Stunde als unprofessionell. In der Analyse wird aufgezeigt, wie die Lehrperson mit den eigenen hohen fachlichen Ansprüchen umgehen kann.

Das Fallbeispiel «Klassenfeedback» zeigt auf, dass das Einholen von Feedback bei der Klasse zwar für eine stetige Verbesserung des Unterrichts unabdingbar ist, aber auch Selbstzweifel und Enttäuschung hervorrufen kann. Die Analyse zeigt Möglichkeiten für Feedbacks und der Ergebnisinterpretation auf, wie auch Wege, um gelassener, aber dennoch selbstkritisch mit Feedbacks umgehen zu können.

Im Fallbeispiel «Konflikt mit Lehrplan» wird die Frage aufgeworfen, ob die Mathematiklehrperson vom Lehrplan abweichen soll bzw. darf, wenn sie der Auffassung ist, dass der Lehrplan den aktuellen Anforderungen in einem Hochschulstudium nicht entspricht. Die Analyse zeigt die Rahmenbedingungen und den Spielraum in der Umsetzung eines Lehrplans auf, vor allem aber auch das notwendige fachliche Gespräch innerhalb der Fachschaft und der Fachkolleginnen und -kollegen.

Heterogene Klassenzusammensetzung

Titel Heterogene Klassenzusammensetzung

Fach
Englisch

Schultyp
Langzeitgymnasium

Klassenstufe
3. Klasse/9. Schuljahr

Klassengröße
27 und 25

Zusammensetzung der Klasse
Gemischt

Besondere Umstände
Gutes Klassenklima

Beschreibung des Falles

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Ich unterrichte zum ersten Mal in meiner Laufbahn als Englischlehrerin zwei Probezeitklassen, wobei ich mit verschiedenen Problemen konfrontiert wurde. Die Klassen setzen sich aus 27 bzw. 25 Schüler/innen zusammen, die entweder bereits zwei Jahre Kantonsschule[1] hinter sich haben oder aber von der Sekundarschule zu uns stießen. Der Probezeitunterricht ist entsprechend den allgemeinen Richtlinien sehr intensiv; es sind zum Beispiel 4 – 5 schriftliche Arbeiten vorgesehen, die auf nur zwei Monate zu verteilen sind. Um Stoff für diese Prüfungen zusammenzubekommen, werden in kurzer Zeit relativ viele Inhalte behandelt, was die Schüler/innen natürlich fordert – und zum Teil eben auch überfordert.

Das Problem besteht darin, dass die Klassen ungemein heterogen sind: Es finden sich Schüler/innen, die muttersprachlich Englisch sprechen, klar im Vorteil liegende «Kantonsschüler/innen», die das System und die Aufgabenstellungen bereits in- und auswendig kennen, und ziemlich viele «Sekundarschüler/innen», die in den meisten Fällen hoffnungslos überfordert sind und starke Englisch-Defizite aufweisen.

Es muss hier erwähnt werden, dass das Klima in diesen Klassen wirklich als sehr gut eingestuft werden kann bzw. dass die Schüler/innen einander gegenseitig unterstützen und generell sehr motiviert und lernbegeistert sind. Dies zeigte sich auch dadurch, dass schwache Schüler/innen (und zum Teil auch deren Eltern) sich sehr schnell zu Beginn der Probezeit bei mir meldeten und um zusätzliche Unterstützung bezüglich des Englischunterrichts baten. Ich habe ihnen in der Folge verschiedene zusätzliche Aufgabenblätter mit oder ohne Lösungen verteilt, Kapitel aus zusätzlichen Lehrmitteln und/oder Wörterbüchern kopiert, Grammatikthemen während Pausen Einzelnen nochmals detailliert erläutert usw. Da die Probleme und Defizite individuell waren, mutierte diese Unterstützung bald zu aufwendigem Einzelcoaching. Wenn man die Größe der Klassen bedenkt, wird schnell klar, dass dies für die Lehrperson auf Dauer nicht machbar ist.

Auf der anderen Seite sind da im Unterricht noch die leistungsstarken/muttersprachlichen Schüler/innen, die eher unterfordert sind, da sie die zu behandelnden Themen zum Teil schon von der 2. Klasse her kennen oder aber fließend Englisch sprechen. Dies führt oft zu (zum Teil verständlichen) Unruhen. Ihnen ebenfalls zusätzliches, sie forderndes Material zu verteilen, liegt außerhalb der Lehrerkapazität und ermöglicht keinen normalen Unterricht mehr. Image - img_03000004.png

 

Anmerkung: Bei dieser Fallbeschreibung und allen folgenden handelt es sich um Originaltexte von Lehrdiplom-Studierenden.