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Zum Buch

 

München, die Stadt mit dem Mönch im Wappen, ist eine über Jahrhunderte hinweg von der römisch-katholischen Kirche geprägte Metropole. Trotz aller Veränderungen der letzten 200 Jahre ist dies auch immer noch im Erscheinungsbild der bayerischen Landeshauptstadt sichtbar. Doch hinter den – nur noch zum Teil existierenden historischen – Fassaden sind Stätten verborgen, die auch an die reformatorische Bewegung und an protestantisches Leben an der Isar in früheren Jahrhunderten erinnern.

Dieser Band ist ein unterhaltsamer Wegweiser zu solchen Stätten in der Münchner Altstadt, anhand derer Verbindungen zwischen Münchner Persönlichkeiten bzw. Plätzen und Martin Luther bzw. dem Protestantismus anschaulich erläutert werden.

 

 

 

Zum Autor

 

Andreas Gößner, Dr. theol., Dr. phil., geb. 1967 in München, ist evang. Kirchenhistoriker. Er lehrt als apl. Professor an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen.

ANDREAS GÖSSNER

Evangelisch in München
Spuren des Protestantismus von der Reformationszeit bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts

VERLAG FRIEDRICH PUSTET

REGENSBURG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

eISBN 978-3-7917-6097-1 (epub)

© 2017 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2851-3

 

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Informationen und Bestellungen unter verlag@pustet.de

»MÜNCHEN WILL GAR NICHT ERÖRTERT, MÜNCHEN WILL GELEBT UND GELIEBT SEIN.« Wer möchte Ernst Heimeran (1902–1955), dem dieses so urmünchnerisch klingende Leitmotiv zugeschrieben wird, ernsthaft widersprechen? Doch vielleicht wird man ihn ergänzen dürfen, ihn, den großen Verleger und Autor, der in Schwabing das Gymnasium besuchte und wie viele als „Zuagroaster“ in München Wurzeln schlug: Die Liebe zur ersten oder zweiten Heimat schließt die Kenntnis über sie nicht aus – und umgekehrt.

Die Geschichte einer Stadt ist ebenso unerschöpflich wie die Geschichten, die in ihr spielen. Ihre Gesamtheit macht sie unverwechselbar. Ob dramatische Ereignisse und soziale Konflikte, hohe Kunst oder niederer Alltag, Steingewordenes oder Grüngebliebenes: Stadtgeschichte ist totale Geschichte im regionalen Rahmen – zu der auch das Umland gehört, von dem die Stadt lebt und das von ihr geprägt wird.

München ist vergleichsweise jung, doch die über 850 Jahre Vergangenheit haben nicht nur vor Ort, sondern auch in den Bibliotheken Spuren hinterlassen: Regalmeter über Regalmeter füllen die Erkenntnisse der Spezialisten. Diese dem interessierten Laien im Großraum München fachkundig und gut lesbar zu erschließen, ist das Anliegen der Kleinen Münchner Geschichten – wobei klein weniger kurz als kurzweilig meint.

So reichen dann auch 140 Seiten, zwei Nachmittage im Park oder Café, ein paar S- oder U-Bahnfahrten für jedes Thema. Nach und nach wird die Reihe die bekannteren Geschichten neu beleuchten und die unbekannteren dem Vergessen entreißen. Sie wird die schönen Seiten der schönsten Millionenstadt Deutschlands ebenso herausstellen wie manch hässliche nicht verschweigen. Auch Großstadt kann Heimat sein – gerade wenn man ihre Geschichte(n) kennt.

 

 

DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, lehrt Neuere/Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und forscht zu Stadt und Bürgertum in der Neuzeit.

Einleitung oder: Vom Mythos der Katholizität Bayerns und Münchens

Bayern und seine Hauptstadt München sind berühmt für den Gerstensaft und die Geschichten um den Märchenkönig Ludwig II. und nicht zuletzt auch für die Vormacht des Katholizismus. Gleich einem Mythos, der der weltanschaulichen Verortung einer Gemeinschaft dient, gehörte der Katholizismus noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein selbstverständlich zur Identität der meisten Menschen, die an der Isar wohnten. Bis heute begegnet das Klischee der katholischen Stadt München und des katholischen Landes Bayern. Dieses Stereotyp hat zur Folge, dass die Spuren des Protestantismus, den es in München und Bayern schon sehr bald im 16. Jahrhundert gab, weitgehend in Vergessenheit geraten und erst in jüngerer Vergangenheit wieder ins allgemeine Bewusstsein gerückt sind. Evangelische in München hatten vom 16. bis ins 19. Jahrhundert wegen der frühen Entscheidung der Herrscherdynastie gegen die Reformation unter massiver Ausgrenzung und anderen einschneidenden Konsequenzen zu leiden.

Warum hält sich das Klischee des katholischen München bis heute, obwohl beispielsweise im Stadtbezirk Altstadt-Lehel heutzutage nur noch ein knappes Drittel der Bevölkerung der römisch-katholischen Kirche angehört? Es scheint sich mit einem Hauptcharakterzug des bayerischen Volkes aufs idealste zu vereinigen. Der Volkskundler Franz Josef Bronner schreibt in seinem Heimatbuch „Bayerisch Land …“, München 1898, über die Eigenart der Bevölkerung in den bayerischen Alpen: Der stete Umgang mit der erhabenen Natur, die großen Gefahren der Arbeit haben im Herzen der Aelpler einen kindlich-frommen Sinn bewahrt. Seiner Religion ist der Aelpler so treu wie seinem Vaterlande; jederzeit ist er für sie bereit, sein Gut, Blut und Leben zu opfern. An der mächtigen Alpenmauer sind die mächtig brandenden Wogen der Reformation zerschellt.“

Dieses Stereotyp kehrt in modifizierter Form auch bei manchem bayerischen Landeshistoriker wieder und wird von der Tourismusindustrie gerne bedient. Um der Frage nachzugehen, was zur Bildung dieses Mythos beigetragen hat und was er bis heute bewirkt, muss man vielleicht etwas weiter ausholen.

Außer der bereits im Zitat angeklungenen Eigenart der bayerischen Bevölkerung nennt Bronner noch die „Lebenskräftigkeit“ sowie den „Hang zur Freiheit und Ungebundenheit“ als wesentliche Charakterzüge der Bayern. In der Tat scheinen auch diese Eigenschaften perfekt zur von Natur aus gegebenen römisch-katholischen Religiosität der Bayern zu passen. Eine durch Anreiz der fünf Sinne gelebte Frömmigkeit entspricht eben eher dieser Vitalität als der vielfach wegen seiner nüchternen Strenge verschriene Protestantismus, der den Gläubigen dazu anleitet, sich allein auf die Mittlerschaft des Gottessohnes (solus Christus – ohne den sprichwörtlichen Heiligenhimmel) und das biblische Wort Gottes (sola scriptura – ohne die 2000-jährige Tradition der Kirche) zu konzentrieren.

Auch die Gewissensfreiheit – gerne in das Motto „leben und leben lassen“ gekleidet – wird heutzutage oft als eine urbayerische Tugend gefeiert, als Bestandteil bayerischer Lebensart interpretiert und in Verbindung zur heimischen Frömmigkeit gesetzt. Doch ist dies erst eine neuere Umdeutung und vom ursprünglichen Sinn entfremdete Neuinterpretation der Worte „liberalitas bavarica“, die über dem Hauptportal der Barockkirche des ehemaligen Augustinerchorherrenstifts im oberbayerischen Polling zu lesen sind.

Neben der Übereinstimmung mit diesen bayerischen Eigentümlichkeiten verbindet man mit dem Katholizismus auch die Traditionsverbundenheit, die mit der Freude der Bayern am Herkömmlichen konveniert und in dem Motto „Dös war scho oiwei so“ ihren naturgesetzlich begründeten Ausdruck findet. Der auf der Hochschätzung von Traditionen beruhende Altersbeweis gehört zum häufig bemühten Instrumentarium der römisch-katholischen Polemik gegen die Reformation. Über den wirklich epochalen Bruch, den der römische Katholizismus trotz vieler Kontinuitätsmomente in Frömmigkeitspraxis, Theologie und institutioneller Gestalt in seiner Abgrenzung zu den Reformationskirchen und bei seiner Konstituierung als Konfessionskirche auf dem Konzil von Trient vollzogen hat, wird dabei nur unzureichend reflektiert. Gerade darin zeigt sich der Mythos von der Katholizität Bayerns. Die zweifellos weichenstellenden Entscheidungen der Herrscherdynastie und ihrer Exponenten in der Abgrenzung zu Luther und der Reformation kamen – im Vergleich zu anderen Fürstenterritorien – zu einem recht frühen Zeitpunkt (1522/23 unter den Herzögen Wilhelm IV. und Ludwig X.). Diese weichenstellenden Entscheidungen wurden – ebenfalls im Unterschied zu vielen anderen Fürstenstaaten – mit unerbittlicher Konsequenz fortgeführt (besonders ab der Jahrhundertmitte unter den Herzögen Albrecht V. und Wilhelm V.). Beide Aspekte – der frühzeitige und konsequente Kurs bayerischer Religionspolitik im 16. Jahrhundert – bereiteten den Boden für den Mythos. Am Ende des Jahrhunderts bzw. dieser Entwicklung hatte Bayern das Gesicht einer katholischen Vormacht im Reich und damit in Mitteleuropa.

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Abb. 1:
Vorhalle der Kirche Heilig Kreuz in Polling bei Weilheim.

Neben den Wittelsbacher Herrschern waren die in den Reformvorgängen der römischen Kirche der späten 1520er- bis frühen 1540er-Jahre entstandenen Orden der Kapuziner und besonders der Jesuiten von entscheidender Bedeutung für den bayerischen Katholizismus. Vor allem die durch den herzoglichen Hof in München intensiv geförderten Jesuiten haben im Ergebnis einer gut 200-jährigen Tätigkeit im Bayernland den Monokonfessionalismus römisch-katholischer Prägung in seiner wohl reinsten Form hinterlassen. Nicht die Aufklärung mit der Aufhebung der Societas Jesu im Jahr 1772 – und der anschließend auch durch den bayerischen Kurfürsten sehr aktiv betriebenen Säkularisation des Ordensbesitzes –, nicht die kirchlichen und politischen Umwälzungen der Napoleonischen Ära und auch nicht der gesellschaftliche Wandel durch die Industrialisierung im agrarisch geprägten Bayern des 19. Jahrhunderts haben die Nachhaltigkeit des Wirkens der Jesuiten wesentlich beeinträchtigen können. Vielmehr hat gerade das 19. Jahrhundert mit seinen zahlreichen Historismen und der Rückbesinnung auf regionale Traditionen im katholisch geprägten (Alt-)Bayern dazu beigetragen, erneuertes Brauchtum und herkömmliche Frömmigkeitspraxis fast klischeehaft miteinander zu verschmelzen. Anschauliche Beispiele hierfür sind zahlreiche Leonhardifahrten und Fronleichnamsprozessionen, die heutzutage auch medial begleitete und touristisch vermarktete Attraktionen ersten Ranges darstellen.

Das wohl symbolträchtigste Markenzeichen der innigen Verbindung zwischen katholischer Frömmigkeit einerseits und von Bayerns Dynastie, Volk und Land andererseits ist die Marienverehrung. Der Kult um die Mutter Gottes ist in der hier geübten Ausschließlichkeit der (spät-)mittelalterlichen Kirche noch weitgehend fremd. Auch er ist wesentlich Produkt der intensiven volksmissionarischen Tätigkeit der ab 1549 im Herzogtum wirkenden Jesuiten. Noch am Beginn seiner Tätigkeit in Bayern hat der Jesuit Petrus Canisius von München als „der überaus schönen, aber von Ketzerei und schlechten Beispielen verdorbenen Stadt“ gesprochen. Das folgende Zusammenspiel zwischen Jesuitenorden und Wittelsbacher Dynastie – vor allem in Gestalt der Herzöge Albrecht V., Wilhelm V. und Maximilian I. – formte einen bayerischen Katholizismus, der im Zusammenspiel mit dem Ausbau fürstlich-absolutistischer Macht eine staatstragende Funktion erhielt. An prominentester Stelle errichtete der Orden in den Städten seine Niederlassungen, er wuchs in den Lehrkörper der Landesuniversität Ingolstadt hinein und übernahm sie schließlich fast ganz. Die Jesuiten gründeten Schulen, Marianische Kongregationen, sie waren in der Seelsorge an Wallfahrtsorten im ganzen Land und bei Hof in München präsent. Der von ihnen propagierte Marienkult durchdrang in der Folge alle Lebensphasen und alle Lebensbereiche der Untertanen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Verehrung der „patrona Bavariae“ nicht nur als Staatskult, sondern in der persönlichen Frömmigkeit der bayerischen Bevölkerung tief verankert war (und ist) und langfristig zum unveräußerlichen Bestandteil der Volkskultur wurde. Zahlreiche Marienstatuen wurden in den Städten und auf dem Land errichtet, Marienpatrozinien verdrängten an vielen Orten ältere Weihetitel. Der Vollender dieses Weges war Maximilian I., Bayerns erster Kurfürst, der von 1597/98 bis 1651 regierte und damit ein ganzes Zeitalter prägte. Unter dem Einfluss jesuitischer Beichtväter vollzog er eindrucksvolle Symbolhandlungen, die das Land zur marianisch geprägten „Bavaria sancta“ werden ließen. Ein solcher Bekenntnisakt war beispielsweise die Aufstellung der Münchner Mariensäule im Jahr 1638 als Dank für die Verschonung der Stadt im Krieg. Anlässlich ihrer Errichtung rezitierte der Kurfürst das von dem Jesuiten Jakob Balde formulierte Fürbittgebet: „Rem, regem, regimen, regionem, religionem conserva, bavaria virgo patrona tuis“ („Das Sach, den Herrn, die Ordnung, das Land und den Glauben erhalte, Jungfrau Maria, deinen Bayern“). So verdichtet sich speziell an der Münchner Mariensäule der Mythos vom katholischen Bayern exemplarisch.

Flankierend hierzu vollzog Maximilian weitere Symbolhandlungen, wie etwa die Niederlegung einer Weiheurkunde im Wallfahrtsort Altötting. Der Kurfürst schrieb sie nicht nur mit seinem eigenen Blut, sondern weihte in ihr sein Leben der Gottesmutter. Literarischen Ausdruck fand diese Haltung auch in dem in seinem Auftrag erstellten Handbuch der Heiligen des Bayernlandes („Bavaria sancta et pia“), das der Jesuit Matthäus Rader (1561–1634) in vier Bänden zwischen 1615 und 1628 veröffentlichte. Das Frontispiz, also das Vorsatzblatt dieses Werkes setzt das Patronat Mariens über den bayerischen Heiligenhimmel und das Territorium eindrucksvoll ins Bild. In Fortführung des politisch-religiösen Programms von Kurfürst Maximilian erhielt der 1729 gestiftete Hausritterorden vom Heiligen Georg, dessen Zweck die Bindung des Adels an die Dynastie war, die Devise „Virgini immaculatae Bavaria immaculata“ („Der unbefleckten Jungfrau das [im katholischen Glauben] unbefleckte Bayern“).

Die Formierung Bayerns zum Musterstaat des nachtridentinischen Katholizismus wirkte nach innen und außen stark identitätsstiftend. Dies hat nicht nur spürbare Auswirkungen bis heute, sondern trägt letztlich auch zur Festigung des Mythos von der Katholizität Bayerns bei. Dieser enthielt entgegen aller Säkularisierungstendenzen neue Nahrung im Jahr 2005 durch die Wahl des bayerischen Theologen Josef Kardinal Ratzinger zum Papst.

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Abb. 2:
Frontispiz zu Matthäus Rader: „Bavaria sancta et pia“, 1615.

Was für das frühneuzeitliche Herzogtum Bayern insgesamt gilt, lässt sich im Besonderen auch für München zeigen. Als herzogliche und kurfürstliche Residenz büßte die Stadt an bürgerschaftlicher Autonomie ein und wurde zum Rahmen und zur Bühne eines fürstlichen Repräsentationsbedürfnisses. Davon legen bis heute die beiden größten Baukomplexe in der Innenstadt eindrucksvoll Zeugnis ab: die Residenz und die Michaelskirche mit Kollegiengebäuden. Das architektonische Programm beider Monumente, die das Stadtbild des alten München prägten, vereint herrschaftlichen Repräsentationsanspruch mit katholischer Religiosität; als Garant für beides erscheint die Dynastie der Wittelsbacher als „principes christianissimi“. Dies korrespondierte mit den zielstrebig verfolgten Plänen Herzog Wilhelms V., aus München ein „neues Rom“ oder „deutsches Rom“ zu machen.

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Abb. 3:
Titelblatt der 1776 in München gedruckten Schrift „Sechstes Heiliges Jubel-Jahr des Deutschen Roms“ des Jesuiten Anton Crammer, in der die Bedeutung der bayerischen Hauptstadt für den Katholizismus thematisiert wird.

Ungeachtet der nach wie vor stark identitätsstiftenden Kraft des Mythos von der Katholizität Bayerns und Münchens gilt aber für den historisch und sachlich angemessenen Blick auf Bayern und seine Geschichte: Das evangelische Bayern gibt es doch! Die reformatorische Bewegung erfasste in zwei Wellen – in den 1520er- und in den 1560/70er-Jahren – auch das Herzogtum Bayern und die Stadt München. Nur die harte Hand der Wittelsbacher Herzöge verhinderte den Auf- und Ausbau evangelischer Strukturen. In einigen altbayerischen Enklaven, die nicht direkt unter Wittelsbacher Herrschaft standen, wurde sogar die Reformation gefördert, so in den Reichsgrafschaften Ortenburg, Haag und der reichsunmittelbaren Herrschaft Hohenwaldeck sowie in den Herrschaften Alt-/Neu-Fraunhofen an der Vils, deren reichsunmittelbarer Status allerdings unsicher war. In all diesen kleinen Territorien ist teils ab den 1540er-Jahren, verstärkt in den 1550er- und 1560er-Jahren mit Rückendeckung der jeweiligen Territorialherren eine lebendige reformatorische Bewegung zu beobachten. Dies gilt auch für die oberpfälzische Herrschaft und spätere Grafschaft Wolfstein mit den zugehörigen Reichsherrschaften Sulzbürg und Pyrbaum sowie für das von den Pfälzischen Wittelsbachern regierte Herzogtum Pfalz-Neuburg, das ebenfalls zum Bayerischen Reichskreis zählte. In den meisten der eben genannten Territorien war der reformatorischen Bewegung allerdings nur ein befristetes Dasein beschieden. Der politische Druck der bayerischen Wittelsbacher, die die Reformation mit allen Mitteln bekämpfen wollten, war zu groß. Ein dauerhaftes evangelisches Kirchenwesen konnte sich nur in Ortenburg bilden.

Doch sind evangelische Überlieferungen und Traditionen erst recht spürbar gewesen in den Städten und Gebieten, die am Beginn des 19. Jahrhunderts in das neue Königreich Bayern integriert wurden. Nicht nur die alten Metropolen Regensburg, Augsburg und Nürnberg, sondern viele mittlere und kleinere Städte, die nach Bayern mediatisiert wurden, sowie einige Regionen Frankens und Schwabens dürfen als „protestantisches Urgestein“ gelten. Insgesamt mussten nach der Mediatisierung etwa 90 ehemals selbständige, protestantische Kirchenwesen mit unterschiedlichen bekenntnismäßigen, liturgischen und organisatorischen Traditionen zusammenfinden. Es dauerte etwa zwei Jahrzehnte, bis daraus eine evangelische Landeskirche geformt war, deren „summus episcopus“ bis zum Ende der Monarchie ein katholischer Wittelsbacher König war. Rechtliche Gleichstellung und Religionsfreiheit erhielten die Protestanten durch das Religionsedikt des Jahres 1803. Die organisatorische Verfasstheit der protestantischen Kirche in Bayern war im Wesentlichen 1818 abgeschlossen.