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Die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs war eines der zentralen Versprechen der »alten« BRD – und tatsächlich wurde es sehr häufig eingelöst: Aus dem Käfer wurde ein Audi, aus Facharbeiterkindern wurden Akademiker. Mittlerweile ist der gesellschaftliche Fahrstuhl stecken geblieben: Uniabschlüsse bedeuten nicht mehr automatisch Status und Sicherheit, Arbeitnehmer bekommen immer weniger ab vom großen Kuchen. Oliver Nachtwey analysiert die Ursachen dieses Bruchs und befasst sich mit dem Konfliktpotenzial, das dadurch entsteht: Selbst wenn Deutschland bislang relativ glimpflich durch die Krise gekommen sein mag, haben auch hierzulande soziale Auseinandersetzungen begonnen, wie sie derzeit ganz Europa erschüttern: neue linke Bewegungen, Arbeitskämpfe und Parteien auf der einen, fremdenfeindliche Proteste und Rechtspopulismus auf der anderen Seite.

 

Oliver Nachtwey, geboren 1975, ist Fellow am Frankfurter Institut für Sozialforschung. Er hat an den Universitäten Jena, Trier, Darmstadt und Frankfurt am Main zu Arbeit, Ungleichheit, Protest und Demokratie gelehrt und geforscht.

 

 

Oliver Nachtwey

Die Abstiegsgesellschaft

Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne

Suhrkamp

 

 

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe der edition suhrkamp 2682.

© Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Originalausgabe

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Umschlag gestaltet nach einem Konzept von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt

 

eISBN 978-3-518-73627-2

www.suhrkamp.de

Inhalt

Einleitung

1. Soziale Moderne

2. Kapitalismus (fast) ohne Wachstum

3. Regressive Modernisierung

4. Sozialer Abstieg

5. Das Aufbegehren

Literatur

Einleitung

Hauptsache ruhig und sicher: Nach den beruflichen Zielen gefragt, gab im Jahr 2014 eine(r) von drei Studierenden an, eine Festanstellung im öffentlichen Dienst anzustreben. Avantgardistische Berufe, risikoreiche Unternehmungen und kreative Selbstständigkeit verlieren für Studierende an Attraktivität. Der öffentliche Dienst erscheint ihnen hingegen als einer der wenigen Orte, an denen Beschäftigungsstabilität, Sicherheit und kalkulierbarer Aufstieg zu erwarten sind. Die geradezu spießige Berufsperspektive der jungen Akademikerinnen und Akademiker ist nur ein kleiner Ausschnitt aus einer Gesellschaft, in der die kollektive Angst vor dem sozialen Abstieg allgegenwärtig zu sein scheint. Wie konnte es dazu kommen?

Das historische Gedächtnis ist häufig kurz, und deshalb vermögen sich nur wenige daran zu erinnern, dass es die deutsche Wirtschaft war, die noch 1999 als »Sick Man of the Euro« galt; die Arbeitslosenquote erklomm damals immer neue Höhen. Heute stellt sich die Realität anders dar: In Europa insgesamt liegt die Arbeitslosigkeit auf Rekordniveau; in der Bundesrepublik hingegen hat es nie mehr Beschäftigte gegeben als im Jahr 2016 und seit der Wiedervereinigung nie so wenige Arbeitslose. Während die europäischen Staaten im Strudel der Austerität und der Wirtschaftskrise versanken, stemmte sich die deutsche Wirtschaft gegen den Trend. Aber das ist nur wenig mehr als ein schöner Schein. Deutschland ist genauso Teil der »Krise des demokratischen Kapitalismus« (Streeck 2013) wie die anderen europäischen Länder.

In diesem Buch geht es am Beispiel der deutschen Entwicklung um einen fundamentalen gesellschaftlichen Wandel, der sich in den meisten westlichen kapitalistischen Staaten vollzieht. Aus der Gesellschaft des Aufstiegs und der sozialen Integration ist, so die Hauptthese, eine Gesellschaft des sozialen Abstiegs, der Prekarität und Polarisierung geworden.

Seit dem Wirtschaftswunder galt Deutschland als eines der Länder, in denen Armut nur eine marginale Rolle spielte. Angesichts der Euphorie über »die neue Vollbeschäftigung«, wie sie in Büchern und Tageszeitungen[1] verkündet wird, übersieht man allerdings leicht, wie groß die soziale Ungleichheit hierzulande geworden, wie stark der Niedriglohnsektor gewachsen ist und die Prekarität zugenommen hat. Unter der Oberfläche einer scheinbar stabilen Gesellschaft erodieren seit Langem die Pfeiler der sozialen Integration, mehren sich Abstürze und Abstiege.

Die Literatur ist ein sensibler Seismograf für diesen Wandel, werden in ihr doch seit je auch die Sehnsüchte nach dem sozialen Fortkommen protokolliert. Ulla Hahn zeichnet in ihrer Romantrilogie über das Leben von Hildegard (Hilla) Palm – Das verborgene Wort (2001), Aufbruch (2009) und Spiel der Zeit (2014) – mit feinem Strich ein Sittengemälde der Aufstiegsgesellschaft in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Hahn erzählt die Geschichte ihrer Protagonistin, in der sich die Liebe zur Literatur und der Drang zu einem selbstbestimmten Leben treffen. Hilla ist außergewöhnlich begabt, kann eine höhere Schule besuchen und – ungewöhnlich für »dat Kenk vun nem Prolete« und ein Mädchen vom Lande – ein Studium aufnehmen. Sie erfährt die groben wie die feinen Unterschiede zwischen sich und jener Klasse, in der selbst die unbegabten Söhne »Stammplätze« in den höheren sozialen Positionen erhalten. Auch wenn ihre Familie ambitionslos in einfachen Verhältnissen verharrt, gelingt ihr ein für diese Zeit exemplarischer Aufstieg durch Bildung.

Erzählt die Literatur von der sozialen Gegenwart, schildert sie Geschichten des Scheiterns, der Unsicherheit, Abstiege und Abstürze. In dem Tatsachenroman Möbelhaus (2015) rekapituliert ein unter dem Pseudonym Robert Kisch schreibender ehemaliger Journalist seinen eigenen sozialen Abstieg von der Edelfeder zum Möbelverkäufer. Es ist die Geschichte eines langen Abrutschens, in dieser Form vielleicht einzigartig. Aber sie zeugt auch vom Wandel einer ganzen Branche, die noch vor wenigen Jahren berufliches Prestige, selbstbestimmte Tätigkeiten und gute Einkommen versprach. Diese Welt des Journalismus gibt es so nicht mehr – oder allenfalls noch für wenige. Möbelhaus ist nicht das einzige Beispiel. In ihrem Erfahrungsbericht Saisonarbeit (2014) schildert die Autorin Heike Geißler, wie sie vom Schreiben nicht mehr leben konnte und sich gezwungen sah, beim Versandhändler Amazon zu arbeiten. Ebenfalls 2014 veröffentliche Thomas Melle seinen Unterschichtsroman 3000 Euro. Auch in Katharina Hackers Die Habenichtse (2006), Ernst-Wilhelm Händlers Wenn wir sterben (2002), Rainald Goetz' Johann Holtrop (2012), Wilhelm Genazinos Fremde Kämpfe (1984) und Mittelmäßiges Heimweh (2007), Georg M. Oswalds Alles was zählt (2000) oder schließlich Silke Scheuermanns Die Häuser der anderen (2012) wird vom Abrutschen aus der Sicherheit erzählt.

Literatur ist keine Gesellschaftsdiagnose, aber häufig weiß sie trotzdem viel Wahres über die Realität zu berichten, von der aus wissenschaftlicher Perspektive im Folgenden die Rede sein wird.

 

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Beim vorliegenden Buch handelt es sich um den Versuch, klassischen Fragen der Soziologie nachzugehen: In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Was hält Gruppen und Individuen zusammen, was treibt sie auseinander? In welchem Zusammenhang stehen Ungleichheit, Herrschaft, gesellschaftliche Integration und soziale Konflikte? Viele der hier mit soziologischer Leidenschaft vorgetragenen Thesen sind in gewissem Sinne riskant, da ihnen in einigen Bereichen noch die empirische Absicherung fehlt. Zudem wurden sie im Wesentlichen am Beispiel eines einzelnen Nationalstaats entwickelt, inter- und transnationale Aspekte werden nur am Rande berührt (so findet sich am Ende des Bandes eine kursorische Skizze europäischer Trends). Im Mittelpunkt steht der Versuch, Entwicklungen der letzten Jahrzehnte historisch vergleichend zu entfalten und damit zu verstehen (vgl. Mills 2000 [1959]).

Das erste Kapitel handelt zunächst von einer mittlerweile vergangenen gesellschaftlichen Konstellation: der Blütezeit der sozialen Moderne. In der sozialen Moderne gedieh der Sozialstaat, alte Klassenschranken wurden abgetragen, soziale Mobilität und Bildungschancen nahmen zu. Vor allem Kinder aus Arbeiterklassenfamilien erreichten ein bislang nicht gekanntes Niveau individueller Entfaltungsmöglichkeiten. Ulrich Beck prägte für diese Entwicklung den Begriff des kollektiven »Fahrstuhleffekts« (Beck 1986). Aus Proletariern wurden Bürger – allerdings nur eingeschränkt Bürgerinnen, denn in der sozialen Moderne herrschte das Modell des männlichen Familienernährers vor.

Die Konstellation der sozialen Moderne verlor seit den siebziger Jahren nach und nach an Prägekraft, vor allem weil der Kapitalismus (wie in Kapitel zwei gezeigt wird) nicht mehr die phänomenalen Wachstumsraten des Goldenen Zeitalters erreichte. Nach 1973 begann der lange Niedergang der westlichen Ökonomien, eine Krise, für die sie bis heute keine Lösung gefunden haben. Alle Anstrengungen – ob nun keynesianische Programme, neoliberale Deregulierung oder eine Flut billigen Geldes – haben nichts gefruchtet. In der Tendenz, so die Diagnose in Kapitel zwei, entsteht ein Postwachstumskapitalismus. Die Wirtschaftskrise infolge der Finanzkrise ist noch lange nicht überwunden, trotz massiver Interventionen der Nationalstaaten und Zentralbanken. Im Gegenteil: Es droht eine globale Stagnation.

Mit der Dauerschwäche der Wirtschaft schwanden die Ressourcen und der Wille zur sozialen Integration. Öffentliche Unternehmen gerieten unter Privatisierungsdruck, der Sozialstaat wurde umgebaut, die sozialen Bürgerrechte wurden reduziert. In nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen – das ist die Signatur unserer Zeit – implementierte man Markt- und Wettbewerbsmechanismen. Am Ende wurden viele Errungenschaften der sozialen Moderne einer erneuten, aber diesmal regressiven Modernisierung unterzogen (Kapitel drei). Prozesse regressiver Modernisierung verknüpfen häufig gesellschaftliche Liberalisierungen mit ökonomischer Deregulierung. Horizontal, zwischen Gruppen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen, zwischen den Geschlechtern und in bestimmten Bereichen sogar zwischen den Ethnien, wird die Gesellschaft gleichberechtigter und inklusiver, vertikal geht diese Gleichberechtigung mit größeren ökonomischen Ungleichheiten einher.

Ulrich Beck hat in seinem Buch Risikogesellschaft diagnostiziert, die alte Industriegesellschaft verabschiede sich »auf den leisen Sohlen der Normalität, über die Hintertreppe der Nebenfolge von der Bühne der Weltgeschichte« (Beck 1986, S. 15; Hervorhebung im Original). Abgesehen von der Tatsache, dass sich die Industriegesellschaft bis heute – trotz Internet und Dienstleistungsgewerbe – immer noch nicht vollständig verabschiedet hat, kann man für die Abstiegsgesellschaft folgenden Befund formulieren: Sie ist allmählich, auf leisen Sohlen und über die Hintertreppe eingetroffen. Die Vordertreppe hat sie dabei noch gar nicht erreicht. Gewiss, das steigende Ausmaß von Armut, Prekarität und sozialer Ungleichheit wird in der politischen Öffentlichkeit mittlerweile immer häufiger thematisiert, die neuen Ungleichheiten werden bisher aber nicht adäquat verhandelt. Sehnsuchtsobjekt, Handlungsnorm, politisches Leitbild bleibt der soziale Aufstieg: Aufstieg durch Leistung, Aufstieg durch Chancengleichheit, Aufstieg durch Bildung. Was die Chancengleichheit betrifft, ist es keine neue Nachricht, dass Kinder aus Arbeiterfamilien eben häufig nicht dieselben Bildungschancen haben. Im gesellschaftlichen Wettkampf um Chancen bleiben trotz der formalen Gleichheit am Ende doch diejenigen mit dem geringeren kulturellen Kapital auf der Strecke, während die von vornherein Bessergestellten zuweilen auch ohne besondere eigene Leistungen Erfolge erzielen.

Reden wir vielleicht deshalb die ganze Zeit über Aufstieg, weil er in der Realität immer seltener anzutreffen ist? Das ist zumindest eine der Thesen dieses Buches. Der Wandel zur Abstiegsgesellschaft vollzieht sich in mehreren Dimensionen. Zwar bestehen weiterhin große Zonen der sozialen Stabilität, zentral ist jedoch, dass die Entwicklungsdynamik der deutschen Gesellschaft sich verändert hat. So sind beispielsweise die Realeinkommen bis Anfang der neunziger Jahre gestiegen, das sogenannte »Normalarbeitsverhältnis« (die unbefristete Arbeitsstelle mit Kündigungsschutz, die ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit gewährt) war in dieser Zeit die Regel. Die soziale Dynamik hat sich in den letzten dreißig Jahren zuungunsten der abhängig Beschäftigten entwickelt. Prekarität, in der sozialen Moderne ein Randphänomen, hat sich in der Abstiegsgesellschaft ausgebreitet und ist nun als relevanter Teil des Arbeitsmarkts institutionalisiert. Hinsichtlich der beruflichen Mobilität sind zwar immer noch deutlich mehr Auf- als Abstiege zu verzeichnen, allerdings haben sich die Perspektiven verschlechtert. Zudem ist die sogenannte Mitte geschrumpft, ein Teil ihrer Angehörigen ist abgestiegen – ein Novum in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Dass Frauen deutlich häufiger erwerbstätig sind, bedeutet zwar einen Zugewinn an Emanzipation, in vielen Fällen sind Frauen nun allerdings gezwungen, Niedriglohnjobs anzunehmen, weil das Einkommen des Mannes nicht mehr ausreicht, um die Familie über die Runden zu bringen.

Die Moderne entwickelt sich weiter, aber gleichzeitig zurück. Probleme, die längst als überwunden galten, werden erneut relevant. Gerade durch den Umbau des Sozialstaats und den Rückbau sozialer Staatsbürgerrechte kehren »Klassenstrukturierungen« auf die Bühne der sozialen Ungleichheit zurück (Giddens 1984). Gleichwohl präsentieren sich soziale Klassen vorerst nicht wie im späten 19. Jahrhundert als kollektive Milieus mit kampferprobten Organisationen. Deshalb erfährt der traditionelle Klassenkampf keine Neuauflage, obwohl es eine Vielzahl neuer sozialer Konflikte gibt. In der Abstiegsgesellschaft entzündet sich der Konflikt an der Spannung zwischen Kapitalismus und Demokratie, zwischen Freiheit und Gleichheit. Es zeichnet sich ein neues Aufbegehren ab, ein demokratischer Klassenkonflikt, der in seinem Kern vom Kampf um politische und soziale Bürgerrechte getrieben wird. Neue Bürgerproteste sind ein Nebenprodukt der politischen Entfremdung in der Postdemokratie. Allerdings, und hierin besteht eine große Gefahr, breiten sich auch Apathie, soziale Abgrenzung und antidemokratische Affekte aus. Auf der einen Seite produzieren Abstiegsängste – insbesondere in der Mittelschicht – mitunter das Bedürfnis nach sozialdarwinistischer oder xenophobischer Distinktion, ein Phänomen, das zum Beispiel in den Debatten darüber zum Ausdruck kommt, ob Deutschland sich abschafft oder ob die Kultur der Unterklasse unproduktiv ist. Auch Pegida und die AfD sind ein Ausdruck dieser Entwicklung.

Auf der anderen Seite regt sich ein zuweilen neuartiger Protest, bei dem es sowohl um soziale Themen als auch um demokratische Partizipation geht. Ob bei den Gebäudereinigerinnen, in den Kitas, bei Amazon oder in Krankenhäusern: Es wird wieder vermehrt gestreikt – und zwar von Gruppen, von denen man früher annahm, sie ließen sich gewerkschaftlich nur schlecht organisieren, weil die Jobs häufig temporär und prekär sind. Dazu ist mit Occupy eine unkonventionelle Protestbewegung entstanden, die über Monate öffentliche Plätze besetzt hielt. Bei Occupy handelte es sich um eine basisdemokratische Bewegung, die an den etablierten linken Organisationen wie Gewerkschaften und Parteien – nicht immer, aber oftmals – vorbei agierte, weil diese von den Protestierenden als Teil des Establishments, als Teil des Problems wahrgenommen wurden. Sowohl die neuen Streikbewegungen als auch Occupy sind originäre Protestformen der Abstiegsgesellschaft. Abstiegsangst und Prekarität werden nicht länger als individuelles Schicksal wahrgenommen, es handelt sich vielmehr um eine kollektive Erfahrung. In den deutschen Occupy-Camps traf man dabei auf einen neuen Typus des Protestierenden, der auch im New Yorker Zuccotti Park, von wo die Bewegung ihren Ausgang genommen hat, oder bei den spanischen Indignados eine wichtige Rolle spielt: junge Akademikerinnen und Akademiker mit prekären Jobs, schlechten Perspektiven und blockierten Aufstiegskanälen. Ihre Anzahl mag bislang noch gering sein, sie stoßen aber auf große Zustimmung in der Öffentlichkeit. Ihre eigenen Eltern und Großeltern haben schließlich die Jahrzehnte des sozialen Aufstiegs erlebt und müssen nun erkennen, dass ihre Kinder vom kollektiven Abstieg bedroht sind. »Wir sind die 99 Prozent« – gerade der Slogan der Occupy-Bewegung war emblematisch für die postdemokratische Abstiegsgesellschaft, verknüpfte er doch Fragen der gerechten Verteilung mit solchen der demokratischen Teilhabe.

Was allen Protesten bisher allerdings fehlt, ist eine Idee von einer gelingenden Zukunft. Man sehnt sich lediglich nach den vermeintlich besseren Zeiten der sozialen Moderne zurück. Nicht zuletzt deshalb bleibt das Aufbegehren spontan und episodisch. Auf eine Periode vermehrter sozialer Proteste folgt alsbald wieder eine seltsame Ruhe. Doch solange die Probleme, auf die die Proteste reagieren, nicht gelöst sind, wird die gesellschaftliche Spannung aller Voraussicht nach anhalten. Es bleibt zu hoffen, dass das Aufbegehren nicht irgendwann selbst regressiv wird.

Sollte sich die hier präsentierte Diagnose als richtig erweisen, könnten wir vor einem neuen Zyklus sozialer Auseinandersetzungen stehen, in denen einmal mehr um eine bessere Gesellschaft gerungen wird. Und in diesen Konflikten entscheidet sich womöglich die Zukunft unserer Demokratie.

 

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Ohne die Unterstützung zahlreicher Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde hätte ich dieses Buch nie schreiben können. Es sind zu viele, um sie an dieser Stelle alle nennen zu können. Meinen Dank möchte ich daher drei Institutionen aussprechen, die mir Raum, Zeit und Diskussionsmöglichkeiten gaben, wie sie der reguläre Universitätsbetrieb kaum zulässt: Das DFG-Kolleg Postwachstumsgesellschaften in Jena, das Hamburger Institut für Sozialforschung und insbesondere das Institut für Sozialforschung Frankfurt am Main.



[1] Vgl. hierzu etwa die Schwerpunktseite »Vollbeschäftigung« der Frankfurter Allgemeinen Zeitung; online verfügbar unter: {http://www.faz.net / aktuell / wirtschaft / vollbeschaeftigung / } (Stand Februar 2016).