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Thomas Kastura (Hg.)
Cocktail-Leichen

Von Thomas Kastura bisher bei KBV erschienen:

Scotch as Scotch can (Hg.)

Thomas Kastura (Hg.)

Cocktail-
Leichen

Kriminalgeschichten, geschüttelt und gerührt

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Originalausgabe
© 2016 KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH, Hillesheim
www.kbv-verlag.de
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Telefon: 0 65 93 - 998 96-0
Fax: 0 65 93 - 998 96-20
Umschlaggestaltung: Ralf Kramp
unter Verwendung von:
© Gennadiy Poznyakov – www.fotolia.de
Print-ISBN 978-3-95441-292-1
E-Book-ISBN 978-3-95441-306-5

Inhalt

CORNELIA KUHNERT:

Kein Blut auf dem Sand

RALF KRAMP:

Das Rätsel des grünen Kreises

BRIGITTE GLASER:

Witwenkuss

JEAN BAGNOL:

Der Drink seines Lebens

TATJANA KRUSE:

Die Unsterblichkeitsformel

PETRA NACKE:

Die Schwarze Madonna im French

KARR & WEHNER:

Operation Moonshaker – Die Welt trinkt nicht genug

TESSA KORBER:

Margarita geht

MARITA & JÜRGEN ALBERTS:

Rusty Nail

CHRISTIAN KLIER:

Der Weißrusse – White Russian

ELMAR TANNERT:

Beton

CHRISTIANE FRANKE:

Sex on the Beach

HEIDI FRIEDRICH & ARND RÜHLMANN:

Mit den Dritten killt man besser

SABINE TRINKAUS:

My Gin-Fizz-Spiration

LIROT & SCHLUETER:

Cocktail für zwei Leichen

PETER GODAZGAR:

Kirre Royal

URSULA SCHMID-SPREER:

Ladykiller

THOMAS HOEPS: Ein Banana Daiquiri

den man nicht ablehnen kann

VEIT BRONNENMEYER:

Sam Wolfe und der Sidecar

RICHARD BIRKEFELD:

Lumumba ist tot! Es lebe Lumumba!

FENNA WILLIAMS:

Der Atem des Teufels

ANGELA EßER:

Bloody Mary

THOMAS KASTURA:

Der unvollständige Mister Van der Belt

DIE AUTORINNEN UND AUTOREN

Kein Blut auf dem Sand

CORNELIA KUHNERT

Da klappert etwas. Das Geräusch kommt direkt aus dem Erdgeschoss. Jetzt knirscht es. Nein, es ist eher ein Schaben – Metall auf Holz. Mein Herz wummert. Ich drücke mich fest in die Matratze und denke mich ganz weit weg – wie als Kind, wenn sich die Eltern laut im Wohnzimmer gestritten haben. Nun ist es wieder still. Ich atme ganz langsam aus. Der Sturm ruckelt an den Fensterläden. Für heute und morgen ist starker Nordwind angekündigt. Der soll über Nacht noch zunehmen. Ich kuschle mich ins Bett und ziehe mir die Decke bis unters Kinn. Alles ist gut. Es ist der Wind, das himmlische Kind.

Nichts ist gut. Jetzt klappert es wieder. Das Geräusch kommt unten von der Eingangstür. Hebelt da etwa jemand die Tür auf? Verdammt, warum bin ich nicht nach Klanxbüll gefahren. Jetzt sitze ich in der Falle.

Die Einbruchsserie hat in den letzten Wochen alle beschäftigt, nicht nur die Zeitungen. Immer wieder bricht eine Bande nachts in Häuser ein, räumt wertvolle Sachen raus und geht brutal zur Sache. Ein Rentner in Keitum hat sich zur Wehr gesetzt. Zwei Wochen lag er im Koma, letzte Woche ist er gestorben, und Mittwoch haben alle im Zug darüber geredet.

»Kein Wunder, dass diese Banden auf die Insel kommen«, hat Silke gesagt, eine resolute Frau um die vierzig. Sie arbeitet im Supermarkt an der Fleischtheke und pendelt genau wie ich jeden Tag von Klanxbüll nach Westerland. »Ganze Orte verkommen zu Geisterstädten«, hat sie laut geschimpft.

Recht hat sie. Das ist doch nicht normal, was auf Sylt vor sich geht. Erst kaufen die reichen Säcke die Häuser. Zu horrenden Preisen, die sich kein Einheimischer leisten kann, und dann stehen sie leer. Nach dem Umbau, versteht sich. Hamburger fliegen ja noch mal übers Wochenende ein, aber Düsseldorfer und Konsorten kommen nur kurz im Sommer vorbei. Zum Angeben mit ihrer effektiven Geldanlage. Effektive Geldanlage. Den Begriff habe ich aufgeschnappt, als Doktor Sturm mit einem Interessenten eins seiner Objekte besichtigte. Doktor Sturm. Der Mann, der viel Wind macht.

Das Klappern wird lauter. Ich habe Angst. Verzweifelt sehe ich mich im Zimmer um. Zum Glück ist der Vollmond auf meiner Seite. Sein milchiges Licht fällt auf die schwere Kristallvase neben der Kommode. Ein Baseballschläger wäre mir zwar lieber, aber so muss es auch gehen. Leise stehe ich auf, schnappe mir das Kristallungetüm und schleiche Richtung Tür. Und warte.

Schritte auf der Treppe. Diese Typen geben sich nicht mal Mühe leise zu sein. Wozu auch? Alle Häuser in dieser Straße stehen leer, im Februar kommt keiner hierher. Schon gar nicht bei dem schlechtem Wetter der letzten Wochen: Regen, Wind, manchmal sogar Schnee.

Und mit mir rechnet sowieso keiner. Ich bin unsichtbar – niemand soll mich sehen. Das ist der Deal. Hat sich aber heute anders ergeben. Echt, ich mach das nur ganz selten, dass ich abends nicht mit dem Zug zurückfahre. Seit einem Jahr muss ich nämlich pendeln – weil ich mir eine Mietwohnung auf der Insel nicht mehr leisten kann. Schöne Scheiße. Ich will aber keinen Job in Itzehoe oder Husum, ich brauche das Inselklima, die Seeluft, das Rauschen des Meeres, das Kreischen der Möwen, Ebbe und Flut ... und natürlich Krischan.

Mein Krischan. Bald wird Krischan Dörte verlassen, das weiß ich. Die Trennung liegt quasi in der Luft – dann wird es mit uns beiden nicht nur was Festes, sondern auch was Offizielles. Krischan ist ganz verrückt nach mir. Als Dörte heute zum Doppelkopfspielen zu ihren Eltern gegangen ist, kam er gleich zu mir. Stante pede.

Ich hab das Wohnzimmer von Hausnummer zwölf extra für unser Treffen hergerichtet. Das mache ich immer, damit Krischan in Stimmung kommt. Kuschelmusik, gedämpftes Licht und jedes Mal einen besonderen Cocktail. Dieses Mal: Blood and Sand. Mit den Farben vom Blut und Sand der Stierkampfarena. Scotch, Kirschlikör, roter Wermut standen in der Hausbar. Nur Orangen waren keine da. Hab ich also welche gekauft. Blutorangen. Das passt am besten.

Als ich Krischan den Cocktail reichte, sagte er: »Der sieht ja richtig gefährlich aus. Was ist das denn für ein Mix?«

»Ein Cocktail für Liebende. Blood and Sand, das Elixier der Matadore.« Dabei blinzelte ich ihn an. Mit blutrot geschminkten Lippen. Versteht sich.

Krischan nippte an seinem Glas. »Schmeckt besser als gedacht.« Dann stellte er das Glas ab und drückte sich an mich. Küsste mich auf den Hals, dass es mir heiß und kalt den Rücken runterlief, und flüsterte: »Lass mich dein Matador sein ...« Genauso hatte ich mir das vorgestellt.

Mit tänzelnden Schritten bugsierte er mich nach oben ins Schlafzimmer und stürzte sich auf mich wie ein Verdurstender aufs Wasser – aber Hallo. Anschließend ist er sofort eingeschlafen. Völlig fertig war er. Kein Wunder. Dörte hatte ihn wieder den ganzen Tag schuften lassen. Strandkorbgitter aufschließen, zuschließen, Geflecht reparieren. Dörtes Familie vermietet Strandkörbe. Die Firma ist eine richtige Goldgrube.

Ich hab ganz still neben Krischan gelegen und ihn betrachtet. Er hat ein schönes Gesicht, auch wenn sich langsam ein Doppelkinn reinmogelt. Aber mir gefällt das, das hat so was Gemütliches. Nur die Heimlichkeiten gefallen mir nicht mehr. Schon lange nicht. Das hab ich ihm vorhin auch gesagt. Bevor er eingeschlafen ist. »Du hast ja recht«, hat Krischan gestöhnt, »das muss aufhören. Aber noch nicht jetzt. Du weißt doch: Ich muss ein bisschen Rücksicht auf Dörte nehmen. Und ihre Eltern.« Und die Firma. Das hat er aber nicht gesagt.

Als Krischan nach einer Stunde wieder aufwachte, hatte er es plötzlich ganz eilig. Sprang in seine Klamotten und machte sich vom Acker – um noch vor Dörte zuhause zu sein. Das hat mir die gute Stimmung etwas verhagelt. Ganz gewaltig, wenn ich ehrlich bin. Deshalb bin ich auch liegen geblieben. Gut, das stimmt nicht ganz. Ich bin noch mal runter und habe den Cocktailshaker hochgeholt. Und die beiden fast vollen Gläser. Erst hab ich meins ausgetrunken, dann Krischans und anschließend den Rest aus dem Schüttler. Wär ja sonst Verschwendung. Und da bin ich überhaupt nicht für.

Danach war ich viel zu müde, um noch zurück aufs Festland zu fahren. Und auch ein bisschen angeschickert. Außerdem ist dieses Pendeln die reine Zeitvergeudung. Vor allem, wo die Hütten ja hier eh immer leer sind – und ich die Schlüssel und den Code für die Alarmanlage habe. Lüften, feudeln, Blumen gießen. Und nun hab ich den Scheiß.

Die Schritte kommen näher. Jetzt stoppen sie vor meiner Tür. Der wird doch nicht etwa hier reinkommen? Tut er aber.

Die Klinke wird runtergedrückt. Angriff ist die beste Verteidigung. Die Vase im linken Arm reiße ich die Tür mit der rechten Hand auf. Mit einem Ruck.

Aus dem Augenwinkel sehe ich einen Mann, ein großer, korpulenter Typ. Der Kerl will gerade den Mund aufmachen, als ich ihm schon das Ungetüm aus Kristall auf den Kopf donnere. Beidhändig, das versteht sich von selbst.

Ich lande einen präzisen Treffer – und freue mich diebisch. Der Mann weicht zurück, er taumelt, direkt am Treppenabsatz. Dann geht alles ganz schnell. In dem einen Moment rudern seine Arme noch in der Luft und versuchen Halt zu finden, im nächsten strauchelt er und plumpst rückwärts Richtung Treppe – und dann immer weiter abwärts.

Ist ein unschönes Krachen, mit dem er unten in der Diele landet. Zwei Schritte und ich bin zurück im Zimmer. Regungslos stehe ich wieder rechts neben dem Kleiderschrank. Ohne Kristallvase. Mit Nachtischlampe.

Ich lausche. Nichts.

Nach fünf langen Minuten immer noch nichts. Nach einer Stunde wage ich mich langsam aus dem Zimmer. Der Typ liegt immer noch am Fuße der Treppe. Er rührt sich nicht – und sonst auch nichts. Vorsichtig steige ich die Stufen herab und besehe ihn mir genauer. Schmieriger Kerl. Garantiert einer von dieser Bande, die die Häuser nachts aufbricht. Richtig verschlagen sieht er aus – sogar im Tod.

Der nächste Morgen beginnt vielversprechend. Kräftiger Nordwind treibt die Wolken in den Süden und die Sonne legt sich schon früh am Morgen ins Zeug. Ein Tag zum Helden zeugen, würde Krischan sagen. Der Spaten flutscht ins Erdreich. Stechen, heben, werfen und wieder von vorne.

Der Sandhaufen wächst schnell. Schweiß rinnt mir von der Stirn und läuft in gerader Bahn auf meine Nasenwurzel zu, aber das stört mich nicht. Ohne nachzudenken arbeiten meine Arme, finden einen ganz eigenen Rhythmus. Plötzlich vibriert das Handy in meiner Hosentasche. Eine SMS von Krischan?

Nein, von Doktor Sturm. Er will mich in zwei Stunden hier treffen. Der Mann, der immer viel Wind macht.

Es hat keinen Zweck ihn zu vertrösten, lieber schaufele ich schneller. Eine Stunde später liegt der Dicke in der Grube. Ich setze die Rosen wieder an ihre alten Plätze und harke den Boden. Kein Blut auf dem Sand. Nichts. Dann wische ich das Treppenhaus. Zum Glück hat sich die Schweinerei mit dem Blut in Grenzen gehalten. Gerade postiere ich mich mit dem Wischeimer vor der Haustür, da fährt Sturm auch schon mit seinem Porsche auf den Kiesweg vorm Reetdachbungalow.

»Guten Morgen, Frau Mortensen.«

»Moin, Doktor Sturm.« Sturm legt Wert auf seinen Titel, den hat der sich bestimmt teuer gekauft. Kennt man ja. Aber egal, immer schön Honig um den Bart schmieren, das mag der alte Knacker.

»Ist Herr Nutzel schon da?«

»Nutzel?« Ich verstehe kein Wort. »Wer soll das denn sein?«

»Der vielleicht neue Besitzer. Er möchte das Haus von einem Geschäftspartner kaufen. Wollte eigentlich schon gestern herkommen und sich das Haus ansehen.« Ein bellendes Lachen folgt, dann räuspert er sich. »Ich dachte, er wäre bereits da. Hatte vor, ihn zu begrüßen.«

Ach du Scheiße.

»Alleinstehende Herren kommen ja gerne ohne Begleitung auf die Insel.« Es folgt erneut eine Lachsalve. Sturm hört sich an wie ein Dackel mit Bronchialkatarrh. »übrigens, bei Hausnummer vierzehn können Sie gleich mit der Grundreinigung weitermachen. Das Anwesen soll auch verkauft werden. Nächste Woche kommen die ersten Interessenten. Hier ist der Schlüssel und der Zahlencode für die Alarmanlage.«

Als Sturm weg ist, brauche ich erst mal was zu trinken. Was Starkes. Ich gieße mir einen ordentlichen Schluck Whisky ein. Den roten Kram lasse ich dieses Mal weg. Mit dem vollen Glas in der Hand gehe ich in den Garten.

»Dumm gelaufen«, murmele ich und proste Nutzels Grab zu. »Im Ernst. Tut mir echt leid. Aber das habe ich ja nun beim besten Willen nicht ahnen können, dass Sie ... Andererseits: Was schleichen Sie sich auch nachts ins Haus! Und vor allem: Warum hat mir kein Schwein vorher Bescheid gesagt, dass Sie im Anmarsch sind? Sturm schickt mir ja sonst auch eine SMS nach der anderen.«

Die Rosenköpfe wippen im Wind. Sieht aus, als würden sie mir zunicken. Das ist ein gutes Zeichen. Gleich fühle ich mich besser. Geradezu belebt. Probleme sind dazu da, gelöst zu werden. Und das habe ich mal wieder mit Bravour geschafft.

Bleibt nur noch mein Dauerproblem: Dörte. Das sollte ich endlich in Angriff nehmen. Wo ich doch gerade so einen guten Lauf habe. Vielleicht ein Schlag auf den Hinterkopf oder ein bisschen Rattengift in den Tee – und dann ab mit ihr ins Wildrosenbeet von Hausnummer vierzehn. Der Platz ist verschwiegen und unwegsam. Keine Strandkörbe. Genau das Richtige für Dörte.

Blood and Sand

2 cl Whisky

2 cl Kirschlikör (Cherry Brandy)

2 cl roter Wermut

2 cl frisch gepresster Orangensaft

In einen Cocktailshaker kommen pro Glas je vier gleiche Teile von schottischem Whisky, Kirschlikör, roter, süßer Wermut (Vermouth) und frisch gepresstem Orangensaft. Je nach Geschmack mit ein paar Eiswürfeln schütteln. Dann alles ab in eine vorgekühlte Cocktailschale, die sogenannte Coupette, und genießen.

Das Rätsel Des grünen Kreises

RALF KRAMP

Mein Freund Reginald Lord Merridew kräuselte voller Abscheu die Lippen und wandte den Blick von meinem Glas hin zu dem azurblauen Meer, das mit freundlichem Wellenschlag gegen die Kaimauer brandete. »Als Bonbons, meinetwegen, als Tee vielleicht noch im Notfall, aber als alkoholisches Getränk?« Er sah mich säuerlich an. »Na, schlürfen Sie nur Ihren Hustensaft. Ich bleibe bei meinen Port in a Storm, da weiß ich, was ich habe.«

Wenn ich auf Reisen bin, probiere ich sehr gerne die regionalen Spezialitäten aus. Und wo, wenn nicht hier, hätte wohl so gut ein Sazerac gepasst, ein Cocktail aus Roggen-Whiskey und Pastis? Zumal Paul Ricard, der Produzent dieser berühmten Spirituose, nur einen Steinwurf von hier, an den Calanques, sein Domizil hatte. Man begegnete seinem Namen an jeder Straßenecke.

»Port in a Storm«, sagte ich und machte eine weitschweifige Bewegung mit der Hand. »Der Hafen von Cassis liegt im friedlichem Schlummer des späten Sonntagnachmittags. Von Sturm kann keine Rede sein.«

»Vergessen Sie nicht, weshalb wir hier sind, Nigel«

»Unser Rendezvous.«

»Ersparen Sie mir Ihre frankophilen Anwandlungen. Es reicht schon, dass wir seit unserer Ankunft von all diesen Franzosen umgeben sind. Wäre da nicht unser Auftrag, wäre es mehr, als ich ertragen kann.«

Wir waren in Wirklichkeit seit unserer Ankunft am Vormittag noch nicht allzu vielen Franzosen begegnet. In der Nebensaison herrschte an der Côte d´Azur bekanntermaßen nur mäßiger Betrieb. Viele Lokale machten ihre alljährliche Pause, und die Badestrände waren alles andere als bevölkert.

Wir befanden uns auf einer Cocktailparty im Restaurant des Hôtel du Port. Unser Auftraggeber hatte uns zu einer Einladung verholfen und uns sehr geheimnisvoll eine Kontaktperson vor Ort angekündigt. Alle weiterführenden Fragen Merridews waren unbeantwortet geblieben, was ihm sehr missfallen hatte. Und nun standen wir hier, umringt von zahlreichen bizarren Gestalten. Austin und Nat Pendleton, die Gastgeber, waren amerikanische Kunstsammler. Sie pflegten offenbar die Gesellschaft kreativer Geister und erfreuten sich am Nervenkitzel einer Umgebung, die den Eindruck vermittelte, in ihr könnte sekündlich ein Skandal ausbrechen. Eine aus Ungarn stammende Performance-Künstlerin, die entfernt mit dem in letzter Zeit sehr populär gewordenen Andy Warhol verwandt war, trug beispielsweise golden glänzenden Ohrschmuck zur Schau, bei dem es sich wahrhaftig um zwei asiatische Schmetterlingspuppen handelte, deren Verwandlung für den Verlauf des heutigen Abends erwartet wurde. Ein anderer Künstler bemalte pausenlos Stoffservietten mit anzüglichen Motiven. Ganz offenbar war dieser Ort ein Magnet für Kunstschaffende und Kunstliebhaber, obwohl Merridew bei der Silbe »Kunst«, wann immer jemand sie in den Mund nahm, nur abfällig zu grunzen pflegte.

Ich wollte gerade etwas Beruhigendes sagen, um die Ungeduld meines Freundes zu besänftigen, der das Erscheinen unseres ominösen Kontaktmanns herbeisehnte, als eine zarte Stimme hinter uns fragte: »Ist wohl einer der beiden Herren der berühmte Lord Merridew?«

Die Frau, zu der die Stimme gehörte, war zierlich und braun gebrannt. Ihre blonden Haare hatte sie auf fahrlässige Art und Weise zu einem struppigen Gebilde hochgesteckt, und sie trug einen Hosenanzug mit einem schreiend roten und orangefarbenen Tupfenmuster.

Merridew deutete, während er eine Augenbraue skeptisch in die Höhe zog, eine Verbeugung an und sagte mit tiefem Brummbass: »Der wäre ich, Madam. Und dies hier ist mein Begleiter, Mr Nigel Davison.«

»Freut mich sehr, Gentlemen. Ich bin Felicity Egan.« Sie streckte uns die zierliche Hand hin. Eine kontinentale Geste, die Merridew mit sichtbarem Missvergnügen und ich mit einem Gefühl unmittelbarer Sympathie erwiderte. Diese quirlige kleine Person hatte mich vom ersten Moment an für sich eingenommen. »Man hat mir gesagt, ich würde Sie hier treffen. Es geht um …« Sie senkte die Stimme und schickte prüfende Blicke nach rechts und links. »… die Fälschungen.«

Deshalb war Merridew auf den Kontinent entsandt worden. In ein Land, das seiner Meinung nach, nach der Rückeroberung von Calais durch die Franzosen 1558 kein Engländer jemals wieder hätte betreten dürfen. Eine Reihe von Gemälden war seit einiger Zeit im Umlauf, die keinem geringeren Künstler als dem ehemaligen Premierminister Winston Churchill zugeschrieben wurden. Sie zeigten Mittelmeerimpressionen und südliche Landschaften und waren auf die Zeit datiert, in der der junge Winston genau hier, in Cassis, das Malen erlernt hatte. Tragischerweise entpuppten sie sich jedoch als ausgesprochen gekonnte Fälschungen. Bei Churchills Originalen handelte es sich zwar nicht um Kunstwerke von außergewöhnlicher Qualität, aber die Tatsache, dass jemand den Namen unseres früheren Premiers beschmutzte, hatte den Londoner Sammler Lord Trollope derart verstimmt, dass er Merridew mit dem Fall betraut hatte. Und als wir erst einmal begonnen hatten herumzustochern, waren plötzlich überall in England falsche Churchills aufgetaucht, vierzehn Mal allein die Ansicht des imposanten Felsens, der im Osten der Bucht von Cassis im sich langsam rötlich verfärbenden Licht erstrahlte.

Lord Trollope hatte uns eine Kontaktperson in Südfrankreich angekündigt, die bestens über die hiesige Kunstszene informiert sei. Dass es sich dabei um eine lebhafte junge Frau handelte und nicht um einen verknöcherten Kunstprofessor, hatte er nicht erwähnt. Sie lächelte uns herausfordernd an und genoss offenbar unsere Verblüffung.

»Klappen Sie ruhig Ihre Münder wieder zu, meine Herren. Lord Trollope hat mich vor drei Wochen gebeten, mich ein wenig umzuhören. Seit ein paar Jahren gehöre ich zu seinem weltweiten Netzwerk von Kunstsachverständigen. Ich bin in England geboren, in Ipswich. Zur Kunst bin ich eigentlich übers Theater gekommen. Im Drury Lane Theatre habe ich damals Kulissen gemalt.«

»Und heute leben Sie in Frankreich?«, fragte Merridew mit gespitzten Lippen.

»Erst seit Kurzem, in Marseille. Ich bin einigermaßen rumgekommen. Studiert habe ich in Verona, und dann war ich auch noch ein paar Jahre in Madrid.«

Ich blickte zu Merridew und stellte amüsiert fest, dass er sein Unverständnis über diese Art von Lebenswandel nur unschwer verhehlen konnte.

»Nun, dann wollen wir mal das Angenehme hinter uns bringen und uns der Arbeit widmen«, sagte Felicity Egan und schwenkte ihren Cocktail, eine rötliche Mixtur, die zu ihrer Kleidung passte. »Ein Dempsey«, sagte sie und stieß mit uns an. »Gin, Calvados, Grenadine und – wie könnte es an diesem Ort auch anders sein – Anisschnaps.«

Merridew grunzte wieder verächtlich. Wir tranken.

»Das da ist Cap Canaille«, erklärte sie und wies zu dem Felsen hin. »Churchill hat sich oft daran versucht. Zuletzt vor zwanzig Jahren, als er hier zu Gast bei dem Verleger Lord Beaverbrook war. Es gibt keine Stunde des Tages, in der dieser Felsen schöner aussieht, finden Sie nicht?«

Ich stimmte ihr zu, obwohl ich noch keinen Vergleich hatte heranziehen können. »Atemberaubend.«

Merridew klopfte mit seinem Gehstock gegen mein Knie, da er beobachtet hatte, dass sich mein Blick ungewollt von den Schönheiten der Natur zu unserer neuen Bekannten verirrt hatte.

Sie blickte auf ihre winzige Armbanduhr und reckte dann den Hals, um die anwesenden Gäste zu prüfen. Es war deutlich erkennbar, dass die Pendletons die Gegenwart der Bohème schätzten. Ich erkannte die Pigasse-Zwillinge, zwei bärtige Männer mittleren Alters, die sich glichen wie ein Ei dem anderen und die weltweit als Architekten skurriler schneckenhausähnlicher Wohngebäude bekannt waren.

»Guter Gott, was für ein Panoptikum«, knurrte Merridew.

»Und wir mitten darin.« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Dann entdeckte ich die deutsche Autorin, deren Namen ich mir noch nie hatte merken können, und die trotz ihrer literarischen Fragwürdigkeit recht gut lebte, da ihr verstorbener Gatte, ein großer Sammler, ihr nicht nur ungezählte Kunstschätze, sondern auch üppige Konten in jedem Land der Erde, das über Banken verfügte, hinterlassen hatte.

Als ich gerade die seltsame Gestalt bestaunte, die sich gestenreich mit ihr unterhielt, spürte ich Felicity Egans Hand auf meinem Unterarm. Sie packte fest zu und zischte: »Da ist er, Gentlemen.«

Merridews Augenbrauen krochen über seiner enormen Adlernase in die Höhe. »Wen von diesen schaurigschön schrägen Vögeln meinen Sie, Miss?«

»Das ist der Mann, den wir suchen. Der, der bei dieser Deutschen steht. Der mit dem Grasshopper in der Hand. Aristide de Pourquoi!«

»De Pourquoi?«, fragte Merridew.

»Ein Künstlername. Eigentlich heißt er Pierre Dupont.«

»Das nun wiederum klingt ausgemacht langweilig.«

»Eben. Meine Nachforschungen haben ergeben, dass es sich bei ihm um den Schöpfer der falschen Churchills handeln muss.«

Der Mann war groß und von stattlichem Umfang. Fast so wie mein Freund Merridew. Er trug die grauen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und steckte in einem blauen Overall, wie ihn Automonteure trugen. Er war glatt rasiert und hatte ein überaus markantes Kinn, das seine ohnehin schon winzige, runde Nase völlig in den Hintergrund treten ließ.

»Du meine Güte, was für ein Kauz«, entfuhr es mir.

»Ja, das ist sein Markenzeichen. Der blaue Overall. Nie sieht man ihn ohne.«

Laut schwadronierte der Mann herum und benutzte dabei beide Hände, wie ich das bei den Franzosen schon oft beobachtet hatte. Der grünliche Cocktail schwappte in seinem Glas hin und her. Irgendwas schien Pourquoi mächtig aufzuregen, denn seine Stimme schallte laut zu uns herüber, und seine Gesprächspartnerin aus Deutschland warf bereits Schutz suchende Blicke nach rechts und links.

»Wie haben Sie ihn ausfindig gemacht?«, fragte ich.

»Ich habe mich an den englischen Gentleman gehalten, den mir Lord Trollope als Mittelsmann zwischen ihm und den Künstlern benannte. Ein Mr Brian Gallico aus Paris. Lord Trollope verkehrt mit ihm nur schriftlich.«

»Brian Gallico, ja, in der Tat. Lord Trollope hat seinen Namen erwähnt«, murmelte Merridew. »Er sagt, der Kontakt zu ihm sei urplötzlich abgebrochen.«

»Das wundert mich allerdings nicht«, sagte Miss Egan bitter. »Ich bin nach Paris gefahren. Fehlanzeige. Der Kerl ist auf und davon. Sein Büro ist leer geräumt. Keiner weiß, wo er hin ist. Hat offenbar kalte Füße gekriegt, als sein Handel mit den Fälschungen aufgeflogen ist. Es hat mich einiges an Fragerei und Nachforschungen gekostet, um ein paar Informationen über seine Arbeit zu erhalten. Seine Nachbarn, ein paar frühere Angestellte … Eine Spur führte schließlich hierher, nach Cassis. Und hier ist er nun: Aristide de Pourquoi. Glauben Sie mir, meine Herren, wenn wir ihn haben, haben wir auch bald seinen Auftraggeber Gallico, denn Pourquoi wird uns zu ihm führen.«

Der Künstler blickte auf seine Uhr und riss entsetzt die Augen auf. Ein paar laute Rufe ausstoßend wandte er sich um und stürmte aus der Bar. Wir konnten sehen, wie er die Hotelstufen zur Promenade hinunterstolperte.

»Wie war das?«, fragte Merridew. »Herr im Himmel, diesen nuscheligen französischen Singsang versteht ja kein Mensch!«

Wir sprangen auf die deutsche Autorin zu, die daraufhin erneut zusammenschrak. »Was hat Pourquoi gerade gesagt?«, fragte nun auch Felicity Egan.

»Sein Atelier«, stammelte die Deutsche mit hartem Akzent. »Ein wichtiger Besuch aus Paris.«

Felicity drehte sich zu uns um, und der Glanz des Triumphs blitzte in ihren Augen auf. »Nun, meine Herren, geht uns die Kanaille in die Falle!«

Sie stürmte voran, Merridew und ich hatten Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Ein Kellner händigte ihr eine Umhängetasche aus. »Mein Fotoapparat«, sagte sie hastig und lief schon weiter, die Rufe unserer Gastgeber, die dies nicht für eine angemessene Form der Verabschiedung hielten, ignorierend.

Vor dem Hotel hielten wir uns rechts, ganz im Gegensatz zu Pourquoi, der sich nach links entfernt hatte.

»Vertrauen Sie mir!«, rief Felicity. »Ich habe ihn nicht umsonst ausspioniert. Sie werden gleich sehen, dass wir auf dem richtigen Weg sind!«

Merridews Schnaufen an meiner Seite machte einer Diesellok alle Ehre, als wir winzige Stufen zwischen ockerfarbenen Häusern hinaufhasteten. Das kleine Hafenstädtchen war ein einziges Gewirr kleiner Gässchen und versteckter Durchgänge.

Nach wenigen Minuten erreichten wir eine kleine, grüne Holztür. Felicity sperrte sie auf, und wir fanden uns in einem muffigen, finsteren Treppenhaus wieder. Erneut ging es zahlreiche Stufen hinauf. Ich selbst war bereits völlig außer Atem, und ich wagte nicht, mich nach meinem Freund umzudrehen, der besorgniserregende Geräusche von sich gab.

Schließlich erreichten wir das dritte Stockwerk, und die junge Frau sperrte eine weitere Tür auf.

Ein fast leerer Raum. Zwei Stühle, ein Tisch, eine Liege, nicht mehr.

Das Fenster war winzig, und als Felicity Egan uns im nächsten Moment herbeiwinkte, gelang es uns kaum, zu dritt einen Blick hinauszuwerfen.

Während Miss Egan ihren Fotoapparat hervorkramte, starrten Merridew und ich verwirrt über die Dächer von Cassis. Ein zerklüftetes Meer terracottafarbener Hohlziegel breitete sich vor uns aus.

»Was zum Teufel …« Ob es Zornesröte war, die Merridews Gesicht aufglühen ließ, oder ob dies noch dem hinter uns liegenden Spurt zuzuschreiben war, vermochte ich nicht zu sagen. Schweißperlen rannen mir die Stirn hinunter.

Felicity Egan brachte ihren Fotoapparat, der mit einem bemerkenswerten Teleobjektiv bestückt war, in Position und erklärte fast beiläufig: »Von hier aus habe ich Pourquoi beobachtet. Er bewohnt eine kleine Dachgeschosswohnung im Haus gleich neben dem Hotel. Dies hier ist der einzige Platz, von dem aus man in sein Zimmerfenster spähen kann.«

Ich begann zu verstehen. Unser Weg hatte uns um mehrere Ecken genau hinter die Gebäude der Hafenfront geführt. Es schien zwar so, als hätten wir ganz Cassis durchquert, aber in Wirklichkeit waren wir nur etwa dreißig Meter Luftlinie von unserem Ausgangspunkt entfernt.

»Na also«, murmelte Miss Egan, die nun durch den Fotoapparat linste und das Objektiv scharf stellte. »Nun werden wir Monsieur de Pourquoi und seinen geheimnisvollen Besucher gleich sehen. Und mit etwas Glück ist es Mr Gallico, der ihn heute … Moment mal … Oh, mein Gott!«

Ich versuchte, mit bloßem Auge zu erkennen, was sie so aufschrecken ließ. Zwischen zwei Mauervorsprüngen hindurch erkannte ich das Fenster, um das es sich handeln musste. Es ging bis zum Boden. Ich sah eine weiße Wand …, ein einzelnes Möbelstück, eine Art Sideboard mit einer Vase darauf … Und was war das auf dem Boden?

Neben mir klickte Miss Egans Fotoapparat ein paar Mal, bevor sie ihn an Merridew weiterreichte. »Hier, sehen Sie …«

»Grundgütiger!«, rief Merridew. »Wir müssen da sofort hin!«

»Aber, was ist denn nur?« Vergebens versuchte ich, nach dem Apparat zu greifen. Etwas polterte. Miss Egan war gegen einen Stuhl gestoßen, der umkippte. Während ich ihn wieder aufstellte, kreischte sie plötzlich auf. »Da! Der haut ab!« Sie riss augenblicklich das Fenster auf und erklomm mit der Behändigkeit einer Katze das Fensterbrett.

»Könnte mir vielleicht endlich jemand sagen, was da los ist?« So langsam verlor ich die Geduld.

Merridew ließ den apparat endlich sinken und reichte ihn mir. Während ich versuchte, das Fenster des Künstlerateliers in den Fokus zu bekommen, schrie Miss Egan laut »Bleiben Sie stehen!« und schwang sich aus dem Fenster. »Kommen Sie, wir kriegen ihn!« Leichtfüßig bewegte sie sich mit ihren zierlichen, schwarzen, absatzlosen Schuhen über die Dachziegel vorwärts.

»Seinen Sie keine Närrin!«, rief Merridew ihr nach. »Wen auch immer Sie da gesehen haben, er ist ein Mörder!«

Und nun sah ich endlich, was die beiden auch gesehen hatten: Aristide de Pourquoi lag ausgestreckt auf dem Boden seines Zimmers. In seiner Brust steckte etwas, das ich dank des Fotoapparats eindeutig als Messer identifizieren konnte.

»Passen Sie um Gottes Willen auf«, rief ich Felicity Egan hinterher, die sich zu unserer Rechten über die Dächer entfernte. Ihre lauten Rufe verhinderten offenbar, dass sie uns hörte.

»Folgen Sie mir!« Merridew stieß mich in die Seite. »Die junge Dame verfügt über zirzensische Fähigkeiten, die uns im Laufe der Jahrzehnte abhandengekommen sind! Wir beide müssen zwangsläufig den Weg zurück nehmen, den wir gekommen sind.«

Wir tummelten uns die schmale Treppe zur Straße hinunter, und nach einem kurzen Moment der Orientierung schlugen wir den Weg ein, den wir gekommen waren. Nach der nächsten Wegkehre wäre ich fast in eine Sackgasse gelaufen, aber Merridew schwenkte seinen Stock und rief: »Hier entlang, Nigel! Meine Güte, wie finden Sie nur immer wieder von Ihrem Büro nach Hause?« Passanten starrten uns hinterher. Wir vermittelten offenbar einen ziemlich verwirrten Eindruck.

Schließlich gelangten wir wieder zum Hotel. Ein großer Teil der Gäste war inzwischen auf die Eingangstreppe hinausgegangen, um die beiden Schmetterlinge zu bejubeln, die just den Ohrringen der Künstlerin entschlüpft waren und in die laue Nachmittagsluft hinaufstiegen. Applaus schallte von der Fassade wieder.

Mit einem dröhnenden »Weiter!« enterte Merridew den Hausflur des Gebäudes gleich nebenan. Und wieder sahen wir uns einem Meer von Treppenstufen gegenüber. »Auf, zum Gipfel!«, trompetete Merridew. Aus seinen Nasenlöchern zischte es wie aus einem Dampfkessel. Als wir die Tür zur Dachgeschosswohnung erreicht hatten, stellten wir fest, dass sie natürlich abgeschlossen war. Ich begann, laut dagegen zu hämmern.

»Wer soll uns denn öffnen?« Merridew trat ein paar Schritte zurück, dann warf er sich mit seiner ganzen Körpermasse gegen das Türblatt, das ohne Gegenwehr nachgab und mit Getöse in das Innere des Raumes schwang. Ein Schlüssel klimperte zu Boden.

Der Raum hatte drei Fenster. An zweien von ihnen waren die Vorhänge zugezogen. Durch das dritte hatten wir den Leichnam entdeckt. Es stand einen winzigen Spalt offen. Hier war der Mörder entkommen. Es bestand kein Zweifel daran, dass es sich bei dem Körper auf dem Boden um den des Kunstfälschers Aristide de Pourquoi handelte. Und dass er tot war, stand ebenfalls außer Frage, wie ich mit einem Griff an seine Halsschlagader feststellen konnte. Er hatte die Augen schreckgeweitet aufgerissen, und in seiner Brust steckte das Messer, dessen Klinge so rot gefärbt war wie der Teppich um ihn herum.

Laut keuchend stützte sich Merridew auf der weiß lackierten Kommode mit der Vase ab, die ich durch das Fenster gesehen hatte.

»Ich fürchte, dieser Mann wird uns keinerlei Auskünfte mehr über falsche Churchills oder windige Kunsthändler aus Paris erteilen können«, sagte ich schwer atmend.

Merridew richtete sich auf und durchquerte den Raum. »Wollen doch mal sehen«, sagte er, immer noch nach Luft ringend. Er ging zum Fenster, öffnete es kurz und blickte hinunter zum Pflaster des Hinterhofs. Dann brachte er es wieder in die Position, in der wir es vorgefunden hatten. Er machte eine Tür auf, die zu einem kleinen, fensterlosen Badezimmer führte. Dort sah er sich kurz um, ließ den Blick über das Bord schweifen, begutachtete die kleine Badewanne und den Stapel Handtücher und machte nur »Hm.«

Als er die nächste Tür aufmachte, klang sein »Aha!« schon euphorischer. Was sich hier offenbarte, sprach eine überdeutliche Sprache. Es gab zahlreiche auf Keilrahmen gespannte Leinwände unterschiedlicher Größe. Ein Regal voller Töpfe und Tuben, Gläser und Becher voller Pinsel. Eimer mit weißer Farbe, Lammfellwalzen, Skizzenblöcke, Stifte und Zeichenkohle. An den Wänden hingen ein paar bereits fertiggestellte Gemälde, darunter allein zwei Mal der Blick auf das Cap Canaille. Man brauchte kein Fachmann zu sein, um diese Bilder als Kopien des bekannten Gemäldes von Sir Winston Leonard Spencer-Churchill zu identifizieren. Als ich näher herantrat, erkannte ich auch die Signatur.

In diesem Augenblick wurde nebenan das Fenster aufgestoßen, und Felicity Egan sprang in den Raum. »Verflucht!«, zeterte sie. »Verflucht, verflucht, verflucht!« Mit zornesrotem Gesicht ballte sie die Fäuste und stampfte mit dem Fuß auf. »Er ist mir entwischt!«

»Wer war es?«, fragte ich und kam zu ihr, als sie entsetzt auf den Leichnam starrte. »Haben Sie ihn erkennen können?«

»Ich glaube, er hatte rotes Haar«, presste sie zerknirscht hervor und konnte den Blick nicht von dem Toten wenden. »Aber das lag vielleicht an der Sonne, sie steht schon sehr tief. Ein Mann war es jedenfalls. Mittelgroß, dunkler Mantel, Handschuhe.« Sie warf die Hände in die Luft, um zu signalisieren, dass diese spärlichen Informationen alles waren, was sie zur Lösung des Falles beisteuern konnte. »Mit etwas Glück ist er auf einem der Fotos drauf«, sagte sie schwach.

Merridew, der nebenan unterdessen die gegen die Wand gelehnten Stapel von halb fertigen Gemälden und weiß grundierten Leinwänden inspiziert hatte, kam zu uns, seufzte tief und ließ sich auf einem der beiden Sessel nieder, die vorhin außerhalb unseres Sichtfelds gestanden hatten. Er stützte die Hände auf den Knauf seines Gehstocks und legte das Kinn darauf. »Das glaube ich kaum«, sagte er. Zu meiner Verblüffung umspielte ein Lächeln seine schmalen Lippen.

»Was meinen Sie, Merridew?«

»Ich denke nicht, dass dieser geheimnisvolle Mann auf einer der Fotografien zu sehen sein wird.«

»Und wieso nicht?«

Er deutete mit dem Zigefinger auf den Toten. »Das da ist zweifellos Aristide de Pourquoi. Ein Künstler, der diese Dachgeschosswohnung gemietet hat. Darüber wird uns sicherlich der Hausbesitzer Auskunft erteilen. Stimmen Sie mir zu, Miss Egan?«

Sie nickte irritiert, und als er sie mit einer Geste einlud, auf dem anderen Sessel Platz zu nehmen, kam sie seiner Aufforderung nach.

»Pourquoi hatte ein Rendezvous«, fing Merridew an, und ich wunderte mich, wie verächtlich man dieses schöne Wort aussprechen konnte. »Das wissen wir von der deutschen Autorin. Mit wem, das entzieht sich unserer Kenntnis. Mit Mr Gallico? Vermutlich ja, aber sicher sein können wir nicht. Jedenfalls sollte er zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt hier sein. Und wissen Sie auch, warum, mein lieber Nigel?«

Ich zuckte ratlos mit den Schultern.

»Wegen des Lichts!«, rief er triumphierend. »Es ist das Licht, das für jeden Künstler eminent wichtig ist. Miss Egan hat das Licht heute nicht weniger als zwei Mal erwähnt!«

Worauf wollte er hinaus? Ich hasste es, wenn mein Freund sich in Andeutungen erging und alle anderen um ihn herum wie Trottel aussehen ließ.

»Da Sie mal wieder im Dunkeln tappen, anstatt durch das Licht zu wandeln, Nigel, bitte ich Sie, mir ein paar Antworten auf meine Fragen zu geben. Was sehen Sie auf dem Sideboard dort?«

»Eine Vase. Eine ziemlich hässliche Vase aus blauem Glas, um genauer zu sein. Die habe ich auch von unserem Beobachtungsposten aus gesehen.«

»Was noch?« Es klang, als spräche er mit einem Erstklässler.

Verwirrt trat ich näher. »Flecken. Vermutlich Ölfarbe. Nicht gerade ungewöhnlich in einem Künstleratelier. Gelb, blau. Manche sind verwischt. Hier ist ein Kreis. Jemand hat hier mal eine Farbdose abgestellt.«

»Haha! Einen Kreis hat er entdeckt!«, dröhnte Merridew.

»Ja, einen blassgrünen.«

»Wenn Sie nun die Güte hätten, diesen Kreis mit der Fingerspitze zu berühren und diese abzuschlecken.«

Ich tat widerstrebend, wie mir geheißen, und stellte fest, dass diese Farbspur noch frisch war. Feucht und klebrig. Ich führte den Finger zum Mund und war von dem Ergebnis überrascht. »Das ist Alkohol. Minze … Schmeckt wie ein … Grasshopper!«

»Genau, mein Freund! Aristide de Pourquoi trank einen minzig-milchigen Grasshopper! Bestehend aus Crème de Menthe, Crème de Cacao und Sahne, wenn ich richtig liege. Und in der Eile nahm er ihn vorhin einfach aus dem Hotel mit hinauf in sein Künstleratelier. Vergessen Sie nicht, er war sehr erregt und hatte einen wichtigen Termin!«

Ich nickte nachdenklich und wusste noch immer nicht, wohin das führen sollte.

»Zweite Frage: Wie groß sind im Durchschnitt die im Nebenraum gelagerten Leinwände?«

Ich ging nach nebenan, um nachzusehen. Es waren sehr viele. Sie standen kreuz und quer und schief gestapelt, aber sie schienen mir alle nicht größer als einen Meter mal siebzig Zentimeter zu sein. Ich teilte Merridew meine Beobachtung mit.

»Keine einzige ist größer?«

Doch, da gab es einen Keilrahmen, der etwas versteckt hinter den anderen lagerte. Auch er war nicht höher als einen Meter, aber als ich mich ein wenig vorbeugte, konnte ich erkennen, dass er sicherlich einen Meter siebzig in der Länge maß.

Merridew sah mich tadelnd an. »Ein bisschen Mühe könnten Sie sich schon geben, Nigel. Mache ich mir mit Ihnen ja auch. Schon seit Jahren. Und jetzt die dritte Frage, ein Test Ihres Allgemeinwissens: Mit welcher obskuren Maltechnik wurde der amerikanische Künstler Jackson Pollock berühmt?«

Das war leicht. »Tropfen! Er ließ Farbe auf die Leinwand tropfen. Spritzer und Kleckse und all so was! Hören Sie, Merridew, ich weiß nicht …«

Auch Felicity Egan wurde nun ungeduldig. »Ganz genau, Lord Merridew. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Da draußen läuft ein Mörder frei herum!« Sie schickte sich an aufzustehen, aber Merridew unterband dies mit der Geste seiner ausgestreckten Hand.

»Im Gegenteil, wir haben alle Zeit der Welt!«

Ich wurde ärgerlich. »aber wieso denn, Merridew?«

»Weil er gar nicht da draußen ist.« Und als er meine überraschung sah, erklärte er freundlich lächelnd: »Der Mörder, von dem Miss Egan angibt, er sei über die Dächer geflohen, existiert nicht.«

»Die Tür war von innen verschlossen. Er kann nur durch das Fenster geflohen sein!«

»Das stimmt zweifellos. Aber Sie sind auf dem falschen Dampfer! Wann soll er seine Tat denn verübt haben?«

»Es muss irgendwann zwischen dem Zeitpunkt passiert sein, als Pourquoi das Hotel verließ und dem Moment, in dem wir seinen Leichnam durch das Fenster sahen!« Felicity Egan warf verärgert die Arme in die Luft.

»Eben nicht!«

»Aber wann denn sonst?« Ich verstand die Welt nicht mehr.

»Als wir beide auf dem Rückweg waren«, brummte Merridew und wuchtete seinen massigen Körper aus dem Sessel hoch. »Als wir durch die Gassen zurück zum Hotel stolperten. Da ist jemand hier eingedrungen und hat das Messer in das Herz des überraschten Künstlers gebohrt. Dann brachte er ihn genau in die Position, in der wir ihn vorher schon durch das Fotoobjektiv zu sehen meinten. Aber der Mörder kam nicht durch die Tür, sondern durch das Fenster. Und bei dem Mörder, hinter dem wir den geheimnisvollen Mr Gallico vermuten, der sich in Luft aufgelöst hat, handelt es sich nicht um einen Mann, wie Lord Trollope aufgrund seiner Briefkorrespondenz immer gedacht hatte, sondern um eine Frau.«

Felicity Egan sprang auf, doch mit einem ungestümen Stoß seines Gehstocks beförderte Merridew sie in die Plüschpolster zurück. »Sie sind die Mittelsfrau, die dafür gesorgt hat, dass die Bilder von Aristide de Pourquoi und was weiß ich noch wie vielen anderen Fälschern ihren Weg zu gutgläubigen Sammlern gefunden haben, Miss Felicity Egan!«

»Sie Bastard!«, spuckte sie regelrecht aus. »Wie haben Sie das herausgefunden?«

»Ja, genau, Merridew«, sagte ich fassungslos, bereit, handgreiflich zu werden, falls Miss Egan einen Fluchtversuch wagen sollte.

»Sie haben mir drei Fragen beantwortet, Nigel«, sagte Merridew und zupfte sich betont beiläufig die Manschetten zurecht. »Allerdings nur teilweise, wie ich leider feststellen muss.«

»Sie lassen mir ja keine Chance, Sie Geheimniskrämer!«

»Oho, es gibt hier keine Geheimnisse. Es ist alles offen zu sehen! Ich stelle Ihnen drei weitere Fragen, und Sie werden erkennen, dass Ihre Antworten unvollständig waren. Erstens: Welche Farbe haben die Tupfen auf Miss Egans Kleidung und auf ihren schwarzen Schuhen?«

Ich betrachtete den Hosenanzug und fühlte, dass sich meine Sympathie für Felicity Egan merklich abkühlte. Wenn mein Freund sich nicht irrte, war sie eine abgefeimte Mörderin. Und mein Freund irrte sich nie. »Das Muster ihres Anzugs besteht aus roten und orangen Sprenkeln. Und ihre Schuhe …«, ich musste mich ein wenig vorbeugen, »sind mit winzigen weißen Tupfen bedeckt.« Daher hatte Merridew vorhin nach der Pollockschen Tropftechnik gefragt. Er war mit der Antwort, die ich ihm gab, sehr zufrieden.

»Die zweite Frage, mein Bester: Wie groß ist das Fenster, durch das wir vorhin die angebliche Leiche bestaunt haben?«

Ich schätzte die Abmessungen und sagte: »Etwa einen Meter mal eins siebzig.« Merkwürdig. Warum waren diese Maße die gleichen wie die der Leinwand?

»Und schließlich die dritte Frage: Wohin ist wohl das Cocktailglas verschwunden, in dem der Grasshopper war?«

Nach ein paar wahllosen Schritten durch die Wohnung musste ich zugeben, dass ich keine Ahnung hatte: »Wenn Sie das Glas nicht hier, im Badezimmer oder im Nebenraum gefunden haben, weiß ich es auch nicht.«

Merridew seufzte. »Na gut. Da Sie immer noch maßlos belämmert dreinblicken, will ich Ihnen verraten, was wirklich geschehen ist.«

»Das könnte nicht schaden. Aber sollten wir nicht zuerst die Polizei rufen?«

Merridew räusperte sich vernehmlich und verzog beleidigt den Mund. »Da Miss Egan die Absicht hatte, mich für dumm zu verkaufen, will ich ihr persönlich beweisen, dass ich genau das nicht bin. Danach können wir die Polizei rufen.«

Felicity Egan machte einen letzten, verzweifelten Versuch, dem Zwangsaufenthalt in ihrem gepolsterten Gefängnis zu entkommen, aber als ich einen entschlossenen Schritt auf sie zu machte, sackte sie kraftlos in sich zusammen. Ihre Hochsteckfrisur hatte sich aufgelöst, und die blonden Haare standen ihr jetzt wirr um den Kopf. Ihr anmutiges Lächeln hatte der trotzigen Miene einer verwöhnten Göre Platz gemacht.

»Pourquoi hatte einen Termin. Wollen wir da anfangen? Es musste eine bestimmte Uhrzeit sein. Eine Uhrzeit, zu der wir auf der Cocktailparty anwesend waren, und zu der das Licht stimmte …«

»Immer wieder dieses Licht, Merridew …«

»Schschscht! Unterbrechen Sie mich nicht dauernd, sonst fehlt Ihnen am Ende wieder völlig der Zusammenhang! Pourquoi verschwindet im Nebenhaus, und die Dame, die uns mit seiner Identität als Kunstfälscher vertraut gemacht hat, mahnt zur Eile. Wir legen eine ordentliche Strecke zu Fuß zurück, um zu dem einzigen Platz zu gelangen, von dem aus man eines der drei Fenster von Pourquois Atelier einsehen kann. Dass es nur eines ist, ist wichtig. An allen drei Fenstern sind die Vorhänge zugezogen.«

»Nein!«, protestierte ich. »Ein Vorhang war …«

»Nigel!«

Ich kniff die Lippen zusammen.

»Pourquoi kommt in sein atelier, und die Vorhänge sind zugezogen. Vermutlich hat man ihm dies als Vorsichtsmaßnahme angekündigt, sonst hätte er sie womöglich wieder geöffnet. Dies kann nur jemand vorbereitet haben, der hier ein- und ausging. Die Person, die seine Bilder vermittelte, die sich den Sammlern gegenüber als Mr Gallico ausgab. Die Vorhänge wurden in Wahrheit aber deshalb zugezogen, damit de Pourquoi nicht erkennt, dass in einem der Fenster ein überdimensionales Bild postiert ist. Und zwar hinter dem Vorhang, nur zu sehen von außen, von dem etliche Meter entfernten Zimmer aus, in dem wir unseren Beobachtungsposten bezogen haben.«

Ich begann nun zu begreifen, was mein Freund längst glasklar durchschaut hatte.

»Miss Egan war Kulissenmalerin, wie sie uns selbst unvorsichtigerweise erzählte. Für sie war es ein Leichtes, einen schmalen Ausschnitt des Zimmers auf die Leinwand zu bannen. Eine weiße Wand, ein weiß lackiertes Sideboard mit einer Glasvase und den am Boden liegenden Körper eines Mannes, der nie etwas anderes anzog als diesen blauen Overall. Auch ein Messer malte sie darauf. Eines, das allerdings zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in seiner Brust steckte, denn er wartete hier quicklebendig mit seinem Cocktail auf seine Verabredung.«

Er umrundete den Leichnam gemessenen Schrittes.

»Es war ein teuflischer, minutengenau ausgearbeiteter Plan. Sie macht uns glauben, Pourquoi sei gemeuchelt worden und verschafft sich ein erstklassiges Alibi. Ausgerechnet durch uns! Als zusätzlichen Beweis fotografiert sie die Szenerie, die allerdings nur bei dem exakt richtigen Licht echt aussieht.«

»Eine halbe Stunde später wäre der Himmel schon blutrot gewesen!«, warf ich begeistert ein.

Merridew lachte kollernd. »Genau! Blutrot – gutes Stichwort! Sie springt aus dem Fenster, um angeblich dem Mann zu folgen, den niemand von uns gesehen hat. Ich nicht, weil ich durch den Fotoapparat die angebliche Leiche betrachte, und Sie nicht, weil Sie den Stuhl aufheben, den sie umgestoßen hat. Uns schickt sie unterdessen auf den beschwerlichen Weg zurück, denn sie weiß genau, dass wir ihr nicht aufs Dach folgen werden, und dass sie damit genug Zeit gewinnt, durch das Fenster in das Atelier einzudringen, dem überraschten Pourquoi das Messer in die Brust zu stoßen …«

»Das rote Tupfenmuster ihres Hosenanzugs! Damit man kein Blut darauf sieht!«

»… das Bühnenbild in den Nebenraum zu schaffen und mit weißer Farbe in Windeseile in eine grundierte Leinwand zu verwandeln, die sie hinter die anderen schiebt, wo sie in Ruhe trocknen könnte, wenn wir sie nicht sofort daran hindern …«

»Daher die weißen Tupfen auf ihren Schuhen!«

»Schwarze Ballerinaschühchen. Völlig unpassend zu ihrer restlichen Kleidung übrigens, aber ideal, um über Dächer zu balancieren! All das ist eine Sache von wenigen Minuten. Sie schwingt sich wieder aus dem Fenster und kehrt erst wieder in diesen Raum zurück, als wir hier schon alles in Augenschein genommen haben.«

Für einen Augenblick herrschte Stille. Das Licht, das von draußen herein drang, wurde schwächer. Der Himmel hatte mittlerweile einen karmesinfarbenen Ton angenommen. Ich deutete eine Verbeugung an. »Gratulation, mein alter Freund«, sagte ich mit aufrichtiger Hochachtung. »Das überzeugt mich.«

»Und nun wollen wir die junge Dame in das Badezimmer verfrachten, wo sie in aller Ruhe auf das Eintreffen der Kriminalpolizei warten kann.«

Felicity Egan folgte seiner stummen Geste mit hängendem Kopf. Ich zog im Inneren des Bads den Schlüssel aus dem Schloss und sperrte von außen zu, ohne dass unsere Blicke sich noch einmal begegneten.

Merridew trat ans Fenster und nickte zufrieden. Er winkte mich mit einer Geste herbei und wies in die Tiefe. »Dort unten …«, seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern, »… liegen die Splitter des Cocktailglases.«

Ich erkannte ein schwaches Glitzern. Er hatte recht. Natürlich. Etwas anderes war nicht zu erwarten gewesen.

»Warum sprechen Sie so leise?«