Ein Grundwort kirchlichen Lebens kehrt zurück: Mission. Lange Zeit verdrängt, vielleicht sogar verdächtigt, oftmals verschwiegen, gewinnt es neu an Bedeutung.
Wer dächte da nicht zurück an Leipzig 1999, jene EKD-Synode, die mehr Wirkung gezeigt hat, als wahrscheinlich die Synodalen damals selbst erwartet haben. Mit dieser Synode ist eine Erneuerung des missionarischen Bewusstseins verbunden: das neue Bewusstsein, wie dringend und wichtig die werbende Verkündigung und der Wille zum Wachstum für die Kirche im 21. Jahrhundert sind. Leipzig 1999 hält fest, dass eine Kirche, die nicht missioniert, krank, und zwar „herzkrank“ ist.
In der Kundgebung der Leipziger Synode werden inhaltliche Bestimmungen vorgenommen, die für Mission und Evangelisation als Sache der ganzen Kirche gelten sollen:
Mission ist zuerst durch das Evangelium bestimmt: „Gott hat uns eine Botschaft anvertraut, die die Mühseligen und Beladenen erquickt und die Starken davor bewahrt, sich von Leistung und Erfolg ein erfülltes Leben zu versprechen. Diese Botschaft wollen wir weitersagen, mit dieser Botschaft werden wir gebraucht.“
Mission hat ein von Gott gesetztes Ziel: Sie will Menschen gewinnen, sie sucht ohne Druck nach freier Zustimmung von Menschen, damit sie getauft werden, zum Glauben finden und Glieder der christlichen Kirche werden. Von dieser Konversion spricht die zweite inhaltliche Bestimmung: „Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Wir müssen die Ziele, die wir uns bei unserem missionarischen Handeln setzen, am Willen Gottes messen.“
Kurzum: „Weitergabe des Glaubens und Wachstum der Gemeinden sind unsere vordringliche Aufgabe, an dieser Stelle müssen die Kräfte konzentriert werden.“ In Leipzig 1999 bekannte sich die evangelische Kirche in Deutschland zu ihrem missionarischen Mandat in unserem Land. Und: Dieses Mandat wird durch die Botschaft gekennzeichnet, die uns anvertraut ist, durch das von Gott gesetzte Ziel, Menschen liebevoll zu gewinnen.
Seither sind Themen wie wachsende Kirche, missionarische Gemeindeentwicklung, missionarische Bildungsangebote, klares Zeugnis evangelischer Identität oder Mission im eigenen Land nicht mehr von der kirchlichen Tagesordnung wegzudenken. Die missionarischen Herausforderungen prägen die kirchlichen Reformbemühungen. Und das ist nicht nur in der evangelischen Kirche zu beobachten, sondern in ähnlicher Weise auch in der römisch-katholischen Kirche, in einigen Freikirchen und in der Gemeinschaftsbewegung.
In besonderer Weise hat auch evangelische Jugendarbeit an diesem missionarischen Grundauftrag der Kirche teil. Mit Kindern und Jugendlichen den christlichen Glauben zu erfahren, zu leben und mit ihnen an einer tragfähigen persönlichen Glaubenspraxis zu arbeiten, ist Auftrag evangelischer Jugendarbeit. Das spezifische Setting evangelischer Kinder- und Jugendarbeit von freiwilligem, selbstbestimmtem Engagement, selbstentdeckendem Lernen, den Möglichkeiten, existenziellen Lebensfragen im Kreis der Gleichaltrigen vertrauensvoll und von Mitarbeitenden unterstützt nachgehen zu können, ermöglicht die Vermittlung von Glaubensinhalten in Anknüpfung an die Lebens- und Sprachwelt junger Menschen. Ihnen bietet sich ein vertrauter Raum, in dem sie sich mit der Bedeutung christlichen Glaubens für das persönliche Leben auseinandersetzen können.
Dass sich die missionarischen Herausforderungen im Bereich der Jugendarbeit wie in einem Brennglas konzentrieren, ist offenkundig. Alle soziologischen Studien weisen auf einen dramatischen Abbruch religiöser Sozialisation in der jüngeren Generation hin. Evangelische Bildung und Erfahrungsdimensionen des Glaubens herkömmlicher kirchlicher Arbeit erreichen vielerorts Jugendliche nicht mehr. Dringend müssen innovative und vielfältige Formen der Jugendarbeit entwickelt werden.
Diese Herausforderungen stehen allerdings nicht nur als große Aufgabe vor Gemeinde, Kirche und Jugendarbeit. Bei genauerer Beobachtung kann man wahrnehmen, wie viel Neues schon aufbricht, ausprobiert wird und sich bewährt. In Jugendkirchen, bei sportmissionarischer Jugendarbeit, bei musikalischen Aktionen und bei christlichen Projekten in der Schule werden neue Wege erprobt. In mancher Hinsicht ist missionarische Jugendarbeit Vorreiter für neue Entwicklungen missionarischer Formate.
In dem vorliegenden Handbuch finden sich sowohl missionstheologische und pädagogische Grundsatzüberlegungen als auch viele Hinweise für die Praxis missionarischer Jugendarbeit. Gründliche Reflexion der Praxis verbinden sich mit Allgemeinverständlichkeit, von der sowohl der hauptamtliche als auch der ehrenamtlich Tätige in der christlichen Jugendarbeit Gewinn haben wird.
Mit diesem Handbuch ist ein beachtlicher Auftakt zur neuen Buchreihe „Beiträge zur missionarischen Jugendarbeit“ gemacht. Man darf auf die folgenden Arbeiten in der Reihe gespannt sein.
Oberkirchenrat Dr. Erhard Berneburg,
Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste
Missionarische Jugendarbeit befindet sich im Aufbruch. In den vergangenen Jahrhunderten ist die Praxis der missionarischen Jugendarbeit immer wieder herausgefordert gewesen, die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse ernst zu nehmen und zu prüfen, wie sie ihrem Sendungsauftrag hin zu jungen Menschen nachkommen kann. Dennoch scheinen die gegenwärtigen Herausforderungen der postmodernen Multioptionsgesellschaft, die durch Individualisierung, Globalisierung und Pluralisierung gekennzeichnet ist, größer bzw. weitreichender als alle anderen zuvor. Für die Praxis vor Ort bedeutet das, neue Antworten auf veränderte Lebenslagen zu finden. Junge Menschen dort zu erreichen, wo sie im 21. Jahrhundert anzutreffen sind – mit ihren Problem, Sorgen und Nöten, aber auch mit ihren Fragen, Hoffnungen und Sehnsüchten.
Auch im wissenschaftlichen Diskurs ist dieser Aufbruch zu beobachten: Nachdem missionarische Jugendarbeit hier lange Zeit nur am Rande bearbeitet wurde, und es zu Konzepten, Theorien und Praxis des missionarischen Handelns so gut wie keine wissenschaftliche Reflexion gab, entstehen derzeit punktuell Promotionen, Habilitationen und kleinere Forschungsarbeiten zu Themen und Fragen missionarischer Jugendarbeit. Ebenso bieten Hochschulen in (privater) Trägerschaft von missionarischen Jugendverbänden und Werken Studiengänge in der Schnittmenge von Sozialer Arbeit und Religionspädagogik bzw. Theologie an und bringen sich mit ihrem Deutungshorizont in den wissenschaftlichen Diskurs ein.
Dabei ist die Frage des missionarischen Handelns nicht unumstritten. In gesellschaftlichen und innerkirchlichen Diskussionen wurde und wird deutlich, dass Mission einerseits zwar zum Kernauftrag der Kirchen gehört, andererseits der Begriff an sich jedoch historisch und gesellschaftlich kritisch betrachtet wurde, ja kritisch betrachtet werden muss: Denn wenn mit „Mission“ Imperialismus, Intoleranz und Vereinnahmung assoziiert werden, ist ein obsoletes Missionsverständnis im Blick. In diesem Handbuch plädieren wir für ein umfassendes, mehrdimensionales Missionsverständnis, das neben dem missionarischen auch den sozial-diakonischen Auftrag ins Zentrum des Handelns rückt. Insofern muss immer inhaltlich bestimmt werden, was gemeint ist, wenn von Mission die Rede ist (vgl. Karcher/Zimmermann „Was ist missionarische Jugendarbeit?“ in diesem Band).
Das Ziel dieses ersten Bandes in der Reihe „Beiträge zur missionarischen Jugendarbeit“ (BMJ) im Neukirchener Verlag besteht darin, eine erste theoretische und gleichzeitig praxisnahe Aufarbeitung der Grundfragen und Herausforderungen missionarischer Jugendarbeit – aber auch ihrer Formen und Konzepte – zu liefern. Unser Anspruch ist es, den aktuellen Diskussions- und Erkenntnisstand dieses Ansatzes von Jugendarbeit widerzuspiegeln und in entsprechende Konzepte einzuführen. Gleichzeitig wollen wir ebenfalls die aktuellen Herausforderungen missionarischer Jugendarbeit aufzeigen. Durch diese doppelte Perspektive haben wir gleichermaßen die Praxis als auch die Wissenschaft im Fokus:
Deshalb richtet sich unser Handbuch sowohl an haupt- als auch ehrenamtliche Praktiker/-innen der Kinder- und Jugendarbeit, die die eigene Arbeit fachlich reflektieren wollen und Formen und Konzepte für die missionarische Jugendarbeit entwickeln. Darüber hinaus sind Wissenschaftler/-innen im Blick, die im Feld oder angrenzenden Disziplinen wissenschaftlich arbeiten, forschen und lehren. Überdies zählen auch Studierende an missionarischen Ausbildungsstätten und (Fach-)Hochschulen sowie Personen in Fort- und Weiterbildungen zur Zielgruppe dieses Handbuchs. Um diesem Spagat gerecht zu werden, haben wir uns bemüht, ein fachlich hohes Niveau und gleichzeitig eine allgemeine Verständlichkeit in den Beiträgen zu gewährleisten.
Dabei verfolgen wir mit diesem Handbuch einen interdisziplinären Ansatz. So werden Autor/-innen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen, wie etwa der Theologie, Psychologie, Geschichtswissenschaften, Medienpädagogik, Erziehungswissenschaften, Sozialen Arbeit usw., vereint und bringen ihre jeweiligen Deutungsperspektiven ein. Überdies sind die Beiträge – neben den Autor/-innen aus der Wissenschaft – auch von Praktiker/-innen der Jugendarbeit geschrieben und allein schon deshalb unterschiedlich in Vorgehensweise, Stil und Sprache. Mit dieser bewusst sehr heterogenen Autor/-innenenschaft hoffen wir beiden Zielgruppen gleichermaßen gerecht werden zu können und einen Beitrag für das Gros der missionarischen Jugendarbeit zu liefern.
Die Fragen der missionarischen Jugendarbeit kennen keine konfessionellen Grenzen – was eint, ist der gemeinsame Auftrag, die Botschaft des Evangeliums jungen Menschen zu vermitteln und vorzuleben. Daher vereint dieses Handbuch ebenso Autor/-innen aus der katholischen und evangelischen Kirche wie auch solche aus den evangelischen Freikirchen. Mit diesem überkonfessionellen Ansatz wollen wir bewusst unterschiedliche theologische Standpunkte in den Diskurs einbringen und innerkirchlich eine kritische Auseinandersetzung fördern.
Auch wenn mit diesem Handbuch der Versuch unternommen wurde, einen möglichst breiten Überblick zur Theorie und Praxis der missionarischen Jugendarbeit zu geben, können wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Über die Themen dieses ersten Bandes hinaus ergeben sich zahlreiche Grundfragen und Herausforderungen – wie etwa die Fragen um Inklusion in der Jugendarbeit, um das Thema Flüchtlinge etc. –, die hier aus Platzgründen nicht bearbeitet werden konnten. Dennoch hoffen wir mit diesem Handbuch einen ersten Beitrag zur Bearbeitung des Themas zu leisten und sind gespannt auf kritische Rückmeldungen aus Wissenschaft und Praxis.
Mit der Begründung der Reihe „Beträge zur missionarischen Jugendarbeit“ (BMJ) im Neukirchener Verlag haben wir als Herausgeber des ersten Bandes auf vielfältige Weise Unterstützung erfahren, für die wir an dieser Stelle einzelnen Personen namentlich danken möchten.
Zunächst sind wir Lena Carstens (studentische Mitarbeiterin am Institut für missionarische Jugendarbeit der CVJM-Hochschule Kassel) zum Dank verpflichtet. Sie hat das gesamte Projekt von Beginn an als Publikationsassistentin begleitet. Durch ihr außerordentliches Engagement und ihre Unterstützung in organisatorischer, formaler und auch inhaltlicher Hinsicht ist diese Publikation erst möglich geworden.
Darüber hinaus danken wir allen Autor/-innen, die – meist neben vielen anderen Aufgaben ihres Dienstes in Wissenschaft und Praxis – ihre Kompetenz und vor allem auch Zeit in die vielfältigen Beiträge investiert haben. Danke, für alles fristgerechte Einreichen der Beiträge, für jedes kreative Mitdenken, für inhaltliche Diskussionen und das Ringen um eine für die heterogene Zielgruppe angemessene Wortwahl.
Einen wesentlichen Beitrag zur Qualität des Handbuchs haben auch die Lektor/-innen geleistet, denen wir für die inhaltlichen Rückmeldungen und Überarbeitungen herzlich danken: Dieter Braun, Andreas Getfert, Karsten Hüttmann, Ursel Luh-Maier und Prof. Dr. Ulrike Treusch. Dr. Dr. Roland Werner gilt hier ein besonderer Dank, da er in der „heißen“ Endphase des Lektorats nochmals inhaltliches wie auch stilistisches Feedback gegeben hat.
Wir danken der Neukirchener Verlagsgesellschaft für die Bereitschaft, eine Reihe zur missionarischen Jugendarbeit in das Programm aufzunehmen. Ebenso danken wir für die Begleitung bei der Konzeption und Umsetzung dieses Handbuchs (hervorzuheben sei an dieser Stelle Ruth Atkinson).
Unser Dank gilt darüber hinaus auch unseren Familien, die uns bei diesem zeit- und arbeitsaufwendigen Projekt unterstützt und motiviert haben.
Zuletzt bedanken wir uns bei allen ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter/-innen in der missionarischen Jugendarbeit: Danke, dass ihr mit viel Engagement die Sache des Evangeliums vorantreibt und euch für junge Menschen einsetzt! Euch sei dieses Buch gewidmet, in der Hoffnung, dass die theologische, pädagogische, theoretische und konzeptionelle Diskussion als auch Praxis der missionarischen Jugendarbeit durch dieses Handbuch nachhaltig bereichert wird.
Kassel, im September 2015
Florian Karcher und Germo Zimmermann