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Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Mai 2016

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Satz Dörlemann Satz, Lemförde, Germany

ISBN 978-3-644-00002-5

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-00002-5

Die ideale Waffe

«Hier ist sie, die ideale Waffe, frei von Waffenschein, in jedem Werkzeugladen erhältlich, tötet seinen Mann auf 4 meter ohne Probleme. Es gibt Nagelpistolen für Betonnägel mit .22 Schreckschusspatronen in verschiedene Stärken, die schiessen durch einen Kopf durch auf 10 m Distanz.»

 

Facebook-Kommentar zu einem Foto einer Nagelpistole

(Erstellt am 20. Januar 2016, eingesehen am 22. Februar 2016, alle Fehler im Original)

Mit diesem Posting traf S. (Benutzername anonymisiert) den Geschmack vieler Facebook-Nutzer: 499 Mal teilten sie seinen Hinweis auf ein womöglich tödliches Werkzeug. Rüdiger S. kommentierte dieses auch von ihm geteilte Foto mit einem unzweideutigen Scherz, gegen wen das umfunktionierte Werkzeug eingesetzt werden sollte: «das Ultimative fuer unsere Grenze......nagelt se an den Zaun»; viele Nutzer lobten die «gute Idee», manche blieben aber skeptisch: «nicht effektiv genug», so ihr Urteil. Ein Nagel im Kopf eines Flüchtlings erscheint diesen Personen noch zu wenig. Sie träumen davon, in kürzester Zeit mehrere Menschen schwerer verletzen zu können. Oder sie zu ermorden.

In der Auswahl der Mittel herrscht Uneinigkeit, an der Einschätzung von S., es sei an der Zeit, sich zu bewaffnen und Menschen anzugreifen, wird in den Kommentaren zum Post kaum gezweifelt. Wer anderes behauptet, gilt in diesem politischen Milieu als «naiver Gutmensch», als Opfer der «Lügenpresse», als Komplize eines von den Eliten geplanten «Volksaustausches». Diese Stimmung, die in den sozialen Netzwerken Ausdruck findet, ist mittlerweile Teil einer Bewegung, die nicht nur im Netz stattfindet, sondern rechtsextreme Aktionen auf der Straße provoziert. Die ideale Waffe der extremen Rechten – sie heißt derzeit Facebook.

Die Proteste gegen Flüchtlinge wurden in mehreren deutschen Städten systematisch von rechtsextremen Kampagnen in den sozialen Netzwerken begleitet: Bereits Anfang November 2013 versammeln sich im sächsischen Schneeberg fast 2000 Menschen, um an einem «Lichtellauf» teilzunehmen. Er danke den Anwesenden für ihren «Mut und ihre Entschlossenheit», sagte ein «Exil-Schneeberger» am Mikrophon. Der namenlose Redner gibt sich betont moderat: Er sei weder politisch aktiv noch stehe er einer Partei nahe. Dass er zu Beginn seiner Rede neben einem NPD-Funktionär steht, fällt den Zuhörern offenbar nicht auf oder stört sie nicht. Parteipolitik soll hier keine Rolle spielen: Es gehe doch nur um den Schutz der Heimat.

Der «Lichtellauf» von Schneeberg war der erste größere Erfolg einer gezielt angelegten Kampagne der NPD: Bereits im Herbst 2012 war die rechtsextreme Partei mit einer «Anti-Islam-Tour» durch Sachsen gezogen. Im Sommer 2013 organisierte die NPD dann in mehreren Bundesländern «Asyltouren»: Kundgebungen vor Unterkünften, die sich explizit an die Anwohner richteten. In einem NPD-Video tauchte im selben Jahr bereits das Logo «Asylantenheim? Nein Danke!» auf, das später häufig zum Profilbild für Facebook-Seiten von vorgeblichen Bürgerinitiativen wurde.

Asylantenheim? Nein Danke! – Hetze mit System

(Screenshot vom 31. März 2016)

Nach dem «Lichtellauf» in Schneeberg intensivierte die NPD ihre Kampagnen gegen geflüchtete Menschen massiv. Die Rechtsextremen starteten weitere «Asyltouren» vor Flüchtlingsheimen. Die sächsische NPD veranstaltete im März 2014 eine Aktionswoche unter dem Motto «Heimat schützen – Asylmissbrauch bekämpfen». Dafür hatte sie in rund einem Dutzend Städten und Gemeinden an zentralen Plätzen und vor Wohnheimen von Geflüchteten Kundgebungen angemeldet.

Im sächsischen Heidenau setzten Rechtsextreme ebenfalls auf eine Tarnorganisation, die Facebook-Gruppe «Heidenau hört zu!». Im August 2015 im Anschluss an eine Demonstration gegen geflüchtete Menschen, die in Heidenau untergebracht werden sollten, eskalierte die Situation: Rechtsextreme lieferten sich eine Straßenschlacht mit der Polizei, Augenzeugen berichteten von «Volksfeststimmung» in der Kleinstadt. Derzeit setzt der Mob auf «präventive Gewalt» im Unterschied zu den Übergriffen in den 1990er Jahren. Damals waren die Angriffe zwar von noch mehr Brutalität geprägt, aber die Gewalttaten fanden erst statt, als die Flüchtlinge bereits da waren. Die Gewalt wird heute also offenkundig taktisch überlegt eingesetzt, während es sich in den 1990er Jahren oft um spontane Übergriffe handelte.

Auch in Nauen war monatelang eine «Bürgerinitiative» aktiv: «Nein zum Heim in Nauen». Auf Internetseiten der NPD wurden die Aufrufe der verschiedenen Initiativen unterstützt. Im August 2015 brannte die geplante Notunterkunft für Flüchtlinge in Nauen aus. Die rassistische Hetze hatte sich zuvor im Netz ungehindert ausgebreitet – und aus den Worten wurden Brandsätze. Im März 2016 wurde bekannt, dass die Polizei unter anderem wegen des Brandanschlags gegen einen NPD-Funktionär und weitere Verdächtige ermittelt. Sie sollen eine kriminelle Vereinigung gegründet und rechtsextreme Straftaten begangen haben. Der NPD-Stadtverordnete aus Nauen soll zu einer Gruppe von etwa einem halben Dutzend Verdächtigen gehören. Auch Attacken auf politische Gegner sollen die Neonazis geplant und ausgeführt haben.

(Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/nauen-115.html)

 

In Freital entstand rund um die Facebook-Gruppe «Freital wehrt sich» eine Bürgerwehr. In internen Chats, die dem ARD-Magazin FAKT vorlagen, formulierte einer der Organisatoren der Facebook-Gruppe «Freital wehrt sich. Nein zum Hotelheim» Strategien, um Flüchtlinge zu provozieren und so Schlagzeilen zu generieren. Es folgten diverse gewalttätige Aktionen – bis im März 2016 die Bundesanwaltschaft die Akten zu den militanten Strukturen von den lokalen Behörden anforderte. Der Anfangsverdacht: Bildung einer terroristischen Vereinigung. Im April teilte die Bundesanwaltschaft dann mit, dass sie offiziell ermittele. Kurze Zeit später wurden bei einer Razzia in Freital mehrere Neonazis wegen Terrorverdachts festgenommen.

(Quelle: http://www.mdr.de/sachsen/generalbundesanwaltschaft-prueft-ermittlungen-gegen-buergerwehr-freital-100_zc-ecc53a13_zs-570f6b3d.html)