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Maternus Millett wurde 1970 in Darmstadt geboren. Abitur, Dipl. Ing. Stadtplanung, Ausbildung zum Redakteur mit Schwerpunkt Finanzen, Gesellschaft, Ökologie. Mitarbeit bei verschiedenen Medien, u.a. „Oya“, „Zeitpunkt“ oder „Neon“. 2010 Publikation des ersten Romans „Alphacrash“. Ausgedehnte Reisen nach Lateinamerika. Maternus Millett lebt inzwischen in Kolumbien.

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1.  Guido Eckert:

Zickensklaven. Wenn Männer zu sehr lieben.

Münster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2009

ISBN 978-3-932927-43-0 (Broschur)

ISBN 978-3-932927-59-1 (E-Book)

2.  Peter Wiesmeier:

Ich war Günther Jauchs Punching-Ball!

Ein Quizshow-Tourist packt aus.

Münster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2010

ISBN 978-3-932927-58-4 (E-Book)

3.  Guido Eckert:

Der Verstand ist ein durchtriebener Schuft.

Wie Sie garantiert weise werden.

Münster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2010

ISBN 978-3-932927-47-8 (Broschur)

ISBN 978-3-932927-60-7 (E-Book)

4.  Maternus Millett:

Das Schlechte am Guten.

Weshalb die politische Korrektheit scheitern muss.

Münster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2011

ISBN 978-3-932927-46-1 (Broschur)

eISBN 978-3-932927-61-4 (E-Book)

eISBN 978-3-932927-61-4

© SOLIBRO® Verlag, Münster 2011

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Cornelia Niere, München

Foto des Autors: Wolfgang Neumann, Münster

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„Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage.“

Goethe, Mephisto in Faust I

Inhalt

Vorwort: Zu viel des „Guten“?

Die Gewalt des Diffusen

Die Verfeinerung des Leidens

„Du Opfer!“: Der Undank der „Befreiten“

Euch werden wir auch noch emanzipieren!

Glücksquell Selbstbestimmung?

Verdächtige Freiheit

Mutter Natur: Ein Faschist?

Gaia und die Klimaköche

Die virtuelle Realität der „Guten“

Volksgenossen mit Migrationshintergrund

Pippi Langstrumpf auf Rente

Unsere Unterdrücker: Debile Defektwesen

Wollt Ihr die totale Wiedergutmachung?

Der Tod der Liebe: Amor ist nicht Caritas

Alphamädchen, zur Lohnabhängigkeit „befreit“

Die Herrschaft der Wohl-TäterInnen

Die ersten Diener des Kapitals

Kurz vor Schluss?

Die Antwort: Reaktionärer Backlash?

Zukunft Nr. 1: Retro total?

Zukunft Nr. 2: Das „Neue Jerusalem“ der „Guten“?

Zugaben

Ein pädagogischer Totalschaden

Kolumbien: Die Vorzüge der „Rückständigkeit“

Zurechtgeliebt: Wenn die „Guten“ ankommen

Für Esther

Vorwort: Zu viel des „Guten“?

Zeitenwende in Deutschland? Immer mehr Ketzer wagen sich trotz politisch korrektem Sperrfeuer aus der Deckung und zahlen oft mit ihrer beruflichen Existenz und ihrem „guten Ruf“. Sie sehen Deutschland aufgrund von jahrzehntelangem Geburtenmangel, sozialem Zerfall, tatsächlicher oder vermeintlicher Islamisierung und tatsächlicher oder vermeintlicher Verdummung im Niedergang begriffen und möchten „das Ruder herumreißen, bevor es zu spät ist“.

Dieses Buch ist für alle, die spüren, dass etwas gewaltig schiefläuft hierzulande. Es ist für Menschen, die sich schon lange unwohl fühlen, weil sie etwas ganz anderes wahrnehmen als die von den herrschenden politisch korrekten Eliten konstruierte „Realität“. Es ist ein Buch von einem „unqualifizierten Laien“ für „unqualifizierte Laien“, die ihrer Wahrnehmung mehr trauen als dem Mainstream und ihre eigenen Schlüsse ziehen.

Es ist keine Lektüre für Staatsgläubige, Dauerempörte, moralisch Überlegene, Ideologen, Weltretter oder Menschenverbesserer, sondern für jene, die den Mut haben, quer zum Mainstream der „Guten“ zu denken. Es geht in diesem Buch um eine ganzheitliche Weltsicht und um die Einsicht, dass die menschliche „Artenvielfalt“ eben auch die „Bösen“ mit einschließt. Auch die menschliche Vielfalt hat ihren Sinn und ist genauso schützenswert wie die unserer Mitgeschöpfe, zumal geistige und kulturelle Monokulturen wie die politische Korrektheit langfristig nicht überlebensfähig sind.

Ich habe lange mit dem Thema und um die Formulierungen gerungen: Was darf man sagen, und worüber sollte man im Sinne der Selbsterhaltung besser schweigen? Kann man die Dinge trotz der politisch korrekten Schreib- und Redeverbote beim Namen nennen, ohne dass man juristisch belangt oder medial hingerichtet wird? So weit ist es in unserer „tabulosen, offenen, freiheitlichen Demokratie“ schon gekommen.

Das Gesinnungsregime und die bewusstseinsindustriellen Manipulationsversuche der „Guten“ werden den Widerspruch zwischen der politisch korrekt konstruierten „Realität“ und der Wahrnehmung der „politisch Unkorrekten“ nicht überdecken können. Letztere haben schlicht keine Zeit, stellvertretend für die Täter Wiedergutmachung an ihnen unbekannten (vermeintlichen oder tatsächlichen) Opfern und deren Nachfahren zu leisten, während in der Nachbarschaft Alte, Kranke und Kinder verwahrlosen und die mittelständische Realwirtschaft untergeht.

Die noch in der Realität verwurzelten Eltern und produktiv Tätigen befreien – über den Weg der sozialstaatlichen Zwangssolidarität und Umverteilung – die politisch korrekten Eliten von „niederen Arbeiten“, sodass diese uns gut bezahlt mit ihrer virtuellen Realität zwangsbeglücken können. Wie nachhaltig gehen die „Guten“ mit den sozialen und wirtschaftlichen Ressourcen um? Wie ganzheitlich ist ihre Weltsicht, wenn sie für sich das „absolut Gute“ in Anspruch nehmen aber Andersdenkende reflexhaft als „rückständig, reaktionär, biologistisch, faschistisch, rassistisch und sexistisch“ diffamieren, wirtschaftlich ruinieren, juristisch und medial hinrichten?

Wäre politische Korrektheit mehrheitsfähig, wenn sie sich einem demokratischen Votum stellen müsste?

Mit dem daraus resultierenden Legitimationsdefizit werden sich die politisch korrekten Eliten auseinandersetzen müssen – sofern man ihnen ihre Selbstdarstellung als fortschrittliche Emanzipatoren und Demokraten weiter glauben soll und sie mittelfristig noch einen Rolle spielen wollen. Wäre politische Korrektheit mehrheitsfähig, wenn sie sich einem demokratischen Votum stellen müsste? Ist sie womöglich nur das Programm einer intellektuellen, privilegierten Elite, die zur Erlangung von Sozialprestige, moralischer Überlegenheit und gesichertem Einkommen im Namen der „Emanzipation“ und der „Befreiung des Individuums“ Opferdiskurse führt, ihrerseits aber kaum Skrupel hat, zu totalitären, repressiven Mitteln zu greifen? Muss die politische Korrektheit deshalb als gesamtgesellschaftlicher Groß-Menschenversuch autoritär durchgedrückt werden, vorbei an den demokratischen Institutionen und vorbei an der wissenschaftlichen Folgenabschätzung von Sozial-Großtechnologien wie dem „Gender Mainstreaming“?

Eine wichtige geistige Grundlage der politischen Korrektheit ist die Frankfurter Schule. Die „Guten“ sollten wissen, welche Tücken die dort eingehend diskutierte Dialektik mit sich bringt. Denn das „Gute“, wenn man es absolut für sich in Anspruch nimmt und autoritär und exzessiv betreibt, gebiert stets eine neue Variante des Terrors. Das war schon bei den Staatsreligionen sowie den Nazis und den Kommunisten so, die allesamt gescheitert sind. Heute ist die politische Korrektheit als weitere Variante des von ÜberzeugungstäterInnen in Staatsform gegossenen „Gutseins“ zu besichtigen.

Letztlich stellt sich die Frage, ob wir nicht schon längst unter zu viel des „Guten“ leiden. Unter zu viel Staat, zu viel Abhängigkeit von dessen umklammernder Fürsorge, zu viel gelenkter Information, zu viel materiellem Überfluss, in dem man nur in disziplinierter Selbstbeschränkung nicht krank wird. Und zu viel virtueller, konstruierter „Realität“ gemäß den Utopien von absoluter Gleichheit und Gerechtigkeit der politisch korrekten Eliten – wobei diese natürlich dank ihres besonderen Gutseins die Gleichesten sind.

Letztlich stellt sich die Frage, ob wir nicht schon längst unter zu viel des „Guten“ leiden.

Hält die politische Korrektheit, was sie verspricht? Emanzipiert sie uns, oder führt sie uns in neue Abhängigkeiten von ihren „sozialen Wohltaten“? Beraubt sie jene, die sie zu schützen vorgibt, durch „positive Diskriminierung“ nicht letztlich ihrer Autonomie und ihrer Fähigkeit zur Selbstbehauptung? Werden wir durch die politische Korrektheit befreit oder nicht vielmehr durch drohenden „Leistungsentzug“ kontrollier- und erpressbar? Werden wir überhaupt noch „artgerecht gehalten“ oder von sich selbst erhaltenden Menschen auf Alimentierte der großen sozialindustriellen Maschine reduziert?

Wäre nicht wie so oft auch hier weniger mehr? Weniger Staat, weniger Bevormundung und scheinbare „soziale Sicherheit“, weniger Abhängigkeit von krank machendem Überfluss, weniger Zwangssolidarität mit uns Unbekannten, weniger Unterhaltung, dafür weniger Passivität und Langeweile, mehr Selbständigkeit und freiwillige Solidarität mit dem Nächsten, weniger verschleiertes Risiko und mehr Vielfalt.

Die Welt entsteht aus Konflikten und Gegensätzen. Und die politisch korrekte Zwangssolidarität, -nivellierung und -befriedung versucht mit Sozial-Großtechnologie und bewusstseinsindustrieller Manipulation die Natur und die Biologie zu bezwingen. Im Sinne der menschlichen Autonomie und Vielfalt sollte man jedoch das Verschiedene besser verschieden sein lassen und öfter mal sortieren statt integrieren, sodass alle unter den Ihren einen „artgerechten“ Lebensraum finden, wie man es auch Pflanzen und Tieren zugesteht.

Per Reformen und Parlamentsbeschluss wird solch ein „Rückschritt“ wohl nicht möglich sein. Wahrscheinlich kommt er aber zwangsläufig, wenn die wuchernden und zunehmend dysfunktionalen Apparate und Systeme der politischen Korrektheit in nicht allzu ferner Zukunft unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen. Was wäre schlimmer: Ein crashartiger gesamtgesellschaftlicher „Reset“ oder eine fortgesetzte, schleichende soziale, kulturelle und wirtschaftliche Agonie durch immer größere Überdosen des „Guten“?

Wir werden sehen, wie weit es die „Guten“ noch treiben können. Angesichts der fast unlösbaren Probleme, die uns das politische „Gutsein“ beschert hat, ist ein dialektischer und wahrscheinlich katastrophaler Umschlag der politischen Korrektheit in ihr nicht minder totalitäres Gegenteil zu befürchten.

Die politische Korrektheit kam über den Ozean zu uns, doch die Amerikaner haben es schon lange erkannt: „The road to hell is paved with good intentions“ – der Weg in die Hölle ist mit guten Absichten gepflastert.

Die Gewalt des Diffusen

Was ist „politisch korrekt“? Sogar Wikipedia muss hier passen und windet sich mit einer Wortwolke heraus: Politische Korrektheit sei „ein nicht fest umrissenes Feld von sozial akzeptierten Formen von Ausdrucks- und Handlungsweisen.“

„Nicht fest umrissenes Feld“ will wohl meinen, dass es keinen Katalog oder Gesetzestext gibt, der definiert, was politisch korrekt ist. Und doch weiß eigentlich jeder ziemlich genau, was gemeint ist.

Die Methode dieser Arbeit könnte man wohl am besten als subjektiv-deduktiv-intuitiv bezeichnen. Auf gut Deutsch: Der Common Sense, der gesunde Menschenverstand, soll zu Wort kommen. Die Kernfrage, um die diese Arbeit kreist lautet: Wem soll ich mehr trauen? Meiner Wahrnehmung und den von mir daraus gezogenen Schlussfolgerungen oder einem Weltbild, das von politisch korrekten Medien, „objektiven“ Umfragen und „der Wissenschaft“ konstruiert wird?

Was also ist dieses anscheinend so diffuse Etwas namens politische Korrektheit? Da dies keine wissenschaftliche Arbeit ist, möchte ich meinen Common Sense zu Rate ziehen, der sich nicht allzu sehr von dem vieler anderer Menschen unterscheiden dürfte. Ich behaupte:

Politische Korrektheit ist die noch vorherrschende Ideologie, das geistige Klima bzw. der Zeitgeist in der westlichen Wohlstandssphäre. Von ihren AktivistInnen wird sie als gesellschaftlicher Fortschritt, Gleichstellung, soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Ganzheitlichkeit, Wiedergutmachung, Emanzipation und Befreiung des Individuums bezeichnet – alles mit dem Ziel, nach der Abschaffung des „Bösen“, also von allem, was – außer bei unseren Freunden mit „Migrationshintergrund“ – mit Männlichkeit, Aggression, Konkurrenz, Konflikt, Aus- und Abgrenzung, Unterschieden und Unterscheidung zu tun hat, das Paradies auf Erden zu installieren. Als „Paradies“ verstehen die „Guten“ die nivellierte Konsens- und Harmoniegesellschaft aus „befreiten Individuen“, die in ihrer totalen Selbsterschaffung durch keinerlei Mangel, Tradition oder „Repression“ mehr eingeschränkt werden. Wobei es ebenfalls politisch korrekt ist, die „ausbeuterischen Phallokraten“ in „humanitären Friedensmissionen“ Uranmunition verschießen und den „Opfern“ die Emanzipation herbeibomben zu lassen und dabei auch nicht wenige „Opfer“ nuklear zu verseuchen und kollateral zu verheizen. Politisch korrekt ist auch, die letzte gehfähige, „benachteiligte, diskriminierte“ Frau zur Befreiung derselben in den Kampf um Kohle und Karriere zu schicken. Und im Namen von „Gleichstellung und Emanzipation“ ist es ebenfalls politisch korrekt, die Nachfahren der Täter, „Ausbeuter und Phallokraten“, zeitlich unbegrenzt für die tatsächlichen oder vermeintlichen Untaten ihrer Vorfahren kollektiv in Haftung zu nehmen.

Politische Korrektheit kann daher als Überreaktion der Nachgeborenen auf die von ihren Groß- und Urgroßeltern verbrochene Verfolgung und Ermordung von Minderheiten verstanden werden. Sie speist sich aus den stellvertretenden Scham- und Schuldgefühlen jener, die diese Vergehen zwar nicht begangen haben, sich die Beschäftigung damit jedoch leisten können und wohl auch müssen, um zu Wichtigkeit, Sozialprestige, moralischer Überlegenheit und wirtschaftlichem Auskommen zu gelangen.

Politische Korrektheit ist der Versuch, die totale Moral zu etablieren. Die faschistische Verherrlichung des „Starken, Männlichen, Schönen und Siegreichen“ wird in die Verklärung des „Opfers“, des Schwächeren, des Benachteiligten und Weiblichen samt seiner absoluten moralischen Überlegenheit umgekehrt.

Es scheint, als müsste man dem größten aller Menschheitsverbrechen die singuläre, totale Herrschaft der „Guten“ entgegensetzen. Doch dieser Antifaschismus übersieht, dass auch der Faschismus sich als Erlöser von dem Bösen verstand, als Welt- und Menschenverbesserungsprojekt, das totalen Kontroll- und Herrschaftsanspruch bedingte. Schwingt sich wie beim Sozialismus abermals eine akademische, bürgerliche Elite zum „Befreier“ der „ungebildeten Massen“ und zum „Rächer der Unterdrücken“ auf? Wie konnte die DDR trotz Gleichschaltung der gesamten Gesellschaft untergehen, trotz einer Überwachung und Kontrolle, von der die Nazis nur träumen konnten?

Politische Korrektheit setzt ihre Vorstellungen und Forderungen nicht nur durch moralische Anklage/Verurteilung durch. Sie bemächtigt sich des Staates und der gesetzgebenden Gewalt, des Bildungswesens, des wissenschaftlichen Diskurses und der Sprache, und sie kontrolliert viele Medien – bei gleichzeitiger personeller und programmatischer Diffusität. Denn es gibt niemanden, der sich explizit als „politisch korrekt“ bezeichnet. Es gibt keine Partei, die diese Bezeichnung in ihrem Programm führt. Auch in Gesetzestexten taucht sie nicht auf. So können die Exekutoren der politischen Korrektheit, die hauptberuflichen Vertreter der „Opferinteressen“ sich selbst als „Opfer“ darstellen und in ihrer vermeintlichen Machtlosigkeit immer weitere „Ansprüche“ stellen und durchsetzen.

Die „Gerechtigkeitsindustrien“ der „Guten“ umfassen alle zugelassenen Parteien links von der Mitte, Verbände, politische Lobbys, Sozialapparate, multinationale Weltrettungs- und Ablass-Handelskonzerne sowie wissenschaftliche Institute, die ihre Daseinsberechtigung und Geldmittel aus dem Kampf gegen die Unterdrückung, Ausbeutung und Bedrohung „der Natur“, des Klimas, der Frauen, der einstmals Verfolgten, der Benachteiligten, Minderheiten, Behinderten usw. usf. beziehen. Wer Macht und Einfluss will, muss sich also als Interessenvertreter von „Opfern“ und/oder als „Opfer“ ausweisen können, am besten als mehrfach diskriminiertes.

Aus der vermeintlichen moralischen Überlegenheit dieser RepräsentantInnen des „absolut Guten“ leiten sie Schreib- und Redeverbote ab, die bei Verstößen dagegen mit sozialer Ächtung und beruflichem Ausschluss sowie mit juristischer Verfolgung geahndet werden. Diese Redeverbote installieren ein faktisches Kritikverbot an „Opfern, Ausgebeuteten, Unterdrückten, Benachteiligten und Diskriminierten“ sowie gesetzlich geschützte „Wahrheiten“.

Man könnte nun fragen, wann es denn genug der „positiven Diskriminierung“, d. h. der Bevorzugung von „Opfern“ und der Bekämpfung von „Tätern“ sei. Doch ist ein Ende des Kampfes gar nicht vorgesehen. Den „Guten“ geht es offenbar schon lange nicht mehr um Gleichstellung und Gerechtigkeit, sondern um die dauerhafte Umkehrung der von ihnen festgestellten Unterdrückungsverhältnisse. Das Projekt „Wiedergutmachung für 5.000 Jahre Patriarchat“ kennt keine Deadline.

Das Resultat ist das angstbewehrte Gesinnungsregime der politisch korrekten TugendwächterInnen und Gewissenswarte.

Wehmütig denken wir an die krachenden Wortgefechte zwischen Strauß und Wehner zurück, als lästige Journalisten noch als „Sie Herr, Sie so genannter“ geschurigelt wurden und zwischen Rechts und Links noch Blitze zuckten; als man von konservativer Seite Atheisten sein Mitgefühl aussprach; man könne deren Furcht vor der Atomindustrie gut verstehen, schließlich hätten diese kein Jenseits zu gewärtigen.

Heute ist die gesamte Debatte in Watte gepackt. Kein Wunder, gibt es doch nur noch Blockparteien mehr oder weniger links von der Mitte, und die zur Staatsdoktrin erstarrte und mit staatlicher Gewalt bewehrte Zwangsbefriedung. Die totale politisch korrekte Monokultur lässt nur noch öden, sterilen und garantiert jugendfreien Jargon zu.

Wie weit sich die „Guten“ von ihren geistigen Vätern und Müttern sowie von ihren Idealen von Freiheit und Emanzipation entfernt haben, zeigt folgendes Zitat von Rosa Luxemburg:

„Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden.“

Das wohl wichtigste Aktionsfeld der politischen Korrektheit ist die „positive Diskriminierung“ und die Wiedergutmachung von tatsächlich oder vermeintlich erlittenem Unrecht und Leiden der „Opfer“, d. h. die systematische Bevorzugung und Alimentierung von „Opfern“ und „Unterdrückten und Ausgebeuteten“. Dies geschieht in dem Glauben, dass man diese durch Maßnahmen von Interessenvertretern stellvertretend emanzipieren und befreien könne. Dem wiederum liegt die urlinke Hypothese zugrunde, dass der Mensch von Natur aus gut sei und erst durch Repression und Mangel verdorben und unmoralisch werde. Doch wie politisch korrekt verhalten sich die so Alimentierten und Emanzipierten? In diesem Zusammenhang kann man auch fragen, wie Rousseau, der große Vordenker der „Guten“, diese Überzeugung auf seine eigenen Kinder angewandt hat, die er gleich nach der Geburt in ein Waisenhaus abschob. Findet sich hier die geistige Grundlage für die Institutionalisierung der Erziehung und für die faktische Abschaffung der Familie als Fernziel?

Der Begriff „Opfer“ wird innerhalb der politischen Korrektheit weit gefasst: „Opfer“ ist zunächst einmal alles, was weiblich, „natürlich“, schwach und nicht weiß/europäisch ist. Die „Opfer“ müssen „emanzipiert“, „aufgeklärt und gebildet werden“, und man muss –stellvertretend und notfalls auch ungefragt – „aggressiv ihre Interessen vertreten“ und „unnachgiebig ihre Rechte und Ansprüche einfordern“.

Das „Opfer“ braucht einen „Täter“, einen Aggressor, Ausbeuter und Unterdrücker, der das Leiden verursacht und per se amoralisch und „böse“ ist, so wie „das Opfer“ per se gut, schützenswert und moralisch überlegen ist.

„Täter“ sind vor allem jene, die von den „AntirassistInnen und AntisexistInnen“ in der Menschheitsgeschichte als „Unterdrücker und Ausbeuter“ identifiziert werden, d. h. überwiegend Männer und hier wiederum überwiegend die weißen, heterosexuellen Männer, in Deutschland ganz besonders die deutschen, weißen, heterosexuellen Männer. Sie können geheilt werden, indem sie möglichst weiblich werden und „sich zu ihrer unterdrückten Homosexualität bekennen“.

Gern wird übersehen, dass die „ausbeuterischen Phallokraten“ auch den Sozialstaat und die automatisierte kapitalistische Industrie hervorgebracht haben. Die „Bösen“ haben so die intellektuelle Elite der politisch Korrekten überhaupt erst ermöglicht, indem sie diese durch die Große Maschine Industrie und Sozialstaat von notwendiger Arbeit und existenziellen Risiken befreit haben. So können die „Guten“ sich gut bezahlt ihren intellektuellen Konstrukten widmen. Insofern ist den männlichen Technokraten tatsächlich eine Mitverantwortung an den heutigen politisch korrekten Zuständen anzulasten, unter denen vor allem sie selbst leiden, weil sie sich als „Ernährer und Beschützer“ überflüssig gemacht haben. Der sozial genannte Staat und die Industrie können eben viel besser ernähren und beschützen, und die Bedienten können sich dabei auch noch souverän und selbständig fühlen und an den Erschaffern der Großen Maschine sowie an Wachstum, Kapitalismus und Industrie ätzende Kritik üben. Der Untergang des letzten Großprojekts der „Guten“, des Staatssozialismus, erklärt sich durch die politisch korrekte Abwirtschaftung und Demontage seiner Lebensgrundlage, der sozialkapitalistischen Großen Maschine.

Politische Korrektheit ist wie Staatssozialismus und Faschismus ein weiteres tugendhaftes Zuchtprogramm zur Erschaffung eines verbesserten „Neuen Menschen“.

Die jüngste gesamtstaatliche Mission der politischen Korrektheit ist die Schaffung des neuen, „gegenderten“, nicht mehr vom biologischen Geschlecht determinierten Menschen sowie die Abschaffung der „Zwangsheterosexualität“. Dies soll der Befreiung des Individuums von „patriarchaler Repression“ dienen. Dem liegt das intellektuelle Konstrukt des „Dekonstruktivismus“ zugrunde, d. h. die Annahme, dass die Welt und der Mensch durch Sprache und ständig wiederholte Handlungsmuster erschaffen werden und dass man den Menschen und die Welt beliebig „dekonstruieren“ und manipulieren könne. Man müsse gemäß dieser Theorie die Sprache und Handlungsmuster politisch korrekt bereinigen und korrigieren, um auch alle anderen Laster wie Ausbeutung, Unterdrückung, Diskriminierung, Gewalt, Pornografie, Prostitution, Alkohol-, Tabak- und Fleischkonsum abzuschaffen. Politische Korrektheit ist also wie Staatssozialismus und Faschismus ein weiteres tugendhaftes Zuchtprogramm zur Erschaffung eines verbesserten „Neuen Menschen“ sowie zur „Vernichtung des Bösen“.

Mit gleichem Eifer betreibt die politische Korrektheit die Institutionalisierung, Professionalisierung und Verstaatlichung des Sozialen zur Schaffung von immer mehr „Selbstbestimmung des befreiten Individuums“ und von immer mehr „sozialer Sicherheit“. Soziale Bindungen und familiäre Verpflichtungen werden durch gesetzlich definierte „Ansprüche“ und „Leistungen“ ersetzt, d. h. durch die Umverteilung von Arbeitseinkommen innerhalb eines anonymen, bürokratischen Apparats genannt „Solidargemeinschaft“.

Das „sozial abgesicherte“, „befreite Individuum“ verliert durch den langfristigen Genuss von „Leistungen“ die Fähigkeit zur Selbsthilfe sowie seine soziale Kompetenz. Der staatlich alimentierte Mensch wird abhängig von der anonymen „Solidargemeinschaft“ und dadurch kontrollierbar und erpressbar. So gesehen ist die politische Korrektheit eine neue, verfeinerte Stufe der Herrschaft. Früher regierten die Gewalttäter, heute herrschen die WohltäterInnen.

Die Geschichte der politischen Korrektheit ist untrennbar mit der Geschichte der linken Bewegungen verbunden, wobei die politische Korrektheit ein viel größeres Anliegen und Betätigungsfeld umfasst als die klassische Linke und ihr Klassenkampf. Von den Arbeitern und Bauern ging spätestens in den 70er Jahren keine revolutionäre Stimmung mehr aus, da sie sich weigerten, gemäß der marxschen Prognose zu verelenden und lieber ihre Reihenhäuser abzahlten – LBS statt RAF. Es musste also eine neue Klientel gefunden werden, die man emanzipieren konnte. Man entdeckte das unerschöpfliche Potenzial der zu befreienden und zu emanzipierenden Frauen und der zahllosen Minderheiten, wobei sich so gut wie jeder Mensch irgendeiner Minderheit zugehörig fühlen kann, meist sogar mehreren und sich so gut wie bei jedem irgendeine Diskriminierung oder Unterdrückung feststellen lässt.

Interessant ist die Geschichte des Begriffs „politische Korrektheit“ bzw. „political correctness“. Der erste nachgewiesene Gebrauch findet sich laut Wikipedia in Gerichtsakten aus den USA im Jahr 1793, worin festgestellt wurde, dass es „politically correct“ sei, einen Toast zuerst auf das Volk und dann auf den Staat auszubringen und nicht umgekehrt, da der Staat zwar das edelste Geschöpf des Menschen sei, der Mensch aber das edelste Geschöpf Gottes. War das schon eine politisch korrekte Feststellung?

Der Begriff „politically correct“ wurde danach im Sinne von linientreu der eigenen Parteidoktrin gegenüber verwendet. Er wandelte seine Bedeutung in der Bürgerrechts- und Studentenbewegung in den USA der späten 60er Jahre, als es zunächst darum ging, den literarischen und wissenschaftlichen Lehrkanon nicht nur mit Material von „toten weißen Männern“ zu füllen, sondern politisch korrekt auch mit denen von „native Americans and Afroamericans“, also mit den Werken von Indianern und von Nachfahren afrikanischer Sklaven. Um diese sichtbar zu machen, ließ man ihnen auf diese Weise „affirmative action“ angedeihen, also positive Diskriminierung. Ausgedehnt wurden diese Bemühungen auch auf Frauen, Homosexuelle, Behinderte, Arme, Bildungsverlierer usw. usf.

In Deutschland ist der Begriff „politische Korrektheit“ erst ab den 80er Jahren nachweisbar, wobei er seit dem Ende dieses Jahrzehnts zur Anprangerung von modernem Pharisäertum, naivmoralisierender Weltsicht, wohltätiger Herrschsucht, Selbstgerechtigkeit, Heuchelei und Scheinheiligkeit verwendet wird.

Die Verfeinerung des Leidens

Man kann sich aussuchen, was man glauben möchte. Zu fast jeder Behauptung findet sich die passende „wissenschaftliche“ Studie: Werden wir immer klüger? Oder dümmer? Bessert sich die allgemeine Gesundheit? Oder werden wir siecher? Sinken die Durchschnittseinkommen? Oder steigen sie?

Einige wenige Erkenntnisse sind jedoch wissenschaftlich unumstritten: Übergewicht nimmt in den westlichen Wohlstandsstaaten zu, Einpersonenhaushalte, Alleinerziehende und Ehescheidungen werden immer zahlreicher, wohingegen parallel zum wachsenden „Wohlstand“ seit Jahrzehnten die Zahl der Eheschließungen und die Geburtenrate abnimmt. Angsterkrankungen, Depressionen und Soziopathien nehmen hingegen rapide zu. Die Pharmaindustrie boomt, und je näher an den Großstadtzentren man Grundwasserproben nimmt, desto höhere Dosen an Psychopharmaka sind darin nachweisbar.

Doch die wirklich interessante Frage ist die, wie es uns eigentlich geht, subjektiv, „gefühlt“, emotional. Wie zufrieden sind wir, die „befreiten Individuen“, die in den Genuss der Segnungen des fast vollendeten „Projekts Moderne“ kommen und einen nie dagewesenen materiellen Wohlstand genießen? Wir, die wir angeblich so „frei“ und „sozial abgesichert“ sind wie nie zuvor, angeblich so viele Wahlmöglichkeiten wie nie zuvor haben. Die in den Genuss einer beinah gottgleichen Technik, Wissenschaft und Medizin kommen, die unser unglaublich komfortables Leben fast um jeden Preis beinahe beliebig verlängern können, und seien wir nur noch ein von Maschinen angetriebener Körper ohne Bewusstsein.

Macht uns das alles glücklich? Sind wir bei all dem Aufwand, den wir betreiben, zumindest glücklicher als die Menschen vergangener Zeiten, die so viel „ärmer“ waren als wir? Sind wir nicht schon viel „weiter“ als die? Wie geht es uns mit all dem „Fortschritt“?

Stimmen die politisch korrekten Annahmen über „den Menschen“ und was ihn glücklich macht überhaupt?

Die Große Maschine, die uns soziale Sicherheit, Komfort und berstende Supermärkte beschert, bläht sich immer weiter auf, wird immer gefräßiger, reform- und reparaturbedürftiger. Was wäre, wenn diese Maschine – Gott behüte! – einmal nicht mehr rundliefe, vielleicht durch einen dummen Unfall zum Stillstand käme? Wenn es eine Woche lang keinen Strom und kein Wasser gäbe, die Supermärkte leer wären, alle Pumpen, Maschinen und Fabriken stillständen, da alles von Computern gesteuert wird, die fast alle kompatibel, d. h. für dieselben Fehler anfällig sind? Wenn eine Supereruption der Sonne uns mit ionisierter Strahlung bombardierte, die sämtliche Mikrochips lahmlegte? Wenn das Geld- und Bankensystem zusammenbräche, keine unbaren Zahlungen mehr möglich wären?

Können wir sicher sein, dass all die Beinahe-Katastrophen, an denen wir schon so oft haarscharf vorbeigeschrammt sind, uns auch in Zukunft erspart bleiben?

Stimmen die politisch korrekten Annahmen über „den Menschen“ und was ihn glücklich macht überhaupt?

Wie steht es bei all dem fragilen Komfort und der scheinbaren Sicherheit um unsere Beziehungen? Wie geht es den Alten, Kranken und unseren Kindern? Wie geht es uns, die wir für drei Millionen Euro pro Tag Krieg in Afghanistan führen, während bei uns immer mehr Kinder verwahrlosen, wir kein Geld für Bildung mehr haben, wir unsere Alten in Heime abschieben, es immer mehr überforderte alleinerziehende Mütter gibt? Wie steht es um eine Gesellschaft, in der man besser keinen Unfall oder Herzinfarkt erleiden sollte, weil es ein Glücksfall wäre, von einem der „befreiten Individuen“ Erste Hilfe zu bekommen? Wie „sozial abgesichert“ ist der Großstadtsingle, wenn er in seiner Singlewohnung einen lebensgefährlichen Unfall erleidet oder schwer krank wird und es nicht mehr bis zum Telefon schafft, um professionelle Helfer zurufen? In Großstädten kommen die nicht selten erst dann, wenn Verwesungsgeruch aus der Wohnung dringt.

Wir steht es um uns, die wir immer mehr „Spezialisten“ und Therapeuten brauchen, die uns erklären, wie wir die elementarsten Dinge des Lebens verrichten: eine Beziehung führen, guten Sex haben, Kinder erziehen, richtig essen, sitzen, atmen, schlafen, sprechen, laufen?

Brauchen wir Experten, die uns für die Nöte der antarktischen Pinguine, der Windelfetischisten und den Mangel an Nachwuchs bei den Buckelwalen „sensibilisieren“, während unsere eigene Population nach den Maßstäben der Artenschützer vom Aussterben bedroht ist, nicht sofort, aber prognostizierbar?

Helfen uns diese Leute weiter, während immer mehr Kinder nur noch nach Einnahme von verschriebenen Drogen in die Schule geschickt werden können und Erwachsene nur noch unter Psychopharmaka funktionieren? Wenn immer mehr Menschen vereinsamen und vom Sozialsystem abhängig werden, immer mehr Kinder gar nicht mehr lernen, wie man eine Beziehung führt, weil sie in „Patchworkfamilien“ mit ständig wechselnder Besetzung aufwachsen und häufig gar kein Vater mehr da ist?

Alles normal? War früher wirklich alles schlechter? Oder leiden wir nicht immer feiner, subtiler, innerlicher, während der materielle Aufwand für dieses verfeinerte Leiden ins Unermessliche wächst?

Macht das „Immer mehr“ um jeden Preis uns glücklicher? Immer mehr Waren, immer mehr Therapie, immer mehr Information, immer mehr „soziale Sicherheit“, immer mehr Neurosen, immer mehr Einsamkeit, immer mehr Singlebörsen? Ist „das Wachstum“ nicht vielleicht nur deshalb „böse“, weil es die Natur schädigt, sondern weil wir vom Zuviel schlicht krank werden? Treibt nicht viele von uns nur noch das Mehr an Geld, Sozialprestige und Warenkonsum an, weil wir keine Wurzeln, keine Tradition und Familie mehr haben, die uns Halt geben, uns orientieren und motivieren?

Warum gibt es immer mehr gestresste, von Ängsten gepeinigte Menschen, wo wir doch immer mehr „Komfort“ und „Sicherheit“ genießen? Vielleicht genau deshalb, weil wir immer mehr in Watte gepackt werden, immer mehr Airbags und Versicherungen um uns haben. Fühlen wir vielleicht deshalb immer weniger, weil wir keine sich in der „harten“ Realität behauptenden Menschen mehr sind, sondern uns nur noch den virtuellen Realitäten des Arbeitnehmers, Konsumenten, Versicherten, Leistungsempfängers bewegen? Werden wir immer reizbarer und unverträglicher, weil wir schlicht nicht mehr „artgerecht“ gehalten werden, sondern nur noch Betriebsmittel der Großen Maschine sind? Suchen wir deshalb immer mehr den Kick? Boomen deshalb die Extremsportarten, damit wir endlich wieder etwas fühlen, und sei es erlösender Schmerz, der uns zeigt, dass wir noch am Leben sind? Beschäftigen wir uns deshalb mit dem Leid und Unglück von Lebewesen weit entfernt von uns, die wir niemals persönlich kennen lernen werden? Warum floriert das „Engagement“ in fernen Erdteilen per digitaler Geldspende und Online-Petition, während wir unsere eigenen Nachbarn noch nicht einmal mit Namen kennen?

Vielleicht ist es uns inzwischen zu mühsam, uns um unsere Nächsten zu kümmern, weil es dafür ja den Staat, Psychologen, Therapeuten, Ärzte gibt? Gefällt uns das Online-Engagement per Mausklick so sehr, weil es so „sauber“ und bequem ist?

Wie kann es sein, dass in einer Singlemetropole wie Berlin all die „befreiten Individuen“ unter so vielen Singles tatsächlich meist Singles bleiben, und das trotz immer mehr Singlebörsen, Partnervermittlungen und Singleveranstaltungen wie dem „Speeddating“, wo man pro Stunde sieben Singles abarbeitet?

Ist das alles vielleicht der Preis des Überflusses? Sind das Risiken und Nebenwirkungen des politisch korrekten Nirwanas der „befreiten Individuen“, frei von materiellem Mangel und „Repression“, befreit von der Notwendigkeit, mit anderen auszukommen und befreit von der Notwendigkeit, sich körperlich zu betätigen? Gibt es deshalb immer mehr Soziopathen, Neurotiker und Adipöse? Ist es das Ziel des „Projekts Moderne“, dass gesamtgesellschaftlich die gleichen Symptome grassieren wie einst im späten Rom oder am Hof des Sonnenkönigs? Auch dort nämlich gab es „befreite Individuen“, rundum versorgte, behütete und bediente Adlige und Bürger, die genauso adipös und neurotisch waren wie wir, die es in allen nur denkbaren Spielarten trieben, die aus Langeweile gegeneinander intrigierten, sich duellierten, in ihrer Schwermut und inneren Trostlosigkeit theatralisch Selbstmord begingen, jagten und prassten und als höchstes der Gefühle Krieg führten gegen Leute und für Zwecke, mit denen sie niemals in Berührung kamen. Gleichzeitig waren diese „befreiten Individuen“ aber auch vom Drang getrieben, Gutes zu tun. Sie speisten mit den zuvor vom Volk eingetriebenen Steuern Arme und Kriegsinvaliden und bauten Waisen- und Blindenanstalten, die letztlich nichts anderes waren als Arbeitszuchthäuser.

„Ergötzt Euch!“, ruft der adlige, individuell befreite Marquis de Sade uns in die intrigante Hölle des industriell-sozialstaatlichen Versailles zu, mit dem kleinen Unterschied, dass das moderne „befreite Individuum“ in Einzelhaltung von Maschinen statt von Lakaien bedient wird.

Droht uns am Ende der Tod durch Wunscherfüllung, das ultimative Grauen des wahr gewordenen „Schlaraffenlandes“?

„Sei ein Promi und erlebe die Leichtigkeit des freien Falls!“, so lockt uns die mediale Bewusstseinsindustrie ins digitale Nirwana. Haben wir uns industriell ins materielle „Reich der Freiheit“ katapultiert und die traditionellen Zwänge gegen die Zwänge unserer Egos getauscht, die sich in dieser „Freiheit“ ins Gigantische aufblähen? „Selbstbestimmte“ Egos, die kategorisch ihre „Ansprüche“ auf „Selbstverwirklichung“, Einzigartigkeit, Aufmerksamkeit, Begehrtwerden und Maximierung der „Lebensqualität“ einfordern und sich selbst und ihre Mitmenschen mit ihren Neurosen, Phobien, Soziopathien und polymorph-perversen Leidenschaften quälen. Erleben wir eine Inflation der Ichs, die sich nur noch existent fühlen, wenn sie von anderen bewundert und bespiegelt werden? Dies würde die Inflation der Personality-Shows, der Autobiografien und der Ich-Produkte wie „Egöiste“, „Ich & Ich“, „Moppel-Ich“, „Runzel-Ich“, „günst-ich“, „zuverläss-ich“„Unterm Strich zähl ich“ erklären.