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Guido Eckert, Jahrgang 1964, hat als Autor unter anderem für Vanity Fair, für die Süddeutsche Zeitung und das Zeit-Magazin geschrieben. Er lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in einem kleinen Dorf im Sauerland. Neben Reportagen schreibt er Romane und Erzählungen.

Preise:

1991  Axel-Springer-Preis für junge Journalisten

1997  Theodor-Wolff-Preis für literarischen Journalismus

1998  Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für Literatur

Guido Eckert

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Wenn Männer zu sehr lieben

SOLIBRO Verlag Münster

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1.  Guido Eckert:

Zickensklaven. Wenn Männer zu sehr lieben.

Münster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2009

ISBN 978-3-932927-43-0 (Broschur)

ISBN 978-3-932927-59-1 (E-Book)

2.  Peter Wiesmeier:

Ich war Günther Jauchs Punching-Ball!

Ein Quizshow-Tourist packt aus.

Münster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2010

ISBN 978-3-932927-58-4 (E-Book)

3.  Guido Eckert:

Der Verstand ist ein durchtriebener Schuft.

Wie Sie garantiert weise werden.

Münster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2010

ISBN 978-3-932927-47-8 (Broschur)

ISBN 978-3-932927-60-7 (E-Book)

4.  Maternus Millett:

Das Schlechte am Guten.

Weshalb die politische Korrektheit scheitern muss.

Münster: Solibro Verlag 1. Aufl. 2011

ISBN 978-3-932927-46-1 (Broschur)

eISBN 978-3-932927-61-4 (E-Book)

eISBN 978-3-932927-59-1 (E-Book)

© SOLIBRO® Verlag, Münster 2009

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Cornelia Niere, München

Umschlagfotos: mauritius images / imagebroker / Rosseforp

Foto des Autors: privat

www.solibro.de     verlegt. gefunden. gelesen.

»Frauen sind nicht etwa die besseren Menschen; sie hatten bisher nur nicht so viel Gelegenheit, sich die Hände schmutzig zu machen.«

Alice Schwarzer

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

ERSTER TEIL – Fallbeispiele

Jedem Anfang wohnt eine Zauber inne

Noch so ein Anfang voller Zauber

Ein letzter zauberhafter Anfang

Der Schlüssel im richtigen Schloss

Wer lacht, scheint glücklich

Der kalte Kuss

Schwein und Bock

Das tolle Paar

ZWEITER TEIL – Psychologische Hintergründe

Der selten glückliche Mann

Die gestörte Balance

Dreimal falscher Geburtstag

Die charmante Fassade

Alles auf Null – Zurück in die Kindheit

Vater ist der Beste

Das Streben nach Macht

Die Wunde stillen

Der Mittelpunkt der Welt

Der Blumenstrauß ins Büro

Der blinde Fleck

Die beiden Magneten

Der kalte Reiz

Die drohenden Gespenster

Eine Welt voller Versager

Die ungeduldige Patientin

Von Frau zu Frau

Der nette Schleicher

Die verschobene Grenze

Das ewige Lied vom Hampelmann

DRITTER TEIL – Selbstbetrachtung

Wie wird man denn jetzt endlich zum Zickenbändiger?

Der Zwang der Wiederholung

Der unfähige Vater

VIERTER TEIL – Gesellschaftliche Hintergründe

Warum Zicken überall aus dem Boden sprießen

Es wird einem nichts geschenkt

FÜNFTER TEIL – Trennungsanalyse

Also Schrecken ohne Ende?

Die vollzogene Trennung

Auf ein neues Leben! Nach der Trennung.

Die leidige Hoffnung

Der heikle Umgang mit den Kindern

SECHSTER TEIL – Zukunftspläne

Das große Aufräumen

Neues Spiel, neues Glück?

Butter bei die Fische

Den inneren Frieden finden

SIEBTER TEIL – Auf dem besten Weg zum Zickenbändiger

Quellen-/Literaturverzeichnis

Vorwort

Um gleich mit einem möglichen Missverständnis aufzuräumen: In diesem Buch wird nicht gejammert. Erst recht nicht über Frauen.

Und vor allem nicht von Männern.

Aber es geht »natürlich« und in erster Linie um Frauen (und deshalb auch immer wieder um Männer), um einen ganz bestimmten Typus Diva, und darum, dass diese Spezies auch den stärksten Mann umhaut.

Es geht selbstverständlich um »Zicken«. Charmanter geschrieben: Im Folgenden beschäftige ich mich mit außergewöhnlich interessanten Frauen, ungewöhnlich schönen Frauen, starken Frauen, beeindruckenden Frauen, in deren Aura sich gewöhnliche Menschen unwohl fühlen und beeindruckt die Augen senken. (Allerdings nach deren Abgang erleichtert ausatmen.)

Wie gesagt, es geht um Zicken.

Es handelt sich dabei allerdings nicht um Frauen, die vielleicht einmal im Monat, zu einem gewissen Termin ein wenig gereizt erscheinen, einen schlechten Tag haben und sich am nächsten Morgen entschuldigen und wieder fröhlich sind.

Nein, es geht in diesem Buch um Frauen, die sich niemals – und das heißt wortwörtlich: niemals! – entschuldigen würden. Auch wenn SEK und RTL vor der Türe ständen. Und wenn es ihr Leben kosten würde.

Es dreht sich in diesem Buch alles um die Königinnen der Diven, die nicht mal einen schlechten Tag haben, sondern deren gute Laune sich in Sekunden rechnen lässt. Aufs Jahr gerechnet. Es geht also: um Zicken, die Seelen zerstören.

Ihre eigene mit eingerechnet.

Obacht: In diesem Buch werden Frauen trotzdem nicht als »Schuldige« betrachtet; ein beliebter Ansatz in Frauen-Büchern.

Dies ist aber ein Männerbuch, das heißt: wir wollen Antworten. Lösungen. Keine vorschnellen Schuldzuweisungen (das haben wir zu oft erlebt).

Ein Buch für Männer – das aber sehr wohl von Frauen gelesen werden soll, und um beide Geschlechter zusammen zu bringen auch nicht von einem Psychologen geschrieben wurde.

Es geht schließlich um Sofort-Hilfe.

Ich bin kein Arzt – aber ein Fachmann für Erste Hilfe. Und Erste-Hilfe-Ratgeber sollten in keinem Bücherschrank fehlen. Denn dieser vermeintliche Laiendilettantismus hat an vielen Unfallstellen dieser Erde schon unzählige Leben gerettet.

Oder, mit einem anderen Vergleich: die wenigsten Computerbücher werden von Programmierern geschrieben, und wer je einen solchen kennen lernen durfte, weiß, wieso das oftmals besser ist. (In gewisser Weise ist übrigens auch dieses Buch nichts anderes als ein Weg zur Neuprogrammierung.)

Das also ist die Zielrichtung dieses Buches.

Schließlich leiden Menschen. Männer und Frauen. Und sie wollen schnelle Hilfe.

Männer leiden – weil beinahe jeder einmal in seinem Leben an eine Zicke gerät und nur mit schweren traumatischen Schäden aus einer solchen »Beziehung« heraus taumelt. Frauen leiden – weil beinahe jede in ihrem Leben an eine Zicke gerät, als Freundin, Arbeitskollegin, Feindin, und nur mit schweren traumatischen Schäden aus einer solchen »Beziehung« heraus poltert.

Wer aber selbst schon einmal in einer psychischen oder sonstigen Krise steckte und sich buchstäblich am Ende sah, weiß, dass jeder Strohhalm wortwörtlich Leben rettet.

Dieses Buch baut genügend Strohmatten, ganze Strohhaussiedlungen, um die Grundlagen der Zickenzerreißprobe zu durchblicken.

Anschließend wird keine Zicke Dich mehr zu Boden zwingen!

Ganz wichtig auch für Frauen, die ihrerseits unter Zicken leiden. Und die ausdrücklich zur Zielgruppe dieses Buches gehören.

Grob gesagt teilt sich das Buch in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wobei sich diese zeitliche Trias nicht in einer Dreiteilung des Buches niederschlägt. Gemeint ist damit mehr die psychische Entwicklung der interviewten Männer und Frauen – sowie (hoffentlich) der Leser.

Im ersten Teil erzählen vornehmlich die Männer, mit denen ich gesprochen habe (und niedergeschrieben ist wahrlich nur ein kleiner, repräsentativer Ausschnitt), um einen atmosphärischen Eindruck von der Seelenlage deutscher Männer zu erhalten. Hier geht es um eine Bestandsaufnahme – die Analyse erfolgt dann im zweiten Teil. Dort konzentriere ich mich auf die psychologischen Grundlagen. Wer möchte, kann selbstverständlich auch zuerst den zweiten Teil lesen, sich mit Fakten und Sachwissen vollsaugen und sich dann, zum Nachtisch, an den Schilderungen gütlich tun.

Kapitel drei behandelt – auf dem Weg zum Zickenbändiger – die eigenen Anteile und Voraussetzungen, weshalb es vermutlich überhaupt erst zur Paarbildung mit einer Zicke gekommen ist. Und weshalb sich die meisten Zicken nicht helfen lassen wollen. Teil vier wiederum: die große gesellschaftliche Sicht. Warum Zicken überall aus dem Boden sprießen. Warum unsere Gesellschaftsordnung Zicken sogar ausdrücklich fördert und fordert.

Teil fünf widmet sich der – meist – unvermeidlichen Trennung, die – meist – von ihr ausgeht. Besonders problematisch, wenn noch Kinder darunter leiden.

Im sechsten Teil geht es um eine hoffentlich glückliche Zukunft. Ob nun mit Zicke oder ohne, auf jeden Fall: verändert, klarer.

Denn getreu des Spruches: »Männer wollen Probleme lösen – Frauen wollen über Probleme reden« soll es in diesem Buch um Lösungen gehen.

Und wer sich unbedingt als Zickenbändiger erproben will (oder muss – denn Zicken tauchen auch am Arbeitsplatz auf), dem sei ausdrücklich der Schlussteil ans Herz gelegt.

Ich danke allen Männern, mit denen ich interessante, tiefe, spannende Gespräche führen durfte, und respektiere selbstverständlich, dass sie sich nicht mit ihrem richtigen Namen gedruckt sehen möchten. (Das ist auch eine Folge des Zicken-Terrors. Denn sie haben teilweise Kinder, die noch bei ihrer Mutter leben. Frauen, die sich selbstverständlich nicht als Zicken sehen – sondern wahlweise als Opfer der Gesellschaft oder einer falschen Interpretation, denn schließlich muss ja jeder selbst schauen, wo er/sie steht – nicht wahr?!)

Ehrlicherweise muss ich zugestehen, dass es inzwischen auch einen Haufen männlicher Zicken gibt (die damit allerdings keinen semantischen Bezug mehr zur Tierwelt haben), aber das ist nicht Inhalt dieses Buches. Schon alleine deswegen, weil Männer unter solchen Erscheinungen weniger leiden (und für homosexuelle Beziehungen fehlen mir Erfahrungswerte).

Gedankt sei ausdrücklich auch jenen Zicken, die ich ebenfalls nicht namentlich erwähnen möchte, die mir aber ihre Sicht der Dinge geschildert haben. (Schriftlich. Von Angesicht zu Angesicht wäre es Ihnen nicht möglich gewesen.)

Deren Sicht mag auf manchen Leser schockierend wirken in ihrer gnadenlosen Ehrlichkeit – aber diese Frauen haben ihr Verhalten schon »reflektiert«. Sie wollen sich ändern.

Daraus lässt sich ablesen, was in den unzähligen Zicken gärt, die noch in freier Wildbahn herumlaufen und die sich für unwiderstehlich halten.

Es liegt eine Menge Arbeit vor uns.

Aber nach der Lektüre dieses Buches lässt sich sagen: Packen wir es an!

»Ich geb mich ganz der überschäumend wilden Freude der Verzweiflung hin.«

Giacomo Leopardi

– ERSTER TEIL – FALLBEISPIELE

Jedem Anfang wohnt eine Zauber inne

Als ich davon erfuhr, dass Ulrike Georg verlassen hatte, dass also eine sogenannte Bilderbuchehe zerrissen wurde, mitsamt Bilderbuchanwesen und Bilderbuchkarriere, da war ich geschockt. Allerdings nicht unbedingt aufgrund der Trennung.

Ulrike ist eine, zugegebenermaßen, wunderschöne Frau, mit einem beizeiten beeindruckenden Lächeln und einem prinzipiell stimmigen Kleidungsstil. Sie hat ein ebenmäßiges Gesicht, lange, schwarze Haare, volle Lippen und ist eine der wenigen Frauen, die tatsächlich ohne Schminke beneidenswert aussehen. Der geneigte Leser wird erkennen, dass ich mich in dieser Aufzählung auf Äußerlichkeiten konzentriere (typisch Mann). Dafür gibt es allerdings einen Grund (eben: typisch Mann). Jene Äußerlichkeiten sind nämlich das Einzige, das sie auszeichnet. Ulrike ist, nun ja, von einer gewissen Ansprüchlichkeit, die es ihrem Freundeskreis – seien wir ehrlich: es ist Georgs Freundeskreis, an den sie sich anhängt – schwer macht, sie unvoreingenommen zu begrüßen. Meist ist Ulrike nämlich schlecht gelaunt. Oder auffällig gut gelaunt, weil ihr ein Kellner schöne Augen macht, was sie auffällig deutlich ausbreitet. Was sie allerdings im weiteren Verlauf des Abends nicht davon abhält, wieder schlechte Laune zu bekommen. Weil Georg sich angeblich zu wenig um sie kümmere, ihm seine Freunde anscheinend wichtiger seien als die eigene Partnerin, zudem das Licht in diesem Restaurant viel zu hell oder auch zu dunkel sei (sie ist unberechenbar). Normalerweise packt sie im Verlauf eines solchen Abends ihre Sachen zusammen und rauscht in einem grandiosen Abgang davon. Georg entschuldigt sich dann, lächelt verlegen und rennt hinter ihr her.

Als ich also davon erfuhr, dass Ulrike Georg verlassen hatte, war ich geschockt.

In welch jämmerlichem Zustand Georg mir die Tür öffnete.

Er schlief kaum, aß nur noch ungern (als Mann!), dafür trank er zu viel (zugegeben: das muss nichts heißen) und war voller Hass.

Ich hatte ihn noch nie so voller Hass erlebt.

Und so angefüllt mit Leid und Trauer.

Ulrike dagegen ging zur Arbeit, traf sich mit Männern und lächelte. Die Trennung löste bei ihr ungefähr die gleiche Wirkung aus, als hätte sie morgens den Bus zur Arbeit verpasst.

Und der Nachfolgende rollte schon um die Ecke.

Was ist überhaupt eine Zicke?

Der Ausdruck »Zicke« hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch fast vollständig von seiner tierischen Verwurzelung gelöst. Vielen ist schon gar nicht mehr richtig bewusst, dass der Ausdruck »Zicke« eine ernsthafte biologische Beschreibung beinhaltet. Im Gegensatz zum »Hengst« oder »Schwein« beispielsweise, mit denen die vierbeinigen Kollegen selbstverständlich vertraut sind. In besagter Tierwelt müssen wir erst einmal zu den Hausziegen wechseln. Die gehören (welche Überraschung) zur Gattung der Ziegen in der Familie der Hornträger. Das weibliche Tier wiederum wird Geiß oder Zicke, das männliche Bock, das kastrierte männliche Mönch genannt. (Letzteres beinhaltet Potenzial für eine schöne Frage bei »Wer wird Millionär?«)

In verschiedenen Lexika gibt es für die Zicke ansonsten verschiedene Umschreibungen. Etwa:

[1] weibliche Ziege

[2] abwertend: störrische, launenhafte Frau

[3] nur im Plural: unsinnige Ideen, Verhaltensweisen

Wahlweise steht unter Punkt 2 auch schon einmal »launische, unangenehme Frau«. Je nach Beschwerdeton gegenüber der zuständigen Redaktion wird eine ähnlich lautende Beschreibung aber auch verändert.

Das Internetlexikon Wikipedia definiert zurzeit: »Als Zicke werden störrische, eigensinnige Mädchen, Frauen oder manchmal (zumeist homosexuelle) Männer bezeichnet.« Die »Zimtzicke« hat laut »Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten« folgende Herleitung: Zuerst war »Zimt« ein Ausdruck für Geld beziehungsweise Geldwaren (denn Zimt war selten und damit kostbar). Mit der Übernahme in die Umgangssprache trat ein Bedeutungswandel ein, und zwar zum Schlechteren. »Zimt« wurde nunmehr in Redewendungen wie »Was kostet der ganze Zimt hier?«, »Mach keinen Zimt!« oder »Fauler Zimt« (Unsinn) benutzt.

Im selben Zeitraum kamen auch die Ausdrücke »Zimt machen«, »Zimtig sein« auf, die einfach »Umstände machen«, »Schwierigkeiten machen« bedeuteten. Zieht man nun »Zicke« (gewissermaßen der Inbegriff von »Schwierigkeiten machen«) sowie »Zimt« zusammen, deutet sich an, was der Ausdruck bedeuten soll: Eine Person, die Schwierigkeiten macht, und zwar so richtig!

Es ist nicht einfach einen genauen Zeitpunkt zu bestimmen, an dem sich aus der ehemals negativen Definition eine positive Umwertung ergab. Im Gedächtnis haften geblieben ist aber eine MTV-Kampagne, Ende der 1990er Jahre, bestehend aus Jugendlichen (Schwarz-Weiß-Porträts), die ohne weitere Werbebotschaft nur ein simples T-Shirt trugen. Vorne war jedes Shirt mit einer Charakterisierung des Trägers versehen, durch ein einziges Wort. Und den größten Eindruck machte die junge Frau mit dem Aufdruck: »Zicke«. Es war für einen längeren Zeitraum Mode, ein solches T-Shirt zu tragen.

Noch so ein Anfang voller Zauber

Als ich davon erfuhr, dass Caroline Stefan verlassen hatte, dass also eine weitere sogenannte Bilderbuchbeziehung in Schutt und Asche lag, mitsamt Bilderbuchplanung und Bilderbuchkarriere, nebst Vorzeigepartys und Vorzeigefotos, da war ich schon wieder geschockt.

Und wieder nicht wegen der Trennung.

Caroline ist eine, zugegebenermaßen, attraktive Schönheit mit einem beachtlichen beruflichen Ehrgeiz. Sie hat blaue Augen, einen sportlichen Körper, ist blond (ich weiß, darum geht es nicht) und sie kann ganze Abendgesellschaften damit unterhalten, detailliert über Strukturen und Abläufe in ihrer Firma zu berichten, in allen Einzelheiten. Also darüber, wann ihr Chef sie zuletzt gelobt habe und warum ein anderer Kollege prinzipiell einen Tadel erhalten müsse. Und wann ihr Chef sie zuletzt gefeiert habe und warum ein anderer Kollege auf der Stelle gefeuert werden müsse. Und warum alle Frauen in ihrer Abteilung neidisch, missgünstig und eifersüchtig seien. Und weshalb sie an diesem Abend früh zu Bett gehen müsse und Stefan folglich den gemütlichen Pizza-Abend in seiner Wohnung schon vor der selbst gemachten Nachspeise aufzulösen habe. Und zwar unverzüglich. Auch wenn das zur Konsequenz habe, dass niemand mehr etwas mit ihr (heißt: mit Stefan) zu tun haben wolle, dass jemand enttäuscht oder sauer sei.

Raus! Sofort!

Als ich also davon erfuhr, dass Caroline Stefan verlassen hatte, war ich geschockt.

In welch jämmerlichem Zustand Stefan mir die Tür öffnete.

Er war aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen, dafür in eine winzige Bruchbude gewechselt, schluckte Valium und heulte. Und: Er wollte Caroline töten, wahlweise auch sich selbst.

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Es klang nicht sehr spaßig.

Caroline dagegen ging zur Arbeit, traf sich nach Dienstschluss mit ihrem Chef und schrieb putzige, spontane E-Mails, in denen sie Stefan aufforderte, man solle doch gefälligst »Freunde bleiben«.

Eine Zicke verteidigt sich

»Ich will gar nicht groß um den heißen Brei herumreden: Es gibt schließlich einen Haufen Leute, die mir nachsagen, ich sei die geborene Zicke. Nur, ich selbst sehe das überhaupt nicht so. ›Zicke‹ ist für mich negativ belastet – und ich finde mich selbst absolut positiv. Ich sag halt nur deutlich meine Meinung, aber ich kann nichts dafür, wenn das so mancher in den falschen Hals kriegt.

Vor allem sind das Feiglinge. Und die bezeichnen andere dann halt als Zicke. Für mich ist mein Verhalten aber sehr lebendig, und gerade das Provokante ist belebend. Ich bin halt nicht so langweilig, wie diese ganzen Mauerblümchen und Versager. Ich bin mutig. Wenn du so willst, dann sind zickige Menschen die, die eben nicht alles auf sich beruhen lassen. Wir sollten froh sein, dass es solche Frauen überhaupt gibt, weil sie das Herz auf der Zunge tragen und direkt das aussprechen, was viele andere nur denken. Männer sind da sowieso alle gleich. Die nennen eine Frau direkt ›Zicke‹, nur weil sie sich in einer Männergesellschaft durchgesetzt hat und ein bisschen lauter wird. Das können die Herren der Schöpfung natürlich überhaupt nicht verkraften.

Und wenn ich dann noch überlege, wie viele zickige Männer es gibt. Ich kenne da einige!

Nein, Zicken sind meiner Meinung nach emanzipierte Frauen, die eine eigene Meinung haben und sich trauen, diese Meinung auch öffentlich zu vertreten, und sie bis aufs Letzte zu verteidigen. Zicken lassen sich den Mund nicht verbieten und können schon mal ungemütlich werden, wenn sie nicht respektiert oder akzeptiert werden. Aber all das finde ich sehr positiv und notwendig.

Mittlerweile benutze ich den Begriff auch als so eine Art Freifahrschein, nach dem Motto: Ich bin eine Frau, ich darf das!

Ja, ich gebe zu: Ich bin manchmal auch arrogant und überheblich.

Es gibt genügend Situationen, wo ich das auch mal deutlich zum Vorschein bringe. Aber es hat immer seinen Sinn und Zweck! Ich kann auch sehr gut an Dingen rumnörgeln, das stimmt, und ich lästere auch ganz gern – aber wer tut das nicht??

›Zickig‹ sind wir alle, Männer und Frauen – nur die Männer wollen das nicht zugeben. Wir Frauen hingegen stehen einfach dazu, weil Frauen ohnehin viel selbstkritischer und ehrlicher sind als Männer. Ich komme immer wieder darauf zurück: Wenn Frauen nicht lieb und brav sind, wie es traditionell von ihnen erwartet wird, nennt man sie zickig. Einen Mann würde man nie so bezeichnen. In einer Zeitschrift habe ich gelesen, dass das Äußern von Ärger bei Männern als angemessen und bei Frauen als zickig eingestuft wird. Da ist es auch wieder. ›Zickig‹ wird als Attribut der Frau verstanden und mit negativen Inhalten gefüllt. Man listet wenig rühmliche Eigenschaften auf, wie eigensinnig, launenhaft, launisch, störrisch, überspannt, widersetzlich.

Deshalb können Frauen sich auch nicht in Geschäften beschweren oder auf ihr Recht pochen, ohne dass es gleich heißt: Die ist eine Zicke. Oder wenn eine Frau einem Mann mal unmissverständlich klar macht, wie der Hase läuft. Oder wenn eine Frau mal schlecht drauf ist.

Ich behaupte, dass dieser Begriff ausschließlich von Männern benutzt wird und gegen Frauen gerichtet ist: sozusagen als eine männliche Waffe.

Und wenn Frauen dieselbe Geringschätzung für das weibliche Geschlecht hegen wie Männer, dann übernehmen diese Frauen nur die männliche Sicht der Dinge und verachten sich selbst.

Denn was ist die Haupteigenschaft von ›Zicken‹? Sie zeigen Emotionen, Gefühle und Leidenschaft. In einer völlig kalten Zeit. Deshalb regen sich auch viele eiskalte Männer darüber auf, wenn Frauen dagegen aufbegehren, weil Emotionen sich kaum kontrollieren und beherrschen lassen.«

Ein letzter zauberhafter Anfang

Als ich davon erfuhr, dass Martina Frank verlassen hatte, dass also ein Playboy und Frauenliebling verstoßen wurde, ein umschwärmter Sonnenschein, da war ich: aufmerksam.

Ich begann ein Muster zu erforschen. Während Frank mir also von den Einzelheiten der Trennung erzählte, las ich in einem Zeitungsartikel (gute Freunde dürfen so etwas), dass der Mann in einer schwierigen Lage sei. Männer müssten ihr Selbstverständnis und ihre Rolle neu definieren. Sie seien nicht mehr Haupternährer der Familie. Frauen sind dabei, sie mit ihren Qualifikationen zu überholen, schilderte ein sogenannter Freizeitforscher. Es sei nicht mehr in erster Linie so, dass der Chefarzt die Krankenschwester heirate, sondern dass sich die Chefärztin überlege, ob sie den Krankenpfleger heiraten könne.

Frank unterbrach daraufhin kurz sein Lamentieren und begann hemmungslos zu lachen. »Eine Million Euro«, sagte er und prustete, »wette ich darauf, dass es in ganz Europa keine Chefärztin gibt, die über den Status des Überlegens hinaus gegangen ist«.

Ich freute mich zwar über sein albernes Lachen, weil er das vor ungefähr einem Jahr eingestellt hatte, also ziemlich genau mit Ende der Honeymoon-Phase, aber dann fragte ich mich, warum er nicht einfach mal früher gelacht hatte. Zum Beispiel, als Martina ihn vor meinen Augen angebrüllt hatte, weil er angeblich die falschen Topfpflanzen aus dem Gartenmarkt auslud. Oder als sie ihn angebrüllt hatte, weil er versehentlich eine Autobahnausfahrt zu früh abgefahren war. Oder als sie ihn angebrüllt hatte, weil er sieben Minuten zu spät bei ihrer Arbeitsstätte vorfuhr, um sie abzuholen.

Also gab ich die Frage weiter.

Warum hast du nie gelacht, als Martina noch da war?

Er schwieg.

Ein weiterer Männerforscher in diesem Artikel verwies auf die Unsicherheit vieler junger Männer bei der Suche nach ihrer Rolle in der Gesellschaft. Ihnen fehlten echte, positive Vorbilder, wie eine im Frühjahr veröffentlichte Befragung von 20-jährigen Frauen und Männern im Auftrag des Bundes sehr deutlich gemacht habe.

Frank nickte plötzlich.

»Da ist allerdings was dran«, sagte er.

Er wirkte nun sehr ernst.

Ein verändertes Männerbild

Viele aktuelle Studien kommen zu dem gleichen Ergebnis, wonach Männer heutzutage nicht mehr einfach so Männer sind, sondern durchwachsen in ihren Ansichten, unsicher in ihren Ideen, zusammengefasst: irgendwie merkwürdig. Ob man diesen Studien nun unbedingt kanonische Bedeutung zumessen sollte, halte ich für fragwürdig, denn gleichlautende Ergebnisse lassen sich auch für Frauen, überhaupt für jeden Menschen und Berufszweig der sogenannten Postmoderne finden. Zynisch formuliert ist eine gewisse Unentschiedenheit nun mal das Kennzeichen der Postmoderne (und ich lasse den Leser mit der naheliegenden Frage alleine, ob es denn nun überhaupt eine solche Postmoderne gibt. Beziehungsweise: Was soll das überhaupt sein? Wie ist sie – tatsächlich, greifbar, nicht nur ideell, feuilletonistisch – von der »Moderne« abgegrenzt? Und die wiederum von ihrer Vorgänger-Epoche? Shut up, das ist eine andere Baustelle.)

Trotzdem möchte ich eine aktuelle Untersuchung anführen, weil sie aus einer eher unerwarteten Richtung kommt. Die Studie »Männer in Bewegung«1 entstand nämlich im Auftrag der »Gemeinschaft der katholischen Männer Deutschlands« und der »Männerarbeit der Evangelischen Kirche«. Fragestellung war unter anderem: »Glauben die Männer noch an die Ehe?« Und: »Stehen sie am Wickeltisch?«

Die Studie unterscheidet letztlich sogenannte »Traditionelle« und »Moderne«, »Suchende« und »Balancierende«. »Diese vierte Gruppe könnte man auch Rosinenmänner nennen. Sie suchen sich aus allen Modellen das Beste raus«, so Studienautor Paul Michael Zulehner bei der Vorstellung der Ergebnisse im März 2009 in Berlin. Der Vergleich zu der Vorgänger-Studie (exakt 10 Jahre zuvor) zeige: Die Traditionellen seien auf dem Rückmarsch, die Modernen immer noch in der Minderheit, die Suchenden aber heute die größte Gruppe.

Das ist alarmierend, denn wenn diese Männer (aus der größten Gruppe) an eine Zicke geraten, dann ist alles zu spät.

19-Jährige Jungs haben es der Studie zufolge besonders schwer, denn ein Großteil der Mädchen in diesem Alter sind geprägt von modernen Vorstellungen einer Partnerschaft, während es bei den Jungen gerade mal 14 Prozent sind. Erst wenn die jungen Männer älter werden, ändert sich dieser Grad. So finden sich die meisten modernen Männer in der Altersgruppe der 30-bis 39-Jährigen. Jeder vierte Mann sagt übrigens: »Die Ehe ist eine überholte Einrichtung.« Frauen wiederum sind da lange nicht so skeptisch. Aber interessant ist, dass besonders viele der traditionell eingestellten Männer die Ehe als Lebensmodell abgeschrieben haben.

Diese radikale Einstellung teilen bei den modernen Männern nur sehr wenige.

»Alle Menschen sind klug. Die einen vorher, die anderen nachher.«

Voltaire

Der Schlüssel im richtigen Schloss

»Mit Martina war es von Anfang an nicht einfach«, erzählte Frank und ich begann zu notieren. In meinem Hinterkopf (also geistig, denn eine Mitschrift hätte auch unter Freunden eher störend gewirkt). Dabei unterstrich ich: Interessant! Warum hast du mir die ganze Zeit über etwas vorgespielt? »Wir haben uns vor etwa drei Jahren zum ersten Mal gesehen, an meinem 25ten Geburtstag, aber damals war ich noch mit Beate zusammen. Ich war zwar schon in der Musikbranche unterwegs, jeden Tag mit Stars und Sternchen auf Tour, aber zu Martina gab es eine rein freundschaftliche Beziehung. Sie war überall präsent, in allen Diskotheken, weil sie schon nach einem Jahr Berufserfahrung den Job hingeschmissen und sich ins Partyleben zurückgezogen hatte. Sie zog mit den Geschäftsführern verschiedener Nachtclubs zusammen und machte eigentlich den ganzen Tag nichts anderes, als sich mit ›Stars‹ zu umgeben. Ihre Liaisonliste umfasste so ziemlich die komplette Riege deutscher und internationaler Schauspieler, die in der Stadt Halt gemacht hatten. Ich wusste auch, dass sie ein ziemliches Kokainproblem hatte. Und ich wusste, dass sie bei ihrem Vater als Büroangestellte jobbte. Dort war sie in erster Linie Tochter, hatte eine Rolex, einen Jeep, eine eigene Wohnung, aber nichts kam von ihr, alles von Papi. Sie ist ins Büro gegangen, wann und wie es ihr passte. Sie war hauptberuflich Tochter und hat sich durchs Leben geschnorrt.«

Interessant! (Einschub Hinterkopf) Junge, was wolltest du von dieser Frau?

Ich muss dabei einfügen, dass Frank ein wirklich netter Mann ist. Und ein intelligenter Mann. Und eine hochmusikalische, kreative, charmante Persönlichkeit. Also so ziemlich das Gegenteil eines abgezockten Machos.

Er ist höchstens manchmal ein wenig schüchtern und ein wenig unsicher. Aber das dürfte kein sonderlicher Makel sein, beziehungsweise es ist eine Charaktereigenschaft, die auf ziemlich jeden dritten Menschen zutrifft.

Weniger häufig dürfte vielleicht der Umstand auftreten, sich mit einem koksenden Groupie einzulassen.

Und warum liebst du diese Frau?

»Dass es schon fast unheimlich war«, erzählte er weiter. »Obwohl ich noch mit Beate zusammen war. Aber das war ihr egal. Nun ja, sie wusste schon extrem gut, wie man einen Mann umgarnt, und eines Abends passierte es, dass wir uns sehr intensiv näher kamen. Okay, wir haben zusammen geschlafen, direkt nach unserem ersten Treffen. Das ging aber alles von ihr aus, ich hätte mich nie getraut so Gas zu geben, ich meine, ich kannte sie ja gar nicht. Und so kamen wir zusammen, was mich zum glücklichsten Menschen auf der Welt machte, allerdings entschied sie sich schon am nächsten Tag wieder um. ›Das wäre nicht gut, irgendwas stimmt da nicht‹, sagte sie. Martina wollte Bedenkzeit, kein Problem, und dann kam sie plötzlich und wollte wieder mit mir zusammen sein. Das dauerte eine Woche, dann beendete sie es wieder. Ich war total fertig, konnte kaum arbeiten, wir sahen uns aber immer wieder, und, nun ja, wir hatten wieder was miteinander. Aber eine Beziehung wollte sie nicht mehr, weil sie ihre Launen nicht einschätzen konnte und mir nicht schon wieder wehtun wollte. Sie sagte, an einem Tag wäre sie super gern mit mir zusammen, am nächsten wieder nicht und immer so weiter. Okay, ich habe mich darauf eingelassen und wir hatten eine Zeit lang so ein Mittelding zwischen Beziehung und Unverbindlichkeit. Ich ließ mich darauf ein, etwas Beziehungsähnliches mit ihr zu führen, so eine Art Beziehung ohne Verpflichtungen, wo jeder macht, was er will, und wann er es will.«

Eine Zicke beschreibt sich

»Was gibt es schon groß über mich zu sagen, außer, dass ich arrogant, eingebildet, oberflächlich, egoistisch, wunderschön, geldgeil, eifersüchtig, voreingenommen, sexuell ungewöhnlich offen, gnadenlos pessimistisch, mehrfach gepierct, intolerant, inkonsequent und eiskalt bin. Mit einem Satz: Ich habe alles, was ein Mann sich wünscht! Das ist kein Joke. Ich habe schließlich Augen im Kopf und sehe doch, wie mir die Kerle nachgeifern und zwar alle, durch die Bank. Gerade die, die auf den ersten Blick so etepetete tun. Klar. Aber wenn sie dann mit mir alleine sind ... Nee, es gibt keinen Mann, den ich nicht kriege.«

Wer lacht, scheint glücklich

Pech gehabt.

Vorigen Satz wieder streichen (gar nicht so einfach, der Hirnradierer funktioniert nicht).

Folgende Begründung: Frank ist fertig, er leidet wie ein Hund. Und er spricht von Liebe.

Außerdem war ich davon überzeugt einem Muster auf der Spur zu sein. So in etwa: Junge, kluge Männer treffen auf junge, kluge Frauen – und anstatt diese traumhafte Partnerschaft zu führen, die sie beide nach außen hin darstellen und vor Fotografen zelebrieren, zerstören sie einander.

Also suchte ich nun auch Georg und Stefan auf, und machte mich mit ihnen gemeinsam auf die Suche nach dem Tag, der Stunde, an dem das ganze Unheil seinen Lauf genommen hatte. Ich wollte herausfinden, ob es tatsächlich ein solches Muster gab. Folgendes Bild stanzte ich als Arbeitsgrundlage: Sie steht bei einer Party, einer Vernissage eher am Rand, lacht wenig, hält eher gelangweilt, abweisend ein Glas – aber für ihn ist sie sofort der Mittelpunkt. Ihre Ausstrahlung ist gefährlich wie Angelina Jolie, eher kühl wie Condoleezza Rice, aber ihn reizt diese Gefahr. Obwohl er sich beinahe für nicht ebenbürtig hält, aufgrund ihrer Stilsicherheit, ihrer Kleidung, ihres Aussehens – und es ihn daher umso mehr reizt, als er beim ersten Gespräch merkt, dass sie sich ihrer nicht vollständig sicher ist. Dabei verliert sie niemals die Kontrolle über ihre Person. Weder sagt sie etwas Falsches, niemals, noch entwischt ihr eine überraschende These. Dafür verblüfft sie ihn mit einer eindeutigen Aufforderung zu einem Wiedersehen. Obwohl sie beherrscht und kühl wirkt, ist es problemlos, sie zu einer Verabredung einzuladen. Die Initiative dazu geht sogar eher von ihr aus.

Macht vielleicht erst ein Gen Frauen zu Zicken?

Auf den ersten Blick eine interessante (und zeittypische) Theorie: Wenn eine Frau leicht reizbar ist und schnell wütend wird, könnte daran ein mutiertes Gen die Schuld tragen. Zumindest kommt eine Studie mit 550 Frauen an der Universität Pittsburgh zu dem Ergebnis, dass Wut, Feindseligkeit und Aggressivität mit Veränderungen eines Gens für den Nervenbotenstoff Serotonin zusammenhängen. Frühere Studien hatten bereits gezeigt, dass Serotonin und Aggression verknüpft sind. Steigt der Serotoninspiegel, lassen Wut und Angriffslust deutlich nach. Von den 550 getesteten Frauen in Pittsburgh wiederum zeigten sich diejenigen am aggressivsten, die ein oder zwei Veränderungen an Serotonin-Rezeptoren 2C aufwiesen. Eine Entdeckung mit weitreichenden Folgen? So möchte es zumindest die Studienleiterin interpretieren. Aggressivität und Feindseligkeit seien bekannt als Risikofaktoren für hohen Blutdruck, Herzerkrankungen und Stoffwechselstörungen, demnach könnte ein verändertes Aggressions-Gen also auch zur Risikobestimmung dieser körperlichen Beschwerden dienen.

So weit, so gut. Aber es schließen sich eine Menge von Fragen an diese Studie an, die sich, wie viele ähnliche Studien, weniger in wissenschaftlichen Fachzeitschriften als auf den bunten Seiten diverser Boulevardzeitungen wiederfinden lassen.

Zwar ist das Gen seit einigen Jahren in aller Munde, aber die Vorstellung, dass ein ganz bestimmtes Gen wiederum ein ganz bestimmtes Verhalten steuert, ist naiv. Es entstammt einer positivistischen Denkweise des 19. Jahrhunderts. Sicherlich spielen Gene eine Rolle dabei, wie bestimmte Transmitter eingreifen und letztlich damit menschliches Verhalten beeinflussen, wobei die Botenstoffe an Rezeptoren andocken. Aber nicht in einer derart simplen Vereinfachung, dass Gen A fröhlich und Gen B aggressiv macht.

Das Gleiche ist über Serotonin zu sagen (wobei Dopamin mittlerweile die neue Medienmode darstellt). Es gibt nicht wenige Ärzte, die sich inzwischen beleidigt abwenden, wenn wieder einmal Pharmavertreter antreten und davon schwärmen, ein neues Medikament wirke auf den Serotonin-Stoffwechsel, und zaubere damit beispielsweise Depressionen weg. Streng genommen sind diese Superlative eher super peinlich, denn Serotonin existiert nicht nur im Gehirn und macht uns fröhlich – sondern beispielsweise auch im Bauch, zur Darmsteuerung.

Und es gibt nicht das Gehirn mit Serotonin – sondern tausende Hirnregionen. In der einen führt Serotonin möglicherweise zu einer Erhöhung der Aggressivität, in einer anderen aber zur Hemmung.

Menschliches Verhalten, so viel lässt sich heute sagen, ist unverändert ein hochkomplexes Geflecht. Es wird durch viele Faktoren bestimmt, dabei selbstverständlich durch Gene, aber auch durch Erfahrungen, durch die aktuelle Situation, aber nicht durch ein einzelnes, mutiertes Gen.

Eine biologische Ursache für Zickigkeit würde zudem eine gleichsam krankhaft entstandene biochemische Funktionsfehlsteuerung voraussetzen.

Nun ist es so, dass man bei Depressionen und Angststörungen immer wieder von einer Dysbalance bestimmter Neurotransmitter im Gehirnstoffwechsel hört. Dahinter steht letztlich die Frage, ob seelische Krankheiten von erblichen, also biologischen Faktoren bestimmt werden. Ob also biologische Defizite Grundlage späterer Verhaltensauffälligkeiten sein könnten und wenn ja, in welchem Umfang. Aktuell erforscht man beispielsweise, in welchem Umfang traumatische Erfahrungen bei schwangeren Müttern Auswirkungen auf die Aktivierung von Genen ihrer Föten haben. Da unwiderlegbar also auch psychosoziale Einflüsse als wirksam bewiesen werden können, hat man sich augenblicklich auf den Begriff der »mehrschichtigen Entstehungsweise seelischer Störungen« verständigt.

Bezüglich Zickigkeit aber lässt sich seriöserweise in biologischer Hinsicht bislang kaum etwas finden, das an diese neurohormonellen Zusammenhänge anknüpfen könnte.

»Stimmt«, sagt Georg.

Willkommen in der Gegenwart. »Mit einigen kleinen Unterschieden: Ich habe Ulrike zum Beispiel bei einem Straßenfest in einer Kleinstadt kennengelernt. Es war ein Übersetzer-Workshop, für mich der letzte Abend nach einer Woche intensiver Arbeit und Schreibtischgehocke. Und dann sah ich sie. Und hier stimmt dein Muster auch, denn Ulrike ist mir inmitten der Masse an Menschen sehr schnell aufgefallen. Sie war ungewöhnlich schön für diese kleine Stadt. Und sie hatte ein tolles Lächeln! Ich hätte im Traum nicht daran gedacht, dass sie mich wahrnehmen würde, so eine schöne Frau. Oder wenn, dann nur harmlos, ein bisschen Geflirte, wie man das manchmal kennt. Solche Frauen haben normalerweise immer einen Freund oder Mann an der Seite. Ja, es war das beeindruckendste Lachen, das ich bis dahin erlebt hatte.«

Wichtig dabei ist, Georg heute zynisch grinsen zu sehen, wenn er von diesem Lachen erzählt. Schließlich gilt unter Männern »Lachen« als Ausdruck der Seele, einer inneren Befindlichkeit, meint: als Ausdruck einer befreiten, glücklichen, zufriedenen Lebenszustimmung. Selbstverständlich gibt es auch Männer, die ihr Seelenloch mit einem strahlenden Schauspielergrinsen überdecken. Aber aufgrund dessen, dass Männer ohnehin weniger lachen, ergeben sich bei ihnen vermehrt Anknüpfungspunkte, um den aktuellen Seelenzustand zu erahnen.

Gut, das war jetzt arg idealistisch formuliert. Eingedenk der Tatsache, dass sich schon tausende Frauen in bezaubernd lachende Männer verliebt haben, die sich nach einiger Zeit in verzauberte Kröten verwandelten, sollte ich eher sagen: Wer verliebt ist, möchte gewisse Dinge auch verliebt wahrnehmen. Unabhängig vom Geschlecht. Und wer lacht, scheint glücklich.

Georg zumindest macht auf mich meistens diesen Eindruck. Er ist ein charmanter Mann, ein begehrter Übersetzer (Italienisch und Französisch), der schon einige Bestseller transferiert hat. Ich will jetzt nicht den Umstand abhandeln, dass er dafür einen lächerlich geringen Betrag erhält, wie er unter Freunden meist beklagt – wobei auch diese Tatsache noch eine entscheidende Rolle spielen wird.

Erst einmal ist es wichtig zu sehen, dass Georg unglaublich liebenswürdig ist. Er spricht fast nie schlecht über seine Mitmenschen, selbst nicht über Ulrike. Zumindest sucht er gleich den Grund, weshalb ein Mensch sich so verhält, wie er sich gibt.

Mitunter (mein Eindruck) ist Georg ein wenig zu lässig gekleidet, zu studentisch, mit Dreitagebart, mit seinen 35 Jahren. Aber er kann es tragen, das ist wichtig, er wirkt niemals abgeranzt oder vernachlässigt. Zudem benutzt er Kleidung als Statement: Ich bin kein konservativer Spießer, ich lebe. (Meine Interpretation, versteht sich.) »Ulrike war eher gepflegt gekleidet, konservativ, mit einem geknoteten Pullover über der Schulter, wie das sonst nur Golfspieler ab 50 aufwärts tragen. Aber ich fand das toll. Ich fand überhaupt alles an ihr toll, vor allem natürlich ihr unglaubliches Lachen. Ich weiß nicht mehr, worüber wir überhaupt gesprochen haben, aber sie hat mir sehr schnell zu verstehen gegeben, dass ihr Freund sie verlassen habe und sie sich rächen wolle, beziehungsweise, dass die Leute in der kleinen Stadt ruhig sehen könnten, dass sie nicht alleine sei. Und ich war richtig stolz, dass eine so schöne Frau mich dazu benutzte. Ulrike wirkte so elegant, so erfahren, so lustig. So klug. Ich erinnere mich noch daran, dass plötzlich zwei Bekannte – es waren Freunde ihres Ex – vor uns standen und Ulrike die beiden grinsend und lachend begrüßte. Und wie die beiden Ulrike ansahen. Ein Blick, zwischen Verachtung und Fassungslosigkeit. Ich aber fand das toll. Das hatte so was Verruchtes, und sogar etwas Revolutionäres. Wie in einem kitschigen Roman: Eine Frau bricht aus, verlässt ihr spießiges, konservatives Milieu, und der junge Held hat eine leidenschaftliche Affäre. Ja, ich kam mir verrucht vor. An diesem Tag, in diesen wenigen Stunden hatte ich noch keine Vorstellung von Partnerschaft, ich merkte nur, dass ich mich verliebt hatte. In diese aufregende, wunderschöne Frau.«

Berühmte Zicken (Teil 1)

Die folgende Aufzählung folgt weder chronologisch noch inhaltlich einer stringenten Logik (wie könnte sie auch, bei dem Thema). Sie ist nicht einmal vollzählig.

Jede Frau steht mehr für einen idealtypischen Zickencharakter, wobei die Pole Position für Naomi Campbell nicht unbedingt überraschend ausfällt. Schließlich ist sie seit einigen Jahren weniger durch ihre Arbeit als Model, also durch Mode-Fotos im Gespräch, als vielmehr durch ihre beinahe schon legendäre Reizbarkeit. Mal schreit sie rum, mal scheint sie sich sogar zu prügeln, steht immer wieder vor Gericht und gibt doch stets das unschuldige Opfer zum Besten. Wichtig aber für diese Zicken-Typologie: Naomi Campbell ist eine wunderschöne Frau. (Merke: Zicken sind selten hässlich. Zumindest sind sie selten unauffällig.) Und während ihrer Kernarbeitszeit funktioniert sie tatsächlich professionell. (Auch hier gilt: Eventuelle Ausnahmen von der Professionalitätsregel sind stets den äußeren Umständen geschuldet.)

Eine weitere Zickengemeinsamkeit: Ihre Außenwirkung ist enorm, oftmals global, trotzdem gebärden sich Zicken ungewöhnlich empfindlich, wenn etwas in ihrem Leben nicht funktioniert. Das schließt auch ihr Eheleben mit ein.

Welch gelungene Überleitung, um über Madonna nach zu denken ...

Es sei erneut gesagt: Platz 2 ist nicht wertend gemeint (wie könnte Madonna auch jemals hinter eine andere Dame eingestuft werden!). Aber gerade im Vergleich zu Frau Campell zeigt sich bei Louise Veronica Ciccone eine weitere Zickenbesonderheit, nämlich jene: Sich selbst zu erschaffen. Frühe Fotos der Pop-Queen zeigen eine eher gewöhnliche Blondine (nachgefärbt), die eher ungelenk (Zyniker sagten sogar: moppelig) über eine Bühne stakst (Zyniker sagten: stolpert), ein One-Hit-Wonder produziert und prognostiziert wieder verschwinden wird. Stattdessen erschafft Frau Ciccone aus den bescheidenen körperlichen Gegebenheiten den Status einer Sex-Ikone. Indem sie sich einerseits schamlos, exhibitionistisch gebärdet, gleichzeitig aber einen libertären Trend erkennt und sich ihm an den Hals wirft. (Die ewig andere Interpretation: Madonna prägt selbstverständlich erst eine Bewegung. Aktiv.) Wie auch immer: Madonna hat es nicht nur geschafft, ein Welt-Star zu werden, sondern gleichzeitig zur Leibhaftigkeit eines geheimnisvollen Chamäleons, das sich den Moden des Zeitgeistes nicht nur einfach anpasst, sondern ihn umschreibt. Spöttisch könnte man natürlich anfügen: Sie ist und bleibt eine Schlagersängerin – aber hier wird man interessanterweise auf einen heftigen Widerstand seitens ihrer zahlreichen Fans stoßen. Auch das ist bezeichnend für Zicken: Sie polarisieren.

Und immer wieder: Sie kontrollieren. Madonna – meist wird es bewundernd beschrieben – überlässt nichts dem Zufall. (An dieser Stelle blenden wir kurz aus, ob so etwas wirklich möglich ist – oder ob nicht jede Karriere letztlich ausschließlich Zufall ist. Also simples Glück ...)

Und sie wirkt selten einmal sympathisch. Wie beinahe alle Zicken. Madonna wird respektiert, bewundert, verehrt (alles Eigenschaften, die eine Zicke gerne annimmt), aber sie wirkt nicht nett oder lieb. Eigenschaften, die sie zu verabscheuen scheint!

Ihr Ex-Mann Guy Ritchie wiederum entspricht dem Typus eines zeitgemäßen Zickensklaven. Er hat sich zwar heldenhaft aus der Sache herausgezogen, aber doch deutlich an seinem Renommee gelitten.

Nach einer kurzen Begeisterungsphase (maßgeblich von Madonna initiiert) wurde er langsam zum Bremser degradiert. Ritchie war bald schon kein Held mehr. In der öffentlichen Wahrnehmung gab ausschließlich Madonna den Ton an. Seine Waffe war zwar eine feine Form der Ironie (einmal nannte er sie zynisch: »Mrs. Ritchie«), aber Ironie ist auch eine Form der Schwäche. Aus einer Verteidigungsstellung heraus. Ironie wächst meist nicht aus einer Position der Stärke. Bezeichnenderweise haben wir Madonna gleich im Anschluss an die Trennung selten ohne einen Mann an ihrer Seite gesehen (er hingegen galt lange als Single). Entweder wurde sie von jungen Fotomodellen begleitet, die im Gegensatz zu ihrem Ex-Mann kaum durch Bildung oder Intelligenz aus dem Rahmen fielen, halb so alt waren wie ihre Muse, oder es waren prominente Sportler. Auch jünger. Ein Status-Symbol sicherlich, aber auch deutlich in ihrer Aussage: Sie trotzt ihrem biologischen Alter.

Zicken wollen nämlich nicht altern.

Und, beinahe noch wichtiger: Zicken können niemals, niemals alleine sein.

Der kalte Kuss

Ein wenig Gegensätzlichkeit kann nie schaden.

Zumindest nach Georgs Liebesbeichte.

»Nein, ich war nicht verliebt. Eher verwirrt.«

Außerdem ist ein Muster nur dann von Wert, wenn es sich mit einer Reihe von Widersprüchen umgibt.

»Dein Muster ist dabei im Großen und Ganzen richtig«, sagt Stefan, »die Gegensätzlichkeit in meiner Geschichte bezieht sich vielmehr auf Georgs Story«.

Stefan nun, sollte ich anfügen, ist ein lebhafter Luftikus, wenngleich überdurchschnittlich erfolgreicher Werbegrafiker und von einer charmanten Offenheit, die seinesgleichen sucht. Man könnte ihn vermutlich nachts bei einem menschenfressenden Pygmäenstamm im brasilianischen Urwald aussetzen, und am nächsten Morgen säße er inmitten seiner neu gefundenen Gefolgschaft und plante einen gemeinsamen Ausflug in ein vegetarisches Restaurant. Erstaunlicherweise war er trotzdem schon seit Jahren ohne Freundin. Und litt darunter.

»Caroline und ich waren gemeinsam auf einer Party eingeladen«, erzählt er, »wussten aber nicht voneinander und erst recht nicht, dass wir jeweils verkuppelt werden sollten. Also nicht wir beide miteinander – unsere Kupplerin ging nämlich davon aus, dass wir nicht zusammen passen würden –, sondern mit einem Partner, der von uns abwechselnd nach wenigen Augenblicken als öde eingestuft wurde. Caroline war mir aber schnell aufgefallen, das passt in dein Muster. Sie ist eine schöne Frau, da gibt es nix zu deuteln. Die meisten Leute auf dieser Party waren Arbeitskollegen der Gastgeber, also Banker und BWLer, wie auch Caroline. Von daher stufte ich sie als etwas oberflächlich, aber modeinteressiert ein. Obwohl ich genau das Gegenteil bin, suchte ich trotzdem ihren Kontakt und redete über Sommermode, über Design und Metropole, ließ ein wenig mein feuilletonistisches Wissen über diese Dinge einfließen ... und erntete Kälte.«

Stefan ist Anfang 30 (sein genaues Alter verschweigt er in einer Form von Jugendwahn; es sei seiner Branche geschuldet) und obwohl