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Planetenroman

 

Band 1

 

Agent für Terra

 

Der beste Freund wird sein größter Feind – ein Agent der Galaktischen Abwehr kämpft um sein Leben

 

Hubert Haensel

 

 

 

Anfang des 24. Jahrhunderts nach Christus: Das Solare Imperium der Menschheit unter der Leitung des Großadministrators Perry Rhodan gehört zu den wichtigsten Sternenreichen der Milchstraße. Doch zwischen den Sternen ringen mächtige Interessengruppen um Einfluss.

Die Galaktische Abwehr schickt ihre besten Männer in den Einsatz, um die Menschheit zu schützen. Zu diesen Agenten gehört Arthur Konstantin. Er wird auf den unbedeutenden Planeten Charisma geschickt, um dort gegen interstellare Drogenhändler vorzugehen. Recht schnell merkt der junge Agent, dass er in ein gefährliches Wespennest gestochen hat ...

Prolog

 

Ein Universum voller Wunder, eine Galaxis voller Abenteuer: Als die Menschheit ins All aufbrach, erwartete sie ein Kosmos voller Gefahren und voller Hoffnungen. Begegnungen mit Außerirdischen, Kontakte zu fremden Wesen – mit Einfallsreichtum, vielen guten Ideen und wagemutigen Einsätzen gelang es Perry Rhodan und seinen Gefährten, die Erde zum Zentrum eines kleinen Sternenreiches zu machen.

Im 24. Jahrhundert ist das Solare Imperium – rings um die Erde und die Planeten des Solsystems als Zentrum – eine aufstrebende Macht. Explorer-Raumschiffe erkunden unbekannte Sektoren der Milchstraße, überall werden neue Kolonien errichtet.

Zahlreiche Menschen machen sich auf, auf fremden Welten ihr Glück zu finden. Mit ungestümer Energie drängen sie hinaus in die Galaxis, und manche ihrer Kolonien wachsen sehr schnell. Andere geraten in Vergessenheit, wieder andere müssen aufgegeben werden.

Und über alledem lauert die Gefahr großer galaktischer Konflikte – das alte Imperium der Arkoniden ist im Niedergang begriffen, die kleinen Sternenreiche belauern sich argwöhnisch. Die Galaktische Abwehr und verschiedene Geheimorganisationen haben alle Hände voll damit zu tun, der Menschheit das Überleben zu sichern ...

 

(aus: Hoschpians Chroniken des 24. Jahrhunderts n. Chr.; Kapitel 6.13., Zwischenhoch)

1.

 

Wieso gerade ich? Vergeblich zermarterte sich Arthur Konstantin den Kopf. Seit Tagen suchte der Geheimagent nach der Antwort auf eine ganz bestimmte Frage. Warum schickte man ausgerechnet ihn auf eine derart wichtige Mission, warum wählte ein Mann vom Format eines Allan D. Mercant ihn aus? Er fühlte sich zu jung, und ihm fehlte die vorgeschriebene Mindestzeit praktischer Erfahrung, und das Einzige, was ihn für den Einmanneinsatz qualifizierte, waren seine erstklassigen Abschlusszeugnisse.

Unter ihm lag der Raumhafen von Charisma; nachdenklich blickte er über die grau in der Sonne schimmernde Fläche hinweg. Mit seinen gerade mal zwanzig Landefeldern wirkte der Hafen nicht sonderlich imposant. Wie eine Hinterwäldlerwelt, dachte Konstantin. Auch das Drumherum machte keinen anziehenden Eindruck: veraltete Hafengebäude, Pisten, die wie Flickwerk aussahen, und – nur wenige hundert Meter außerhalb der Begrenzung – gigantische Abraumhalden. Die ersten Siedler hatten dieser Welt Wunden geschlagen, die nach mehreren Jahrzehnten noch nicht vernarbt waren.

Warum hatte man ihn sozusagen ins eiskalte Wasser geworfen? Konstantin stellte sich diese Frage immer wieder, und die mögliche Antwort darauf bereitete ihm Sorgen. Auch ein Perry Rhodan musste mal anfangen, redete er sich ein, und Julian Tifflor war auch jung und unerfahren, als er zum Kosmischen Lockvogel wurde.

Es blieb ihm wenig anderes übrig: Er musste zusehen, wie er sich freischwamm.

Und wenn ich es nicht schaffe? Wenn ich auf Charisma versage? Arthur Konstantin zuckte die Achseln – er war ein Agent der Galaktischen Abwehr, und er musste es einfach schaffen! Erneut widmete er sich dem Kabinenmonitor, der die letzte Phase des Landeanflugs zeigte. Zahlen und Diagramme, die am Rand des Monitors eingeblendet wurden, lieferten weitere Hinweise.

Die IKARUS stand höchstens noch hundert Meter über dem Raumhafen; kochende Luft vibrierte zwischen dem Raumschiff und der Oberfläche des Planeten. Konstantin blickte auf die Ringwälle, die ihn umgaben, sah die Gebäude an seinem Rand und die dahinter wartenden Schweber. Charisma war keine bedeutende Welt. In den Datensätzen, die Konstantin vor der Reise gelesen hatte, stand, dass gerade mal 35 Millionen Lebewesen den vierten Planeten einer Sonne vom Sol-Typ bewohnten, von denen 32 Millionen Terraner waren. Die übrigen Bewohner waren Eingeborene, Arkoniden und Angehörige anderer galaktischer Völker.

Jäh brüllten die Ringwulsttriebwerke auf, die IKARUS stieg wieder in die Höhe. Gelbgrüne Dunstschwaden aus den Abraumhalden verwandelten den Plastbelag der Landefelder in eine brodelnde, Blasen werfende Masse. Konstantin zuckte zusammen, als er den Anblick registrierte, aber auch davon hatte er gelesen.

Biochemische Vorgänge dieser und ähnlicher Art gehörten auf Charisma zur Tagesordnung. Zu spät hatten die Siedler bemerkt, dass das Fehlen eines im Tagebau gewonnenen Minerals diese Vorgänge begünstigte. Auf gewisse Weise wehrte sich also der ausgebeutete Planet gegen die ungebetenen Eindringlinge.

Charisma war mit 6423 Kilometern Äquatordurchmesser kleiner als der Mars, wies aber nahezu die gleiche Schwerkraft auf wie die Erde. Zwei Monde und ein dünner Ring leuchtender Staubteilchen erfüllten die Nächte mit intensivem Zwielicht. Die Bewohner arbeiteten vor allem in den gigantischen Bergwerken der Welt.

Konstantin vertiefte sich erneut in den Anblick Charismas; er schaute den Rauchschwaden zu, die sich über dem Raumhafen verteilten.

Und zum wiederholten Mal kehrten seine Gedanken zurück zu jenem Abend vor zwei Wochen ...

 

Allan D. Mercant war ein kleinwüchsiger, schmächtiger Mann, der unscheinbar und bieder wirkte, aber dennoch als eine der großen Persönlichkeiten des Solaren Imperiums galt. Als Halbmutant besaß er eine schwach ausgeprägte telepathische Gabe und die Fähigkeit, Ereignisse im Voraus zu ahnen.

Nie hätte Arthur Konstantin in Erwägung gezogen, der allmächtige Chef der Galaktischen Abwehr würde eines Tages vor seiner Tür stehen. Völlig überrascht stammelte er zwei oder drei zusammenhanglose Sätze.

»Warum bitten Sie mich nicht herein?« Mercant musterte ihn ohne erkennbare Regung. »Was wir zu besprechen haben, lässt sich schwerlich zwischen Tür und Angel erledigen.«

»Aber natürlich, Sir ...« Arthur Konstantin, 22 Jahre jung, kämpfte urplötzlich mit weichen Knien, trat dann aber einen Schritt zu schnell zur Seite. Er dachte an alles Mögliche, nur nicht mehr an die Bücher, die er beim Summen des Türmelders auf dem Boden abgestellt hatte.

Erst als er stolperte und mit den Armen rudernd um sein Gleichgewicht rang, entsann er sich. Aber da witterte die Überwachungselektronik bereits Gefahr und riegelte den Zugang zur Wohnung mit einem auf ihn gerichteten Fesselfeld ab.

Arthur Konstantin wurde totenblass und dann wieder puterrot.

Tätlicher Angriff auf einen Vorgesetzten. Die Rechtsprechung in solchen Fällen war eindeutig; er hatte mit einem Disziplinarverfahren und dem unehrenhaften Ausschluss aus der Galaktischen Abwehr zu rechnen.

Arthur starrte den zur Bewegungslosigkeit verurteilten Solarmarschall aus weit aufgerissenen Augen an. Das Gefühl, vor Scham im Boden versinken zu müssen, wurde unerträglich.

»Wie viel Zeit brauchen Sie, um sich von meiner Identität zu überzeugen?« Ein süffisantes Lächeln, eine Mischung aus Verärgerung und leichtem Spott, umspielte Mercants Mundwinkel.

»Alle Funktionen abschalten!«, befahl Konstantin schnell.

Die Sensorik reagierte nicht. Im Gegenteil. Es sah eher so aus, als würde der Abwehrchef zwischen zwei Glasplatten gepresst, die sich unaufhaltsam aufeinander zubewegten.

»Stopp!«, brüllte Konstantin.

Als das ebenfalls nichts nutzte, schlug er mit beiden Fäusten gegen die Wandverkleidung, hinter der sich die Fesselfeldprojektoren verbargen. Das bislang unsichtbare Feld wurde prompt von Störungen durchlaufen, die innerhalb von Sekunden den Zusammenbruch herbeiführten.

»Nicht übel«, sagte Mercant und massierte sich die platt gedrückte Nase. Seiner Stimme war keine Regung anzuhören.

»Einfacher Stand der Technik«, antwortete Arthur Konstantin geknickt. »Eigenbau. Es tut mir leid, Sir ...«

Mercant winkte großzügig ab. »Ihre Art, Energieprojektoren abzuschalten, finde ich bewundernswert.«

Arthur schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Das Ende vom Anfang seiner Karriere war in greifbare Nähe gerückt.

»Blicken Sie nicht so finster drein, mein Freund!« Mercant klopfte ihm jovial auf die Schulter. »Mit so einem Gesicht verkaufen Sie nicht eines dieser positronischen Mini-Tagebücher, die heutzutage große Mode sind.«

»Verkaufen?« Arthur Konstantin fuhr sich irritiert mit der Hand übers Gesicht.

»Auf Charisma«, bestätigte der Solarmarschall. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, nahm er im nächstbesten Sessel Platz. »Sie beziehen ab sofort das Gehalt eines Einsatzagenten. Wenn Sie erfolgreich sind, kommen Sie auf der Karriereleiter außerdem einige Stufen weit nach oben.«

»Und falls nicht?«

»Sie kennen das Risiko aller Einsatzagenten, Mister Konstantin.«

Arthur nickte schwer. Dass eines Tages der Tod sein ständiger Begleiter sein würde, hatte er schon gewusst, als er sich zum Kadettendienst gemeldet hatte. Nur war ihm nie in den Sinn gekommen, dass dies bereits innerhalb der nächsten Jahre der Fall sein könnte.

»Darf ich fragen, Sir, warum Ihre Wahl auf mich fiel?«

Mercant lächelte vielsagend. »Vielleicht, weil Sie außergewöhnliche Sicherungsanlagen bauen ...«

 

Eineinhalb Stunden lang blieb die IKARUS in einem stabilen Orbit. Als sie dann endlich landete, hing noch ein stechender Geruch in der Luft.

»Es besteht keine Gefahr«, erläuterte die Robot-Informatik im Hafenterminal. »Die austretenden Gase schädigen nur bestimmte Molekülgruppen; auf lebende Organismen haben sie keinen Einfluss.«

Gleichmütig ließ Arthur Konstantin die Zollabfertigung über sich ergehen. Seine ID-Karte einschließlich der Verkaufserlaubnis von Positronic Diary Inc. war so echt, wie sie nur echt sein konnte.

Als er dann das Hafengebäude verließ, regnete es leicht. Die Luft war feucht, sie roch auf einmal leicht nach Metall; er atmete tief durch. Dann erst fiel es ihm auf: Die Tropfen hinterließen winzige Krater im Straßenbelag. Irritiert betrachtete Arthur seine Schuhspitzen.

»Keine Bange, Mister«, sagte eine amüsiert klingende Stimme neben ihm. »Das ist alles halb so schlimm. Wenn Sie sich erst daran gewöhnt haben ...«

Aus halb zusammengekniffenen Augen musterte Arthur sein Gegenüber.

»Wollen Sie was erleben, Mister, oder suchen Sie nur ein ruhiges Hotel?«, fragte der Mann.

»Danke«, wehrte Arthur ab.

»Danke ja oder danke nein? Draußen wartet mein Pralltaxi.«

»Kein Robotgleiter?«

»In der Hinsicht sind wir auf Charisma ein wenig altmodisch. So viel Technik wie nötig, aber so wenig wie möglich, wenn Sie verstehen, was ich meine. Das gehört zum besonderen Flair unserer Welt.«

»Deshalb der Name?«

Der Taxifahrer zuckte die Achseln. »Das war vor meiner Zeit.«

»Sie kennen das Nostalgia?«

Ein Schatten huschte über das Gesicht des Mannes. »Keine gute Adresse, wenn Sie mich fragen. Eine billige Absteige.«

»Mir wurde das Haus empfohlen«, behauptete Art.

»Ich bringe Sie ins Eastside. Das liegt nur fünfhundert Meter entfernt.«

Arthur Konstantin argwöhnte zwar, dass der Mann Umsatzbeteiligung erhielt, akzeptierte aber den Vorschlag. Vielleicht war es wirklich besser, das Nostalgia aus der Distanz zu beobachten. Wayne Coover hatte dort gewohnt. Doch Wayne war tot. Ermordet. Obwohl alles wie ein Unfall ausgesehen hatte.

Vierzig Minuten später verließ Arthur Konstantin das Taxi vor dem Eastside. Er zahlte, belohnte den Fahrer mit einem angemessenen Trinkgeld und steuerte geradlinig auf das Hotelportal zu.

Das Haus war dem frühen Kolonialstil des 22. Jahrhunderts nachempfunden, als die Terraner sich bereits wieder von den architektonischen Vorbildern der Arkoniden befreiten: kühn geschwungene, freitragende Bauteile konkurrierten mit spiralförmigen Türmchen und kubistischen Elementen. Das futuristische Design von damals hatte sich wegen seiner mangelnden Funktionstüchtigkeit nie durchsetzen können und war eine ästhetische Herausforderung geblieben.

Als Arthur die Empfangshalle betrat und einen Blick zurückwarf, stand das Taxi immer noch am Straßenrand. Der Fahrer hatte sich eine Zigarette angezündet und wartete scheinbar gelangweilt auf den nächsten Fahrgast. Arthur Konstantin konnte sich dennoch des Eindrucks nicht erwehren, dass der Mann ihn beobachtete. Eine innere Stimme mahnte ihn zur Vorsicht.

Sekunden später schloss sich der Energievorhang hinter ihm, der den Straßenlärm fernhielt.

Das Eastside erlaubte sich den Luxus eines menschlichen Portiers. Der Mann, klein, zur Fettleibigkeit neigend, mit Halbglatze und trotz der Klimaanlage schweißüberströmtem Gesicht, eröffnete Arthur mit sorgenvoller Miene, dass wegen der Tagung irgendeiner obskuren Gesellschaft nahezu alle Zimmer belegt waren.

»... lediglich im achten Stock ist noch ein Doppelzimmer frei. Den Preis ...«

»Ich nehme das Zimmer«, sagte Art.

»Für welchen Zeitraum?«

»Vorerst für eine Woche.«

»Planetare Zeit?«

»Standardzeit«, antwortete Arthur und fügte entschuldigend hinzu: »Ich komme von Terra.«

Von der Rezeption aus wurde das Zimmerschloss auf seinen Handabdruck programmiert. Ein Roboter kümmerte sich um das Gepäck, und kurz darauf verließ Arthur Konstantin den Antigravlift auf der obersten Etage.

Grelles violettes Licht schlug über ihm zusammen. Es schmerzte den Augen und zwang ihn, verzweifelt zu blinzeln.

Außerdem veränderte sich die Schwerkraft. Als Agent der Galaktischen Abwehr war er darauf trainiert, ein Mehrfaches seines Körpergewichts zu ertragen. Jeder andere menschliche Gast wäre vermutlich schon nach wenigen Schritten erschöpft zusammengebrochen. Er schätzte, dass auf dem achten Stock mindestens die zweieinhalbfache Erdschwerkraft lastete.

»He!«, rief er dem Roboter hinterher, der mit dem Gepäck vorüberschwebte. »Ist das Service-Center defekt? Ich bin kein Umweltangepasster.«

Er erhielt keine Antwort. Erst als die Zimmertür vor ihm aufglitt, erklang eine Lautsprecherstimme. »Die Umweltoptionen werden angepasst!«, verkündete sie. »Die Hotelleitung bittet um ein wenig Geduld.«

Drei Wesen, kaum größer als 1,40 Meter, aber in den Schultern fast ebenso breit, kamen den Flur entlang. Ihre tief in den Höhlen liegenden Augen wurden von dicken Knochenwülsten geschützt. Es war unschwer zu erkennen, dass Schwerkraft und Lichtintensität auf ihre Bedürfnisse abgestimmt waren. Sie taxierten Arthur mit abschätzenden Blicken, die er nicht ganz so unverhohlen neugierig erwiderte, bevor die Tür hinter ihm zuglitt.

Er verzichtete darauf, seine Koffer auszupacken. Solange er nicht wusste, was mit Wayne geschehen war, bestand die Möglichkeit, dass er das Hotel Hals über Kopf wieder verlassen musste.

Ein großes Panoramafenster bildete die Stirnseite des Raumes. Arthur konnte einen Teil der Straße überblicken und sah sogar das Nostalgia. Der Taxifahrer hatte nicht übertrieben: Es war eines der schäbigsten Gebäude im Umkreis.

 

Aus der Nähe wirkte das Nostalgia gänzlich deplatziert. Es bestand nicht aus den üblichen Fertigteilen, sondern war gemauert worden. Inzwischen bröckelte der Putz großflächig von der Fassade ab, die Fenster waren halb blind, und auf dem schmalen Streifen Grünland, der das Haus umgab, wurden Disteln und anderes Unkraut kultiviert. Verglichen mit den sauberen Fassaden und den gepflegten Vorgärten der übrigen Häuser war das Hotel ein Fossil aus der Gründerzeit.

Arthur Konstantin fragte sich, was einen Agenten der Galaktischen Abwehr bewogen haben mochte, hier abzusteigen. Oder hatte Wayne Coover an einem konkreten Fall gearbeitet?

Er wusste es nicht. Was er von Allan D. Mercant erfahren hatte, war in der Hinsicht sehr dürftig. Eigentlich viel zu wenig. Arthur fragte sich zum wiederholten Male, ob sein Chef ihm aus unbekannten Gründen Wesentliches verschwiegen hatte.

Er blickte an der Fassade hoch und dachte nach. Zwei Männer rempelten ihn von hinten an.

»Schon gut, schon gut«, maulte der eine und grinste dreckig, als Arthur Abwehrhaltung einnahm. »Dir ist nichts passiert, oder?«

Arthur musterte ihn abschätzend. Der Mann bedeutete keine Gefahr. Der andere ebenfalls nicht. Beide standen ziemlich unsicher auf den Beinen, und Alkoholdunst umwehte sie. Sie steuerten in Schlangenlinien auf das Nostalgia zu. Konstantin folgte ihnen in einigem Abstand.

Auch von innen war das Hotel dem allmählichen Verfall preisgegeben. Ein Robotportier, verbeult, kantig, mit nur matt schimmernden Sehzellen und rostig klingender Stimme, fragte nach seinen Wünschen. Als Arthur nicht sofort reagierte, wiederholte die Maschine die Frage mit stereotyper Monotonie.

»Ein Zimmer!«, sagte Art.

»Kein Gepäck?«

»Nein.«

»Dann nur stundenweise?«

Konstantin schüttelte den Kopf. »Für eine Nacht, vielleicht auch für zwei.«

Das Schnarren aus der Sprechmembran klang beinahe wie ein menschliches Seufzen. »Bevorzugen Sie eine bestimmte Illusion?«

»Ich verstehe nicht ganz.«

»Das Nostalgia bietet seinen Gästen perfekte Erholung vom Alltag«, schnarrte der Robotportier. »Ein Spezialhologramm verwandelt Ihre Unterkunft in jede gewünschte Landschaft ...«

»Egal«, sagte Art. »Aber«, er stockte, schien zu überlegen, »ein Bekannter war vor einigen Wochen hier. Geben Sie mir das Zimmer, das er hatte. Wayne Coover ist sein Name.«

Roboter hatten keine Mimik. Zumindest nicht Roboter des Typs, dem Konstantin gegenüberstand, die Blechgesellen ohne Bioplastüberzug.

»Mir ist ein Gast dieses Namens unbekannt«, schnarrte er.

»Wayne hat hier mehrere Tage gewohnt.«

»Ich bedauere.«

»Schon gut.« Arthur winkte großzügig ab. »Dann eben irgendein Zimmer.«

Alles an dem Hotel war alt, angefangen bei der Schlüsselkarte, die schon vor Jahrhunderten durch bessere Techniken ersetzt worden war, bis hin zu dem noch mechanisch funktionierenden Lift. Das schummerige Halbweltmilieu wurde endgültig offenbar, als Konstantin auf der sechsten Etage den Lift verließ und von zwei Schönheiten in die Zange genommen wurde. Die eine hatte giftgrünes, hoch toupiertes Haar und trug außer einem durchsichtigen Schlauchkleid nichts auf der Haut, die andere hatte irgendwann einem obskuren Schönheitschirurgen viel Geld gezahlt: Das Implantat der dritten Brust war zumindest auf Anhieb nicht als künstlich zu erkennen.

»Toll, was?«, sagte sie mit rauchiger Stimme. »So was hast du bestimmt noch nicht gesehen. Und erst recht nicht angefasst.«

»Wayne hat schon davon gesprochen«, antwortete Arthur freundlich und schaffte es, den Blick von der biologischen Absonderlichkeit zu lösen. »Wayne Coover, du erinnerst dich bestimmt an ihn.«

Er musste von allen guten Geistern verlassen sein, derart mit der Tür ins Haus zu fallen. Aber Arthur hatte das unbestimmte Gefühl, dass er nur so eine Antwort auf seine Fragen erhalten konnte.

War da ein flüchtiges Aufblitzen in den Augen der Frau? Ihr Lächeln wirkte plötzlich nur noch aufgesetzt.

»Ich kenne viele Männer«, murmelte sie. »Wenn dein Freund begeistert war, schick ihn ruhig mal wieder vorbei.«

»Er ist tot.«

Die Dame zuckte die Achseln. »Sterben müssen wir alle«, sagte sie.

»Wohl kaum an einer Überdosis Liquitiv.«

Diesmal hatten sich beide Frauen unter Kontrolle. Sie wirkten nicht erschrocken, sondern eher verärgert. Ihre Offenherzigkeit schlug jäh ins Gegenteil um.

»Mit verbotenen Drogen haben wir nichts zu tun«, behauptete die in dem durchsichtigen Kleid. »Außerdem sind wir nicht von der Seelsorge. Wenn du nur quatschen willst, bist du bei uns falsch dran.«

Liquitiv, ein zunächst als Zellregenerierungsmittel angesehener Likör, war um das Jahr 2090 als Wundermittel angepriesen worden. Später hatte sich herausgestellt, dass die Konsumenten nach einigen Jahren erschreckend schnell alterten. Die Droge war von den Antis mithilfe der Aras, der sogenannten Galaktischen Mediziner, entwickelt und vertrieben worden, um das Solare Imperium von innen zu zerstören. Inzwischen gab es längst ein Heilmittel, aber Liquitiv war deshalb noch keineswegs von der Bildfläche verbannt.

Die Frauen hatten es plötzlich eilig, den Lift zu betreten.

Sekundenlang starrte Konstantin die geschlossene Tür an. Allan D. Mercant hatte ihm als Todesursache des Agenten nur einen Unfall im Liquitiv-Rausch genannt. Über alles andere hatte er sich ausgeschwiegen. Es sei besser, wenn Arthur selbst die Fäden aufnahm, war sein einziger Kommentar dazu gewesen.

So schmuddelig und verfallen das Hotel wirkte, so perfekt war die holografische Illusion, die Arthur Konstantin das Gefühl gab, eine Lichtung mitten im Dschungel zu betreten. Der Gegensatz konnte kaum größer sein.

Riesige Blüten in allen Regenbogenfarben bedeckten den Boden, in den Wipfeln der weit ausladenden Baumriesen rauschte der Wind, und aus dem dichten Geäst erklangen Vogelstimmen. Arthur vermisste lediglich den Duft der Blüten und das schwere Aroma des feuchten, dampfenden Erdreichs. Stattdessen roch er erkalteten Zigarettenrauch und ein aufdringliches Parfüm, das von seinen Vorgängern stammen musste.

Konstantin schritt den Raum ab. Vier mal drei Meter, kein Fenster, ein schmaler Schrank, aber ein breites, ovales Bett und eine immerhin einigermaßen komfortable Nasszelle. Das alles war weniger für einen längeren Aufenthalt gedacht als für ein paar sinnliche Stunden.

Die einzige Sitzgelegenheit war das Bett. Arthur streckte sich schließlich darauf aus, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte zur Decke empor, die über dem rauschenden Blätterdach verborgen war.

Die Illusion war in der Tat perfekt.

Eine Schlange wand sich durchs Geäst. Arthur hatte sie kaum entdeckt, als sie sich auch schon fallen ließ; dann schob sie sich mit langsamen Bewegungen übers Bett auf ihn zu. Sie entblößte zwei nadelspitze Giftzähne.

Die Gefahr war fast körperlich spürbar.

Als Arthur sich abrupt auf den Ellenbogen hochstemmte, richtete die Schlange sich ebenfalls auf. Angriffslustig züngelnd pendelte ihr kantiger Schädel hin und her.

Nur Sekundenbruchteile später stieß sie zu.

Arthur Konstantins zur Faust geballte Rechte traf den schuppigen Leib des Reptils unmittelbar unterhalb des Kopfes und hätte einen tödlichen Biss auf jeden Fall verhindert. Doch die Schlange war ebenso Illusion wie der Dschungel, die Vogelstimmen und das Rauschen des Windes.

Er griff jäh ins Leere, und der eigene Schwung ließ Konstantin taumeln. Wo eben noch das vermeintliche Reptil gelegen hatte, flimmerte nun die Luft. Eine prachtvolle Orchideenblüte entstand, umschwärmt von schillernden Faltern.

Verwirrt über seine eigene Schreckhaftigkeit, schüttelte Arthur den Kopf. Bei den Tests, denen sich alle Kadetten unterziehen mussten, hatte er als einer der Besten abgeschnitten. Analytisches Denken, Reaktionsschnelligkeit und Körperbeherrschung waren Grundvoraussetzungen für die Zulassung. Offenbar liegen zwischen den Tests und Einsatzbedingungen doch Welten, dachte er selbstkritisch.

Abermals vernahm er ein leises Rascheln. Die Schlange war wieder da. Diesmal kroch sie über den Boden und ringelte sich am Bettpfosten empor.

Erneut spürte Arthur jenes undefinierbare Gefühl einer nahen Gefahr.

Zielstrebig näherte sich die Schlange. Ihr Gewicht drückte die Bettdecke leicht ein.

Gewicht?

Arthur Konstantin warf sich zur Seite, doch im selben Moment schnellte die Schlange vor. Ihre Giftzähne bohrten sich in die Kissen, wo er eben noch gesessen hatte, aber da packte er auch schon zu, umklammerte den schuppigen Leib mit der Rechten ungefähr in der Mitte und wirbelte ihn hoch.

Ein dumpfes Klatschen folgte, als er den Schädel der Schlange gegen die Bettkante schmetterte. Aber der Schlag schien dem Tier nicht viel auszumachen, denn der Schwanz ringelte sich um Arthurs Arm und zog sich wie ein Schraubstock zusammen. Noch einmal schlug er zu, danach brachte er die Kraft nicht mehr auf. Lediglich ein Giftzahn splitterte und gab einen Schwall farbloser Flüssigkeit frei.

Dreißig Zentimeter Schädel und Vorderleib des Reptils bäumten sich in seiner Hand auf. Erstaunt sah Art, dass sich ein feiner Draht aus dem Maul löste.

Das Biest ist ein Roboter!, dachte er in Panik.

In letzter Konsequenz bedeutete dies, dass Arthur Konstantin schon auf der Abschussliste des unbekannten Gegners stand. Und das, obwohl er sich erst seit wenigen Stunden auf Charisma aufhielt. Waren seine Fragen schuld daran, oder war er schon erwartet worden?

Die Gedanken rasten durch seinen Kopf, während er mit dem Roboter kämpfte.

Irgendwie schaffte Arthur das Kunststück, die Schlange weiterhin am Zubeißen zu hindern und zugleich mit der Linken den Kombistrahler aus dem Schulterholster unter der linken Achsel zu ziehen. Die Waffe war auf Paralyse eingestellt. Sie neu zu justieren, blieb ihm keine Zeit, denn der Roboter drohte seinen Arm zu zerquetschen.

Wieder und wieder ließ er das Griffstück auf den Vipernschädel herabsausen, bis die künstliche Schuppenhaut in Fetzen von dem dünnen Metallskelett abplatzte und erste positronische Bauteile aus den Schädelöffnungen hervorquollen. Mit einer weit ausholenden Bewegung schleuderte Arthur das Robotreptil in die Ecke.

Auf einmal war er überzeugt davon, dass es sich bei der Flüssigkeit in den Giftzähnen um Liquitiv handelte. Jemand wollte ihn auf ähnliche Art und Weise töten wie Wayne.

Und jederzeit konnten weitere Giftschlangen angreifen. Es war nahezu unmöglich für ihn, stets zwischen Hologramm und wirklichem Roboter zu unterscheiden. Darauf, dass ihm erneut ein Zufall zu Hilfe kam, durfte Arthur nicht vertrauen.

Aber hatte er nicht schon erreicht, was er wollte? Die Gegenseite war auf ihn aufmerksam geworden. Er verließ das Zimmer, blieb kurz stehen und atmete tief durch, als hinter ihm die Tür zuglitt. Der Flur war leer, nur aus einem der Nebenräume erklangen laute Stimmen im Streitgespräch.

Arthur betrat den Aufzug und berührte den Sensorknopf für den ersten Stock. Vermutlich war es besser, wenn er nicht bis ins Erdgeschoss fuhr.

Ruckartig setzte sich der Lift in Bewegung. Ein altmodisches Modell, wie er feststellte, klassische Architektur, uralte Technik, die aber normalerweise ohne Probleme funktionierte. Solche Fahrzüge hatte man schon vor dreihundert Jahren auf der Erde eingesetzt, und auf Charisma hatte man sie übernommen.

Arthur beobachtete die Leuchtanzeige über der Tür, die sich nur zögernd und scheinbar widerwillig veränderte. Unvermittelt hielt die Kabine.

Arthur Konstantin wich bis an die Rückwand zurück. Seine Hand schloss sich um das Griffstück des Kombistrahlers.

Aber nur ein grauhaariger, schmuddelig wirkender Hotelgast stieg zu. Er streifte Konstantin mit einem flüchtigen Blick, murmelte einen kaum verständlichen Gruß und wandte ihm dann den Rücken zu.

Augenblicke später kam die Aufzugkabine mit einem harten Ruck zwischen dem dritten und zweiten Stockwerk zum Stehen. Ein gefährliches Knirschen wie von überbeanspruchtem Material erklang.