Paul Grote

Der Champagner-Fonds

Kriminalroman

 

 

 

 

Originalausgabe 2010
© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

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eBook ISBN 978 - 3 - 423 - 40302 - 3 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978 - 3 - 423 - 21237 - 3

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Inhaltsübersicht

Prolog

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Dank

 

Die spritzige Gischt dieses Weines ist das glänzende Ebenbild von uns Franzosen.

 

Voltaire

 

Glaube denen nicht, die den Reichtum zu verachten scheinen. Denn nur die verachten ihn, die an ihm verzweifeln, und sie sind die Übelsten, wenn sie darankommen.

 

Francis Bacon

 

Dieser Roman ist den Franzosen aus dem Lager Oflag IV D gewidmet.

Prolog

Michael Müller wurde zuletzt am 23. März gesehen. Der Siebenundzwanzigjährige verließ nach Feierabend zusammen mit einigen Kollegen das Hauptgebäude der Kölner Druckerei Schwenke und Cie., ging zum Parkplatz, setzte sich in seinen Wagen und fuhr nach Hause. Zumindest meinten die Kollegen, die ihn an jenem Spätnachmittag gesehen hatten, dass er es vorgehabt habe. Von einer Verabredung für den Abend sei nicht die Rede gewesen. Müller hätte es ihnen auch schwerlich mitgeteilt, er galt als nicht besonders mitteilsam. Am nächsten Tag wunderte man sich, dass er nicht zur Arbeit erschien; es entsprach nicht seiner Art, dem Dienst ohne Entschuldigung fernzubleiben. Der Reprofotograf, für sein Alter bereits ein Spezialist auf seinem Gebiet, besonders der Reproduktion von Gemälden, genoss gerade wegen seiner Zuverlässigkeit die Wertschätzung seiner Vorgesetzten und der Geschäftsleitung.

Als er bis zur Mittagspause nicht erschien und sich auch nicht telefonisch meldete, rief die Sekretärin von Dr. Schwenke bei ihm an. Müller wohnte allein, zumindest war nichts Gegenteiliges bekannt. Deshalb wunderte man sich auch nicht, dass niemand ans Telefon ging. Bei Anrufen auf dem Mobiltelefon meldete sich eine stereotype Ansage: »Die von Ihnen gewählte Rufnummer ist zurzeit ...«

Am dritten Tag nach Müllers unerklärlichem Verschwinden wurde die Polizei eingeschaltet. Sie ermittelte Müllers Eltern, die ebenfalls in Köln lebten und keinerlei Kenntnis von seinem Aufenthaltsort hatten. Die aufgeschreckten Eltern gaben selbstverständlich ihre Einwilligung, die Wohnung des Sohns aufzubrechen, zumal man seinen Alfa Romeo nicht weit von ihr entfernt gefunden hatte. Der Wagen war unversehrt, ein Schlüssel fand sich nicht. Immerhin konnte damit ein Autounfall ausgeschlossen werden. Mysteriös war der extrem hohe Kilometerstand des Wagens für einen Fahrer, der normalerweise nur zwischen der Wohnung und dem Arbeitsplatz pendelte.

In der Wohnung selbst fanden sich keinerlei Anzeichen, die Müllers Verschwinden hätten erklären oder einen Hinweis auf seinen momentanen Aufenthaltsort geben können. Erstaunlich jedoch war die Menge antiquarischer Kunstbände, historischer Karten und wertvoller Reproduktionen alter Meister. Hinzu kam eine Sammlung wertvoller Jahrgangschampagner und Grands Cru, die man gar nicht mit Michael Müllers sonstiger Persönlichkeit in Zusammenhang bringen konnte. Er habe sie von Freunden geschenkt bekommen, erklärte seine Freundin, die der Ansicht war, dass einige Möbel minimal verrückt worden waren, und das Gefühl hatte, dass ein Fremder in der Wohnung gewesen sei.

Die Suche nach Michael Müller blieb erfolglos ... er war einer mehr in der Liste von 5.332 Personen, die in Deutschland nach Angaben des Bundeskriminalamtes als vermisst gelten.

1

»Sie machen auf jeden Fall weiter! Sie werden uns nicht in Ruhe lassen, bevor sie uns nicht den letzten Cent aus den Taschen geschüttelt haben. Tag und Nacht denken sie darüber nach, wie sie das bewerkstelligen können, mit immer neuen Produkten, die lediglich aus heißer Luft bestehen. Sie arbeiten auch an den Wochenenden, Thomas. Solche Leute haben sowieso keine Familie, höchstens physisch, und keine Freunde. Dafür sind sie vernetzt und wahrscheinlich auch im Schlaf ›online‹. Die tragen ihren Mikrochip bereits unter der Haut.« Philipp Achenbach hatte sich in Rage geredet.

»Denkst du wirklich so, oder meinst du das ironisch?« Thomas war entsetzt. Er fand, dass sein Vater bei diesem Thema in letzter Zeit häufig übertrieb, und er hatte den Verdacht, dass mehr als nur die Bankenkrise dahintersteckte. »Sind alle Banker so?«

Das »Ja« seines Vaters kam voller Überzeugung. »Je weiter oben in der Hierarchie, desto skrupelloser sind sie. Man muss so sein, so kalt, so fern dem Leben und unmenschlich, sonst kann man diesen Beruf nicht ausüben.«

»Wen kennst du, der so ist?«

»Einige – das bringt meine Arbeit mit sich. Gerade wenn es um die besonders teuren Weine geht oder um die großen Champagner. Da kostet die Pulle schon mal an die Tausend Euro. Investmentberater suchen ununterbrochen nach neuen Geschäftsfeldern, und wenn sie Junk Bonds kaufen, Swaps und Futures, wenn sie dir Wetten auf den Preisanstieg bei Schweinehälften am Schlachthof in Chicago verkaufen oder Schulden anbieten, faule Kredite, die sie zu Paketen bündeln und als Sondermüll auch noch beleihen, stecken im Grunde genommen kriminelle Energie und Spielsucht dahinter.«

»Das ist doch Wahnsinn, oder?«, wandte Thomas ein. »Das hat doch Folgen, auch für sie.« Er empfand sich dem Redeschwall seines Vaters hilflos ausgeliefert.

»Folgen, mein Junge? Für sie nicht, aber für uns, und das ist ihnen gleichgültig, mein Junge. Ihre Schäfchen, ihre Millionen, die sind im Trockenen, längst in reale Werte umgewandelt, in Schiffe und Hochhäuser, in Fabriken und Kupfergruben in Chile, Coltan ist es im Kongo, denn kein Berater glaubt selbst an den Unsinn, den er von sich gibt.«

»Aber es heißt, dass sich was ändert, die Regierungen ...«

»Eine derartige Bankrotterklärung hat noch keine politische Führung bisher hingelegt. Glaubst du allen Ernstes, dass sich was ändert? Das machen sie euch an der Uni doch wohl nicht weis?« Philipp Achenbach erwartete keine Antwort. Er sah seinen Sohn an und konnte sich das Grinsen nicht verbeißen. Er wusste, was jetzt in Thomas vorging.

Der konnte schlecht damit umgehen, weder mit diesem Grinsen, noch damit, dass die Worte seines Vaters etwas anderes auszudrücken schienen als seine Mimik. Er sagte etwas, schien aber etwas ganz anderes zu meinen. Obwohl Thomas bereits seit sechzehn Jahren bei ihm lebte, bis auf die wenigen Wochenenden oder Ferien, die er bei seiner Mutter verbrachte, ließ er sich davon immer noch verwirren. Er hatte das Gefühl, dass es seinem Vater darum ging, seine Gesprächspartner wenn nicht zu täuschen, so doch sie über seine wahre Meinung zumindest im Unklaren zu lassen. Das sollte er gefälligst in seiner Firma machen bei seinen Geschäftspartnern, bei den Winzern, die er besuchte, aber bitte nicht bei ihm.

Philipp wusste, dass Thomas sich darüber ärgerte. Er konnte es nicht abstellen, es war Teil seiner Natur. Er lächelte, wenn es ernst wurde, und konnte bei angeregter Unterhaltung sehr düster wirken. Jetzt setzte er lächelnd seine Kanonade fort, sodass es Thomas schwerfiel, seine Erbitterung ernst zu nehmen.

»Wenn einem die sogenannten Berater irgendwelche wertlosen Papiere verkaufen, bei denen kein Mensch versteht, wie da achtzehn Prozent Rendite nach einem Jahr rauskommen sollen – sollte man nicht davon ausgehen, dass es sich um gezielten Betrug handelt?«

Thomas war versucht, auf die Frage zu antworten, aber er wusste, sie war nicht ernst gemeint. Es kostete ihn Mühe, sich über seine Gefühle hinwegzusetzen.

Philipp Achenbachs Zorn steigerte sich. »Eine Flasche Wein ist dagegen was ganz Reelles. Die lässt sich austrinken, man löscht den Durst und wird betrunken, da hat man was davon. Aber jemanden mit Turbo-Optionsscheinen oder Dax-Mini-Futures besoffen reden, mit angeblichen Produkten, die nicht einmal die Erfinder von dem Schwindel verstehen, wie die Finanzterroristen in New York und London, das ist die Kunst. Dann ist plötzlich das gesamte Geld weg. Wer hat es? Es löst sich doch nicht einfach auf. Wo das geblieben ist, wissen nur Eingeweihte. Oder es bedeutet, dass es vorher auch nicht da war, dass es eine reine Fiktion ist, so wie ein Gott, der nur in der Vorstellung existiert. In dem Augenblick, wo die Leute es sich auszahlen lassen wollen, bricht das System zusammen. Das ist der Beweis.«

Thomas war an einem ernsthaften Gespräch gelegen, und er holte Luft: »Was ist mit den Maßnahmen, die in letzter Zeit ergriffen wurden, um die Finanzmärkte zu kontrollieren, Steuerschlupflöcher zu stopfen, die Steueroasen auszutrocknen?«

»Alles Augenwischerei von Seiten der Politik. Steueroasen sind kein Problem, die bringen niemanden in Gefahr, und Steuerhinterziehung betreibt jeder ...«

»Du auch?«

Philipp stöhnte, er setzte die Brille ab, legte sie auf den Terrassentisch und rieb sich die Augen, dann die Hände und holte tief Luft. »Ich? Geldwerte Vorteile, Reisekostenabrechnungen, das gesamte Bewirtungswesen, Werbungskosten, und über die jahrelange Kindergeldschieberei zwischen deiner Mutter und mir will ich besser schweigen ...«

»Dann sag nichts, lass Mutter aus dem Spiel.«

»Ist auch nicht so wichtig. Es liegt am System. Finanzkrisen werden von Menschen gemacht. Da haben sich Teile der Wirtschaft von der Gesellschaft abgekoppelt, die asozialen Teile ...«

»... aber unsere Dozenten ...«

»Die Burschen kenne ich von meinem Studium her«, schnitt Philipp ihm das Wort ab. »Bei uns in Marburg waren sie auch nicht anders als hier in Köln. Sie wären nicht länger Dozenten, wenn sie den Unsinn nicht weitergeben würden.«

Philipp beugte sich vornüber und massierte seine Waden. Die Beine taten ihm weh, sie waren mehrere Stunden in der Eifel gewandert. Es war nicht leicht, mit Thomas mitzuhalten, denn der hatte einen sehr schnellen und ausgreifenden Schritt. Dabei war er nur einen halben Kopf größer, aber er brachte zwanzig Kilo weniger auf die Waage und hatte die Kondition eines Zweiundzwanzigjährigen.

Erst seit er Betriebswirtschaft studierte, begleitete er Philipp auf seinen Wanderungen. Als er noch zur Schule gegangen war, hatte Thomas es als spießig empfunden und sich vor seinen Freunden geschämt, mit seinem Vater über die Höhen der Eifel zu wandern, vielleicht in Gesellschaft von rüstigen Rentnern mit ledernen Kniebundhosen, atmungsaktiven Mikrofaseranoraks und Energiedrinks im Rucksack. Es war ihm auch unangenehm gewesen, dass man ihn sofort als Philipps Sohn erkannte, denn beide sahen sich ähnlich, beide hatten die hohe Stirn, dieselbe Haarfarbe, ihre Augen waren grau und schmal, und um den Mund zeigte sich eine Skepsis, meist von einem dezenten Lächeln gemildert.

»Was lernt ihr in den Vorlesungen? Was erzählen die Betriebswirte in den Seminaren?« Sie hätten den ganzen Tag über Zeit gehabt, darüber zu reden, aber beim Wandern stand keinem von beiden der Sinn nach derartigen Debatten. Die wurden erst geführt, wenn sie auf dem Heimweg essen gingen oder Philipp sich zu Hause an die Zubereitung des Abendessens machte.

»Wir analysieren ziemlich ausführlich, wie die Manager erfolgreicher Unternehmen vorgehen. Die Dozenten legen uns Fälle zur Analyse vor, und natürlich orientieren wir uns an erfolgreichen Unternehmen. Ich habe auch einen Kurs für Ethik belegt und einen für Risikomanagement. Aber bei uns, in der gesamten Betriebswirtschaft, geht es um Gewinn, um Profit, um Verdrängung der Konkurrenz, um Marktmacht und Wachstum. Das solltest du eigentlich wissen. Das ist in eurem Weinimport nicht anders.«

»Richtig, mein Junge. Genau das ist ja mein Problem.« Philipp richtete sich auf und stöhnte. Er war erschöpft, aber mit dem Tag zufrieden. »Du kannst davon ausgehen, dass der Keim für die nächste Krise bereits in dieser drinsteckt.«

»Eines verstehe ich nicht«, sagte Thomas.

»Nur eines? Das ist ja toll. Ich verstehe vieles nicht mehr.«

»Red mir nicht immer dazwischen«, meinte Thomas ärgerlich. »Was ich meine – was machen die mit dem vielen Geld? Wenn sie ihrer Freundin fünfzig rote Rosen kaufen würden ...«

»Die fünfzig sind für die Ehefrau, wenn sie merkt, dass die Freundin fünfundzwanzig bekommen hat ...«

Verwirrt sah Thomas ihn an.

»Weil sie höchstens fünfundzwanzig ist, die Geliebte. Mit der Ehefrau ist das lange vorbei.«

Thomas stöhnte. »Sehr witzig, Papa.« Philipp wusste, dass er diese Anrede nur gebrauchte, wenn er seinem Sohn auf den Wecker ging. »Scheinst dich ja auszukennen. Soll ich für dich mal eine Kommilitonin einladen? Ich denke da an Marion: groß, schlank, blond, lange Haare, durchtrainiert, so ein Fit-for-fun-Typ, aber dumm wie Brot. Aber die macht todsicher Karriere. Also, wieder von vorn: Wenn sie für ihr Geld einen tollen Bildband über die Camargue und ihre Pferde kaufen würden oder eine Kiste Champagner und dann Freunde einladen würden ...«

»Dafür braucht man keine Millionen oder Milliarden.«

»Wofür dann?«

»Um die Angst zu besiegen. Haben statt Sein. Besitz statt Charakter, weil der Bezug zum Leben verloren ging. Außerdem ist Geld der einzige Stoff, an dem man sich nicht überfressen kann! Von zu viel Alkohol wird man blöde und bekommt einen Leberschaden, von Schokolade wird man so fett wie von Fastfood – aber nicht vom Geld. Und man muss es nicht lagern, so wie Dagobert Duck, um darin zu baden. Es sind nur Zahlen auf dem Bildschirm oder dem Kontoauszug. Ernst wird es erst, wenn die Leute ihr Geld von den Banken zurückhaben wollen oder wenn tatsächliche Werte verloren gehen.«

»Du machst auch Geschäfte, kaufst Wein und verkaufst ihn teurer.«

»Immerhin stehen eine Leistung und ein konkreter Wert dahinter. Außerdem spekulieren wir nicht damit, wir kalkulieren unsere Kosten und rechnen sie – und den Gewinn – dem Einkaufspreis hinzu.« Philipp hielt inne, sah seinen Sohn an und sagte dann in einem nachdenklichen, eher nach innen gerichteten Ton: »Allerdings glaube ich manchmal, dass es Klaus Langer am liebsten hätte, wenn wir die einzige Firma in Deutschland wären, die französische Weine importiert, und wenn alle Weinhändler nur bei ihm kaufen würden.«

»Und warum?«

»Wenn Langer neuerdings wir sagt, meint er eigentlich sich selbst. Weil er die Preise diktieren möchte und wir unseren Kunden sagen würden, was ihre Kunden wiederum zu trinken haben.«

Thomas horchte auf. »Solche Töne habe ich von dir noch nie gehört. Habt ihr Krach? Bislang warst du mit dem Laden zufrieden. Wie lange arbeitest du jetzt für Langer?«

»Zehn Jahre.« Philipp stöhnte. »Ja, bislang war ich zufrieden, das stimmt. Langer hat sich verändert. Du merkst es kaum, aber er benimmt sich merkwürdig. Bei keiner Sache hält er sich lange auf, er interessiert sich kaum noch für den Wein. Bei den Verkostungen ist er fahrig, hört nicht zu, und wenn man ihn dann fragt, dann weiß er doch Bescheid. Aber er redet, als ginge es ihn nichts an. Es ist ein Gefühl, ziemlich vage, aber es beunruhigt mich.«

Philipp stand auf, reckte sich und rückte die Kissen auf dem Gartenstuhl zurecht. »Langer geht es anscheinend nur noch ums Geld, um die Finanzen der Firma, um Kosten, um die Umschlagsgeschwindigkeit, das heißt, wie lange eine Flasche im Lager liegt, bevor sie verkauft wird, und was uns das kostet. Für die Belange der Mitarbeiter, unserer Lieferanten, für die Winzer, für die Komposition der Weine und die Kunden hat er kaum noch ein Ohr. Dabei hat er alles aufgebaut. Es gibt nichts in der Firma, das er nicht wüsste.«

»Du kennst ihn ziemlich gut, nicht wahr?«

»Früher, und das war noch bis zum vorletzten Jahr so, sind wir zusammen verreist.« Philipp starrte nachdenklich vor sich hin. »Wir waren in Bordeaux auf der VinExpo, danach haben wir auf dem Heimweg gemeinsam Lieferanten besucht, wir haben zusammen die Weinberge besichtigt, haben uns stundenlange Fassproben gegönnt. Jetzt redet er von Wein und meint Geld. Es scheint, als hätte er seinen Geschmack verloren. Bei den Verkostungen liegt er mit seinen Bewertungen häufig daneben. Dabei war sein Urteil immer genau. Ich habe viel von ihm gelernt.«

»Wieso ist das anders geworden?« Auch Thomas kannte Klaus Langer seit vielen Jahren, und er kannte seine Firma France-Import recht gut. Er hatte viele Weine ihres Sortiments probiert, denn was im Katalog angeboten wurde, tranken sie zu Hause. Sein Vater hatte ihm die Kollegen vorgestellt, die waren mehr oder weniger sympathisch, und er hatte als Schüler und auch noch in den letzten Semesterferien im Lager und im Büro gejobbt. »Ihr siezt euch noch immer?«, fragte Thomas und blinzelte, denn die Sonne stand bereits tief und warf ihren blendenden Schein zwischen zwei hohen Bäumen direkt auf die Terrasse.

Philipp nahm die leere Karaffe in die Hand. »Die Distanz zum Inhaber muss bleiben. Was sich geändert hat?« Er zuckte mit den Achseln. »Irgendwer liegt ihm in den Ohren. Irgendwer, den ich nicht kenne, dreht am Rad. Es ist gar nicht mal so, dass es neue Anweisungen gäbe oder dass Kollegen zusammengestaucht würden. Nein, es ist auch keiner entlassen worden, was mich wundert. Es ist bloß ein Gefühl, ein komisches, und ich gebe was darauf ... ach, hol du uns was zu trinken. Wir sollten uns den Rest vom Sonntag nicht mit solchen Gesprächen verderben. Trinkst du ein Gläschen Champagner mit?«

»Bevor du mich schlägst ...«

»Das würde ich in dem Fall glatt tun.«

»Wo ist die Flasche?«

»Du weißt doch gar nicht, welchen Champagner ich meine. Er stammt von einem neuen Produzenten. Ich muss mal wieder entscheiden, ob wir ihn ins Programm nehmen. Es ist ein Millésime 2004, Brut, eine Cuvée von ...«

»Ein Jahrgangschampagner? Hast du mal überlegt, was dich das kosten würde, wenn du alles bezahlen müsstest?«

»Quatsch nicht rum, es ist nicht dein Geld, und geh in die Küche, du wolltest den Schampus holen, also. Er steht ...«

»Ich weiß«, sagte Thomas, »den Weg zum Kühlschrank finde ich blind.«

»Du solltest langsam wissen, dass Champagner nicht in den Kühlschrank gehört. Wo bist du eigentlich aufgewachsen?«

»Bei einem manischen Weintrinker, einem durchgeknallten Koch und dem ewigen Gärtner.«

»Wie hältst du das aus? Was sagt dein Therapeut dazu?« Philipp machte ihr Geplänkel Spaß. Es verringerte die Entfernung zwischen ihm und seinem Sohn, sie trieben dieses Spiel seit Jahren, was dazu geführt hatte, dass es kaum Geheimnisse zwischen beiden gab. Und Philipp hatte sich nie bemüht, sein Leben vor Thomas zu verstecken.

»Und – wo ist das Zeug nun?«

»Im Keller, da, wo es hingehört. Und gekühlt wird es im Sektkühler mit Wasser und Eis, eine Serviette über den Flaschenhals gelegt ...«

»Ich habe nicht vor, Sommelier zu werden«, sagte Thomas und trat ins Haus, »höchstens Winzer.«

Die letzten beiden Worte hatte Philipp zwar gehört, aber sie waren nicht bei ihm angekommen, schon gar nicht ihre Bedeutung. Der Millésime 2004 war von einem klaren Sonnengelb mit einem leichten Stich ins Grünliche. Oder schimmerte das Tischtuch durch? Um die Farbe genau zu beurteilen, hielt Philipp das Glas normalerweise vor ein weißes Blatt Papier. Aber heute wollte er trinken und nicht beurteilen, obwohl ihm das zur zweiten Natur geworden war. Unweigerlich lief bei ihm ein inneres Programm ab: sehen, riechen, schmecken, bewerten und sich fragen, ob dieser Champagner von Marc Brugnon aus Écueil ins France-Import-Angebot passte.

Der Firmengründer war längst nicht mehr am Ruder, die Söhne, Alain und Philippe hatten den Betrieb übernommen. Die Weitergabe der Kellerei an die Kinder erfüllte Philipp immer mit einer gewissen Befriedigung, und er rechnete es den jungen Nachfolgern hoch an, dass sie nicht an die Global Player wie Moët & Chandon oder Veuve Clicquot verkauften und die Welt noch unpersönlicher machten. Bei Brugnons achtzehn Hektar wäre das ein fantastisches Geschäft gewesen, denn ein Hektar Weinland in der Champagne kostete inzwischen bis zu 1,2 Millionen Euro, je nachdem, ob es eine normale Lage war oder ob sie als Grand Cru oder Premier Cru eingestuft war. Hätten sie verkauft, hätten sie und ihre Familien in ihrem Leben nie wieder arbeiten müssen. Aber was hätten sie stattdessen tun sollen? Also machten sie Champagner, fürchteten die späten Fröste des Frühjahrs und quälten sich durch die Unsicherheiten des Sommers. Sie probierten, bis die richtige Cuvée zustande kam, und suchten Kunden zwischen Argentinien und Zypern.

Ein Hauch von Pampelmuse kam Philipp aus dem Glas entgegen, grüner Apfel und etwas Hefe. Es waren Aromen eines Champagners, der zu drei Vierteln aus Chardonnay gekeltert war. Die Rebsorten Pinot noir und Pinot meunier bildeten die restlichen 25 Prozent der Cuvée. Andere Rebsorten durfte der Champagner sowieso nicht enthalten. Philipp erinnerte sich nicht daran, wie der Jahrgang 2002 gewesen war, sicher anders als der von 2003, einer der heißesten Sommer in der Geschichte der Champagne – wenn nicht in ganz Europa. Den vergaß kein Winzer. Es war vielleicht ein Vorgeschmack dessen, was im Verlauf des Klimawandels auf sie zukommen würde. Und dann trug dieser Champagner eine mineralische Note. Woher sie kam, lag Philipp geradezu bildlich auf der Zunge ...

»Kalk, oder vielmehr Kreide, nicht wahr?«, fragte Thomas, obwohl er es wusste, und äffte dabei das Gesicht seines Vaters nach. »Der Duft erinnert mich an Schule.«

»Stimmt, es ist Kreide. Champagnertrauben wachsen direkt auf massiver Kreide, da liegt vielleicht ein halber Meter Humus oder Verwitterungsboden drüber, aber sonst ist es Kreide, entweder fest oder als Granulat. Wir sollten mal zusammen hinfahren.«

»Da lag ich ziemlich richtig. Vielleicht sollte ich deinen Job machen, wenn du dich pensionieren lässt.«

»Und was machst du in den fünfzehn Jahren, bis es so weit ist?«

»Nach dem Examen spiele ich Investmentberater und mache Geld. Das tun einige Kommilitonen bereits heute. Du glaubst es nicht, aber die zocken sogar zwischen den Vorlesungen mit dem bisschen Kohle, das sie haben, die geben irgendwelche Kauf- oder Verkaufsaufträge, zum Teil mitten in der Vorlesung per Handy, voll bekloppt, dann hasten sie vor die Tür, damit niemand mithört, und ihre Clique rätselt, ob sie jetzt den absoluten Geheimtipp gekriegt haben. Wenn die Kurse für Rüstungsaktien um fünf Prozent steigen oder die von irgendeinem Chemiemulti, dann blasen die sich auf wie die Ochsenfrösche. Ein Wunder, dass sie am nächsten Tag wieder in der Uni erscheinen. Die halten sich heute schon für klüger als unsere Profs.«

Es entstand eine Pause, in der Philipp sich an sein BWL-Studium an der Philipps-Universität erinnerte, Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger. Ob er, Philipp, der Besitzer der Uni sei, damit hatten sie ihn aufgezogen, es war der Running Gag seines Studiums gewesen. Sein Examen war in den Beginn der Ära Kohl gefallen, und damit hatte das begonnen, was ihm wie ein Abstieg in Dummheit und Gleichgültigkeit vorgekommen war. Davor hatten andere Zeiten geherrscht, andere Menschen waren unterwegs gewesen, wenn er sich an die Debatten in ihrer Marburger Zeit erinnerte. Und auf dem Flohmarkt vom Steinweg waren tatsächlich noch Flöhe angeboten worden. Auch damals hatte es die Streber gegeben, die neben dem Studium im Steuerbüro gearbeitet hatten, nicht weil sie es nötig gehabt hatten, nein. Die Karriere war ihnen bereits in die Wiege gelegt worden, und Papa hatte geholfen, Mama dagegen hatte Kunstgeschichte studiert ...

»Tempora mutantur«, murmelte Philipp, »die Zeiten werden geändert, sie ändern sich nicht.« Er hätte mit Thomas keinesfalls tauschen mögen, nicht heute jung sein, nicht auf einen Bachelor oder Master in überfüllten Hörsälen studieren wollen, schmalspurig und unter ständigem Druck, und das ohne Aussichten auf den gut bezahlten Arbeitsplatz. Aber seine Zustimmung wollte Philipp nicht so offen zeigen und schaute wieder ins Glas und beobachtete das Aufsteigen der Kohlensäure. Es gab kein anderes Getränk, bei dem es so kurzweilig war, ihm zuzusehen. Dann kam beim Probieren die Sensation der feinen Perlung im Mund, das Phänomen der Schaumbildung, l’effervescence, wie es auf Französisch so schön hieß. Dieser Champagner hier, der von Brugnon, war eher männlich als weiblich, kräftig und herb, auch ausreichend lange gelagert, denn die Säure war milder geworden, und der Geschmack blieb lange im Mund.

»Bleibst du zum Essen?«

Wie immer spielte Thomas mit der Agraffe, dem Drahtverschluss, der den Korken in der Flasche hielt. Es waren vier kurze, kunstvoll ineinander verdrehte Drahtenden, jedes knapp zwanzig Zentimeter lang.

»Was gibt’s heute? Wieder Gemüse oder einen Risotto? Wieder kein Fleisch? Eigentlich wollte ich noch weg.« Er betrachtete die kleine Kappe aus Weißblech, die verhinderte, dass der Draht in den Korken schnitt. »Die sind alle anders gestaltet, auf diesem Deckelchen sind drei Männer im Weinberg, sieht aus wie ein Foto aus den Zwanzigerjahren. Was man nicht alles tut, um sich von anderen zu unterscheiden.« Er gab Philipp die Kappe.

Als dieser nachschenken wollte, hielt Thomas die Hand übers Glas. »Mehr als eins ist nicht drin. Die Kohlensäure treibt einem den Alkohol immer so schnell ins Gehirn, und ich will noch los.«

»Was ist angesagt?«, fragte Philipp

»Die Ärzte treten im Palladium auf.«

»Hast du dich etwa in Köln eingelebt? Den Akzent kriegst du bereits ganz gut hin.«

»Allerdings, ganz im Gegensatz zu dir.« Thomas wusste, dass es seinem Vater nicht gefiel. »Alte Männer können sich angeblich nicht mehr umstellen, total unflexibel, meint Susanne.«

»Fährt die auch mit?«

»Ja, und kann ich deinen Wagen haben? Bei meinem ziehen die Bremsen ungleichmäßig, und Alex, der ihn sonst immer repariert, ist krank.«

»Also wirst du nicht mit mir essen?«

»Du kochst doch auch für dich allein.« Thomas sah auf die Uhr. »Oh, Schei ... ich muss los, bin viel zu spät. Lass es dir schmecken.«

Zehn Minuten später hörte Philipp das Tor der Garage zufallen und kurz darauf den Wagen anfahren. Dann herrschte Ruhe im Viertel, mehr als Philipp heute lieb war.

Totenstille war für Lövenich am frühen Sonntagabend eher der richtige Begriff. Weder lärmten Rasenmäher, noch klappten die Autotüren, der Sonntagsbesuch war längst wieder abgefahren, Vater sah die Sportschau, Mutter stand in der Küche, und die Kinder saßen vor dem Killerspiel. Es war so still, dass der Wind das Rauschen von der nahen B 1 herübertrug.

Gleich nachdem sie nach Köln gezogen waren, hatte Philipp das große Einfamilienhaus gekauft. Er hatte sich für diese Gegend entschieden, da es nicht besonders weit zum Industriegebiet Marsdorf war, wo er bei France-Import als Einkäufer arbeitete. Einer der Gründe für den Hauskauf war der große Garten gewesen, und mit der S-Bahn waren es nur zwei Stationen bis zum Dom. Den Wagen nutzte er nur für Geschäftsreisen, Fahrten ins Theater oder für Ausflüge wie heute. Ins Geschäft fuhr er mit dem Rad. Er mochte die Stille des Viertels, aber nach einem Tag wie heute, besonders wenn Thomas abends fortging, beschlich ihn ein Gefühl von Einsamkeit. An einem stillen Abend wie diesem fragte er sich ernsthaft, ob er noch mal einer Frau begegnen würde, mit der er gern zusammenleben würde. Allein sie zu treffen war fraglich, denn sein soziales Leben fand im Ausland statt, wenn er Frankreichs Weinbaugebiete nach neuen Winzern und guten Weinen abgraste. Im italienischen Veneto gab es eine Gutsbesitzerin, bei der er hin und wieder einige Tage blieb. Mit einer Schweizer Önologin hatte er ein ähnliches Verhältnis und traf sich mit ihr bei internationalen Ereignissen. Wenn sie zur Weinmesse nach Düsseldorf kam, blieb sie danach sogar einige Tage hier. Er hatte nicht den Eindruck, dass Thomas darunter gelitten hatte, dass er ihn allein erzog, es hatte zu seiner Selbstständigkeit beigetragen. Er hatte ihn mehrmals gefragt, ob er nicht lieber bei seiner Mutter und ihrem heutigen Ehemann leben würde, aber das hatte Thomas heftig abgelehnt und ihm vorgeworfen, ihn loswerden zu wollen. So hatte es sich eingebürgert, dass sie die Wochenenden miteinander verbrachten, zumindest tagsüber, aber Philipp wäre es nie in den Sinn gekommen, Thomas zu bitten, seinetwegen zu Hause zu bleiben.

Soll ich im »Le Moissonnier« anrufen, ob sie noch einen Platz für mich haben?, fragte sich Philipp und verwarf den Gedanken sofort. Er kam sich allein am Tisch im Restaurant lächerlich vor, wie jemand, der niemanden hat oder kennt, der mit ihm essen geht. Von seinen Kölner Bekannten – Freunde wäre zu viel gesagt – wollte er niemanden sehen. Er wollte weder über Golf-Handicaps noch über Fußball oder gar über Politik reden, und die richtigen Freunde, die alten, die aus Marburg, lebten über das ganze Land verstreut.

Allerdings musste er sich eingestehen, dass der Hauptgrund, nicht im »Le Moissonnier« anzurufen, der war, dass er Klaus Langer hätte treffen können. Und dann würde er sich zu ihm und seiner langweiligen Frau und womöglich zu den Freunden aus dem Karnevalsverein an den Tisch setzen müssen.

Der Kölsche Klüngel war ihm ein Graus. Er hatte zu ihm ein ähnlich gespanntes Verhältnis wie der Schriftsteller Thomas Bernhard, den er ungemein schätzte, zu Österreich. Seit Jahren redete Langer auf ihn ein, endlich seine Mitgliedschaft in seinem Verein, Blaue oder Rote Funken, zu beantragen, Bürgen gäbe es genug. Langer sei, zumindest hatte er es mehrfach wiederholt, auch von den Freunden angesprochen worden, wieso seine »Weinnase«, wie sie Philipp nannten, nicht bei ihnen Mitglied werde. Er wäre eine Bereicherung des Vereins. Das konnte er sich nicht vorstellen. Nein, es reichte, wenn er den Chef wochentags traf, und die Narrenkappe trug man im normalen Leben oft genug. Dann kam hinzu, dass Langer kürzlich eine Bemerkung vom Stapel gelassen hatte, er zahle ihm wohl ein zu hohes Gehalt, wenn er sich das »Le Moissonnier« leisten könne. Es war natürlich ironisch gemeint gewesen, aber steckte in jedem dummen Spruch nicht ein Körnchen Wahrheit?

Die Champagnerflasche ragte schräg aus dem Sektkühler und zeigte auf ihn, als wollte sie sagen, dass für ihn ein zweites Glas durchaus in Betracht kam. Philipp schenkte nach, trank, erst jetzt hatte der Champagner die richtige Temperatur, er spürte dem Geschmack nach und betrachtete seinen Garten. Er war groß, und wenn es nach ihm ginge, hätte er doppelt so groß sein können, er hätte Ausmaße haben können wie ein Park. Seinen Nachbarn missfiel es offensichtlich, dass er im vorletzten Frühjahr begonnen hatte, die Zierpflanzen gegen Nutzpflanzen auszutauschen, die Büsche auszureißen und Johannis- und Stachelbeersträucher zu pflanzen, und wo ehemals Rasen wuchs, zogen sich jetzt Hochbeete mit Salat, Zwiebeln, Knoblauch und Küchenkräutern am Zaun entlang. Es war beileibe kein Vorzeigegarten, mehr ein gepflegter Wildwuchs, ein recht ordentliches Chaos mit einigen Zierpflanzen und Büschen.

Sie halten mich gewiss für einen Eigenbrötler, sagte sich Philipp, und das bin ich wohl, ein komischer Kauz, oder vielleicht halten sie mich auch für schwul, gerade hier in Köln, denn wenn schon mal eine Frau im Hause auftauchte, war sie sehr jung, zu jung – die Freundin von Thomas.

Philipp erinnerte sich, dass Langer für morgen die neue Sekretärin angekündigt hatte: eine Helena Schilling. Man munkelte, dass sie die geschiedene Frau eines Geschäftsfreundes sei, die nach der Scheidung zum ersten Mal im Leben für den eigenen Lebensunterhalt selbst aufkommen müsse, nach einem Luxusleben ohne Arbeitszwang. Derartige Gerüchte waren kein guter Auftakt, besonders bei einer so wichtigen Position wie der Chefsekretärin. Ihre Vorgängerin, Frau Maheinicke, hatte einen Bordelaiser Winzer kennengelernt, der bei Saint-Estèphe ein Weingut betrieb und France-Import seit vielen Jahren belieferte. Die beiden hatten seit Jahren miteinander telefoniert, korrespondiert, Rechnungen und Frachtdokumente hin- und hergeschickt, man war immer freundlich und höflich gewesen. Dann war der Mann eines Tages hier aufgetaucht, und es hatte geknallt, so laut, dass alle Kollegen es sofort mitbekommen hatten. Jetzt lebte sie bei Saint-Estèphe, ihr lang gehegter Traum war in Erfüllung gegangen, und sie füllte seine statt Langers Lieferscheine aus. Sie war sehr fähig gewesen, äußerst zuverlässig und stets guter Laune. Philipp empfand ihren Weggang als herben Verlust. Und als Nachfolgerin die verwöhnte Ehefrau eines Geschäftsfreundes, sozusagen ein nobler Sozialfall, möglicherweise sogar einer aus dem Klüngel?

Das wird heiter werden, sagte er sich, fühlte sich ein wenig verloren, nahm den Sektkühler und das Glas und trug beides in die Küche. Er würde sich einen Pilzrisotto machen – oder doch lieber Tagliatelle mit Meeresfrüchten? Letztere tauten schnell auf, und er dachte wieder an die Neue morgen. Er würde sich in Acht nehmen. So wie Langer sich gegenwärtig gebärdete, war wenig Gutes zu erwarten ...