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© 2015 Peter Knauer SJ

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7392-6095-2

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

Dieses theologische Lehrbuch soll über den christlichen Glauben Rechenschaft geben. Es handelt sich um einen „Grundkurs“ im Sinn des Vorschlags von KARL RAHNER, Schriften zur Theologie VI, Einsiedeln-Zürich-Köln 1965, 149ff. Gegenüber Rahners eigenem Grundkurs (Freiburg-Basel-Wien 1976) soll die Worthaftigkeit der Offenbarung stärker zur Geltung gebracht werden. Gemeinschaft mit Gott kann man nicht an der Welt ablesen, sondern muss sie gesagt bekommen und kann sie nur im Glauben als wahr erkennen. In vielfacher Hinsicht bin ich für diesen Ansatz dem Werk des evangelischen Theologen Gerhard Ebeling (1912-2001) verpflichtet, dessen Weise, den christlichen Glauben zu verantworten, Gegenstand meiner Doktorarbeit1 war.

Als theologischer Grundkurs hat das Buch den Charakter einer „Grammatik“ für die Sprache des Glaubens. Es weist von sich weg auf die Fülle der Glaubensüberlieferung selbst, die mit gegenwärtiger Erfahrung in Beziehung gesetzt werden will. Dazu ist es notwendig, in der Gemeinschaft der Glaubenden mit der Heiligen Schrift vertraut zu werden.

Den Mainstream gerade katholischer Theologie scheint die Auffassung zu bestimmen, aus der Allmacht Gottes ergebe sich, dass er sich selbstverständlich offenbaren könne und man nur noch feststellen müsse, dass er sich erwartungsgemäß auch tatsächlich offenbart habe. Im Gegensatz dazu begründet die vorliegende Fundamentaltheologie, dass es von vornherein nicht sinnvoll möglich ist, Gott zu Argumenten zu „verwenden“. Es ist vor allem keineswegs von vornherein selbstverständlich, dass man Gott überhaupt zuschreiben kann, dass er „spreche“. Erst der Inhalt der christlichen Botschaft selbst macht sowohl die Bedeutung des Wortes „Gott“ wie ihren eigenen Anspruch, „Wort Gottes“ zu sein, wie auch das Wesen des auf dieses Wort gerichteten „Glaubens“ als das Erfülltsein vom Heiligen Geist verständlich. Die sogenannten „Glaubensgeheimnisse“ sind, weit davon entfernt, unverständlich zu sein, selber die Verstehensbedingung für die christliche Botschaft. Das ist der hermeneutische Ansatz dieser Fundamentaltheologie, der es ermöglicht, die christliche Botschaft anders als nur wie im verschlossen bleibenden Briefumschlag weiterzugeben.

Der christliche Glaube lässt sich nicht in das mitgebrachte menschliche Vorverständnis einordnen, sondern geht seinerseits auf dieses Vorverständnis kritisch und umwandelnd ein (vgl. Mt 9,16–17). Erst in einer relationalen Ontologie wird man im Denken den Aussagen der christlichen Botschaft gerecht.

Mit Hilfe der Kategorien relationaler Ontologie kann dieses Buch dann ausgehend von der katholischen Lehre auch zwischen den verschiedenen theologischen Sprachen und Konfessionen dolmetschen lehren und so der Verständigung zwischen katholischer und reformatorischer, insbesondere lutherischer Theologie dienen. Die vermeintlichen Glaubensdifferenzen, die sich innerhalb eines substanzmetaphysischen Vorverständnisses nicht klären ließen, scheinen in einer relationalen Ontologie zu entfallen oder sich auf bloße Sprachdifferenzen zurückführen zu lassen. Das wichtigste ökumenische Prinzip findet sich in Lk 6,41f (Balken und Splitter): Es ist nur erforderlich, die Missverständlichkeit der jeweils eigenen Aussagen kritisch zu erkennen und zu überwinden.

Auch die Anliegen der Ostkirchen werden aufgenommen durch die Rückführung des Glaubens auf seine trinitarisch-inkarnatorisch-pneumatologische Struktur, die Erläuterung des „filioque“ und durch die Hinweise zur Communio in der „Übereinstimmung aller Glaubenden im Glauben“ sowie zum päpstlichen Primat.

In einem fachtheologischen Lehrbuch ist es notwendig, auch in die manchmal komplizierte und nicht immer sehr geeignete Begrifflichkeit vergangener Zeiten einzuführen und ihren richtigen Sinn zu erläutern. Zwischen den Zeiten dolmetschen zu lernen, könnte Einübung in eine dem christlichen Glauben gemäße Gesprächskultur sein und so überhaupt der Verständigung unter den Menschen dienen.

Eine Reihe von graphischen Darstellungen mag vor allem helfen, die Kategorien relationaler Ontologie zu veranschaulichen.

Nach den einzelnen Kapiteln stehen Verständnisfragen zur Selbstkontrolle. Kann man das Gelesene mit eigenen Worten zutreffend wiedergeben? Auch die zusammenfassenden Thesen am Schluss des Buches sollen eine kritische Auseinandersetzung mit der dargestellten Sicht erleichtern. Ebenfalls der kritischen Auseinandersetzung dienen in den Fußnoten manche Zitate von Rückfragen oder Einwänden aus bisherigen Rezensionen und Stellungnahmen, die vielleicht – machmal auch im Kontrast – in dankenswerter Weise zu Klärungen beigetragen haben. Der Autor wünscht sich genaue Leser. Aber ich halte mir selbst vor Augen: Vielleicht besteht einer der am meisten verbreiteten Fehler in der Theologie darin, anderen Leuten Auffassungen zuzuschreiben, die sie nicht haben.

Die erste Auflage dieses Buches war nach mehreren nur vervielfältigten Vorlesungsskripten 1978 im Verlag Styria (Graz-Wien-Köln) erschienen. Dort wären damals die Kosten für den erforderlichen Neusatz der überarbeiteten zweiten Auflage sehr hoch gewesen; das Buch wäre für Studenten fast unerschwinglich geworden. Ich hatte mir deshalb die Verlagsrechte zurückgeben lassen. Die zweite (1981) bis fünfte Auflage (1986) wurden vom Computermanuskript im Foto-Offset-Verfahren bei Schadel (Bamberg) gedruckt. Ab der dritten Auflage wurde das Buch auch von Schadel als Verlag übernommen. Die Neubearbeitung für die sechste Auflage erschien 1991 bei Herder (Freiburg-Basel-Wien). Die vorliegende weitere Neubearbeitung, für die ich wie für alle Auflagen seit der zweiten das Layout selbst gemacht habe, veröffentliche ich aus Preisgründen bei Books on Demand (Norderstedt); es war mir dadurch auch möglich, länger zu „basteln“. Bei Books on Demand hatte ich bereits 2002 „Handlungsnetze – Über das Grundprinzip der Ethik“ veröffentlicht (ISBN 3-8311-0513-8).

In dieser Neubearbeitung wird in einigen Fußnoten (S. 32,2; 37,2; 41,2; 51,1; 98,3; 103,1; 177,2; 283,2) auf wichtige inhaltliche Korrekturen, die sich aber gerade aus dem Grundansatz selbst ergeben, eigens hingewiesen. Der vorliegende Druck stellt bereits release 7.1 dar, gegenüber einigen Erstexemplaren noch geringfügig verbessert (vor allem S. 49 und 157).

Der theologische Ansatz dieses Buches liegt in einfacherer Form auch vor in meinem Buch „Unseren Glauben verstehen“, Echter, Würzburg 1986, 82014. Eine umfassende PowerPoint-Präsentation ist zu finden unter: peter-knauer.de/glaube118.ppt (da ich diese Präsentation immer wieder überarbeite, kann sich die in dieser Adresse angegebene Zahl mit der Zeit erhöhen). Eine „Kurze Einführung in den christlichen Glauben“ (22 S.) findet sich unter: peter-knauer.de/22.html.

Besonderer Dank gilt allen, welche die Entstehung dieser Fundamentaltheologie seit 1969 bis 2003 in Vorlesungen und Seminaren an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main mit kritischem Interesse und mancher Ermutigung begleitet haben. Auch den Teilnehmern an Glaubensseminaren außerhalb der Hochschule bis heute ist für Rückfragen und Bestätigung sehr zu danken. Für Anregungen und Korrekturhilfe bei dieser Ausgabe danke ich Birgitta Braun, Robert Deinhammer, Gerhard Gäde und Jens Sommer.

Für seine Verbreitung wird dieses Buch weiterhin vor allem auf die Empfehlung derer angewiesen sein, die es als hilfreich für ihr eigenes Glaubensverständnis erfahren haben.

Brüssel, 12. 09. 2015

Peter Knauer SJ


1 PETER KNAUER, Verantwortung des Glaubens – Ein Gespräch mit Gerhard Ebeling aus katholischer Sicht, Frankfurt am Main 1969 (auch: peter-knauer.de/Verantwortung-des-Glaubens.pdf).

EINLEITUNG:

BEGRIFF, METHODE UND AUFBAU EINER ÖKUMENISCHEN FUNDAMENTALTHEOLOGIE

1. ZUM BEGRIFF

Glauben im Sinn der christlichen Botschaft bedeutet: zu Jesus Christus gehören und von seinem Heiligen Geist erfüllt sein (vgl. Hebr 3,14 und 6,4), d. h. sich so in Gottes Liebe geborgen wissen, dass man nicht mehr aus der Angst um sich selbst leben muss. Dieser Glaube will an jedermann weitergegeben werden (vgl. Mt 28,19; Apg 4,20; Röm 10,10). Deshalb gehört zum Glauben die Bereitschaft, über ihn Rechenschaft zu geben (vgl. 1 Petr 3,15). Wenn es aber überhaupt möglich ist, den christlichen Glauben zu verantworten, dann muss dies daraufhin auch in wissenschaftlicher Weise geschehen können.

Unter Theologie ist das Bemühen zu verstehen, den christlichen Glauben wissenschaftlich zu verantworten. In methodisch geordneter Weise soll der Glaube im Zusammenhang mit dem gesamten Wirklichkeitsbewusstsein bedacht werden. Die Aufgabe der Theologie ist historisch und systematisch. Sie muss feststellen, was die historisch begegnende christliche Botschaft wirklich sagt, und sie muss fragen, wie diese Botschaft sich im Sinn des Glaubens konsistent verstehen lässt. Historisch geht es darum, was die christliche Botschaft behauptet; systematisch geht es um die Wahrheit dieser Behauptung.

Zur Wissenschaftlichkeit der Theologie gehört vor allem, dass sie sich den Anfragen und Einwänden anderer Wissenschaften auf deren eigenem Feld stellt. Deshalb muss Theologie auch auf die Fachsprachen anderer Wissenschaften eingehen können. Sie wird aber selbst umso wissenschaftlicher sein, je mehr es ihr gelingt, ihre eigenen Aussagen nicht nur fachsprachlich, sondern auch allgemeinverständlich und in schlichter Alltagssprache zu formulieren; sie müssen nur jede noch so kritische Prüfung aushalten können. Gerade um der gegenwärtigen Verantwortung des Glaubens willen gehört es ferner zur theologischen Bildung, die Begrifflichkeit früherer Glaubensverantwortung zu kennen und übersetzen zu können. Ziel wissenschaftlicher Verantwortung des Glaubens ist es letztlich, einer klareren heutigen Verkündigung zu dienen. Den einzelnen Gläubigen soll dabei nicht von den Theologen die eigene Verantwortung des Glaubens abgenommen werden, wohl aber sollen ihnen Umwege und Missverständnisse möglichst von vornherein erspart werden.

Fundamentaltheologie fragt nach dem Fundament des christlichen Glaubens. Worum geht es beim Glauben im Grunde? Wie verhalten sich Glaubensinhalt und Glaubensakt zueinander, d. h. was macht es für das Verständnis des Glaubensinhaltes aus, dass er als wahr nur in einer vom Heiligen Geist getragenen Erkenntnis erfasst werden kann? Welcher Art ist die Gewissheit des Glaubens, und worauf gründet er sie? Was setzt der Glaube als seinen Anknüpfungspunkt im Menschen voraus? Welche Voraussetzungen des Glaubens sind nur innerhalb des Glaubens selbst zugänglich, und welche können auch abgesehen von der Glaubenszustimmung erkannt werden? Welche vermeintlichen Selbstverständlichkeiten

erschweren das Verständnis des Glaubens, und mit welchen Argumenten ist ihnen zu begegnen? Worin bestehen weiter die Auswirkungen des Glaubens auf das menschliche Verhalten? Und wie kann schließlich der Glaube nicht nur gegenüber bereits Glaubenden, sondern vor jedem Menschen verantwortet werden? Wie ist also Glaube von Aberglauben zu unterscheiden? Woran ist umgekehrt zu erkennen, dass etwas keinen Glauben verdient, ja im christlichen Verständnis gar nicht geglaubt werden kann? Die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Vernunft stellt nicht erst eine neuzeitliche Errungenschaft dar, sondern ist von Anfang an mit dem Wesen des Glaubens selbst mitgegeben, wenn er allgemein verkündbar sein soll.

In einem weiteren Reflexionsgang fragt Fundamentaltheologie auch nach der Theologie im Ganzen und nach dem Verhältnis ihrer einzelnen Fächer zueinander, deren Haupteinteilung die in historische und systematische ist. Worin besteht die Einheit der Theologie, und welcher Art ist ihre Wissenschaftlichkeit?

Die Christenheit erscheint im Verständnis des Glaubens gespalten. Diese Tatsache steht einer allgemeinverständlichen Verantwortung des Glaubens hindernd entgegen. Es ist deshalb notwendig, auch diesen Verstehensdifferenzen auf den Grund zu gehen. Es soll aber nicht an die Stelle der verschiedenen Sprachen desselben Glaubens eine einzige Sprache treten. Vielmehr ist nur zu zeigen, wie die verschiedenen Sprachen des Glaubens ineinander zu übersetzen sind. Für eine Verständigung zwischen den Christen kann man sich allerdings nicht auf einen neutralen Standpunkt jenseits der Verschiedenheiten stellen. Die jeweilige Glaubensgemeinschaft gehört selbst zu dem Glauben, der zu verantworten ist.

Schließlich ist auch das Verhältnis des christlichen Glaubens zu anderen Religionen und Weltanschauungen zu bedenken.

Im Folgenden soll eine Ökumenische Fundamentaltheologie2 aus katholischer Sicht vorgelegt werden. Nach dem offiziellen Verständnis der katholischen Kirche besteht zwischen allen, die an Jesus Christus glauben, eine „wahre Verbindung im Heiligen Geist“3. Damit wird eine bereits bestehende Einheit aller Glaubenden ausgesagt, die durch die Verständigungsbemühung nicht überboten werden kann, sondern nur ausdrücklich nachzuvollziehen ist. Deshalb wird eine katholische Fundamentaltheologie bereit sein müssen, von anderen Theologien zu lernen.4 Sie wird wesentlich ökumenisch sein und der Verständigung mit den anderen christlichen Kirchen zu dienen suchen.

In der Tat hat das aus dem Griechischen stammende Wort „katholisch [καϑολικός = καϑ̉ ὅλην τὴν γῆν = über die ganze Erde hin]“ dem Wortsinn nach dieselbe Bedeutung wie „ökumenisch (= den bewohnten [οἰκουμένη] Erdkreis betreffend)“. Es bedeutet „das Ganze betreffend“, „allumfassend“, „allgemein“. Deshalb ist das Wort „katholisch“ nicht nur als faktische Selbstbezeichnung unserer Kirche, sondern als Normbegriff für sie zu verstehen: Der Anspruch einer Kirche auf „Katholizität“ ist durch eine allgemeinverständliche und allgemeinverbindliche, also alle angehende Verkündigung einzulösen. Es muss deutlich werden, dass der Anspruch der christlichen Botschaft sich nicht auf eine bestimmte Kultur einschränken lässt, sosehr er für jede einzelne Kultur als auch sie betreffend aussagbar sein muss. Welche Bedeutung kommt dem christlichen Glauben für das Menschsein des Menschen und damit für jeden Menschen zu?

Das verbreitete und herrschende substanzmetaphysische Vorverständnis kennt Relation nur als der Substanz nachgeordnet. Damit stellt es ein bisher noch kaum erkanntes großes Hindernis für die ökumenische Verständigung dar. Man könnte dieses Vorverständnis damit vergleichen, dass jemand von einem zweifarbigen Bild nur eine Schwarz-Weiß-Wiedergabe kennt, anhand deren er über die ursprünglichen Farben zu streiten beginnt. Die Schwarz-Weiß-Wiedergabe kann zwar Helligkeitsunterschiede zeigen, aber Farben können aus ihr grundsätzlich nicht erkannt werden. Ähnlich ungeeignet ist das philosophische Begriffsmaterial der Substanzmetaphysik für die Reflexion über den christlichen Glauben. Aus der Schwarzweißwiedergabe eines Bildes auf dieser Buchseite kann man auf keine Weise erraten, welche zwei Farben das Original hat, welches auf der folgenden Buchseite wiedergegeben wird. Man kann von einem farbigen Original leicht eine Schwarz-Weiß-Kopie erstellen und verstehen, wie sie entsteht; aber man kann nicht umgekehrt eine Schwarzweiß-Kopie wieder in ein dem Original entsprechendes farbiges Bild verwandeln, solange man das Original nicht kennt.

Das relational-ontologische Vorverständnis dagegen lässt sich damit vergleichen, dass man zum farbigen Original Zugang hat und sich gar nicht mehr über die Farben zu streiten braucht. Sie sind unmittelbar deutlich. Entsprechend werden die meisten ökumenischen Streitpunkte gegenstandslos.

2. ZUM AUFBAU

Natürlich setzt jedes Nachdenken über die christliche Botschaft voraus, dass man ihr erst einmal begegnet sein muss. Man kann sie nicht selber entwerfen. (Zu dem hier folgenden farbigen Bild5 siehe die vorangehende Buchseite.)

Will man die christliche Botschaft jemandem erläutern, der ihr nie zuvor wirklich begegnet ist, dann empfiehlt sich diese Reihenfolge: Zuerst muss man sagen, worum es in dieser Botschaft geht; es ist also ihr Inhalt zu erläutern. Von hier aus lässt sich dann über ihre Begegnungsweise und damit ihre Weitergabe mehr im Einzelnen reflektieren, und schließlich ist über ihre Annahme im Glauben nachzudenken. Dies ist auch der Aufbau dieser Fundamentalheologie. Doch handelt es sich in diesen drei Hauptteilen der Untersuchung nicht um drei voneinander trennbare, wohl aber voneinander unterscheidbare Sachverhalte. Bereits der Inhalt der christlichen Botschaft erläutert, worin ihre Weitergabe zur Annahme im Glauben besteht: Die Weitergabe des Glaubens ist die Mitteilung des Heiligen Geistes, und die glaubende Annahme der Botschaft ist das Erfülltsein vom Heiligen Geist. Dies gilt wenigstens dann, wenn der Glaubensbegriff in seinem erfülltesten Sinn als die auf dem Wort Gottes gründende Hingabe an Gott verstanden wird.

So geht es bereits im ersten Hauptteil, der den Inhalt der christlichen Botschaft darstellt, um das Zueinander von Gott, Wort Gottes und Glauben.

Im zweiten Hauptteil ist dann die Weitergabe des Glaubens unter der besonderen Rücksicht zu behandeln, dass sie durch die gegenseitige Zuordnung von Schrift, Überlieferung und Lehramt bestimmt wird. Die Strukturen der Weitergabe des Glaubens und die Kriterien für den sachgemäßen Umgang mit ihnen sind also aus dem Wesen des Glaubens selbst zu entfalten.

Der dritte Hauptteil untersucht die Annahme des Glaubens in Bezug auf ihre Verantwortbarkeit vor der Vernunft. Die Frage nach der Vernunftgemäßheit des christlichen Glaubens kann erst beantwortet werden, nachdem zuvor dargestellt worden ist, worum es in diesem Glauben selbst geht und auf welche Weise man ihm begegnet ist. Denn sonst wüsste man ja noch gar nicht wirklich, was angeblich vernunftgemäß sein soll.

Insgesamt ist eine solche Fundamentaltheologie nur so etwas wie eine Grammatik für die Sprache des Glaubens. Sie bietet so etwas wie einen Schlüssel, mit dem man sich dann der ganzen Breite der christlichen Überlieferung selbst zuwenden und sie sachgemäß verstehen kann. Die eigentliche Aufgabe besteht dann darin, mit allen Weisen des Wortes Gottes vertraut zu werden.

FRAGEN

  1. Warum ist eine Verantwortung des Glaubens nicht nur gegenüber bereits Glaubenden, sondern auch gegenüber nicht Glaubenden notwendig?
  2. Was ist unter „Theologie“ zu verstehen, und wie verhält sie sich zu den anderen Wissenschaften? Wann erreicht Theologie ihre höchstmögliche Wissenschaftlichkeit?
  3. Welche Grundfragen stellt die Fundamentaltheologie?
  4. Was bedeutet das Wort „katholisch“ als Normbegriff?
  5. Inwiefern kann die Einsicht in die Nichtselbstverständlichkeit des Anspruchs der christlichen Botschaft, „Wort Gottes“ zu sein, gerade den Zugang zu ihrem Verständnis eröffnen?
  6. Welches Denkgesetz wird von der Fundamentaltheologie vorausgesetzt, und mit welchem Recht?
  7. Was bedeutet es, Glaubensaussagen als „unüberbietbar“ auszulegen?
  8. Wie wird die gegenseitige Zuordnung von Glauben und Hören zum Kriterium, um die christliche Botschaft von eventuellen Verfälschungen zu unterscheiden?
  9. Welche Grundwirklichkeit wird in allen Glaubensaussagen entfaltet?
  10. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Inhalt, Weitergabe und Annahme der christlichen Botschaft?
  11. Warum wird unter Voraussetzung dieser Einleitung im ersten Hauptteil mit einer Darstellung des Inhalts der christlichen Botschaft begonnen und nicht damit, wie man selbst zunächst der christlichen Botschaft hat begegnen müssen, um sie weitersagen zu können?

3. ZUR METHODE

Für gewöhnlich wird es als die Aufgabe der Fundamentaltheologie angesehen, die christliche Botschaft vor der Vernunft „plausibel“ zu machen. Man möchte dem Glauben einen Platz im Rahmen der Vernunft zuweisen, weil man meint, er könne nur so vor der Vernunft verantwortet werden. Man entwirft die Vorstellung von einer göttlichen Offenbarung und meint, dann nur noch fragen zu müssen, ob eine solche tatsächlich ergangen ist.

Unsere Methode ist dieser weithin noch immer herrschenden Auffassung genau entgegengesetzt. Ausgehend von der Begegnung mit der christlichen Botschaft suchen wir zunächst zu zeigen, dass ihr Anspruch, „Wort Gottes“ zu sein, sich keineswegs problemlos mit der Bedeutung des Wortes „Gott“ vereinbaren lässt. Angesichts der fundamentalen Nichtselbstverständlichkeit dieses Anspruchs befragen wir sodann die christliche Botschaft erneut, ob sie darauf antworten kann. Sie wird sich als die einzige Botschaft erweisen, die durch ihren Inhalt in der Lage ist, ihren an sich höchst problematischen Anspruch, „Wort Gottes“ zu sein, verständlich zu machen.

Die Methode der Fundamentaltheologie ist letztlich vom Anspruch der christlichen Botschaft selbst her zu bestimmen. Auf Seiten der Vernunft wird nur vorausgesetzt, dass keine logischen Widersprüche zugelassen werden dürfen. Denn die Zulassung logischer Widersprüche in irgendeinem Bereich ließe das Denken insgesamt der Beliebigkeit und Willkür anheimfallen.6

Die christliche Botschaft versteht sich selbst als göttliche Offenbarung und damit als das letzte Wort über alle Wirklichkeit. Deshalb wollen Glaubensaussagen immer in unüberbietbarem Sinn verstanden werden. Aussagen in Bezug auf Gott sind nur als unüberbietbare Aussagen sinnvoll.7 Sie lassen keine Stufung, weder Abschwächung noch weitere Steigerung zu. Die einzelnen Glaubensaussagen verhalten sich daher auch nicht additiv ergänzend zueinander, sondern wollen immer als Entfaltung ein und derselben Grundwirklichkeit, nämlich der Selbstmitteilung Gottes in mitmenschlichem Wort verstanden werden.

Doch wie lassen sich die unverfälschte christliche Botschaft und ihr wirklicher Sinn erheben? Formal ist für die Christlichkeit von Glaubensaussagen ihre Bindung an ihren historischen Ursprung konstitutiv. Dementsprechend lautet für den christlichen Glauben ein umfassender Grund-Satz, dem man nicht genug nachdenken kann: „Der Glaube kommt vom Hören, das Hören aber vom Wort Christi.“ (Röm 10,17) Wenn man die Begriffe „Glauben“ und „Hören“ in diesem Satz aufeinanderzu interpretiert, gewinnt er seine kritische Bedeutung, die es erlaubt, eventuelle Verfälschungen und Missverständnisse auszufiltern.

Auf der einen Seite kann im christlichen Sinn nichts geglaubt werden, wofür man nicht darauf angewiesen ist, es von anderen Menschen gesagt zu bekommen. Dinge, auf die man von sich aus verfällt, kommen als Glaubensgegenstand nicht in Frage. Man kann den christlichen Glauben nur aus einer Überlieferung empfangen, die aller eigenen Initiative bereits vorgegeben ist.

Andererseits kann aber für christliches Glauben auch nur eine solche Überlieferung verbindlich sein, deren Wahrheit jedenfalls anders als im Glauben nicht zugänglich ist. Überlieferungen, denen man auch anders als in der Weise des Glaubens gerecht werden kann, scheiden als Glaubensgegenstand aus. Als christlicher Glaubensgegenstand kommt nur das in Frage, was man außerhalb des Glaubens weder begründen noch widerlegen kann und demgegenüber man auch nicht mit nachweisbarem Recht definitiv unentschieden bleiben kann. Ein wirklicher Glaubensgegenstand darf zwar nicht auf dem Feld der Vernunft entscheidbar sein; aber es muss mit Vernunftargumenten bestritten werden können, dass man ihn deshalb für überhaupt unentscheidbar halten dürfe.

Durch das Filter dieser gegenseitigen Zuordnung von Glauben und Hören gelangt nur die unverfälschte christliche Botschaft. Sie führt selbst dieses Kriterium mit sich und lässt sich dadurch rein erhalten. Damit kann ein häufig anzutreffender Einwand beantwortet werden: Das Christentum begegne in so verschiedenen und zum Teil gegensätzlichen Formen und unter den Theologen selbst bestehe solche Uneinigkeit, dass sich der Laie in dem Wirrwarr ohnehin nicht zurechtfinden könne. Muss man also erst die kompliziertesten historischen Untersuchungen durchgeführt haben, um so den wirklichen Sinn der Bibel oder von Konzilsaussagen ausmachen zu können? Solche Untersuchungen würden nur die Richtigkeit des genannten Kriteriums bestätigen, das eine unmittelbare Identifizierung der christlichen Botschaft und ihres genauen Sinns erlaubt.

Zwar wird in der katholischen Lehre und Theologie beansprucht, es komme dem kirchlichen Lehramt zu, die Glaubensverkündigung rein zu erhalten. Aber dann muss angebbar sein, welchem Kriterium die Inhaber des Lehramts dabei folgen. Es kommt letztlich kein anderes als das genannte Kriterium in Frage. Sogar die Existenz des Lehramts selbst muss auf dieses Kriterium zurückgeführt werden können, nämlich dass auch der Glaube aller zusammen, der Kirche und jeder einzelnen Gemeinde, noch immer nur vom Hören kommen kann.

Inhaltlich sind die Aussagen der christlichen Botschaft immer nur die Entfaltung einer einzigen Grundwirklichkeit, nämlich der Selbstmitteilung Gottes in dem mitmenschlichen Wort der Weitergabe des Glaubens: Der christliche Glaube ist das Anteilhaben am Gottesverhältnis Jesu. An Jesus Christus als den Sohn Gottes glauben heißt, sich aufgrund seines Wortes von Gott mit der Liebe angenommen zu wissen, in der Gott ihm von Ewigkeit her zugewandt ist und die an nichts Geschöpflichem ihr Maß hat, sondern als die Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn der Heilige Geist ist. Der Glaube als das Erfülltsein von diesem Heiligen Geist entmachtet die Angst des Menschen um sich selbst, die sonst immer wieder der Grund aller Unmenschlichkeit ist.

Es wird nicht möglich sein, die Wahrheit der christlichen Botschaft in dem Sinn plausibel zu machen, dass sie sich in das einordnen lässt, was man von selber versteht. In diesem Sinn ist „Wort Gottes“ gerade nicht selbstverständlich, sondern stellt sich als unmöglich heraus. Die wahre Selbstverständlichkeit des „Wortes Gottes“ besteht vielmehr darin, dass nur es selbst sich durch seinen Inhalt dennoch als „Wort Gottes“ verständlich machen kann. Als das letzte Wort über alle Wirklichkeit lässt es sich nicht selber einordnen, sondern ordnet alles andere ein.


2 HARALD WAGNER, Einführung in die Fundamentaltheologie, Darmstadt 1981, 45, meint, das Wort „ökumenisch“ im Titel des vorliegenden Werkes sei „etwas irreführend. Gemeint ist nach Auskunft der ‚Einleitung‘, daß sich dieses Buch auch anderen Theologen, solchen außerhalb des katholischen Raumes, verpflichtet weiß“. In Wirklichkeit ist gemeint, dass der relational-ontologische Ansatz dieses Buches die konfessionellen Differenzen insbesondere zwischen reformatorisch und katholisch, aber auch zwischen katholisch und orthodox von der Wurzel her verständlich machen und zwischen ihnen dolmetschen will. Zum Verständnis des Anliegens reformatorischer Theologie ist die Einsicht entscheidend, dass keine geschaffene Qualität Gemeinschaft mit Gott begründen kann; gegenüber orthodoxer Theologie ist darauf zu verweisen, dass Gemeinschaft mit Gott nur im Heiligen Geist möglich ist, der Personen miteinander verbindet.

3 II. Vatikanum, LG 15 (DH 4139).

4 Vgl. II. Vatikanum, UR 4,9 (DH 4152).

5 Es handelt sich um eine Umrissnachzeichnung einer Miniatur von der Brotvermehrung aus dem Echternacher Evangeliar, um 1045.

6 Aus einem logischen Widerspruch folgt jede beliebige Aussage; denn „A und Nicht-A impliziert B“ ergibt sich aufgrund der logischen Kontrapositionsregel aus „Nicht-A und Nicht-B impliziert Nicht-A“. Vgl. PAUL LORENZEN, Formale Logik, Berlin 1970, 37. Sehr anschaulich ist die Darstellung von THEODOR G. BUCHER, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit als Grenze der Toleranz, in: ZKTh 99 (1977) 385–416.

7 Dies ist eine theologische Denkform, die am deutlichsten von ANSELM VON CANTERBURY (1033–1109) entfaltet worden ist. Für ihn ist Gott „etwas, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann [aliquid quo nihil maius cogitari possit]“ (Proslogion 2 [I, 101, 5]); ja er formuliert in einem Gebet: „Herr, du bist also nicht nur das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, sondern du bist etwas Größeres als gedacht werden kann [Ergo Domine, non solum es quo maius cogitari nequit, sed es quiddam maius quam cogitari possit]“ (Proslogion 15 [I, 112, 14]). – GERHARD GÄDE, Eine andere Barmherzigkeit – Zum Verständnis der Erlösungslehre Anselms von Canterbury, Würzburg 1989, hat überzeugend nachgewiesen, dass die Denkform der Unüberbietbarkeit nicht nur die Gotteslehre Anselms, sondern auch seine Erlösungslehre prägt, die nur von daher richtig interpretiert werden kann.

ERSTER HAUPTTEIL:

DER INHALT DER CHRISTLICHEN BOTSCHAFT

Grundproblem des menschlichen Lebens und Zusammenlebens ist, dass Menschen immer wieder unmenschlich werden. Dieses den Menschen bedrohende Böse hat die Struktur von Mord und dessen Verschleierung durch Lüge und wiederum des Mordes, damit die Lüge nicht aufgedeckt wird (vgl. Joh 8,44). Die Wurzel egoistischen und verantwortungslosen Verhaltens, in dem man letztlich „über Leichen zu gehen“ bereit ist, ist diejenige Angst des Menschen um sich selbst, die in seiner Verwundbarkeit und Vergänglichkeit, in seiner Todesverfallenheit (vgl. Hebr 2,15) begründet ist.

Angst hat ursprünglich den positiven Sinn, dass man sich vor Gefahren schützt. Sobald aber die Angst des Menschen um sich selbst das letzte Wort hat, wird sie zur Wurzel seiner Unmenschlichkeit. Diese Angst gewinnt in der Weise Macht über ihn, dass er sich um jeden Preis abzusichern sucht.8 So gerät er in Rivalität zu anderen Menschen, gegen die er sich erst recht sichern muss.9 Dies geschieht in „direkter“ oder auch in „struktureller“ Gewaltanwendung.10 Strukturelle Gewalt besteht in institutionalisierten Zuständen, welche die einen auf Kosten der anderen einseitig privilegieren. Es handelt sich um Strukturen, welche die Distanz zwischen der an sich möglichen menschlichen Entfaltung und ihrer aktuellen Realisierung für einige Menschen vergrößern oder sich der Verringerung dieser Distanz entgegenstellen. Die Herrschaft der Gewalt wird gewöhnlich mit dem Mittel aufrechterhalten, dass die Mächtigen andere Menschen zu Werkzeugen ihrer Unmenschlichkeit machen, indem sie sie bei ihrer Angst um sich packen. Diktaturen sind Kettenreaktionen von Erpressung und Angt. Aus der Gewalt aller gegen alle scheint es im Rahmen dieser Gewalt nur den Ausweg zu geben, dass sich die Aggressionen aller auf irgendein zufälliges Opfer entladen, dem man dann alle Schlechtigkeit zuschreibt.11 Die Macht der Angst des Menschen um sich, welche die Wurzel aller Unmenschlichkeit ist, kann allerdings solange latent bleiben, als er sich nicht unmittelbar in dem bedroht fühlt, woraus er lebt: „Wer Geld und Gut hat, der weiß sich sicher, ist fröhlich und unerschrocken, als sitze er mitten im Paradies.“12

1. Der Anspruch der christlichen Botschaft

Die christliche Botschaft beansprucht demgegenüber, eine Gewissheit mitzuteilen, die stärker als alle Angst des Menschen um sich selbst ist. Sie will also den Menschen zu wahrer Menschlichkeit befreien. Dafür beruft sie sich darauf, „Wort Gottes“ zu sein. „Wort Gottes“ bedeutet nach der christlichen Botschaft das Angesprochenwerden des Menschen durch Gott in dem mitmenschlichen Wort der Weitergabe des Glaubens. Dieses Wort verkündet dem Menschen eine Leben und Sterben überdauernde Gemeinschaft mit Gott, und es will selbst bereits als die Verwirklichung dieser Gemeinschaft verstanden sein. Wer im Vertrauen auf dieses Wort lebt, lässt sich in seinem Verhalten letztlich nicht mehr von der Angst um sich selber leiten, sondern wird auf jede nur mögliche Weise dem Wohl der Menschen zu dienen suchen.

Doch wer ist „Gott“, wenn sein „Wort“ die Macht haben soll, die Angst des Menschen um sich selbst zu überwinden? Muss er dann nicht in schlechthin allem, was geschieht, mächtig sein, so dass keine andere Macht gegen ihn ankommt (vgl. 2 Makk 7,28–29)? Aber wenn von vornherein alles gänzlich von Gott abhängig sein soll, wie kann dann überhaupt noch sinnvoll von einem besonderen Handeln Gottes an der Welt und von einem „Wort Gottes“ die Rede sein?

Muss dann nicht „Wort Gottes“ im Unterschied zum Geschaffensein des von Gott Verschiedenen als göttliche Selbstmitteilung verstanden werden? Und wie wird dieses Wort Gottes als solches erkannt? Muss es nicht sein Kriterium daran finden, dass es als Selbstmitteilung Gottes allein einem Glauben zugänglich ist, der ebenfalls als Selbstmitteilung Gottes, nämlich als das Erfülltsein der Glaubenden vom Heiligen Geist, verstanden werden muss? Diese Fragen sollen uns im ersten Hauptteil unserer Untersuchung leiten.

Wir beginnen mit der ersten Frage nach der Bedeutung des Wortes „Gott“. Bereits hier ist davon auszugehen, dass, wer immer sich mit der christlichen Botschaft befasst, ihr faktisch bereits begegnet sein muss.13 Er hat sie weder selber entworfen, noch ist es wahrscheinlich, dass er ihr aus eigener Initiative begegnet ist. Für jeden, der sich überhaupt mit der christlichen Botschaft befasst, ist das Konfrontiertsein mit ihr bereits vorgegeben. Man muss sie nicht erst von weither suchen (vgl. Röm 10,6–8). Dies ist von großer methodischer Wichtigkeit für eine sachgemäße Theologie. Das Wort „Gott“ wird nicht ursprünglich aus irgendwelchen subjektiven Grunderfahrungen wie der Suche nach „Sinn“ gewonnen, sondern begegnet einem in seinem Gebrauch durch die christliche Botschaft. Unsere Fragestellung kommt überhaupt erst durch die Begegnung mit dieser Botschaft in Gang.

Wir fragen also nach der Bedeutung des Wortes „Gott“ erst im Zusammenhang der christlichen Botschaft, die von sich beansprucht, „Wort Gottes“ zu sein. Dass sie dies tatsächlich ist, bleibt an dieser Stelle noch offen. Noch unabhängig davon, ob diese Behauptung als wahr angenommen werden kann, fragen wir zunächst, was die christliche Botschaft unter „Gott“ verstanden wissen will.

Für sich allein genommen wird die Bedeutung des Wortes „Gott“ noch keineswegs wohltuend14 sein. Sie wird es erst, wenn es im „Wort Gottes“ um unsere Gemeinschaft mit Gott gehen wird. Zunächst aber wird die Bedeutung des Wortes „Gott“ sogar den schwerstwiegenden Einwand gegen die Rede von einem „Wort Gottes“ bilden.

Die folgenden Darlegungen zur Bedeutung des Wortes „Gott“ machen den wahrscheinlich schwierigsten Teil dieses Buches aus, weil viele vermeintliche Selbstverständlichkeiten unseres (frommen?) Denkens in Frage gestellt werden müssen. Es geht letztlich in der christlichen Botschaft um eine Bekehrung des Denkens, die auch das mitgebrachte Vorverständnis umfasst: Neuer Wein gehört in neue Schläuche (vgl. Mt 9,17)15. Das mitgebrachte Vorverständnis besteht gewöhnlich darin, alles nach dem Modell innerweltlicher Wechselwirkung zu denken, ohne sich dessen ausdrücklich bewusst zu sein. Nur wenn man bereit ist, auch das eigene Vorverständnis auf seine Sachgemäßheit hin befragen zu lassen, werden die Verstehensvoraussetzungen für alle Glaubensaussagen gewonnen. Insbesondere wird es darum gehen, mit Hilfe der Kategorien einer relationalen Theologie ein sachgemäßes Verständnis von Schöpfung zu gewinnen.

FRAGEN

  1. Auf welches Grundproblem des Menschseins beansprucht die christliche Botschaft, sich zu beziehen?
  2. Wodurch behauptet die christliche Botschaft, die Angst des Menschen um sich selbst entmachten zu können?
  3. Welcher Vorbegriff von „Gott“ ergibt sich, wenn Gemeinschaft mit ihm die Macht haben soll, die Angst des Menschen um sich selbst zu überwinden?
  4. Warum geht die vorliegende Fundamentaltheologie davon aus, dass man, um überhaupt christliche Theologie betreiben zu können, auf jeden Fall mit der christlichen Botschaft bereits in Berührung gekommen sein muss?
  5. Worin könnte eine notwendige Bekehrung des Vorverständnisses bestehen?

2. Die Bedeutung des Wortes „Gott“

Wer sich auf „Wort Gottes“ beruft, muss die Bedeutung des Wortes „Gott“ angeben können.16 Sie muss auch für den Nichtglaubenden verständlich sein und etwas mit seiner Erfahrung zu tun haben. Doch der ausdrückliche Gebrauch des Wortes „Gott“ ist erst im Zusammenhang mit der Rede von „Wort Gottes“ und damit um des Glaubens willen notwendig. Beim Gebrauch des Wortes „Gott“ will aber auch das Gebot bedacht sein: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen.“ (Ex 20,7) Nach der Lehre des I. Vatikanums ist Gott

„der eine, wahre und lebendige Schöpfer und Herr des Himmels und der Erde, allmächtig, ewig, unermesslich, unbegreiflich, unendlich in Erkennen und Wollen und jeder Vollkommenheit. Weil er eine einzige, für sich bestehende, ganz und gar einfache und unveränderliche Geistwirklichkeit ist, ist von ihm auszusagen: Er ist wirklich und wesenhaft von der Welt verschieden, in sich und aus sich überaus selig und über alles unaussprechlich erhaben, was außer ihm ist und gedacht werden kann.“17

Wir geben diesen Text hier zunächst nur zur Kenntnis als katholische Lehre, ohne bereits seine Berechtigung und Wahrheit vorauszusetzen oder gar mit ihr argumentieren zu können. Es soll nur analysiert werden, was der Text behauptet und welche Verstehensprobleme sich dann stellen.

Der zitierte Text will einen Gottesbegriff bieten. Er erklärt jedoch gleichzeitig Gott als „unbegreiflich“18. Die Frage, die sich sofort stellt, ist: Wie lässt sich ein Gottesbegriff mit einer angeblichen Unbegreiflichkeit Gottes vereinbaren?19

Eine naheliegende Antwort wäre: Man kann Gott nur teilweise und unvollkommen begreifen. Die Behauptung seiner „Unbegreiflichkeit“ wäre also abzuschwächen. Aber diese Antwort widerspricht der anderen Behauptung, Gott sei ganz und gar einfach und habe keine Teile. Deshalb suchen wir die Antwort lieber in der umgekehrten Richtung, nicht abschwächend, sondern radikalisierend. Ist es möglich, einen unüberbietbar richtigen Gottesbegriff mit der Aussage einer unüberbietbaren Unbegreiflichkeit Gottes zu verbinden?

Der zitierte Text des kirchlichen Lehramts bietet selber diese Möglichkeit an. Die Bedeutung des Wortes „Gott“ wird in ihm durch den Vergleich mit allem, „was außer Gott ist und gedacht werden kann“, erläutert. Alle von Gott verschiedene Wirklichkeit wird als geschöpflich verstanden. Unter Berufung auf Röm 1,20 erklärt das I. Vatikanum deshalb:

„Gott, der Ursprung und das Ziel aller Dinge, kann mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen mit Gewissheit erkannt werden.“20

Ein Gottesbegriff müsste nach dieser Lehre mit der Anerkennung unserer eigenen Geschöpflichkeit gegeben sein: Man begreift von Gott immer nur das von ihm Verschiedene, das auf ihn verweist. Gott selbst fällt dann unter keinen Begriff, sondern bleibt tatsächlich unbegreiflich. Man kann nur hinweisend über ihn reden. Aber gerade so würde es sich um vollkommen richtige Rede und um wahre Gotteserkenntnis handeln (man darf also nicht „Unbegreiflichkeit“ mit „Unerkennbarkeit“ verwechseln oder meinen, es sei nicht möglich, in Bezug auf Gott wahre Aussagen zu machen).

Es muss dabei auch gezeigt werden, wie es möglich ist, etwas als auf Gott hinweisend zu erkennen, ohne zuvor einen Begriff von Gott selbst in seinem An-Sich zu haben. Denn jeder Begriff, unter den Gott selbst fiele, soll ja mit der Behauptung der „Unbegreiflichkeit“ Gottes gänzlich ausgeschlossen bleiben. Die Antwort lautet, dass Gott der Terminus eines „restlosen Bezogenseins auf ... / in restloser Verschiedenheit von ...“ ist. Die Pünktchen in diesem Ausdruck bedeuten, dass man nicht zuerst weiß, wer Gott ist, um dann zu sagen, dass er auch der Schöpfer der Welt ist, sondern dass sich die Bedeutung des Wortes „Gott“ von vornherein nur von daher angeben lässt, dass schlechthin alles in der Welt auf ihn verweist. Gott wird von der Welt her als der erkannt, ohne wen nichts anderes sein kann. Wir sagen bereits hier „ohne wen“ und nicht nur „ohne den“, weil uns ja das zu erläuternde Wort „Gott“ in dem Kontext begegnet ist, dass die christliche Botschaft beansprucht, „Wort Gottes“ zu sein. Der Urheber eines Wortes muss als sich selbst gegenwärtig verstanden werden; man muss fragen, „wer“ er ist.

Im Folgenden soll zunächst in einem ersten Schritt (I, 1.1) dargestellt werden, was in der christlichen Botschaft unter der mit der natürlichen Vernunft zu erkennenden „Geschöpflichkeit“ der Welt zu verstehen ist. Dieser Begriff stellt allerdings einen Kontrast zu einem umfassenderen und dann in seiner Wahrheit nur noch dem Glauben zugänglichen Geschöpflichkeitsverständnis dar, in dem es um unser „In Christus“-Geschaffensein geht und von dem erst später bei der Erläuterung von „Wort Gottes“ die Rede sein wird (I, 3.2.2).

Erst in einem zweiten Schritt (I, 1.2) untersuchen wir, ob jene „Geschöpflichkeit“ tatsächlich mit der natürlichen Vernunft erkannt und bewiesen werden kann. Das müsste der Fall sein, wenn „Geschöpflichkeit“ mit der Existenz der Welt identisch ist. Wenn die Welt genau in dem Maß geschaffen ist, in dem ihr Sein zukommt, dann muss ihre Geschöpflichkeit an ihrem Sein ablesbar und beweisbar sein.

Dieses Vorangehen ist damit vergleichbar, dass ein Lehrer in der Schule den Satz des Pythagoras zuerst an die Tafel schreibt, damit die Schüler wissen, worum es in dieser Unterrichtsstunde gehen soll. Damit ist noch nicht vorausgesetzt, dass dieser Satz tatsächlich stimmt; dies kann sich erst durch die Durchführung des Beweises herausstellen.

Nach einem Vergleich mit den herkömmlichen sogenannten Gottesbeweisen (I, 1.3) soll dann der sich daraus ergebende bloß hinweisende, also analoge Gottesbegriff noch näher entfaltet werden (I, 1.4).

Unsere Überlegungen zum Begriff der „Geschöpflichkeit“ werden zunächst in hohem Maß abstrakt erscheinen. Doch ist diese Abstraktheit sachgemäß. Denn Gemeinschaft mit Gott ist erst vom „Wort Gottes“ zu erwarten. Natürliche Gotteserkenntnis dagegen reicht letztlich nur so weit, einzusehen, dass Gemeinschaft mit Gott durchaus keine triviale Selbstverständlichkeit ist. Natürliche Gotteserkenntnis lässt nur erfassen, dass Gott „in unzugänglichem Licht wohnt“ und ihn „kein Mensch gesehen hat noch sehen kann“ (1 Tim 6,16, vgl. auch Joh 1,18).

FRAGEN

  1. In welchem Kontext ist die Bedeutung des Wortes „Gott“ zu erläutern?
  2. Warum gehen wir nicht von vornherein von der Begegnung mit dem „Wort Gottes“ aus, sondern nur von der Begegnung mit der christlichen Botschaft, die von sich beansprucht, „Wort Gottes“ zu sein?
  3. Welches Problem für die Rede von „Gott“ entsteht aus der traditionellen Behauptung, dass Gott „unbegreiflich“ sei?
  4. Warum genügt als Antwort auf dieses Problem nicht, dass man Gott nur „teilweise“ begreifen könne?
  5. Worin muss wahre Gotteserkenntnis bestehen, wenn dabei die Unbegreiflichkeit Gottes gewahrt bleiben soll?
  6. Wie verhält sich natürliche Gotteserkenntnis zur Frage nach der Möglichkeit einer Gemeinschaft des Menschen mit Gott?

2.1 DER BEGRIFF DER „GESCHÖPFLICHKEIT

In der biblischen Tradition wird das Verhältnis aller weltlichen Wirklichkeit zu Gott als Geschaffensein, als eine schlechthinnige und unüberbietbare Abhängigkeit bestimmt. Dies ist nicht nur die Aussage der sogenannten „Schöpfungsberichte“ (Gen 1,1 – 2,4a; 2,4b–25); diese Schöpfungserzählungen bestehen darin, alles aufzuzählen, was es gibt, und davon auszusagen, dass es ohne Gott nicht sein kann. Einprägsame Beispiele für die gleiche Denkweise, die im Übrigen die ganze Bibel durchzieht, sind auch: Ps 139; Weish 13,1–9; Sir 43. Von besonderer Anschaulichkeit ist das Jesuswort Mt 10,29f: „Sind nicht zwei Sperlinge feil für ein paar Pfennige? Und dennoch fällt nicht einer von ihnen zur Erde ohne euren Vater. Bei euch aber sind sogar alle Haare eures Hauptes gezählt.“

In biblischer Sicht umfasst diese schlechthinnige Abhängigkeit nicht nur alles Schöne und Gute in der Welt, sondern auch Leid und Sinnlosigkeit: „Ich erschaffe das Licht und erschaffe das Dunkel, ich bewirke das Heil und bewirke das Unheil. Ich bin der Herr, der das alles vollbringt.“ (Jes 45,7) Selbst die frei gewollte Sünde und der Widerwille gegen Gott vermögen sich dieser unterschiedslos alles umfassenden, schlechthinnigen Abhängigkeit nicht zu entziehen: „Gott erbarmt sich, wessen er will, und er verhärtet, wen er will.“ (Röm 9,18; vgl. Jes 6,9) So ist nach biblischem Verständnis überhaupt nur dann wirklich von Gott die Rede, wenn damit gemeint ist, dass schlechthin alles mit ihm zu tun hat. Eine solche schlechthinnige Abhängigkeit besteht ausschließlich Gott gegenüber.21

In der theologischen Reflexion wird diese von der biblischen Tradition behauptete schlechthinnige Abhängigkeit aller Wirklichkeiten der Welt mit dem Begriff „Geschaffen-sein aus dem Nichts“ bezeichnet; vgl. 2 Makk 7,28: „Gott hat sie nicht aus Seienden gemacht [οὐκ ἐξ ὄντων ἐποίησεν αὐτὰ ὁ ϑεός].“ Von überhaupt aller weltlichen Wirklichkeit gelte, sie sei „aus dem Nichts geschaffen“22. Auch wenn gelegentlich nur von „Geschaffensein“ die Rede ist, ist immer „aus dem Nichts Geschaffensein“ gemeint.

Bereits der Ausdruck „aus dem Nichts“ ist mit einer Verstehensschwierigkeit belastet. Bedeutet er, dass man sich einen der Schöpfung zeitlich vorausgehenden Zustand des „Nichts“ vorstellen soll? Aber dies hieße, sich „nichts“ vorzustellen. Wir können dieser Verstehensschwierigkeit jedoch dadurch entgehen, dass wir den Ausdruck „aus dem Nichts“ durch den Ausdruck „restlos“23