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Band 58

 

Das Gift des Rings

 

von Robert Corvus

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Cover

Vorspann

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

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19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Mai 2037: Perry Rhodan und seine Gefährten haben mittlerweile das Zentrum des großen Arkon-Imperiums erreicht. Dieses Sternenreich umfasst Tausende von Planeten. Beherrscht wird es von einem mysteriösen Regenten, der die Menschen hasst.

Sergh da Teffron, die Hand des Regenten, ist der zweitmächtigste Mann des Imperiums – und er plant den Umsturz. Dafür braucht er Gefolgsleute, die ihm treu ergeben sind. Er fliegt nach Naat. Der Planet liegt im Arkon-System und ist die Heimat der monströs wirkenden Naats, die den Arkoniden als Söldner dienen.

Um das Vertrauen der dreiäugigen Riesen zu gewinnen, muss er bei ihren barbarischen Ritualkämpfen mitwirken. Sergh da Teffron setzt sein Leben aufs Spiel ...

1.

Arkon-System. Naatmond Peshteer. Station TARRAS'GOLL

 

Quälend langsam senkte sich die Rampe. Charron da Gonozal spähte in den Hangar, der durch den größer werdenden Spalt sichtbar wurde. »Geht das nicht schneller, Tira?«

»Bleib locker!«, drang die Stimme seiner Assistentin aus dem Akustikfeld. »Wir konnten nicht aufmachen, bevor sie die Atmosphäre in den Hangar gepumpt haben. Auf die paar Zentitontas kommt es jetzt auch nicht mehr an!«

Hoffentlich behältst du recht! Zweifelnd sah Charron auf den reglosen Leib, der wie ein weißes Laken vor ihm auf der Antigravliege ausgebreitet lag. Die Lebenszeichen waren sehr schwach.

Die kahlen Metallwände, das gnadenlose Licht und die streng funktional aufgestellten Maschinen offenbarten den militärischen Charakter der Einrichtung. Größer hätte der Gegensatz zu Charrons TAI'GONOZAL nicht ausfallen können. Die Jacht war vollgestopft mit Artefakten von den entferntesten Welten des Imperiums, ein Sammelsurium exotischer Zeugnisse. In ihrer Vielfalt eine Verheißung der Pracht, die dieses Sternenreich erschließen könnte, würde es den Mut finden, das Fremde zu umarmen, statt es zu unterjochen.

Charron hatte keinen Blick für die Schätze, die er auf seinen Reisen gesammelt hatte. Seine Wanderungen zwischen den Sternen erhielten nur durch ein einziges Ziel ihren Sinn. Diesen verkörperte das seltsame Wesen, das auf der Antigravliege vor ihm zitterte.

Eigentlich konnten Xisrapen der Schwerkraft von Natur aus trotzen. Ihr Antigravorgan ließ sie wie Pflanzensamen im Wind schweben. Doch für Denurion galt das nicht. Er rang mit dem Tod.

Wieder lief eine Welle durch seinen ovalen, dünnen Körper, der etwas zu groß für die Liege war und deswegen über den Rand hing wie ein nasses Tischtuch. Seit dem Rückfall breiteten sich schwarze Verfärbungen aus. Dort wirkte der helle Leib verschmort wie ein gebratenes Stück Fleisch. Aber Denurion war nicht aus Fleisch und Blut. Sein Körper bestand aus Plasma, das sich in beinahe jede Form bringen ließ. Ein amöbenartiges Oval mit einigen Verdickungen dort, wo die Organe saßen, war die übliche Gestalt. Die drei Sehwulste, das schwammige Hörorgan und die Sprechblase waren fast immer erkennbar.

Charron hatte beobachtet, wie der Xisrape eine Vielzahl von Pseudopodien ausgebildet hatte. Bei solchen Gelegenheiten ähnelte er den Kraken, die die Ozeane vieler Welten durchstreiften. Doch jetzt war das Zittern die einzige Regung, zu der Denurion fähig schien. Charron glaubte, die Qual selbst spüren zu können. Wäre Denurion ein Humanoide gewesen, hätte Charron seine Hand genommen. So fühlte er sich hilflos.

Immerhin zählte der Name da Gonozal etwas. Charrons Hyperfunkruf hatte nicht nur ein Prioritätslandeprivileg bewirkt. Alarmleuchten drehten sich im Hangar, und ein kleines Empfangskomitee erwartete sie. Zwei Medoroboter und ein Naat in einem hellen Overall.

Charron ärgerte sich über seine Leibesfülle, wegen der er nicht neben der Antigravliege auf die Rampe treten konnte, sondern hinter ihr hergehen musste wie ein verspäteter Diener. Ich bin ein wenig aus der Form gegangen. Er strich seinen Anzug glatt. Feinste arkonidische Schneiderkunst, wie man sie von einem Angehörigen des Hochadels erwarten durfte. Bei anderen Gelegenheiten enttäuschte Charron solche Erwartungen gern, verwirrte sein Gegenüber mit Kleidungsstilen, wie sie auf Fremdwelten üblich waren. Schuppenhäute, geflügelte Helme, klappernde Insektenpanzer. Aber diesmal kam er als Bittsteller. Er musste beeindrucken, nicht provozieren oder abschrecken.

Als die Messgeräte der Medoroboter über den Patienten surrten, blaffte Charron den Naat an. »Wo ist der Arzt, den ich angefordert habe? Hol ihn sofort her!«

Charron musste aufschauen, um den Naat anzusehen. Der stämmige Mann überragte ihn um gut eine halbe Körperlänge. Sein Mund zog sich diagonal über das untere Viertel seines runden Schädels wie bei Tineriaan. Drei Augen dominierten das nasenlose Gesicht. Das rechte war offensichtlich blind. Ein grauer Streifen zog sich über die milchige Iris.

»Das wird nicht nötig sein«, grollte die tiefe Stimme.

Ein Schaudern fuhr über Charrons Rücken. Hastig sah er auf den zitternden Denurion, dann zurück zu dem Naat. »Er ist kein Arkonide, aber er ist wichtig! Wir müssen alles tun, um ihn zu retten!«

»Das werden wir.«

Charron wusste um den großen Resonanzraum, den die Brust eines Naats bot. Sein Gegenüber wollte nicht bedrohlich klingen. Wahrscheinlich hielt er seine Lautstärke sogar zurück.

Jetzt dirigierte er die Medoroboter zur Seite. Er drückte einige Schaltflächen an seinem Armband, woraufhin sich eine rote Linse vor seinem Gesicht bildete. Anzeigen huschten darüber, während er den Patienten betrachtete. »Wie ist er bislang behandelt worden?«

»Durch den Medoroboter meines Schiffs. Modell Guantaka, Fertigungsreihe 17.«

Der Naat musterte die an eine Flugechse erinnernde TAI'GONOZAL. Weltraumstaub hatte seine Spuren hinterlassen, kleine Kerben überzogen den silbrigen Rumpf, die weit ausladenden Flügel, die vorstrebende Kernsektion. Dennoch war deutlich zu erkennen, dass es sich um eine moderne Jacht auf dem neuesten Stand arkonidischer Technik handelte. Tira hatte das Glassit der Pilotenkanzel transparent geschaltet und sah zu ihnen herunter.

Der Naat brummte zustimmend. »Der Medoroboter hat ihm das Leben gerettet. Bis jetzt.«

Die rote Linse erlosch, als er sich aufrichtete. »Antiseptischer Sprühverband für initiale Dekontamination«, wies er die Roboter an. »Isolierend. Keine aktiven Substanzen. Einliefern in Medolabor drei. Vollüberwachung abzüglich invasiver Sonden.«

Die Roboter transportierten die Antigravliege ab. Dabei führte einer von ihnen einen glänzenden Zylinder über einen verfärbten Hautbereich. Wie kondensierender Dunst legte sich ein grüner Schleier darüber.

»Begleiten Sie uns?«, fragte der Naat und wischte in Richtung der Panzertür, durch die die Roboter gerade Denurion schoben.

Charron trat ein Stück zurück, um den Mann in seiner Gesamtheit mustern zu können. Sein Overall wirkte funktional, Instrumente beulten die Taschen aus. Er trug weder Rangabzeichen noch Kampfmesser oder Strahler.

»Sie sind kein Soldat.«

Der Naat grunzte zustimmend. »Ich heiße Parleen. Ich bin der Arzt auf dieser Station.«

»Ich muss mich für mein rüdes Auftreten entschuldigen. Beinahe alle Naats, denen ich bislang begegnete, waren beim Militär.«

Parleen machte eine wegwerfende Geste. »Das war ich auch. Es ist lange her. Ich habe ein paar Andenken zurückbehalten. Ich hoffe, es betrübt Sie nicht, dass ich nicht vor Ihnen knien konnte. Aber wie Sie schon sagten, ich bin kein Soldat mehr. Außerdem darf ich sogar beim Gouverneur auf Verständnis hoffen. Wegen dem hier.«

Er klopfte gegen sein rechtes Bein, was ein metallisches Geräusch verursachte. Jetzt, als er darauf achtete, hörte Charron jedes Mal, wenn Parleen den rechten Fuß aufsetzte, einen hellen Ton. Das leichte Humpeln des Naats fiel kaum auf. Er musste den Umgang mit der künstlichen Gliedmaße lange gewohnt sein.

»Mir liegt nichts an soldatischem Zeremoniell«, sagte Charron. »Ich bitte Sie nur, meinen Freund gesund zu machen. Das ist sehr wichtig für mich.«

»Ich habe die Daten studiert, die Sie übermittelt haben. Darin wird ein arachnoides Kunstgeschöpf erwähnt.«

»Das hat Denurion vergiftet. Wir dachten, er hätte es überstanden, aber dann kam dieser Rückfall.«

»Haben Sie die Spinne noch?«

»Wir haben die Überreste eingefroren. Ich werde meine Assistentin sofort bitten, sie Ihnen zu bringen.«

2.

Anflug auf Naat

 

Lautlos fiel die Fähre durch das Nichts des Weltraums. Sergh da Teffron hatte Zeit. Er hatte beschlossen, seinem Schicksal entgegenzugehen. Es war immer dort gewesen. Auf Naat. Hatte geduldig auf ihn gewartet. Die Entscheidung, sich ihm zu stellen, hatte allein bei Sergh gelegen. Nun, da er sie getroffen hatte, würde sich keine Macht zwischen ihn und seine Bestimmung stellen. Sein Schicksal und er würden sich verbinden wie zwei Atome, die im Innern eines Schwarzen Lochs zusammengedrückt wurden, bis ihre Hüllen kollabierten und ihre Kerne untrennbar wurden.

Außerdem gab es unangenehmere Situationen, als mit einer schönen Frau allein in einer Raumfähre unterwegs zu sein, während die Positronik sanfte Instrumentalklänge einspielte. Sergh lächelte, als er Thetas leichte Schritte hörte. Er verzichtete darauf, den Pilotensessel herumzuschwenken, und wartete ab, bis sie neben ihn trat und ihm die Tasse reichte. Sein Ring klickte gegen die Keramik. Dampf befeuchtete seine Brauen. Vielfältige Aromen weiteten seine Nase. Einen Moment lang ließ er den K'amana seinen Mund verbrennen, erst dann schluckte er ihn hinunter.

Theta lehnte sich an die Konsole. Zärtlich strich sie über sein kahles Haupt. Eine Berührung, die ihn schaudern ließ. Sicher kein Zufall. Sie war eine hervorragende Kurtisane, die genau wusste, wie sie ihren Körper einsetzen konnte. Die Fingerspitzen waren noch die harmloseste Waffe in ihrem Arsenal.

Sergh griff ihre Hand und küsste sie.

Theta pustete über den K'amana, nahm einen Schluck und lächelte. »Melancholisch?« Ihre Augen waren von einem hellen Rosa, bei diesem Licht beinahe farblos. Als böten sie dem forschenden Blick keinerlei Widerstand.

Sergh zog sie heran. Er betrachtete die kleinen dunklen Punkte, die in dem Rosa schwebten. Man konnte sie nur aus der Nähe sehen – wie Geheimnisse, die sich erst bei genauer Beobachtung offenbarten. Sie küssten sich. Hier waren sie allein. Die nächsten Begleiter saßen einige Kilometer entfernt in den Raumjägern des Geleitgeschwaders.

Theta sah durch das Glassit der Frontscheibe, wo man Naat als Kugel erkennen konnte. »Ich hätte mir eine Wüstenwelt nicht so blau vorgestellt.«

»Das täuscht.« Er zog sie auf seinen Schoß. »Es liegt am Sauerstoff. Naat ist eigentlich ein Gasriese. Ein anderer Planet ist auf ihn gestürzt, wurde zerrissen und bildet jetzt eine Hohlkugel. Das ist die feste Oberfläche, aber der weitaus größte Teil des Volumens ist nach wie vor ein Gasball mit hohem Sauerstoffanteil.«

»Man sieht gar nicht, wie groß Naat ist.«

Sergh legte einen Arm um ihre Hüften. Mit der Hand, in der er die Tasse hielt, zeigte er auf einen grau schimmernden Fleck neben der blauen Kugel. »Das ist Naator, der Größte der sechsundzwanzig Monde. Er hat in etwa die Dimensionen von Arkon I.«

»Wirklich?« Vielleicht spielte sie die Überraschte. Theta neigte dazu, ihm das Gefühl zu geben, ihr etwas beibringen zu können.

Sergh schob sein Misstrauen beiseite. Warum hätte er den Augenblick nicht genießen sollen? Immerhin war es nicht ungewöhnlich, wenn jemand mit der achtfachen Lebenserfahrung seiner Gefährtin etwas beibringen konnte. Und ein Planet, der das Zehnfache der arkonidischen Heimatwelt durchmaß, musste jeden beeindrucken, der mehr Intelligenz als ein Büffel vor dem Pflug eines degenerierten Randweltarkoniden besaß. Theta gehörte zu den intelligentesten Arkoniden, denen Sergh jemals begegnet war.

»Wie fühlt es sich an, nach Hause zu kommen?« Sie lehnte sich gegen seine Brust, griff hinter sich und kraulte seinen Nacken. »War das Leben einfacher, als du noch ein Gouverneur warst?«

»Naat lehrt die Wahrheit. Die Wahrheit ist immer einfach.«

»Dass der Sinn des Lebens darin liegt, eine schöne Frau glücklich zu machen?«, neckte sie.

»Dass das Leben erbärmlich ist.«

Kurz hielt sie inne. Eine kaum merkliche Unterbrechung ihrer streichelnden Bewegungen.

»Wenn du in einer großen Wüste auf Naat stehst, begreifst du, dass du ein Nichts bist. Vollkommen bedeutungslos. Und dass das auch für alle anderen Lebewesen gilt, die sich dort durch den Sand quälen.« Er nahm noch einen Schluck von seinem K'amana. »Sie halten sich für bedeutsam. Das ist lächerlich. In diesem Universum hat gar nichts Bedeutung. Vor allem nichts Lebendes.« Er zeigte wieder auf den Gasriesen. »Planeten, Sonnen, Galaxien. Sie interessieren sich nicht für uns. Sie sind vor Hunderten von Jahrmillionen entstanden, explodieren, backen in ihrem Innern Elemente zusammen. Wir sind weniger als Ungeziefer, Zufallsprodukte, keiner Beachtung wert. Irgendwann wird das Universum erkalten, und dann will niemand wissen, was wir gefühlt oder gedacht haben. Denn es wird niemanden geben.«

Er sah in die Schwärze des sie umgebenden Weltalls. Das metallische Funkeln eines Raumjägers war davor auszumachen. Sein Pilot war ein hochempfindlicher Winzling, der mit aufwendiger Technologie vor dem Vakuumtod geschützt werden musste. Man brauchte keinen Angriff mit Energiewaffen oder Sprengstoffen, um ihn zu töten. Man musste ihn nur seiner Hilfsmittel berauben und ihn nackt in der unbarmherzigen Umgebung des Weltraums aussetzen. »Das Leben ist eine eigentümliche Ausnahme. Der Witz eines gnadenlosen Universums.«

»Du bist doch trübsinnig!«

»Du hast mich nach Naat gefragt. Das ist es, was ich dort gelernt habe.«

»Aber Naat ist doch keine tote Welt! Ein paar Milliarden Naats leben dort.«

»Das ist ja das Problem.« Er schmunzelte.

Sie wand sich auf seinem Schoß, bis sie ihn küssen konnte. »Wenn wir den Regenten loswerden wollen, sind sie eher die Lösung. Deswegen kommst du doch hierher.«

»Wo du vom Regenten sprichst ... Der Tross hat seine Parkposition um Bhedan eingenommen. Der Regent selbst ist zum Kristallpalast nach Arkon I aufgebrochen.«

Theta rief ein Holo des Systems auf. Auf die Berührung von ein paar Sensorfeldern hin verließ die virtuelle Kamera Naat, überquerte fünf Umlaufbahnen und verharrte beim elften Planeten. Der Tross war natürlich nicht zu sehen. Dies war eine schematische Darstellung, keine Übertragung aktueller Sensordaten.

»Hast du Sehnsucht nach deiner alten Herrin?«, fragte Sergh.

Sie kicherte abwehrend.

»Sie wird uns nämlich beehren.«

»Sie ist nicht unbedingt deine liebste Freundin«, sagte Theta vorsichtig.

»Intimfeindin« träfe es besser. »Sie wollte dich sprechen. Ich war so frei, den Funkruf entgegenzunehmen. Bei der Gelegenheit habe ich sie eingeladen.«

»Aber warum?«

»Sie wollte, dass du zu ihr kommst. Ich habe ihr erklärt, dass ich dich nicht missen will.« Beiläufig tätschelte er ihren Hintern. »Also muss sie sich schon herbemühen.«

Thetas Schweigen verriet ihr Misstrauen. Vermutlich dachte sie darüber nach, ob Sergh in der direkten Begegnung überprüfen wollte, dass sie ihre alten Loyalitäten wirklich gelöst hatte.

»Sie ist einflussreich«, fuhr er fort. »Die Rudergängerin des Trosses ...«

»Du suchst Verbündete an ungewöhnlichen Orten.«

Er lachte. »Eigentlich gefällt mir der Gedanke, dem verzärtelten Püppchen zu zeigen, wie hart die Welt sein kann.«

»Eine Welt wie Naat.«

»Der Sand wird ihr die Farbe vom Gesicht schmirgeln.« Er leerte seine Tasse. »Und wenn wir Glück haben, die Haut gleich mit.«

»Dann wird sie uns in der Hauptstadt treffen? Wie heißt die noch einmal?«

Er bezweifelte, dass Theta das wirklich vergessen hatte. Ihr Gedächtnis war ausgezeichnet. Sie konnte es nur nicht lassen, ab und zu das Dummchen zu spielen. »Naatral. Aber wir fliegen nicht direkt dorthin. Ich warte noch auf meine Gastgeschenke.«

Sie hob eine Augenbraue.

»Wir machen auf Peshteer Station. Einem kleinen Mond. Eine Gefängniskolonie. Genau das Richtige für Ihin da Achran. Außerdem will ich dort noch jemanden treffen.«

»Einen Freund?«

Sergh drückte seinen Daumennagel in seinen Ring. Momentan hatte das Schmuckstück eine gekerbte Oberfläche. »Ich habe keine Freunde.«

 

Peshteer war der innerste Mond Naats. In etwa 40.000 Jahren würde er auf den Planeten stürzen. Bis dahin zog er Gas aus den obersten Atmosphärenschichten Naats ab. Peshteers Gravitation war jedoch zu gering, um das Gemisch zu halten. Es diffundierte in der gleichen Geschwindigkeit ins All, mit der Peshteer seinem Planeten weitere Atmosphäre entriss. Auf diese Weise borgte sich der Mond eine sauerstoffhaltige Atmosphäre, die für Arkoniden gerade noch atembar war, wenn sie auch körperliche Anstrengungen mit rasenden Kopfschmerzen bestrafte. An der Naat zugewandten Seite zerrte die Gravitation des Riesenplaneten, was in maßvollem Vulkanismus resultierte. Bei größeren Ausbrüchen entkam glutflüssiges Gestein der Anziehungskraft Peshteers und stürzte auf Naat. Die meisten Brocken verglühten in der Atmosphäre, arkonidische Satelliten zertrümmerten die restlichen. Eine der Segnungen, die die überlegene Zivilisation jener Welt angedeihen ließ, auf der ein Großteil ihrer Soldaten rekrutiert wurde.

Die Station TARRAS'GOLL befand sich auf der planetenabgewandten Mondseite. Ihr herausragendes Merkmal war der zentrale Turm, der sich in Form einer geballten Faust den Sternen entgegenreckte. Auf dem Holo, das die Außenkameras übertrugen, war er gut zu erkennen. Während die Begleitjäger in Wachformation kreisten, zog Sergh da Teffrons Fähre davor herunter und folgte dem Leitstrahl in den geöffneten Hangar.

Gouverneur Ghorn ter Marisol löste den Blick vom Holo. Er erkannte die Fähre jetzt auch durch das Glassitfenster. Nach dem ersten Eindruck hatte sich Sergh da Teffron nicht verändert. Eine der Lektionen, die Ghorn von ihm gelernt hatte, lautete, dass Prunk und Zeremoniell wertvoll waren, um Untergebene zu beeindrucken. Für da Teffron waren sie nur Instrumente, die er benutzte. Sie machten ihm keine Freude. Das Einzige, was Sergh da Teffron überhaupt Freude bereitete, war Macht. Entsprechend funktional sah auch seine Landefähre aus. Ein Standardmodell für Intrasystemflüge. Durch den Verzicht auf ein Transitionstriebwerk war es wesentlich kleiner als beispielsweise die extravagante Jacht des kürzlich eingetroffenen Charron da Gonozal. Die Fähre hatte eine minimale Bewaffnung und Flügel, die sie atmosphärenflugtauglich machten. Ansonsten war sie ein Quader, an den vorn ein spitz zulaufendes Cockpit gesetzt war. Die dunkle Frontscheibe reflektierte das Licht der Scheinwerfer, die den Hangar ausleuchteten.

»Was will die Hand des Regenten bei uns?«, fragte Anga.

»Das hat er nicht gesagt.«

»Warum nicht?«

»Das weiß ich nicht, Schatz.«

Lelia strich über Angas Kopf. »Stör deinen Vater jetzt nicht! Die Hand des Regenten ist deinem Vater keine Rechenschaft schuldig.«

»Aber Papa ist doch der Gouverneur!«

Wenn Lelia lächelte, sah man ihr die hundert Lebensjahre nicht an. Vor allem nicht, wenn sie mit ihrer elfjährigen Tochter sprach. »Dein Vater ist der Gouverneur von Naat. Naat gehört zum Großen Imperium. Sergh da Teffron herrscht über das Imperium und darum auch über Naat.«

»Aber der Imperator herrscht über das Imperium!«

»Der Imperator hat die Macht an den Regenten übertragen, und der Regent hat Sergh da Teffron zu seiner Hand gemacht, als du noch nicht einmal geboren warst. Der Wille der Hand ist der Wille des Regenten, und der Wille des Regenten ist der Wille des Imperators.«

Anga runzelte die Stirn, gab sich aber fürs Erste zufrieden.

Prallfelder sorgten für ein sanftes Aufsetzen der Fähre. Das Außentor schloss sich, Luft strömte in den Hangar. Ghorn sah den Naat an, seinen Ranginsignien nach der Thos'athor. Der Offiziersanwärter rief ein Kommando, woraufhin sich sein Trupp vor der Panzertür versammelte. Die Atmosphärenanzeige wies Arkonnormaldruck aus. Ghorn betätigte das Sensorfeld, das die Tür öffnete.

Im Laufschritt nahmen die Naats ihre Positionen ein. Sie bildeten ein Spalier am Seitenausstieg der Fähre und präsentierten ihre Strahlengewehre. Ghorn wartete zwischen seiner Tochter und seiner Frau.

Auf dem Schott der Fähre prangte das imperiale Wappen: ein Kreis, darin ein Dreieck, an dessen Spitzen die drei Zentralwelten als blaue Punkte dargestellt waren, im Zentrum eine Sonne. All diese Symbole vor einer beinahe fotorealistischen Darstellung von Debara Hamtar, der Galaxis, und das gesamte Konstrukt von einem goldenen Zwölfeck gerahmt. Es glitt hinter den Rumpf, als die Tür aufzischte. Ghorns Herz setzte einen Schlag aus, als die Naats auf die Knie fielen. Da war er: Sergh da Teffron.

Die weiße Uniform hatte er damals nicht getragen, ebenso wenig wie das regenbogenfarbene Cape, das jetzt um seine Schultern lag. Er war unverkennbar gealtert, viel stärker, als Ghorn es in den gelegentlichen Vidaufzeichnungen von den Auftritten der Hand des Regenten bemerkt hatte. Falten hatten sich in sein Gesicht gegraben, der Kopf war kahl. Dennoch hätte schon der erste Schritt auf den stählernen Boden der Station ausgereicht, um jeden Zweifel an da Teffrons Identität zu beseitigen. Er setzte die Füße mit einer unnachgiebigen Härte, wie sie kaum ein Soldat aufbrachte. Dabei bewegte er sich mit herablassender Selbstverständlichkeit, als befände sich dieser Mond nur aus dem einzigen Grund an genau dieser Stelle des Raum-Zeit-Gefüges, dass er seine schwarzen Halbschuhe darauf setzen konnte.

Trotz ihrer knienden Haltung ragten die Naats neben da Teffron auf, als er durch ihr Spalier ging. Hinter ihm folgte eine junge Frau, mager, mit kurzem Haar, aber der Eleganz einer Kristallkatze.

Als da Teffron sie erreichte, knieten auch Ghorn und seine Familie nieder. »Ich bin über die Maßen geehrt von Ihrem Besuch!«

»Das glaube ich«, versetzte da Teffron. Er winkte Ghorn auf die Füße. An seiner rechten Hand schimmerte ein glatter grauer Ring. »Sie haben geheiratet, wie ich sehe.«

Ghorn stellte seine Frau und seine Tochter vor.

»Ich bin sicher, wir werden uns später noch sehen.« Da Teffron entließ die beiden.

Wie früher. Er kommt sofort zur Sache.

»Theta«, stellte sich die junge Frau vor, die zu Ghorns Überraschung bei ihnen blieb. Sie hatte grünen Lippenstift aufgelegt und trug ein weit fallendes, verspieltes Gewand. Demnach war sie sicher keine Soldatin. Vielleicht eine Leibwächterin? Ghorn entschied, dass es ihm gleich sein konnte. Er konzentrierte sich besser darauf, einen kompetenten Eindruck zu machen.

»Die Rekrutierungen laufen wie geplant.« Er ging seinen Gästen voran. »Die Rede des Regenten hat den Kampfesmut der Naats angestachelt. Ich habe zusätzliche Offiziere für die Aushebungszentren angefordert.«

Da Teffron lachte auf. »Die werden sich freuen. Die meisten der verweichlichten Brut würden lieber degradiert werden, als nach Naat zu kommen.«

Ghorn antwortete nicht darauf. Tatsächlich galt eine Versetzung auf die Wüstenwelt als Strafe.

Sie erreichten den Konferenzraum, den Ghorn hastig hatte vorbereiten lassen. Hier könnte er alle Berichte aufrufen, die sie möglicherweise zu sehen wünschten.

Selbstverständlich ließ sich da Teffron in den großen Sessel am Kopfende fallen. »Die echte Strafkolonie ist übrigens Peshteer«, teilte er Theta mit. »Hierher verfrachten wir das Geschmeiß aus allen Teilen des Imperiums. Diejenigen, deren erbärmliche Existenz noch einen minimalen Nutzen bringen soll, bevor sie endlich den Anstand finden zu verrecken.«

»Bergbau?«, fragte Theta.

Da Teffron sah Ghorn auffordernd an.

»Naat und seine Monde dienen militärischen Zwecken. Auf dem Planeten werben wir die Rekruten an, sieben sie aus und geben ihnen den ersten Schliff. Auf den Monden werden sie trainiert, bevor sie den Dienst in der Flotte antreten. Naator bietet die vielfältigsten Möglichkeiten. Hierher nach Peshteer bringen wir diejenigen, die wir zu Einzelkämpfern ausbilden.«

Theta hob die Augenbrauen.

»Man wirft sie irgendwo auf der Oberfläche ab«, ergänzte da Teffron. »Dann arbeiten sie sich durch den Abschaum des Imperiums zu einem Abholpunkt.«

Ungläubig sah Theta Ghorn an.

»So ist es«, bestätigte er seinen Amtsvorgänger. »Damit das Ganze überhaupt einen Sinn hat, rüsten wir die Gefangenen mit leichten Handwaffen aus. Die meisten Spezies wären einem anstürmenden Naat sonst lächerlich unterlegen.«

»Und das lassen sie mit sich machen?«

»Die Gefangenen haben keine Wahl, und die Naats betrachten es als Ehre. Sie gieren ständig danach, ihre Stärke zu beweisen. Wir haben mehr Bewerber für das Einzelkämpferprogramm, als wir aufnehmen können.«

»Wie hoch sind die Verluste?«

»Unter den Naats? Minimal. Sie sind hervorragende Kämpfer.«

Ghorn sah die Befriedigung in da Teffrons Gesicht.

»Unser Problem sind die Fremdweltler. Viele müssen wir nicht nur mit Nahrung und Wasser, sondern auch mit Atemgeräten versorgen. Ständig gibt es Vergiftungen, oft fallen sie übereinander her, und wenn sie einem Naat begegnen, sind sie hinterher unbrauchbar. Ich wurde schon gerügt, weil die Kosten für die Transporte, die den Nachschub an Gefangenen bringen, zu hoch werden.«

Da Teffron lachte. »Ich werde dem Regenten vorschlagen, die Gesetze zu verschärfen, damit wir uns aus näher gelegenen Systemen ausreichend bedienen können.«

Ghorn vermutete, dass das ein Scherz war. Sicher war er sich nicht. »Ich habe unsere Medoabteilung aufrüsten lassen. Wir haben einen Experten für Xenomedizin bei uns.«

»Einen Ara?«

Ghorn unterdrückte ein Seufzen. »Nein, einen Naat. Aber er ist bei den Aras in die Schule gegangen.«

»Ein Naatarzt?« Die Verblüffung auf da Teffrons Gesicht war verständlich. Naats neigten dazu, Schwerverwundete zu töten. Sie verachteten nichts mehr als Schwäche und hatten kaum Verwendung für medizinische Behandlungen.

»Parleen ist ein Ausgestoßener unter seinesgleichen. Was ein Vorteil sein kann. Es sichert seine Treue.«

»Es fällt mir schwer, mir einen Naat mit einem Operationsbesteck vorzustellen. Die einzige Behandlung, die mir bei ihnen in den Sinn kommt, ist die Kopfamputation.«

»Ich werde Parleen gern rufen lassen.«

»Ich will Ihren Tagesablauf nicht stören. Lassen Sie sich nicht von Ihren Pflichten abhalten.«

»Für einen solch hohen Gast ...«

Da Teffron hob die Hand. »Was hatten Sie vor, als wir angemeldet wurden?«

Ghorn entschied, dass es nicht ratsam war, etwas vor da Teffron zu verbergen. Der Mann hatte einen Instinkt für Verfehlungen seiner Untergebenen. »Es gibt einen renitenten Naat auf Peshteer, den ich eigentlich loswerden wollte. Ich habe ihn zwischen den Vulkanen absetzen lassen, unsere Korvette konnte nur mit aktivierten Schirmen landen. Leider weigert er sich zu sterben.«

»Warum haben Sie ihn nicht exekutieren lassen?«

»Er genießt hohes Ansehen bei den Naats. Er stammt aus der Sekamawüste.«

»Ein Nomade also.«

»Die Naats, die sich dem Leben in den Härten der Wildnis stellen, werden von den Stadtbewohnern bewundert«, erklärte Ghorn für Theta. »Wir rekrutieren vor allem in den Städten. Die Nomaden verachten uns für die technischen Hilfsmittel, mit denen wir uns das Leben erleichtern. Sie beachten uns kaum. Wir wissen noch nicht einmal, wie viele sie sind.«

»Und dieser Unruhestifter ist einer ihrer Anführer?«

»Eher eines ihrer Idole. Er war bei der Raumflotte, fünf Jahre, und ist nach seinem Ausscheiden zurück nach Naat gekommen. Er hat sich dem großen Sturm gestellt, zwei Kristallkatzen niedergerungen und einige Räuber erschlagen.«

»Alles löbliche Betätigungen.«

»Seit ein paar Monaten zieht er durch die Städte und schimpft uns Feiglinge, weil wir Gift an den Wasservorräten des Planeten deponiert haben. Eine Strategie, mit der nur Schwächlinge die Kontrolle sichern, sagt er.« Er sah Theta an. »Eine Sicherungsvorkehrung für den Fall eines Aufstands. Wir können jedes größere Wasservorkommen vergiften. Außerdem haben wir Bomben an den Großen Gruben positioniert, in denen ihre Weibchen leben.«

»Das ist eine Geschichte für sich«, sagte da Teffron.

»Es spielt auch hier hinein«, sagte Ghorn. »In gewissen Abständen öffnen sich die Großen Gruben und verströmen Duftstoffe, um die männlichen Naats anzulocken. In einem Ritualkampf, dem Tasbur, streiten sie dann um die Ehre, die Weibchen begatten zu dürfen. Die meisten Gruben locken nur wenige Naats an. Vermutlich bezeichnen die Duftstoffe genetische Kompatibilität. Die Große Grube von Luusok ist eine Ausnahme. Dort scheinen die Weibchen besonders fruchtbar. Jeder männliche Naat ist geeignet.«

»Das ist die wichtigste Große Grube auf ganz Naat!«, ergänzte da Teffron.

»Und das wichtigste Tasbur. Granaar, so heißt der Naat, wollte dort antreten. Ihn zu exekutieren hätte Schwäche bedeutet. Eine feige Art, einen Gegner zu beseitigen, die seine Vorwürfe nur bestätigt hätte. Aber wenn er das Tasbur gewonnen hätte, wäre sein Ruhm noch weiter angewachsen, und noch mehr Naats hätten auf ihn gehört. Also habe ich ihn nach Peshteer bringen lassen. In der Hoffnung, er würde hier endlich verrecken. Leider hat er mir den Gefallen nicht getan. Also wollte ich gerade ein Kommando zusammenstellen, um ihn zu liquidieren. Nur Arkoniden und Roboter, keine Naats. Besser, niemand erfährt davon.«

Nachdenklich drehte da Teffron den Ring an seinem Finger. »Wir werden dieses Kommando begleiten«, verkündete er.

 

Widerwillig bestätigte Sergh den eingehenden Anruf. »Wir haben zwei geeignete Objekte gefunden«, meldete der Offizier. Ein junger Bursche in tadelloser Uniform. Die Tränen der Aufregung konnte er dennoch nicht gänzlich zurückhalten, was Sergh in der Auffassung bestätigte, sich einen soliden Ruf erarbeitet zu haben. »Wir werden etwa zwei Tage benötigen, um sie nach Naat zu schaffen.«

»Ich will mich jetzt nicht mit solchen Kleinigkeiten beschäftigen«, sagte Sergh. »Übermitteln Sie die Details an meine Positronik.«

Gerade noch sah er die Bestätigung des Offiziers, bevor er die Verbindung unterbrach. Wenn der Mann seine Aufgabe gut erfüllte, würde Sergh ihn vielleicht auf einen aussichtsreicheren Posten holen. Weg von dem Wachgeschwader, das die Eisenschürfer schützte.

Die Korvette mit dem Liquidierungskommando setzte zur Landung an. Die Sensoren hatten Granaar an einem Sauerstoffdepot ausfindig gemacht. Ein wenig Luxus konnte sich wohl auch ein Nomade nicht verwehren.

Granaar erwartete sie trotzig, als sie mit ihren Kampfanzügen ins Freie traten. Er war klug genug, nicht vor dem Raumschiff zu fliehen. Energiegeschütze waren stärker als der stärkste Naat.