Impressum

Erika und Jürgen Borchardt

Das sagenhafte Schwerin

Wanderführer für kleine und große Schweriner und ihre Gäste.

Herausgegeben von Erika und Jürgen Borchardt in Zusammenarbeit mit dem Kulturverein Sagenland Mecklenburg-Vorpommern e. V.

Schwerin 2006, erweiterte 2. Auflage

ISBN 978-3-931646-80-6 (E-Book)

EDITION digital®
Pekrul & Sohn GbR
Alte Dorfstraße 2 b
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Gewidmet den Kindern Schwerins, ihren Besuchern aus aller Welt und unserer Enkeltochter Anna

Für die große Unterstützung bedanken wir uns herzlich
bei Berna Bartel, Rainer Blumenthal, Berthild Horn, Angelika Kiehn, Manfred Kubowsky, Dr. Reinhold Kunze, der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern – insbesondere Grete Grewolls, Dr. Andreas Roloff und Annette Skorna für die Hilfe bei den Recherchen, dem Direktor Dr. Rolf-Jürgen Wegener für die freundliche Genehmigung zur Publikation von Reproduktionen aus der Festschrift »Das Schweriner Schloss« (1867), Elfriede und Helmut Muschkelus, Gisela Pekrul, Herbert Remmel, ganz besonders bei Helmut Sander für seine kameradschaftliche und selbstlose Hilfe, bei unserer Tochter Antje Senkel, Ilse Stender, dem Verein der Freunde des Schweriner Schlosses e. V., dem Verein Sagenland Mecklenburg-Vorpommern e. V., Bärbel und Wolfgang Weinert und allen anderen Freunden und Bekannten, die uns mit Rat und Tat zur Seite standen.
Wir bedanken uns bei Susanne und Uwe Balewski. Ihre Hilfe bei diesem Buch war großartig und großherzig.Das sagenhafte Schwerin
Wanderführer für kleine und große Schweriner und ihre Gäste

Erika und Jürgen Borchardt

in Zusammenarbeit mit dem Kulturverein Sagenland Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Zu diesem Buch

Vielleicht mögen Sie Schwerin einmal anders entdecken als in der üblichen Art. Wie wär’s, die Stadt zusammen mit den Kindern oder Enkeln oder mit Ihren Gästen oder Gastgebern zu durchwandern? Dieses Büchlein leitet Sie zu 27 Stätten in der Stadt, zum Schloss und dem ehemaligen Kloster, zum Dom und dem Pfaffenteich, zum Alten Friedhof und dem Ziegelsee, zur Insel Kaninchenwerder und nach Krebsförden Dorf bis hin zur Fähre bei Mueß. Es verbindet dabei Sehenswertes mit Sagenhaftem.

Schwerin ist mit 850 Jahren die älteste Stadt Mecklenburgs. Nicht sehr groß, besitzt sie doch zahlreiche sehens- und erlebenswerte Stätten, Seen inmitten der Stadt und um sie herum; auf einer Insel das Schloss, dessen Einzelbauten aus fünf verschiedenen Jahrhunderten stammen; auf dem Schlachtermarkt einen Brunnen zu einem der längsten Lieder der Welt; eine bedeutende Gemäldegalerie; das weithin anerkannte Staatstheater; am Ran de der Stadt zwei Dorfmuseen; Plätze und Parks zum Spielen, Bummeln und Träumen. Dieses Buch will Sie anregen, zu jenen Stätten zu wandern, an denen vor vielen Jahren Sagenhaftes geschah – und manchmal noch geschieht… Mit Hilfe der Sagen können Sie dies in der Fantasie an den jeweiligen Orten miterleben. Sie werden erkennen: Hier waltet ein einzigartiger Geist, eine Sagengestalt mit so vielen Eigenschaften, wie sie keine andere Figur der deutschen Geistergeschichte aufweist: Der Schlossgeist Petermännchen. Und: Bei uns spukt zwar kein Nessi im Schweriner See, aber ein mindestens ebenso großes und ganz liebes Ungeheuer. Wir haben einen Poltergeist im ehemaligen Kloster, einen geheimnisvollen Schimmelreiter auf der Schelfe, einen wilden Jäger im Mueßer Wald, einen Mann ohne Kopf in Krebsförden, ein gnadenvolles Gerippe auf dem Alten Friedhof und andere Sagengestalten.

Unser Wanderführer leitet Sie nicht allein von einem Gebäude oder Platz zum nächsten, so schön sie auch immer sein mögen, sondern er führt Sie ebenso entlang der Seen, zu Naturbadestellen und Inseln, in zwei Stadtteile, die noch Dorf sind. Weil auch dort Sagenhaftes geschah.

Kurze Erläuterungen zu den Sagenorten und Sagen weisen auf Besonderheiten hin, auf Zusammenhänge auch mit der so reichen Vergangenheit. Das Buch enthält Vorschläge für die Wanderungen. Die Schweriner werden (mit ihren Gästen) aber auch sicher eigene Wege zu den Sagenorten gehen. Auf jeden Fall sind Karten und ein Liniennetzplan des Nahverkehrs beigefügt. Und gastliche Häuser finden Sie überall.

Viel Vergnügen beim (Neu)Entdecken!

Nr. 1 Alter Garten/ Museumstreppe

Wir beginnen unsere Wanderung durch das geheimnisvolle Schwerin hoch oben auf der Museumstreppe am Alten Garten. Hier haben wir einen wunderschönen Rundblick, auf das prächtige Neo-Renaissance-Theater, das altehrwürdige Prinzenpalais (auch Alexandrinenpalais genannt), das Kollegiengebäude (Residenz des Ministerpräsidenten unseres Bundeslandes), auf den Burgsee und dahinter den Schlossgarten, schließlich auf den Schweriner See (der drittgrößte in Deutschland) mit seinem Hafen und den Passagier-Schiffen. Im Verein mit dem ehrwürdigen Museum, das einem antiken Tempel ähnelt, umrahmen sie alle den großen Platz mit der hoch aufragenden Siegessäule vor uns und dem etwas seltsamen Namen Alter Garten.

Das Schloss auf der Burginsel zieht unsere Blicke von Anfang an auf sich, zu Recht, hier sind wir beim Ursprung Schwerins. Und der ersten der Geheimnis umwobenen Stätten bei unserer Wanderung. Schwerin ist zwar die älteste Stadt Mecklenburgs, 1160 gegründet. Auf der Insel aber befand sich einst eine mit Erdwällen und Palisaden befestigte Burg, und die war noch zwei, drei Jahrhunderte älter. Das Schloss steht auf ihren Resten. Und ganz, ganz natürlich gab es und gibt es in solch alten Gemäuern einen Schlossgeist. Die Schweriner nennen ihn Petermännchen. Mehr als tausend Jahre alt soll er sein, manche Leute meinten sogar, das Petermännchen wäre für die Menschen, die hier schon vor zweitausend Jahren lebten, der Lichtgott gewesen. Vieles Andere wird über seine Herkunft gemutmaßt.

Eine Sage ist überliefert, wonach der Schlossgeist ein verwunschener Prinz ist. Wir führen das in jene Zeit zurück, da auf der Insel die Burg stand. Schwerin, damals Zuarin (Tiergehege) genannt, bestand wahrscheinlich aus der Burg auf der Insel, einer Vorburg etwa an der Stelle des heutigen Alten Gartens und einem Tempel auf der kleinen Anhöhe, wo jetzt der Dom steht. Alles andere waren Morast, Wald, Wiese oder Acker.

Der teuflische Fluch des Priesters

Vor tausend Jahren lebte hier und in den Wäldern des westlichen Mecklenburg das slawische Volk der Obotriten. Eines Tages brachen zum wiederholten Male deutsche Krieger in ihr Gebiet ein. Den Sachsenherzog Heinrich den Löwen gelüstete schon seit langem nach diesem fruchtbaren Land. Die Obotriten und ihr König waren der Übermacht nicht gewachsen. Der König brannte die Burg ab und floh mit seinen Getreuen über den See.

Nach ihrem Sieg verboten die Eroberer alles, was ihrer Lebensart widersprach. So war es den Obotriten unter Androhung der Todesstrafe untersagt, die alten Götter anzubeten oder ihnen Opfer zu bringen. Das erschien ihnen frevelhaft. Manch einer ließ lieber sein Leben, als die eigenen Götter zu verraten.

Eines Tages schlich der Königssohn der Obotriten, heimlich wie ein Dieb, zum Tempel. Trotz des Verbotes wollte er seinem Gott huldigen und selbst Trost finden. Da hörte er aus dem Tempelinnern Lärm. Holz splitterte und krachte. Der Prinz, alle Vorsicht vergessend, eilte hinein. Entsetzt sah er, wie ein Christenpriester das aus Holz geschnitzte Bildnis des Gottes zertrümmerte. Da wurden in dem Königssohn Zorn und Verzweiflung übermächtig. Er riss das Schwert aus der Scheide und hieb auf den Priester ein. Der sank blutüberströmt neben dem zerstörten Gottesbildnis zu Boden. Bevor er für immer die Augen schloss, hob er beschwörend beide Hände und stieß einen furchtbaren Fluch aus. Der Priester verdammte den Königssohn dazu, die verachtete Gestalt eines Zwerges anzunehmen. Von dem geisterhaften Leben könnte er nur dann erlöst werden, wenn ein Christensohn sein Schwert von den Blutflecken befreite. Im selben Augenblick, als die Augen des Priesters brachen, verwandelte sich der Prinz in einen Zwerg. Die Blutflecken auf dem Schwert aber wurden zu Rost. Als Geist lebt nun der verwunschene Prinz seit vielen hundert Jahren auf der Burginsel seiner Väter im Schweriner See. Er wartet auf einen unschuldigen Christensohn, der ihn zu erlösen vermag. So mancher mühte sich ernsthaft darum. Bis zum heutigen Tage ist es jedoch noch niemandem gelungen.

Petermännchen ist zwar im Schloss sesshaft, also ein Hausgeist, zugleich aber ist er ein Wandelgeist. Er kann durch die Luft fliegen, hat jedoch auch unterirdische Gänge und eine Wohnung und Schatzkammer im See.

Manchmal ist er ein rechter Spaßvogel, poltert im Schloss herum, neckt die Leute auf allerlei Art und treibt Scherze mit ihnen. Vor allem aber liebt er Gerechtigkeit. Die Guten belohnt er reichlich aus seinem großen Schatz, die Bösen verprügelt er schon mal tüchtig oder bringt ihre Schandtaten anderweitig ans Tageslicht. Dabei macht er sich meistens unsichtbar. Manchmal aber zeigt er sich auch den Menschen, in ganz auffallender Kleidung, um Schönes oder Schlimmes anzukündigen.

Mehr als 300 Sagen, Berichte und Redensarten gibt es über den kleinen Kobold. Petermännchen ist ein so vielfältiger Schlossgeist, wie er wohl kaum noch einmal in der Welt zu finden ist. Wer uns als erster einen auch nur annähernd so vielseitigen Geist nennen kann, sei es aus Deutschland, Europa oder sonst wo in der Welt, der bekommt von uns 100 Euro.

Nr. 2 Schlossbrücke

Die am Eingang zur Brücke stehenden zwei Skulpturen stellen »ihre Schlachtrosse rüstende Obotriten« dar. Hoch über ihnen seht ihr in der Bogenhalle des Schlosses das Reiterstandbild ihres Königs Niklot. Von ihm leiteten die späteren Gebieter Mecklenburgs voller Stolz ihre Herkunft ab. So ist es wahrlich kein Wunder, dass der Schlossgeist Petermännchen als verwunschener Obotritenprinz ein Schutzgeist für Schloss und Fürstenfamilie ist.

Der Trompetenbläser

Als vor etlichen hundert Jahren Feinde die Burginsel erobern wollten, zeigte sich das Petermännchen als wahrer Freund und Beschützer des Fürstenhauses. Die schwer bewaffneten Angreifer kamen heimlich still und leise zu nachtschlafender Zeit auf Pferden angeritten. Die Hufe hatten sie mit dicken Lappen umwickelt. So war das Getrappel nicht zu hören. Die Soldaten der Schlosswache waren wegen der ruhigen Nacht eingeschlafen. Aber der Schlossgeist hatte gewacht und hörte die Feinde. Er weckte die Schlosswache. Gerade noch rechtzeitig konnten die Soldaten die Zugbrücke hoch ziehen. Der Trompetenbläser gab ein lautes Signal und nach kurzer Zeit war die ganze Besatzung auf ihrem Posten. Da standen die Störenfriede nun am anderen Ufer des Burgsees und mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen.

Oft sorgte der Schlossgeist auch dafür, dass alle gewissenhaft und ehrlich ihren Dienst versahen. Manche aber glaubten nicht, dass es das Petermännchen wirklich gäbe und dachten, sie könnten tun und lassen, was sie wollten – solange sie nur nicht erwischt würden. Da hatten sie sich aber verrechnet.

Ein Graubart erzählt

Ein alter Gardegrenadier, der vor 200 Jahren eine lange Zeit im Schloss gedient hatte, erzählte: Es kam öfter im Schweriner Schloss vor, dass das Petermännchen Soldaten weckte, neckte und bestrafte, wenn sie auf Posten schliefen.

Oft nahm der Geist den Schläfern auch die Gewehre aus den Armen, versteckte sie oder schraubte sie gar auseinander und verstreute die einzelnen Teile. Wenn man danach nur ruhig und wachsam blieb, tat das Petermännchen einem auch weiter nichts; wenn man es aber schalt oder wieder einschlief, dann neckte und schabernackte das Männchen die Nachlässigen und Schläfrigen auf alle Art und lachte sie aus oder es gab es allerlei unsichtbare Züchtigungen. Dass alles so wahr wäre, wie er es erzählte, darauf schwor der Graubart Stein und Bein.

Einmal passierte sogar Folgendes:

Ein derber Denkzettel für den Raufbold

Ein Soldat, ein scheinbar unverbesserlicher Raufbold, hatte vor niemandem Respekt. Es war schon des Öfteren vorgekommen, dass er nach einer durchzechten Nacht auf Wache eingeschlafen war. Bis jetzt war alles gut gegangen.

Eines Tages schläft er wieder im Schilderhäuschen auf der Schlossbrücke. Da weckt ihn aber das Petermännchen auf. Es zwickt ihn die Nase und zieht ihn an den Ohren. Der Soldat legt sich aufs Schelten und Toben, wofür er zuerst nur ein paar gelinde Hiebe erhält. Die brachten ihn jedoch nicht zur Vernunft, sondern regten ihn nur noch mehr auf. Mit den unflätigsten Worten verfluchte er den Schlossgeist.

Auf einmal bekommt er etliche sehr schmerzhafte Schläge, auf alle Stellen des Körpers, die meisten auf sein Hinterteil. Hierdurch nur noch mehr erzürnt, schimpft und flucht der wütende Soldat immer ärger. Am liebsten hätte er dem widerwärtigen Geist den Hals umgedreht, aber er kriegt ihn nicht zu fassen und schlägt immer nur in die Luft. Da bekommt er denn so viele, so arge und so derbe unsichtbare Schläge, Maulschellen und Püffe, dass er am ganzen Körper grün und blau und sterbenskrank wurde. Auf längere Zeit musste er ins Lazarett gebracht werden und dort ganz ruhig zu Bette liegen. Hier erst bat er das Petermännchen im Stillen um Verzeihung für die bösen Verwünschungen. Fortan soll der Soldat sein unausstehliches Wesen abgelegt haben.

Nr. 3 Hauptportal

Das Hauptportal des Schlosses ist ein prachtvoller Eingang: Ein Ehrenhof mit Säulenkolonnaden, Nischen zum Gedenken an frühere Burg- und Schlossherren und ein Tor mit Triumphbogen.

Hier vorm Hauptportal fand sich vor mehr als hundert Jahren ein Soldat wie aus tiefem Schlaf erwacht und reich belohnt. Er wusste nicht, dass er beinahe den kleinen Schlossgeist erlöst hätte. Er hatte dem Petermännchen lediglich einen Dienst erweisen wollen.

Das rostige Schwert