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Ulrich Radermacher

Saukerl

Kommissar Alois Schöns erster Fall

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Impressum

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2016

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © bruzzomont / photocase.de

ISBN 978-3-8392-4934-5

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

1. Kapitel

Im Schweinestall herrschte tierischer Lärm. Es war heiß und es stank fürchterlich. Offensichtlich war die Lüftung des landwirtschaftlichen Gebäudes an diesem Sommertag mit den Ausdünstungen und Exkrementen seiner Bewohner überfordert. Hunderte zukünftige Schnitzel, Koteletts, Haxen und Eisbeine scharten sich um Bauer Huber. Ferkel und Muttertiere, Schweine jeder Generation und Größe suchten neugierig die Nähe des Hofbesitzers. Nur der alte Eber schaute sich das Treiben aus der Ferne an. Ruhig stand er in seiner verschlossenen Box.

Eine besonders vorwitzige Sau machte sich daran, den Rücken des Landwirts zu erklimmen. Denn Anton Huber regte sich nicht mehr. Er lag tot in der Mitte des Stalls. Blut rann aus seinem Hinterkopf. Es floss über seine unrasierte Backe über den geöffneten Hemdkragen entlang zum Betonboden, wo es sich mit dem Urin der Borstentiere vermengte. Zwei Spanferkel leckten den roten Saft vom Hals des Verstorbenen. Ob sich die Aufnahme des Menschenblutes durch die Tiere auf den Geschmack der späteren Wurst auswirken würde, interessierte sie nicht. Warum auch? Schweine machen sich keine Gedanken über ihr Leben nach dem Tod. Ob sie als Ganzes oder in Einzelteilen verkauft werden. Und ob sie an der Theke eines heimischen Metzgers oder einer bundesweit agierenden Supermarktkette ihr Lebenswerk vollenden.

Die Tür zum Stall wurde streng bewacht. Alfred Mayerhofer, ein Beamter der örtlichen Polizeiwache, achtete mit Argusaugen darauf, dass niemand den Tatort betreten konnte, bevor die Spurensicherung eintraf. Außer den Schweinen natürlich. Gegen deren Übermacht hatte der Polizeiobermeister nicht die geringste Chance. Zwar hatte man ihn darüber informiert, dass der Huber-Bauer regungslos im Schweinestall liegt. Aber das war noch lange kein Grund, sofort mit einer Hundertschaft anzurücken. Denn von einer blutenden Kopfwunde hatte die Frau, die den Vorfall meldete, kein Wort erwähnt. Ein Herzinfarkt oder ein Schwächeanfall war doch bei diesem Wetter viel wahrscheinlicher. Deshalb hatte Mayerhofer einen Rettungswagen angefordert, ehe er die kurze Strecke von der Wache zum Hof zu Fuß antrat.

Dem erfahrenen Polizeibeamten reichte ein flüchtiger Blick, um festzustellen, dass der Krankenwagen nicht mehr benötigt wurde. Stattdessen verständigte er die Spurensicherung sowie Hauptkommissar Schön in der Hansastraße. »Bringen Sie am besten Ihre Gummistiefel mit«, hatte er dem Leiter der Mordkommission geraten. Zwar hatten die Schweine der Exekutivgewalt umgehend Platz gemacht, jedoch wurde jeder Quadratzentimeter, den der Polizist bei seinem Rückzug wieder freigab, sogleich von einem der Ringelschwänze besetzt. Mayerhofer blieb daher nichts anderes übrig, als auf Verstärkung zu warten. Er entschloss sich, bis zum Eintreffen der Kollegen die Eingangstür zu bewachen und die bisher einzige Zeugin zu befragen. Wobei der Begriff ›lockere Unterhaltung‹ besser gepasst hätte. Denn bei der Frau, die das Verbrechen gemeldet hatte, handelte es sich um eine allseits bekannte Lehrerin der örtlichen Grundschule. Martina Scharf hatte schon die Kinder des Polizeiobermeisters unterrichtet. Man kannte sich also. Von Elternabenden und Sportfesten genauso wie vom Verkehrsunterricht für die 4. Klasse.

Der Polizist musterte die Zeugin von oben bis unten, obwohl er sie schon zigmal gesehen hatte. Eine zierliche, drahtige Person. Von Kopf bis Fuß kein Gramm Fett. Für seinen Geschmack war die Frau zu mager und ihre Arme zu muskulös. Doch für den, der sportliche Damen mag, überaus attraktiv. Blaugrüne Augen, blonder Pagenkopf, nur wenige Falten. Ein hübsches Dekolleté, klein und fest. Ein Nachbarsjunge hatte einmal erzählt, dass seine Lehrerin ihrem Namen alle Ehre machen würde. Sie sei die schärfste Lehrerin an der ganzen Schule. Etwas frühreif für einen Drittklässler, jedoch durchaus zutreffend. Mayerhofer erinnerte sich, dass Frau Scharf einmal erzählt hatte, dass sie in den Osterferien in eineinhalb Tagen von München an den Gardasee gefahren war. Mit dem Fahrrad wohlgemerkt, nicht mit dem Auto. Sie hatte ihm sogar die Anzahl der bewältigten Höhenmeter mitgeteilt, allerdings hatte er diese vergessen.

Mit dem Rennrad war Martina Scharf auch heute auf Achse. Sie hatte es an die Außenwand des Schweinestalls gelehnt.

»Ist das eine Maßanfertigung?«, bewunderte Mayerhofer das gute Stück.

»Kein Unikat, aber natürlich passend auf meine Größe zusammengebaut.«

»Wie lange sind Sie schon unterwegs?«

»Knapp zehn Minuten. Als ich am Anwesen der Hubers vorbeifuhr, hörte ich ein lautes Quieken. Nicht von einem Schwein, sondern der Lärm einer ganzen Horde. Ich fuhr zum Stall und sah den Toni da liegen.«

»Haben Sie den Stall betreten?«

»Nein, die obere Hälfte der Stalltür stand offen. Das reichte, um zu sehen, dass der Toni in Schwierigkeiten war. Bedauerlicherweise hatte ich mein Handy nicht dabei. Also habe ich mich sofort wieder aufs Rad gesetzt und bin zu Ihnen gefahren.«

»Das haben Sie gut gemacht! Haben Sie sonst jemanden auf dem Hof gesehen? Frau Huber vielleicht?«

»Keine Menschenseele.« Martina Scharf hatte bereits eine Hand am Lenker: »Kann ich jetzt weiterfahren?«

»Tut mir leid. Die Mordkommission hat bestimmt noch einige Fragen an Sie.«

»Bitte was?« Die Lehrerin runzelte die Stirn.

»Ich denke, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass Anton Huber erschossen wurde. Hauptkommissar Schön wird gleich hier sein.«

»Das ist ja furchtbar!« Martina Scharf ließ ihr Fahrrad los, um sich mit beiden Händen an der Stallwand abzustützen. Entgeistert starrte sie auf den Boden.

Inzwischen waren ein Gerichtsmediziner sowie die Herren von der Beweissicherung am Tatort eingetroffen. Auf den in München üblichen Leichenbeschauer hatte man verzichtet. Denn eine Schusswunde am Kopf ist kein natürlicher Sterbegrund und ebenso wenig ein Indiz für einen Unfall. Mit vereinten Kräften und vier Kollegen von der örtlichen Wache gelang es, alle Schweine in ihre Boxen zurückzutreiben. Mögliche Ferkel-Schlupflöcher wurden mit Brettern verbarrikadiert. Danach war die Todesursache schnell geklärt. Die Kugel steckte noch im Schädel des Toten. Weitere Details wie Einschusswinkel und genaues Modell der Tatwaffe würden die Experten bei der Obduktion herausfinden. Gottlob war die Leiche von Anton Huber bis auf minimale Bissspuren an Hemd und Hose sowie leichte Abdrücke der Paarhufer unversehrt.

Die Beamten der kriminaltechnischen Untersuchung standen dagegen vor einer ungleich schwierigeren Aufgabe. Der alte Schweinestall und sein Betonboden waren eine echte Herausforderung für die Spezialisten. Zweifelsohne war es ein Leichtes, tierisches von menschlichem Blut zu unterscheiden. Aber brauchbare Spuren zwischen Stroh, Gülle und Futterresten zu finden, war weitaus komplizierter. Außerdem stand zu befürchten, dass die Schweine mit ihrer Schleckerei viele Indizien weggelutscht hatten. Zumal niemand wusste, wie lange der Huber-Bauer bereits in seiner aktuellen Position lag.

Abgesehen davon war nicht ausgeschlossen, dass der Mörder aus sicherer Entfernung geschossen hatte. Wenn der Täter ein guter Schütze war, hätte er den Stall nicht einmal betreten müssen. Und durch die Verwendung eines Schalldämpfers hätte schon das Öffnen einer Sektflasche mehr Krach als dieses abscheuliche Verbrechen verursacht. Wobei mögliche Passanten bei einem derartigen Geräusch auf einem Bauernhof wohl eher von der Fehlzündung eines Traktors als von einem Mord ausgehen würden. Schließlich befindet sich der Huber-Hof in Bayern, wo die Welt und die Kriminalstatistik noch in Ordnung sind.

Alois Schön wollte die Arbeit der Kollegen im Stall nicht stören. Ein kurzer Blick auf die Leiche genügte ihm. Sogar Julia Neubauer, die ältere der beiden Kommissaranwärter, die derzeit in seinem Team ihr Hauptpraktikum absolvierten, war deshalb aufgefordert worden, vor der Stalltür zu warten. Der Leiter der Mordkommission hatte die 23-Jährige gebeten, ihn zum Tatort zu begleiten: »Die meisten Zeugen fühlen sich wohler, wenn ein Mann und eine Frau als Ermittler auftreten. Außerdem sehen vier Augen mehr als zwei.« Denn Kommissarin Natascha Frey befand sich noch im Urlaub.

Als er wieder ins Freie trat, wurde er von Martina Scharf bereits ungeduldig erwartet: »Kann ich jetzt gehen? Meine Kinder warten!« Unruhig schob die Lehrerin ihr Fahrrad hin und her.

»Wir benötigen noch Ihre Aussage.« Alois Schön trat an die Zeugin heran. Mit einem Taschentuch fuhr er sich über seine dunkelblonden Stoppelhaare, um die wenigen Schweißperlen, die sich während seines kurzen Aufenthalts im Stall gebildet hatten, zu trocknen.

Julia blieb dagegen stehen.

»Schon erledigt«, mischte sich Alfred Mayerhofer ein.

»Genau! Also brauchen Sie mich nicht mehr!«

»Kennen Sie den Toten?« Alois Schön sah die Zeugin freundlich an.

»Natürlich. Den Huber Toni kennt doch jeder!«

»Stimmt! Und die Zeugin ebenfalls. Sie ist Lehrerin an unserer Grundschule.«

Der Leiter der Mordkommission hob missbilligend die Augenbrauen, bevor er sich vom Polizisten wegdrehte. Er atmete tief durch, wodurch sich sein trainierter Brustkorb sichtbar weitete. »Konnten Sie erkennen, ob Herr Huber noch lebt?«

»Nein. Ich war ja nicht im Stall. Ich sah den Toni dort liegen und bin daraufhin sofort zur Wache gefahren!«

»Warum sind Sie nicht zu ihm gerannt, um zu helfen? Das können Sie doch sicherlich!«

»Ich dachte, es wäre wichtiger, den Rettungswagen zu verständigen.« Mit ihren herunterhängenden Schultern und den gekreuzten Beinen wirkte die Lehrerin in diesem Moment wie ein Schulmädchen, das zum Direktor zitiert worden war, um einen Verweis in Empfang zu nehmen.

»Haben Sie um Hilfe gerufen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

Martina Scharf antwortete nicht, sondern starrte angestrengt auf ihr Rad. Ihre hageren Finger zerknüllten die ledernden Fahrradhandschuhe wie ein Papiertaschentuch. Wobei ihr Blick auffallend leer war.

Alois Schön traf daraufhin folgende Entscheidung: »Frau Scharf, ich denke, wir sollten uns einmal in Ruhe unterhalten. So schnell wie möglich.«

Die Gesichtszüge der Angesprochenen versteinerten sich mit jedem Wort, das an ihre Ohren drang. Bis die Sätze des Kommissars wieder freundlicher klangen: »Momentan brauchen wir Sie hier nicht. Sie können also nach Hause fahren und sich frisch machen. Jedoch erwarte ich Sie um 17 Uhr bei uns in der Hansastraße! Oder sollen wir Sie abholen, wenn wir hier fertig sind?«

»Nein danke, ich fahre lieber selber.« Die Zeugin schwang sich auf ihr Fahrrad und fuhr davon.

»Wohnte der Tote allein auf dem Hof?«

»Nein, aber scheinbar waren zum Zeitpunkt der Tat alle ausgeflogen.«

»Dann lassen Sie uns die Nachbarn befragen, Kollege Mayerhofer.«

Doch leider war das Haus, das an den Betrieb angrenzte, verwaist. Erst nach einer Viertelstunde kehrte die Nachbarin mit dem Auto zurück. Sie grüßte den örtlichen Polizisten und seine Begleitung freundlich. Schnell erkannte sie, dass man sie sprechen wollte: »Kemmans mit.« Noch im Hausflur beantwortete sie die erste Frage: »Der Anton war die letzdn Wochan alloa. Sei Frau is scho seit a paar Wochan auf da Reha und da Bua seit’m Fasching im Internat.«

»Wissen Sie, in welchem?« Julia schrieb fleißig mit.

»Na. Irgendwo in oaner Privatschui am Starnberger See.«

»Was ist mit der Tochter?«, warf Alfred Mayerhofer ein.

»De wohnt scho seit letzten August in Minga.«

»Haben Sie eine Adresse für uns?«

»Na, aber das sollt’ doch für Eana ka Problem sein!«

»Stimmt«, nickte Alois Schön, »gibt es sonst etwas, was wir wissen sollten?«

»Duad ma leid, i war den ganzen Tag unterwegs.«

»Wo waren Sie denn?«

»Beim Einkaufa in Ingolstadt Village.«

»Können Sie das belegen?«

»Brauch i vielleicht an Alibi?« Argwöhnisch verzog die Bäuerin ihr Gesicht.

»Könnte nicht schaden!«, mischte sich Alfred Mayerhofer abermals ein.

»Heildst du mi für a Mörderin?«

Alois Schön sah, wie die Ader an der Schläfe der Bauersfrau immer dicker wurde: »Ein Kassenbeleg würd’ schon genügen.«

»Wenns mögen, können S’ die gerne zahlen!«, knallte die Frau ein Bündel Papier, das sich vorher in ihrem Portemonnaie befunden hatte, auf den Tisch.

Ruhig nahm Alois Schön einige der Kassenbons in die Hand und betrachtete die Aufdrucke. Diese belegten eindeutig, dass die Nachbarin mehrere Stunden im Outlet-Center verbracht hatte und somit als Täterin nicht infrage kommen konnte.

»War Ihr Hof während Ihrer Abwesenheit völlig verwaist?«

»Abgesehen von unserem Hund und de zwoa Katzn schon!« Die Nachbarsfrau beruhigte sich nur sehr langsam.

»Wo war Ihr Mann? Oder Ihre Angestellten?«

»Mei Mo? Draußen aufm Feld. Alloa. Unsere Polen san scho längst wieder in ihrer Hoamad!«

»Danke. Bitte informieren Sie uns, wenn Ihnen noch etwas einfällt.« Alois Schön legte seine Visitenkarte auf den Tisch. »Wir kommen auf Sie zu, sollten wir weitere Fragen haben.«

»Wenn’s denn sei muass.«

Inzwischen war der Leichenwagen eingetroffen, der die sterblichen Überreste von Anton Huber zur Obduktion in die Rechtsmedizin bringen sollte. Die Schweine verharrten ruhig in ihren Boxen, sodass die Spurensicherung ihrer Arbeit ungestört nachgehen konnte. Alfred Mayerhofer wurde beauftragt, das Alibi des Nachbarn zu überprüfen. Er werde ihm unverzüglich auf dem Feld einen Besuch abstatten, zeigte sich der Polizeiobermeister sehr engagiert.

Anschließend ging Alois Schön mit Julia zu seinem Auto, um in die Hansastraße zurückzufahren. Für die Beamten der Mordkommission gab es hier nichts mehr zu tun. Ihre Gummistiefel hatten sie ebenfalls nicht anziehen müssen.

2. Kapitel

Martina Scharf erschien pünktlich im Kommissariat. Entspannt saß sie auf ihrem Stuhl, als Alois Schön mit Martin den Vernehmungsraum betrat. Nachdem Julia den Chef zum Tatort begleitet hatte, durfte ihr Klassenkamerad die Protokollierung der Zeugenaussage übernehmen.

»Allmächd! Wos mochd die denn hier?«, entfuhr es dem Franken, als er die Lehrerin erblickte.

»Servus, Martin!«

»Ihr kennt euch?«

»Nur flüchdig! Mir habe uns neilich im Kunsdbark Osd ganz nedd underhalde.«

»Das stimmt«, lächelte die Zeugin.

»Möchten Sie, dass ein anderer Kollege für die Protokollführung eingeteilt wird?«

»Nicht nötig, Herr Kommissar. Der Martin macht das bestimmt ausgezeichnet. Außerdem habe ich nichts zu verbergen!«

»Dann erzählen Sie uns bitte noch einmal, wie Sie die Leiche von Herrn Huber gefunden haben, Frau Scharf.«

Die wiederholte, was sie bereits am Tatort erzählt hatte. Dass sie auf ihrer Trainingsrunde am Huber-Hof vorbeigekommen sei und sehr laute Geräusche aus dem Schweinestall vernommen habe. Als sie den Huber-Bauern regungslos im Stall liegen sah, habe sie ihm von der Tür aus zugerufen: ›Toni, was ist los?‹ Doch dieser habe keinen Laut von sich gegeben oder sonst wie reagiert. Daraufhin sei sie sofort zur Wache gefahren. Anschließend habe sie mit dem Mayerhofer draußen vor dem Stall auf das Eintreffen der Kriminalbeamten aus München gewartet. Warum sie nicht in den Stall gelaufen sei oder um Hilfe gerufen habe, wisse sie bedauerlicherweise immer noch nicht. Obwohl sie sich diesbezüglich während der ganzen Fahrt ins Dezernat das Hirn zermartert habe. Das Einzige, was ihr zu diesem Thema noch eingefallen sei, sei der Umstand, dass sie nicht habe erkennen können, dass der Toni tot sei, weil er von Dutzenden von Schweinen umringt war. Erst der Mayerhofer habe ihr gesagt, dass man ihn erschossen habe. »Mehr kann ich leider nicht zur Aufklärung Ihres Falles beitragen, Herr Kommissar«, schloss die Zeugin ihren Bericht emotionslos ab.

»Wann sind Sie von zu Hause losgefahren?«

»Ungefähr Viertel vor zwei. Ich war nicht einmal zehn Minuten unterwegs!«

»Gibt es dafür Zeugen?«

Martina Scharf rückte mit ihrem Stuhl ein paar Zentimeter nach hinten und verschränkte die Arme vor der Brust. Für einen kurzen Augenblick waren ihr Mund und ihre Augen weit geöffnet: »Brauche ich etwa ein Alibi?« Doch schon einige Sekunden später hatte sie sich wieder unter Kontrolle: »Dann habe ich Pech gehabt. Die Kinder waren noch in der Schule, und mein Mann, wie es sich für diese Uhrzeit gehört, in der Firma.«

»Ist nicht so schlimm, Frau Scharf. Aber warum haben Sie überhaupt angehalten?«

»Weil die Schweine so laut waren! Ein ohrenbetäubender Lärm!«

»Trotzdem hätten Sie weiterfahren können. Quiekende Ferkel sind ja nichts Ungewöhnliches auf einem Bauernhof.«

»Richtig, Herr Kommissar. Aber so laut waren sie noch nie. Also wollte ich wissen, was da los ist.«

»Oder gab es noch einen weiteren Grund?«

»Nein«, lächelte die Zeugin, »ich gebe ja zu, dass ich ein neugieriger Mensch bin. Aber das ist doch kein Verbrechen!«

»Stimmt.« Alois Schön nickte freundlich, bevor er das Thema wechselte: »Wie gut kannten Sie Herrn Huber?«

»Ich kenne alle Einheimischen bei uns! Schließlich unterrichte ich seit über 20 Jahren an unserer Grundschule. Außerdem wohnen wir schon eine Ewigkeit im Ort.«

»Dann können Sie uns bestimmt Einiges über die Familie Huber erzählen.«

»Vermutlich nicht so viel, wie Sie sich erhoffen, Herr Kommissar. Wir waren nicht eng befreundet. Man kannte sich halt. Vom Maibaumaufstellen oder unserem Dorffest.« Martina Scharf setzte sich auf ihrem Stuhl ein wenig zurück: »Der Hof existiert bereits seit Jahrzehnten. Schweinezucht, wie Sie gesehen haben. Die Hubers haben zwei Kinder. Die Tochter ist so Anfang 20, der Sohn müsste elf sein. Er kam letztes Jahr aufs Gymnasium.«

»Hatte Herr Huber Feinde?«

»Sieht ganz so aus. Sonst säßen wir beide heute nicht hier!«

»Können Sie das bitte genauer ausführen?«

Martina Scharf antwortete nicht. Sie wich den Blicken des Kommissars aus und beschenkte stattdessen Martin mit einem hinreißenden Lächeln.

»Frau Scharf, jetzt zieren Sie sich nicht so. Wenn Sie möchten, kann ich noch deutlicher werden: Kennen Sie jemanden, dem Sie einen Mord an Herrn Huber zutrauen?«

»Na ja, sein Schweinestall mitten im Ort war so manchen ein Dorn im Auge. Ist ja kein Wunder, so wie es da im Sommer stinkt. Da will ich auch kein Hotel vis-à-vis haben!«

»Der Hotelbesitzer war also nicht gut auf Herrn Huber zu sprechen?«

»Bestimmt nicht. Die beiden wären ihr Lebtag nicht mehr Freunde geworden. Aber den Toni deswegen umbringen? Das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Außerdem könnte es dann der halbe Ort gewesen sein.«

»Kann man denn wegen des Gestanks nichts machen?«

»Scheinbar nicht«, zuckte Martina Scharf mit den Achseln, »wenn Sie es genau wissen wollen, fragen Sie am besten unseren Bürgermeister.«

»Gute Idee, das machen wir. Bitte rufen Sie uns an, wenn Ihnen noch etwas einfällt!«

»Mach ich gerne!« Die Zeugin nahm Schöns Visitenkarte entgegen und verließ schnellen Schrittes das Dezernat.

Bestens gelaunt und braun gebrannt erschien Natascha Frey am nächsten Morgen im Büro.

»Du schaugst fei echt guad aus«, kommentierte Martin ihren Teint.

»Ich hab’ mich ja auch bestens erholt«, lächelte die hübsche Kommissarin. Sie wusste, dass der Franke für sie schwärmte, hielt ihn aber für gewöhnlich mit frechen, provokativen Sprüchen auf Distanz. Nicht nur, weil sie eine Beziehung zu einem Kollegen für unprofessionell hielt, sondern vor allem weil er nicht ihr Typ war: Martin war gerade mal so groß wie sie, also 1,73 Meter, Brillenträger und zwei Jahre jünger als sie und Julia. Abgesehen davon hatte sie von Männern derzeit noch die Nase voll. Ihr letzter Freund hatte sich im Februar verabschiedet, weil sie ihm wegen der Prüfungen auf der Polizeiakademie nicht genügend Aufmerksamkeit schenken konnte. Vermutlich war es besser so, denn dieses Verhalten zeugte nicht gerade von Liebe und Rücksichtnahme. Immerhin hatte das den Vorteil, dass sich ihr Liebeskummer in Grenzen gehalten hatte. Zum Glück hatte die Trennung nicht das Examen beeinflusst, und im Grunde passte die Situation, so wie sie momentan war. Sie genoss ihr Leben als Single und konzentrierte sich voll auf ihre Karriere bei der Kripo. Die Arbeit im Team von Alois Schön, dem sie seit März angehörte, machte ihr Spaß. Aber dieses Kompliment ging runter wie Öl und deswegen schüttelte sie erfreut ihre blonde Mähne.

»Das freut mich, Natascha. Denn es wartet viel Arbeit auf uns. Wir haben einen brandneuen Mordfall!«

Über den aktuellen Sachstand informierte Alois Schön seine Mitarbeiterin auf der Fahrt zum Bürgermeister.

»Uns sind die Hände gebunden!«, kam dieser sofort auf den Punkt. »Landwirtschaft ist ein privilegiertes Vorhaben, und der Hof war zuerst da. Da können Sie nicht so einfach sagen, der Schweinestall muss weg!«

»Hat Herr Huber denn nicht mit sich reden lassen?«

»Er hat darauf spekuliert, dass ihm die Gemeinde das Nachbargrundstück veräußert. Dann hätte er groß bauen können!«

»Warum haben Sie ihm nicht einfach das Grundstück verkauft?«

»Weil er es praktisch geschenkt haben wollte, Frau Frey! Allerdings sind wir als Gemeinde verpflichtet, einen angemessenen Preis zu erzielen. Sonst kriegen wir Probleme mit unserer Rechtsaufsicht!«

»Demzufolge waren also einige Leute im Ort nicht gut auf Herrn Huber zu sprechen«, stellte Alois Schön lapidar fest.

»Kann man so sagen.«

»Als da wären?«

Der Blick des Bürgermeisters schlängelte sich zwischen den beiden Kommissaren hindurch zum Fenster: »Zank und Streit gibt es bei uns häufiger …« Nervös trommelte er mit den Fingern auf seinem Schreibtisch. »… wie in jeder Ortschaft!« Erneut entstand eine kurze Pause: »Aber deswegen bringt man doch keinen um!« Erst jetzt war der Rathauschef wieder in der Lage, seine Gesprächspartner anzuschauen.

»Das Verhältnis zum Hotelbesitzer gegenüber soll nicht das beste gewesen sein.«

»Richtig. Der Gruber Wast hat ja auch am meisten unter dem Schweinestall gelitten. Allerdings hätte er ihn deshalb schon vor Jahren umbringen können!«

»Bei unseren Damen war der Toni sehr beliebt!«, stellte die Sekretärin, die gerade den Kaffee hereinbrachte, mit einem Leuchten in den Augen fest.

»Danke, Frau Roithmeier, ist schon gut«, wiegelte ihr Chef ab. Daraufhin verließ die Assistentin den Raum.

»Was meint sie damit?«

Der Bürgermeister überlegte, bevor er antwortete: »Der Anton war halt ein gestandenes Mannsbild, groß, durchtrainiert, gut aussehend. Darüber hinaus konnte er ausgezeichnet tanzen. Auf so einen steht die Damenwelt!«

»Aber er war doch verheiratet!«, wandte Natascha ein.

»Stimmt. Das war er auch. Allerdings war der Bursche schon in seiner Jugend kein Kostverächter.«

»Würden Sie bitte konkreter werden?«

»Sie müssen mich verstehen, sehr geehrter Kommissar Schön. Ich möchte keine falschen Gerüchte verbreiten oder mir ein Urteil über die Ehe der Hubers anmaßen.«

»Wir ermitteln hier in einem Mordfall!«

»Sie haben ja recht.« Der Gemeindevorsteher tupfte sich die Schweißperlen von seiner Stirn. »Man erzählt sich, dass der Anton mit einigen Frauen im Ort nicht nur geflirtet haben soll.«

»Können Sie Namen nennen?«

»Schöne Augen hat er vielen gemacht, und gerüchteweise hört man von mehreren: Unsere neue Kindergärtnerin soll genauso wie die Wurstverkäuferin aus unserem Supermarkt seinem Charme erlegen sein. Angeblich soll er auch eine Jugendliebe aufgefrischt haben. Aber gesehen habe ich ihn bisher nur mit einer. Rein zufällig auf dem Nachhauseweg vom letzten Dorffest.«

»Was haben Sie gesehen?«

»Na, dass er mit einer Dame, die nicht seine Angetraute war, hinterm Bierzelt rumgeknutscht hat! Und dass er seine Hände da hatte, wo sie nicht hingehören.«

»Jetzt machen Sie es nicht so spannend. Mit wem hat sich Herr Huber da verlustiert?«

Obwohl ihm die Antwort erkennbar schwerfiel, gab es für den Gemeindevorsteher kein Zurück mehr: »Mit Martina Scharf, unserer Grundschullehrerin!«

Alois Schön und Natascha Frey sahen sich wortlos an. Kurz darauf beendeten sie das Gespräch im Rathaus.

Von dort waren es bis zum Landgasthof Gruber nur wenige Hundert Meter, die sie zu Fuß zurücklegten. Die Mitarbeiterin an der Rezeption erklärte, dass der Hotelbesitzer momentan in der Küche unabkömmlich sei: »Bei uns kocht der Chef noch selbst!«

»Ich denke, er wird sich für uns und unser Anliegen die Zeit nehmen. Sagen Sie bitte Ihrem Chef, dass wir in der Gaststube auf ihn warten.«

Keine fünf Minuten später kam Sebastian Gruber in der für diese Berufsgruppe typischen Kleidung an den Tisch der Beamten: Die Hose in Pepita weiß-schwarz, weiße Kochjacke mit halbem Ärmel und dem Emblem des Gasthofes sowie die obligatorische Mütze auf dem Kopf. »Griaß Eahna, wie kon i Eahna heaifa?«

»Wir hätten ein paar Fragen zum Tod von Anton Huber«, legte Alois Schön seinen Dienstausweis auf den Tisch: »Sicherlich haben Sie schon vom Ableben Ihres Nachbarn gehört!«

»Freili hob i des. Im ganzen Ort gibt’s koa anders Thema mehr.« Der Gastwirt stemmte seine muskulösen Arme in die Hüften: »Aber dem Hundskribbe woan i koa Träne noch!«

»Könnten Sie sich bitte setzen, damit wir uns in Ruhe unterhalten können?«

»Na guad. Wenn’s denn sei muss.« Sebastian Gruber hielt für einen Moment inne: »Gebens ma zwoa Minuten. I sog schnell in der Küch’ Bscheid, dass es länger dauert! Bestellns Eahna sich was bei da Bedienung. Geht aufs Haus!«

»Sie ham Glück, dass momentan ned so vui los is«, kehrte er kurz darauf an den Tisch der Beamten zurück.

»Wie laufen die Geschäfte?«, erkundigte sich Natascha.

»Ja mei. Man wurschtelt sich so durch. Is nimmer so einfach, wie es früha amoi woar. Die Leit ham ned mehr so vui Geld, und jeder Sportverein hat seinen eigenen Wirt und seine eigenen Partys. Des gschpüra mi a!«

»Und Ihr Hotel? Läuft’ s da besser?«

»Wo dengan Sie hi? Ein paar Handwerker und Monteure. Oder wolln Sie Urlaub nem an Saustoi macha?«

»Womit wir beim Thema wären«, setzte Alois Schön die Unterhaltung fort. »Wie war denn Ihr Verhältnis zu Anton Huber?«

»Des hob i doch scho g’sagt. Der soll in der Höll’ schmoren. Denn in de Himmi kimmt der nia und nimmer!«

»Sie wissen, dass Sie sich mit solch einer Aussage belasten?«

»Des is mir wurscht. Denn i wars net!«

»Aber ein Motiv hätten Sie!«

»I? Na, wirkli net! Da hätt’ i die Huberin ja mit umbringa müss! Sonst wärn die Fackeln nie wegkemma!«

Diesem Argument konnte Alois Schön nicht widersprechen: »Wie lange kannten Sie denn schon Herrn Huber?«

»Mir waren in derselben Klass’ und haben midanand a Fußball gspuilt!«

»Dann waren Sie früher einmal gute Freunde.«

»Freili. Früha woar der Anton einer meiner besten Spezln!«

Daraufhin erzählte Sebastian Gruber, dass ihm der Tote sogar beim Bau der kleinen Pension, aus der der heutige Hotelbetrieb hervorging, geholfen hatte. Doch dann habe es Streit zwischen den Freunden gegeben, weil sich eine Freundin des Huber-Bauern in den Gastwirt verliebt hatte. Selbst die Tatsache, dass bei Sonja und ihm zwei Jahre später die Hochzeitsglocken geläutet hätten, hätte das zerrüttete Verhältnis nicht kitten können. Der Huber sei halt ein sehr nachtragender Mensch gewesen.

»Und der Schweinestall in Ihrer Nachbarschaft hat die Situation noch weiter angeheizt.«

»Des kennas glaum. Friea hod der ja ned so vui Viecher g’hobt.

Erst als i aus der Pension a Hotel gemocht hob, fing der a an, zu expandieren. Mehrfach hob i ihm a gscheites Angebot gmacht, dass der Stoi wegkimmt. Mehr als der goanze Dreck wert war. Aber der Hundskrüppel wollt’ mir nur oans auswischn. Wegen der Sonja!« Es war unübersehbar, wie der Hals und das Blut in den Adern des Hotelbesitzers anschwollen. Selbst seine Augenlider schienen dicker zu werden.

»Ist Ihre Frau zu sprechen?«, interessierte sich Natascha Frey für zusätzliche Details der privaten Beziehung zwischen dem Toten und der Familie des Gastwirts.

»Die is verreist, zu ihrer Muatter.« Doch die Art und Weise, wie der Gasthofbesitzer antwortete, warf bloß neue Fragen auf. Durchdringende Blicke aus vier in Verhörtechnik geschulten Augen veranlassten ihn, noch schnell, aber leise, hinzuzufügen: »Mir ham in den letzten Wocha a kloane Krise ghabt.« Dabei senkte er den Kopf auf seinem massigen Körper. Sebastian Gruber saß da, als könne er nicht bis drei zählen.

»Hatte Ihre Ehekrise mit Anton Huber zu tun?«

»Ko scho sei«, raunzte er, ohne die Kommissare anzuschauen. Seine Pupillen richtete er weiterhin starr auf den massiven Eichentisch.

»Könnten Sie bitte ein bisschen konkreter werden?« Natascha konnte ebenfalls hartnäckig sein.

»Na. Des geht Eana nix o!«

»Natürlich geht uns das etwas an! Schließlich haben Sie jetzt schon zwei Motive, Herrn Huber umzubringen!«

»I wars aber ned!« Der Hotelier haute mit der flachen Hand auf die Tischplatte.

»Ihr Kaffee schmeckt ausgezeichnet!« Alois Schön nahm erneut einen kräftigen Schluck der schwarzen Brühe, die die Kellnerin serviert hatte. Es war ihm ein Bedürfnis, die Gesprächsatmosphäre abzukühlen, bevor er einen weiteren bedeutsamen Punkt ansprach: »Besitzen Sie eine Waffe, Herr Gruber?«

»Ja freili! Schaun’s Eahna doch amoi um. I bin im Schützenverein!«

Das war unübersehbar. An den Wänden der Gaststube hingen zahlreiche Schützenscheiben, die der Hotelbesitzer gestiftet oder selbst gewonnen hatte. Mal wurde er Brezenkönig, mal Wurstkönig und ein paar Mal sogar Schützenkönig. »Ober mei Gewehre und Pistolen hoab i im Vereinsheim. Und über jede Patrone führ i genau Buach!«

»Das ist vorbildlich!« Alois Schön hatte kein Interesse daran, dass sich Sebastian Gruber länger aufregte: »Ist Ihnen denn gestern etwas auf dem Huber-Hof aufgefallen?«

»Na. Der Hof geht mir om Oarsch vorbei!«

»Der Mord passierte um die Mittagszeit. Sagen wir zwischen elf und 13.30h Uhr!«

»Do bin i in der Küch’ gstandn.«

»Die Schweine müssen ungewöhnlich laut gewesen sein!«

»Des is mir wurscht. Auf dem Hof kann a Bombn explodieren, und des interessiert mi immer no ned!«

»Womöglich hat sich ja ein Hotelgast beschwert?«, hatte Natascha eine neue Idee.

»Na!«

»Sicher? Egal, wir werden Ihre Gäste später selbst befragen!«

»Es is koana mehr da von de Leit. Die san alle gestern abgereist! Und neie Gäst san heit ned kemma!«

Alois Schön erkannte, dass die wirtschaftliche Situation des Hotelbetriebs nicht rosig war. Dennoch reichte ihm diese Aussage nicht: »Danke für Ihre Offenheit. Könnten wir trotzdem noch einen kurzen Blick in Ihre Bücher werfen?«

»Des geht jetzt aber wirkli zu weit!«

»Ihre aktuelle Bilanz und Ihre Kontoauszüge würden uns fürs Erste genügen.«

»Muss des sein?«

»Ja. Es sei denn, Sie ziehen es vor, von uns wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr festgenommen zu werden. Dann warten Sie bei uns in München, bis wir uns einen Beschluss von der Staatsanwaltschaft besorgt haben.«

»Kemmans mit in mei Büro!«

Der kleine Raum platzte aus allen Nähten. An der Wand stapelten sich die Aktenordner im Regal, ein Stuhl stand hinter dem Schreibtisch und einer davor. Das war’s. Der Platz reichte gerade aus, dass man die Tür öffnen konnte, ohne an den Besucherstuhl zu stoßen. Sebastian Gruber musste den Bauch einziehen, um hinter den Schreibtisch zu gelangen. Er öffnete eine verschlossene Schreibtischschublade und knallte einen dünnen Ordner auf den Tisch: »Hier, damit a Ruah is.«

Die finanzielle Lage des Hotelbesitzers erwies sich als äußerst bescheiden. Die GmbH hatte die letzten Jahre so gut wie keine Steuern bezahlt, das Privatvermögen, sofern es nicht als Sicherheit für bestehende Kredite diente, war weitestgehend aufgebraucht. Dennoch hatte die Bank bisher stillgehalten.

»Eigentlich müsste ich Sie festnehmen«, fasste Alois Schön die Ergebnisse der Vernehmung zusammen, »aber ich will noch einmal ein Auge zudrücken, wenn Sie uns versprechen, sich zu unserer Verfügung zu halten und uns zu informieren, wenn Sie München verlassen!«

»Wo soll i denn hi? I ko doch do ned weg!«

»Da warst du heute aber sehr großzügig, Alois«, stellte Natascha auf dem Rückweg zum Auto fest.

»Kann sein. Allerdings müsste ich mich schon sehr täuschen, wenn er der Mörder ist. Trotz oder gerade wegen der vielen Motive, die er hat. Glaub mir, Natascha, wenn der etwas zu verbergen gehabt hätte, wäre er nicht so offen gewesen.« Anschließend griff er zum Handy, um sich von Julia die genaue Adresse von Martina Scharf geben zu lassen. Denn die hatte offensichtlich entscheidende Details bei ihrer Aussage verschwiegen.

3. Kapitel