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Bettina Balàka

Die Prinzessin von Arborio

Roman

Für die einen war das Töten undenkbar, für die anderen war es machbar. Und dann gab es die, die dazwischen standen, die sich in Mörder hineinversetzen konnten, ohne selbst so zu ticken wie sie.

„Ich habe sie fest im Griff“, pflegte Arnold Körber zu sagen, „sie frisst mir aus der Hand.“ Es klang ein wenig, als wäre Zorzi eine Löwin und er ihr Dompteur. Dabei war Zorzi eine kleine, zierliche Frau, die drei Männer ermordet hatte.

Zorzi war Elisabettas Nachname, aber alle Welt verwendete ihn als Kosenamen. Das Restaurant, das sie in Wien eröffnet hatte, hieß Cantinetta Zorzi.

Zorzi war bildschön. Nicht von jener Art Schönheit, wie die Natur sie erfand, sondern wie sie der Arbeit eines hingebungsvollen Schönheitschirurgen zu verdanken war. Er hatte ihre natürlichen Schlupflider entfernt und den Blick aus ihren rehbraunen Augen weit geöffnet. Die Nase hatte er klein und schmal gestaltet, den Mund dagegen voll und prall. Auf Zorzis kindlichen Körper hatte er runde Apfelbrüste gesetzt, die groß genug waren, um Aufmerksamkeit zu erregen, aber nicht so groß, dass sie die Ausgewogenheit ihrer Silhouette gestört hätten.

Die Operationen hatte Bernhard, Zorzis damaliger Lebensgefährte, gewünscht und bezahlt. Zorzi hatte sich Stück für Stück in einen Schwan verwandeln lassen, Verbände getragen, Schmerzen erlitten, sich wochenlang in einsamen Hotels in den Bergen versteckt und war am Ende sehr zufrieden gewesen mit dem Effekt, den sie nun bei Männern hervorrief. Sie konnten den Blick nicht von ihr wenden. Sie hörten ihr zu, wenn sie etwas sagte. Sie hielten ihr Türen auf, halfen in Mäntel, rückten Stühle zurecht, ließen ihr den Vortritt, nahmen ihr alles aus der Hand, was sie trug. Sogar die Kellner in ihrem Restaurant arbeiteten jedes Mal schneller und besser, wenn sie nach einer weiteren OP zurückkehrte. Auch Bernhard fand, dass sich die Investition in jeder Hinsicht gelohnt hatte. Die Cantinetta, die er als Zorzis kleines Spielzeug betrachtet hatte, begann so viel Gewinn abzuwerfen, dass er erwog, seinen Job zu kündigen und als Teilhaber mit einzusteigen.

Doch dazu kam es nicht mehr. So sehr Zorzi ihr eigenes Spiegelbild gefiel, begannen im Laufe der Zeit Zweifel an ihr zu nagen. Gedanken, die sie jahrelang in fest verschlossenen Behältern abgefüllt und weggestellt hatte, begannen zu gären, sprudelten, sprengten die Deckel und quollen überall hin. Es kam so weit, dass sie Tag und Nacht daran denken musste, dass Bernhard mit ihrem Originalzustand unzufrieden gewesen war. Sie konnte nicht mehr schlafen. Sie konnte sich bei der Arbeit nicht mehr konzentrieren. Sie konnte ihr neues Leben nicht mehr genießen, denn immer und immer ging es ihr im Kopf herum: Er hat mich verändern wollen. Er hat mich verändert. Er hat mich nicht so geliebt, wie ich war.

Der Originalzustand war weg, aber auch ihr anfängliches Verständnis für Bernhards Wünsche war verschwunden. Jetzt, wo die Männer sie umbalzten, sie in ihrem eigenen Lokal auf Getränke einluden, ihr Geschenke brachten und jeden erdenklichen Dienst antrugen, musste es doch möglich sein, einen besseren zu finden? Bestimmt gab es einen besseren für sie. Einen, neben dem sie nicht wachliegen musste, weil er sie „Kartoffelnase“ genannt hatte, „schmallippiges Mauerblümchen“, „Mini­titte“ und was nicht alles.

Bernhard machte ihr einen Antrag und Zorzi geriet so in Panik, dass sie ja sagte, nur, damit er die Frage nicht wiederholte. Sie bekam Herzrhythmusstörungen und hatte ein ständiges Würgegefühl im Hals. Als sie abzunehmen begann, traten ihre Wangenknochen noch weiter hervor und ihre Bewunderer bewunderten sie noch mehr. Bernhard schenkte ihr ein protziges Perlencollier. Es stammte von seiner verstorbenen Mutter und sah an Zorzi aus wie ein Würgehalsband.

Die Gelegenheit ihn loszuwerden ergab sich im Urlaub. Sie gingen Bergsteigen im Montblanc-Massiv. Die Franzosen wussten die Schönheit einer Frau zu schätzen und rings um Zorzi summte die Luft von Komplimenten. Bernhards Selbstbewusstsein stieg ins Unerträgliche. Er stellte sie überall als seine Ehefrau vor und wollte, dass sie sich nicht mehr Zorzi nannte, sondern Winkelhuber. Er war voller Energie und voller Kraft. Immer wollte er noch steilere Wege gehen, noch halsbrecherische Touren machen. Anders als Zorzis andere Verehrer sorgte er sich nicht um ihr Wohlbefinden. Wenn sie müde wurde, rief er: „Faulpelz!“, wenn sie Angst hatte: „Feige Nuss!“ Hatte sie Blasen an den Füßen, nannte er es „Tussi-Getue“.

Es war ganz einfach, als er einmal auf einer weit vorspringenden Felsplatte stand. Er breitete die Arme aus, schloss die Augen und schrie: „Ich bin der König der Welt!“ Von hinten berührte Zorzi seinen Rücken, das bemerkte er vermutlich gar nicht, und dann versetzte sie ihm einen ganz leichten Schubs. Bernhards Schrei hallte von den Felswänden wider, aber nur kurz, als hätte er es noch im Fall aufgegeben zu schreien. Zorzi verzichtete darauf, ihm nachzusehen, sie trat ein paar Schritte zurück und lauschte, ob ein Aufschlag zu hören war, aber da war nichts. Es war still und die Welt war leer, sauber und klar. Blitzblauer Himmel. Leichter Wind in den Latschenkiefern. Lautlos kreisende Dohlen. Splittrige Felsen rings um Zorzi und gestochen scharfe Bergketten in der Ferne. Sie setzte sich hin und genoss die Aussicht.

Als ihr beim Abstieg die ersten Leute entgegenkamen, gelang es ihr mühelos, sich in einen Zustand verzweifelter Aufgelöstheit hineinzuarbeiten: „Aidez-moi … è caduto! I can’t see him from above … o Dio Dio …“ Tränen strömten über ihr Gesicht, Schluchzer schüttelten ihren zarten Körper, in ihrer Hand hielt sie das Handy, mit dem sie, wie sie den Fremden erklärte, vergebens versucht hatte, Hilfe herbeizurufen.

Es dauerte zwei Tage, bis man Bernhards zerschmetterten Körper fand, die Dohlen hatten schon an ihm gepickt. Jeder wusste, dass er unvorsichtig gewesen war, sich selbst überschätzt hatte. Es schien absolut glaubwürdig, dass er, wie Zorzi es schilderte, sich zu weit vorgewagt und die Balance verloren hatte. Noch glaubwürdiger schien Zorzis Schilderung ihres Entsetzens, dies mitanzusehen. Wie er plötzlich weg war, einfach verschwunden, wie Zorzi an den Rand der Klippe kroch, um nach unten zu schauen, aber nichts sah als nackte Felsenschlünde.

Arnold Körber schilderte es später so: Zorzi war in einem Ausnahmezustand gewesen. Über Jahre hinweg war sie ihrem Körper und damit sich selbst entfremdet worden. Sie war durch Bernhards ständige Beschimpfungen und Ummodelungen gewissermaßen von ihrer physischen Existenz dissoziiert. Dazu kam die spezielle Situation des sie überfordernden Extrembergsteigens. Ohne Rücksicht auf ihre zarte Konstitution und generelle Untrainiertheit hatte Bernhard sie zwei Wochen lang in immer gefährlichere und anstrengendere Touren getrieben. War es ein Wunder, dass sie die Hand, die ihm den Stoß versetzte, nicht als ihre eigene empfand? War es nicht denkbar, dass sich ein Teil von ihr abspaltete, um diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten? Im Grunde, so Arnold Körber, war es nicht Zorzi, die den Mann in den Abgrund gestoßen hatte, sondern ihr gesunder Über­lebenstrieb.

Das war Jahre später, nachdem Zorzi die Tat gestanden hatte. Niemand hatte Arnold Körber nach seiner Meinung gefragt. Als Kriminalpsychologe war er für Fallanalysen und Profiling zuständig, er beschäftigte sich mit Tätern üblicherweise bis zu ihrer Überführung und dann erst wieder nach ihrer Verurteilung, wenn er sie im Gefängnis interviewte, um ihre Motive und ihr Verhalten für die Analyse zukünftiger Verbrechen besser zu verstehen. Während des Gerichtsverfahrens jedoch, wo es nicht zuletzt um die Feststellung der Schuldfähigkeit ging, war die Einschätzung der Täterpsyche Aufgabe des Gerichtspsychiaters. Aber Arnold Körber konnte Zorzi nicht einfach abgeben, er hatte das Gefühl, dass sie missverstanden wurde und in die falschen Hände fiel.

Nachdem die Untersuchung von Bernhards tragischem Unfall von verständnisvollen Beamten zügig abgeschlossen worden war, kehrte Zorzi als Witwe nach Wien zurück. Schwarz stand ihr gut. Sie genoss die neue Aufmerksamkeit in vollen Zügen. Das Personal der Cantinetta legte sich ins Zeug, um ihr jede Mühe zu ersparen und gleichzeitig den Umsatz zu erhöhen. Zorzis Küchenchef kreierte eine „Insalata di riso Zorzi“, die dem Restaurant eine begeisterte Hommage auf der Gastro-Seite eines Wochenmagazins eintrug.

Da Zorzi mit Bernhard nicht verheiratet gewesen war, konnte sie ihn leider nicht beerben, was sich erwies, als sein Bruder erschien, um das Auto, die Bohrmaschine und die CD-Sammlung abzuholen. Es ging ihr nicht um das Zeug, aber die Ersparnisse, die, wie sie wusste, irgendwo angelegt waren, wären als Entschädigung für den Aufwand, den sie mit ihm gehabt hatte, sehr willkommen gewesen. Sie verkaufte das Perlencollier und war fassungslos, wie wenig es einbrachte.

Beflügelt von dem Besuch des wohlwollenden Gastrokritikers begann Zorzis Küchenchef, traditionelle römische Rezepte, die Graupen und Innereien enthielten, neu zu interpretieren, also in winzigen Portionen anzurichten und Trüffel darüberzuhobeln. Weitere Gastrokritiker ­kamen, die fanden, dass „schöne Römerin“ eine stimmige Assonanz war. Dabei stammte Zorzi gar nicht aus Rom, sondern aus Apulien. Der Respekt, die Stimmung und das Niveau der Gäste stiegen. Zorzi zog wieder bunte Kleider an und binnen weniger Wochen war Bernhard restlos vergessen.

Einer der Gastrokritiker entdeckte, dass Zorzi die Tochter des Schriftstellers Emilio Zorzi war, was sie noch interessanter machte. Emilio Zorzi war kein berühmter Schriftsteller gewesen, allenfalls ein mittelbekannter, phasenweise auch ein in Vergessenheit geratender. Dies hatte ihn verbittert und launisch gemacht. Als er starb, betrauerten Zorzi und ihre Mutter in erster Linie die Tatsache, dass er nicht früher gestorben war.

Zorzi wurde nicht gerne auf ihren Vater angesprochen. Ja, sie hatte ihn bewundert, grenzenlos, wahrscheinlich mehr, als er es verdiente. Aber es war keine angenehme Bewunderung, bei der man auch ein bisschen zurückbewundert wurde. Das Bild, an das sie sich am häufigsten erinnerte, war, wie er in seinem gartenseitigen Studio am Schreibtisch saß, durch die Glastüre auf sie hinausblickte und voller Verachtung den Kopf schüttelte, als hätte sie gerade etwas ganz Dummes gemacht oder als wäre sie splitternackt oder fett oder grauenhaft angezogen. Als sie klein war, musste sie vor der geschlossenen Glastür im Gras spielen, damit ihr Vater ein Auge auf sie haben konnte, während die Mutter im Hotel Delle Palme als Hausdame die Brötchen verdiente. Wenn Zorzi von ihrer Playmobil-Hasenzucht aufsah und ihr Blick sich mit seinem kreuzte, gelang es ihr nur ganz selten, ihm ein Lächeln zu entlocken oder zumindest das verächtliche Kopfschütteln zu verhindern. Sie lernte, dass ihre Erfolgschancen größer waren, wenn sie das Köpfchen schief hielt, das Mündchen vorschob, die Augen weit aufriss. Sie durfte unter keinen Umständen laufen, lärmen, Freunde einladen, winken, zu nahe an die Scheibe herankommen oder gar an sie klopfen. Meistens starrte der Vater an ihr vorbei, da er nach Gedanken suchte, die durch keine heftigen Lebensäußerungen in der Gartenruhe durcheinandergebracht werden durften. Auf seinen Computerbildschirm schaute er nicht so gerne, da dies die Trümmerhalde war, auf der er einen Rohbau nach dem anderen begann und nur selten ein Haus fertig wurde.

Er erwartete, dass Frau und Tochter ansprechend gekleidet und schön frisiert waren, wenn er vom Schaffenskampf erschöpft und verschwitzt zum Abendessen erschien. Wenn ihm danach war, betrank er sich und bezichtigte seine Frau, mit Hotelgästen herumzuhuren. Er selbst hatte sie als Hotelgast kennengelernt, nachdem ihn seinerzeit seine Mailänder Muse vor die Tür gesetzt und er ein vorübergehendes Refugium weit weg von ihr gesucht hatte. Es wurmte ihn, dass eine so ungebildete Person wie eine Hotelhausdame sich so bitten hatte lassen; später warf er ihr vor, sie hätte ihn „eingefangen“.

Arnold Körber las alles, was Emilio Zorzi publiziert hatte, das meiste gefiel ihm sogar. Das große Talent des Schriftstellers bestand darin, Familienverhältnisse anschaulich zu schildern und die kleinen komplexen Verletzungen, die zwischen Ehepartnern, Eltern, Kindern, Geschwistern, Schwägerinnen, Tanten, Neffen, Cousins und Großeltern stattfanden und die Seelenhaut vernarben ließen, luzide zu analysieren. Ein feinfühliger, intelligenter Mensch, dachte der Kriminalpsychologe, wenn auch nicht gerade ein Optimist. Ein Mann, der den Balken im eigenen Auge nicht wahrnahm.

Die Cantinetta Zorzi zog zunehmend Schauspieler und Regisseure an, Rechtsanwälte, Ärzte, Bezirkspolitiker und Journalisten. Der schönen Wirtin gegenüber benahm man sich galant, so mancher versuchte, ihr einen One-Night-Stand abzutrotzen, andere fantasierten gar, ihre Wir-sind-so-lange-zusammen-bis-was-Besseres-vorbeikommt-Frauen gegen Zorzi einzutauschen.

Zorzi interessierte sich nicht für Männer, die viel Publicity hatten. Ihr gefielen Männer, die groß und stark waren und schwere Sachen schleppen konnten, Schränke von Männern, keine Kommoden. Auch Bernhard war ein Schrank gewesen. Hätte er nie ein Wort gesagt, wäre es vermutlich gut gegangen mit ihm. Zorzi sah ein bisschen wie Hayden Panettiere aus und fand, ein Kerl von der Statur Wladimir Klitschkos würde auch sie hervorragend ergänzen. Allzu lange alleine bleiben konnte sie nicht, die Wohnung war leer, das Bett war kalt, die Schulter zum Anlehnen fehlte. Als ihr der Paketbote eines Morgens kein Paket brachte, sondern einen Strauß Ginster, bat sie ihn auf eine Tasse Kaffee herein. Er hieß Jürgen und sie reichte ihm bis zu den Brustwarzen.

„Magst du Ginster?“, sollte Arnold Körber Zorzi Jahre später fragen, als er sie im Gefängnis besuchte und sie das Detail mit den Blumen erwähnte.

„Überhaupt nicht“, antwortete Zorzi, „als ich ein Kind war, hatten wir im Garten Ginster, ist nur ein blöder Strauch.“

„Und doch hast du den Überbringer des Ginsters hereingelassen“, sagte Körber.

„Ja“, sagte Zorzi, „das war ein Fehler. Ich hätte es als böses Omen nehmen sollen.“

Mit Jürgen war es schön. Er wollte, dass Zorzi tauchen, segeln und snowboarden lernte, und sie lernte tauchen, segeln und snowboarden. Er gab ihr Science-Fiction-Romane zu lesen, die er nicht nur für spannend, sondern auch für philosophisch erleuchtend hielt, und sie quälte sich tapfer durch zehnbändige Zyklen.

Zorzi begann vom Mutterdasein zu träumen. Ein hübsches kleines Mädchen wollte sie, das an ihrer Hand in die Cantinetta trippelte, wo die Gäste sich nach ihnen umdrehen und die Kellner zu gurren beginnen würden. Sie würden sich an einen Tisch setzen, die Sonne würde auf die schwarz lackierte Tischplatte scheinen und schimmernde Reflexe hervorrufen, und die braunen, runden Augen der kleinen Emilia würden aufleuchten, wenn man ihr einen Teller mit Profiteroles brachte.

Jürgen dagegen träumte von einem eigenen Segelboot, mit dem sie das ganze Mittelmeer bereisen würden. Kroatien und Sizilien, die Côte d’Azur und die griechischen Inseln, Korsika und Valencia.

„Aber nicht Apulien, oder?“, fragte Zorzi.

„Doch, gerade Apulien“, sagte Jürgen, „ich will deine Mutter kennenlernen.“

Zorzi telefonierte mit ihrer Mutter nur selten, und wenn, dann ging es um die Pasta. Die Mutter hatte nach dem Tod Emilios nie wieder einen Mann gehabt, stattdessen hatte sie ihre ebenfalls verwitwete Schwester zu sich geholt, und die beiden Damen besserten ihre Rente auf, indem sie Pasta für die Cantinetta Zorzi herstellten. Auf der Speisekarte stand: „La pasta famosa delle so­relle Zorzi“. Das war Quatsch, denn Zorzis Tante hieß mit Nachnamen Dragone, und beider Mädchenname war Lampredi, aber hier ging es um Marketing.

Ab und zu kamen Studenten bei dem alten Haus vorbei, die eine Arbeit über Emilio Zorzi schreiben und etwas über ihn erfahren wollten. Die Mutter zeigte ihnen das unverändert belassene Studio mit dem Schreibtisch und dem schönen Blick in den Garten und erzählte Humbug über das idyllische Familienleben mit dem großen Mann.

Zorzi kaufte heimlich ein Segelboot und ließ es zu einer Marina in der Nähe von Triest bringen. Sie bat Jürgen, mit ihr an seinem zweiunddreißigsten Geburtstag in den Süden zu fahren, ohne dass sie ihm Näheres verraten wollte. Dies kostete sie Überredungsgabe und Durchhalte­vermögen in aufgebrachten Streitereien, denn Jürgen war es nicht gewohnt, ihr Entscheidungen zu überlassen, und fürchtete einen Staatsstreich. Während der ganzen Autofahrt war er so wütend, dass Zorzi sich nur mit Mühe zurückhalten konnte, ihm von dem Geschenk, das ihn erwartete, schon unterwegs zu erzählen. Als er schließlich das Boot sah, sagte er, es sei Schrott, sie hätte gefälligst ihn fragen sollen, bevor sie einen Haufen Geld für so einen Kahn hinauswarf. Zorzi brach in Tränen aus, woraufhin er sich beruhigte. Sie machten dann einen schönen Törn bis Dubrovnik und waren verliebter denn je.

Einmal ankerten sie in einer grillenzirpenden, mondbeschienenen Bucht. Ein interessanter Tauchgang lag hinter ihnen, sie hatten gut gegessen und bei einem Glas Wein lockerte sich Zorzis Zunge. Es wäre doch bestimmt auch lustig, meinte sie, als Familie mit ein, zwei Kindern Segelurlaub zu machen. Jürgen lachte: „Meine Babys werden riesig! Und das in so einem Winzling wie dir? Das wäre ja, wie wenn ein Chihuahua Doggenwelpen zur Welt bringt!“ Zorzi wertete das als Einverständnis. Die kleine Emilia begann Gestalt anzunehmen.

Zurück in Wien kaufte Zorzi ein blitzblaues, mit Schmetterlingen bedrucktes Sommerkleidchen für ein zweijähriges Mädchen, dazu einen kleinen Strohhut und eine Kindersonnenbrille mit herzförmigen Gläsern. So sollte Emilia angetan sein, wenn sie an ihrer Hand die Cantinetta betrat und Gäste und Kellner zum Lächeln und Oh-wie-süß-Rufen brachte. Dass es selbst im günstigsten Fall drei Jahre dauern würde, bis das Outfit zum Einsatz kam, kümmerte Zorzi nicht. Sie suchte im Schrank für die saisonal nicht gebrauchte Garderobe nach einem passenden Aufbewahrungsort. Ganz hinten in Jürgens Chaos von zusammengeknüllten Kleidungsstücken fand sie ein Handy, das sie noch nie gesehen hatte. Es war auf Flugmodus gestellt und hatte nur vier Telefonnummern im Adressverzeichnis: Angelika, Bine, Petra, Sharon.

War es das Handy eines ihrer Angestellten, das Jürgen versehentlich in der Cantinetta eingesteckt und mit einem aufgesammelten Kleiderbündel in den Schrank gestopft hatte? Aber Zorzi telefonierte regelmäßig mit allen Mitgliedern ihrer Crew, sie hätte im Adressverzeichnis stehen müssen. War es das Handy eines Gastes? Es war beinahe voll aufgeladen, lange konnte es noch nicht hier liegen.

Sie sah sich die Anruflisten an: Mit Angelika telefonierte der Handybesitzer – oder die Besitzerin – mehrmals am Tag, mit den anderen seltener. Die letzten Gespräche hatten am Vorabend stattgefunden, wo er – oder sie – hintereinander alle vier Frauen angerufen hatte. Davor hatte es drei Wochen lang keine Anrufe gegeben. Als wäre der Inhaber des Handys – oder die Inhaberin – irgendwo abgeschottet gewesen, in einer Entzugsklinik oder im Gefängnis oder an einem der letzten Flecken auf dem Globus, wo es noch keinen Handyempfang gab. Im australischen Outback vielleicht.

Zorzi sah sich die SMS an und stellte fest, dass Angelika sehr verliebt sein musste. Der Handybesitzer allerdings ebenso. Zumindest ging Zorzi nun zu 98% davon aus, dass es sich um einen Mann handelte. Besonders gerne verwendete er die Phrase: „I love you more than I can say.“ Und auch mit Sharon, Bine und Petra gab es wohl prickelnde Stelldicheins. Man titulierte einander mit Darling, Chérie, Snuffi und Mausebär. Dann aber las Zorzi etwas, das auf der Stelle einen hohen, insistierenden Ton in ihren Ohren erzeugte. Eine Art Tinnitus, der auch nicht wegging, als sie heftig den Kopf schüttelte. „Jürgen, Jürgen“, stand da, „du fehlst mir so, kannst du dich heute Abend nicht von deiner Alten loseisen?“

Zorzi begann auf der Stelle, die bereits abgesetzte Pille wieder einzunehmen. Sie machte es sich zur Gewohnheit, Jürgen vor Publikum zu Streitereien zu provozieren. Mit sanfter Stimme sagte sie etwas, von dem sie wusste, dass es ihn aufbrachte, dann schrie er sie an und die Leute schauten besorgt.

Der Tinnitus ging nicht weg. Tag und Nacht hatte sie diesen hohen, elektronisch klingenden Ton im Ohr, der an die Krankenhausmonitore erinnerte, die in Fernseh­serien anzeigten, dass ein Patient gestorben war. Das Zickzack des Herzschlags brach ab, der gleichmäßige Ton des Todes setzte ein. Tagsüber gelang es ihr, mit Lärm und Musik und Stimmen den Ton in den Hintergrund zu drängen, aber nachts stand er alleine da, ein Gespenst auf einer Anhöhe, und das Einschlafen fiel schwer.

Eines Abends überraschte Jürgen sie mit einer Entschuldigung. Er habe, als er das Boot zum ersten Mal gesehen habe, ein Problem damit gehabt, dass sie sich so etwas leisten könne und er nicht. Deshalb habe er so unwirsch reagiert, was ihm nun aufrichtig leid tue. Das Boot sei klasse und Zorzi sei eine klasse Frau. Und dann hob er Zorzis Kinn mit einem Zeigefinger an, sah ihr tief in die Augen und raunte: „I love you more than I can say.“ Der Tinnitus in Zorzis Kopf schwoll an zum Alarmton in einer Fernsehserie über eine Spezialeinheit, die schwer bewaffnete Kriminelle bekämpfte. Code Red.

Sie begann herumzuerzählen, dass sie gestalkt wurde. Ein unheimlicher Mann lauere ihr vor der Wohnung auf und verfolge sie auf der Straße – natürlich nur, wenn sie alleine sei. Einmal habe er sie in einen Hauseingang gedrängt und gefragt, welche Unterwäsche sie trage. „Seide, Spitze? Trägst du einen String? Schwarz, rot oder weiß?“, habe er sie gefragt.

Jürgen wollte wissen, wie der Kerl aussah, und Zorzi sah ihn auf der Stelle vor sich: „Groß, fast so groß wie du. Kräftig gebaut. Schwarze Lederjacke. Eigentlich ganz normal, aber gruselige Augen. Blitzblau, er starrt wie ein Außerirdischer. Zusammengewachsene Augenbrauen.“ Jürgen versuchte dem Auflauernden seinerseits aufzulauern, aber es gelang nicht.

„Der ist geschickt. Der weiß genau, wann ich alleine unterwegs bin“, sagte Zorzi. Mit der Zeit verringerte er angeblich seine Distanz – war er anfangs etliche Meter hinter ihr hergelaufen, atmete er ihr nun direkt in den Nacken.

Eines Tages brachte Jürgen ein Paket, das an Zorzi adressiert war, dessen Herkunft aber weder er noch sie sich erklären konnte. Er unterbrach seine Tour und wartete, bis Zorzi das Paket geöffnet hatte, denn sie hatten beide ein unangenehmes Gefühl. In dem Paket war ein riesiger schwarzer Dildo (Zorzi hatte ihn im Fachhandel besorgt). Daneben lag ein Computerausdruck: „Damit du schon mal weißt, welches Geschenk dich erwartet, meine Braut.“ Zorzi begann zu weinen, Jürgen bekam einen Wutanfall: „Ich mach das Schwein fertig!“ Als er sich wieder beruhigt hatte, wollte er zur Polizei gehen, aber Zorzi erklärte überraschend: „Da war ich schon. Sie haben eine Anzeige gegen unbekannt aufgenommen und gesagt, dass man weiter nichts tun könne. Schließlich können sie nicht jemanden abstellen, der mich rund um die Uhr begleitet.“

„Du warst bei der Polizei? Warum hast du mir das nicht erzählt?“

„Ich hab’s dir doch gerade erzählt. Es war sinnlos. Sie können nichts tun.“

Niemand zweifelte an Zorzis Martyrium. Dass sie viele Verehrer hatte, war bekannt, und dass einer davon ein Psycho war, lag im Bereich der statistischen Wahrscheinlichkeit. Die Art, wie sie sich ständig umblickte, das Auto untersuchte, bevor sie einstieg, sich auch auf kurzen Wegen begleiten ließ, zusammenzuckte, wenn ihr jemand unerwartet an die Schulter fasste – all das waren überzeugende Anzeichen eines chronischen Stalking­opferstresszustandes. Jürgen wunderte sich nicht, als sie ihn bat, ihr eine Waffe zu besorgen. Dennoch riet ihm sein Instinkt zur Zurückhaltung.

„Meinst du nicht, dass das verfrüht ist?“, fragte er.

„Was muss denn noch alles passieren?“, erwiderte Zorzi.

„Naja, er hat dich ja nie körperlich angegriffen. Es geht an die Nerven, klar, aber gleich herumballern?“

Zorzi wartete einige Tage, dann stellte sie sich mit dem Werkzeugkasten vor den Spiegel. Sie nahm einen Hammer und schlug sich damit auf die Stirn. Die ersten Versuche waren erfolglos, nichts als ein roter Fleck war zu sehen. Sie probierte es mit einer großen Rohrzange, kehrte dann aber zum Hammer zurück. Es musste eine Verletzung sein, die auffallend genug war, um von Weitem gesehen zu werden, aber ohne genäht werden zu müssen oder Narben zu hinterlassen. Die sorgfältige Arbeit des Schönheitschirurgen an ihren Augen durfte nicht zuschanden gemacht werden.

Immer wieder schlug Zorzi zu. Es tat weh, der Schmerz verwandelte sich aber schnell in Befriedigung darüber, was sie auszuhalten vermochte. Nach und nach entstanden schöne Schwellungen, Abschürfungen, Blutergüsse. Zur Abrundung rannte Zorzi mehrmals gegen den Türrahmen, um auch an Schulter und Oberarm blaue Flecken zu bekommen. Sie trug wasserlösliche Wimperntusche auf und weinte dann in Gedanken an ihre verlorene Tochter Emilia, bis schwarze Flecken unter ihren Augen verliefen. Sobald ihr der Blick in den Spiegel sagte, dass sie ein hinreichend zerstörtes Bild abgab, räumte sie den Werkzeugkasten weg und legte sich ins Bett, wo sie wartete, bis Jürgen nach Hause kam.

„Er hat mich angegriffen!“, schluchzte Zorzi, als sich Jürgen geschockt über sie beugte. „Er hat mir mit irgend so einem Eisenteil auf den Kopf geschlagen! Er hat versucht, mich zu küssen! Ich hab mich natürlich gewehrt, dann ist er durchgedreht!“ Sie wollte weder zur Polizei noch ins Krankenhaus. Sie wollte eine Waffe.

Am nächsten Morgen waren die Hämatome auf ihrer Stirn zu Hörnern und Wülsten angeschwollen und in den schönsten Farben aufgeblüht. Auf der Straße starrten die Leute sie mitleidig an, was Zorzi genoss. In der Cantinetta war das Entsetzen groß.

„Sag bloß, das hat dir dein Typ angetan?“, fragte Massimo, der Küchenchef, vor versammelter Mannschaft. Zorzi schaltete schnell. Sie senkte den Blick, druckste herum und sagte schließlich: „Ich will nicht darüber reden.“ Zwei Tage lang ließ sie alle in dem Glauben, Jürgen hätte sie verprügelt. Erst als er selbst kam und erzählte, dass der Stalker sie angegriffen habe, bestätigte sie es. Sie sah an den Gesichtern ihrer Angestellten, dass ein leichter Zweifel blieb.

Endlich bekam Zorzi ihre Waffe. Es war eine alte 9-mm-Makarow mit acht Schuss und einem aufschraubbaren Schalldämpfer. Dies kam Zorzi sehr entgegen, sie hasste Lärm. Jürgen hatte die Pistole über zehn Ecken von einem Tschetschenen bekommen, der sie ihm für 200 Euro und ein gebrauchtes Smartphone überlassen hatte.

„Du musst mir zeigen, wie man damit schießt“, sagte Zorzi und Jürgen wusste es, da er beim Bundesheer gewesen war. Sie fuhren in den Wald, schraubten den Schalldämpfer auf, um niemanden zu beunruhigen, und schossen auf Bäume. Jürgen führte ihr vor, wie man lud, entsicherte, die Schusshand stabilisierte, den Rückstoß einkalkulierte, zielte, schoss. Die Waffe war schwer, sie musste knapp ein Kilo wiegen, lieber wäre ihr eine handliche kleine Damenpistole gewesen. Auch das Zielen war schwer, erst nach und nach wurde sie besser, zumindest, was die Bäume anging. Mehrmals versuchte sie, aufflatternde Vögel zu treffen, ohne dass es gelang. Nicht einmal gestreift oder angeschmaucht waren sie, manche flogen so gemächlich weiter, als wollten sie die Schützin verhöhnen.

Doch langsam bekam Zorzi eine Beziehung zu der Waffe. Die Schüsse mit dem Schalldämpfer klangen ganz anders, als sie es aus den Fernsehserien kannte, wo man immer ein ersticktes „Puff!“ hörte. Stattdessen war es ein hohes „Klick“, gefolgt von einem schwachen Echo, das erklang, wenn sie schoss. Das Geräusch war aufregend, weil es so unauffällig war, dass es von einem Uneingeweihten nie für einen Schuss gehalten worden wäre, eher für das Einrasten eines Schlosses. Es verursachte ein Prickeln auf der Haut, und für kurze Zeit war der Tinnitus gelöscht. Die Pistole hatte einen rostbraunen Kunststoffgriff mit einem Sowjetstern darauf, war quasi Vintage. Zorzi stellte sich vor, eine KGB-Agentin zu sein. Und dann stellte sie sich vor, wie es wäre, sich einfach umzudrehen und Jürgen ins Gesicht zu schießen, wie verblüfft er dreinschauen würde, bevor er zusammenbrach.

„Warum hast du ihn denn nicht verlassen?“, sollte Arnold Körber später fragen, genauso wie die Richterin und der Staatsanwalt und Massimo, der Küchenchef, der sie im Gefängnis besuchte. „Warum hast du ihm nicht einfach sein Fremdgeh-Handy auf den Tisch geknallt und gesagt: Verpiss dich!“ Zorzi hatte nicht das Gefühl, dass das eine Option gewesen wäre. Männer waren für sie in ein Haus hineinverkapselte, betonartig angeklebte Wesen, das Äquivalent eines Wespennests. Man konnte zu einem Wespennest nicht einfach sagen: Geh fort. Man musste es mit maximaler Vorsicht, Gründlichkeit und Schonungslosigkeit entfernen.

Nein, es konnte nicht mitten im Wienerwald geschehen, wo der erste Hund eines Spaziergängers die Leiche aufgestöbert hätte, andere Spaziergänger Zorzi vielleicht gesehen hatten und allerlei Unannehmlichkeiten zu befürchten waren. Es musste im Ausland geschehen. Mit dem Ausland hatte sie gute Erfahrungen gemacht.

Bettina Balàka

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Zur Autorin

Bettina Balàka, geboren 1966 in Salzburg, lebt als freie Schriftstellerin in Wien. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, Theaterstücke und Hörspiele. Vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Theodor-Körner-Preis (2004), dem Salzburger Lyrikpreis (2006) und dem Friedrich-Schiedel-Literaturpreis (2008). Bei Haymon erschienen der Erzählband „Auf offenem Meer“ (2010) sowie die Romane „Kassiopeia“ (2012, HAYMONtb 2013) und „Unter Menschen“ (2014). www.balaka.at

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Cover: Inserat 3

Simone verachtet ihre Schwieger-Großmutter – eine Frau, die davon träumt, Adolf Hitler im Jenseits endlich einmal die Hand zu schütteln, und die Simone, der Enkelin eines Widerstandskämpfers, ihre „nicht-arische Physiognomie“ vorwirft. Aber was tun, wenn diese verhasste Ewiggestrige einem am Totenbett ihre Villa vermacht, ein prächtiges Haus mit großem Garten, ideal für eine junge Familie – mit dem einzigen Haken, dass es sich dabei um „arisierten“ Besitz handelt? In der Theorie ist es ja leicht, das Richtige zu tun und die korrekten Einstellungen zu vertreten – aber wenn die Wirklichkeit ihre Fallstricke auslegt, sehen die Dinge schon ganz anders aus … Bettina Balàka erzählt von kleinen Helden und großen Feiglingen, von scheinbarer Freiheit und vermeintlichen Fesseln – und von der absurden Logik der Geschichte.

Bettina Balàka

Auf offenem Meer

Erzählungen

ISBN 978-3-7099-7480-3

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Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
"Für die einen war das Töten undenkbar,..."
Bettina Balàka
Zur Autorin
Impressum
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Sie waren drei große, kräftige Männer, Vertreter behördlicher Autorität, und eine kleine, zierliche Frau, aufgelöst, verstört, in einer traumatischen Lebenssituation. Arnold Körber hatte plötzlich den Gedanken, dass sich Elisabetta Zorzi eingeschüchtert fühlen musste, und Gruppeninspektor Flimminger hatte wohl Ähnliches im Hinterkopf, als er ihr galant den Vortritt ließ.

Die Küche sah aus wie aus einem Katalog, mit dem Unterschied, dass bei Katalogfotos dekorative Objekte eingesetzt wurden, um ein Gefühl der Bewohntheit zu erzeugen, schöne Früchte, bunte Geschirrtücher, ein paar Blumen vielleicht. In ihrem Zuhause war Frau Zorzi der einzige Anziehungspunkt für das Auge, nichts lenkte von ihr ab. Hier sah es aus, als würde selten gekocht, was wohl auch kein Wunder war, wenn man ein Restaurant besaß. Nun fiel es Körber wieder ein: Cantinetta Zorzi. Den Namen hatte er von Raoul Berner gehört, einem befreundeten Anwalt, der sich dort mit dem prominenten Strafverteidiger Rainer Kopetzki getroffen hatte. Dieser war ein Stammgast des Restaurants. Und das, so Raoul, mit gutem Grund. Erstklassige Produkte, Wildschweinschinken, Salsicce, und diese einmaligen Steaks von toskanischen Rindern! Das Beste aber seien die Risotti. Sämig. Cremig. Geschmacksfeuerwerk. Wegen dieser Risotti werde die Inhaberin des Restaurants „Die Prinzessin von Arborio“ genannt. Da begriff Körber: Die Frau, die gerade neben ihm stand, war die Prinzessin von Arborio.

Sie nahm vier große Wassergläser. Dann öffnete sie den Kühlschrank und holte eine Mineralwasserflasche heraus. Körber sah ein paar Gatorade-Flaschen und bekam plötzlich Lust darauf. „Wäre es sehr unverschämt, wenn ich Sie um ein Gatorade bitten würde?“, fragte er.

„Tut mir leid“, sagte Frau Zorzi und machte den Kühlschrank wieder zu, „die brauche ich fürs Training.“ Einen Moment lang genierte sich Arnold Körber für seine Dreistigkeit. Doch irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas war seltsam gewesen. Es waren nur Sekundenbruchteile vergangen, bis Frau Zorzi seine Frage beantwortet hatte, und doch hatte es eine Spur zu lange gedauert. Sie war eingefroren gewesen, als hätte sie die Frage in Schock versetzt. Körber machte die Kühlschranktüre wieder auf und fragte: „Alle fünf Flaschen?“

Es war das erste Mal, dass ihn ihr Verführungslächeln traf. Ihre Zähne waren blendend weiß, weißer, als sie von der Natur gemacht wurden. Gebleacht, dachte Körber.

„Sie müssen für den Rest der Woche reichen“, sagte sie, „eine für jeden Tag. Ich komme nicht mehr zum Einkaufen.“ Nein, da war etwas faul. Das klang nach einer dürftigen Ausrede, Lächeln hin oder her.

„Treten Sie bitte zurück, Frau Zorzi“, sagte Körber. Stankowitsch schaltete schnell, er sprang nach vorne, wies Frau Zorzi, die auf Körbers Aufforderung nicht reagiert hatte, mit einer Geste vom Kühlschrank weg und stellte sich zwischen sie und das Gerät. Körber starrte auf die Gatorade-Flaschen. Stankowitsch zog Einmalhandschuhe aus der Hosentasche und reichte sie ihm. Körber zog sie an und nahm eine der Flaschen heraus. Was stimmte nicht damit? Er konnte nicht erkennen, ob die kleinen Stege, die den Schraubverschluss mit dem Kunststoffring verbanden, durchbrochen waren. Vorsichtig schraubte er den Verschluss auf. Es knackte nicht. Die Flasche war schon geöffnet worden, und doch war sie bis zum Rand gefüllt.

Mit einer plötzlichen Bewegung tat Körber so, als würde er die Flasche zum Trinken ansetzen. Frau Zorzi entfuhr kein Laut. Mit großen Augen stand sie da, an die Anrichte gelehnt, beide Hände an die Arbeitsplatte geklammert, als wolle sie sich gleich von ihr abstoßen. Aber sie rührte sich nicht.

Körber setzte die Flasche wieder ab. Er nahm eine andere aus dem Kühlschrank, öffnete den Schraubverschluss, wieder kein Knacken.

Flimminger, der alles aufmerksam beobachtet hatte, trat nun vor: „Wir müssen Sie leider mitnehmen, Frau Zorzi. Und die Flaschen auch.“

Die kriminaltechnische Untersuchung ergab, dass sich in allen fünf Gatorade-Flaschen eine tödliche Dosis Gamma-Hydroxybuttersäure, kurz GHB, befand, auch als ­K.-o.-Tropfen oder Liquid Ecstasy bekannt. Eine mehrfach tödliche Dosis, um genau zu sein. Der leicht salzige Geschmack der Droge wurde trotz der großen Menge vom ebenfalls leicht salzigen Geschmack des isotonischen Getränkes vermutlich gut kaschiert. Auf allen fünf Flaschen fanden sich Fingerabdrücke von Frau Zorzi sowie von anderen, unbekannten Personen, aber keine von Chuck Baker. Die Polizei durchsuchte das Waldstück, in dem die Leiche aufgefunden worden war, und entdeckte im Buchenlaub eine Sportflasche Gatorade, in der noch etwa ein Drittel der Flüssigkeit enthalten war. Sie hatte dieselbe Zusammensetzung wie die in den Flaschen, die in Frau Zorzis Kühlschrank vorgefunden worden waren, nämlich den Isodrink mit einer kräftigen Dosis GHB. Auf der im Wald sichergestellten Flasche befanden sich sowohl Elisabetta Zorzis als auch Chuck Bakers Fingerabdrücke. Der Sportverschluss der Flasche war geöffnet, sodass man davon ausging, dass Baker wohl in einem Zug getrunken hatte, bis das Gift seine Wirkung gezeigt hatte und ihm die Flasche aus der Hand gefallen war. Er war bewusstlos geworden, kurz darauf musste es zum Atemstillstand gekommen sein.

Sudasch, der Polizeiarzt, war wütend.

„Du hattest keine Chance, diesen Mord zu erkennen“, sagte ihm Flimminger.

„Trotzdem!“, rief Sudasch, „wenn ich auf die Idee gekommen wäre, das Waldstück nach einem vergifteten Isodrink absuchen zu lassen, wäre mir der Irrtum nicht unterlaufen! Aber wer kommt denn auf sowas!“

„Niemand“, beruhigte ihn Flimminger, „ich bin doch auch nicht darauf gekommen. Man kann doch nicht paranoid werden und hinter jedem Todesfall einen Mord vermuten, oder?“

Immer wieder legte man Elisabetta Zorzi nahe, einen Anwalt beizuziehen. Man hatte in der Vergangenheit hin und wieder die Erfahrung gemacht, dass Verdächtige, die einen Anwalt ablehnten, später behaupteten, die Polizei hätte sie dazu genötigt, auf einen Rechtsbeistand zu verzichten. Doch Frau Zorzi wollte keinen Anwalt. „Ich brauche niemanden, der mir sagt, dass ich nichts sagen soll!“, sagte sie. „Ich kann alles sagen, weil ich nichts Falsches getan habe.“