Sanktuarium

Schmutztitel

Mara Laue

© 2013 by Verlag Torsten Low,
Rössle-Ring 22, 86405 Meitingen/Erlingen
Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung und Illustrationen:
Michael Sagenhorn

Lektorat und Korrektorat:
M. Low, F. Low, T. Low

eBook-Produktion:
Cumedio Publishing Services - www.cumedio.de

ISBN (Buch) 978-3-940036-16-2
ISBN (mobi) 978-3-940036-91-9
ISBN (ePub) 978-3-940036-87-2

Inhalt

Sanktuarium

Teil 3 der Ashton-Ryder-Trilogie

von

Mara Laue

1

sie müssen unsere Tochter finden, bitte.« Die Frau rang flehentlich die Hände. »Sie ist in Gefahr, das spüre ich ganz deutlich.« Tränen begannen über ihr Gesicht zu laufen. »Aber die Polizei tut nichts, weil sie erwachsen ist und ihr Freund behauptet, dass sie nur einen Wochenendtrip nach Vegas machen wollte. Er steckt da mit drin. Hat mit ihrem Verschwinden zu tun. Oh bitte!«

Ihr Mann tätschelte ihr die Hand. Eine flüchtige Geste, die ebenso wie seine Miene ausdrückte, dass er die Besorgnis seiner Frau für übertrieben hielt und nur ihrem Drängen nachgegeben hatte, eine Privatermittlerin einzuschalten, weil sie sonst keine Ruhe gegeben hätte.

Sam kam um ihren Schreibtisch herum, ergriff die Hand der Frau und drückte sie fest. »Mrs. Jackson, wir finden Ihre Tochter. Das verspreche ich Ihnen.«

Mrs. Jackson sah sie vertrauensvoll an. »Deshalb haben wir uns an Sie gewandt, Miss Tyler. Sie stehen in dem Ruf, jeden zu finden.«

Sam lächelte. »Bis jetzt ist mir noch keiner entkommen.«

Ashton Ryder schmunzelte. Nicht nur wegen Sams flapsiger Formulierung, die inhaltlich vollkommen der Wahrheit entsprach, sondern auch, weil das Ehepaar Jackson nicht die geringste Ahnung hatte, in welcher Gesellschaft sie sich befanden: dass die Inhaberin der renommierten Clevelander Detektei Tyler & Roscoe eine leibhaftige Dämonin war – ein Sukkubus, der sich vom Sex ernährte. Dass ihr Partner Nick Roscoe, der lässig in der Fensterbank saß, ein Werwolf war und Molly Spring, die hübsche Sekretärin im Vorzimmer, ein als Mensch getarnter Dienergeist. Ashton selbst war ein Vampir. Die einzigen Menschen hier außer den Jacksons waren Melissa Clark und Jerry Kendall, die beiden Praktikanten.

Mrs. Jackson reichte Sam ein Foto ihrer Tochter. »Das ist Cindy. Sie studiert Musik. Und die ist ihr so wichtig, dass sie ganz sicher keinen Wochenendtrip unternommen hat. Nicht vor einer wichtigen Prüfung. Und erst recht nicht nach Las Vegas. Sie kennt dort niemanden und hasst Vergnügungen der Art, wie sie dort geboten werden.«

Sam nahm das Foto und setzte sich wieder. »Sie erwähnten einen Freund. Was ist das für ein Typ.«

»Jordan Porter. Und er verursacht mir eine Gänsehaut.«

Mrs. Jackson rieb sich die Oberarme. Unsicher blickte sie von Sam zu Nick und warf auch Ashton einen kurzen Blick zu. Offenbar spürte sie, dass diese drei anders waren.

»Ach komm schon, Linda.« Ihr Mann machte eine ungeduldige Handbewegung. »Jordan ist doch ein guter Junge.«

»Er ist böse! Aber das glaubst du mir ja nicht. Niemand glaubt mir, weil er ein perfekter Blender ist und alle täuscht.« Sie brach wieder in Tränen aus.

Sam reichte ihr ein Taschentuch aus einer gut gefüllten Spenderbox auf dem Schreibtisch. Molly Spring kam herein.

»Mr. Jackson, darf ich Sie bitte einen Moment entführen? Ich brauche Ihre Unterschrift auf dem Vertrag und Ihre Kreditkartennummer für die Abbuchung.«

Jackson war froh, den Raum verlassen zu können und ahnte nicht, dass er in Wahrheit weggelockt wurde, weil Sam mit seiner Frau ohne sein Beisein sprechen wollte.

Ashton arbeitete seit einem Dreivierteljahr mit Sam und Nick zusammen und hatte während dieser Zeit ein Gespür dafür entwickelt, wann Sam Magie anwandte. Er hatte die magische Kommunikation als ein leichtes Kribbeln auf der Kopfhaut gefühlt, mit der Sam Molly instruiert hatte.

Sam wartete, bis der Dienergeist die Zwischentür zum Vorraum geschlossen hatte, ehe sie Mrs. Jackson freundlich ansah. »Sie sind latent hellsichtig, nicht wahr? Sie spüren Dinge, die andere Leute nicht wahrnehmen und haben manchmal Vorahnungen von Ereignissen, die dann genauso eintreffen.«

Linda Jackson blickte sie unsicher an. Ashton konnte riechen, dass sie Angst bekam. Auch Sam merkte das. Und erst recht Nick, dessen Wolfsnase mindestens so fein war wie die eines Vampirs.

»Mit uns können Sie offen sein, Mrs. Jackson. Wir wissen um diese Phänomene und halten Sie ganz sicher nicht für verrückt. Was nehmen Sie wahr, wenn Sie diesen Jordan sehen?«

»Finsternis«, platzte es aus ihr heraus. »Als ob sein ganzer Körper in einen schwarzen Schleier gehüllt wäre. Wenn er lächelt, ist das nicht echt. Er ist gierig. Er ...« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe das Gefühl, dass er das Leben aus jedem raussaugt, den er berührt. Aber Cindy sieht das nicht, spürt das nicht. Sie ist völlig fasziniert von ihm. Als ich ihr meine Beobachtung – Befürchtung mitgeteilt habe, ist sie wütend geworden und noch am selben Tag zu ihm gezogen. Das war vor einer Woche. Und jetzt ist sie verschwunden, und er behauptet, sie wäre mit Freunden nach Vegas geflogen – ohne ihn, ihren angeblichen Freund. Das stimmt doch vorn und hinten nicht.« Sie rang die Hände und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern, als sie weitersprach. »Ich ... ich glaube, Jordan könnte der Mondscheinkiller sein. Und heute ist Vollmond, und...« Sie weinte herzzerreißend.

Sam hockte sich neben ihren Sessel und legte tröstend einen Arm um ihre Schultern. Wieder fühlte Ashton, dass sie Magie anwandte, um die Frau zu beruhigen. Sie tat aber noch etwas anderes, das er jedoch nicht benennen konnte.

»Mrs. Jackson, gehen Sie nach Hause und überlassen Sie die Sache uns. Wir finden Cindy. Mein Wort darauf.«

Die Frau entspannte sich etwas und blickte Sam eindringlich an. »Ich fühle, dass sie noch lebt. Aber ...« Sie schüttelte den Kopf. »Bitte beeilen Sie sich. Sonst überlebt sie diese Nacht nicht. Das weiß ich.«

»Wir beeilen uns.«

Jackson kehrte zurück. Seine Frau erhob sich und ging ihm entgegen. Dank Sams Magie hatte sie sich wieder vollkommen gefasst. »Fahren wir nach Hause, Charles, und lassen wir Miss Tyler und ihre Leute ihre Arbeit tun.«

Charles Jackson war sichtbar verblüfft über den Wandel im Verhalten seiner Frau von Beinahehysterie zu vernünftiger Ruhe. Aber er hatte nicht vor, dem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen. Er legte den Arm um ihre Schultern, verabschiedete sich und verließ mit ihr die Detektei.

Sam winkte Jerry und Melissa näher zu kommen. »Jetzt offenbare ich euch das Geheimnis meines hundertprozentigen Erfolges, was das Aufspüren von Leuten betrifft. Man nennt es einen Suchzauber.«

Sie breitete einen Stadtplan auf ihrem Schreibtisch aus, schnippte mit den Fingern und flüsterte ein Wort in der Sprache der Dämonen. Ashton wusste, dass beides nur Show war. Sams Magie wirkte völlig ohne solche Gesten und erforderte nur selten tatsächlich ein gesprochenes Wort, soweit er wusste.

Auf dem Stadtplan blitzte ein Punkt auf, der gleich darauf schwarz wurde. »Und da ist sie.« Sam klang ausgesprochen zufrieden.

»Wow!«, entfuhr es Jerry. »Womit verdienen Sie eigentlich Ihr Geld, wenn das alles so schnell geht? Sie berechnen Ihren Klienten wohl kaum die vereinbarten fünfhundert Dollar pro Tag für die paar Sekunden Arbeit.«

Sam grinste. »Schlimmer. In manchen Fällen berechne ich denen sogar eine ganze Woche Arbeit für die paar Sekunden. Plus Spesen.«

Sowohl Jerry wie auch Melissa blickten Ashton fragend an, ob Sam die Wahrheit sagte. Die beiden Menschen hatten ihr Praktikum erst vor einer Woche begonnen und es bis jetzt nur mit profanen Fällen zu tun gehabt, die nicht den Einsatz von Sams speziellen Talenten erforderten. Oder die von Nick und Ashton.

Die beiden Menschen standen auf der Gehaltsliste von PROTECTOR Inc., einer renommierten Detektei mit bestem Ruf und Zweigstellen im ganzen Land, deren Zentrale sich in London befand. Hinter der Fassade privater Ermittlungen verbarg sich jedoch eine Organisation von Jägern, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, die Geschöpfe der Finsternis aufzuspüren und zu vernichten. Zu denen hatten noch bis vor knapp zwei Jahren auch sämtliche Vampire, Werwölfe, Hexen und natürlich Dämonen gehört. Bis dahin hatte niemand bei PROTECTOR gewusst, dass die Anderswesen, wie sie sich als Abgrenzung zu den Menschen selbst bezeichneten, überwiegend friedlich und unerkannt unter ihnen lebten.

Nur die Verbrecher, die die strengen Gesetze ihrer jeweiligen Art missachteten, tauchten auf dem Radar der Jäger auf. Die anderen hielten sich bedeckt. Da PROTECTOR deshalb von deren Existenz nichts gewusst hatte, war die Überzeugung entstanden – schon vor ihrer Gründung im Jahr 1848 –, dass jeder Vampir, Werwolf, Dämon und sonstiges Anderswesen eine tödliche Gefahr für die Menschen darstellte und deshalb unterschiedslos vernichtet werden musste.

Ashton selbst hatte zehn Jahre lang für PROTECTOR Vampire gejagt, um den Tod seiner Frau an ihnen zu rächen und ihren Mörder zur Strecke zu bringen. In seinem blinden Hass hatte er am Ende nicht nur einen Wächter als vermeintlich Schuldigen ermordet. Dessen Geliebte hatte sich ihrerseits an Ashton gerächt, indem sie ihn in einen Vampir verwandelt hatte, ehe sie Selbstmord beging. Was für ihn persönlich zunächst die schlimmste Katastrophe seines Lebens war – als das existieren zu müssen, was er zu dem Zeitpunkt am meisten hasste –, hatte sich am Ende in gewisser Weise als Glücksfall für nicht nur die Vampire, sondern auch für PROTECTOR erwiesen.

Dadurch, dass er von den Wächtern gezwungen wurde, sich dem Leben als Vampir anzupassen, waren ihm Dinge offenbart worden, die er nie für möglich gehalten hatte. Unter anderem die Erkenntnis, dass die Vampire strenge Gesetze hatten, die es ihnen strikt verboten, sich an Menschen oder ihren Tieren zu vergreifen. Und dass sie in den Wächtern eine eigene Polizeitruppe besaßen, die über die Einhaltung dieser Gesetze wachte und jeden unnachsichtig richtete, der sie brach.

Nachdem er erkannt hatte, dass die Wächter und die Jäger im Grunde genommen dasselbe Ziel verfolgten, hatte er sich dafür eingesetzt, dass ein Waffenstillstand geschlossen wurde. Aus dem war nur wenig später eine Allianz entstanden, an der nicht nur die Wächter der Vampire beteiligt waren, sondern auch die der Werwölfe und der restlichen magischen Gemeinschaft. Inzwischen funktionierte die Zusammenarbeit ähnlich wie Interpol.

Sam war zwar keine Wächterin, aber die meisten ihrer wirklich guten Freunde gehörten dazu. Nicht nur deshalb arbeitete sie manchmal mit ihnen zusammen. In jedem Fall hatte sie maßgeblich dazu beigetragen, die Katastrophe abzuwenden, die vor einem Jahr über Menschen und Anderswesen in Gestalt der finsteren Vampirgöttin Yassarra hereingebrochen war und die die Allianz beinahe wieder zerstört hatte. Sam leistete seitdem auf ihre Weise Vertrauensaufbau, indem sie PROTECTOR angeboten hatte, jeden ihrer Jäger für eine gewisse Zeit als Praktikanten in ihrer Detektei zu beschäftigen und ermöglichte ihnen auf diese Weise Einblicke in die magische Gemeinschaft, die sie sonst nie erhalten würden.

Cecil Tremaine, oberster Chef von PROTECTOR, war der Erste gewesen und hatte volle drei Monate in der Detektei gearbeitet, ehe er danach die ersten seiner Leute geschickt hatte, die seitdem zu zweit oder zu dritt mindestens einen Monat lang blieben. Ashton hatte sich während Tremaines Praktikumszeit von der Detektei fern gehalten. Nach allem, was er getan hatte, brachte er es nicht über sich, seinem ehemaligen Chef unter die Augen zu treten. Zu groß war seine Scham.

Zum Glück wussten die Praktikanten nichts von seinem Absturz, der ihn buchstäblich in die Hölle geführt hatte. Sie wussten nur, dass Ashton PROTECTORs bester Jäger gewesen war, ehe er aus »persönlichen Gründen« gekündigt hatte und von New York nach Cleveland in Sams Detektei gewechselt war. Deshalb war er für Jerry und Melissa eine Autoritäts und vor allem Vertrauensperson, obwohl sie selbst seit Jahren erfahrene Jäger waren. Darum versicherten sie sich jetzt bei ihm stumm rück, dass Sam sie nicht auf den Arm nahm. Trotz der neuen Firmenpolitik der Verbrüderung mit zumindest dieser Dämonin, trauten sie ihr gewohnheitsgemäß nicht allzu weit.

»Das tut sie«, bestätigte er Melissas und Jerrys unausgesprochene Frage. »Einem wirklich reichen Sack hat sie mal zehn Tage und einen Haufen Spesen berechnet für das Auffinden seiner Tochter, das sie«, er deutete auf den Stadtplan, »nur ein paar Sekunden gekostet hat.«

»Weil ich als angeblich durch und durch menschliche Detektivin natürlich den Schein wahren muss«, kam Sam dem Protest der beiden zuvor, dass das unmoralisches Abzocken wäre. »Wenn wir in Fällen, in denen die Polizei schon seit Tagen oder Wochen erfolglos ermittelt hat, innerhalb einer Stunde mit einem Ergebnis aufwarten, werden nicht nur die Klienten misstrauisch, sondern auch die Cops. Ganz schnell würden wir in Verdacht geraten, mit dem Verschwinden der Gesuchten etwas zu tun zu haben, weil wir die vermissten Personen sonst kaum so schnell hätten aufspüren können. Also lasse ich eine angemessene Zeit verstreichen, ehe ich den Klienten das Ergebnis liefere. Wie ihr aber sicher schon mitbekommen habt, knöpfen wir nur denen den vollen Preis ab, die ihn sich leisten können. Anderen gewähren wir einen Minipreis und Miniraten, und in Härtefällen arbeiten wir auch mal umsonst. Den Ausfall holen wir uns dann vom nächsten betuchten Klienten.«

Melissa verzog das Gesicht. »Klingt beinahe wie Robin Hood. Aber Sie sind doch eine Dämonin.« Ihre Stimme klang misstrauisch.

Sam grinste. »Es gibt eben Dämonen und Dämonen. Nicht zu vergessen: Dämonen. Unter uns existieren unzählige verschiedene Spezies – mehr als es Völker auf der Erde gibt – und natürlich auch unterschiedliche Charaktere. Einige wenige sind nach menschlicher Definition sogar ›gut‹. Zumindest nicht schlechter als jeder normale Durchschnittsmensch. Mein Blutsgefährte Axaryn zum Beispiel ist ein Erzdämon und trotzdem ein Wächter.« Sam blickte die beiden Menschen eindringlich an. »Um eben solche Dinge zu lernen und vor allem zu differenzieren, seid ihr hier.«

»Du hast, als du Mrs. Jackson vorhin beruhigt hast, noch etwas anderes Magisches getan.« Ashton blickte sie fragend an.

Sam nickte. »Ich habe ein paar Luftelementare beauftragt, Cindy Jackson zu beobachten und mir unverzüglich zu melden, falls sie in akuter Gefahr schwebt.«

»Luftelementare?« Melissa schüttelte den Kopf. »Was ist das nun wieder?«

»Elementarwesen. Eine Art Minigeister, die in den Elementen Luft, Feuer, Wasser und Erde leben. Sie bestehen aus diesen Elementen und sind ein Teil von ihnen. Sie existieren überall um uns herum.«

Melissa sprang erschrocken auf und blickte sich um. »Sind sie etwa hier?«

Sam grinste. »Unter anderem. Ich sagte doch, sie sind überall. Allein in diesem Raum befinden sich zurzeit an die Hundert Luftelementare, ungefähr ebenso viele Erdelementare und einige wenige Feuer und Wasserelementare.«

»Kann man sie sehen?«

»Natürlich nicht.« Jerry verdrehte die Augen. »Andernfalls wären sie dir wohl schon aufgefallen.«

»Leute, die wie ich über magische Sicht verfügen, können sie sehen.« Sam pochte auf den Stadtplan. »Zurück an die Arbeit. Mir gibt der Ort zu denken, an dem sich Cindy befindet. Baumanns Recycling Center. Kein Ort, an dem eine Musikstudentin sich um diese Zeit normalerweise aufhält.«

Nick, der die ganze Zeit hinter ihr halb auf der Fensterbank gesessen hatte, ging zu seinem Schreibtisch, der im rechten Winkel an Sams grenzte, und tippte etwas in den Computer. Der Werwolf war ein schweigsamer Mann, aber ein extrem guter Beobachter. Ihm entging kaum etwas.

»Jordan Porter ist kein unbeschriebenes Blatt«, sagte er nach einer Weile. »Abgesehen von verschiedenen Strafzetteln hat er ein paar Strafen wegen Drogendelikten bekommen, aber nichts Ernstes. Weitere Auffälligkeiten gibt es nicht. Zumindest keine, die der Polizei bekannt wären.«

»Haben Sie etwa Zugang zu den Polizeiakten?« Jerry blickte Nick mit großen Augen an.

Der Werwolf grinste. »Mein Cousin Vin Bennett, der Lieutenant beim Homicide Department ist, hat mir sein Passwort verraten und nimmt alle Anfragen, die wir damit tätigen, auf seine Kappe, falls jemand sie entdeckt und rückfragt.«

Sam streckte die Hand aus und hielt im nächsten Moment eine goldgefasste, polierte schwarze Steinscheibe darin. »Dann finden wir doch mal raus, was die Polizei nicht weiß.«

Sie hauchte ihren Atem auf die Spiegelfläche und sprach ein Wort der Macht. Die Spiegelfläche wurde heller und waberte wie Nebel, ehe sie wieder ruhig wurde. Melissa und Jerry reckten den Hals, um zu sehen, was der Spiegel zeigte. Doch was immer es war, es blieb für menschliche Augen unsichtbar. Ashton dagegen erkannte, was sich im Spiegel zeigte, ebenso Nick.

»Kallas Blut!« Sam legte den Spiegel zur Seite. »Mrs. Jackson hat recht: Jordan Porter ist der Mondscheinkiller.«

»Das passt«, stellte Nick fest, der wieder etwas im Computer überprüfte. »Porter ist vor einem halben Jahr nach Cleveland gezogen. Am darauf folgenden Vollmond gab es die erste Leiche. Und seitdem an jedem Vollmond eine weitere. Ich wette, Jordan Porter ist nicht sein richtiger Name. Ein Serienkiller fängt nicht Knall auf Fall eine solche Mordserie an. Er übt vorher. Wahrscheinlich hat er schon früher auf ähnliche Weise gemordet.«

»Und Cindy soll sein nächstes Opfer werden.« Sam griff zum Telefon, wählte eine einprogrammierte Nummer und schaltete den Lautsprecher ein.

»Was gibt es, Sam?« Die Männerstimme klang gehetzt.

»Wir wissen, wo der Mondscheinkiller steckt, Vin. Er bereitet gerade den Mord an seinem nächsten Opfer vor. Garfield Heights, Chaincraft Road. In einem Lagerhaus von Baumanns Recycling Center nahe dem Garfield Park.«

»Scheiße!« Vin Bennett stöhnte unterdrückt. »Ich kann mich nicht darum kümmern, Sam. Ich bin unterwegs nach Hause. Du weißt, ich muss dort sein, bevor der Mond aufgeht.«

»Der geht erst in einer guten Stunde auf. Bis dahin haben wir es hinter uns, wenn wir uns beeilen. Deine Partnerin Claire ist noch nicht soweit, dass sie das allein durchziehen kann. Außerdem fehlt ihr noch die Autorität. Also schwing deinen Arsch mitsamt der Ärsche deines Einsatzteams nach Garfield Heights. Wir begeben uns schon mal vor Ort und sorgen dafür, dass das Opfer am Leben bleibt.«

»Verdammt, Sam, du weißt genau, dass ich es dann nicht vor Mondaufgang nach Hause schaffe.«

»Und du weißt genau, dass ich dir in dem Fall in bewährter Form aushelfe. Notfalls mit ›Operation Gemini‹. Ist ja nicht das erste Mal.«

Vin gab nach. »Okay. Wir sehen uns gleich.«

Jerry schüttelte den Kopf. »Mann, ich wünschte, wir von PROTECTOR könnten die Polizei auch so nach unserer Pfeife tanzen lassen.«

Sam grinste. »Ich empfehle, möglichst enge persönliche Freundschaften zu denen zu knüpfen, wenn man schon keinen Verwandten in deren Reihen hat. Idealerweise zu jemandem in höherer Position.«

»Und was ist ›Operation Gemini‹?«

»Werdet ihr schon sehen.«

Nick saß noch immer vor seinem Computer. »Porter– oder wie immer er heißt – ist ein wirklich dicker Fisch. Ich habe alle ›Mondscheinkiller‹ der letzten fünf Jahre überprüft und die Morde ausgeschlossen, die von ›wilden Tieren‹ begangen wurden.« Womit er verbrecherische Werwölfe meinte, die sich an Menschen vergriffen. »Es gibt eine Serie, die sich von Memphis über Nashville, Lexington und Columbus nach Cleveland zieht. Die in Memphis begann vor vier Jahren mit zwei Opfern an aufeinanderfolgenden Vollmonden. In Nashville waren es schon drei Opfer, in Lexington vier und in Columbus fünf. An jedem Ort gab es ein Opfer mehr. Alle weiblich.«

»Ist die Polizei nicht darauf gekommen, dass es sich um denselben Täter handelt?«, fragte Melissa.

Nick schüttelte den Kopf. »Am Ende jeder Serie fand man einen Selbstmörder bei der letzten Leiche und einen Bekennerbrief in dessen Handschrift. Danach hat unser Killer immer ein paar Monate verstreichen lassen, bevor er in einer anderen Stadt seine Serie fortgesetzt hat. So hat niemand bis jetzt einen Zusammenhang hergestellt zwischen den Serien außer dem, dass es sich jeweils um Trittbrettfahrer handelt. Schlau eingefädelt.«

»Nicht schlau genug.« Sam hatte, während Nick sprach, wieder ihren magischen Spiegel zurate gezogen. Sie nickte. »Porter ist der Täter in allen Fällen. Wenn er nicht ausgerechnet jetzt von seinem Modus Operandi abweicht, müsste Cindy Jackson sein letztes Opfer in Cleveland sein und liegt schon irgendein armer Kerl noch lebend oder schon tot als Sündenbock bereit.«

Ashton nahm das Foto von Cindy Jackson und betrachtete es. Eine Erinnerung blitzte in ihm auf. Er hatte ihr Gesicht schon einmal gesehen. Eine blonde junge Frau in einem Lagerhaus und einen Afroamerikaner, der von einem Weißen umgebracht wurde. Er ging um den Schreibtisch herum und sah Nick über die Schulter. »Zeig mir mal das Bild von Porter.«

Sekunden später erschien dessen Gesicht auf dem Bildschirm. Ashton fühlte einen kalten Klumpen im Magen. Vor fast einem Jahr hatte er gesehen, wie dieser Mann Cindy Jackson und den Afroamerikaner tötete – in einer Vision, die Sam ihm gezeigt hatte. Sie mussten sterben, weil Ashton, der sich in der Zeit, in der sich das Geschehen aus der Vision abspielte, bereits umgebracht hatte und deshalb nicht da gewesen war, um sie zu retten. Obwohl er sich an die Vision nur noch bruchstückhaft erinnerte, war er sich sicher, dass Cindy und auch der Schwarze darin hatten sterben müssen.

»Beeilt euch. Es ist fast schon zu spät.«

Er war zur Tür hinaus, ehe ihm jemand antworten konnte.

***

Das Lagerhaus an der Chaincraft Road war verlassen. Zumindest auf den ersten Blick. Als Ashton nach dem wohl schnellsten Flug über die Dächer von Cleveland, den er je absolviert hatte, fast lautlos auf dessen Dach landete, glaubte er schon, zu spät gekommen zu sein. Er roch Blut durch ein offenes Oberlicht, ebenso Schweiß, frischen Urin und vor allem Angst. Gleich darauf hörte er das erstickte Wimmern einer Frau und das entsetzte Stöhnen eines Mannes, dessen Klang ihm verriet, dass der Mann geknebelt war. Sein scharfes Gehör ermöglichte ihm, den Standort der beiden genau zu lokalisieren.

Er ließ sich leise durch das Oberlicht ins Innere des Lagerhauses gleiten. Baumanns Recycling Center war auf Gebäudeabrisse spezialisiert, deren Schutt die Firma recycelte. In dem Lager, in dem Ashton sich befand, wurden Säcke mit aufbereitetem Zement gelagert. Ein perfekter Ort, um einen Mord zu begehen. Das Lager wurde frühestens morgen wieder betreten, sodass der Mörder freie Bahn hatte.

Ashton hatte natürlich in der Zeitung über den Modus Operandi des Mondscheinkillers gelesen. Zwar bevorzugte der keine spezielle Kulisse, aber er beging seine Taten ausschließlich in geschlossenen, nicht überwachten Räumen, die zum Zeitpunkt der Tat mit größter Wahrscheinlichkeit leer waren und über ein Panoramafenster verfügten, durch das das Mondlicht fiel. In dessen Licht badete er wohl regelrecht, während er seine Morde verübte. Offenbar zog ihn das Mondlicht an, scheute er sich aber, sich ihm im Freien auszusetzen.

Gleichzeitig waren es Orte, an denen seine Opfer am nächsten, spätestens übernächsten Tag gefunden wurden. Alle waren in derselben Pose drapiert: auf dem Rücken liegend, die Beine gespreizt, die Arme kreisförmig über dem Kopf, dass sie aussahen wie Balletttänzerinnen mitten im Sprung. Nur die brutal zerschnittenen Gesichter und die ausgestochenen Augen störten dieses Bild.

Ashton war fest entschlossen zu verhindern, dass Cindy Jackson ebenso endete. Er schwebte lautlos durch die Gänge zwischen den Palettenstapeln hindurch, nicht zum ersten Mal dankbar für die Fähigkeit, fliegen zu können. Andernfalls hätte er nicht so schnell hier sein können.

Jordan Porter hielt sich in einer Ecke auf, die direkt neben einem kleinen Büro lag, dessen Wände ab ungefähr drei Fuß Höhe aus Glas bestanden. Eine Wand des Büros war gleichzeitig Teil der Außenwand des Lagerhauses, durch das der Mond in seiner vollen Pracht scheinen würde, sobald er aufging. Cindy Jackson hockte vor einem der Regale, die Hände über dem Kopf mit Handschellen an eine Stahlstrebe gefesselt. Ihre Bluse war teilweise zerrissen. Blut klebte an ihrem Mund, und ihre Lippen waren geschwollen. Offenbar hatte Porter sie mehrfach geschlagen. Außerdem hatte er ihr einen Schnitt auf der linken Wange beigebracht, aus dem das Blut ihren Hals hinab lief. Der Blutgeruch weckte Ashtons Hunger und erinnerte ihn daran, dass sein Frühstück, das er nach dem Aufstehen nach Einbruch der Dunkelheit zu sich genommen hatte, schon eine Weile zurücklag.

Porter hatte eine Taschenlampe auf den Boden gelegt, die ihm genug Licht für seine Zwecke gab. Er selbst stand vor einem Afroamerikaner, den er mit einer um den Leib gebundenen gepolsterten Kette an eine andere Regalstrebe gebunden hatte. Der Schwarze hatte zwar die Hände frei, konnte sich aber nicht von der Kette befreien, da er keinen Schlüssel für das Vorhängeschloss hatte, mit dem sie geschlossen war. Ashton musste zugeben, dass Porter das schlau eingefädelt hatte. Durch die dicke Polsterung der Kette hinterließ sie keine Fesselspuren auf dem Körper des Mannes. Davon abgesehen erweckte das Opfer den Eindruck, als gehöre es zur Unterschicht der Gesellschaft. Ashton konnte den Drogenmissbrauch an dessen Körper riechen.

Ein Schwarzer, der scheinbar weiße Frauen ermordet hatte und zum Abfall der Gesellschaft gehörte – da würde die Polizei sich kaum fragen, ob er ebenfalls ein Opfer des Mondscheinkillers sein könnte, sondern von seiner Täterschaft überzeugt sein. Besonders wenn sie den Bekennerbrief fanden, den zu schreiben Porter den Mann mit vorgehaltener Pistole zwang.

Der Kerl hatte wirklich an alles gedacht, was das Verwischen seiner Spuren betraf; vielmehr vermied er, überhaupt welche zu hinterlassen. Er trug einen Ganzkörperanzug aus Plastik mit Kapuze, über den Schuhen Plastikstulpen, wie man sie als Besucher auf der Intensivstation anziehen muss, und Einweghandschuhe. Auf diese Weise hinterließ er keine DNASpuren und erst recht keine Fingerabdrücke.

»Unterschreib!«, forderte Porter seinen Gefangenen auf.

Der Mann gehorchte, wobei ihm Tränen über das Gesicht liefen. Porter nahm ihm das Blatt mit dem Geständnis ab und steckte es mit einem verbogenen Nagel, den er wohl irgendwo im Lager gefunden hatte, an einem der Säcke mit dem recycelten Beton fest, wo es sofort entdeckt werden würde. Anschließend blickte er seinen Sündenbock mitleidlos an.

»Bitte, Mann, tu das nicht«, flehte der. »Ich hab dir doch nichts getan. Und sie auch nicht.« Er nickte zu Cindy hinüber, der unaufhörlich Tränen über das Gesicht liefen.

Porter lachte. »Darum geht es doch gar nicht, Dummkopf.«

»Worum denn dann?«

Das interessierte auch Ashton, während er sich eine Strategie überlegte, wie er Porter überwältigen konnte. Für ihn als Vampir wäre das ein Leichtes und innerhalb von Sekunden erledigt gewesen. Das Problem war, dass er das auf eine Weise tun musste, die für die in Kürze eintreffenden Cops plausibel und natürlich aussah. Nicht für Vin Bennett und auch nicht für Claire Shepherd. Vin war selbst ein Werwolf und wusste natürlich seit ihrer ersten Begegnung, dass Ashton ein Vampir war. Seine Partnerin Claire Shepherd war in sein Geheimnis eingeweiht und wusste ebenfalls Bescheid. Die Cops, die sie begleiteten, hatten jedoch keine Ahnung. Für sie musste die Inszenierung perfekt und jede Aussage der beiden Geiseln glaubhaft sein.

Natürlich hätte Ashton denen mithilfe seiner hypnotischen Fähigkeiten suggerieren können, was sie angeblich gesehen hatten. Aber erstens scheute er sich, derart in das Bewusstsein eines Menschen einzugreifen. Zweitens gab das mit Sicherheit später Probleme, wenn die beiden ihre Aussagen bei der Polizei machten und nach Details gefragt wurden, die sie nicht nennen konnten, weil Ashton ihnen die nicht auch suggerieren konnte, ohne die realen Tatumstände zu kennen. Unter Umständen würden die Opfer durch diese Unwissenheit in den falschen Verdacht geraten zu lügen. Im schlimmsten Fall konnte das dazu führen, dass der Täter am Ende freikam, weil sein Anwalt die Opfer vor Gericht auseinandernahm und auf diese Unstimmigkeiten festnagelte.

In Situationen wie dieser nützten ihm seine überragenden Fähigkeiten als Vampir daher gar nichts. Er musste sich etwas anderes einfallen lassen.

»Warum?«, fragte der Schwarze erneut.

Porter drückte ihm den Lauf der Pistole an die Schläfe. »Ich brauche einen Sündenbock, damit kein Verdacht auf mich fällt. Und du hast dich förmlich angeboten. Ein Junkie, der um Geld für einen Schuss bettelte und dafür alles tun würde.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich tue der Welt einen Gefallen, wenn ich Abschaum wie dich beseitige.« Porter krümmte den Finger um den Abzug.

Ashton handelte. Er flog auf den Stapel Säcke neben sich und warf einen zu Boden. Der Sack klatschte laut auf, platzte, und eine Staubwolke breitete sich aus.

Porter fuhr herum und feuerte einen Schuss in die Richtung, wo der Sack gefallen war. Cindy stieß einen Schrei aus, der durch das Klebeband über ihrem Mund gedämpft wurde.

»Halt die Klappe!«, schnauzte Porter sie an.

Cindy schluchzte. Er nahm die Taschenlampe auf und leuchtete an dem Palettenregal empor, von dem der Sack gefallen war. Ashton hatte sich längst wieder in Deckung begeben. Er hörte in der Ferne die Sirenen mehrerer Polizeiwagen. Allerdings würden die noch mindestens fünf Minuten brauchen, bis sie hier wären. Dafür hörte er die typischen Motorengeräusche von Sams und Nicks Autos, die sie in einiger Entfernung vom Lagerhaus parkten; weit genug weg, dass Porter sie nicht hören konnte.

Ashton sandte einen kurzen Ruf im Ultraschallbereich aus, den zumindest Nicks Ohren wahrnehmen konnten. Ob auch Sam in der Lage war, Ultraschallwellen zu hören, hatte er noch nicht herausgefunden.

Porter kam offenbar zu dem Schluss, dass der Zementsack von allein vom Stapel gefallen war, weil man ihn schlecht gelagert hatte und wandte sich wieder seinen Opfern zu. Cindy wimmerte vor Angst. Der Mann zerrte an der Kette und versuchte vergeblich, sich zu befreien.

Ashton warf einen zweiten Sack zu Boden und einen dritten. Porter hielt das wohl für einen Beweis, dass er nicht mehr allein mit seinen Opfern war. Er ballerte wie wild in die Richtung, in der er die unwillkommene Gesellschaft vermutete, sowie auf den Teil des Stapels, von wo die Säcke gefallen waren. Die Kugeln schlugen in die Säcke. Zement rieselte aus den Löchern.

Ashton! Bist du in Ordnung?

Er hörte Nicks Stimme von irgendwo jenseits der Hauswand. Gleich darauf Sams Stimme.

Natürlich ist er das. Schließlich beschütze ich ihn und die Geiseln.

Das beruhigte ihn. Er wünschte nur, er könnte das auch den beiden verängstigten Menschen vermitteln.

Alles klar!, rief er mit Ultraschall zurück.

Die Polizeisirenen waren jetzt nahe genug, dass auch Porter sie hörte.

»Scheiße!«

Er wollte erneut eine Salve verballern, aber das Magazin war leer. Hastig riss er sich den Plastikanzug auf, wühlte in den Taschen seiner Jeans nach einem Ersatzmagazin. Fand es und schob es in die Pistole.

»Jordan Porter! Sie sind umstellt! Kommen Sie mit erhobenen Händen raus!« Sams Stimme, die durch ein Megafon verstärkt wurde. Oder die durch Magie wie ein Megafon klang.

Porter fluchte. »Ihr kriegt mich nicht!«

Er feuerte ein paar Schüsse um sich. Einer traf die Metallstrebe eines Regals und sauste als Querschläger haarscharf an Ashton vorbei. Cindy und der Mann schrieen auf. Porter richtete die Waffe auf den Schwarzen.

Ashton schnappte einen Sack Zement und warf ihn gegen Porter. Der ging zu Boden, und der Schuss verfehlte den Angeketteten, der vergeblich versucht hatte, ihm auszuweichen. Ashton sprang zu Boden und rannte wie ein Mensch auf Porter zu. Der wirbelte herum, als er seine Schritte hörte, aber er war nicht schnell genug. Ashtons normale Reflexe reichten aus, ihm die Pistole aus der Hand zu schlagen und mit einem Handkantenschlag gegen die Halsschlagader außer Gefecht zu setzen.

Ich habe ihn. Ihr könnt reinkommen, teilte er den anderen mit, ehe er sich den beiden Menschen zuwandte. »Es ist alles in Ordnung. Sie sind in Sicherheit. Er kann Ihnen nichts mehr tun.«

Cindy Jackson rannen Tränen über die Wange. Ihre Augen blickten Ashton voller Dankbarkeit an. Vorsichtig zog er ihr das Klebeband vom Mund.

»Sie sind gleich wieder frei, Ma’am. Sir.«

Er sah es dem Schwarzen an, dass der kaum glauben konnte, dass Ashton ihn mit dem »Sir« gemeint hatte. Wahrscheinlich hatte ihn noch nie jemand so angeredet. Er wandte sich Porter zu und durchsuchte dessen Taschen nach dem Schlüssel für die Handschellen und das Vorhängeschloss an der Kette, mit der der Mann gefesselt war. Dabei hätte er die mit bloßen Händen zerreißen und sogar mit zwei Fingern das Schloss aufbrechen können. Die Tür wurde aufgerissen, als er den Schlüssel gefunden hatte und Cindys Handschellen aufschloss.

»Hände hoch! Keine Bewegung!«

Ashton gehorchte und kniff die Augen zu, weil ihn die Taschenlampe blendete, mit der Claire Shepherd ihm ins Gesicht leuchtete. »Ich bin’s, Detective. Hallo Vin.«

Detective Claire Shepherd steckte ihre Pistole ein und atmete erleichtert auf. Vin Bennett kam herein. Hinter ihm folgten ein paar Cops. Sam stand mit Nick, Melissa und Jerry an der Tür und zwinkerte ihm zufrieden grinsend zu.

»Ich darf weitermachen?« Er deutete auf Porter. »Ihr könnt den da inzwischen einkassieren.«

»Wofür braucht ihr mich eigentlich?«, beschwerte sich Vin, steckte ebenfalls seine Pistole ein und legte Porter Handschellen an.

»Als Autoritätsperson, damit alles seine Richtigkeit hat, Junge«, beschied ihm Sam ungerührt.

Ashton schloss die Fesseln von Cindy auf. Die junge Frau warf sich ihm in die Arme und weinte an seiner Schulter, während sie schluchzend einen Dank nach dem anderen stammelte. Sam reichte ihm eine Decke, die er Cindy um die Schultern legte und die junge Frau danach zu Sam schob, die Cindy in die Arme nahm und beruhigend ihren Rücken streichelte. Er befreite den Afroamerikaner aus seiner misslichen Lage. Dem rannen ebenfalls Tränen über das Gesicht. Er packte Ashtons Hand, drückte sie und schüttelte sie, als wollte er damit nicht mehr aufhören.

»Danke, Mann! Vielen, vielen Dank! Ich dachte schon ...« Er konnte nicht mehr weitersprechen.

Der überschwängliche Dank machte Ashton verlegen. »Ist mein Job, Sir.« Auch wenn er gegenwärtig weder Wächter noch Cop war. »Wie heißen Sie?«

»Magoma Cutter. Und ich danke Ihnen von Herzen, Mann.« Er wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. »Tausend Dank, Mann.«

Vin trat zu ihm und achtete darauf, dass er weit genug von jedem Fenster entfernt war, durch das der Mond scheinen konnte, der jeden Moment aufgehen würde. Er warf Sam einen mörderischen Blick zu, die ihn über Cindy Jacksons Schulter hinweg angrinste.

»Erzählen Sie mir, was passiert ist, Mr. Cutter.«

Cutter deutete auf Porter, der von zwei Beamten gefesselt worden war und zu einem der Polizeiwagen geschleift wurde. »Der Typ hat mir Crack verkauft.« Er blickte verlegen zu Boden und schämte sich offensichtlich, seine Drogensucht zuzugeben. »Das Zeug hat mich ausgeknockt.«

Das wunderte Ashton nicht, denn er roch die Droge in Cutters Schweiß und identifizierte sie als ein Betäubungsmittel.

»Als ich zu mir kam, war ich da angekettet, und der Freak hat mich mit vorgehaltener Pistole gezwungen, den Brief da zu schreiben.« Er deutete auf den Zettel, der an einem Zementsack in dem Regal befestigt war, an das er gefesselt gewesen war.

Claire Shepherd leuchtete mit der Taschenlampe darauf und schüttelte den Kopf. »Ein Geständnis, dass Mr. Cutter der Mondscheinkiller wäre.«

»Aber das bin ich nicht!« Cutter klang panisch und deutete auf Cindy. »Die Frau kann bestätigen, dass ich ihr nichts getan habe. Ehrlich, Mann!«

Vin lächelte beruhigend. »Keine Panik, Mr. Cutter, das wissen wir.«

Cutter atmete ein paar Mal hektisch. »Sind Sie sicher?« Offenbar hatte er schlechte Erfahrung mit Cops gemacht.

»Absolut.« Vin nickte bekräftigend und trat hastig einen Schritt zur Seite, als Mondlicht durch das Bürofenster zu scheinen begann und etwas davon seine Schuhspitze berührte. Wieder warf er Sam einen anklagenden Blick zu.

»Und dann wollte er mich erschießen.« Cutter blickte Ashton an. »Wenn Sie nicht gewesen wären, Mister…«

»Ashton Ryder.«

»Dank, Mr. Ryder, Mann. Unendlich vielen Dank!« Cutter schüttelte ihm wieder die Hand und hielt sie unnötig lange fest. Starrte darauf, als wäre an ihr etwas Besonderes. »Wissen Sie, Mann, Sie sind der erste anständige Mensch, der mich nicht wie Dreck behandelt. Der mir die Hand schüttelt und sie sich nicht hinterher an der Hose abwischt.«

Ashton blickte ihn verständnislos an. »Warum sollte ich das tun?«

»Weil ich nix tauge. Weil ich ’n Junkie bin.« Er ließ Ashtons Hand los und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.

»Das sind Sie zwar im Moment, aber das müssen Sie nicht bleiben, Mr. Cutter. Sie können das ändern.«

Der Schwarze lachte bitter. »Meinen Sie, das hätte ich nicht schon versucht? Ich kann nicht mehr zählen wie oft. Aber ich schaffe es einfach nicht.«

Ashton sah ihm in die Augen und setzte seine hypnotischen Fähigkeiten in der einzigen Form ein, die er für ethisch vertretbar hielt.

»Wenn Sie es wollen, dann schaffen Sie es, clean zu werden. Sie haben die Kraft dazu und den Mut. Sie schaffen das. Wenn Sie es wirklich wollen.«

Cutter nickte. »Das will ich, Mann. Das will ich wirklich.«

»Dann tun Sie es. Diesmal schaffen Sie es bestimmt.«

Diese Form des hypnotischen Befehls – »wenn Sie es wollen« – zwang den Empfänger zu nichts, sondern ließ ihm immer noch den freien Willen, sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Ashton wusste aber aus seiner Zeit als Cop, in der er oft genug mit Drogensüchtigen zu tun gehabt hatte, dass deren Geist zwar oft willig war, der nach dem Stoff süchtige Körper aber nur allzu schwach, sodass sich der Wille nicht durchsetzen konnte. Falls Cutter wirklich clean werden wollte, würde Ashtons Befehl ihm helfen, die erforderliche Kraft aufzubringen.

»Danke, Mann.«

Vin nickte Cutter zu. »Wir brauchen Ihre Aussage. Und wenn es soweit ist, werden Sie gegen Ihren Entführer aussagen müssen.« Er winkte einen Kollegen heran. »Nimm Mr. Cutters Aussage auf, Greg.«

»Kommen Sie«, sagte Greg und führte Cutter zu den Streifenwagen.

Inzwischen war auch der Krankenwagen eingetroffen. Ein Sanitäter verarztete Cindy Jackson, die Prellungen und Schürfwunden davongetragen hatte sowie einen Schnitt auf der Wange, der mit einem Verbandpflaster versorgt worden war.

Vin wandte sich an Claire Shepherd. »Halt mir den Rücken frei für zwei Minuten.« Er blickte Sam an. »Das gibt Rache, Sam.«

Die Dämonin grinste. »Jederzeit gerne, Vin.« Sie winkte Melissa und Jerry zu sich. »Und jetzt: Operation Gemini.«

Vin hatte begonnen, sich auszuziehen. Sam verfrachtete seine Kleidung mit einem Zauber in seinen Wagen. Claire wandte den Blick ab, als Vin völlig nackt war und mit einem ergebenen Seufzen ins Mondlicht trat. Claire lehnte die offene Eingangstür an und blieb daneben stehen, um jeden Kollegen aufzuhalten, der möglicherweise hereinwollte, bis Vins Verwandlung abgeschlossen war.

Die setzte augenblicklich ein, kaum dass das Mondlicht seine Haut berührt hatte. Sein Körper bedeckte sich mit Fell. Vin ließ sich auf alle Viere nieder. Aus seinem Hinterteil spross ein Schwanz. Knirschend verformten sich die Knochen. Mund und Nase streckten sich zu einer Wolfsschnauze, die Ohren wurden spitz, die Gliedmaßen formten sich zu Pfoten. Dank Sams Magie ging das für ihn schmerzfrei vonstatten. Keine Minute später stand ein großer brauner Wolf vor ihnen, der sich ausgiebig schüttelte.

Nur eine Sekunde später tauchte aus den Nichts Vin Bennett auf und lächelte in die Runde. Er trug Vins Kleidung und unterschied sich in absolut nichts von dem Original. Außer im Geruch; aber den konnten Menschen nicht wahrnehmen. Melissa und Jerry starrten ihn mit offenem Mund an.

»Wer ist das?«, brachte Melissa schließlich heraus.

Das Double zwinkerte ihr zu. »Vin Bennett.« Auch die Stimme war identisch mit Vins.

»Er ist ein Dienergeist wie Molly und hilft in Situationen wie dieser immer gern aus«, erklärte Sam. »Mit einem Zauber übernimmt er Vins aktuelle Erinnerungen, damit er alles weiß, was er wissen muss, um ihn überzeugend zu verkörpern. Und Vin bekommt später auf dieselbe Weise alle Erinnerungen, die sein Double an seiner Stelle gesammelt hat. Auf diese Weise merkt niemand, dass er es nicht mit dem echten Vin zu tun hat. Das ist Operation Gemini.«

»Wahnsinn«, fand Jerry. Es klang ehrfürchtig. Er blickte Nick an, der an Vins Seite immer noch in menschlicher Gestalt im Mondlicht stand. »Wieso werden Sie nicht auch verwandelt?«

»Ich bin ein geborener Werwolf und über dreihundert Jahre alt. Ich kann die Verwandlung kontrollieren. In ungefähr hundert Jahren wird Vin das auch können.«

Claire zog sich von der Tür zurück. »Die Kollegen rollen an.«

Im selben Moment wurde die Tür aufgerissen, und das Team von der Tatortermittlung kam herein. Die Leiterin warf einen entsetzten Blick auf Vin den Wolf.

»Wer hat den Hund hier reingelassen?«

»Der gehört zu diesen Leuten«, erklärte Vins Double und deutete auf Nick, Sam, Ashton, Melissa und Jerry. »Seine Spürnase hat sie rechtzeitig hergeführt, bevor der Mondscheinkiller seine Opfer töten konnte.«

»Schön und gut, aber jetzt verschwindet er hier, bevor er noch mehr Spuren kontaminiert. Das gilt für alle, die hier nichts zu schaffen haben.«

Claire ging voran, die anderen folgten ihr.

Nick stieß einen Pfiff aus. »Bei Fuß!«

Vin gehorchte wie ein guter Hund. Übertreib es nicht, grollte er, während er an Nicks Seite zu seinem Wagen lief. Ashton konnte seltsamerweise die Worte in dem leisen Knurren verstehen. Ich bin immer noch dein Rudelführer.

Das können wir gern nachher ändern, knurrte Nick vernehmlich grinsend so leise zurück, dass keiner der Menschen ihn hören konnte. Er öffnete die Wagentür und klopfte auf den Sitz. »Hopp!«

Vin gehorchte notgedrungen, sprang auf die Rückbank und legte sich dort nieder, den Kopf auf die Pfoten gebettet. Wehe, einer von euch lacht!, grollte er, denn zumindest Sam musste sich sichtbar das Lachen verbeißen.

Claire schüttelte den Kopf. »Das ist enervierend«, beschwerte sie sich an Vins Double gewandt, wohl wissend, dass Vin der Wolf sie hörte. »Verdammt, Vin, lass mich so was nicht noch mal miterleben.«

Das Double grinste. »Wenn ich mich recht erinnere, hast du beim ersten Mal ganz freiwillig zugesehen, weil du mir nachspioniert hast. Was war diesmal anders?«

»Damals war ich weit genug weg und habe das nicht so hautnah miterleben müssen. Außerdem ziehe ich es für meinen Seelenfrieden immer noch vor, nicht daran erinnert zu werden, was du wirklich bist.«

Der Dienergeist grinste. »Bringen wir Miss Jackson aufs Revier, damit sie ihre Aussage macht, falls der Arzt nichts dagegen hat.«

Claire wandte sich an Sam. »Ihr müsst morgen aufs Revier kommen und eure Aussage machen. Vor allem hinsichtlich des Umstands, was ihr hier zu suchen hattet.« Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Ich empfehle, ihr sprecht das ab, damit es keine Widersprüche gibt.«

Sie nickte ihnen zu und ging mit Vins Double zum Krankenwagen. Der Notarzt hatte keine Einwände dagegen, dass Cindy zur Befragung aufs Revier gebracht wurde. Cindy setzte sich auf die Rückbank von Claires Wagen, die sie in die Stadt fuhr. Vins Double folgte in dessen Wagen.

Sam griff zum Handy. Sie rief die Jacksons an und teilte ihnen mit, dass sie Cindy gefunden hatten und sie zum Homicide Department in der Ontario Street gebracht wurde, sobald der Notarzt sie versorgt hatte.

»Okay, Leute, zurück zum Büro zur Nachbesprechung.«

Nick trat zu ihr und legte die Arme um sie. »Ich bringe Vin nach Hause und jage mit dem Rudel. Danach bleibe ich noch ein paar Tage draußen.«

Sam gab ihm einen innigen Kuss. »Gute Jagd.«

Er strich ihr über die Wange, wandte sich ab, stieg in seinen Wagen und fuhr davon, ohne sich noch einmal umzusehen.

Sam klatschte in die Hände. »Abmarsch!«

Ashton fand es immer wieder bemerkenswert, dass Sam sich klaglos damit arrangierte, dass Nick sich alle zwei bis drei Monate in die Wälder zurückzog, um dort für mindestens zwei Wochen als Wolf zu leben. Vor allem wunderte ihn, dass Nick keine Probleme damit zu haben schien, dass Sam in seiner Abwesenheit täglich mit anderen Männern schlief. Als Sukkubus war die beim Sex erzeugte Energie die einzige Nahrung, die sie verdauen konnte. Da Nick, wenn er im Wald war, niemanden außer seinem Rudel sehen wollte, nicht einmal Sam, musste sie sich ihre Nahrung anderswo suchen.

Bevor Ashton zu Sam in den Wagen stieg, warf er noch einen Blick auf Magoma Cutter, mit dessen Befragung Greg gerade fertig war. Der Schwarze ging auf den Notarzt zu.

»Sir, ich bin drogensüchtig und brauche Hilfe. Ich will von dem Dreck wegkommen. Können Sie mich in eine Entzugsklinik bringen? Oder mir wenigstens eine nennen?«

Ashton lächelte und empfand ein Gefühl von Befriedigung. Es hatte funktioniert. Magoma Cutter würde clean werden und in absehbarer Zeit ein neues, drogenfreies Leben beginnen. Er hatte ebenso wie Cindy Jackson heute eine zweite Chance erhalten.

***

Eine halbe Stunde später saßen sie in Sams Büro. Molly Spring arbeitete immer noch buchstäblich unermüdlich. Melissa und Jerry hatten ihr im Vorbeigehen neugierige Blicke zugeworfen.

»Ich dachte, Dienergeister sind einfach nur so was wie magische Sekretärinnen«, platzte Melissa heraus, kaum dass Molly ihnen auf Sams Wink Getränke serviert hatte; für Ashton ein Glas wohltemperierten Blutes.

»Nicht nur«, antwortete Sam. »Dienergeister sind Diener im weitesten Sinn. Sie ziehen ihre Lebensenergie daraus, dass sie anderen Wesen dienen. Je schwieriger der Dienst ist, desto mehr Energie erhalten sie dadurch, dass sie ihn ausführen. Sie sind keine Dämonen, sondern existieren in den Zeiten zwischen Dienstkontrakten als köperlose Wesen; deshalb nennen wir sie Geister, obwohl sie durchaus feste Form annehmen können, und zwar jede beliebige. Wächterdämonen sind dagegen Dämonen, die ihre Nahrung aus ihrer Wächtertätigkeit beziehen. So wie sich ein Sukkubus von Sex ernährt«, fügte sie augenzwinkernd hinzu. »Mein Kontrakt mit Molly besagt, dass sie an 364 Tagen im Jahr rund um die Uhr für die Detektei tätig ist. Wenn sie mal aktuell keine Sekretariatsarbeiten oder anderes zu erledigen hat, schiebt sie Telefondienst. Deshalb ist Tyler & Roscoe auch mitten in der Nacht erreichbar. Und jeder Dienergeist entscheidet natürlich selbst, für welchen Dienst er sich verpflichtet.«

Die beiden Menschen beugten sich gespannt vor. Auch Ashton hörte interessiert zu. Bisher hatte er sich keine Gedanken darüber gemacht, welche Art Wesen Molly und ihresgleichen waren. Er hatte im letzten Jahr mehr als genug mit sich selbst zu tun gehabt.

»Ich habe schon mit ich weiß nicht wie vielen Dienergeistern zusammengearbeitet«, fuhr Sam fort, nachdem sie einen Schluck ihres mit Blut vermischten Whiskeys getrunken hatte, eine Leckerei für sie wie Schokolade für Menschen. »Einer hat sich sogar mal an meiner Stelle hinrichten lassen. Da Dienergeister nicht auf herkömmliche Weise getötet werden können, verschaffte ihm diese schwierige Aufgabe nach seinem eigenen Bekunden einen kulinarischen Hochgenuss.«

Jerry schüttelte den Kopf. »Wahnsinn!«

Melissa seufzte. »Da haben wir von PROTECTOR uns immer eingebildet, umfassend über die ... die, eh, Anderswesen informiert zu sein, aber ich bekomme immer mehr den Eindruck, dass wir gar nichts wissen.«

»So ist es«, bestätigte Ashton. Durch eben diese Unwissenheit war er zu einem Massenmörder an unschuldigen Vampiren geworden. Das hatte er immer noch nicht verdaut. Und durch das, was er unter Yassarras Einfluss getan hatte, war auf diese Schuld noch eine sehr viel schwerwiegendere gehäuft worden.

Sam grinste. »Na, ganz so unwissend seid ihr nicht mehr. Und durch PROTECTORs neue Firmenpolitik, diese Wissenslücken zu schließen – unter anderem mit meiner Hilfe –, werdet ihr feststellen, dass ihr eure Effektivität mindestens verdoppelt.« Sie leerte ihr Glas. »Aber zurück zu unserem Fall. Vins Double hat uns schon eine hervorragende Begründung geliefert, wie wir das Wunder erklären, Cindy Jackson in so kurzer Zeit gefunden zu haben.«

Die beiden Menschen blickten sie verständnislos an.