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Ulrich Hossner
DER SMARAGDSUCHER

ULRICH
HOSSNER

DER

SMARAGD

SUCHER

Roman

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2016 Verlag Anton Pustet
5020 Salzburg, Bergstraße 12
Sämtliche Rechte vorbehalten.

Coverfoto: © wildlife-media.at
Autorenporträt: Max Missal

Grafik, Satz und Produktion: Tanja Kühnel
Lektorat: Martina Schneider

eISBN: 978-3-7025-8029-2
ISBN Printausgabe: 978-3-7025-0823-4

1 2 3 4 5 / 18 17 16 15

www.pustet.at

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Inhalt

Prolog

1 Martinimarkt

2 Der Fluch der Bettlerin

3 Das Geständnis

4 Unter dem blühenden Apfelbaum

5 Nur ein Stück Fleisch

6 Die unheimliche Herberge

7 Die Nacht, als der Teufel kam

8 Jagdgesellschaft

9 Die Smaragdgrube

10 Venus im Spiegel

11 Das Geheimnis des Nähkastens

12 Der Keuchenkrott

13 Liebe hat viele Gesichter

14 Tanz aus der Reihe

15 Eine Malefizsache

16 Gewalt sei fern von den Dingen

17 Das Haus zum blauen Mondschein

18 Turquerie

19 Gang in die Finsternis

20 Der Mann, der kein Mann ist

21 Die Badereise

22 Schwarmgeister

23 Unter der Erde

24 Der Steinschneider von Prag

25 Halt mich, ich rutsche

26 Triff gut, auch die Zeit

27 Grün ist die Hoffnung

28 Runstein

29 Beim neunten Glockenschlag

30 Ein unsittliches Angebot

31 Des Todes schwarze Ernte

32 Daheim

33 Ehe der Vorhang fiel

Epilog

Schön ist, was wir sehen,
schöner, was wir wissen,
aber weitaus am schönsten,
was wir nicht kennen.

Niels Stensen in seiner Antrittsvorlesung 1672
als Königlicher Anatom in Kopenhagen

Prolog

Weit ausholend schwang Christoff die Sense durch das Gras. Wie der Flügelschlag eines Greifvogels, der abstreicht, rauschte es in der Blütenpracht der Bergwiese. Gräser und Kräuter glitzerten im Tau, sodass der Schnitt gut von der Hand ging. Den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt, mähte er Schritt für Schritt eine neue Gasse. Nach jeder Zeile nahm er den Wetzstein aus dem Kumpf und machte der Sense eine neue Schneid. Einmal schrammte er gegen loses Geröll.

Ein Sommertraum, der sein Blut aufwühlte, hatte ihn abgelenkt.

Mit der Sense auf der Schulter stieg Christoff zur Hochlägerhütte. Grünblättriger Ampfer und blauer Eisenhut umwucherten das grobgefügte Feldsteingemäuer, seine Behausung in der Zeit der Hochmahd. Still war es hier oben an den Südhängen des Wildkogels. Noch hatte das Geläut der Grasglocken nicht begonnen. Schläfrig wiederkäuend lag das Jungvieh auf den Almböden. An der Dengelbank arbeitete er die Scharte mit dem Hammer aus. Er nahm sich vor, das nächste Mal besser aufzupassen.

Als die Sonne höher stand, ging er daran, das Heu mit dem Rechen zusammenzutragen. Das Mähgut vom Vortag hatte er umgekehrt und in Streifen angebreitet, der Fallinie des Hanges folgend. So konnte er die Schwaden besser talwärts ziehen. Wenn der Rechen sich im Kraut verhedderte, griff er zum Besen und kehrte die Heusträhnen aus den Stauden der Almrosen. Vereinzelt flammten die purpurroten Blüten noch an den knorrigen Sträuchern.

Von der Pfarrkirche zu Bramberg herauf erklang das Angelusläuten. Zwölf Uhr. Zeit für die Jause, dachte Christoff. Lass die Weiber auf den Feldern knien und beten. Der Herrgott ist überall und nirgendwo. Er ging über die Wiese an den Bach hinunter und holte den Rückkorb, den er in den Schatten gestellt hatte. Dann suchte er sich einen Platz zum Rasten und packte den Korb aus. Brot. Käse. Geselchtes. Und eine Kanne Ziegenmilch. Das Rauchfleisch schnitt er in dünne Scheiben, die er von der Messerspitze aß. Die Milch rann ihm an den Mundwinkeln herunter, so groß war sein Durst.

Versonnen kaute er an einem Grashalm. Sein Blick schweifte in die Ferne. Silbern schlängelte sich die Salzach durch die grünen Auen. Drunten in der Talebene lagen Höfe, die leichter zu bewirtschaften waren und mehr einbrachten. Der Weyerhof mit seiner Wirtstaverne, auf dem der Gastwirt und Bierbrauer Severin Senninger saß. Das Gut Benkern, das mit seiner Schwaige Kasse und Küche des Erzstifts und Fürstentums Salzburg füllte. Unweit von der Pfarrkirche am Dorfbach lag der Zehenthof Tantzlehen. Ein Kornhof, um die Jahrtausendwende errichtet, dem das Einsammeln und Abliefern der Getreideabgaben in der Gemeinde oblag.

Drei Töchter hatte der Tantzlechner, der Ronacher. Eine schöner als die andere. Der ältesten war er einmal beim Schlittenfahren begegnet. Er hatte ihr Bild verschwommen vor Augen. Verwischt wie alles, was in schneller Fahrt vorbeihuscht. Fliegende Zöpfe. Glänzende Augen. Und ein Mund so rot wie reife Walderdbeeren.

Die Sonne blendete ihn, als er hinüberschaute zu den gleißenden Gletschern der Venedigergruppe. Kein Mensch hatte sich je in die Region des ewigen Eises gewagt. Wie die Zinnen einer mächtigen Trutzburg ragten die Gipfel der Hohen Tauern in das Blau des Himmels. Eingeschnitten in das Gebirge, zwischen schroffen Felswänden und schattigen Waldflanken, lag das Habachtal. Dunkel, abweisend und geheimnisvoll. Hochfürstliches Jagdrevier der Erzbischöfe seit alters her. Die schönsten Steinböcke gab es hier. Und seltene Kristalle in allen Formen und Farben.

Ja, es gab noch andere Dinge, für die es sich zu leben lohnte.

1

Martinimarkt

Die Sterne zwingen nicht, sie machen nur geneigt.

Johannes Kepler

Man schrieb den 11. November 1667. Martinitag im Bauernkalender. In Mittersill war Jahrmarkt. Die ersten Schneeflocken wirbelten lustig um die Buden und Stände. Der Duft gebrannter Mandeln vermischte sich mit dem Geruch heißer Maroni. Menschen drängten sich um die Schausteller und Spielleute. Ein Bänkelsänger erzählte schaurige Moritaten, die er mit dem Zeigestock an einer Bildtafel veranschaulichte. Eine Wahrsagerin in bunten Gewändern, das Kopftuch zum Turban gewickelt, war umringt von Bäuerinnen, die sich die Zukunft und andere Geheimnisse aus der Hand lesen ließen. Mit ängstlichen Blicken verfolgten Jung und Alt einen Seiltänzer, der hoch über ihren Köpfen seine todesmutigen Kunststücke vorführte. Keinen Glückstag hatte der Bärentreiber, dessen brauner Geselle nicht nach seiner Sackpfeife tanzen wollte.

Vor der Bühne einer Komödiantentruppe blieb Christoff stehen. Mit großen Worten kündigte der Theaterdirektor »die tragische Historia von dem Zauberer und Schwarzkünstler Doctor Johann Faustus« an. Der mit seinem Schicksal hadernde Gelehrte hat sich mit dem Teufel verbündet, damit dieser ihm verschaffe, was ihm bisher versagt blieb: Ruhm, Reichtum und schöne Frauen. Die Aufführung findet mäßigen Beifall. Der Doktor wird als übler Schelm und Scharlatan beschimpft, und der Teufel Mephisto mit Eiern beworfen, dass er schnell hinter die Kulissen flüchtet.

Die Hände in den Hosentaschen, schlenderte Christoff gemächlich weiter. Vorbei an einem Kuriositätenkabinett, dessen Besitzer dem Publikum ein Kalb mit zwei Köpfen zu zeigen versprach, an einem Karussell mit hölzernen Fabelwesen, das von vier kräftigen Männern angetrieben wurde, und einem Zauberkünstler, der aus den Rocktaschen seines verblüfften Publikums jedesmal eine Silbermünze hervorholte. Er überlegte, wie die Münzen in die Taschen gekommen sein könnten, als ihn ein Schrei aus seinen Gedanken riss.

»Der Bär ist los! Der Bär ist los!«

Mitten durch die entsetzt zurückweichende Menge kam der Tanzbär gelaufen. Mit der abgerissenen Kette am Nasenring und seinem struppigen Fell bot das Tier einen erbärmlichen Anblick. Für die Menschen, die ihn furchtsam beäugten, schien sich der Bär nicht zu interessieren. Der zottelige Geselle trabte schnurstracks dahin, wo seine Nase Leckerbissen witterte. Am Stand des Zuckerbäckers angekommen, stellte sich der Bär auf die Hinterpfoten und langte mit der Tatze nach den Schmalzkrapfen, die er mit grunzendem Wohlbehagen verzehrte, bis sein Halter herbeigeeilt kam und den Reißaus fluchend wieder an die Kette legte.

Als der Bärentreiber abgezogen war, fiel Christoff ein, dass er seiner Schwester versprochen hatte, ihr einen Krapfen mitzubringen. Aber bitte den mit der Marillenmarmelade, hatte Barbara ihm eingeschärft. Wie er das weiß bestäubte Backwerk in Empfang nahm und sich umdrehte, stand sie plötzlich neben ihm. Schlank und schön. Er kam ins Grübeln. War das nicht die Kleine vom Rodelberg, die ihm so fröhlich zugewinkt hatte, damals vor vier Jahren? Ja, sie war es. Unverkennbar. Und doch wieder nicht. Die Augen waren dieselben, aber der Blick ein anderer. Rätselhaft.

Sie wandte sich um. Wie er sie anschaute. Durchdringend. Prüfend. Mit schmalen Augen, eine steile Falte zwischen den Brauen. Als würde er nach einem Wild spähen. Nicht mit diesem kindischen Grinsen wie die Burschen, die sie angafften oder ihr schöne Augen machten. Sie fühlte seinen Blick an sich herabgleiten, dass ihr ganz heiß wurde. Unwillkürlich zog sie ihren Schal fester um den Hals. Der große Kerl kam ihr irgendwie bekannt vor. Woher nur?

Sie sah sich wieder als Vierzehnjährige auf dem Schlitten. Mit Wollmütze, Schal und Handschuhen. Sie hatte ihn erst bemerkt. als er neben ihr fuhr. Er hatte flüchtig zu ihr herübergeschaut, ob er nicht in ihre Spur geriet. Sie hatte zu ihm geschaut, ob es keiner von den Schulbuben sei, der sie anrempeln wollte. Dabei hatte sie ihn angelächelt und ihm zugewinkt.

Warum eigentlich? Es war doch sonst nicht ihre Art, fremden Burschen zuzuwinken. Wer ist das, hatte sie ihre Freundin Veronika gefragt. Es wird einer vom Sonnberg sein, meinte die Scharlertochter abschätzig. Bestimmt ein Bauernknecht. Was willst du mit dem?

Nun stand er vor ihr. Groß und breitschultrig. Sein sonnengebräuntes Gesicht, über dessen linke Wange eine Narbe lief, erinnerte sie an den Stamm einer Wetterzirbe. Die widerspenstige Haarlocke, die ihm ins Gesicht fiel, verlieh ihm etwas Verwegenes. Ob die Falten um Augen und Mund vom Tagewerk oder vom Lachen kamen? Auf einmal erschien er ihr gar nicht mehr so alt. Und auch nicht mehr so groß. Mit der Stirn reichte sie ihm immerhin bis zum Kinn, wenn nicht darüber. Den Mund zu einem Lächeln verzogen, warf sie mit lässiger Gebärde ihre Zöpfe über die Schulter.

Wie angewurzelt blieb Christoff stehen. Verzaubert vom Liebreiz ihres Antlitzes, starrte er sie unverwandt an. Die langen dunklen Wimpern, die ihrem Blick etwas Sanftes gaben. Der große erdbeerrote Mund mit den bogenförmig geschwungenen Lippen. Die kurze, ein wenig himmelwärts gerichtete Nase. Die dichten dunklen Augenbrauen. Seltsam, die rechte Braue hob sich zu einem scharfen Winkel, während die linke einen sanften Bogen zeichnete. Als habe sie zwei verschiedene Seiten. Einen scharfen Verstand und ein sanftes Gemüt.

Die Farbe ihrer Augen erinnerte ihn an die Vergissmeinicht, die bei der Hausquelle blühten. Dort, wo sie das Wasser zur Brunnenstube ableiteten. Ein lichtes Himmelblau.

Etwas Strahlendes umgab dieses Mädchen. Es war, als ginge ein Leuchten von ihr aus. Ein inneres Leuchten. So musste eine Marienerscheinung auf den Wunderseher wirken. Diese Erscheinung allerdings war aus Fleisch und Blut. Mit rosigen Wangen und einem roten Mund. Mit der würde er auch – sofort.

Wie alt mochte sie wohl sein? Achtzehn? Neunzehn? In dem Alter hatte er noch keine gehabt. Die hatten meistens keine Erfahrung in der Liebe. Die meinten es ernst und ließen einen nicht mehr los.

Er gab sich einen Ruck und räusperte sich.

»Heute mal ohne Kavalier?«

»Er hat seinen freien Tag. Was dagegen?«, sagte sie mit gespielter Gleichgültigkeit.

»Er hat sich wohl eher zu viel herausgenommen?«

»Nicht mehr als einer, der vor mir steht und neugierige Fragen stellt.«

»Du spielst wohl gern die Kühle?«, sagte er.

»Nur bei denen, die es verdienen.«

»Bist du nicht eine von den Tantzlehentöchtern – die Kleine vom Rodelberg?«

»Ja, die Cecilia Ronacherin. Aber klein nicht mehr, wie du siehst. Mit wem habe ich das Vergnügen?«

Genussvoll biss sie in einen Krapfen, dass der Staubzucker an ihrer Oberlippe kleben blieb. Gespannt, was er antworten würde, leckte sie langsam die Zuckerkrümel weg.

»Ich bin der Jenner – vom Gut Fronleiten.«

»Fronleiten am Sonnberg?«

»Ja. Der letzte Hof gegen das Mühlbachtal.«

»Ganz schön abgeschieden die Gegend.«

»Im Winter schon. Oft liegt der Schnee so hoch, dass man kaum vor die Tür kommt.«

»Hast du auch einen Taufnamen?«

»Christoff.«

Er vergrub seine Hände in den Hosentaschen. Am liebsten wäre er seinen Händen gefolgt.

Sie bemerkte seine Verlegenheit. »Was machst du hier? Nur wegen des Schmalzgebäcks bist du doch nicht nach Mittersill gekommen?«

»Ich war auf dem Pflegamt. Zu Martini sind Zins und Zehent fällig. Und – wie kommst du hierher?«

Eine dümmere Frage fiel ihm nicht ein. Mit Fragen tröstet man Witwen. Damit erobert man keine Weiber. Die wollen zum Lachen gebracht werden. So hatte er es immer gehalten. Auf einmal war alles anders. Dieses Weibsbild zog ihm den Boden unter den Füßen weg. Und machte ihn unsicher.

»Mein Vater hatte auch auf dem Pfleggericht zu tun. Jetzt sitzt er mit den anderen Bauern im Bräurup. Bist du mit dem Wagen da?«

»Wir haben keine Kutsche. Der Fahrweg auf den Sonnberg geht nur bis zum Haslachhof. Und das Mühlbachtal ist ab der Herrenmühle gesperrt für Gespanne.«

»Willst du mit uns fahren?«

»Danke. Ich gehe lieber zu Fuß.«

»Den weiten Weg und dazu in der Dunkelheit?«

»Na und?«, entgegnete er schulterzuckend.

Das Gespräch kam ins Stocken. Er hätte gern noch etwas gesagt. Aber es fiel ihm nichts ein. Er wischte sich mit der Hand über das schneenasse Gesicht. Gleich würde sie sich umdrehen und gehen. Dann war alles verspielt. Doch sie ging nicht.

»Fährst du immer noch Schlitten?«, fragte sie unvermittelt.

»Ab und zu den Hörnerschlitten mit einer Fuhre Holz.«

Versonnen blickte sie an ihm vorbei. »Ich hätte auch mal wieder

Lust, Schlitten zu fahren …«

»Bei Vollmond macht es am meisten Spaß. Wenn die Ehehalten am

Rodelberg sind. Dann ist der Bär los.«

Sie lachte. »Einer hat mir gereicht! Was habt ihr Bauern am Berg bloß für altertümliche Ausdrücke. Du meinst wohl die Dienstboten – das Gesinde.«

»Knechte und Mägde, wenn dir das lieber ist«, sagte er mürrisch.

Sein Unmut schien sie zu amüsieren. »Wann haben wir Vollmond?«

»In neun Tagen.«

»Woher weißt du das?«

»Bei der Holzarbeit richten wir uns nach dem Mond. Jedes Holz hat seinen eigenen Zeitpunkt, wann es am besten ist.«

Ihre Augen blitzten spottlustig. »Ich hoffe, unser Bockschlitten ist auch aus Mondholz. Nicht, dass er zusammenbricht …«

»Viel mehr, als im Schnee landen, können wir nicht.«

»Meinst du?« Sie schaute ihn fragend an. »Also dann bei Vollmond. Nach dem Nachtmahl. Weißt du, wie du zu uns kommst?«

»Ich kenne Tantzlehen. Der Weg zum Sonnberg führt daran vorbei, wenn man zur Pfarrkirche geht.«

»Vorstellen werde ich dich nicht, sonst kommen wir nicht mehr fort. Mutter will immer genau wissen, mit wem ich mich verabrede. Und meine Schwestern würden dich mit Fragen löchern.«

»Das ist bei uns genauso. Meine Schwester ist sechzehn und muss um acht Uhr abends zu Hause sein. Damit es kein Gerede gibt. Was nützt es? In ein, zwei Jahren ist sie aus dem Haus. Dann macht sie doch, was sie will.«

»Es kommt, wie es kommt, und meistens anders, als man denkt.« Dabei lachte sie und schüttelte den Schnee von ihrem graulodenen Überwurf, dass die Flocken aufstäubten. »Jetzt muss ich aber gehen – mein Vater wartet bestimmt schon. Dann bei Vollmond, Schlag neun. Du wirst mich hoffentlich vor dem Nachtkrapp beschützen …«

»Wenn du willst, auch vor anderen Nachtschwärmern …«

Sie trat näher an ihn heran. Er spürte ihren Atem. Wie dicht ihre Augenbrauen waren. Wie lang ihre Wimpern. Wie rot ihre Lippen. Wie glatt ihre Haut. Verzaubert von ihrer Schönheit, kam es ihm vor, als ob die Welt um ihn herum in weite Ferne rückte.

Sie blickte ihn herausfordernd an. »Du denkst wohl, ich habe auf dich gewartet.«

»Ich wollte, ich könnte es glauben. Dieses Mal fährst du mir nicht wieder davon.«

»Das wird sich zeigen …«

Ohne ein Wort des Abschieds wandte sie sich um und ging. Mit erhobenem Kopf, die Hand am Schulterriemen ihrer Tragtasche.

Er blickte ihr nach, bis sie in die Kirchgasse zum Gasthaus Bräurup einbog. Wenn sie sich umdreht, bevor sie um die Ecke verschwindet, hat es bei ihr gefunkt.

Er hielt den Atem an.

Tatsächlich, sie drehte sich um. Er glaubte, ein Lächeln auf ihrem Antlitz wahrzunehmen. Es konnte auch eine Täuschung sein. Im Zwielicht ist vieles unwirklich. Da verwandelt sich der Bock leicht in ein Einhorn. War die zauberhafte Erscheinung auch eine Täuschung? Nein, die Begegnung mit der Bauernprinzessin war so wahr, wie er mit beiden Beinen auf der Erde stand. Verwundert schüttelte er den Kopf und schritt über die Brücke der Achen.

Die Händler und Schausteller begannen, ihre Stände und Buden abzubauen. Schloss Mittersill, der Sitz des Pfleggerichts, hoch über den Ufern der Salzach, war von Pechfackeln erleuchtet. Die Umrisse der schneebedeckten Gebirgslandschaft verschwanden in der Dämmerung. Berg und Tal flossen ineinander über. Als hätte ein Künstler in einem Anfall wilder Wut ein Aquarell in schlammfarbenen Tönen übermalt.

Der Himmel war schmutzig gelb vom Rauch der Herdfeuer und Stubenöfen.

Christoff machte sich auf den Heimweg. Es hatte aufgehört zu schneien. Die Nacht versprach, kalt und klar zu werden. Das richtige Wetter für die Holzarbeit. Morgen könnten sie an den Lärchenstamm gehen. An den Windwurf beim Arzboden.

Die Tantzlehentochter ging ihm nicht aus dem Kopf. Cecilia Ronacherin, die älteste Tochter des Zehentbauern Rupert Ronacher, des Bauernkönigs von Bramberg, hatte sich mit ihm verabredet. Mit ihm, dem Sohn eines Kleinbauern. Knecht daheim, Tagelöhner bei den anderen. Jeder, der den Namen Jenner kannte, wusste das. Was hatte sie sich dabei gedacht? War es eine Laune des Augenblicks? Oder waren andere Dinge im Spiel? Magnetische Kräfte, wie ein gelehrter Mann behauptete. Ein Jesuitenpater. Kirchner oder Kircher. Der Messner hatte es erzählt. Als Schulmeister wusste er solche Dinge.

Auf dem Kutschbock neben ihrem Vater dachte Cecilia über die letzten Worte des Fronleitners nach. Sie gingen ihr nicht aus dem Sinn. Auch nicht, als sie im Nachthemd vor dem Spiegel der Waschkommode stand und ihre beiden Zöpfe löste. Den Kopf zur Seite geneigt, bürstete sie das kastanienbraune Haar, das ihr fast bis zu den Hüften reichte. Sie war stolz auf ihr Haar und pflegte es jeden Abend, bis es wie Mahagoniholz schimmerte. Schöneres Haar hatte keine im Dorf. Das Mädchenzimmer, ausgestattet mit einem Doppeltürkasten, bemalt mit Rosetten und Girlanden, einer geschnitzten Gewandtruhe sowie Tisch und Stühlen, teilte Cecilia mit ihren beiden Schwestern. Es ging meistens recht lustig zu vor dem Zubettgehen. Franziska, mit knapp vierzehn die Jüngste, konnte endlos über belanglose Dinge lachen. Sie war von lebhafter Natur und ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Die sechzehnjährige Susanna, kräftiger von Gestalt und ruhiger in ihrer Art, lästerte gern über andere, wobei sie oft maßlos übertrieb. Gerade diese Unterschiede in Wesensart und Temperament trugen dazu bei, dass die drei Schwestern wie Pech und Schwefel zueinanderhielten. Nicht selten verbündeten sie sich gegen ihre Eltern, wenn eine von ihnen sich ungerecht behandelt fühlte.

»Deine Zöpfe sind bald so lang, dass ein Bursche daran zum Fenster hinaufklettern kann«, spottete Franziska, während sie ein Bein auf den Stuhl stellte und ihren Strumpf auszog.

»Der Bursche, der mich einmal besucht, kommt zur Zimmertür herein und nicht durchs Fenster wie ein Dieb«, entgegnete Cecilia spitz. Sie legte die Bürste beiseite und begann, ihr Haar zu kämmen.

»Hättest du blondes Haar wie ich, Celia«, sagte Susanna, die damit beschäftigt war, ihre Zöpfe zu lösen, »würde es im Mondlicht glänzen wie lauteres Gold und jedem Burschen den Weg zur Kammer weisen.«

»Und hättest du so feines Haar wie ich, Susu, würde der Bursche darin zappeln wie eine Fliege im Spinnennetz«, scherzte Franziska.

»Mit dem Fensterln gäbe es wohl Probleme«, spann Susanna beim Auskleiden den Faden weiter. »Der Bursche wäre bestimmt erstaunt, gleich zwei Jungdirnen zur Auswahl zu haben.«

»Wieso zwei – habt ihr mich vergessen?«, sagte Franziska.

»Du zählst bei diesen Dingen noch nicht, Fanny«, sagte Susanna ungerührt.

Franziska hatte sich ihres knielangen Unterbeinkleids entledigt.

»Was, ich zähle noch nicht?«, brauste sie auf. »Soll ich es euch beweisen?«

Dabei zog sie ihr Unterhemd aus und warf es achtlos auf den Boden.

Susanna und Cecilia betrachteten lächelnd die schmalen Hüften und staksigen Beine ihrer kleinen Schwester.

»Ein Kind bist du nicht mehr, aber für die Liebe noch zu jung – auch wenn du schon deine ersten Tage hast«, sagte Susanna trocken.

»Prinzessin Margarita Theresa war auch erst vierzehn, als sie letztes Jahr ihren Onkel, Kaiser Leopold, geheiratet hat.«

»Vierzehn war sie bei der Vermählung in Procuratione«, belehrte sie Cecilia. »Da haben die beiden sich noch nicht einmal gesehen. Bei der Hochzeit in Wien war sie fünfzehn. Aber was hatte sie schon davon? Nichts als Fehlgeburten. Im Januar bekam sie endlich ihr erstes Kind, die Maria Antonia.«

Missbilligend schaute Susanna ihrer jüngeren Schwester zu, die im Schrank, nackt wie Gott sie schuf, nach einem Nachthemd kramte.

»Mit deiner Freizügigkeit übertriffst du alle. Das hast du von Mama gelernt, die aus dem Badezimmer kommt, als wäre sie die Venus.«

»Manche können es sich eben leisten«, erwiderte Franziska schnippisch, das Nachtgewand überstreifend. »Aber tröste dich, Susu, üppig ist jetzt die große Mode – man steht auf Speck und Schinken.«

»Speck und Schinken? Warte, ich zeige es dir, du Giftkröte!«

Mit gespielter Entrüstung jagte Susanna ihre kreischende Schwester um den Tisch herum, bis die Jüngere sich auf ihr Bett warf und sich beide lachend in den Kissen wälzten.

Den Kopf beim Kämmen zur Seite geneigt, schaute Cecilia belustigt dem Knäuel nackter Arme und Beine zu.

»Auf dem Martinimarkt ist mir der ältere der beiden Jennerbrüder begegnet. Ihr wisst doch, die Jenner auf Fronleiten am Sonnberg. Kennt ihn jemand von euch?«

»Den Christoff?«, keuchte Susanna erhitzt, wobei sie ihre Schwester losließ. »Ich hab ihn ab und zu gesehen, wenn er seine Schwester von der Schule abgeholt hat. Mit der Barbara bin ich in dieselbe Klasse gegangen.«

»Und – was war dein Eindruck von ihm?«

»Er ist ein absoluter Chaot!«

Mit einer Knochenbürste aus eingezogenen Schweinsborsten war Cecilia damit beschäftigt, ihre Zähne zu putzen.

»So. Ein Chaot?«, sagte sie ohne ihre Tätigkeit zu unterbrechen.

»Ja. Er kriegt einfach nichts gebacken. In den Wirtshäusern sitzt er am Würfeltisch, oft bis spät in die Nacht. Auch geht er keinem Streit aus dem Weg. Barbara erzählte mir, er sei unehrenhaft aus derArmee entlassen worden.«

»Unehrenhaft?« Cecilia zog eine Augenbraue hoch. »Hatte er Spielschulden – oder etwa ein Duell?«

»Nichts von alledem. Er soll einen militärischen Befehl verweigert haben. Ich glaube, im letzten Türkenkrieg. Mehr weiß ich auch nicht. Frag ihn am besten selbst.«

»Hat er eine Freundin?«

»An jedem Finger eine!«, lachte Susanna.

»Das glaube ich nicht – so sieht er nicht aus.«

»Was ist denn das für ein Gepolter? Es hört sich von unten an wie Mord und Totschlag.«

Die Tantzlehenbäuerin war in das Mädchenzimmer gekommen, um ihren Töchtern Gute Nacht zu sagen. Susanna strich ihr zerzaustes Haar aus der Stirn.

»Sag mal, Mama, als du in unserem Alter warst, kam da auch mal ein Bursche durchs Fenster in deine Kammer?«

Magdalena hob die Leibwäsche von Franziska auf und legte sie über die Stuhllehne.

»Ja. Der Alois Leitner vom Freisassenhof hat es einmal versucht. Er war so von sich eingenommen, dass er gar nicht gemerkt hat, dass ich nichts von ihm wissen wollte. Als er vor mir stand, mit erhitztem Gesicht und frechem Grinsen, sagte ich zu ihm: Dein Weg führt nicht in mein Bett, Leitner, sondern geradewegs durch die Tür. Draußen stand mein Vater und verpasste ihm zum Abschied einen Denkzettel, den er garantiert nicht mehr vergessen hat.«

Die Mädchen lachten lauthals, dass sich Magdalena die Ohren zuhielt.

»Wie ihr wisst«, fuhr sie fort, »kam ich mit siebzehn nach Tantzlehen. Euer Vater musste bei mir nicht fensterln. Als wir uns einig waren, dass wir heiraten, stand für Rupert meine Kammertür immer offen. Allerdings habe ich meinen Brautkranz auf ehrliche Weise getragen. Man darf den Mannsbildern vor dem Hochzeitsgeläut nicht zu viel gönnen. Sonst vergessen sie leicht, was sie versprochen haben.«

Als die Mädchen in ihren Betten lagen, zeichnete Magdalena jedem von ihnen mit dem Daumen das Kreuzzeichen auf die Stirn und löschte die Wachslichter.

Cecilia lag noch lange wach. Durch einen Spalt des geblümten Vorhangs sah sie die Sterne am Himmel funkeln; sie dünkten ihr greifbar nahe. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, musste sie an den Jenner denken. Sie überlegte, was das Besondere an ihm war. Die klaren grauen Augen, die ihre Gedanken zu lesen schienen? Die tiefe, raue Stimme, die sie auf unerklärliche Weise anzog? Die Gelassenheit, die er ausstrahlte, als könne ihn nichts erschüttern? Oder täuschte sie sich? Jedenfalls war er anders als alle anderen, die sie kannte. Die Platzhirsche mit ihrem gespreizten Gehabe. Die Prahlhanse, die sie mit ihren schnellen Wagen oder edlen Reitpferden zu beeindrucken versuchten. Nein, von sich eingenommen war er nicht. Auch wenn seine letzten Worte etwas überheblich geklungen hatten. Wollte er sich bloß Mut machen? Oder war es die Gewissheit, dass sie mehr verband als die Erinnerung an eine Schlittenfahrt?

Aber das war nicht alles. Eine wohltuende Kraft, spürte sie, ging von diesem Mann aus. Die Leichtigkeit, mit der er der Welt ins Gesicht lachte. Wie einer, der nach seinen eigenen Gesetzen lebte. Seine Gegenwart verscheuchte die Schatten der Schwermut, die sie an manchen Tagen überkamen. Unverhofft wie eine Schar Saatkrähen auf frisch gepflügtem Acker.

In neun Tagen sei Vollmond, hatte er gesagt. Als sie sich vorstellte, mit diesem Kerl auf einem Schlitten zu sitzen, hinter seinem breiten Rücken, vielleicht auch vor ihm, lief ein Schauer über ihren Körper. Ein Prickeln, erregend und erwartungsvoll. Noch nie hatte sie dieses Prickeln gespürt. Sie legte die Hand auf ihr Herz. Es schien ihr, als klopfte es lauter als sonst. So laut, dass sie befürchtete, es könnte ihre Schwestern wecken.

Ob sie es leugnen wollte oder nicht, sie hatte sich verliebt.

Neun Tage später schlug Christoff den Weg nach Tantzlehen ein, um die achtzehnjährige Tochter des Zehentbauern Rupert Ronacher und der Magdalena Kammerlanderin zum Schlittenfahren abzuholen. Mächtige Kornkästen und Dreschtennen, Stallungen und Schuppen, Hofschmiede und Gesindehaus säumten das herrschaftliche Anwesen. Seit dem 13. Jahrhundert besaß Tantzlehen das erzbischöfliche Privileg, den Zehenten von den Bauern zwischen Bramberg und Krimml einzutreiben und an den Felberkasten in Mittersill abzuliefern, den Kornspeicher des hofurbarlichen Kellenamts in Stuhlfelden. Ein Drittel der Getreideabgaben oder anderer landwirtschaftlicher Erträge bekam der Erzbischof, ein Drittel der Pfarrherr der Kreuztracht, ein Drittel die Armen. Nicht umsonst zählten die Ronacher zu den angesehensten und reichsten Bauern des Oberpinzgaus.

Ehrfurchtsvoll betrachtete Christoff das stattliche Gutshaus. Wie jedermann wusste, läutete die Giebelglocke für mehr als zwei Dutzend Dienstboten zum Feierabend. Bis unter den Dachfirst war das im rechten Winkel versetzte zweistöckige Wohnhaus aus Stein gemauert und mit Lehmmörtel verputzt. Ein Wandgemälde an der Südseite, neben dem oberen Söllerumgang, zeigte den heiligen Martin auf dem Pferd, wie er mit dem Schwert seinen Mantel teilte. Es ging die Rede, kein Bettler habe den Zehenthof jemals ohne ein Almosen verlassen.

Zögernd trat Christoff an die Schwelle des rundbogigen Sandsteinportals. Als er den eisernen Klopfer betätigen wollte, öffnete sich die Haustür. Bekleidet mit Lodenumhang, Schal und Strickmütze, stand Cecilia vor ihm.

»Sieh nur, ist der Mond nicht wunderschön?«

»Nicht schöner als eine, die vor mir steht.«

»Ich möchte nicht wissen, wie oft du das schon gesagt hast.«

»Nur so oft, wie Vollmond ist.«

»Kannst du noch etwas anderes als Sprüche machen?«

»Das musst du schon selbst herausfinden.«

»Ich weiß nicht, ob ich diese Entdeckerlust habe«, sagte sie und griff zum Schlitten an der Hauswand.

»Bleib in der Nähe der anderen, hörst du!«, rief eine weibliche Stimme.

»Mama, ich bin doch kein Kind mehr!«

Mit dem Bockschlitten zogen sie durch die stille weiße Winternacht. Das sternenübersäte Firmament funkelte und flimmerte wie eine Kristallkluft. Im Norden stand der Große Wagen, hell und hoch. Im Mondlicht warfen die Weidezäune harte Schatten. Die Berge erschienen niedriger und näher. Keine Farbskala stufte sie ab. Schweigend gingen sie über die verschneiten Berglehnen. Christoff suchte nach Worten, aber es wollte ihm nichts Gescheites einfallen.

Nur das Schellengeläut eines Pferdeschlittens, der Halbzehnuhrschlag der Kirchturmuhr und das leise Plätschern eines Bachs, über den rauchiger Nebeldunst quoll, unterbrachen die nächtliche Ruhe. Doch Christoff kam es vor, als wäre das Pochen seines Herzens noch lauter.

Die Füße durch den pulvrigen Schnee pflügend, sausten sie die Rodelbahn hinab. Zaghaft umfasste sie seine Hüften. In einer scharfen Kurve verlor sie fast das Gleichgewicht. Darauf rückte sie näher an ihn heran. Klammerte sich fester an ihn, sodass sie die Wärme seines Körpers spürte. Der Schnee stäubte ihnen beim Bremsen ins Gesicht. Als sie vor ihm saß und das Gefährt lenkte, flogen ihm ihre Zöpfe um die Nase. Der Duft ihres Haars benahm ihm den Atem, dunkle Sehnsüchte heraufbeschwörend. Wie sähe sie mit offenem Haar aus? Es müsste ihr fast bis zu den Hüften reichen. Würde sie sich ihm jemals so zeigen?

Das Gejohle und Gekreische der anderen hörten sie kaum. Irgendjemand rief ihnen scherzhaft zu, sie sollten aufpassen, nicht aus der Bahn zu kommen. Die Doppeldeutigkeit der Worte überhörten sie. Sie sahen und hörten nur sich.

Christoff musste einen Augenblick geträumt haben. Jedenfalls sah er den Schlitten nicht, der sich in schneller Fahrt von links näherte. Vorn der Matz, der Knecht vom Brunnerhof, dahinter die Resl, die Jungdirn von Schöneben. Mit lautem Jauchzen kamen die beiden auf sie zugeschossen, in der Absicht, sie vom Schlitten zu werfen.

»Nach rechts rüber!«, rief Christoff.

Cecilia wollte ausweichen und riss den Schlitten herum. Zu spät. In hohem Bogen flogen sie den Abhang hinunter. Prustend und lachend lagen sie im Schnee. Über und über weiß bestäubt. Ihre Gesichter berührten sich fast. Jeder spürte den Atem des anderen.

Das Verlangen überkam ihn, diesen schneebestäubten, lachenden Mund zu küssen, der ihm heiß vor Erregung entgegenhauchte. Doch sein Verstand sagte ihm, der richtige Zeitpunkt dafür sei noch nicht da. Müsste er sich nicht wie ein Dieb vorkommen?

Cecilia erhob sich und klopfte den Schnee von Mütze und Mantel.

»Jetzt muss ich nach Hause. Meine Schwestern schlafen bestimmt schon.«

Auf dem Heimweg nahm Christoff ihre Hand. Sie ließ es geschehen. Die Hand fühlte sich weich und warm an. Nach einer Weile spürte er einen sanften Gegendruck. Ein Schauer des Glücks durchrieselte ihn. Ein aufregendes Prickeln. Er spürte, dass sich hinter diesem Gefühl mehr verbarg als ein bloßes Abenteuer.

Nach diesem Abend trafen sie sich häufiger. An der Herrenmühlsäge in Mühlbach. Bei den Heustadeln am Sonnberg. Oder auf der Tenne von Tantzlehen. Wenn alles schlief. Vielmehr wenn sie glaubten, dass alles schlief. Die Kälte der Nebelnächte drang durch die Luken und Ritzen der Scheunen und Mühlen. Doch sie spürten es nicht. Anfangs versuchte sie noch, ihn mit sanfter Hand abzuwehren, wenn er in heißem Verlangen ihr Mieder aufschnüren wollte, das sie wie alle Bauerndirnen über dem Rock trug.

»Ist es nicht unzüchtig, was wir tun?«, fragte sie ängstlich, als seine Hand ihr Unterhemd hochstreifte.

»Wer hat dir denn diesen Unsinn eingeredet?«

»Der Pfarrherr – im Kommunionsunterricht.«

Der Anblick ihres nackten Oberkörpers im Strahl des Mondlichts, der durch die Scheunenluke fiel, erregte ihn so sehr, dass er sich nicht mehr in der Gewalt hatte. In der Begierde, ihre Haut an seiner Haut zu spüren, riss er sich das Hemd vom Leib und warf sich über sie. Seine Hände mit ihren Händen verknotet, dass sie unfähig war, sich zu wehren, wanderte sein Mund von ihrem Mund abwärts über Hals, Schulter und Busen. Wie scharlachrote Rosen im Schnee, aufblühend in kalter Winternacht, erschienen ihm ihre Brüste. Nie zuvor, wenn er bei einem Weib lag, hatte er diese Lust verspürt. Immer hatte ihn etwas gestört. Etwas, das ihn davor bewahrte, mehr als das Vergnügen zu suchen. Mit der Tochter des Tantzlechners war alles anders. Sie war, wie ein Weib sein sollte. Vollkommen. So eine war ihm noch nie begegnet.

Die wollte er ganz.

Mit Herz und Seele.

Cecilia lag regungslos da. Die Hände in seinen Locken vergraben, starrte sie in das Gebälk. Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Er war anders als sonst. In seinem Verlangen nahm er sie überhaupt nicht wahr. Er spürte gar nicht, was in ihrem Inneren vorsichging. Er behandelte sie wie die anderen. Die Liederlichen. Die von der billigen Sorte. Als sie seine Hand an ihren Schenkeln spürte, die Schleifen des Unterbeinkleids lösend, wurde ihr bewusst, was er im Sinn hatte.

Sie richtete sich jäh auf. »Lass das bitte – ich will nicht!«, sagte sie, ihre Kleider ordnend.

»Und warum nicht?« Verärgert zupfte er das Heu von seiner Joppe.

»Weil es sündhaft ist. Und außerdem muss ich jetzt nach Hause.«

»Sündhaft?«, lachte er. »Wenn wir immer ängstlich darauf schielen, was und wo und wann wir etwas dürfen, wird das Leben so trocken und dürr wie …« Er zog einen Halm aus dem Heu und kitzelte sie an der Nase. »… wie Heublumen.«

»Das sagst du nur, um mich rumzukriegen.«

»Nein, es ist meine Überzeugung.«

»Ihr Mannsleute habt gut reden. Wir Mädchen sind es, die am Ende mit der Bescherung dasitzen.«

»Ich werde dich nicht sitzenlassen. Was auch immer geschehen mag. Niemals.«

Sie wollte sich nicht so leicht geschlagen geben. »Müssen wir uns jetzt schon unseren Willen nehmen? Das Leben liegt doch noch vor uns …«

»Was vor uns liegt, wissen wir nicht«, sagte er hart. »Man pflückt die Blumen, solange sie blühen.«

»Ach, dann bin ich also eine Blume, die man pflückt«, sagte sie mit bitterem Lächeln.

Er schaute ihr in die Augen mit einem Blick, der in ihr Herz drang. »Eine Rose gebrochen, an Dornen gestochen, mit Blut geschrieben: Ich werde immer dich lieben.«

Cecilias Widerstand schmolz wie Märzenschnee in der Sonne. Jede Nacht ein Stück mehr. Jede Nacht, die sie bei ihm lag, schwand ein Kleidungsstück mehr von ihrem Körper. Sie war machtlos gegenüber ihrem Verlangen nach Nähe. Nach Wärme. Nach Vereinigung. Eines Nachts streifte er ihr Unterbeinkleid vom Leib, ohne dass sie sich wehrte. Sie nahm die Hornspange aus ihrem Haar, löste die Zöpfe und gab sich ihm hin. Im Überschwang der Gefühle. Ohne Besinnung.

Die Nacht hat viele Augen. Einmal vernahmen sie ein Rascheln im Heu. Ängstlich klammerte sich Cecilia an Christoff. Es sei bestimmt ein Marder, versuchte er sie zu beruhigen. Da erhob sich neben ihnen eine zerlumpte Gestalt, ärgerlich brummend, bei dem Lärm könne man ja kein Auge zutun. Sie mussten lachen, als der Landfahrer mit seinem Bündel davonzog. Ein anderes Mal, in der Wennser Stampfmühle, lagen sie auf einem Stapel leerer Kornsäcke. Plötzlich setzte sich mit Ächzen und Knarren das Räderwerk in Bewegung. Von den unsichtbaren Griffen des Wellbaums gehoben, stiegen die schweren Stampfer gespenstisch in den Rahmen auf und polterten nacheinander in den hölzernen Trog, hoben und senkten sich unablässig im gleichförmigen Takt der Stöße, ein wahrer Höllenlärm, von keiner Schütte Korn oder Spreu gedämpft. Mit einem Schrei befreite sich Cecilia aus der Umarmung und sprang auf. Hand in Hand rannten sie lachend zu einer benachbarten Scheune. Bis sie merkten, dass sie auf der Flucht ihre Kleider vergessen hatten. Da glaubten sie, ein Gelächter zu hören. Es konnte auch eine Einbildung sein. Wie so vieles.

Sie waren einander so nah, dass sie manchmal nicht mehr wussten, in welchem Körper sie lebten.

So nah, dass sie am Tag noch die Stimme des anderen im Ohr hatten, den Geruch des anderen noch an der eigenen Haut wahrnahmen. Und der Körper des anderen so gegenwärtig war, als ob sie beieinander lägen. Und die Erwartung an das nächste Beisammensein ihnen die Bilder der vergangenen Nacht vorgaukelte und sie in einen Zustand der Entrücktheit versetzte.

So nah, dass ihre Gedanken fortwährend um den anderen kreisten.

Wie nach den Gesetzen des großen Mathematikers und Astronomen Johannes Kepler zwei Himmelskörper um ihren gemeinsamen Schwerpunkt.

Auf ewigen Bahnen.

2

Der Fluch der Bettlerin

Der Winter kam früh in diesem Jahr. Weiße Flocken wirbelten um Söller und Erker des Gutshauses von Tantzlehen. Ein Harnisch aus blankem Eis überzog das Brunnenrohr des Steintrogs vor dem Stall. Der Zainerl, der Jungknecht, fegte mit dem Reisigbesen den Schnee vor der Scheune. In dieser Zeit gab es auf dem Hof nur wenig zu tun. Die Knechte füllten den Drusch aus den Korntruhen in Zentnersäcke. Die Mägde schöpften Heu durch die Futterlöcher für Ross und Rind. Der Schnee machte alles Leben auf dem Hof leiser und langsamer.

Rupert Ronacher und seine Ehewirtin Magdalena saßen am Stuckofen in der Stube. Die grün glasierten Kacheln strahlten eine wohlige Wärme aus. Von der Kassettendecke pendelte ein schmiedeeiserner Ringleuchter. Der schöne, mit Schnitzereien verzierte Sekretär barg die Schriftstücke des Bauernguts – Urkunden und Dokumente aus der fünfhundertjährigen Geschichte des hochfürstlichen Zehenthofs. Der Türrahmen trug die Inschrift Curtis decimalis Anno Domini MCCL. Auch wenn sie kein Latein gelernt hatten, wussten sie doch, was die Wörter und Zahlen bedeuteten.

Versonnen schauten die Tantzlechner in die weiße Winterlandschaft. Erst vor Kurzem hatten sie Butzenscheiben in die Fensterrahmen einsetzen lassen. Runde bleigefasste Glasscheiben, die das Licht hereinließen, aber den Blick nach draußen verzerrten. Nun wollten sie mit Cecilia über eine Sache reden, die ihnen wie Blei auf der Seele lag: die Gefühle ihrer Tochter für den Jenner. Sie ahnten, dass es ihr ernst war und fürchteten eine überstürzte Heirat. Vielleicht, weil sie an ihre eigene dachten.

Magdalena, die mit achtzehn ihr erstes Kind, die Cecilia, bekommen hatte, galt als eine ausnehmend schöne Frau. Und das wusste sie auch. So glanzvoll das Bild ihrer äußeren Vollkommenheit war, besaß sie doch etliche Schwächen. Es ging das Gerücht, dass sie im Kirchenchor mehr als einen Verehrer hatte. Auch war es kein Geheimnis, dass sie nach den Proben gern ein Glas Wein in fröhlicher Runde beim Senningerbräu trank. Als sie eines Abends wieder einmal angeheitert nach Hause kam, mit einem Lied auf den Lippen, das nicht aus dem Gesangbuch stammte, meinte Rupert, bei einer solchen Frau brauche er nicht mehr ins Wirtshaus zu gehen. Sie verkörpere einfach alles, was einem Mann Freude bereite: Wein, Weib und Gesang.

Die Tür ging auf. Cecilia betrat die Stube. Sie trug Alltagskleidung: einen faltenreichen schwarzen Kittel mit blauer Schürze, links gebunden, wie es bei den Mädchen oder unverheirateten Weibern üblich war. Darüber ein kurzes, nur den Busen bedeckendes rotes Schnürmieder. Über dem weißen Hemd trug sie eine schwarze Strickjacke mit grüner Bordüre und silbernen Knöpfen. Eine Hornspange am Hinterkopf hielt die beiden zu einem Kranz gelegten Zöpfe zusammen. Mehrere Unterröcke rundeten ihre Hüften und betonten ihre schlanke Taille. Die Füße steckten in Doggln, Filzschuhen aus Wollresten und Loden, wie man sie im Winter nicht nur im Haus trug. Sie setzte sich auf das Fenstersims, die Arme um die Knie geschlungen, und blickte gelangweilt nach draußen.

Große weiße Flocken schwebten sanft herab, manche schaukelnd, andere tänzelnd. Sie verwischten das Bild, das sie vor Augen hatte, und machten alles unscharf. Den Dorfbach vor dem Haus. Die Krämerei links hinter der Brücke. Die Pfarrkirche am Ende der Gasse. Und deckten alles zu. Den Schmutz auf dem Hof. Die Spurrillen der Fuhrwerke. Die Tritte der Rösser auf den Fahrwegen. Das alte Gerümpel neben der Scheune. Den Komposthaufen hinter dem Haus. Nur die Jauchegrube nicht. Die Jauchegrube dampfte in der Wärme des frischen Stallmists. Als wollte sie mit höhnischem Grinsen sagen: Mich kann nichts und niemand zudecken. Der Schnee dämpfte alle Geräusche und Stimmen. Das Brüllen der Ochsen im Stall. Den hellen Klang der Schmiedehämmer. Die Zurufe der Fuhrknechte und Fütterer. Die Flocken fielen lautlos und friedlich. Missmutig schaute Cecilia nach draußen. Warum konnte nicht die ganze Welt so lautlos und friedlich sein?

Magdalena betrachtete ihre älteste Tochter mit Wohlgefallen. Mit ihrer Schönheit und dem Heiratsgut, das sie einmal bekommen würde, war sie eine der besten Partien im Oberland.

»Celia, wir haben dich hergebeten, weil wir mit dir über eine Sache reden müssen, die uns sehr am Herzen liegt«, eröffnete die Kammerlanderin das Gespräch. Sie hielt einen Augenblick inne, um ihre Gedanken zu ordnen.

»Gegen den Jenner ist an und für sich nichts einzuwenden. Manche sagen, er sei etwas eigenwillig. Nun, die Einsamkeit am Berg macht die Menschen manchmal sonderbar. Über seine Eskapaden kann man getrost hinwegsehen. Glücksspiel, Wein und lose Weiber – das gibt sich.« Dann wurde ihre Stimme schärfer. »Hast du dir schon einmal überlegt, was dich da droben erwartet? Bei den Bauern am Berg war das Geld schon immer so rar wie das Fleisch in der Suppenschüssel. Denk daran, dass du eine Ronacherin bist!«

Aus ihren Worten sprach der Stolz einer Frau, die den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft hatte. Von der Häuslertochter zur Gutsherrin.

Mit siebzehn war Magdalena als Saisonarbeiterin nach Tantzlehen gekommen. Aus dem Pustertal. Als Tochter des Tauferer Kleinbauern Martin Kammerlander und der Näherin Josefine Schwörerin. Rupert Ronacher, noch keine dreißig, hatte die Jätergitschen beim Gang über die Felder das erste Mal gesehen. Das schwarzbraune Haar unter dem Strohhut geflochten, Arme und Waden schlank und sonnengebräunt, stand sie im kniehohen Korn und jätete Unkraut. Als sie ihn mit roten Lippen und blitzenden Zähnen anlachte, war es um ihn geschehen. Es erging ihm wie so vielen.

Auch der Bauknecht Johann Gropler hatte ein Auge auf die Pustertalerin geworfen. Beim Erntefest, nachdem die letzte Fuhre Getreide im Kornkasten war, sah Rupert mit großem Missfallen, dass seine Magd mit dem Gropler tanzte. Die Art, wie sie in seinen Armen lag, sagte ihm, es sei fünf vor zwölf. Die Besitzgier nach dieser Frau machte den Ronacher so verrückt, dass er sie dem Bauknecht mitten im Tanz aus dem Arm riss und fragte, ob sie ihn heiraten wolle. Sie errötete und sagte, sie kenne ihn doch gar nicht. Das könne man ganz schnell ändern, erwiderte er und drückte ihr einen Kuss auf den Mund. Diese Frechheit quittierte sie mit einer Ohrfeige, die ebenso schallend ausfiel wie das Gelächter der Zeugen dieser Szene.

Im nächsten Frühjahr fand die Hochzeit statt. Gegen den Willen seiner Eltern. Ruperts Mutter gab zu bedenken, man wisse zu wenig über die Pustertalerin. Mit den Jätergitschen sei das so eine Sache. Sie wanderten von einem Hof zum anderen. Und nicht selten auch von einem Mann zum anderen. Mehr noch als das schöne Gesicht eines Weibes oder andere körperliche Vorzüge seien Elternhaus und Sippschaft ein Spiegel der Seele, meinte sein Vater. Rupert hatte gelacht und geantwortet: »Bis ich das finde, werde ich alt und grau!«

Diese Dinge gingen dem Ronacher durch den Kopf, als er das Wort ergriff: »Eine Heirat zwischen Tantzlehen und Fronleiten halte ich für unklug, um nicht zu sagen unstandesgemäß. Für einen Mann mögen die Dinge anders liegen – da zählt die Schönheit mehr als das Geld. Nur ein Mann aus Stroh braucht eine Frau aus Gold.«

Er hielt einen Augenblick inne, wobei er den Blickkontakt mit seiner Frau vermied, um mit erhobener Stimme fortzufahren: »Unsere Tochter hat allerdings etwas Besseres verdient, als auf diesen Einödhof zu ziehen, von dem es heißt, man wacht mit der Arbeit auf und geht mit der Armut zu Bett. Ein Viertellehen wird immer bleiben, was es ist: zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.«

Magdalena nickte anerkennend. »Du sprichst mir aus der Seele, Rupert. Ein Reitpferd spannt man nicht vor den Pflug. Wir können nur hoffen, dass unsere Töchter wissen, aus welchem Stall sie kommen.« Dann blieb ihr Blick auf Cecilia haften. »Was ist eigentlich mit dem Kuenburg? Ihr habt euch doch beim letzten Stephansessen ganz nett unterhalten. Der gräflichen Herrschaft gehört halb Neukirchen. Ist dir der junge Herr nicht gut genug?«

Cecilia hatte sich lange genug beherrscht. Wütend sprang sie vom Fenstersims und stemmte die Arme in die Hüften.

»Ich bin alt genug, um zu wissen, was ich tue. Ich werde den heiraten, der mir gefällt! Und keiner wird mich daran hindern!«

Das »mir« hatte sie herausgeschrien, dass Rupert und Magdalena erschraken. Hatte der Jenner ihre Tochter schon so behext, dass sie jetzt auch noch anfing, freche Antworten zu geben?

»Um es geradeheraus zu sagen«, fuhr sie fort, »der Kuenburg ist ein Weiberheld. Ganz toll kommt er sich vor. Bloß weil sie jetzt einen Verwalter haben. Damit er fröhlich auf die Jagd gehen kann. Habe ich etwa Jagd gesagt? Jeder weiß doch, dass er mehr hinter Röcken als hinter Böcken her ist.«

»Und was ist mit dem Perger?«, fragte Rupert lauernd. »Er hat dich doch gewiss nicht ohne Absichten zu seinem Sommerfest eingeladen. Der Sohn des Landrichters wäre keine schlechte Partie …«

»Der eingebildete Schnösel! Was ist er schon! Er lebt vom Namen seines Vaters und auf Kosten seines Vaters. Hoffnungen habe ich ihm keine gemacht. Mehr als ein paar Tanzschritte waren nicht zwischen uns. Bei dem muss eine Frau ja befürchten, dass er sie mit seinem Kammerdiener betrügt.«

Rupert blickte sie entgeistert an. »Von wem hast du das gehört?«

»Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er dem Kammerdiener vertraulich den Arm auf die Schulter legte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.«

Sie ließ jedes Wort auf der Zunge zergehen.

Rupert und Magdalena sahen ein, dass da nichts zu machen war. Cecilia hatte schon immer ihren eigenen Willen. Immerhin hätte das Gerede ein Ende, wenn ihre Tochter unter der Haube wäre.

Die unnnachgiebige Haltung seiner Tochter hatte den Ronacher beeindruckt. Nicht gerade freundlich, aber doch versöhnlich gestimmt, knurrte er: »Wenn es so steht zwischen euch, würden wir den Fronleitner gern kennenlernen. Du kannst ihm ausrichten, wir erwarten ihn am vierten Advent zum Mittagsmahl.«

Im Bett sagte Magdalena zu ihrem Mann: »Warum regen wir uns eigentlich auf? Es wird immer heißer gekocht als gegessen. Unsere Tochter ist achtzehn – wir können sie schließlich nicht einsperren.«

Doch da war Rupert schon längst eingeschlafen.

Auf Fronleiten war die Stimmung wie das Wetter. Windig und unlustig. Matthäus Jenner widersetzte sich hartnäckig der Vorstellung, sein Sohn könnte etwas mit der Tantzlehentochter haben. Zur Aussprache kam es am Barbaratag. Der Namenstag der Jüngsten wurde immer festlich begangen. Elisabeth hatte Kirschzweige in den Krug auf der Fensterbank gestellt. Mit stiller Freude betrachtete Barbara die Gaben. Den mit Glasrosetten verzierten venezianischen Handspiegel, den ihr Christoff und Georg geschenkt hatten. Die Weißwäsche für die Aussteuer von ihren Taufpaten, den Goden. Die schwarzen Schnürstiefel für den Kirchgang von den Eltern. Gilg hatte ihr ein Spinnrad gedrechselt. Von Afra bekam sie eine Halskette aus rund geschliffenen violetten Amethysten. Das sechzehnjährige Mädchen legte das Schmuckstück an und betrachtete sich mit Wohlgefallen.

»Der Amethyst soll der Jungfrau im Sternbild Glück bringen«, sagte die Magd. »Als Heilstein wirkt er der Verblendung und der Gefallsucht entgegen. Du wirst die Kette brauchen können, denn du baust dir gern Luftschlösser. Darüber vergisst du häufig die Wirklichkeit.«