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Helmut Reinalter (Hrsg.)

Freimaurerei und europäischer Faschismus

Helmut Reinalter

Freimaurerei
und europäischer
Faschismus

StudienVerlag

Innsbruck
Wien
Bozen

Internet: www.studienverlag.at

Satz und Umschlag: Studienverlag/Birgit Marksteiner

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-7065-5794-8

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Helmut Reinalter:
Einleitung. Freimaurerei und europäischer Faschismus

Ralf Melzer:
Zwischen allen Stühlen.
Deutsche Freimaurerei in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“

Armin Pfahl-Traughber:
Die freimaurerfeindliche Verschwörungsideologie der Nationalsozialisten. Bestandteile, Entwicklung und Verwendung in Bewegungs- und Systemphase

Marcus G. Patka:
Freimaurerei und „Austrofaschismus“

Aldo Alessandro Mola:
Massonería e massoni in Italia all’ascesa del fascismo e durante il regime

André Combes:
La franc-maçonnerie française et le fascisme (1919–1939)

José A. Ferrer Benimeli:
Franco y la masonería

Auswahlbibliographie

Autorenverzeichnis

 

 

 

 

 

 

 

 

Reihe: Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei

hg. von Helmut Reinalter

in Zusammenarbeit mit dem Institut für Ideengeschichte.

Band 10

Vorwort

Das Thema „Freimaurerei und europäischer Faschismus“ wurde im Rahmen des letzten Projekts der Wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der Freimaurerei (WKF) untersucht und vom Institut für Ideengeschichte in Innsbruck (IfI) Ende 2007 zum Abschluss gebracht. Der Überbegriff „Europäischer Faschismus“ wurde hier in Anlehnung an das Standardwerk von Ernst Nolte „Der Faschismus in seiner Epoche“ verwendet, wohl wissend, dass sich die einzelnen totalitären Bewegungen in verschiedenen europäischen Staaten trotz Gemeinsamkeiten auch durch besondere nationale Ausprägungen voneinander unterscheiden. Dementsprechend gibt es auch differenzierte Perspektiven bezüglich des Verhaltens der Freimaurerei diesen Faschismen gegenüber.

Die WKF wurde anlässlich einer Tagung der Internationalen Forschungsstelle „Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa“ an der Universität Innsbruck 1992 mit dem Ziel und Arbeitsauftrag gegründet, die wichtigsten Freimaurerbestände im „Geheimen Staatsarchiv“, Preußischer Kulturbesitz, in Berlin Dahlem (früher Staatsarchiv Merseburg) und im „Deutschen Sonderarchiv Moskau“ (heute „Aufbewahrungszentrum für die historisch-dokumentarischen Kollektionen“) wissenschaftlich aufzuarbeiten, fallweise Tagungen durchzuführen, Projekte anzuregen und auch selbst zu planen und Forschungsergebnisse zu publizieren. Diese Ziele wurden schließlich weiter vertieft und in acht Aufgabenfelder gegliedert:

1.   Intensivierung des wissenschaftlichen Diskurses zwischen profanen und freimaurerischen Forschern, Verbesserung der Kooperation zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen und masonischen Institutionen

2.   Kritische Auseinandersetzung mit der neueren Freimaurerforschung

3.   Einordnung und Systematisierung des Forschungsstandes durch die Herausgabe von Bestandsverzeichnissen und Quelleneditionen

4.   Anregungen und Hilfestellungen für wissenschaftliche Arbeiten zur Freimaurerei und Projekte mit masonischen Themen

5.   Planung und Durchführung von Forschungsprojekten

6.   Planung und Organisation von wissenschaftlichen Tagungen und Arbeitsgesprächen

7.   Veröffentlichung der Forschungs- und Tagungsergebnisse

8.   Herausgabe der Zeitschrift für Internationale Freimaurerforschung (IF) gemeinsam mit dem IfI und Herausgabe der wissenschaftlichen Reihe „Quellen und Darstellungen zur europäischen Freimaurerei“.

Der Herausgeber dieses vorliegenden Bandes war von 1992 bis 2007 Vorsitzender der WKF bis zu ihrer Auflösung, die offiziell im Dezember 2007 erfolgte. In den 15 Jahren ihrer Tätigkeit, teilweise unterstützt von der deutschen Forschungsloge „Quatuor Coronati“ Bayreuth, sind zahlreiche Veröffentlichungen erschienen, die auf großes internationales Interesse stießen.

Nach der Auflösung der erwähnten Innsbrucker Forschungsstelle, die aus organisationsrechtlichen Gründen (UOG 1993) erfolgte, wurde in Innsbruck 2000 das private Institut für Ideengeschichte (IfI) gegründet, das die Anlaufstelle und das Organisationszentrum der WKF wurde. Im Rahmen dieses Instituts wurden u. a. die freimaurerischen Forschungsprojekte der WKF fortgesetzt. Leiter des Instituts ist der Herausgeber, der auch die Projekte, die Zeitschrift IF und die erwähnte wissenschaftliche Reihe koordiniert. Das Institut kooperiert sehr eng mit der Universität Innsbruck, mit dem Club of Rome und der Stiftung Weltethos in Tübingen.

Der Herausgeber dankt den Autoren des vorliegenden Bandes für ihre Beiträge, den Mitgliedern der ehemaligen WKF für ihren Einsatz und ihre geleistete Arbeit, den Mitarbeitern des IfI, Frau Mag. Verena Finkenstedt für die redaktionelle Betreuung des Bandes und den Sponsoren, die die Drucklegung dieses Werkes ermöglicht haben.

Innsbruck, im Jänner 2009
Helmut Reinalter

Helmut Reinalter

Einleitung

Freimaurerei und europäischer Faschismus

Die Beiträge dieses Bandes befassen sich mit dem komplexen Verhältnis der Freimaurerei zum europäischen Faschismus. Im Einzelnen geht es dabei um den deutschen Nationalsozialismus, den Austrofaschismus, den italienischen Faschismus, die französische Action française und das Franco-Regime in Spanien. Faschismus wird hier im Sinne Ernst Noltes als Gesamtphänomen gedeutet, obwohl es mehrere faschistische Bewegungen gab, die sich zum Teil ergänzen, aber auch in einzelnen Bereichen Unterschiede aufweisen. Obwohl der Faschismus nie eine konsistente Ideologie ausgebildet hat, weisen die hier erwähnten faschistischen Bewegungen eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen auf.1

Vorurteile, Berührungsängste und ideologisch-politische Klitterungen der zeitgeschichtlichen Forschung haben bisher die Erforschung dieses sensiblen Themas eher erschwert als erleichtert. Heute ist es – auch wegen der geänderten Quellensituation – hoch an der Zeit, dass parallel zur bereits sehr umfangreichen zeithistorischen Forschung diese brisante Thematik fundiert und kritisch aufgearbeitet sowie in die politische und gesellschaftliche Entwicklung der Zwischenkriegszeit eingeordnet wird – auch und vor allem im Sinne der europäischen Freimaurerei. In der Zwischenzeit sind erfreulicherweise mehrere fundierte wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema erschienen, wie aus der Auswahlbibliographie hervorgeht, die die Rolle der Freimaurerei im europäischen Faschismus aufzeigen und detailliert herausarbeiten.2

Schon vor der Machtergreifung Hitlers wurde die Freimaurerei in Deutschland besonders von Erich Ludendorff und seinem Kreis scharf angegriffen. Da die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien in Krisenzeiten sprunghaft zunahm, ist es verständlich, dass nicht nur in Deutschland nach 1918 Verschwörungsideologien neue Aktualität erhielten. In der nationalsozialistischen Propaganda gerieten verschiedene Gruppierungen, wie Juden, Jesuiten, Kommunisten, Sozialisten und Freimaurer in eine Schusslinie, weil sie weltweit Vernetzungen aufgebaut hatten und als überstaatliche Mächte angesehen wurden, die vom Nationalsozialismus, Austrofaschismus, italienischen Faschismus, von der Action française und dem Franco-Regime bekämpft wurden. Der mit 1930 einsetzende Aufstieg der Nationalsozialisten zur politischen Macht ließ für die Freimaurerei nichts Gutes erwarten. Aus diesem Grund verließen Freimaurer ihre Logen, zumal es auf lokaler Ebene zu Ausschreitungen gekommen war, Freimaurer bedroht und geschäftlich boykottiert wurden. Im Jänner 1934 unterzeichnete der preußische Ministerpräsident Hermann Göring eine Verordnung gegen die Freimaurerei. Zwar verzichtete er auf eine Stellungnahme zur Frage, ob die nationalen Logen als „staatsgefährdende Vereinigungen“ betrachtet werden müssen, doch begründete er seinen Schritt mit der These, dass angesichts der geschaffenen Einheit des deutschen Volkes kein Bedürfnis für die Erhaltung der Logen bestehe.3

Bei den Brüdern der humanitären Bauhütten war die grundsätzliche Ablehnung des Nationalsozialismus und seiner inhumanen Ideologie zwar sehr stark entwickelt, aber manche Freimaurer hofften, dass die national-konservativen Kräfte die Diktatur in Grenzen halten könnten. Die stärker national ausgerichteten Logen hingegen begrüßten die Machtübernahme Hitlers mit einem Gefühl banger Erwartung. Sie verbanden ihre Genugtuung über das Ende der Weimarer Republik mit der Hoffnung auf die Etablierung eines zwar autoritären, aber doch staatsrechtlich gelenkten Regierungssystems mit der Sorge über das eigene Schicksal. Der erste Schritt zur Bekämpfung der Freimaurerei durch den Nationalsozialismus bestand vor allem darin, dass Freimaurer von der Mitgliedschaft der NSDAP ausgeschlossen wurden. Im Zeitraum von 1933 bis 1935 vollzog sich sukzessive die Auflösung der deutschen Großlogen und Einzellogen, die von Plünderungen, Verhöhnungen, Deportationen, Folterungen und sogar vereinzelt von Morden begleitet war.

Die zum Großteil vom völkischen Milieu beeinflussten deutschen Freimaurer entwickelten zunächst Anpassungsstrategien. So bezeichnete sich die Große National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ nach 1933 „Nationaler Christlicher Orden“, die Große Loge von Preußen wurde zum „Deutschchristlichen Orden zur Freundschaft“, die Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland zum „deutschchristlichen Orden“ und die Große Landesloge von Sachsen bezeichnete sich nun als „Deutschchristlicher Orden von Sachsen“. Die Bayreuther Großloge „Zur Sonne“ löste sich auf und verstand sich von nun an als Gesellschaft zur Pflege deutscher Kultur. Der Aufbau dieser Organisation scheiterte jedoch am Einspruch des Stadtrats von Bayreuth. Die humanitären Großlogen lösten sich z. T. 1933 auf, womit ihnen Anpassungsversuche erspart blieben. Deren Handlungsweise war allerdings kompliziert und z. T. auch widersprüchlich.4

Die Nationalsozialisten gingen mit Erlässen systematisch gegen die Freimaurerlogen vor, bis sie diese 1935 ganz auflösten. Wilhelm Frick sprach das endgültige Verbot aus und beschlagnahmte das Logenvermögen. Dabei berief er sich auf die Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 und bezüglich des Vermögenseinzugs auf das Gesetz vom 14. Juli 1933. Innerhalb der verschiedenen freimaurerischen Systeme und Strömungen stellte die völkische Freimaurerei einen wesentlichen Faktor dar. Sie, aber auch die humanitären Systeme, führten den „Arierparagraphen“ ein und entboten den neuen Machthabern ihre „Pflichttreue“, wohl deshalb, um die staatliche Sanktionierung zu erreichen.

Nach den unter Druck erzwungenen Selbstauflösungen und dem Verbot jener Freimaurerlogen und freimauerähnlichen Organisationen, die sich vor August 1935 nicht freiwillig aufgelöst hatten, schlug die NS Freimaurer-Politik zwei Wege ein: die Ausschaltung des angeblich zersetzenden Einflusses der Logen auf Staat und Gesellschaft und die Steigerung der propagandistischen Ausschlachtung des Feindbildes „Freimaurerei“, insbesondere in Form der jüdisch-freimaurerischen Verschwörungstheorie. Diese erfüllte in der NS-Propaganda eine rationalisierende Funktion, indem sie vorgab, für grundlegende politisch-ökonomische Verunsicherungen und alle existentiellen Ängste, die hinter dem gesellschaftlichen Wandel stehen könnten, eine einfache Erklärung bereit zu stellen. Sie war durch eine interessengeleitete und pseudorationale Denkstruktur gekennzeichnet, sie entsprang einem Bedürfnis nach Reduktion komplexer Realitäten und erfüllte wegen ihrer wahnhaften Übersteigerung eine gefährliche Orientierungsfunktion. Bei der Verschwörungstheorie handelte es sich nicht um ein unparteiisches Erkenntnis-instrument, sondern vielmehr, wie die nationalsozialistische Propaganda zeigte, um ein der Feindbestimmung dienendes ideologisch-politisches Vehikel. Da sie zur Voraussetzung hatte, dass eine kleine Minorität die große Mehrheit und den Geschichtsprozess beeinflussen kann, mussten dieser Minderheit zwangsläufig übermenschliche Fähigkeiten angedichtet werden, wobei die schon fast pathologischen Züge tragenden Angstvisionen vom drohenden Umsturz jeder Ordnung in eine Dämonisierung der Juden und Freimaurer ausartete. Ein gutes Beispiel dafür sind „Die Protokolle der Weisen von Zion“.5

In Österreich wurde das Logenleben durch den autoritären Ständestaat unter Engelbert Dollfuß und der katholisch geprägten Regierungsdiktatur eingeschränkt und beeinträchtigt, sodass bald die Aktivitäten der Bauhütten außerhalb Wiens zum Stillstand kamen. Die Freimaurerei war allerdings in Wien zu dieser Zeit sehr engagiert und bestrebt, den pazifistischen Grundgedanken zu fördern und den inneren und äußeren Frieden auf ihr Programm zu setzen. Neben der Bildungspolitik (vor allem der Volksbildung) standen besonders Sozialreformen im Vordergrund der österreichischen Freimaurerei. Der Ständestaat vermied zwar antisemitische Propaganda, schlug aber den Weg der Zermürbungstaktik in Fragen des Judentums ein. Die Logenmitgliedschaft für Beamte wurde allerdings verboten. Es sind zwar bis März 1938 Neuaufnahmen in die Logen erfolgt, andererseits haben jedoch viele Brüder aus unterschiedlichen Gründen „gedeckt“. Die Großloge unterstützte die von Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg angekündigte Volksbefragung, doch ist davon auszugehen, dass viele Brüder der österreichischen Kette mit der damaligen Politik und dem „Austrofaschismus“ nicht einverstanden waren, weil er freimaurerischen Grundsätzen widersprach.6

Gleich nach Einmarsch deutscher Truppen in Österreich besetzte die Polizei die Großloge, und SA, SS und Pöbel plünderten das Logenhaus in der Dorotheergasse. So kam es zur Beschlagnahmung des Logenvermögens und zur Liquidation der Vereine durch die NS-Verwaltung. Führende Beamte der Großloge wurden verhaftet, wie z. B. der damalige Großmeister Richard Schlesinger, einige von ihnen wurden auch in Konzentrationslager deportiert. Schlesinger starb unter Polizeiaufsicht noch im Juni 1938. Teile der Großlogenbibliothek und des -archivs mit freimaurerischen Regalien wurden von den Nationalsozialisten nach Berlin gebracht und von der Roten Armee nach der Einnahme Berlins nach Moskau transportiert. Sie finden sich heute im Deutschen Sonderarchiv und in der Leninbibliothek in Moskau.7

In Italien gab es nach der Machtergreifung der Faschisten noch zwei „blaue Obedienzen“, den „Grande Oriente“ und die kleinere „Gran Loggia Nazionale“. An der Spitze des Großorients stand als Großmeister Senator Domizio Torrigiani. Die Probleme und Auseinandersetzungen des Faschismus mit der Freimaurerei setzten nach dem Ersten Weltkrieg sehr bald ein und waren bereits 1923 deutlich sichtbar. Der „Große Faschistische Rat“ forderte am 13. Februar 1923 die Freimaurer unter den Faschisten, die es gab, auf, zwischen der Zugehörigkeit zur nationalen Faschistenpartei oder zur Gemeinschaft der Freimaurer zu wählen, weil Haltung und Beschlüsse der italienischen Freimaurerei vermuten lassen, dass deren Programme und Methoden im Gegensatz zu den Zielen des Faschismus standen. Der Großorient lehnte aber ab, sich der faschistischen Bewegung anzuschließen. Die Generalversammlung des „Symbolischen Ritus“ hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich betont, dass die Freimaurerei niemals eine politische Partei werden könne und über allen Parteien stehen müsse. Der faschistischen Kampfansage antwortete der Großorient mit der freien Entscheidung jener Brüder, die Faschisten waren, alle Kontakte zur Freimaurerei abzubrechen und zu „decken“. Als Reaktion darauf zogen sich die meisten Freimaurer aus der faschistischen Bewegung zurück und blieben Logenmitglieder. Die italienische Freimaurerei hat sich dann in einem Rundschreiben des Großmeisters gegen jede Gewalt als politische Kampfmethode ausgesprochen. Großmeister Torrigiani stellte ausdrücklich fest, dass die Freimaurer dem „Vaterland“ und „Freiheitsgedanken“ verpflichtet seien, weshalb man sie nicht auf ein politisches Glaubensbekenntnis oder eine Ideologie festlegen könne.8

Schon Ende 1923 setzten in zahlreichen italienischen Städten Ausschreitungen und Brandschatzungen faschistischer Trupps gegen Freimaurerlogen ein. Proteste der Freimaurer gegen diese Vorkommnisse blieben allerdings erfolglos. Die faschistischen Beschlüsse über die Probleme einer Zugehörigkeit zur Freimaurerei wurden sogar noch weiter verschärft. In Rom ereigneten sich öfters nächtliche Sturmangriffe von Schwarzhänden auf den Sitz der Großloge, den Palazzo Giustiniani. Im Dezember 1924 betonte der Großmeister in Mailand, dass der Faschismus geistig und moralisch verwerflich sei und einem Rückschritt gleich käme. Am 10. Jänner 1925 brachte der Ministerrat im Parlament ein Antifreimaurergesetz ein, das den Zwang zur Einreichung der Mitgliederlisten und genauen Auskunftserteilung an die Polizeibehörde, das Verbot für alle Beamten, Freimaurer zu sein, für Mitglieder geheimer Gesellschaften oder aller Organisationen, die durch einen Eid zum Geheimnis verpflichtet waren, umfasste. Dieses Gesetz wurde im Mai 1925 von der Kammer bei namentlicher Abstimmung einstimmig beschlossen. Großmeister Torrigiani wurde 1925 wieder gewählt, der aus Überzeugung erklärte, dass die italienische Freimaurerei Terror prinzipiell ablehne und ihre Stimme gegen die ungesetzliche Diktatur in Italien deutlich erheben werde.

Als Reaktion darauf nahm die Bekämpfung der Freimaurerei in Italien noch härtere Ausmaße an, wie z. B. die Maßregelung hoher Beamter und die Verbreitung von Schriften und Dokumenten zur Denunzierung der Logen. Vom 3. auf den 4. Oktober 1925 kam es in Florenz sogar zu Ermordungen und Brandstiftungen und zum Prozess gegen General Luigi Cappello, der als Freimaurer den Marsch nach Rom begleitet hatte, dann aber dem Faschismus den Rücken kehrte, weil er den Terror grundsätzlich ablehnte. Nach dessen Verhaftung folgte die militärische Besetzung des Großorients und der meisten Logenhäuser. Cappello wurde, obwohl man ihm die Teilnahme an einem Attentatsplan nicht nachweisen konnte, vom Sondergerichtshof zu 30 Jahren Zuchthaus verurteilt. Auch der Großmeister Torrigiani wurde verhaftet und zu fünf Jahren auf die Liparischen Inseln verbannt. Zahlreiche andere Freimaurer ereilte ein ähnliches Schicksal. Die italienischen Freimaurer, die emigrierten, haben in Paris unter der Obhut der Grande Loge de France 1930 zwei Bauhütten gegründet. Auf der Grundlage von Vollmachten des verstorbenen Großkommandeurs Ettore Ferrari wurde von einem Teil dieser Brüder eine Reorganisation des Großorients in Italien im Ausland vorbereitet. Vorübergehender Sitz war in London. Noch vor dem Ende des Regimes Mussolinis haben sich am 7. Juni 1940 die Grande Loggia und der Grande Oriente zusammengeschlossen, sodass am 4. Juni 1944 diese erneuerte und reformierte Obedienz in Rom als Grande Oriente Italiens öffentlich auftreten konnte.

Die antideutsche Nachkriegspolitik (nach 1919) des nationalen Blocks in Frankreich stieß in der französischen Freimaurerei, insbesondere im Grand Orient, auf große Kritik. Auch die Grande Loge protestierte bei der Regierung gegen die Duldung von Hetzliedern in Kabaretts und Konzertkaffeehäusern gegen Deutschland und die deutschen Frauen. Auf verschiedenen Konventen wurde das Bekenntnis zum Frieden, zur Versöhnung und Annäherung erneuert.9

Die französische Freimaurerei der Zwischenkriegszeit war politisch sehr aktiv. Die Grande Loge kritisierte nicht nur den Vertrag von Versailles und bezeichnete die Friedensverträge insgesamt als vorläufigen Sieg des schrankenlosen Egoismus. Ähnlich äußerte sich auch der Großkommandeur der „Grand College des Rites“ des Grande Orient. Durch Konventsbeschluss der Großloge wurde ein umfangreiches Programm für militärische wirtschaftliche und finanzielle Abrüstung und für Volkserziehung im pazifistischen Sinne genehmigt, um der Welt den Frieden zu erklären. Die öffentliche Meinung wurde durch verschiedene Friedenskundgebungen zu beeinflussen versucht. Auch der Großmeister der Großloge von Frankreich, Maurice Monier, betonte 1927, dass die wichtigste Aufgabe der Gegenwartsmaurerei die Arbeit für den Frieden sei. Diese sollte gemeinsam mit deutschen Großlogen in Angriff genommen werden, indem die durch den Krieg unterbrochenen Beziehungen wieder aufzunehmen wären. Es kam aber nur zu einer Begegnung im Februar 1927 in Frankfurt ohne sichtbares Ergebnis. Der Grand Orient positionierte sich politisch links und war in aktuellen Gesellschaftsfragen sehr engagiert. In der Regierung Eduard Herriot waren 1932 zwölf Freimaurer vertreten. Der Kampf des politischen Katholizismus der Action française gegen die Regierung fachte die Auseinandersetzung mit der französischen Freimaurerei erneut an. Der französische Faschismus attackierte propagandistisch die Logen und ihre Aktivitäten. Um den großen politischen Einfluss der Freimaurerei in Frankreich zu dokumentieren, wurden 1933/34 Mitgliederlisten veröffentlicht, dem 1935 der parlamentarische Antrag auf Verbot der Logen folgte, der allerdings keine Mehrheit fand.

Die Freimaurerei gewann unter der Volksfrontregierung nochmals an Einfluss. Sie war sogar bemüht, zu einer partiellen Verständigung mit der katholischen Kirche zu gelangen. Die antimasonische Tradition, die nach der Niederlage Frankreichs gegen Hitler rasch Aufwind bekam, führte zu einer Verfügung des Vichy-Regimes, das im August 1940 mit einem Erlass gegen die französische Freimaurerei nach nationalsozialistischem Vorbild vorging. General Charles de Gaulle wandte sich 1943 gezielt gegen diese Politik, in dem er das Dekret vom Exil aus annullierte. Diese Zäsur des Vichy-Regimes hinterließ in der französischen Freimaurerei tiefe Spuren und bedeutete auch einen politischen Gewichtsverlust für den Grand Orient nach 1945.10

In Spanien ging die Polizei schon während der Diktatur Primo de Riveras gegen die Freimaurerei vor und verhaftete bekannte masonische Persönlichkeiten. Als General de Rivera 1927 in einer Note an die Zeitungen Freimaurer, Kommunisten und Geschäftspolitiker kritisierte, reagierte der spanische Großmeister Francisco Esteva mit einem energischen Schreiben, in dem er die besondere Vaterlandsliebe der spanischen Freimaurer und gleichzeitig auch deren übernationale pazifistische Einstellung hervorhob. 1929 plante die Großloge anlässlich der Weltausstellung in Barcelona einen ibero-amerikanischen Freimaurerkongress, der aber ohne nähere Begründung vom Präfekten von Barcelona verboten wurde. Trotz dieser Schwierigkeiten blieb die Freimaurerei in Spanien weiterhin aktiv und begann, neue Strukturen zu schaffen. Durch die Proklamation der Spanischen Republik 1931 beschloss der Grande Oriente, seinen Sitz von Sevilla wieder nach Madrid zu verlegen. Großmeister wurde der Verkehrsminister Diego Martinez Barrio.11

Mit der antifreimaurerischen Propaganda entstanden auch verschiedene Verschwörungstheorien, die in der Zweiten Republik von den Rechten in Spanien als Erklärungsmodell für die Krise des traditionellen politisch-sozialen Systems eingesetzt wurden. Antisemitische Verschwörungsthesen richteten sich allerdings nicht gegen die wenigen, in Spanien ansässigen Juden, sondern mehr gegen den politischen und ideologischen Feind der extremen Rechten, gegen Freimaurer, Sozialisten und gegen das politische System der Zweiten Republik und seine Anhänger. Die Theorie der jüdisch-freimaurerischen Verschwörung war vor allem unter den Karlisten weit verbreitet. Seit Beginn des Militäraufstands 1936 rechtfertigte die Verschwörungstheorie den Vernichtungskrieg gegen den innenpolitischen Gegner.12

Während des Bürgerkrieges entstand auf Seiten der Aufständischen unter General Franco wieder eine starke antifreimaurerische Bewegung. Bereits die Anschuldigung, Freimaurer zu sein, genügte, um inhaftiert zu werden. Nach dem Sieg der Faschisten setzte eine gnadenlose Verfolgung der Freimaurer ein, und 1940 wurde die Freimaurerei in einem Dekret mit den Kommunisten und Geheimgesellschaften auf eine Stufe gestellt. Mitgliedern der Johannesgrade drohten 15 bis 20 Jahre Gefängnis, Angehörigen der Hochgrade bis zu 30 Jahren Haft. 1943 wurde die Großloge im Exil in Mexiko neu gegründet. Franco musste innerhalb der in Spanien stationierten amerikanischen Soldaten Logen akzeptieren, für Spanien war dieser Weg allerdings weiter verschlossen. Erst nach dem Tod des Generals 1976 konnte die Freimaurerei nach Spanien zurückkehren.

In den einzelnen Beiträgen dieses Sammelbandes werden die Entwicklung und Probleme der Freimaurerei in den faschistischen Bewegungen bzw. Diktaturen in Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich und Spanien untersucht und dargestellt. Sie können keinen Anspruch auf eine Gesamtdarstellung der Freimaurerei im europäischen Faschismus erheben, verstehen sich aber als wichtige Einzelstudien dazu.

Anmerkungen

1   Vgl. dazu Ernst Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche, München 2000; ders., Die faschistischen Bewegungen, München 1973; Stanley G. Payne, Geschichte des Faschismus, Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung, Wien 2006; Arnd Bauerkämper, Der Faschismus in Europa 1918–1945, Stuttgart 2006.

2   Vgl. dazu die bibliographischen Hinweise bei Helmut Reinalter, in: Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, hg. von Helmut Reinalter, Frankfurt/M. 1983, S. 365 ff. (darunter auch zeitgeschichtliche Arbeiten); Helmut Reinalter (Hg.), Freimaurerische Historiographie im 19. und 20. Jahrhundert. Forschungsbilanz – Aspekte – Problemschwerpunkte, Bayreuth 1996. Die neuesten zeithistorischen Forschungen werden in der Auswahlbibliographie im Anhang angeführt.

3   Zur Weimarer Republik und zum Nationalsozialismus s. auswahlweise die neueren Arbeiten von Ralf Melzer, Konflikt und Anpassung. Freimaurer in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“, Wien 1999; Armin Pfahl-Traughber, Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat, Wien 1993; Helmut Neuberger, Winkelmaß und Hakenkreuz. Die Freimaurerei und das Dritte Reich, München 2001; s. weiters die Beiträge von Ralf Melzer und Armin Pfahl-Traughber im vorliegenden Sammelband.

4   Vgl. dazu Ralf Melzer, wie Anm. 3, S. 97 ff., S. 123 ff.

5   Zur Verschwörungstheorie und den Protokollen vgl. Wolfgang Benz, Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung, München 2007; Johannes Rogalla von Bieberstein, Die These von der Verschwörung 1776–1945. Philosophen, Freimaurer, Juden, Liberale und Sozialisten als Verschwörer gegen die Sozialordnung, Flensburg 1982; Michael Hagemeister, Die Protokolle der Weisen von Zion – eine Anti-Utopie oder der Große Plan in der Geschichte?, in: Verschwörungstheorien, hg. von Helmut Reinalter, Innsbruck 2002, S. 45 ff.

6   Zum Austrofaschismus vgl. Francis L. Carsten, Faschismus in Österreich, München 1978; Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. Ursprünge und Entwicklungen in Österreich, Wien 1988; Gerhard Botz, Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssicherung, Radikalisierung 1938/39, Wien 2008; Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, Rainer Hubert, Die Freimaurerei in der Zwischenkriegszeit, in: 250 Jahre Freimaurerei in Österreich, Zwettl 1992, S. 51 ff.; Helmut Reinalter, La Franc-maçonnerie autrichienne en 1938, in: Austriaca 26 (1988), S. 115 ff.; vgl. auch den Beitrag von Marcus Patka im vorliegenden Sammelband.

7   Vgl. dazu Helmut Reinalter (wie Anm. 6); Helmut Reinalter (Hg.), Die deutschen und österreichischen Freimaurerbestände im Deutschen Sonderarchiv in Moskau (heute Aufbewahrungszentrum der historisch-dokumentarischen Kollektionen), Frankfurt/M. 2002.

8   Zum Italienischen Faschismus s. hier auswahlweise Giacomo Perticone, L’Italia contemporanea, Milano 1962; Luigi Salvatorelli – Giovanni Nira, Storia del fascismo, Roma 1952; Gianni Vannoni, Massoneria, fascismo e chiesa cattolica, Roma 1980; Michele Terzaghi, Fascismo e massoneria, Milano 1950; Aldo Mola, Storia della masoneria italiana delle orgine ai nostri giorni, Milano 2001; vgl. auch den Beitrag im vorliegenden Sammelband von Aldo Mola.

9   Zum französischen Faschismus s. Daniel Ligou, Histoire des Franc-maçons en France, Toulouse 1981; Paul Naudon, La franc-maçonnerie, Paris 1971; André Combes, La Franc-Maçonnerie sous l’occupation, Paris 2001; vgl. auch den Beitrag im vorliegenden Sammelband von André Combes.

10 Eugen Lennhoff – Oskar Posner – Dieter A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon, München 2006, S. 293 ff.

11 Eugen Lenhoff – Oskar Posner – Dieter A. Binder (wie Anm. 10), S. 795 f.; José A. Ferrer Benimeli, Masoneria contemporanea española, 2 Bde., Madrid 1980; ders., Franco contra la Masoneria, in: Revista Historia 16 (1977), S. 37 ff.; vgl. auch den Beitrag von José A. Ferrer Benimeli im vorliegenden Sammelband.

12 Vgl. dazu Manfred Böcker, Antisemitismus ohne Juden. Die zweite Republik, die antirepublikanische Rechte und die Juden, Spanien 1931 bis 1936, Frankfurt/M. 2000.

Ralf Melzer

Zwischen allen Stühlen

Deutsche Freimaurerei in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“

Der verlorene Erste Weltkrieg und die politisch-gesellschaftlichen Folgen wurden von der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung als tiefe Demütigung empfunden, zumal die Öffentlichkeit vor dem Waffenstillstand über die tatsächliche militärische Lage weitgehend im Unklaren gelassen worden war. Der Adel, das national gesinnte Bürgertum, die Reichswehr und die gemäßigte bis extreme politische Rechte beklagten den Verlust der Weltmachtsrolle Deutschlands und waren schon deshalb nicht bereit, die Nachkriegsordnung als politische Grundlage zu akzeptieren. Die Verantwortung für Krieg, Niederlage und Friedensbedingungen wurde den Kriegsgegnern und demokratischen Politikern zugeschoben.

Die deutschen Freimaurer waren von den politischen Entwicklungen und dem nationalen Trauma gleich in doppelter Hinsicht unmittelbar betroffen. Denn obschon die bei weitem meisten von ihnen ebenfalls der Monarchie nachtrauerten, gerieten sie durch die Propagierung einer angeblichen „jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung“ in die gesellschaftliche Isolierung und sahen sich zunehmend von ihren eigenen sozialen Milieus abgeschnitten. Die Theorie einer weltweiten Verschwörung, derzufolge die Freimaurer den Juden als „Werkzeuge“ dienten, entfaltete in Deutschland verspätet, nun aber umso schärfer, ihre Wirksamkeit. Nach der Revolution und dem Thronverzicht Kaiser Wilhelms II. erreichte bereits 1919 der aggressive freimaurerfeindliche Kampf des klerikalen und antisemitischen Nationalismus mit Erscheinen des Buches „Weltfreimaurerei – Weltrevolution – Weltrepublik“ des Österreichers Friedrich Wichtl1 einen ersten Höhepunkt. Je mehr freimaurerische Kreise in der Folge versuchten, ihre Feinde von der eigenen „nationalen Zuverlässigkeit“ zu überzeugen, desto wütender wurden die Angriffe. Die Vielfalt der Systeme und Großlogen spielte in den Augen der Völkischen wenn überhaupt nur eine untergeordnete Rolle. Umgekehrt allerdings verhinderte die außerordentliche Heterogenität der deutschen Logenlandschaft, dass von freimaurerischer Seite den Anfeindungen geschlossen entgegengetreten wurde.

Dessen ungeachtet und trotz der wirtschaftlichen Not vieler Brüder kam es in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg zu zahlreichen Logenneugründungen. Auch stiegen die Mitgliederzahlen bis zum Jahr 1925 stetig an, als über 82.000 Brüder in 632 Johannislogen2 gezählt wurden. Obwohl also die deutschen Logen insgesamt als „Orte der Sammlung Gleichgesinnter, abseits von politischem Meinungsstreit und wirtschaftlicher Misere“3 bis Mitte der zwanziger Jahre und noch darüber hinaus große Anziehungskraft genossen, verfügten sie nie über das Maß an Integrationskraft und gesellschaftlichem Ansehen wie etwa in Großbritannien oder den Vereinigten Staaten. Zum einen lag das zweifellos an der verstärkt antisemitisch aufgeladenen antimasonischen Stimmung und der allgemeinen politischen Polarisierung, zum anderen gab es aber auch interne Gründe: Nicht weniger als acht etablierte Großlogen existierten im Deutschland der Weimarer Jahre. Hinzu kamen die im Jahre 1924 aus fünf unabhängigen Logen hervorgegangene Großloge Deutsche Bruderkette, der irreguläre Freimaurerbund zur aufgehenden Sonne (FzaS) sowie – seit 1930 – die Symbolische Großloge von Deutschland (SGL), deren Regularität jedoch wegen der Lichteinbringung durch den erst kurz zuvor gegründeten Obersten Rat für Deutschland des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus in Frage gestellt wurde.4 Das freimaurerische Establishment teilte sich zwei große Lager: die drei altpreußischen Großlogen, deren Mitgliedschaft überwiegend dem deutsch-nationalen Milieu angehörte, und die humanitären Großlogen, welche am ehesten nationalliberalen Kreisen zuzurechnen waren. Erstere bestanden aus der Großen Loge von Preußen, genannt (Royal York) „Zur Freundschaft“, der Großen Nationalmutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ (3 WK) als der mitgliederstärksten und der (auch „Freimaurerorden“ genannten) Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland (GLL), die aufgrund ihrer Lehrart – dem Schwedischen System – mehr noch als die beiden anderen Altpreußen einer explizit christlichen Ausprägung von Freimaurerei folgte und konsequenterweise die „Alten Pflichten“ nie akzeptiert hatte. Zum humanitären Lager gehörten die in Dresden ansässige Große Landesloge von Sachsen, der Eklektische Bund in Frankfurt am Main, die Großloge von Hamburg, die Großloge „Zur Sonne“ mit Sitz in Bayreuth, die Großloge von Darmstadt sowie die bereits erwähnte Großloge „Deutsche Bruderkette“ in Leipzig. Mit einem Wort: Das deutsche Logenspektrum war extrem ausdifferenziert. Und es ist diese Verschiedenartigkeit, die von der masonischen wie fachwissenschaftlichen Forschung viel zu lange unterschätzt worden ist.5

Seit etwa 1920 verließen vermehrt einzelne humanitäre Tochterlogen ihre Obedienzen und schlossen sich den Altpreußen an, ein Ausdruck der „politischen Radikalisierung und Polarisierung“6. In den Zeitschriften „Am rauhen Stein“ (Großloge Zur Freundschaft) und „Bundesblatt“ (Nationalmutterloge) findet sich kein einziges erklärtes Bekenntnis zur Weimarer Republik7, dafür aber eine Mythisierung von Vaterland als Gegensatz zur politischen Realität von Weimar und das Postulat nach „Völkischem Sichselbstbesinnen“.8 Die weitaus meisten Altpreußen und selbst manche Mitglieder der weniger dogmatischen humanitären Logen empfanden zentrale nationalsozialistische Ideologieelemente nicht als grundsätzlich widersprüchlich, sondern eher als komplementär zu ihrem Verständnis von Freimaurerei. In diesem Sinne empfahl der Vorsitzende des Vereins deutscher Freimaurer, Diedrich Bischoff, dem „Dritten Reich“ noch vor der „Machtergreifung“ eine Inspiration durch freimaurerischen Idealismus.9