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Sam Osmanagich

DAS

GEHEIMNIS

DERANASAZI

Eine technische Hochkultur, die nach 300 Jahren so plötzlich verschwand, wie sie aufgetaucht war

Aus dem Amerikanischen von
Sabina Trooger & Vincenzo Benestante

Titel der autorisierten amerikanischen Ausgabe:
THE MYSTERY OF THE ANASAZI CIVILIZATION
Surprising Evidence of Spiritual and Astronomical Knowledge of the Mysterious Anasazi’s Civilisation of the Remote American Canyons

Copyright © 2013 by Dr. Sam Osmanagich

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1. Auflage 2016

Eine deutsche Erstausgabe im AMRA Verlag
Auf der Reitbahn 8, D-63452 Hanau
Telefon: + 49 (0) 61 81 – 18 93 92
Kontakt: Info@AmraVerlag.de

Herausgeber & Lektor Michael Nagula
Einbandgestaltung Anke Koopmann – Guter Punkt
Covermotive Robert Cicchetti – Shutterstock
Fotorechte Sam Osmanagich
Layout & Satz Birgit Letsch

Die bosnische Originalausgabe des Buches erschien 2013 unter dem Titel Misterija Anasazija im Rahmen der Stiftung »Fondacija Arheoloski park Bosanska piramida Sunca«, Sarajevo; die Übersetzung ins Amerikanische besorgte Colleen London.

ISBN Printausgabe 978-3-95447-158-4
ISBN eBook 978-3-95447-159-1

Alle Rechte der Verbreitung vorbehalten, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks.

Inhalt

Einführung

1 Coronado

2 Fajada Butte

3 Hungo Pavi

4 Pueblo Bonito

5 Chetro Ketl

6 Pueblo del Arroyo

7 Kin Kletso

8 Anasazi-Straßen

9 Aztec

10 Die große Kiva

11 Mesa Verde

12 Die Astronomen von Mesa Verde

13 Der Sprung der Anasazi in die absolute Freiheit

14 Die Wachtürme von Hovenweep

15 Indianerhimmel über Arizona

16 Die Botschaft der Hopi

17 Canyon de Chelly

18 Das Weiße Haus

19 Der Kreis schließt sich

20 Wiedersehen mit Melvin

21 ACIO

22 Die Höhle

23 Projekt »Ancient Arrow«

Register der Namen und Orte

Über den Autor

»Ein Energiefeld hält die Anasazi
in den inneren Welten der Erde fest.«

Drunvalo Melchizedek

Einführung

Auf der Erdoberfläche finden sich die Spuren von achtzehn Eiszeiten, die sich im Laufe der letzten zwei Millionen Jahre ereigneten und jeweils etwa hunderttausend Jahre andauerten. Dazwischen lagen kurze Wärmeperioden von jeweils höchstens zwölftausend Jahren. In diesen Zeitspannen begannen neue Lebenszyklen. Das Leben blühte auf, die Erde wurde grün und fast überall erklangen die Stimmen verschiedenster Lebewesen.

Im Augenblick befinden wir uns am Ende einer solchen temporären Wärmeperiode, die vor 11.500 Jahren begann. Wir nähern uns schnell einer neuen Eiszeit. Die Klimaveränderungen werden zunehmen, kalte Regionen werden noch kälter werden, warme Gebiete noch wärmer. Ein weiterer Lebenszyklus geht seinem Ende zu. Auch die derzeit vorherrschende Zivilisation nähert sich ihrem Ende, und es wird viele Generationen dauern, bis wieder ein neuer Zyklus beginnt.

Der rote Faden, der sich durch die Zivilisationen der verschiedenen Wärmeperioden zieht und sie miteinander verbindet, wird wohl verloren gehen. Doch vielleicht wird er mancherorts verbal, und hier und da womöglich sogar schriftlich, weitergegeben werden. Legenden werden daraus entstehen, und diese werden im Laufe der Zeit in jenen tief wirkenden Kräften aufgehen, mit denen wir alle durch unsere Mythen und unsere Fantasie verbunden sind.

Werden unsere fernen Nachfahren irgendetwas über uns wissen? Oder werden sie glauben, »die erste intelligente Zivilisation der Erde« zu sein, genau wie wir es in unserem Stolz und unserer Unwissenheit von uns selbst annehmen? Werden sie in der Lage sein, die immense Vielfalt und Spiritualität zu genießen, die zu begreifen wir offenbar unfähig sind? Wir sehen dieser fernen Zukunft entgegen, aber heute wollen wir uns einer gar nicht so fernen Vergangenheit zuwenden und über ein Volk sprechen, das etwa zur selben Zeit aufstieg wie wir, das einst einen kleinen Teil unseres Planeten mit uns teilte, und das wir dennoch so vollständig vergessen haben, als hätte es nie existiert.

Es hat uns nicht viele Spuren hinterlassen. Einige Ruinen von Gebäuden und astronomischen Observatorien, ab und zu eine vereinzelte Petroglyphe. Und hin und wieder eine Legende, bewahrt von Menschen, die erst auftauchten, als dieses Volk längst verschwunden war.

Dreihundert Jahre sind für eine Zivilisation keine besonders lange Zeit. In streng wissenschaftlicher Terminologie dürfte man da eigentlich nicht einmal von einer Zivilisation sprechen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass wir weder Anhaltspunkte über ihre Ursprünge besitzen noch schriftliche Aufzeichnungen über ihr Wissen und über ihre Beweggründe, ihre Heimat schließlich zu verlassen und niemals dorthin zurückzukehren. All dies bleibt ein Geheimnis.

Ihre Städte tragen Namen, die wir ihnen gegeben haben. Wir wissen nicht, wie sie selbst sie genannt haben. Wir können nur raten, welchem Zweck gewisse seltsame Gebäude gedient haben mögen. Die Herausforderung, der sich dieses Buch stellt, besteht darin, aus den Tiefen der kosmischen Geschichte zumindest einen kleinen Teil des Wissens zu bergen, das diese längst Verschwundenen besaßen.

Damit es nie wieder vergessen wird.

Wir nennen sie die »Anasazi«.

1

Coronado

Albuquerque, Neumexiko

Ich lande mit dem Flugzeug in Albuquerque, einer Stadt von einer halben Million Einwohnern – ein Drittel des weiträumigen, dünn besiedelten USBundesstaates Neumexiko. Die Schalter der Autovermietungsfirmen, die den Reisenden in den Vereinigten Staaten in jeder Ankunftshalle erwarten, befinden sich hier außerhalb des Flughafengebäudes. Wahrscheinlich hängt das mit der Terroristenabwehr zusammen. Ein Pendelbus bringt mich die wenigen Kilometer dorthin. Die Formalitäten bei AVIS dauern nur ein paar Minuten, und schon steckt der Zündschlüssel im Anlasser des Hyundai »Santa Fè«.

Es ist ein sonniger Morgen, und eine breite Autobahn heißt mich für die erste Etappe meines Besuchs in der Welt der Anasazi willkommen. Meine Reise wird mich durch vier Bundesstaaten führen: Neumexiko, Colorado, Utah und Arizona.

»Ein neues Leben ist geboren. Ein Baby schreit in dem kleinen Zimmer mit den Steinwänden. Es liegt auf einer Decke, und daneben liegt ein Maiskolben, die »Maismutter«, die zwanzig Tage lang dort bleiben wird. In dieser Zeit bleibt das Baby im Dunkeln. Erst am frühen Morgen des zwanzigsten Tages nimmt die Mutter ihr Kind auf den linken Arm und den Maiskolben in die rechte Hand. Sie nickt ihrer Mutter zu, der Großmutter des Babys, und gemeinsam verlassen sie das Haus in östlicher Richtung. Sie halten an, beten schweigend und brechen die Maiskörner aus dem Kolben, eines nach dem anderen. Sie werfen sie in Richtung des Sonnenuntergangs. Wenn die Sonne den östlichen Horizont ganz erklommen hat, tritt die Mutter vor, hebt ihr Kind der Sonne entgegen und sagt: »Vater Sonne, dieses Kind gehört dir …«

Der Name, mit dem die Anasazi sich selbst bezeichneten, ist verloren gegangen. Siebenhundert Jahre nach ihrem Verschwinden kamen große Navaho-Gruppen aus dem Norden, aus Kanada, in die Gegend. Beim Anblick der Überreste ihrer Gebäude nannten sie deren Erbauer Anasazi: »uraltes Volk« (oder, laut einer anderen Übersetzung, »Feinde unserer Ahnen«).

Die Anasazi passen sehr gut in das Schema der heutigen Geschichtsschreibung, die die Entwicklung des modernen Menschen in drei Phasen einteilt. In der ersten Phase, die vor 2.000 Jahren begann, lebten die ersten Nomadenstämme. In der zweiten Phase, die etwa 600 n. Chr. begann, entstanden die ersten unterirdischen Siedlungen. Die dritte und fortschrittlichste Phase, in der steinerne Städte entstanden, begann zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert.

Wir haben keine Erklärung dafür, warum die Anasazi, die sich innerhalb eines riesigen Gebiets ausgebreitet hatten, im 13. Jahrhundert ihre Städte alle verließen. Laut der vorherrschenden These zogen sie in zwei Richtungen davon – in den Südwesten, also in das heutige Arizona, wo inzwischen die Hopi leben, die die Anasazi als ihre Vorfahren betrachten, und in den Südosten, das heutige Neumexiko, wo nun 19 verschiedene Pueblo-Indianerstämme zu Hause sind.

Es gibt dabei allerdings ein kleines Problem, denn zwischen dem Verschwinden der Anasazi-Zivilisation und dem Auftauchen der Pueblo-Indianer klafft eine gewaltige zeitliche Lücke.

Unter den seltenen schriftlichen Aufzeichnungen über die ersten Funde in unberührten Anasazi-Städten befindet sich ein sehr interessanter Bericht aus der Feder Al Wetherhills, der 1882 den Mesa Verde Canyon besuchte.

»Die Gegenstände in den Zimmern lagen da, als seien die Besitzer nur für einen kurzen Besuch hinausgegangen. Wunderschöne Schalen und Vasen standen ordentlich aufgereiht auf dem Boden, Haushaltsgegenstände lagen genau da, wo die Hausfrauen sie zuletzt benutzt hatten … Spuren spielender Kinder und Hinweise auf Treffpunkte der Männer … Die Asche längst erloschener Feuer in den Kaminen … Es gab keinerlei Hinweise auf Gewalt. Es war, als könnten wir die Menschen beinahe noch vor uns sehen, als könnten wir sie auf dem Feld beobachten und das Bellen ihrer Hunde und das Kollern ihrer Truthähne hören und den Frauen zuschauen, wie sie Getreide mahlten und die tägliche Mahlzeit zubereiteten, und den Kindern, die in der Nähe des Hauses spielten.

Ich hatte das Gefühl, heiligen Boden zu betreten, und erlebte den Frieden dieser Siedlung, obwohl die Bewohner einem längst verschwundenen Volk angehörten …«

Die Fahrt war angenehm. Bei Taco Bell machte ich eine Pause. Das Restaurant war voller Schulkinder. Lauter Indianergesichter. Daran merkte ich, dass ich im Sandia Pueblo Reservat angekommen war. Auf dem Parkplatz stand ein etwa fünfzigjähriger Indianer mit langem Haar, der per Anhalter mitfahren wollte. Bevor ich ihm die Beifahrertür öffnete, fragte ich ihn, wohin er wollte. »Nach San Ysidro, und von dort nehme ich den Bus nach Farmington.« Da ich plante, die Nacht irgendwo in der Umgebung von Farmington zu verbringen, bot ich ihm an, ihn bis dorthin mitzunehmen. »Aber«, warnte ich, »wir werden erst spätabends ankommen, denn ich will unterwegs in Coronado haltmachen und einige Zeit im Chaco Canyon verbringen.«

Er sah mich an, als überfielen ihn plötzlich Zweifel, ob er mit mir zusammen reisen wollte. Dann nickte er und meinte, dass er erst in zwei Tagen in Farmington verabredet sei. »Melvin«, stellte er sich vor. »Ich bin der Übersetzer der Santa Ana Pueblo-Indianer. Übermorgen findet eine Konferenz der Repräsentanten der Pueblo, Utah, Navaho und Apachen statt.«

Ich hatte den Eindruck, dass wir auf der Fahrt interessante Gespräche führen würden.

Die Sonnenstrahlen gleißten auf den schimmernden Rüstungen der dreihundert Reiter, die stolz auf dem Hauptplatz von Mexiko Stadt paradierten. Ihr Anführer war Hauptmann Don Francisco Vásquez de Coronado. Er hatte seit zwei Jahren auf diesen Moment gewartet – seit 1538, als Mendoza ihn zum Gouverneur der Provinz Nueva Galicia ernannt hatte. Er rief sich alles ins Gedächtnis, was er über die Gebiete nördlich des kolonisierten Mexiko, genannt Neuspanien, wusste …

… Als die Muslime im Jahr 714 Portugal eroberten, waren sieben katholische Bischöfe zusammen mit ihren Anhängern über den Atlantik in ein Land geflohen, das man Antilia nannte. Dort hatten sie sieben Städte gegründet. Im Laufe der Zeit begannen Gerüchte zu kursieren, dass diese sieben Städte (genannt »Cibole«) voller Gold, Silber und Diamanten seien.

… Nachdem ihr Schiff im Golf von Mexiko gescheitert war und sie acht Jahre lang die unbekannten Gebiete des heutigen Texas und Neumexiko durchwandet hatten, kamen drei Spanier und Esteban von Nordafrika endlich im Jahr 1536 in Mexiko Stadt an. Sie erzählten den Stadtregenten von den Geschichten, die sie gehört hatten, über »große Städte, in deren Straßen es überall Goldschmiede gibt, und hohe, mehrstöckige Häuser und steinerne Tore, gespickt mit Edelsteinen.«

… Den spanischen König interessierten diese Legenden sehr, und 1539 entsandte er eine Expedition, um ihnen auf den Grund zu gehen. Esteban war der Expeditionsführer, und der Mönch Marcos de Nica repräsentierte die Krone. Die erste Begegnung mit den Zuni-Indianern fand in der kleinen Stadt Havikuh statt und führte zur Tötung Estebans und seines Gefolges. Bruder Marcos kehrte nach Mexiko Stadt zurück und verkündete, dass in jenen Gebieten »goldene Städte existierten, deren kleinste größer sei als Mexiko Stadt«.

Nun war General Coronado hoch motiviert zurückgekehrt. Er winkte der Menschenmenge zu, die sich auf dem Hauptplatz versammelt hatte. Nach einer Audienz beim Vizekönig, dem Repräsentanten des Königs in Neuspanien, verließ ein langer Zug berittener, Banner schwenkender Männer sowie tausend schwarze Sklaven und Indianer, tausend Pferde und ganze Herden von Schafen, Rindern und mit Vorräten beladenen Maultieren Mexiko Stadt. Coronado sah sich selbst als ruhmreichen Eroberer und hoffte, nach seiner Rückkehr und der Entdeckung der sieben goldenen Städte von Cibola so viel Ehre und Reichtum zu besitzen, um sogar die bewunderten Eroberer Cortés und Pizarro in den Schatten zu stellen.

»Alle neunzehn Pueblo-Stämme leben in einem Gebiet von 560 Kilometern«, erklärt mir Melvin. »Die Santa Ana, mein Stamm, leben dort auf der rechten Seite.« Er deutet durch das Beifahrerfenster. »Dahinter kommen die Zia, die Hemez, die Kochiti, die Santo Domingo … Hinter uns«, er dreht sich um und zeigt durch das Heckfenster, »lebt der Stamm der Sandia. Und dort drüben«, er deutet hinter mich, »sind die Laguna, die Akoma und die Tohadjili …«

»Was führt Sie nach Farmington? Was ist das für eine Konferenz?«, frage ich.

»Wir haben die Regierung der Vereinigten Staaten verklagt, weil sie uns nicht vor der Großfirma schützt, die auf unserem Gebiet Uran abbaut, ohne dafür zu bezahlen«, antwortet er.

»Sie sagten, Sie seien der Übersetzer Ihres Stammes. Ist so etwas heutzutage wirklich nötig?«

»Teilweise ist es ein Relikt aus der Vergangenheit. Aber unsere Tradition ist stark, und wir bemühen uns sehr, sie am Leben zu erhalten, obwohl wir nur noch ein paar Hundert sind. Im Übrigen sprechen wir in unseren diversen Pueblo-Stämmen alle verschiedene Sprachen. Also brauchen wir die Übersetzer auch, um untereinander zu kommunizieren. Und wie ist es mit Ihnen? Was führt Sie nach Neumexiko?«

»Ich erforsche die Anasazi«, antworte ich.

»Was wissen Sie über sie?«

»Nun ja, ich weiß, dass Sie, die Pueblo, sie als ihre Vorfahren betrachten«, sage ich mit einem fragenden Blick und bin gespannt auf seine Reaktion.

»Ja, die Anasazi sind unsere Vorfahren«, erwidert er, und seine Körpersprache verrät mir, dass er ernsthaft darüber nachdenkt.

Coronado folgte mit seiner Expedition dem Fluss San Pedro bis in die heutigen Vereinigten Staaten. Er eroberte Havikuh und besiegte die Zuni. Er zog nach Nordosten weiter, überfiel Indianersiedlungen (spanisch »pueblo«), verlor dabei Soldaten und Sklaven und hatte bald alle seine Vorräte aufgezehrt. Er zog durch Arizona, Neumexiko, Texas, Oklahoma und Kansas. Nirgendwo fand er die legendären Cibola Städte. Er beschloss, umzukehren. 1540, zwei Jahre nach seinem fabelhaften Aufbruch, kehrte er mit ein paar hundert Soldaten und leeren Händen nach Mexiko Stadt zurück. Die Expedition galt offiziell als gescheitert.

Am rechten Straßenrand steht eine Granittafel mit der Aufschrift »Coronado State Monument«. Ich unterbreche mein Gespräch mit Melvin und parke vor dem Museum. Er sagt, dass er auf einer schattigen Bank auf mich warten wird.

Dies war einst das Pueblo Kuaua, eine Siedlung mit 1.200 Räumen. Im September 1540 war der größte Teil von Coronados Armee zwar mit einer Schlacht gegen die Zuni und Akoma beschäftigt, aber trotzdem kam ein Spähtrupp in dieses Tal. Sie verhielten sich den Eingeborenen gegenüber brutal, und es kam zu Scharmützeln. Laut einiger Aufzeichnungen verbrachte Coronado den ganzen Winter hier, aber es gibt dafür keine archäologischen Beweise.

Foto 1: Eingang zur uralten Indianersiedlung Kuaua im Nationalpark Coronado State Monument, Neumexiko.

Vom Museum aus führt die Straße zu den dürftigen Ruinen des Pueblos sowie den Nachbildungen eines Raumes und einer »Kiva«, dem spirituellen Zentrum der Siedlung. Dieses Pueblo wurde im 15. Jahrhundert gebaut, also nur 300 Jahre nach der Vorherrschaft der Anasazi, und war nicht mehr als ein müder Abklatsch seiner höher entwickelten Vorgänger. Im Vergleich mit den Gebäuden der Anasazi sind die Wände dünn und die Architektur minderwertig.

Neben einem schmalen Pfad warnt ein Schild: »Stören Sie die Schlangen nicht!«

Symbolisch gesehen ist dieser Ort ein Kreuzungspunkt existierender und nicht existierender Welten. Coronado überwinterte wahrscheinlich hier, aber nichts weist mehr darauf hin. Er suchte irreale goldene Städte und wurde dabei von einer sehr realen Militärmacht unterstützt. Die Pueblo-Indianer behaupteten damals wie heute, sie seien die Nachfahren der Anasazi, aber sie sind von ihnen durch eine so gewaltige Kluft getrennt, dass die Behauptung unwahrscheinlich erscheint. Die »staatliche Gedenkstätte« in Coronado feiert in Wirklichkeit die Ankunft der ersten Europäer auf dem heiligen Boden der friedliebenden Indianer, wie die Schilder im Museum immer und immer wieder ergriffen verkünden. Da hat man wohl das Pferd von hinten aufgezäumt. Was ist die Wahrheit, was geschah hier tatsächlich?

Anscheinend ist es kein Zufall, dass mich ein Pueblo-Indianer begleitet. Er muss mir Antworten geben.

Foto 2: Das Kuaua Pueblo bestand einst aus über 1.200 Räumen auf vier Stockwerken. Heute ist es größtenteils verfallen.

2

Fajada Butte

Chaco Canyon, Neumexiko

Melvin und ich setzen unsere Fahrt durch Neumexiko fort. »Dies ist das Land der Djikarila Apachi Indianer«, sagt er und deutet nach rechts. »Ihr Gebiet reicht im Norden bis nach Colorado.«

Bald kommen wir an die Abzweigung zum Chaco-Nationalpark. Vierzig Kilometer über eine ungepflasterte, staubige Straße. Unterwegs weisen immer wieder Schilder darauf hin, dass diese Piste bei Regen unbenutzbar ist. Dann ist der Canyon vom Rest der Welt abgeschnitten. Heute gibt es hier im Umkreis von 100 Kilometern keine einzige Siedlung.

Irgendwann frage ich meinen Reisebegleiter geradeheraus: »Melvin, ist es bei Ihrem Stamm immer noch Sitte, mit den Geistern der Ahnen zu kommunizieren?«

»Jedes Pueblo hat eigene Seher. Sie können in andere Dimensionen blicken und mit den Geistern der Ahnen Kontakt aufnehmen.«

»Haben auch Sie die Fähigkeit, so zu sehen?«, bohre ich weiter.

Melvin macht eine Pause und überlegt, wie viel er mir anvertrauen soll.

»Ja, ich gehöre zu den nuevos videntes, der neuen Sehergeneration.«

Ich will wissen, warum es »neue Sehergeneration« heißt. Inwiefern unterscheiden sie sich von den Sehern früherer Generationen? Und wie hat sich dieses Phänomen überhaupt entwickelt?

»Lange vor der Ankunft der Spanier«, erklärt er, »gab es unter den Anasazi besonders begabte Seher. Sie konnten unglaubliche, fantastische Dinge bewirken. Und sie waren das letzte Glied in einer langen Kette uralter Traditionen, die Jahrtausende zurückreichte, bis zu den Maya und den Tolteken von Mexiko.«

Fast habe ich das Gefühl, wieder vertrauten Boden zu betreten.

»Was waren Ihrer Meinung nach die ersten Schritte der Anasazi auf dem Pfad des Wissens?«, frage ich.

»Sehen Sie, das ist hochinteressant. Irgendwann begannen die Anasazi, sei es aus Neugier oder vor Hunger, ein bestimmtes Gras zu essen, das ihnen große Energie gab. Doch es hatte auch noch andere seltsame Auswirkungen, und sie begannen, diesen Effekt zu erforschen«, sagt Melvin, und ich spüre, dass er auf meine Reaktion gespannt ist.

»Also sind die ersten Anasazi-Seher aus reinem Zufall darüber gestolpert«, stelle ich fest. »Und wie hat sich dieses Gras ausgewirkt?« Bei dieser Frage verlangsame ich die Fahrt, denn wir nähern uns bereits unserem Tagesziel und ich möchte das Gespräch fortsetzen.

»Das Wichtigste war wohl, dass sie die Existenz zweier Welten entdeckten, zweier Wahrnehmungsebenen. Einerseits unsere alltägliche, materielle Welt der Sinne, die von der rechten Gehirnhälfte kontrolliert wird, und andererseits ein höheres Bewusstsein, das über die fünf Sinne hinausgeht und die linke Gehirnhälfte betrifft. Später entwickelten sie Techniken, die es ihnen erleichterten, den höheren Bewusstseinszustand zu erreichen. Dazu benutzten sie dieses Gras als Stimulans, aber es genügte, nur den Rauch zu inhalieren und dann zu meditieren. So erreichten sie einen Ort, an dem sie sehen konnten.«

»Und was sahen sie dort?«, frage ich, um das Thema zu vertiefen.

»Sehen bedeutet, Zugang zu Wissen zu erhalten. Wissen um die Vergangenheit und die Zukunft.«

»Haben Sie selbst Zugang zu den Einzelheiten der Vergangenheit?«, will ich grinsend wissen. Es ist wirklich, als hätte ein gütiges Schicksal mir Melvin über den Weg geschickt. Ich habe eine Menge Fragen an ihn.

»Wie ich schon sagte, ich bin ein Seher. Wenn ich mich darauf konzentriere, die Vergangenheit zu sehen, dann weiß ich alles, was damals geschehen ist.«

Plötzlich kommen wir auf eine gepflasterte Straße. Wir haben die Grenzen des Nationalparks erreicht. Chaco Canyon ist ein offiziell anerkanntes, geschütztes Weltkulturerbe. Als wir um die erste Kurve biegen, überwältigt mich der Anblick und trifft mich ins Herz. Wir sind am Fajada Butte angekommen, einem eindrucksvollen Felsen, der sich 135 Meter über die flache, trockene Landschaft mit ihrem niedrigen Bewuchs erhebt.

Wir befinden uns 183 Meter über dem Meeresspiegel, im Herzen des Anasazi-Komplexes.

Ich parke und steige aus, um Fotos zu machen. Ich frage Melvin, ob ich ihn fotografieren darf. Er sagt, dass sich die Santa Ana Indianer nicht gern fotografieren lassen. Ich versuche nicht, ihn zu überreden. Hinter dem Fajada Butte jagen Wolken über den Himmel – ein leuchtender Hintergrund für meine Fotos.

Fajada ist spanisch und bedeutet »Gürtel«. An gewissen Orten treffen Gesteinsschichten von unterschiedlicher Härte aufeinander, wodurch eine ungleichmäßige Erosion entsteht. Von Weitem sieht das Ganze dann aus wie ein Gürtel, der einen schwarzen Schatten wirft.

Vor etwa sechzig Millionen Jahren lag dieses Gebiet auf dem Meeresgrund, weshalb man auf den Gipfeln dieser Hügel Fossilien von Muscheln, Krebsen, den Zähnen prähistorischer Haie und Meeressand gefunden hat. In weiteren sechzig Millionen Jahren werden auch diese Naturdenkmäler aufgrund der Erosion völlig verschwunden sein. (Leider gibt es dann auch keine dramatischen Kulissen für Cowboyfilme mehr!)

Intensive Forschungen der letzten Jahre haben ergeben, dass die Anasazi, die hier lebten, großes astronomisches Wissen besaßen. Man hat dreizehn Petroglyphen entdeckt – in den Stein der Klippen gehauene geometrische Symbole.

Jede Petroglyphe bedient sich des Wechselspiels von Licht und Schatten, das entsteht, wenn sich Sonne und Mond in den Schlüsselpositionen ihrer Zyklen befinden – beispielsweise an den Äquinoktien oder Tagundnachtgleichen im Frühling und Herbst und an den Sonnwenden im Winter und Sommer. Die Präzision, mit der diese Petroglyphen eingemeißelt wurden, ist phänomenal: Nur an einem einzigen Tag im Jahr stimmen die Strahlen von Sonne oder Mond exakt mit den richtigen Punkten auf den Glyphen überein.

Foto 3: Fajada Butte, ein eindrucksvolles Naturdenkmal im Chaco Canyon in Neumexiko, in dessen Klippen sich eine Anasazi-Siedlung befand.

Auf diesem heiligen Hügel der Anasazi hat man Überreste verschiedener Gegenstände und Keramiken gefunden. Die Motive auf den Keramiken deuten auf die Zeit zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert hin, als dieser Canyon der Mittelpunkt der Anasazi-Welt war. Im Südwesten wurde eine 230 Meter lange Rampe entdeckt, die über 100 Höhenmeter überwindet. Dieses sehr komplexe Bauwerk ist ohne die Hilfe von Metallwerkzeugen entstanden.

Außerdem fand man die Überreste einer Kiva – eines heiligen, kreisrunden Raums, in dem die Seher der Anasazi ihre Visionen hatten.

»Es muss sehr schwierig gewesen sein, die Kiva in die Klippen von Fajada zu hauen«, stelle ich im Gespräch mit Melvin fest.

»Die Anasazi hatten überall, wo sie lebten, eine Kiva. Dort trafen sich die Seher jeden Tag, um Informationen über die beiden Welten auszutauschen«, antwortet er.

»Ich habe gehört, der Sipapu, das Loch im Boden der Kiva, sei ein Symbol für die vorangegangene Welt«, sage ich, mehr als Frage denn als Feststellung.

»Der Sipapu ist mehr als das. Unsere Uralten kamen aus dem Bauch der Erde in diese Welt …« (Aus seinen Worten schließe ich, dass die Überlebenden der vorangegangenen Apokalypse in unterirdischen Höhlen wohnten.)

»… Die ersten drei Welten wurden von Feuer, Eis und Wasser zerstört …« (Ich wusste, dass nun von den drei Katastrophen die Rede war, die die vorherigen Zivilisationen zerstört hatten: Vulkanausbrüche, die Eiszeit und das Hochwasser, das nach dem Untergang von Atlantis auftrat.)

»… Als das Flutwasser wieder zurückging, verlangten die Götter von unseren Vorfahren, auf die Erdoberfläche zurückzukehren und die Vierte Welt zu beginnen. Jede Kiva hat ein Sipapu, um uns daran zu erinnern, woher wir kamen. Außerdem kommen die Geister unserer Ahnen, wenn sie an unseren Treffen teilnehmen, immer durch diese Öffnung. Sie ist ein Tor, ein Durchgang zwischen dem Inneren der Mutter Erde und uns auf der Erdoberfläche, und auch zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart.«

»Sind die Seher an irgendwelche Grenzen gestoßen?«, frage ich.

»In jenen Tagen nahm die Zahl der Seher plötzlich dramatisch zu. Die neuen Generationen studierten und lernten nur noch, um zu sehen. Und das war der Anfang vom Ende. Nach einiger Zeit gab es ungemein viele Seher, und alle waren ganz besessen von dem, was sie gesehen hatten. Sie wurden immer geschickter und konnten fremde Welten besuchen, die sie mit Angst und Ehrfurcht erfüllten. Aber je besessener sie vom Sehen waren, desto mehr verloren sie ihre Weisheit, und bald waren sie keine Wissenden mehr.«

»Sind alle Seher dieser Besessenheit erlegen?«, wollte ich wissen.

»Nein. Einige entgingen diesem Schicksal. Das waren große Weise, echte Wissende. Ihnen gelang es, das Sehen auf positive Weise einzusetzen und einen positiven Einfluss auf die übrigen Mitglieder ihrer Gemeinschaft auszuüben. Ich bin sicher, dass unter ihrer Führung ganze Stadtbevölkerungen in andere Welten gezogen und niemals zurückgekehrt sind.«

Dieser Satz trifft mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er bestätigt meine Vermutungen über das Schicksal der Maya. Und nun, gleich zu Beginn meiner Begegnung mit der Welt der Anasazi, erhalte ich auch auf das Rätsel ihres Verschwindens eine Antwort.

Die berühmtesten Petroglyphen von Fajada sind zwei in den Stein gemeißelte Spiralen. Die größere besteht aus 19 Spirallinien, die kleinere befindet sich zu ihrer Linken und besteht aus neuneinhalb Linien, von denen die äußerste in eine Gerade ausläuft.

Genau am Mittag des ersten Sommertages fallen die Sonnenstrahlen zwischen den Felsen hindurch direkt ins Zentrum der größeren Spirale und bilden dort eine leuchtende Klinge.

Am ersten Wintertag fallen zwei »Lichtklingen« geradewegs auf die äußeren Ränder der größeren Spirale.

Und am ersten Tag des Frühlings und des Herbstes durchschneidet ein »Lichtmesser« die Mitte der kleineren Spirale.

Wunderschön.

Foto 4: Zwei Sonnenstrahlen berühren die Ränder der Spirale und markieren so den ersten Tag des Winters. Petroglyphe in Fajada Butte, Chaco Canyon, Neumexiko.

Die Bewegungen der Sonne folgen einem zyklischen Muster: Im Frühling und Herbst steigt die Sonne höher über unseren Horizont, im Sommer und Winter ist die Kurve flacher. An den Tagen vor den Äquinoktien (21. September und 23. März) bewegt sich die Sonne jeden Tag um ein halbes Grad weiter. Aber an den Tagen um die Sommer- und Wintersonnenwende (22. Juni und 22. Dezember) verringert sich diese scheinbare Geschwindigkeit so sehr, dass die Sonne ihre Position von einem Tag zum anderen fast nicht zu verändern scheint. Dieses Phänomen bezeichnet man auch mit dem lateinischen Wort Solstitium: Die Sonne steht still.

Die Anasazi wussten um dieses Phänomen. In den Legenden der Hopi und der Pueblo-Stämme wird sogar die bedrohliche Möglichkeit eines völligen Sonnenstillstandes um die Zeit der Sonnwenden erwähnt. Dann würde die Erde entweder in ewige Kälte versinken, oder die Hitze des Sommers würde niemals enden. Deshalb gibt es spezielle Tänze, durch die die Sonne um Gnade angefleht wird, damit sie in ihrem Lauf nicht innehält.

Foto 5: Genau am Tag der Sommersonnwende fallen die Sonnenstrahlen wie eine leuchtende Klinge auf das Zentrum der in Stein gemeißelten Spirale von Fajada Butte im Chaco Canyon, Neumexiko.

Auch der Mond hat seine zyklischen Rhythmen. Befindet er sich in seiner nördlichsten Umlaufbahn, ähnelt der optische Effekt dem der Sommersonnwenden. Aufgrund der Anziehungskraft der Sonne wiederholt sich der Zyklus der Mondumlaufbahn alle 19 Jahre, im sogenannten Metonzyklus. Außer der extremsten »Ruhephase«, die alle 19 Jahre auftritt, existiert alle neuneinhalb Jahre noch eine zweite, »mittlere Ruhephase«.

Die Anasazi widmeten diesen Ruhephasen des Mondes besondere Aufmerksamkeit.

Die eben erwähnte Petroglyphe der Spirale in Fajada Butte markiert die Hauptruhephase des Mondes, denn nur dann wird die gesamte Petroglyphe von den Mondstrahlen erhellt und der Schatten beginnt genau am linken Rand der Spirale. Mit anderen Worten: Die Anasazi kannten den Metonzyklus und wussten, an welchen Tagen sich der Mond alle neunzehn Jahre in derselben Position am Himmel befindet.

Während der zweiten, mittleren Ruhephase bedeckt das Mondlicht exakt die Hälfte der Spirale, sodass die Grenze zwischen Licht und Schatten präzise durch das Zentrum verläuft und die Hälfte der Spirale im Dunkeln bleibt. Zum Zeitpunkt der Berührung entspricht der Winkel des Mondschattens haargenau dem Winkel der in Stein gemeißelten Spirallinie, die ihn empfängt.

Wenn wir uns außerdem klarmachen, dass der zeitliche Abstand zwischen den Hauptruhephasen (19 Jahre) der Anzahl der Linien der größeren Spirale entspricht (19 Linien) und dass der zeitliche Abstand zwischen den mittleren Ruhephasen (9 ½) der Anzahl der Linien der größeren Spirale entspricht (9 ½), dann erkennen wir deutlich, welch unglaubliches astronomisches Wissen hinter den Petroglyphen von Fajada Butte steckt.

Dieses Spiel von Licht und Schatten entsteht, weil vor den Petroglyphen drei Steinblöcke stehen, von denen jeder zwei Meter hoch ist und mehrere Tonnen wiegt. Es wird noch immer darüber debattiert, ob sie aufgrund natürlicher Erosion entstanden sind oder ob die Anasazi sie absichtlich so aufgestellt haben.

Für mich jedoch beweist die unglaubliche Präzision, mit der das Licht auf die Spiralen fällt, dass die Anasazi die Steinblöcke vorsätzlich so aufstellten, um durch den Lichteinfall die gewünschten astronomischen Effekte zu erzielen.