Die Präsenz des Islams ist nur die sichtbarste Form der »Wiederkehr der Götter« (Friedrich Wilhelm Graf) in der gegenwärtigen Gesellschaft. Vor allem in ihren konservativen Spielarten, dem Evangelikalismus, dem strenggläubigen Islam und dem ultraorthodoxen Judentum wird die neue Präsenz der Religionen als Herausforderung für die Institutionen des säkularen Staats, allen voran die Schule, wahrgenommen. Die ersten Antworten sind Distanzierung, Abwehr und sozialer Druck; die Folgen gesellschaftliche Verhärtung. Dagegen hat Jürgen Habermas gefordert, den liberalen Staat in Richtung auf eine postsäkulare Kultur weiterzuentwickeln.
Das Anliegen des Projekts »Brücken im Kiez« war es, diese Forderung praktisch umzusetzen. Werner Schiffauer und das Team der Stiftung Brandenburger Tor in Berlin haben einen Dialog zwischen Eltern, Vertretern von Moscheegemeinden und Lehrern initiiert. Durch eine ethnologische Intervention haben sie versucht, neue Wege im Umgang mit der postsäkularen Situation zu finden. Jenseits aller Klischees von Parallelgesellschaften und Integrationsverweigerung zeigen sie konkret, wo Hürden und wo die Möglichkeiten für ein besseres Miteinander liegen.
Werner Schiffauer, geboren 1951, ist Professor für Kulturanthropologie in Frankfurt an der Oder. In der edition suhrkamp erschien von ihm zuletzt Nach dem Islamismus. Die islamische Gemeinschaft Milli Görüş (2010).
Werner Schiffauer
Schule, Moschee, Elternhaus
Eine ethnologische Intervention
Unter Mitwirkung von Neslihan Kurt,
Susanne Schwalgin und Meryem Uçan
»Brücken im Kiez« – Ein Projekt der
Stiftung Brandenburger Tor
Suhrkamp
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der edition suhrkamp 2699.
© Suhrkamp Verlag Berlin 2015
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Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH,Waldbüttelbrunn
Umschlag gestaltet nach einem Konzept
von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt
eISBN 978-3-518-74291-4
www.suhrkamp.de
Für Elsa
Werner Schiffauer
Vorwort
Werner Schiffauer
Einleitung
Das Projekt »Brücken im Kiez«
Die gestresste Gesellschaft
Das Feld Schule
»Brücken im Kiez«: Ein Projekt der Stadtteilarbeit
»Brücken im Kiez«: Ein Projekt der ethnologischen Aktionsforschung
»Brücken im Kiez«: Eine Ethnographie der politischen Alltagskultur
Postscriptum
Meryem Uçan
Keine Barrierefreiheit: Migranteneltern und Schule
Sozio-kulturelle Barrieren
Sprachliche Barrieren
Faktor Diskriminierung
Fehleinschätzungen/Teufelskreise
Zwei Fälle
Schluss
Werner Schiffauer, Susanne Schwalgin
Akteur Schule – Eine Fallstudie
Der Zugang
Porträt einer Kreuzberger Schule
Die Herausforderung: Identitäten und Ressourcen
Das entscheidende Treffen: Ein Kulturschock
Die Gründe des Scheiterns
Werner Schiffauer
Akteur Islamische Gemeinden: Identitäten und Ressourcen
Die islamischen Gemeinden in Deutschland: Ein Porträt
Stärken und Schwächen der Selbstorganisation
Der Schutt der Jahre: Die Geschichte eines schwierigen Verhältnisses
Gemeindeprofile
Zeitlogik der Improvisation
Neslihan Kurt, Werner Schiffauer, Meryem Uçan
Die Arbeit an der Vernetzung. Ein Projektbericht
Die Elternseminare
Die Brückengespräche
Werner Schiffauer
Statt eines Schlusskapitels:
Ein fiktives Brückengespräch
Literatur
2008 wurde ich in den Wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Brandenburger Tor berufen. In diesem Rahmen entwickelte ich das Projekt »Brücken im Kiez«. Die Idee war es, in Berlin Perspektiven einer Bildungspartnerschaft von Moscheegemeinden und Schulen auszuloten und damit einen Beitrag zu dieser Partnerschaft zu leisten, das belastete Verhältnis zu entkrampfen und Synergien freizusetzen.
In diesem Projekt lernte ich Schulen und Moscheegemeinden aus einer anderen und neuen Perspektive kennen. Das Wichtigste an dem Projekt aber war die Bekanntschaft mit Menschen, von denen ich sehr viel lernte. An erster Stelle sind hier die Projektmitarbeiter zu nennen: vor allen anderen die Ethnologin Susanne Schwalgin, die von 2008 bis 2012 das Projekt leitete. Ihr Verdienst war es, die allgemeine Idee in die Praxis umzusetzen und das heißt: sie lebendig zu machen. Als das Projekt nach einem ersten Jahr in der Krise war, gelang es Susanne Schwalgin zusammen mit Meryem Uçan einen neuen Zugang zu finden. Nach 2012 ging die Projektleitung in die Hände von Meryem Uçan und Neslihan Kurt über. Beide haben das Projekt tatkräftig weiterentwickelt. Von ihnen habe ich unendlich viel über das Innenleben der Gemeinden gelernt. Meryem Uçan verbindet in sich die Leidenschaft einer Ethnographin mit pädagogischer Kompetenz. Die Islamwissenschaftlerin Neslihan Kurt brachte außer ihrer Fachkompetenz die Fähigkeiten einer hervorragenden Organisatorin in das Projekt ein. Bedanken möchte ich mich auch bei Ercan Umaç, der am Anfang dabei war. Ich bin beim Verfassen des Berichts immer wieder auf Einsichten zurückgekommen, die er formuliert hatte, für die wir aber seinerzeit kein Ohr hatten. Besonders erwähnen möchte ich auch den Religionswissenschaftler Joachim Willems, der uns, solange es seine berufliche Situation erlaubte, tatkräftig beiseitestand.
Dann ist natürlich der Stiftung Brandenburger Tor zu danken. Es war alles andere als selbstverständlich, dass Vorstand und Kuratorium der Stiftung das Projekt auch durch Zeiten der Krisen getragen haben. Mein Dank gilt dabei vor allem meinen Kollegen aus dem Wissenschaftlichen Beirat, Sybille Volkholz und Harm Kuper, der persönlichen Anteilnahme von Caroline Armand und Pascal Decker und dem persönlichen Einsatz von Wolf Lepenies, der das Projekt im Kuratorium vertreten hat.
Sehr wichtig war für mich auch die Bekanntschaft mit Lehrern, Schulleitern und Sozialarbeitern. Pädagogen aus Leidenschaft, die hartnäckig und gegen große Widerstände versuchen, neue Wege zu gehen. Johannes Neuwirth, Heiner Meise, Holger Hänel, Markus Schega, Mark Braden, Dorothea Mandera, Irmgard Zingelmann, Andreas Müller-Röpke, Enno Ebbert, Aydın Bulut, Christiane Müller und Mandy Schmidt. Sie alle haben trotz eines vollen Arbeitspensums viel Zeit in die Projektsitzungen investiert. Sie sind aus Gründen des Personenschutzes im Text anonymisiert – deshalb der Dank an dieser Stelle.
Dank auch den Mitgliedern der Gemeinden und den Eltern, die regelmäßig am Gesprächskreis teilnahmen: Ayşe Eryığıt, Ayşe Ulusoy, Fatma Bıyıklı, Gülbeyaz Karaağaç, Merve Türker, Suheda Özger, Zeinab Khalife, Perrin Akçınar, Ercan Yılmaz, Süleyman Küçük, Murat Kayabaş, Tahir Sözen, Osman Tutkun und Aydın Karakoç.
Mein Dank gilt ferner den Moscheegemeinden (und insbesondere ihren Vertretern), mit denen wir kooperiert haben: das alevitische Kulturhaus; das Fatih Kulturhaus, die Gazi Osman Paşa Moschee, die Mevlana Moschee der Milli Görüş; die DİTİB Gemeinde und der Verband Islamischer Kulturzentren.
Erwähnt werden müssen die Dolmetscherin Hatice Genç und unsere Fotografin Wiebke Pöpel.
Wichtiges Feedback zum Manuskript erhielt ich von Leonie Schiffauer, Julia Eckert und Bernard Christophe.
Schließlich gilt mein Dank den Projektpartnern, mit denen wir in der einen oder anderen Projektphase kooperierten, vor allem dem Arbeitskreis Neue Erziehung.
Zum Schluss ein persönliches Wort. Dieses Projekt war mir deshalb so wichtig, weil es mir ermöglichte, unterschiedliche Stränge meines Lebens miteinander zu verknüpfen. Zum einen ist Kreuzberg, seit ich 1973 als Student dorthin zog, meine Heimat geworden. Zweitens bin ich als Vater von zwei schulpflichtigen Kindern, die an einer Kreuzberger Schule unterrichtet werden, mit den hier angesprochenen Fragen persönlich konfrontiert. Drittens arbeite ich seit vierzig Jahren kontinuierlich als Ethnologe über türkische Einwanderung und islamische Gemeinden. Das Projekt war für mich eine Chance, einige der empirisch gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen – ein äußerst lehrreicher Prozess, der mir zeigte, wie viel komplexer die gelebte Realität als die wissenschaftliche Erkenntnis ist. Und schließlich erlaubte mir das Projekt, an einer Leidenschaft für pädagogische Fragen wieder anzuknüpfen, die sich zu Beginn in der Kombination meiner Studienfächer, nämlich Pädagogik und Ethnologie, zeigte.