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Meir Shalev

Aller Anfang

Die erste Liebe,
das erste Lachen,
der erste Traum
und andere erste Male
in der Bibel

Aus dem Hebräischen von
Ruth Achlama

 

 

 

 

 

 

 

 

Titel der 2008 bei

Am Oved Publishers Ltd., Tel Aviv,

erschienenen Originalausgabe:

›Reschit – Pe’amim rischonot ba-Tanach‹

Copyright © 2008 by Meir Shalev

Die deutsche Erstausgabe

erschien 2010 im Diogenes Verlag

Umschlagillustration:

Lucas Cranach d.Ä.,

›Eva‹, 1528 (Ausschnitt)

Foto: Copyright © The Bridgeman

Art Library

 

 

Für Rafaela und Zur

 

 

Alle deutschen Rechte vorbehalten

Copyright © 2013

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 24152 5 (1. Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60380 4

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5] Inhalt

Vorwort  [7]

 

Die erste Liebe  [9]

Der erste Traum  [40]

Der erste König  [67]

Das erste Weinen  [123]

Die ersten Spione  [145]

Das erste Tier  [176]

Die erste Liebende  [206]

Der erste Prophet  [240]

Das erste Lachen  [295]

Der erste Hass  [315]

Das erste Gesetz  [352]

 

Anmerkungen  [375]

[7] Vorwort

Das Buch Genesis (das heißt ›Entstehung‹) beginnt mit den Worten »im Anfang« und schildert, wie schon der Name sagt, die Dinge von ihrem Anbeginn. Zwar beschreibt die Bibel so explizit nur die Erschaffung der Welt, aber wir finden darin auch die erste Liebe, den ersten Tod, das erste Lachen, den ersten Traum sowie die Menschen, die auserwählt waren, die ersten Male zu erleben: das erste Kind zu gebären, den ersten Hass zu empfinden, den ersten Betrug zu begehen, der erste Musiker, König, Schmied, Spion zu werden.

Diese ersten Male können überraschend ausfallen. Der erste Tod der Bibel beispielsweise ist kein natürlicher Tod. Das erste Weinen ist weder das eines Neugeborenen noch das trauernder Eltern, die ein Kind verloren haben, noch das Weinen eines unglücklich Liebenden. Den ersten Traum der Bibel träumt keine große Gestalt der Nationalgeschichte, sondern ein recht unbedeutender Philisterkönig. Den ersten Kuss tauschen nicht Liebende – ein Sohn gibt ihn seinem Vater, und es ist kein Kuss der Liebe, sondern einer der Prüfung und des Misstrauens. Und der erste Satz, in dem das Verb ›lieben‹ in der Bibel vorkommt, handelt nicht von der Liebe eines Mannes zu einer Frau oder einer Frau zu einem Mann, auch nicht von der Liebe einer Mutter zu ihrem Sohn. Die erste Liebe war die Liebe eines Vaters.

Dieses Buch schildert einige erste Male in der Bibel, von [8] denen ich jeweils zu weiteren Erscheinungsformen des gleichen Phänomens übergegangen bin. Dabei habe ich eine feste Regel eingehalten: Bei jedem ersten Mal muss das betreffende Wort ausdrücklich vorkommen. So habe ich die erste Liebe und den ersten Hass beispielsweise nicht durch Analyse und Deutung der Geschichten ermittelt. Der Wortstamm ›lieben‹ oder der Wortstamm ›hassen‹ musste tatsächlich dastehen.

Dies ist mein zweites Buch, das sich mit der Bibel beschäftigt. Das erste war Der Sündenfall – ein Glücksfall? Alte Geschichten aus der Bibel neu erzählt. Damals wie heute hatte ich keinesfalls die Absicht, die Lektüre der Bibel selbst zu ersetzen, nichts läge mir ferner. Ich empfehle den Leserinnen und Lesern vielmehr, das Original immer wieder aufzuschlagen und dabei neue Facetten des Buchs der Bücher und der eigenen Persönlichkeit zu entdecken.

Meir Shalev

[9] Die erste Liebe

Einmal kam ich in ein Fischerdorf an der Andamanensee in Südostasien. Anders als gewöhnliche Fischerdörfer lag dieses Dorf nicht an der Küste, sondern schwamm im Meer. Seine Häuser standen auf Flößen, die nebeneinander ankerten und durch Stricke und Holzplanken verbunden waren.

Das Dorf dümpelte sanft auf den Wellen, auf und ab. Es war ein komisches Gefühl. Wenn man von einem Boot auf den Kai tritt, hat man sonst sofort die angenehme Empfindung, festen Boden unter den Füßen zu haben, doch hier wechselte man von einem Schwanken zum andern.

Die Dorfbewohner waren Muslime, Fischer aus Malaysia. Ich streifte zwischen den schwimmenden Häusern umher, bis ich hinter einer halboffenen Tür einen hageren Mann sitzen sah. Wir tauschten Blicke, der Mann lächelte und bat mich mit einer Geste herein. Wir tranken Tee. An der Wand hingen ein Foto und ein Gemälde. Das Foto zeigte irgendeine europäische Landschaft – grüne Täler, rotbraune Kühe, Wasserfälle und verschneite Gipfel. Das Gemälde kam mir vertrauter vor: Ein Knabe liegt auf einem Altar, ein alter Mann schwingt ein Messer über ihm, ein Engel schwebt darüber, und im Hintergrund ist auch der Widder, die Hörner im Gestrüpp verfangen.

Im ersten Moment meinte ich, bei einem der verlorenen zehn Stämme gelandet zu sein, und setzte im Stillen schon Briefe an das israelische Oberrabbinat und an die Jewish [10] Agency auf, damit sie auch diesen Mann hier schnellstens nach Israel holten.1 Aber ehe ich meinem verlorenen Bruder um den Hals fiel, fragte ich ihn, was das Bild darstelle. Mein Gastgeber deutete mit dem Finger auf den Alten mit dem Schlachtmesser und sagte in merkwürdigem Tonfall: »Ibrahim.« Dann zeigte er auf den Jungen und sagte: »Ismail.« Ich widersprach nicht, aber als ich zurück in Jerusalem war, schlug ich nach und fand, dass es tatsächlich so im Koran steht. Ismael, nicht Isaak, ist der Sohn, den Abraham auf Gottes Befehl opfern sollte. Ich erzähle das etwas beschämt. Ich hätte es wissen müssen.

Statt des zu erwartenden Staunens empfand ich Trauer. Der Konflikt dreht sich also, wie ich jetzt erkannte, nicht nur um das Land und auch nicht um die heiligen Stätten darin. Es ist ein Streit um ein viel schwierigeres Thema: um Liebe. Genauer gesagt – um Vaterliebe. Und um die Dinge noch komplizierter zu machen, geht es nicht um die Liebe, die sich im Schenken eines bunten Rocks oder in der Erteilung eines vorteilhafteren Segens äußert, sondern um die schlimmste aller Taten im Buch Genesis – um Abrahams Opfer. In der Bibel steht: »Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak, […] und bring ihn […] als Brandopfer dar.« Ismaels Nachkommen finden es etwas schwierig, nach »deinen einzigen« und »den du liebst« Isaaks Namen zu lesen.

Ismael und Isaak selbst waren übrigens keine Rivalen. Gewiss nicht so wie Kain und Abel, Jakob und Esau, Josef und seine Brüder. Die eigentliche Rivalität in der Familie bestand zwischen den beiden Müttern, Sara und ihrer Magd Hagar. Auch dass aus beiden Söhnen, Ismael und Isaak, [11] später Religionen erwachsen würden, wusste man damals noch nicht. Aber als Gott »deinen einzigen« und »den du liebst« über Isaak sagte, nachdem Ismael und seine Mutter schon aus Abrahams Haus vertrieben waren – da wurde die emotionale Grundlage für das Problem gelegt, unter dem wir bis heute leiden.

Hier spielt noch etwas mit: Dieses »den du liebst« ist die erste Nennung der Liebe in der Bibel. Das ist in zweierlei Hinsicht interessant. Zum einen handelt es sich um die Liebe eines Mannes zu seinem Sohn und nicht um die Liebe eines Mannes zu einer Frau. Die wird auf den zweiten Platz verwiesen, in Isaaks Liebe zu Rebekka. Und zum andern ist es die Liebe eines Vaters, nicht einer Mutter. Die erste Mutterliebe ist Rebekkas Liebe zu ihrem Sohn Jakob. Sie tritt an dritter Stelle auf und ist ebenfalls mit einer Ungleichbehandlung zweier Brüder verbunden: Rebekka liebt Jakob, Isaak liebt Esau.

Beides ist merkwürdig. In Literatur und Gesellschaft und auch juristisch gesehen gilt Mutterliebe mehr als Vaterliebe. Und was die Liebe zwischen Mann und Frau angeht, so setzt die moderne Literatur sie über die Liebe von Eltern zu ihren Kindern, der sie naturgemäß ja auch vorausgeht. Ohne sie gäbe es keine Kinder, die man dann ebenfalls lieben könnte. Aber die Bibel räumt der Familie den Vorrang ein – und in diesem Fall der Familie, die ein Volk werden soll. So ist Abrahams Liebe zu Isaak auf dem ersten Platz gelandet. Elternliebe für eine Tochter findet in der Bibel übrigens gar keine Erwähnung.

[12] Ada und Zilla

Hat Adam Eva geliebt? Hat Eva Adam geliebt? Gut möglich, aber ihre Beziehungen werden nicht mit dem Wort ›Liebe‹ beschrieben. Schade. Der romantisch veranlagte Leser würde den Wortstamm ›lieben‹ nur zu gern gerade in diesem Fall vorfinden, denn Adam und Eva waren ein einzigartiges Paar, nicht nur wegen des angenehmen Lebens im Paradies, nicht nur wegen der intimen Nähe zu Gott, sondern weil sie das einzige Paar auf Erden waren. Sie erlebten echt und dauerhaft, was wenige und vom Glück gesegnete Paare selten und nur kurz empfinden. Aber die Bibel sagt nichts von einer Liebe zwischen dem ersten Mann und der ersten Frau. Sie erwähnt Begriffe wie Scham, Erkennen, Arbeit, Trauer, Herrschaft, Geburt und Zeugung. Sie verkündet dem Leser, dass Eva nach Adam verlangen und er über sie herrschen wird – aber sie verliert kein einziges Wort über die Liebe des Paares. Vielleicht braucht es keine Liebe, wenn keine andere Frau und kein anderer Mann auf Erden leben.

Und so, ohne Liebe, erkannte Adam Eva, und Eva gebar Kain. Kain erkannte seine Frau – deren Name unbekannt ist –, und sie gebar Henoch. Dem Henoch wurde Irad geboren, Irad zeugte Mehujaël, Mehujaël zeugte Metuschaël, und Metuschaël zeugte Lamech. Im Hebräischen steht hier dreimal das Wort ›gebar‹. Im Allgemeinen zeugt der Mann, und die Frau gebiert, doch hier gebären die Männer. Vielleicht war das in jenen fernen Zeiten so. Wie dem auch sei – es gab Männer, es gab Frauen, Kinder wurden geboren, aber von Liebe kein Wort.

Auch von Lamech wird nicht berichtet, dass er geliebt [13] hätte, aber im Gegensatz zu anderen Frauen jener Generationen hatten seine Gattinnen Namen, und Lamech sang ihnen sogar ein Lied, das er bestimmt nett fand:

Ada und Zilla, hört auf meine Stimme,

ihr Frauen Lamechs, lauscht meiner Rede!

Ja, einen Mann erschlage ich für eine Wunde

und einen Knaben für eine Strieme.

Wird Kain siebenfach gerächt,

dann Lamech siebenundsiebzigfach.

Die Wörter ›Lied‹ und ›singen‹ fallen dort nicht, aber Reim2 und Rhythmus sprechen für sich, und so war Lamech der erste Mensch in der Bibel, der ein literarisches Werk verfasste. Leider, leider war es kein Liebeslied, sondern eine Selbstverherrlichung. Falls Lamech jemanden liebte – dann sich selbst.

Nach einer Version zeugte Lamech Noah – genau, den mit der Sintflut und der Arche –, und auch dieser hatte eine Frau. Die Bibel erzählt nicht viel über sie, aber ich bin sicher, sie hat Noah sehr geliebt. Wie üblich in der Bibel steht der Mann als Held im Mittelpunkt der Geschichte. Noah war ein gerechter, untadeliger Mann unter seinen Zeitgenossen, er sprach mit Gott, er baute die Arche. Aber während Noah seiner neuen Obsession nachging, schmiss seine Frau den Familienalltag.

Es steht nicht geschrieben, aber Noahs Frau war eine sehr geliebte Frau und sicherlich die geduldigste unter allen geduldigen Frauen der Bibel. Erst ertrug sie still den Bau der Arche, dann den langen Aufenthalt in diesem überfüllten, [14] stinkenden, dreckigen und lauten Wasserfahrzeug, mit Tieren und Vögeln drinnen und der großen Flut draußen, und nicht nur mit Hunderten von Tieren, sondern auch noch mit einem Ehemann, drei Söhnen und drei Schwiegertöchtern. Keine Chance zu flüchten, sich irgendwo zurückzuziehen – wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich die Geschichte und die Arche nach ihr benannt. Nicht die Arche Noahs, sondern die Arche von Noahs Frau, die, genau wie ihre Liebe, nicht namentlich genannt wird.

Die Bibel beschreibt nicht das harte Leben in der Arche, aber die lange Erholungszeit, die nach dem Aufenthalt an Bord vonnöten war, spricht Bände. Als die Flut verebbt und das Land getrocknet war und alle die Arche verlassen hatten, erinnerte Gott Noah und seine Angehörigen erneut an die Aufgabe des Menschengeschlechts: Seid fruchtbar und vermehrt euch. Aber erst zwei Jahre nach der Flut wurde Noahs Sohn Sem wiederum ein Sohn geboren. Daraus wird ersichtlich, dass in der Arche alle absolute Keuschheit wahrten und dass es danach noch über ein Jahr so weiterging! Das abgeschottete, eingepferchte Leben hatte wohl bei allen den Wunsch nach Alleinsein, vielleicht sogar nach Enthaltsamkeit geweckt, und es dauerte einige Zeit, bis sie sich erholt hatten.

Sems Sohn hieß Arpachschad. Arpachschad zeugte Schelach, Schelach zeugte Eber, Eber zeugte Peleg, Peleg zeugte Regu, Regu zeugte Serug, Serug zeugte Nahor, Nahor zeugte Terach, und Terach zeugte Nahor und Haran und Abram, ebenden Abram, der später Abraham heißen und unser Stammvater werden sollte und der Sarai zur Frau nahm, die in Sara umbenannt wurde und ihm Isaak gebar.

[15] Sarai war eine »schöne Frau«, und da ich mich hier mit ersten Malen befasse, möchte ich hervorheben, dass sie die erste schöne Frau der Bibel ist. Doch obwohl wir hier nun endlich einen Mann mit einer bildschönen Frau vor uns haben, finden wir immer noch keine Liebe. Es sind schon Generationen aufeinander gefolgt, wir waren fruchtbar und haben uns vermehrt, haben gezürnt und getötet, gesündigt und Strafe erhalten, haben eine Stadt und einen Turm und eine Arche gebaut, haben uns betrunken und haben geweint, haben und wurden vertrieben, haben gelacht und zum Lachen gebracht, haben geleugnet und uns gefürchtet, haben einen Weinberg und eine Tamariske gepflanzt – und immer noch keine Liebe gekannt. All diese Wortstämme sind bereits vorgekommen, und nur dieser eine, ›lieben‹, nicht.

Und dann – eine Überraschung. Eine böse Überraschung: »Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak, geh in das Land Morija und bring ihn dort […] als Brandopfer dar.«

Nach gängiger Auffassung will die Geschichte von der Opferung Isaaks klarstellen, dass der Gott Israels Menschenopfer ablehnt, einen Kult, der damals üblich war, wie die Bibel selbst berichtet. Mescha, der König von Moab, beispielsweise opferte seinen Göttern seinen erstgeborenen Sohn, als das israelische Heer ihn im Krieg besiegte. Aber auch bei unseren Leuten sind solche Untaten vorgekommen. Von König Ahas heißt es: »[Er] verbrannte seine Söhne im Feuer und ahmte so die Greuel der Völker nach«, und der bekannteste und schlimmste Fall ist der von Jiftachs Tochter. Ihr Vater, der Richter Jiftach, der Gileaditer, hatte ein Gelübde abgelegt: Sollte er im Krieg siegen, würde er das [16] opfern, was ihm bei seiner Rückkehr als Erstes entgegenkäme. Seine Tochter kam ihm, zur Pauke tanzend, entgegen, und er tat wie gelobt. Unsere großen jüdischen Weisen des nachbiblischen Schrifttums haben hochgelehrt dargelegt, dass Jiftach sich seinem Gelübde hätte entziehen können, wenn er nur ausreichend in der Tora3 bewandert gewesen wäre, aber ich möchte die Angelegenheit hier nicht näher verfolgen. Der Leser kann sie am Ende des 11. Kapitels im Buch der Richter nachlesen und feststellen, dass der Fall von Jiftachs Tochter in gewisser Hinsicht noch grauenhafter ist als der von Abraham und Isaak. Was Abrahams Opfer selbst angeht, so soll die Geschichte meiner Ansicht nach nicht den Menschenopferkult bekämpfen, sondern zeigen, auf welch finstere Abwege der Gehorsam den gehorsamsten Gläubigen in der Bibel führte.

Wie dem auch sei, in dem Vers, in dem Gott Abraham auffordert, ihm Isaak als Brandopfer darzubringen, kommt die Liebe zum ersten Mal in der Bibel vor. Ihr Glanz verblasst neben dem Grauen der Opferung Isaaks, man nimmt sie kaum wahr, aber das ist kein Grund, ihr Vorhandensein zu ignorieren. Sie ist da, und außer der Tatsache, dass es sich um die Liebe eines Vaters zu seinem Sohn handelt, hat sie noch etwas Erstaunliches an sich: Nicht der biblische Schriftsteller und nicht Abraham erwähnen sie. Weder sagt Abraham zu Isaak, dass er ihn liebe, noch erzählt der Schriftsteller dem Leser, dass Abraham seinen Sohn liebt, sondern Gott persönlich spricht davon zu Abraham, als erläutere er es nicht nur uns, sondern auch dem ersten Liebenden selbst.

Tatsächlich nimmt Gott hier seinen schönen Brauch aus [17] den Tagen der Schöpfung wieder auf – das Geben von Namen. Das ist auch gut und nützlich für all diejenigen, die sich seit eh und je fragen: »Was ist Liebe?« Nach meiner bescheidenen Meinung ist das Firlefanz. Alle wissen, was Liebe ist, wenn sie das Herz erfüllt, aber auch, wenn sie fehlt. Ich wage zu behaupten, dass auch Chaim Nachman Bialik, der die Frage »Was ist Liebe?« in einem berühmten Gedicht gestellt hat, sie bei ihrem Kommen und Gehen zu erkennen wusste. Aber selbst unser Nationaldichter hat sich schwergetan, die Antwort in Worte zu fassen.

Gut, dass Gott diese Gewohnheit der Namensgebung pflegt. So erklärt er uns die Liebe schon bei ihrem ersten Auftreten. Gott hat das Licht »Tag« genannt und die Finsternis »Nacht«, das Trockene hat er »Land« genannt, das angesammelte Wasser »Meer« und das Gewölbe »Himmel«, und das hier, Abraham, dieses Gefühl, das du für deinen Sohn empfindest, nennt man »Liebe«. Und jetzt, nachdem ich deiner Liebe einen Namen gegeben habe, nimm deinen Sohn, den du liebst, und bring ihn mir als Brandopfer dar.

Beide miteinander

Und so beginnt die erste Liebesgeschichte der Bibel: »Frühmorgens stand Abraham auf, sattelte seinen Esel, holte seine beiden Jungknechte und seinen Sohn Isaak, spaltete Holz zum Opfer und machte sich auf den Weg zu dem Ort, den ihm Gott genannt hatte.«

Der liebende Vater ist fleißig und organisiert. Seine Aktivität beruhigt ihn, spendet ihm Seelenruhe und die [18] Tröstungen des Handelns. Er tritt als Erster auf, denn er ist die Hauptfigur und der Einzige, der weiß, wo es hingeht und wozu. Danach werden ein Esel und zwei Jungknechte erwähnt, die alle drei nichts weiter wissen als ihre Aufgabe – zu schleppen und zu dienen. Danach erscheint Isaak, der zweite Held der Geschichte, der die Wahrheit auch nicht kennt, und dann folgen die Requisiten: zuerst das Holz zum Opfer, stumme Scheite, die Verwunderung und Argwohn erwecken. Danach kommen das Feuer und das Schlachtmesser zum Vorschein. Und zum Schluss wird Gott den Widder und den Engel schicken, die seiner Ansicht nach alle Probleme lösen, jedoch andere Schwierigkeiten aufwerfen, die ohne Lösung bleiben.

Und Sara? Wo ist sie? Hat sie verstanden, worum es geht? Hat sie von ihrem Sohn Abschied genommen? Wohl kaum. Sara hatte schon früher gezeigt, dass sie Abraham durchaus ihren Willen aufzuzwingen wusste, hatte sogar unter Beweis gestellt, dass sie Gottes Wort anzuzweifeln vermochte. Wenn sie schweigt, ist anzunehmen, dass sie nichts ahnt. Abraham hat ihr vermutlich eine Lügengeschichte erzählt, und selbst sie, die ihn genötigt hatte, seinen erstgeborenen Sohn in die Wüste zu schicken, hat so etwas Monströses nicht kommen sehen – dass diesmal die Brandopferung des gemeinsamen Sohnes anstehen könnte.

Drei Tage lang gingen beide miteinander, der liebende Vater und der geliebte Sohn, und wechselten kein einziges Wort. Am dritten Tag sah Abraham den vorgesehenen Ort und sagte zu seinen Jungknechten, sie sollten hier mit dem Esel warten. »Ich will mit dem Knaben hingehen und anbeten; dann kommen wir zu euch zurück.«

[19] Abraham erzählt hier eine doppelte Lüge. Er redet von »anbeten«, nicht von einem Brandopfer, und er verspricht die Rückkehr in der Mehrzahl, seine Rückkehr und die seines einzigen Sohns. Hätte er ein Brandopfer erwähnt, hätten die Jungknechte jetzt schon die Frage gestellt, die Isaak später vorbrachte: »Wo aber ist das Lamm für das Brandopfer?« Hätte er gesagt »dann komme ich zurück«, in der Einzahl, und nicht »dann kommen wir zurück«, in der Mehrzahl, hätten die Jungknechte geahnt, dass Isaak etwas zustoßen könnte. Wer weiß? Vielleicht hatte Abraham auch Sara beschieden: Bleib du hier im Zelt sitzen, ich und der Knabe werden anbeten. Dann kommen wir zu dir zurück, mach dir keine Sorgen, Sara.

»So gingen beide miteinander.« Der liebende Vater und sein Sohn. Doch in diesem Stadium traten die neuen Mitspieler auf, die im ersten Akt nicht zum Vorschein gekommen waren – das Schlachtmesser und das Feuer, die nötigen Requisiten, die vorher wohl verborgen gewesen waren, nun aber jeden Zweifel beseitigten und jeden Argwohn bestätigten.

»So gingen beide miteinander.« Der liebende Vater trug die Werkzeuge: ein Messer, um seinen Sohn zu schlachten, und Feuer, um sein Fleisch darauf zu rösten. Der geliebte Sohn beförderte die Materialien: das Holz und sich selbst. Wer weiß, vielleicht hat Abraham das Messer und das Feuer hervorgeholt, um Isaak klarzumachen, was bevorstand, und ihm die Möglichkeit zur Flucht zu geben? Doch selbst wenn – Isaak ging mit ihm. Vielleicht unterließ er die Flucht, weil er nichts begriff, vielleicht erfasste er die Lage, floh aber trotzdem nicht um sein Leben. Doch jetzt, als die [20] Jungknechte nicht mehr bei ihnen waren, wagte er, den Verdacht anzusprechen, der von Anfang an in ihm genistet hatte.

»Vater!«, sagte der geliebte Sohn zu seinem liebenden Vater, als wollte er sich vergewissern, dass der Mann mit dem Schlachtmesser tatsächlich sein Vater war und nicht ein Fremder, der ihm nach dem Leben trachtete. »Vater« – und das ist das erste Wort, das nach dreitägiger Wanderung zwischen ihnen fällt.

»Ja, mein Sohn!«, antwortete der liebende Vater, als wollte er bestätigen, dass die Familienbande zwischen ihnen noch bestanden.

»Hier ist Feuer und Holz. Wo aber ist das Lamm für das Brandopfer?«

Das Schlachtmesser zu erwähnen, fällt ihm schwer, aber es ist auch da, in des Vaters Hand.

»Gott wird sich das Opferlamm aussuchen mein Sohn.«

So antwortete Abraham, und der hebräische Leser weiß nicht, wie er die Satzzeichen in diesem letzten Satz setzen soll, da der biblische Originaltext lediglich ein Zeichen für das Satzende kennt. Was soll er zwischen »aussuchen« und »mein Sohn« einsetzen, ein Komma oder einen Doppelpunkt? Soll es heißen: »Gott wird sich das Opferlamm aussuchen, mein Sohn«, oder: »Gott wird sich das Opferlamm aussuchen: mein Sohn.« Das heißt, ist »mein Sohn« an Isaak gerichtet, oder bezeichnet es ihn als das Opfer?

Außerdem – und dies werden die Leser wie auch Abraham und Isaak erst viel später erkennen – sind die Worte »mein Sohn« die letzten, die zwischen den beiden fallen, nicht nur im Hier und Jetzt der Opferung, sondern auch fortan. Sie [21] gehen schweigend weiter zur vorbestimmten Opferstätte. Der Vater baut dort einen Altar, ohne seinem Sohn ein Wort zu sagen. Er fesselt ihn, ohne das Wort an ihn zu richten, und ebenso stumm schwingt er das Messer über ihm.

Auch Isaak sagt kein Wort mehr, stößt nicht mal einen Schrei aus – nicht, als sein Vater ihn mit Stricken fesselt, und nicht, als er ihm das Messer an die Kehle setzt. Diese ergebene Passivität ist erstaunlich. Die Geschichte vermerkt nicht, wie alt er war, auch das Wort ›Knabe‹ bezeichnet in der Bibel kein genaues Alter. Aber mit Sicherheit war Isaak damals kein schwaches, kleines Kind mehr. Er ging drei Tage zu Fuß und stieg dann zum Gipfel des Berges hinauf, das Feuerholz auf dem Rücken. Und Abraham hatte längst die hundert überschritten.

Nach Berechnungen unserer Weisen war Isaak damals siebenunddreißig Jahre alt. Bei entsprechendem Willen hätte er seinem alten Vater entfliehen oder mit ihm ringen und sein Leben ohne weiteres retten können. Aber seit er die Lage erfasst hatte, schien er wie vom Schock gelähmt zu sein. Oder womöglich hatte sein Verhalten einen tieferen Grund: Vielleicht stand hier nicht nur Abraham vor einer Prüfung, sondern auch sein Sohn, auch Isaak. So oder so, diese Geschichte hat nicht nur Protagonisten, sondern auch einen Autor, und wie alle biblischen Schriftsteller verfolgt er eigene Ziele. Isaak hat er von Anfang an nur eine einzige Rolle zugewiesen – die des Opfers bei dieser Opferungsszene.

Außerdem bedient sich dieser Schriftsteller besonders radikal der gängigen Strategie seiner biblischen Kollegen, eher praktische Handlungen als Gefühle und Gedanken zu [22] beschreiben. Schon manch ein Exeget hat darauf hingewiesen, dass die Gedanken der beiden hier gänzlich unerwähnt bleiben und ihre Gespräche nur spärlich wiedergegeben werden.

Wie gesagt, sollten die Worte »mein Sohn« die letzten bleiben, die zwischen den beiden gewechselt wurden, aber nicht nur wegen der grauenhaften Szene oder weil Vater und Sohn fortan nicht mehr miteinander reden wollten, sondern weil sie gar nicht mehr zusammentrafen. Die Bibel sagt das nicht ausdrücklich, aber man kann es dem Text entnehmen. Als Isaak und Abraham sich von den Jungknechten verabschiedeten und zur Opferstätte hinaufstiegen, steht geschrieben: »So gingen beide miteinander.« Und nach der Opferung heißt es: »Darauf kehrte Abraham zu seinen Jungknechten zurück.« Wo ist Isaak? Und was ist mit dem »miteinander«? Tatsächlich gilt das Wort »miteinander« jetzt Abraham und seinen Jungknechten: »Sie machten sich auf und gingen miteinander nach Beerscheba.« Daraus folgt, dass Isaak nicht mit seinem Vater zurückkehrte, sondern allein seines Weges ging.

In den folgenden Kapiteln wird der Abbruch der Beziehungen deutlich: Vom Tag der Opferung bis zu Abrahams Tod, viele Jahre später, finden wir die beiden kein einziges Mal mehr »miteinander«. Man kann Isaak verstehen. Mit einem Vater, der einem die Wahrheit vorenthält, einen auf einen Altar fesselt und einem ein Schlachtmesser an die Kehle setzt, möchte man nicht so zusammensein, wie es das Wort »miteinander« nahelegt. Isaak mied seinen Vater bis zu dessen Tod, und dann begrub er ihn gemeinschaftlich mit Ismael, den derselbe Vater in die Wüste gejagt hatte. Dem [23] Leser ist nicht mal klar, ob sie kamen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen, oder um sicherzustellen, dass er tatsächlich tot und unter der Erde war.

Isaaks Opferung führte nicht nur zum Bruch zwischen Vater und Sohn. Auch Sara finden wir künftig nicht mehr bei Abraham. Nach der Opferung ließ er sich in Beerscheba nieder, während sie – gleich zu Beginn des nächsten Kapitels und vielleicht, weil sie von der Beinah-Opferung ihres Sohns erfahren hatte – in Kirjat-Arba starb. Die Bibel erzählt: »Abraham kam, um die Totenklage über sie zu halten und sie zu beweinen.« Er war also nicht bei ihr gewesen. Er kam aus Beerscheba nach Hebron, um sie in der Höhle von Machpela beizusetzen.

Isaaks Bindung und die fortan zerrissenen Familienbande haben auch eine allgemeinere und weniger dramatische Bedeutung, denn sie zeigen, was ähnlichen Familien zustoßen kann: den Familien von Revolutionären, Feldherren, großen Forschern und anderen Führungspersönlichkeiten, die sich von ganzem Herzen und mit aller Kraft in den Dienst einer Vision, eines Ideals, der Kunst, der Gesellschaft, der Wissenschaft, der Revolution stellen. In dieser Hinsicht ist die Opferung Isaaks nicht nur ein theologisches Gleichnis, sondern ein Beispiel dafür, was den Angehörigen solcher Leute blühen kann. Sie haben den betreffenden Weg nicht selbst eingeschlagen, müssen jedoch den Preis für die ihnen aufgezwungenen Ideale und die nicht selbst gewählte Revolution zahlen.

Aber Abrahams Opfer verursachte noch einen Bruch – zwischen Abraham und seinem Gott. Davor pflegten die beiden gelegentlich zusammenzukommen und miteinander [24] zu reden. Gott sagte zu Abraham in Haran: »Zieh weg aus deinem Land«, er verhieß ihm bei mehreren Gelegenheiten das Land Israel, erschien ihm beim Bundesschluss, änderte seinen Namen und forderte ihn auf, das Fleisch seiner Vorhaut zu beschneiden. Er speiste bei Abraham zu Mittag, wiederholte sein Versprechen, dass ihm ein Sohn namens Isaak geboren werden würde, diskutierte mit ihm über die Zahl der Gerechten in Sodom, gebot ihm, Sara zu gehorchen und Ismael und Hagar zu verstoßen, und befahl ihm, Isaak zu opfern.

Mit all dem war es nun vorbei. Nach Isaaks Opferung hört man nichts mehr von Treffen und Gesprächen zwischen Abraham und seinem Gott. Abraham hatte die Prüfung bestanden, aber danach vermieden die beiden sichtlich weitere Zusammenkünfte. Abrahams Opfer hatte wohl eine Kluft zwischen ihnen geschaffen. Gott erschien Abraham künftig nicht wieder und richtete nicht mehr das Wort an ihn, und Abraham rief ihn nicht an und suchte nicht seine Nähe. Der Tod seiner Frau und die Entfremdung von seinem Sohn zeigten ihm, welch hohen Preis seine Familie hatte zahlen müssen. Und wer weiß, vielleicht hatte auch Gott seine Nachgedanken. Vielleicht reute ihn, was er getan hatte, vielleicht hatte er kein Interesse mehr an einem solchen Gläubigen und einem solchen Glauben.

Und sie wurde seine Frau, und er gewann sie lieb

Die Zeit verging, und im Gegensatz zu dem, was man gemeinhin sagt und hofft, tat sie nicht ihre Wirkung. Sie heilte [25] nicht die Wunde, linderte nicht den Schmerz. Die Mutter war tot, der geliebte Sohn schon vierzig Jahre alt und noch allein, ohne Frau. Der Vater wusste, warum er so geworden war, und er wusste auch, dass er seit der Opferung nicht mehr mit ihm reden konnte, weder darüber noch über sonst etwas.

Reden ging nicht, aber handeln. Und Abraham, dessen Beziehung zu seinen Söhnen sich bislang in der Vertreibung des ersten und der Opferung des zweiten erschöpft hatte, beschloss, erneut tätig zu werden. Bisher war er, nach Gottes Willen und Plan, der Vater der Nation, Stammvater einer Menge von Völkern und unser Stammvater gewesen. Jetzt würde er, aus eigenem Antrieb, einzig und allein Isaaks Vater sein. Der Schaden war angerichtet, aber Abraham konnte ihn ein Stück weit beheben.

Endlich, nach langen Jahren willigen Gehorsams, tat Abraham etwas von persönlicher Bedeutung, ohne Anweisung seines Gottes oder seiner Frau. Und anders als die beiden Greueltaten, die er auf Geheiß der beiden begangen hatte – die Verstoßung Ismaels und Hagars und die Opferung Isaaks –, war dies eine gute Tat: Abraham schickte seinen Großknecht nach Haran, um dort eine Frau für seinen Sohn zu suchen, eine Frau, die sein Leben erleichtern, ihn trösten und sein Herz mit Liebe erfüllen würde. Der Bruch zwischen Vater und Sohn war so tief und unüberbrückbar, dass Abraham Isaak nicht selbst losschicken konnte, wie Rebekka es in der nächsten Generation mit Jakob tun sollte. Er konnte ihn nicht mal ins Vertrauen ziehen. Der Großknecht machte sich ohne Isaaks Wissen auf den Weg.

So traf denn eine kleine Karawane in Haran ein: einige [26] Männer, zehn Kamele, beladen mit Proviant und kostbaren Geschenken, angeführt von Abrahams Großknecht. Er machte am Brunnen vor der Stadt halt, ließ die müden Kamele ausruhen und bat Gott, ihm ein Zeichen zu geben. Er würde, so schlug er dem Ewigen vor, die Töchter der Stadtbewohner am Brunnen um Wasser bitten. Die, die sagen würde: »Trink nur, auch deine Kamele will ich tränken!«, sollte die für den Sohn seines Herrn Bestimmte sein.

Nebenbei bemerkt, handelt es sich bei diesem Knecht nicht unbedingt, wie meist angenommen, um Elieser, aber zweifellos war er ein tüchtiger und weiser Mann. Das Zeichen, das er sich ausgedacht hatte, war nicht beliebig gewählt, sondern durchaus zielgerichtet. Ein Mädchen, das sagen würde: »Trink nur, auch deine Kamele will ich tränken!«, wäre eine gute Frau für Isaak – großzügig, zupackend, stark, gutherzig und selbstbewusst. Und tatsächlich kam Rebekka, Tochter des Betuël, eine Enkelin von Abrahams Bruder Nahor, mit ihrem Krug auf der Schulter an den Brunnen. Der Knecht bat sie um Wasser. »Trink nur, mein Herr!«, erwiderte sie und gab ihm zu trinken. Und dann fügte sie hinzu: »Auch für deine Kamele will ich schöpfen, bis sie sich satt getrunken haben.« Ihre Worte waren nicht identisch mit dem Satz, den der Knecht bestimmt hatte, aber es ging nicht um die genaue Formulierung, sondern um die entsprechende Bereitschaft und den Charakter.

Wieder und wieder leerte sie den Krug in die Tränke, bis sie alle Kamele getränkt hatte. Das war langwierige Knochenarbeit. Zehn Kamele trinken viel Wasser nach einer so weiten Reise. Abrahams Knecht war beeindruckt. Er schenkte ihr einen Nasenreif und Armspangen aus Gold, und sie ging [27] nach Hause und erzählte ihrer Familie von ihm. Ihr Bruder – Laban hieß er, derselbe Laban, der Jakob in der nächsten Generation hintergehen sollte – betrachtete entzückt die wertvollen Gaben. Er lief zum Brunnen und bat den Gast in sein Haus, samt seinen Männern und Kamelen.

Das 24. Kapitel der Genesis enthält eine der am ausführlichsten erzählten biblischen Geschichten. Stilistisch besonders interessant ist die Wiederholung des Handlungsverlaufs – einmal in der dritten Person, als der Autor von der Reise des Knechts nach Haran und seiner Begegnung mit Rebekka und ihren Angehörigen berichtet, und dann noch einmal in der ersten Person, als der Knecht dieselbe Geschichte der Familie erzählt.

Ich will nicht auf alle Einzelheiten eingehen, von denen viele mit der Fabulierlust eines begabten und geübten Schriftstellers zweimal erzählt werden, aber das Zeichen, das der Knecht bestimmt hatte, sollte sich jedenfalls bewähren. Rebekka erwies sich nicht nur als eine großzügige junge Frau mit vielen Tugenden, sondern auch als selbständig und resolut. Das wussten auch ihre Angehörigen, und als der Knecht eilig mit ihr aufbrechen wollte, sagten sie etwas, das in der Bibel sonst unüblich war: »Wir wollen das Mädchen rufen und es selbst fragen.

Sie riefen Rebekka und fragten sie: Willst du mit diesem Mann reisen?

Ja, antwortete sie.«

Sie und ihre Mägde bestiegen die Kamele und folgten dem Knecht, und der brachte sie geradewegs zu Isaak, der sich damals im Land des Negeb, am Brunnen von Lahai-Roï, aufhielt.

[28] »Eines Tages ging Isaak gegen Abend hinaus, um sich auf dem Feld zu beschäftigen«, berichtet der Schriftsteller. Isaak war, wir erinnern uns, schon vierzig Jahre alt und noch immer ledig, ein Zustand, der selbst heutigen Lesern, Freunden und Verwandten zu denken gibt, und das galt erst recht zu Zeiten der Bibel. Sein Abendspaziergang verweist auf Einsamkeit und Zurückgezogenheit, auf freie Zeit für sich und auf feste Gewohnheiten, die eine beruhigende Routine schufen. All das sollte Rebekka nun mit ihrem Auftritt über den Haufen werfen, und die biblische Beschreibung dieser ersten Begegnung ist so schön, dass ich sie hier wörtlich in voller Länge anfüge:

Eines Tages ging Isaak gegen Abend hinaus, um sich auf dem Feld zu beschäftigen. Als er aufblickte, sah er: Kamele kamen daher. Auch Rebekka blickte auf und sah Isaak. Sie ließ sich vom Kamel herunter und fragte den Knecht: Wer ist der Mann dort, der uns auf dem Feld entgegenkommt? Der Knecht erwiderte: Das ist mein Herr. Da nahm sie den Schleier und verhüllte sich.

Der Knecht erzählte Isaak alles, was er ausgerichtet hatte. Isaak führte Rebekka in das Zelt seiner Mutter Sara. Er nahm sie zu sich und sie wurde seine Frau. Isaak gewann sie lieb und tröstete sich so über den Verlust seiner Mutter.

Und mit diesem »gewann sie lieb« – das im Hebräischen ein einziges Wort ist, eine hübsche Flexion des Verbs ›lieben‹, die dank der hebräischen Grammatik Gefühl, Zeit, Mann und Frau einzuschließen vermag – sind wir bei der ersten [29] Liebe zwischen Mann und Frau in der Bibel angelangt. Bei Isaaks Liebe zu Rebekka.

Es ist hierzulande nicht üblich

Der Satz, der diese erste Begegnung der beiden beschließt, »und tröstete sich so über den Verlust seiner Mutter«, ist besonders anrührend. Er offenbart erst jetzt, nach Saras Tod, welch tiefe Bindung zwischen Sohn und Mutter bestanden hat. Er zeigt auch, dass die Dinge in keiner Familie einfach und einseitig liegen. Auf viele Leser und, wie ich zugeben muss, auch auf mich, wirkt Sara häufig wie eine böse Frau, hier und da sogar wie eine veritable Hexe. Sie sprang hart mit Hagar um und peinigte sie, zwang Abraham, Hagar und Ismael zu verstoßen. Aber Isaak war sie eine gute und liebevolle Mutter. Möglicherweise war ihr Dringen auf Ismaels Vertreibung, das Abraham wie auch manchen Lesern verwerflich vorkam, aus Isaaks Sicht eine gute Tat, die seine Mutter für ihn unternahm. Anders als Abraham hätte sie Gottes Aufforderung, ihn als Brandopfer darzubringen, nicht befolgt, und zweifellos war ihm das Beweis genug dafür, dass nur sie seine Liebe und sein Vertrauen verdiente. Ihr Tod war ein weiterer schwerer Schlag, der ihn gleich nach dem Vorfall auf dem Berg Morija traf.

»Isaak führte Rebekka in das Zelt seiner Mutter Sara. Er nahm sie zu sich, und sie wurde seine Frau. Isaak gewann sie lieb und tröstete sich so über den Verlust seiner Mutter.« Daraus geht hervor, dass Isaak das Zelt seiner Mutter behalten hatte, und wahrscheinlich befanden sich ihre Sachen [30] und Haushaltsgegenstände noch darin. Er hatte seiner Mutter also ein Gedenkzelt eingerichtet, das er von Ort zu Ort mitnahm. Vermutlich zog er sich manchmal darin zurück, um ihrer zu gedenken, oder er wohnte vielleicht sogar ganz darin und fühlte sich ihr auf diese Weise nah.

Als er Rebekka in dieses Zelt führte, stellte er seine Auserwählte symbolisch seiner Mutter vor, auch wenn diese schon gestorben war, und erbat ihren Segen. Aber da ist noch etwas: Auf diese Weise sagte Isaak Rebekka, dass seine Mutter, die sie nicht mehr hatte kennenlernen können, auch nach ihrem Tod eine wichtige und präsente Gestalt in seinem Leben war. So teilte er Rebekka mit, dass sie ihre Stelle einnehmen sollte.

Die Geschichte von Rebekka und Isaak zeigt aber auch, wie die Bibel grundsätzlich zur Liebe steht. Isaaks Vorgehensweise – Rebekkas Einführung in Saras Zelt, Hochzeit und Verlieben – ist nach biblischer Auffassung die richtige Reihenfolge. Isaak bekam eine Frau, die nach Gottes Willen und auf sein Zeichen hin ausgewählt worden war, er brachte sie in das Zelt seiner Mutter, er heiratete sie, und erst dann verliebte er sich in sie.

Das ruft den gänzlich anderen Handlungsablauf bei Jakobs Begegnung mit Rahel in der nächsten Generation ins Gedächtnis: Jakob traf Rahel am Brunnen, er küsste sie, noch bevor er sich ihr als Verwandter vorgestellt hatte, er liebte sie, ehe sie seine Frau geworden war, ertrug sieben Jahre nicht vollzogener Liebe, bis das Hochzeitsdatum erreicht war, und hatte dann so großes Verlangen, dass er seine gute Kinderstube vergaß und zu ihrem Vater sagte: »Gib mir jetzt meine Frau; denn meine Zeit ist um und ich will nun zu ihr [31] gehen.« Dieser Sittenverstoß blieb nicht ungestraft. Gott ließ es zu, dass Laban Jakob hinterging und ihm Lea an ihrer Stelle unterjubelte.

Gewöhnlich heißt es, und zwar zu Recht, Jakob sei bestraft worden, weil er seinen Vater getäuscht hatte. Und tatsächlich haben die beiden Fälle einiges gemein. Jakob hatte sich für seinen Bruder ausgegeben, Lea gab sich für ihre Schwester aus. Jakob hatte es auf Initiative seiner Mutter getan, Lea handelte auf Anweisung ihres Vaters. Und beide Schwindeleien erfolgten im Schutz der Dunkelheit – hier im Dunkel von Isaaks Blindheit, dort im Dunkel der Hochzeitsnacht. Aber Jakob wurde zur Lehre doppelt bestraft. Nicht nur durch die Zwangsehe mit Lea, die er nicht liebte, sondern auch durch ihre Fruchtbarkeit im Gegensatz zu Rahels Unfruchtbarkeit: »Als der Herr sah, dass Lea zurückgesetzt wurde, öffnete er ihren Mutterschoß, Rahel aber blieb unfruchtbar.«

Damit sollte Jakob die richtige Reihenfolge und die Rangliste der Bibel verdeutlicht werden: An erster Stelle stehen Familie und Fortpflanzung, erst danach rangiert die Liebe. Wir romantischen und egozentrischen Leser von heute, die das Glück des Einzelnen in den Vordergrund stellen, finden das furchtbar. Aber nach damaliger Auffassung musste es so sein.

Der Morgen, an dem Jakob aufwachte, die Augen aufschlug und sah: »Es war Lea«, erschüttert des Lesers Herz noch heute. Jakobs Wut und Schmach sind verständlich, und vielleicht kann man auch den Hass nachempfinden, den er Lea danach entgegenbrachte. Aber die Bibel möchte Jakob, ausgerechnet durch Laban, erklären, dass es eine korrekte Reihenfolge des Handelns gibt, sogar in der Liebe.

[32] »Es ist hierzulande nicht üblich, die Jüngere vor der Älteren zur Ehe zu geben«, belehrte Laban Jakob. Aber in Jakobs Fall verweist dieses »hierzulande nicht üblich« auf weitere Regeln, die sich nicht auf die in Haran übliche Heiratsordnung beschränken. Hier kommt die biblische Einstellung zur Liebe zum Ausdruck: Die Gebärmutter rangiert vor dem Herzen. Die Familie rangiert vor dem Paar. Aus diesem Grund war »Seid fruchtbar und vermehrt euch« Gottes erste Anweisung an den Menschen, und deshalb ist die Elternliebe die erste Liebe der Bibel, und die Liebe des Mannes zur Frau kommt erst danach.

Der Dichter Jehuda Amichai hat dabei einen weiteren interessanten Punkt angesprochen: Rahel und Lea, in der Bibel zwei eigenständige Frauen, die zwei verschiedene Typen repräsentieren, können in jeder Frau vereint auftreten. Er schrieb:

Jede liebende Frau ist Rahel und Lea, sie tauschen untereinander Leib und Seele,

Zeiten und Kleider, Schminke und Parfüme, Aromen des Tages um Gewürze der Nacht

und Nachtgeräusche um Tageslaute, Schenkel und Brüste, um ein Fleisch zu werden,

Rahel und Lea, Rahelea, und Jakob schläft wie mit zweien:

die eine stürmisch und glühend, sie weiß von ihrem baldigen Tod beim Gebären,

die andere ruhig und sanft und schwer,

durch alle Generationen bis her zu mir.

[33] Liest man die biblische Geschichte wieder, und vor allem ihre Fortsetzung, in der die verhasste Lea Kinder zur Welt bringt und die geliebte Rahel unfruchtbar bleibt, kommt einem schon mal der Gedanke, nicht nur hier, in dieser Geschichte um zwei Schwestern, entdecke der Mann am Morgen: »Es war Lea.« Aus biblischer Sicht besteigt jeder Mann, in jeder Hochzeitsnacht, seine Lagerstatt mit Rahel, der Geliebten, auf die er sieben Jahre in sehnsüchtigem Verlangen gewartet hat, und stellt am Morgen beim Aufwachen fest: »Es war Lea« – Lea, deren Aufgabe es ist, Kinder zu gebären und eine Familie aufzubauen. Unromantisch. Unangenehm. Aber so sieht die Bibel die Liebe.

Das ist nicht abwertend gemeint. Nach biblischer Auffassung handelt es sich um eine notwendige Metamorphose. Wie gesagt propagiert die Schrift, und speziell das Buch Genesis, nicht die Liebe, die am Anfang der Beziehung zwischen zwei Menschen steht, sondern die Liebe, die nach der Heirat aufkommt und sich mit dem Aufbau der Familie festigt. In diesen Zusammenhang passt das traurige Los zweier weiterer biblischer Paare, deren Beziehung mit Liebe begann: Amnons Liebe zu Tamar, die ihn zu Vergewaltigung und Hass verleitete, und Simsons Liebe zu Delila, die ihm Leid und Tod brachte.

Kohelet, der Prediger Salomo, sagte: »Mit einer Frau, die du liebst, genieß das Leben alle Tage deines Lebens.« Aber Kohelet fällt auch sonst oft aus dem Rahmen, und die biblische Norm sieht anders aus. Gott hat Adam und Noah aufgetragen, fruchtbar zu sein und sich zu vermehren, nicht, an ihren Beziehungen zu arbeiten, und Abraham versprach er zahlreiche Nachkommen und kein schwungvolles [34] Liebesleben mit Sara. Dies zeigt sich auch bei Rebekkas Liebe zu ihrem Sohn Jakob. Sie hinterging den Ehemann, der sie liebte, um ihren Lieblingssohn zu fördern.

Die Bibel erzählt: »Isaak hatte Esau lieber, denn er aß gern Wildbret; Rebekka aber hatte Jakob lieber.« Daraus lassen sich mehrere Schlüsse ziehen. Erstens, dass die Bibel ehrlicher und offenherziger ist als ihre Leser. Sie ist sich der Möglichkeit bewusst, dass selbst Eltern, die ihre Kinder in etwa gleich stark lieben, dies nicht immer auf völlig gleiche Weise tun. Und zweitens, dass Isaaks Liebe zu Esau einer Bedingung unterlag. Er liebte Esau wegen der Fleischgerichte, die dieser ihm zubereitete. »Aber Rebekka hatte Jakob lieber.« Ihre Liebe war nicht bedingt, gewiss nicht durch leckeres Essen.

Außerdem verwendet der Originaltext hier zwei verschiedene Formen des hebräischen Verbs ›lieben‹. Bei Isaak steht die Form, die in Übersetzungen gemeinhin mit dem Präteritum wiedergegeben wird, genau genommen aber etwas bezeichnet, das sich im Verlauf der Handlung ereignet, also in etwa: »Isaak würde Esau lieben.« Doch Rebekkas Liebe zu Jakob steht im Präsens: »Und Rebekka liebt Jakob.« Das heißt, es ist die Schilderung eines festen Dauerzustands, als handle es sich um fast so etwas wie ein Naturgesetz. Morgens geht die Sonne auf, der Mond nimmt zu und ab, die Bäche fließen ins Meer, und Rebekka liebt Jakob. Und tatsächlich, als es dann hart auf hart geht, übertrumpft diese Liebe, die Liebe der Mutter zu ihrem Lieblingssohn, die Liebe zu ihrem Mann und dem anderen Sohn.

Isaaks Vorliebe für Esau wiederum könnte auch mit seinem alten Groll auf den eigenen Vater zusammenhängen, [35] sogar ein Ausdruck davon sein. Isaak bevorzugte den Sohn, der anders aussah und einem anderen Beruf nachging als Abraham und er selbst: den stark behaarten Rotschopf (eine Ausnahmeerscheinung in der Familie der Erzväter), den Mann des Feldes und der Jagd (eine Ausnahmebeschäftigung in diesen Kreisen), der mithin eher an seinen Onkel Ismael erinnerte. Dennoch sind die Wohlgerüche eines perfekt zubereiteten Wildgerichts natürlich nicht zu unterschätzen.

Wer erwartet hatte, die Beinah-Opferung hätte Isaak zum Vegetarier gemacht, hat sich geirrt. Nach Genesis, Kapitel 27 zeitigte Fleischduft durchschlagende Wirkung bei ihm, schon wegen seines Appetits auf Esaus Delikatessen und vielleicht auch, weil seine Alterserblindung seine übrigen Sinne geschärft hatte. Zweifellos arbeiteten an jenem Tag nicht nur Rebekkas Machenschaften, sondern auch Isaaks Verfressenheit gegen den Sohn, den er liebte. Obwohl er durchaus misstrauisch wurde und Jakobs Stimme deutlich erkannte, brachte seine Essbegierde ihn so weit um den Verstand, dass er sich zu Esaus Schaden von Rebekka und Jakob betrügen ließ.

Das Ganze erinnert an den Vorfall zwei Kapitel früher, als Esau selbst sein Erstgeborenenrecht gegen ein Linsengericht an Jakob verkauft hatte. Daraus erhellt, dass Isaak seine ungezügelte Fresslust und den Drang zu unverzüglicher Triebbefriedigung an Esau vererbt hatte, Rebekka den Hang zu Lug und Trug an Jakob. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum Rebekka Jakob liebte und Isaak Esau. Sie bevorzugten jeder den Sohn, der ihnen ähnlich war.

[36] Abraham nahm sich noch eine andere Frau

Zurück zu Abraham. Auch jetzt, nachdem sein Plan geglückt war, Isaak Rebekka geheiratet und sich über den Tod seiner Mutter hinweggetröstet hatte, lebten Vater und Sohn nicht zusammen. Der Bruch ließ sich nicht kitten. Vermutlich wusste Isaak, dass sein Vater hinter der Verkupplung mit Rebekka steckte. Der Großknecht erzählte ihm »alles, was er ausgerichtet hatte«, und es war klar, dass Knechte nicht auf eigene Faust in fremde Länder aufbrechen, um dort Frauen für die Söhne ihrer Herren auszusuchen. Aber die Verbindung zwischen Isaak und seinem Vater lebte nicht wieder auf.

Zu Abrahams Gunsten sei gesagt, dass er das richtige Mittel gewählt hatte, um seinem Sohn zu helfen. Er hatte vermutlich gehofft, auch sein Herz zurückzugewinnen. Aber wenn er enttäuscht wurde, ließ er es sich nicht anmerken. Es war auch richtig, von Isaak keinerlei Gegenleistung zu verlangen, ob nun eine Wiederaufnahme der Beziehungen oder Dankbarkeitsbekundungen. Abraham genügte zu wissen, dass er seinem Sohn etwas Gutes getan hatte, und der Leser wird gleich merken, dass er sich damit auch selbst einen Dienst erwies.

Unmittelbar nachdem Isaak Rebekka geheiratet und liebgewonnen hatte, nahm Abraham sich ebenfalls eine Frau, eine erheblich jüngere Frau namens Ketura. Und während sein Sohn und seine Schwiegertochter zwanzig Jahre auf die erste Schwangerschaft warten mussten, legte der Alte gleich los und wurde von seiner neuen Frau mit vielen Söhnen beschenkt.

[37] Das darf man nicht einfach abtun. Als Abraham hundert Jahre alt war, hatte er an seiner Kraft gezweifelt, Isaak zu zeugen. Jetzt, mit über hundertvierzig, zeugte er, ohne die Aufwartung von Engeln, ohne göttliche Versprechungen und Botschaften zu erhalten, mit Ketura sechs Söhne nacheinander: »Sie gebar ihm Simran, Jokschan, Medan, Midian, Jischbak und Schuach.«

Die Eheschließung des alten Vaters, die bald nach der Hochzeit seines Sohns erfolgte, die überraschende Fruchtbarkeit, mit der Ketura und er das junge Paar bei weitem überflügelten, und die sich so hübsch reimenden und daher sehr eingängigen Namen der kleinen Jungs, die ihnen geboren wurden, brachten Freude und Segen. Zweifellos machte Abraham eine positive Verwandlung durch. Die Opferung hatte ihn zwar seinem Sohn entfremdet, ihn aber auch von der bedrängenden Präsenz seines Gottes und seiner Frau erlöst, jener beiden Gestalten, die sein Leben mit fester Hand lenkten und ihn zu schrecklichen Taten drängten – seinen ersten Sohn zu verstoßen und den zweiten auf den Opferaltar zu fesseln.

Jetzt, da Gott schweigt, Sara tot ist und Isaak sich mit seiner Liebe zu Rebekka getröstet hat, kümmert Abraham sich endlich auch um sein eigenes Wohl. Er ist ein aktiver und höchst fruchtbarer Greis geworden. Außer Ketura hatte er Nebenfrauen, die ihm ebenfalls Kinder schenkten. Die Bibel betont natürlich, dass Isaak sein Hauptsohn war und blieb, dem er alles vermachte, was ihm gehörte, und dass er die Söhne dieser Nebenfrauen nach Osten, ins Morgenland, schickte, damit sie Saras Sohn nichts streitig machten, aber das ist unwesentlich. Wichtig an der Geschichte ist die [38]