Hör auf zu denken – sei einfach glücklich!

Hinnerk Polenski

Hör auf zu denken –
sei einfach glücklich!

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Hinnerk Polenski

Zen-Meister Hinnerk Syobu Polenski, geb. 1959, praktiziert Zen seit mehr als 30 Jahren. Nach seiner Tätigkeit als Unternehmensberater widmet er sich seit 1999 dem Zen-Training und -Coaching. Der ordinierte Mönch begründete den Daishin-Zen-Orden sowie die Zen-Leadership-School, wo er zahlreiche Seminare und Fortbildungen leitet.

www.zen-schule.de

 

Ulrike Wischer, geb. 1959, ist Journalistin beim WDR Fernsehen. Seit vielen Jahren ist sie Zen-Praktizierende.

Impressum

eBook-Ausgabe 2012

Knaur eBook

© 2011 O. W. Barth Verlag

Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Martina Darga

Illustrationen: Hinnerk Polenski

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-426-41376-0

Hinweise des Verlags

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.


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Wir freuen uns auf Sie!

Für diejenigen,

die das Gefühl haben,

nach Hause zu wollen,

und jetzt bereit sind,

den Weg dorthin auch zu gehen.

»Wenn der Geist still wird, wird die Welt wahr.«

Gotan Osho

Ich will heute etwas erzählen

über den Sinn unseres Lebens,

über die Liebe,

den Wandel

und das Wachstum.

 

Ja, der Sinn des Lebens ist Wachstum,

und die Erde, der Nährboden, der Dünger

das alles ist die Liebe.

 

Schaut euch um,

diese Blumen und Pflanzen um uns herum,

die wachsen auch,

einfach so.

Die haben keine Probleme

so wie wir.

 

Zunächst ist wichtig:

Ihr habt alle – jeder von euch –

dieses Recht in euch,

ein wunderbarer, schöner Mensch zu werden.

 

Und das Tolle daran ist:

Ihr müsst überhaupt nichts machen.

Ihr braucht keine Bedienungsanleitung,

ihr braucht keinen Bauplan!

Ja, ihr müsst einfach dieses Wachsen zulassen,

dieses Wachsen in euch selber.

 

Hinnerk Syobu Polenski

Nicht denken, nur tun

Macht Denken unglücklich?

 

Überwinde Denken und Verstrickung, dann liegt alles offen vor dir.

 

Gut, und was heißt das für mich, für den normalen Menschen?

 

Aus meiner Sicht macht zu viel Denken unglücklich. Ja, ich kann sagen, du wirst glücklich, zufrieden und mit Freude erfüllt sein, wenn du gelernt hast, das Gedankenkarussell in deinem Kopf anzuhalten.

 

Warum kannst du das mit solch einer Sicherheit sagen? Ist das nicht etwas anmaßend? Schließlich hat das Denken unsere Zivilisation weit vorangebracht; viele nützliche Dinge sind durch Denken entstanden.

 

Ist das so?

 

Nicht …?

 

Vernunft ja, aber Denken oder gar Grübeln? Hat je ein Gedanke dich glücklich gemacht? Dabei meine ich wirklich nur den reinen Gedanken, nicht das Gefühl, das durch ihn ausgelöst wird. Viele Menschen denken zum Beispiel über die Liebe nach, und noch mehr über die Frage, warum sie die Liebe in ihrem Leben nicht finden können. Und warum finden sie die Liebe nicht? Weil sie über Liebe nachdenken, statt Liebe zu leben, die Liebe in sich selbst zu spüren.

 

Nun ja, für die Liebe mag das so zutreffen, aber der normale Alltag ist doch eher geprägt vom Denken.

 

Wann entstehen denn die tiefen, echten, großen, heilsamen Erfahrungen, Gefühle in uns? Sicherlich nicht bei einer wirtschaftspolitischen Diskussion über die Anhebung oder Senkung irgendwelcher Steuern. Sondern dann, wenn ein Künstler eins wird mit seinen Arbeitswerkzeugen, wenn ein Maler verschmilzt mit Pinsel und Leinwand. Auch ein Musiker wird manchmal eins mit seinem Instrument und dem Ton. Dann entsteht ein Welthit, weil er die Menschen auf einer anderen, besonderen Ebene – dem Herzen – berührt. Oder der Spieler auf dem Fußballplatz bildet plötzlich eine Einheit mit dem Ball; sein Fuß und das Leder sind verbunden, und dann schießt er das entscheidende Traumtor. In solchen Momenten passiert das Wunderbare, genau dann entstehen Liebe, Freude, Hingabe – und das ist das Leben, das ist Glück.

 

Aber nicht jeder ist ein Superspieler wie Mario Gomez! Das normale Leben ist doch etwas nüchterner, wenn nicht sogar sehr viel härter. Es hat wenige Augenblicke des Beseeltseins.

 

Diesen Zustand, den ich beschreibe, kennen die meisten Menschen auch aus ihrem Alltag: die Arbeit an einem Frühlingstag im eigenen Garten oder das Spielen mit den Kindern am Badesee, die Geburt eines Kindes, der Moment des ersten oder des neuen Verliebtseins, das Wiedersehen mit einem langjährigen Freund – da zählt immer nur der Moment. Wenn wir uns einmal in Ruhe hinsetzen und nachfühlen, dann fällt jedem garantiert auch so ein Moment, ach, bestimmt sogar viele solcher Momente ein.

Ich behaupte: Es gibt kaum einen Menschen auf dieser Erde, der nicht schon solche Momente erlebt hat.

 

Was passiert in diesen, ich nenne sie mal »Momenten der Liebe«?

 

Da ist ein Mann, da ist eine Frau, da ist ein Kind. Er, sie, es haben »sich« völlig vergessen und leben, erleben allein den Augenblick. Das ist der Zauber, der aufscheint, wenn der Mensch seinem »wahren Wesen«, seinem Herzen, seinem Selbst – oder wie auch immer der Mensch sein Innerstes bezeichnet – begegnet. In solchen Momenten ist nur noch Sein.

 

Ja, solche Momente kenne ich auch, das stimmt. Aber so ganz ohne Denken geht’s trotzdem nicht, oder?

 

Ich sage nicht, dass Denken unsinnig oder gar überflüssig ist. Deine Frage war: Macht Denken unglücklich? Denken an sich ist ein sehr nützliches Werkzeug – so wie ein Hammer gut ist, um einen Nagel in die Wand zu schlagen.

In dem Moment aber, in dem ich denke, ich bin der Hammer – im Sinne des englischen Spruchs »If I have a hammer in my hand, everything looks like a nail« –, in diesem Moment fällt ein großer Teil von dem, was mich ausmacht, was mein Wesen ausmacht, ab. Und dann ist Denken nicht mehr nützlich. Das ist genau der Unterschied zu den Situationen, die ich vorher beschrieben habe. Der Spieler denkt nicht, er ist der Ball. Er verschmilzt mit dem Ball, er ist tatsächlich eins mit ihm. Das nenne ich auch »von etwas erfüllt sein«.

 

Und das ist es dann auch, was mich glücklich sein lässt?

 

Ja, das, was hinter dem Denken ist. Was hinter den Wolken des Denkens in mir selber ist.

 

»Was hinter den Wolken des Denkens in mir selber ist« – das hört sich großartig an, und was ist das?

 

Das ist die Sonne des Herzens. Das ist das reine Wesen.

 

Super, noch zwei tolle Begriffe – und wer soll das verstehen? »Sonne des Herzens«, »das reine Wesen«, uff.

By the way: Wie spreche ich einen Zen-Meister eigentlich richtig an?

 

Sensei, das ist der japanische Begriff für »Lehrer« ganz allgemein. Mit meinen Schülern und auch den meisten Seminarteilnehmern duze ich mich, Hinnerk ist dann mein Name. Syobu Sensei geht auch. Syobu ist der buddhistische Name, den mir mein Lehrer gegeben hat, ein alter Samurai-Name, er bedeutet so viel wie »Respektabler Zen-Krieger«. Auf »Herr Polenski« reagiere ich auch – aber das sind alles nur Namen, das bin nicht ich.

 

Gut, ich nehme Sensei.

Nun Sensei, was ist die »Sonne des Herzens«, »das reine Wesen«?

 

Das ist Zen-Sprache.

 

Was ist »Zen-Sprache«?

 

Zen-Sprache ist eine Kommunikation ohne die Logik des Verstandes. »Die Sonne des Herzens« ist also nicht die bekannte Sonne, die am Himmel steht, sondern umschreibt die Fähigkeit, mitten in einem Geräusch in eine Stille zu gehen, wo alle Gedanken zur Ruhe kommen. Wenn alle unheilsamen Gefühle und alle unruhigen Energien und Körperempfindungen durch die Übung oder durch einen besonderen Moment zur Ruhe kommen – dieser Zustand umschreibt »das reine Wesen«.

 

Kann ich auch einfach sagen, dann bin ich glücklich und zufrieden, erfüllt von innerem Frieden und Freude?

 

So ungefähr, ja.

 

Prima, wer will das nicht – raus aus dem Hamsterrad, glücklich und in Frieden sein. Aber wie geht das?

 

Seit vielen tausend Jahren gibt es diese Wege auf dieser Welt. Ein Weg ist das Zen. Ein anderer Weg ist der tibetische Buddhismus unter der Leitung des Dalai Lama. Aber auch christliche Mystiker haben bis etwa ins 14. Jahrhundert einen Weg verfolgt. Genauso finden wir in Indien, in der indischen Religion, dem Hinduismus, verschiedene Wege.

 

Was genau ist Zen? Ein Parfüm? Ein Zen-Garten, den ich bei Tchibo kaufen kann? Bilder an der Wand und Buddhas auf dem Bücherregal?

 

Wenn der Geist still wird, wird die Welt wahr.

 

Zen ist weder eine Lehre noch ein Konzept. Es ist auch keine Religion, kein Dogma und keine Lebensphilosophie. Zen ist lebendig. Zen ist ein Weg – nicht mehr und nicht weniger.

 

Und wohin führt dieser Weg?

 

Dieser Weg führt zu unserem wahren Kern, dem wahren Wesen eines jeden Menschen, zu unserem Selbst. Dieses Selbst zu erkennen, das ist das vermeintliche Ziel. Vermeintlich deshalb – und das ist das Paradoxe oder Verwirrende für viele Menschen –, weil es im Zen eigentlich nichts zu erreichen gibt, denn unser Selbst ist ja schon da. Das war es immer und wird es immer sein.

Dieses Selbst also muss nicht gesucht und kann folglich auch nicht gefunden werden. Wie gesagt, es ist ja immer da – jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, in jedem Atemzug. Doch wir sehen es nicht, wir fühlen es nicht, wir erkennen es nicht. Das ist die Schwierigkeit. Und das Beste, was uns in diesem Leben passieren kann, ist, unser Selbst, unseren wahren Kern zu entdecken, zu erfahren. Eben diese Erfahrung lässt uns dann wirklich glückselig werden. Diese Entdeckung ist der wirkliche Beginn unseres Lebens.

 

Und wie hilft mir Zen dabei?

 

Die Praxis des Zen löst die Hindernisse auf, die es uns jetzt noch nicht ermöglichen, unser »wahres Selbst« zu sehen. Geht man diesen Weg, dann führt er zu einem tiefen Glück, unabhängig von allen Bedingtheiten, frei, offen und unbegrenzt. Mit Bedingtheit meine ich die Beziehung, die es normalerweise zwischen den Dingen, den Objekten gibt: Das eine ist gut, darum ist das andere böse usw.

Aber für mich ist wichtig zu betonen, dass es seit vielen tausend Jahren verschiedene Wege gibt, die zu unserem »wahren Selbst«, zu unserem »Wesen« führen. Zen ist einer dieser Wege. Letztlich ist es auch egal, auf welchem Weg der Mensch »sich selber« begegnet, wichtig ist nur, dass er es irgendwann tut. Mein Weg ist Zen.

Einige Schüler fragten ihren alten Meister:

»Du scheinst immer glücklich und zufrieden zu sein,

wie machst du das, was ist dein Geheimnis?«

 

Der Meister antwortete:

»Wenn ich schlafe, dann schlafe ich.

Und wenn ich esse, dann esse ich.

Und wenn ich rede, dann rede ich.«

 

Die Fragenden waren irritiert:

»Was soll das? Das tun wir auch.

Wir essen, schlafen und reden.

Aber wir sind nicht glücklich so wie du.

Was machst du anders als wir?«

 

Es kam wieder die Antwort:

»Wenn ich schlafe, dann schlafe ich.

Wenn ich esse, dann esse ich,

und wenn ich rede, dann rede ich.«

 

Der Unmut der jungen Leute wuchs,

das spürte auch der Meister, also fügte er hinzu:

»Sicher tut ihr die Dinge, wie ich sie tue.

Aber während ihr esst,

denkt ihr schon an die Arbeit danach.

Während ihr euch ausruht, überlegt ihr,

wohin ihr danach geht, und während ihr geht,

fragt ihr euch, was ihr demnächst essen werdet.

So sind eure Gedanken ständig woanders und nie da,

wo ihr gerade seid.

Und genau das ist der Unterschied,

und darin liegt das Geheimnis.«

 

Zen-Geschichte

Menschen sind unglücklich, ihre Partnerschaften zerbrechen, viele sind einsam. Meinst du wirklich, diese Menschen denken zu viel?

 

Ja, zum Teil ist das sicher ein Grund. Ständig überlegen sie: Was habe ich der Nachbarin bloß schon wieder getan, sie hat mich so komisch angeschaut. Oder: Mein Chef hält nichts von mir, er hat mir heute nicht einmal »Guten Tag« gewünscht. Oder – noch vertrackter: Meine Frau sieht so gut, so glücklich aus. Hat sie einen Freund? Und dann setzt die Denkmaschine erst richtig ein. Was denkt er? Wie guckt sie? Was erzählen die anderen hinter meinem Rücken? Ich habe jetzt schon zweimal angerufen, warum meldet er sich nicht mal von sich aus??? … Und so weiter, und so weiter.

Wenn man ganz genau hinsieht, reduziert sich die Ursache für unser Unglück auf einen einzigen Punkt. Wenn man aber an der Oberfläche, in der sogenannten relativen Welt bleibt, gibt es dafür Tausende von Gründen.

 

Und was ist die sogenannte relative Welt?

 

Die relative Welt ist die Welt, in der wir die Dinge benennen und uns auf eine Bedeutung dieser Bezeichnungen oder Worte geeinigt haben. Eigentlich sollten wir unter dem, was wir benennen, das Gleiche verstehen. Doch meistens funktioniert das nicht.

Nehmen wir mal den Begriff »Wetter« als Beispiel. Wetter ist das Zusammenspiel von Strömungen, ob die Sonne scheint oder nicht. Trotzdem löst das Wort »Wetter« bei dem einen gute und bei dem anderen negative Emotionen oder Gedanken aus: »Sonne yipeah«, »Wo ist meine Sonnenbrille?«, »Ich will ein Eis«, »Mist, meine Balkonpflanzen vertrocknen«, »Schön, die Garten-Party kann stattfinden«, »O Gott, mein Kopf, viel zu hell hier, nie wieder Jägermeister«. Die gleiche Sonne und Hunderte von Gedanken und Gefühlen, Erinnerungen und Hoffnungen, Befürchtungen, Freud und Leid.

 

Welche »tausend Gründe« sind da für das Unglücklichsein des Einzelnen verantwortlich?

 

Alle Dinge haben für uns einen eingefassten Rahmen. Nehmen wir noch ein Beispiel: »der Baum«. Es gibt Menschen, die denken: »Oh, was für ein schöner romantischer Baum.« Andere denken: »Wenn ich den fälle, dann verdiene ich zwanzigtausend Euro.« Der Schreiner sieht Tischplatten und Säulen, während manch einer sagt: »Dieser Mist-Baum schmeißt mir Blätter auf mein Auto.« Und der Grüne und der Gärtner denken: »Hm, wie kann ich diesen Baum erhalten?« Kurz, die Wahrnehmung der Welt ist immer abhängig von einem Beobachter, von dem also, der diese Welt oder einen Teil von ihr sieht, erlebt.

Und das Bild, das der Einzelne schafft, ist wiederum abhängig von seinen Erfahrungen, seinen Prägungen, seiner eigenen Welt. Und da die niemals bei zwei Wesen gleich sind, sieht jeder Mensch auf dieser Erde den einen Baum anders. Der Beobachter macht die Beobachtung erst zu dem, was sie ist.

 

Das heißt, ich sehe die Welt aus meinem Blickwinkel, mit meinem Erfahrungshintergrund. Mein Partner, mein Kollege oder die Kassiererin an der Kasse tun dasselbe. Sie sehen deshalb vermutlich eine andere Realität als ich, weil sie ja einen anderen Erfahrungsschatz haben. Und diese getrennten Sichtweisen lösen ganz schnell, nennen wir es mal Missverständnisse aus. So?

 

Ja, so ungefähr. Grenzen entstehen durch die Kategorien, die wir geschaffen haben. Die es in der Wirklichkeit nicht gibt, die es in unserem innersten Wesen, in unserem wahren Kern auch nicht gibt. Dieses System von Vorstellung, Grenze und selbstgemachten Bildchen ist sehr gut zum Einkaufen: Wenn ich sage, ich hätte gerne zwei Liter Milch, dann weiß ich genau, dass ich zwei Tüten in meinen Korb packe. Das ist ein sehr altes System, aber unser Geist ist sehr viel weiter als dieses uralte und auch sehr nützliche und gute System.

 

Das ist also die eine Seite, die Seite der sogenannten relativen Welt. Und was ist der einzige Punkt, »wenn man genau hinschaut«, wie du gesagt hast, der Menschen unglücklich sein lässt?

 

Liegt doch eigentlich auf der Hand, oder? Der Punkt ist, dass ich nicht ich selbst bin.

»Wer bin ich?« – um diese Frage geht es sehr oft in den Teishos, den Lehrreden also, die die Zen-Meister und -Lehrer während der traditionellen Zen-Treffen, Sesshin genannt, halten.

Teisho
Wer bin ich?

Alle großen Meister des Ostens stellten immer wieder

die entscheidende, die letzte große Frage:

Wer bin ich?

 

Wir werden geboren in diese Welt. Mit großen unschuldigen Augen sehen wir all die wunderbaren Dinge. Geschützt, wenn wir Glück haben, durch die Liebe unserer Eltern.

Und mehr und mehr wird uns die Welt erklärt.

Wie lernen, was ein Baum ist.

Wir lernen das Abc.

Wir lernen Fahrradfahren.

Wir lernen, dass es Auseinandersetzungen gibt.

Wir lernen, uns zu schützen und in der Welt zu bestehen.

Wir lernen, uns abzugrenzen.

Wir lernen einen Partner und die Liebe kennen

und Enttäuschungen.

Wir lernen tausend Dinge.

 

Was uns aber nie begegnet auf diesem Weg

ist die Antwort auf die Frage:

Wer bin ich eigentlich?

 

Die meisten von uns stellen aber auch gar nicht diese Frage.

Wie die Dinge funktionieren, das wissen wir sehr gut,

wer wir sind, gar nicht.

 

Und wenn wir uns diese Frage dann doch stellen,

dann ist da ein vages Fragezeichen,

ein Anflug von Ratlosigkeit.

Und genau dieses unbestimmte Gefühl, das ist unsere Chance.

 

Denn solange es unbestimmt bleibt und

wir uns nicht von alten Männern und Werbefritzen erzählen lassen, was wir zu glauben und zu meinen haben,

ist genau dieses unbestimmte Gefühl das Tor zur Antwort.

 

Solange es frei bleibt,

ist es unsere große, ganz persönliche Chance.

Das ist das Tor.

Nicht da draußen,

nicht in Meinungen und Büchern und Regelwerken,

nicht außerhalb von uns.

Sondern diese Offenheit,

dieses Anhalten, dieses Nein zu jeder Definition

öffnet ganz zart, ganz leicht das Tor.

 

Gehe ich hindurch, bin ich auf dem Weg.

Das Tor entsteht in mir,

»Tor« ist ein anderes Wort für »Entscheidung«:

Ja, ich will wissen, wer ich bin,

was das alles hier ist,

was Leben und Tod bedeuten –

ja, was an erster Stelle Ich und Leben bedeuten.

 

Ist diese Entscheidung da, beginnt der Weg des Zen.

 

In dem Maße, in dem ich sage »Ich bin, wie ich bin,

und so will ich bleiben«

– nämlich so bleiben, wie wir es von außen gelernt haben –,

umso mehr wird sich in mir dieses Tor schließen,

mein Herz wird verhärten,

und ich bin für immer im Außen, verbannt im Exil.

 

Je mehr wir in diesem Außen sind,

umso mehr sind wir gezwungen, den Fluss des Lebens zu sichern,

zu stoppen, zu kanalisieren.

Wir wirken und werden statisch, fest und hart,

aber auch zerbrechlich, bedroht und begrenzt.

Immer im Zwang, mich gegen Veränderung zu verteidigen.

Ein Bemühen, das uns wie Sand in den Händen zerrinnt

oder das gewaltige Lebenskraft kostet und uns erschöpft,

weil es nicht wirklich ist.

Wir müssen immer Neues bauen und erschaffen,

das hinter uns verfällt, wieder zerfällt,

wie die Sandburg im Takt der Wellen.

 

Aber –

und darin liegt für uns persönlich die ganz große Chance:

Die ganze Zeit ist die Antwort in uns, vor unserer Nase,

besser gesagt, hinter unserer Nase.

 

Sie ist in uns selbst.

Es gibt da einen Ton in uns.

Manche spüren ihn als Sehnsucht.

Es gibt eine tiefe Sehnsucht, die uns berührt.

Aber wir wissen gar nichts damit anzufangen.

Ja, sie macht uns Angst,

denn sie hat kein Gegenüber in der Welt.

Wo es heißt, ich muss mich durchsetzen,

Karriere machen, kämpfen, meinen Mann und meine Frau stehen,

da scheint er gar nicht zu helfen, dieser Ton.

 

Und so kämpfen wir tapfer weiter,

die Sehnsucht spüren wir nicht mehr.

Was bleibt, ist eine Traurigkeit.

Eine tiefe Traurigkeit, die nur manchmal da ist.

Die noch weniger erklärlich ist

und die unangenehm scheint, zumindest beunruhigend.

Und viele machen auch dieses letzte Empfinden zu.

 

Der Weg ist in uns selber.

Ja, was ist denn das, wenn er in uns selber ist?

Was bedeutet das?

 

Zen ist an erster Stelle ein Anhalten und Kraftsammeln,

Kraft sammeln für den Weg zu mir, zu Freiheit und Glück.

 

Dieser Weg besteht aus einem Anhalten.

Ein Anhalten im Rastlosen,

ein Anhalten im Selbstmitleid,

ein Anhalten im Gewusel, im Aktionismus.

 

Einfach anzuhalten

und die Dinge für den Moment sein zu lassen.

Einfach in Stille zu sein, durch die Zen-Übung.

Und in dieser Stille

ist auf einmal diese Traurigkeit, dieses Berührtsein da.

 

Wir können nicht sehen,

wer wir sind in der Situation, in der wir uns gerade befinden.

Wir können nicht alle Illusionen durchschauen.

Wir leben in einer Welt der Täuschungen, erst mal.

Das ist eine Weisheit.

Aber wir können erkennen, wer wir wirklich sind.

Ja, aber wie geht das?

 

Die Berührtheit, die Sehnsucht,

das Spüren von nicht Erfassbarem,

ja Unruhe ohne Gegenüber ist schon der Weg selbst.

 

Stellt euch vor:

Ein wunderbarer Tag, und die Sonne geht unter,

und nun sehe ich meinen eigenen Schatten,

und dieser Schatten ist die Traurigkeit.

 

Und jetzt kannst du verstehen, wenn der Zen-Meister sagt,

die Melancholie ist ein Hinweis zum Weg.

Du musst dich nur 180 Grad umdrehen.

Hinter der Traurigkeit ist ein Licht,

und da ist ein Weg, und dann habt ihr die Sehnsucht.

 

Und jetzt habt ihr den Weg.

Die Sehnsucht, die unbenennbare Stimmung,

das nicht erfassbare Berührtsein ist das Spiegelbild des Lichts,

des Herzens in mir.

Es zeigt mir den Weg.

Die Traurigkeit, das Zweifeln, das Deprimiertsein

ist das Bedauern über das Abgewendetsein davon.

Der hektische Aktionismus, das Agieren und Reagieren in Hunderten von Blasen, Impulsen und Gefühlen

ist die Flucht davor.

 

So einfach ist das.

 

Jetzt braucht es nur die Zen-Übung und einen Lehrer,

der euch die Möglichkeit gibt, diese Sehnsucht freizulegen.

Sie vorsichtig, archäologisch ganz sanft freizulegen.

 

Es geht darum, einen Raum zu schaffen,

durch den nicht eine dumme, hysterische Elefantenherde latscht.

Sondern ihr schafft euch einen eigenen Raum.

Zuerst jeden Morgen, 25 Minuten.

Für euch.

 

Und da ist niemand, kein Partner, kein Kind, kein Ehemann, kein Arbeitgeber, kein Fernseher, keine Tageszeitung –

niemand, der auch nur ein einziges

klitzekleines mehr Recht hat als ihr selbst.

Denn wenn ihr den Menschen dienen wollt, euch selbst, eurem Partner, euren Kindern, den Menschen um euch,

dann müsst ihr erst euch selbst dienen.

 

Ihr könnt nur Vorbild sein,

wenn ihr wirklich dienen wollt.

Und in diesem kleinen Raum morgens,

der für euch ist,

diesem heiligen Raum

von der Größe einer Meditationsmatte 90 x 90 Zentimeter,

da darf die Sehnsucht aufleuchten.

Sie darf euch erzählen von der Schönheit des Lebens,

sie darf euch erzählen,

was heilsam ist und was unheilsam.

 

Und dann brauchen wir keine Gurus,

keine Ideologen, keine Führer, keine schlauen Leute,

die diese Bücher schreiben,

wir brauchen nur uns selbst.

 

Und da setzt Zen an.

Der Weg des Zen bringt uns zu uns selbst,

durch Anhalten, durch Stillsein.

Der Zen-Weg ist ein didaktischer Weg.

Er ist kein inhaltlicher Weg.

Denn der Inhalt leuchtet gleichermaßen in jedem Menschen,

und das ist die Liebe –

und zwar eine Liebe ohne Gefühle

von Gier, Hass und ohne Verblendung.

 

Und darin besteht die Kunst

der Übung:

den Unterschied von beidem zu erkennen,

von Liebe und bedingten Gefühlen.

 

Die Stille zu spüren.

Das Stillwerden in der Übung.

Und da ist die Sehnsucht.

Und nun folge ich der Stille mehr und mehr,

und ich erkenne:

 

Atta dipa viharatha.

Atta sarana ananna sarana.

 

Übersetzt heißt das:

»Du bist das Licht, ruhe in dir selbst – und sonst nichts.«

 

In dem Maße, in dem ihr euch nach innen diesem Licht nähert, in dem Maß werdet ihr zum Zentrum.

Wenn ihr im Zentrum eures Herzens seid,

seid ihr das Zentrum dieses Lichts, und

es gibt keinen Schatten mehr,

denn ihr seid die Quelle.

Das ist das Erbe unseres menschlichen Seins.

 

Ein unbestimmtes Gefühl, ein Ton, der erklingt.

Ein Lied, das gespielt wird, und ein Herz wird berührt.

Die große Natur.

Immer dann, wenn ein Moment des Innehaltens ein Gänsehautschauer ist.

 

Und ihr erkennt,

hallo Sehnsucht, das ist ja der Weg.

Und wenn ihr diesem Weg folgt,

dann wird es heller.

Und in dem Moment,

wo ihr im Zentrum eures eigenen Seins seid,

leuchtet die Antwort auf.

 

Wer bin ich?

 

Dann ist kein Schatten mehr da,

und ihr seid auf dem Weg,

von dem ihr nicht mehr runterfallen könnt.

»Wer bin ich?« ist die große Leitfrage des Lebens.

 

Wer von dieser Frage getragen wird

und dem Mut des Anhaltens und wer sich das Recht nimmt,

jeden Tag in Stille zu sein,

dem wird sich das Leben offenbaren.

 

Dann werdet ihr erkennen,

dass ihr nie gelebt habt.

Dass euch niemals ein Frühlingswind geküsst hat.

Denn jetzt versteht ihr wirklich,

was Leben und Geist und Herz bedeuten.

 

Denn ihr seid es selbst.

Durch Aktionismus vor dem wahren Leben fliehen

Was ist der Motor, was treibt mich, einen Weg wie den des Zen zu beschreiten?

 

Es sind zwei Dinge. Das eine ist die Sehnsucht. Manche meiner Schüler vergleichen das Gefühl auch mit dem »tiefen Wunsch, endlich zu Hause zu sein«.

Nun habe ich diese tiefe Sehnsucht. Und da sagt einer »Lies doch dieses Buch über die Religion« oder »Glaub dies«. Aber das befriedigt mich nicht, weil ich intelligent bin, weil ich etwas spüre und nicht etwas an einem Dogma festmachen möchte. Also gehen die Sehnsucht und die Suche weiter. Ich schaue mich in der Welt um. Ich sehe nichts, was dieser Sehnsucht entspricht. Das ist ein Zugang zum Zen.

 

Gibt es auch einen Zugang über das Leid, den Schmerz? Also, mir geht es nicht gut, ich habe Liebeskummer, bin gefrustet, habe keinen Erfolg im Leben, finde keine Anerkennung, keine Freude – und suche einen Ausweg?

 

Dieser andere Aspekt ist, dass ich leide. Ich spüre etwas, das der Buddha so beschrieben hat: Von dem getrennt zu sein, was man liebt, und mit dem verbunden zu sein, was man nicht liebt, das ist Leiden.

Aus dieser Warte heraus, aus diesem Leiden heraus, ergibt sich ebenfalls eine große Motivation für viele Menschen, den Zen-Weg zu betreten. Sie merken in einer tiefen Krise oder einer großen, wunderschönen Sehnsucht, dass Worte da einfach nicht mehr helfen. Mir helfen keine Bücher, keine Wundertröpfchen und auch keine Wellness-Esoterik. Die Menschen spüren, sie brauchen etwas Existenzielles, etwas, das über die oberflächliche Erfahrung oder Das-verstehe-ich-Wissen hinausgeht. Sie suchen etwas Großes und Tiefes – sie suchen sich selbst.

Leiden, Krise, Erschütterung, unbegründete Traurigkeit und lang währende schlechte Stimmung können Auslöser sein, sich auf einen Weg zu machen.

 

Aber wie weiß ich, ob es diese Sehnsucht ist, die ich auch in mir verspüre?

 

Die Sehnsucht hat viele Gesichter. Das häufigste Gesicht der Sehnsucht in der heutigen Zeit ist die Melancholie. Der Mensch ist schlecht drauf, fühlt sich traurig oder sogar depressiv.

Aber wenn man genau schaut, dann ist dieses »Schlecht-drauf-Sein«, dieses Dunkle, was sie fühlen, gleichzeitig das Spüren in ihrem Leben, dass in ihnen auch Helligkeit ist. Diese Melancholie – oder bei vielen Menschen auch teilweise eine Depression – ist das ungute Gefühl, immer weiter von dem wegzudriften, wonach sich die Menschen sehnen. Dass ich mich von etwas Hellem, was ich gleichzeitig nicht richtig fassen kann, mehr und mehr entferne.

Die Folge: Ich werde mir fremder, die Dinge werden mir fremder. Ich werde immer trauriger über etwas, was ich zunehmend verliere, ohne eigentlich zu wissen, was ich verliere oder wovon ich mich entferne.

 

Ist das bei vielen Menschen so?

 

Ja, aber andere lassen dieses Gefühl nicht mal ansatzweise zu: kraftvoller Aktionismus, egal, was und wofür, immer in Bewegung bleiben, dann spüre ich mich nicht. Alles ist nach außen gerichtet, und solange außen alles richtig bleibt, wird weiter beschleunigt. Leben als Party, die Welt als unermüdliches Arbeitsfeld.