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»Entscheidung bei NOVA«

NOVA-Station, Quartier von Tess Kensington, Alzir-System, 04. August 2266, 08:30 Uhr

Dreadnought TORCH, 15 Lichtjahre vom Alzir-System entfernt, 04. August 2266, 08:50 Uhr

Interlink-Kreuzer HYPERION, Quartier von Noriko Ishida, 04. August 2266, 09:15 Uhr

NOVA-Station, Alzir-System, 06. August 2266, 09:45 Uhr

IL HYPERION, Quartier von Noriko Ishida, 04. August 2266, 09:30 Uhr

Dreadnought TORCH, Kommandobrücke, 06. August 2266, 14:45 Uhr

NOVA-Station, 06. August 2266, 16:15 Uhr

IL HYPERION, 05. August 2266, 07:30 Uhr

Dreadnought TORCH, Kommandobrücke, 06. August 2266, 16:15 Uhr

NOVA-Station, Kommandobrücke, 06. August 2266, 16:45 Uhr

Dreadnought TORCH, Kommandobrücke, 06. August 2266, 17:31 Uhr

SOL-CENTER, Terra, 07. August 2266, 04:30 Uhr

NOVA-Station, Alzir-System, 07. August 2266, 10:50 Uhr

Pearl, Forschungsstation der nördlichen Hemisphäre, 07. August 2266, 12:30 Uhr

Epilog - Nichts ist umsonst

Vorschau

Nachwort

Die Charaktere

Impressum


Heliosphere 2265

 

Band 9

 

»Entscheidung bei NOVA«


 

von Andreas Suchanek

 

 

 

NOVA-Station, Quartier von Tess Kensington, Alzir-System, 04. August 2266, 08:30 Uhr

 

Der Moment der Entscheidung war also gekommen. Zu früh. Viel zu früh. Lieutenant Commander Tess Kensington schüttelte langsam den Kopf, während sie das militärische Kurierboot nicht aus den Augen ließ. Das Schiff glich einem überdimensionalen Torpedo und konnte maximal vier Personen aufnehmen. Mehr war auch gar nicht nötig, war doch meist nur ein Offizier an Bord: der Kurier. Hier war das anders.

Tess lehnte sich in ihrem Konturensessel zurück und schaltete auf die Kamera jenes Landepods um, auf welches das Schiff zuhielt. Wie erwartet standen Commodore Ashton und E.C. Lipsted schon Spalier, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Ersterer war der Kommandant der Station und wartete mit vor Stolz geschwellter Brust. Letzterer war der hiesige Vertreter der Inner Security Police und damit in Tess‹ Augen mit viel zu vielen Vollmachten ausgestattet. Seine Glatze glänzte ölig im Licht der Hangarbeleuchtung.

Neben ihnen stand Captain Ivo Coen, seit wenigen Tagen Stellvertreter von Commodore Ashton. Nur ihm verdankte sie die Information, dass die Neuankömmlinge auf Befehl von Präsident Sjöberg hier waren, um Commander Zev Buckshaw abzuholen. Dieser sollte in den nächsten Stunden von der Gefangenenwelt Pearl auf die Station gebracht werden. Es stand für sie außer Frage, dass der Gefangene die Erde niemals erreichen würde.

Das Kurierboot landete, und ein Mann Ende vierzig stieg aus. Er trug die Rangabzeichen eines Commodore, die genauso säuberlich poliert waren wie sein Vollbart gestutzt war. Er blickte grimmig drein, als er auf die wartenden Offiziere zuging, und wartete nicht auf seinen Adjutanten, der kurz darauf aus dem Raumschiff stolperte. Der arme Kerl wirkte auf Tess wie ein Welpe, den man gerade in einen See voller Piranhas geworfen hatte, um ihm das Schwimmen beizubringen. Die Wangen des blonden Mannes waren knallrot, er klammerte sich an sein Pad wie an eine Rettungsboje.

Ein Gespräch entstand, das für Tess jedoch keinerlei Bedeutung mehr besaß. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem zweiten Monitor zu, auf dem jene Netzwerkknoten angezeigt wurden, die mittlerweile vom Trojanerprogramm infiltriert worden waren. Die Codeverbreitung war zum Großteil gelungen, es gab aber noch immer freie Module. Und damit blieb ihr Dilemma bestehen.

Der Plan von Admiral Pendergast sah vor, dass das Verteidigungsnetzwerk nicht gegen die Schiffe der Rebellen vorging, sondern gegen die systemeigenen Raumschiffe. So wäre es möglich, allein durch die Drohung des Einsatzes der Raketenforts diesen Kampf schnell und unblutig zu beenden. Hierfür musste der Trojaner zuerst vollständige Kontrolle über das System erlangen. Wartete sie aber mit dem verabredeten Signal, würde die Rebellenflotte nicht mehr rechtzeitig hier sein, um Zev Buckshaw und Lukas Akoskin zu retten. Die wären längst auf dem Weg zur Erde oder tot.

Tess fluchte lauthals. Bis zu diesem Punkt hatten sie Glück gehabt, aber das schien jetzt aufgebraucht zu sein. Zev durfte Sjöberg auf keinen Fall in die Hände fallen, wusste der doch durch das Verhör auf Pearl mit ziemlicher Sicherheit, wer sein Gefangener in Wahrheit war.

Ist es wirklich das große Ziel, das ich hier erreichen will, oder geht es nur um meine eigenen Gefühle?

Der Gedanke war einfach da und fraß an ihrer Selbstsicherheit. Natürlich liebte sie Zev, das stand außer Frage. Und sie wollte ihn befreien, sein Leben schützen. Doch niemals würde sie die Rebellenflotte herbeirufen, um das zu ermöglichen. Ihre persönlichen Gefühle mussten zurückstehen. Aber was war mit dem Ziel der Rebellen? Sie benötigten Zev, auch wenn keiner von ihnen es wusste.

Und dann war da noch Akoskin. Er war ein Kollege, der ihr mehr als einmal das Leben gerettet hatte. Zwar war er einst Teil jenes Bundes aus Assassinen gewesen, der auch ihre Eltern getötet hatte, doch das konnte sie ihm nicht mehr vorwerfen. Nicht nach allem, was er ihr über seine Vergangenheit offenbart hatte.

Er war selbst ein Opfer gewesen. Gefangen von den Piraten des Eriin-Bundes, war er schon als Kind an die Assassinen weiterverkauft worden, die mit brutaler Gewalt jeden Widerstand brachen, um neue Mitglieder heranzuzüchten. So wurden aus unschuldigen Kindern über die Jahre Tötungsmaschinen. Akoskin hatte sich jedoch befreit.

Zukünftig mochte er eine Menge Informationen über den Ketaria-Bund liefern, was auf lange Sicht zur Vernichtung der verdammten Assassinen führen könnte. Die Rebellen benötigten ihn ebenso wie Zev.

Was ist nur mit mir los? Selbstzweifel waren doch früher nicht meine Art?

Sie blickte nach links, wo sich in einem deaktivierten Monitor ihr Konterfei spiegelte. Es war ein fremdes Gesicht, das ihr da entgegenstarrte, entstellt von Brandnarben. Der Kampf im Algethi-System hatte die HYPERION und ihre Crew viel gekostet. Dabei gehörte Tess noch zu den Glücklicheren, so makaber es auch klang. Zahlreiche Kameraden waren gestorben, andere weitaus schwerer verletzt worden als sie. Doch seit jenem Moment, als sie auf der Krankenstation erwacht war, hatte sich etwas in ihr verändert.

Immer öfter hinterfragte sie die eigenen Entscheidungen, war nicht mehr sicher, ob sie das Richtige tat. Erst wenn der Einsatz auf der NOVA-Station vorbei war, konnte sie die verdammten Narben behandeln lassen. Bis dahin durfte keine biometrische Gesichtserkennung dazu in der Lage sein, sie zu identifizieren.

Pendergast hätte uns Doktor Tauser mitgeben sollen, dachte sie bitter.

Mit einem Kopfschütteln vertrieb sie das Abschweifen der Gedanken. Sie musste handeln, und zwar schnell. Der Ausgang dieser ganzen verdammten Mission hing davon ab, welche Entscheidung sie traf. Ein letzter Blick auf die infiltrierten Netzwerkknoten, dann aktivierte sie das gerichtete Phasenfunksignal. Die Flotte stand längst bereit, der Angriff konnte beginnen. Und während die Rebellenflotte sich in diesem Moment in Bewegung setzte, begann Tess mit ihren Vorbereitungen. Sie betete, dass der Trojaner die vollständige Kontrolle über das System erlangte, bevor Pendergast eintraf.

 

*

 

Dreadnought TORCH, 15 Lichtjahre vom Alzir-System entfernt, 04. August 2266, 08:50 Uhr

 

Jayden erwachte abrupt. Im ersten Augenblick wollte er aufspringen, dann erinnerte er sich, und sein Körper entspannte sich. Die Raum-K.I. bemerkte sein Erwachen und tauchte die Kabine in sanftes Dämmerlicht. Die gleichmäßigen Atemgeräusche zu seiner Rechten stoppten, gingen kurz darauf jedoch unvermindert weiter. Jayden wandte seinen Blick der Schlafenden zu. Lieutenant Commander Kristen »Kirby« Belflair. Die Erinnerung an die vergangene Nacht - und alle anderen Nächte seit ihrer Rückkehr von KASSIOPEIA - ließ ihn lächeln. Es hatte auch sein Gutes, dass die HYPERION instand gesetzt wurde und an der vor ihnen liegenden Mission nicht teilnehmen konnte. Pendergast wollte ihn dabeihaben, und so war er als Beobachter auf die TORCH gewechselt. Zusammen mit jenen Schiffen, die noch kampffähig waren und über Munition verfügten, warteten sie seitdem im - galaktisch gesprochen - Vorgarten des Alzir-Systems. Und das Warten hatte durchaus seine Vorteile.

»Dein Grinsen strahlt heller als jede Quartierbeleuchtung«, grummelte Kirby. »Wie soll Frau da noch vernünftig schlafen?«

Erst jetzt wurde Jayden bewusst, dass die gleichmäßigen Atemgeräusche schon vor einigen Sekunden verstummt waren. »Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken.« Er hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen, legte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

»War doch nur ein Scherz«, sagte Kirby grinsend. »Mich weckt niemand so leicht, keine Sorge. Auch der strahlende Held Jayden Cross schafft das nicht.« Sie rollte auf die Seite und stützte den Kopf auf die Handfläche.

»Lass den Unsinn.«

»Warum? Es macht Spaß, dich damit zu ärgern.«

Sein Lächeln verschwand. »Ich habe wirklich genug von dieser Heldenverehrungsnummer.«

Kirby schnaubte. »Selbst schuld. Da hatten die Leute deine ›Tikara II‹-Heldentat gerade vergessen, und was machst du? Fliegst mal eben nach Cas III, schnappst der I.S.P. und Sjöberg den Killchip-Extraktor unter der Nase weg und findest gleich noch ein Heilmittel für Noriko Ishida.«

»Du warst doch dabei, es war Glück.«

»Ich war auf der ILLUMINA und nicht direkt beteiligt. Aber diesen Quatsch von wegen ›Es war Glück‹ könntest du endlich sein lassen. Ja, das gehört natürlich dazu. Trotzdem hast du dein Leben riskiert, um uns allen zu helfen. Und deine I.O. verdankt es auch einzig dir, dass Johnstons Attentat sie nicht umgebracht hat. Das sind Fakten. Dir ist es gelungen, diese Flotte von den Killchips zu befreien. Das wissen die Leute eben. Ein wenig dankbar dürfen sie doch hoffentlich sein.«

»Wie wäre es, wenn du mir deine Dankbarkeit noch einmal demonstrierst?« Er grinste vielsagend.

»Also Captain Cross, ich bin schockiert.« Sie knuffte ihn in die Seite, nur um sich dann aufzusetzen und gekünstelt zu sagen: »Andererseits habe ich das Schiff gesteuert und euch vor der kinetischen Attacke gewarnt. Meinem Ruf hat das auch nicht geschadet.« Sie wedelte mit der Hand. »Du darfst mir die Füße massieren.«

Sie kicherten beide.

»Aber mal im Ernst«, sagte Kirby, als sie wieder zu Atem gekommen war. »Wie geht es Ishida? Mittlerweile kursieren ja die wildesten Gerüchte in der Flotte.«

»Überraschend gut. Selbst Isaak ist beeindruckt. Keine Spur mehr von einem organischen Schock oder Trauma.«

»Wenn wir dieses Zeug einsetzen, um andere Verletzte zu heilen, könnte das zahlreiche Leben retten.«

Jayden legte nachdenklich den Kopf zur Seite. »Im Zylinder sind nach dem Einsatz bei Ishida nur mikroskopisch kleine Rückstände geblieben. Isaak und Collins haben diese extrahiert.«

»Und?«

»Obwohl die Extraktion in einem Reinraum stattgefunden hat, ist die Nanomaterie zerfallen.«

Kirby schnaubte enttäuscht. »Nachschub dürfte es keinen geben, immerhin hat Walkers Schlag aus dem Orbit das Gebiet der militärischen Forschung auf Cas III in einen tiefen Krater verwandelt. Ein Wunder, dass er nicht gleich ganz Central City eingeäschert hat. Wenigstens wirft das auch Sjöberg weit zurück.«

»Und er wird sich zweifellos dafür erkenntlich zeigen. Ich kann kaum glauben, dass ich einst zu diesem Mann aufgeblickt habe. Er hat mich unterstützt und die Crew vor den Attacken Michalews beschützt.«

»Um euch in Sicherheit zu wiegen.« Kirby nickte. »Ich kenne den Bericht über McCalls Aussage, den du Santana übergeben hast. Und sie hat die Informationen des Schattennetzwerkes, die von der Ehefrau von Commander Gold extrahiert wurden, in den frei zugänglichen Netzwerkknoten der Flotte geladen.«

»Ich weiß. Es gibt ja kaum ein anderes Gesprächsthema. Und den Captain hat sie vor dem Abflug der TORCH auf die HYPERION überstellt. Seine Frau könnte sich auf Pearl befinden - wer sitzt dort heutzutage nicht? Pendergast wollte ihn aus der Schusslinie wissen. Verzweifelte Männer begehen verzweifelte Taten.«

»Exakt. Dein Alpha 365 gibt bestimmt gut auf ihn Acht.« Ein vernehmliches Räuspern. »Wenn er nicht mal wieder eine manische oder depressive Attacke bekommt. Wie hat die Admiralin denn reagiert, als du ihr den Zustand deines Sicherheitsoffiziers erklärt hast?«

»Wie wäre es jetzt mit der Fußmassage?«

»Das ist nicht dein Ernst?! Du wolltest es ihr doch sagen! Verdammt, Jay!«

Es war ein seltsames Gefühl, wenn sie seinen Spitznamen aussprach. Normal tat das nur Janis Tauser, weil sie seit Jugendtagen befreundet waren. Und der tat dies nur in der dienstfreien Zeit. Irgendwie vermutete Jayden, dass Kirby sich nicht an dieselben Beschränkungen halten würde.

Ihr wütender Blick brachte ihn zurück in die Wirklichkeit. »Der richtige Moment war einfach noch nicht da. Und solange die HYPERION nicht in den Einsatz geschickt wird, besteht doch sowieso keine Gefahr.«

»Ich hoffe, du weißt, was du tust. Tu mir nur einen Gefallen.«

»Ja?«

Sie lächelte böse. »Lass mich dabei sein, wenn du es ihr erzählst.«

Bevor Jayden etwas erwidern konnte, leuchteten sein und Kirbys Hand-Com auf und gaben einen Prioritätssignalton aus. Sie griffen beide nach ihrem Gerät und studierten die Anzeige.

»Die Flotte ist unterwegs nach NOVA«, sagte Kirby.

Er nickte. »Es geht los.«

 

*

 

Interlink-Kreuzer HYPERION, Quartier von Noriko Ishida, 04. August 2266, 09:15 Uhr

 

Commander Noriko Ishida warf ihr Pad auf die Couch. Hinter ihr rastete das Schott ihres Quartiers vernehmlich ein. Eine weitere Untersuchung durch Doktor Isaak war überstanden. Ihre physische Gesundheit war ausgezeichnet, was sie selbst am meisten verwunderte. Immerhin hatte ein Nano-Sprengkörper ihr einen Teil des Gehirns weggeblasen. Die erbeutete Nanomaterie von Cas III, die Captain Cross, Alpha 365 und Lieutenant Commander Belflair gefunden hatten, füllte diesen Platz nach den neuesten Untersuchungen jedoch perfekt aus. Der seltsame Stoff simulierte die Funktionen der verletzten Areale.

Als wäre nie etwas gewesen. Zumindest körperlich.

Es war ein furchtbares Gefühl zu wissen, dass ein Teil ihres Gehirns nun aus jener Komponente bestand, aus der vermutlich auch die hohen Parliden entstanden waren. Captain Cross vermutete sogar, dass der auf Cas III erbeutete Stoff auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse eines Parlidenkörpers entwickelt worden war.

Kein Wunder, dass mich die Offiziere ansehen wie einen Geist. Die eine Hälfte hält mich für ein Gestalt gewordenes Wunder, die andere für eine Abnormität.

Sie ging zu ihrem Getränkewärmer, aktivierte den Mikrowellenpuls und entnahm Sekunden später eine heiße Tasse Tee. Es hatte eindeutig seine Vorteile, zu den Kommandooffizieren zu gehören. Während niedere Ränge nur einen einfachen Getränkespender im Quartier hatten und ihr Essen in der Kantine einnehmen mussten, besaßen Kommandooffiziere ein wenig mehr Luxus.

Sie schloss genießerisch die Augen und nippte daran. Die Sencha-Kräuter waren ein Geschenk von Santana Pendergast; zur Feier von Norikos Genesung. Die Admiralin war wohl auch ein heimlicher Teefan, obwohl sie oft mit einem Becher ViKo durch die Gänge der TORCH spazierte.

Die Offiziere des Schiffes sehen Sie keinesfalls als Abnormität an, hallte die Stimme von Doktor Janis Tauser in ihrer Erinnerung wieder. Sie sind fasziniert und vermutlich beeindruckt, aber das ist auch schon alles. Geben Sie den anderen und vor allem sich selbst ein wenig Zeit.

Doch so einfach war das nicht. Sie war zurückgekehrt, von den Toten auferstanden - oder den Beinahetoten. Irgendwie schien es jedoch, als wäre nichts mehr so, wie es vor ihrer Verletzung gewesen war.

Noriko seufzte. Wenn sie morgens in den Spiegel sah, wirkte ihr langes dunkles Haar matt und glanzlos, ihre sonst so funkelnd grünen Augen wirkten trüb. Sogar der Tee schmeckte anders.

Sie setzte sich auf die Couch, schaltete das Bild eines saphirblauen Sandstrandes auf die Smart-Wall und nippte gedankenverloren an ihrem Getränk. Mittlerweile hatte sie den Bericht von Captain Cross zu den Ereignissen auf Cas III gelesen und war dankbar und gerührt gleichermaßen. Ihr vorgesetzter Offizier hatte alles riskiert, um sie zu retten. Nach all den Jahren als Paria der Flotte und den nachfolgenden Mobbingattacken durch Bruce Walker und Konsorten fühlte sich ein derartiges Maß an Loyalität … fremd an. Fremd, aber gut.

Noriko genoss die Aussicht eine Weile, dann stellte sie die Tasse zur Seite und griff nach dem Pad. Die Instandsetzungsarbeiten der HYPERION machten Fortschritte. Natürlich war das nichts im Vergleich zu jener Zeit, als noch Konstruktionsdocks und Flottenwerften zur Verfügung gestanden hatten. Ein Teil der ohnehin schrottreifen Raumschiffe der Rebellenflotte war ausgeschlachtet worden, um den Interlink-Kreuzer wieder flugfähig zu machen. Anfangs hatte Noriko noch vermutet, dass das Schiff bei der bevorstehenden Schlacht dabei sein sollte, doch mittlerweile hatte sich diese Vermutung als falsch erwiesen.

Pendergast mag die HYPERION nicht dafür wollen, aber irgendetwas plant sie. Etwas, wofür sie unseren Kreuzer benötigt.

Früher oder später würden sie es erfahren. Vorausgesetzt, die Admiralin überstand den Angriff auf die NOVA-Station. Erst kurz vor dem Abflug der Schiffe hatte sie das Ziel bekannt gegeben. Selbst wenn es einen Verräter unter den Rebellen geben sollte, konnte dieser die Information kaum in der Kürze der Zeit an die zuständigen Stellen auf Terra weiterleiten. Der Phasenfunk nach außen war zuvor gekappt worden, die Phasenrouter sandten keine Signale mehr zum Rest der Solaren Union.

Noriko studierte die Berichte der Abteilungsleiter: Commander Devgan war dank der Betreuung durch die Doktoren Isaak und Collins genesen und auf seinen Posten als Leiter der Schadenskontrolle zurückgekehrt. Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln und Getränken war endlich wiederhergestellt worden. Und auch wenn es noch enorme Einschränkungen gab – der Moral an Bord tat das verdammt gut. Doktor Isaak war es gelungen, die Krankenstation einigermaßen herzurichten und mit der Hilfe einiger Techniker auch den Medikamentenautomaten erneut in Betrieb zu nehmen. Die Waffentechniker hatten es außerdem geschafft, die Torpedoröhren freizuräumen und das Schiff rudimentär mit Munition zu bestücken. Sogar den Schutzschildgenerator hatten sie bei 60 Prozent stabilisieren können. Eine ordentliche Leistung. Ihr taten mittlerweile nur die anderen Schiffe leid, die zu diesem Zweck ihrer letzten Reserven beraubt worden waren. Zwar wurden sie nicht im Kampf eingesetzt, doch ihre Instandsetzung würde Monate in Anspruch nehmen – falls irgendwann wieder eine Werft zur Verfügung stand.

Im Maschinenraum hielt die L.I. die Zügel fest in der Hand. Der Pike- und der Interlink-Antrieb funktionierten wieder, wenn auch stark beeinträchtigt. Ihr Blick blieb an der Unterschrift von Lieutenant Commander Lorencia hängen.

Giulia.

In den Tagen nach Norikos Erwachen hatte die L.I. ihr geholfen. Sie berichtete, was nach der Flucht der HYPERION aus dem Heimatsystem der Parliden geschehen war und half ihr dabei, sich langsam wieder einzuarbeiten. Doch etwas bedrückte Giulia, das konnte sie spüren.

Gerade als Noriko mit ihrem Daumenabdruck und der persönlichen Signatur den letzten Bericht absegnete, erklang das Schottsignal. Ein Blick auf das Türdisplay zeigte die L.I., wie sie nervös auf der Unterlippe kaute. Noriko löste die Sperre, worauf das Schott zur Seite glitt.

Giulia baute sich vor ihr auf. »Wir müssen uns dringend unterhalten.«

 

*

 

NOVA-Station, Alzir-System, 06. August 2266, 09:45 Uhr