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LITERATUR KOMPAKT

Herausgegeben von Gunter E. Grimm

Helmut Schmiedt

FRIEDRICH SCHILLER

Prof. Dr. Helmut Schmiedt lehrt deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Koblenz-Landau. Er hat sich häufig mit der Literatur des 18. Jahrhunderts und vor allem der Zeit des Sturm und Drangs beschäftigt. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind die Unterhaltungsliteratur und die populäre Kultur. Er gilt u.a. auch als Kenner von Leben und Werk Karl Mays und hat zuletzt die May-Biografie Die Macht der Phantasie (2011) veröffentlicht.

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Der Autor

Helmut Schmiedt
Friedrich Schiller

Literatur Kompakt – Bd. 4
ISBN: 978-3-8288-2970-1
eISBN: 978-3-8288-5709-4

© Tectum Verlag Marburg, 2013

Reihenkonzept und Herausgeberschaft: Gunter E. Grimm

Projektleitung Verlag: Christina Sieg
Layout: Sabine Manke

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www.tectum-verlag.de
www.literatur-kompakt.de

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

INHALT

I. Schiller im 21. Jahrhundert

II. Zeittafel

III. Biografischer Überblick

Grafik: Wichtige Punkte

IV. Allgemeine Voraussetzungen und Merkmale des literarischen Werks

V. Analyse ausgewählter Dramen

1. Die Räuber

2. Die Verschwörung des Fiesko zu Genua

3. Kabale und Liebe

4. Don Karlos

5. Wallenstein

6. Maria Stuart

7. Die Jungfrau von Orleans

8. Wilhelm Tell

VI. Erzählprosa: Verbrecher aus Infamie

VII. Gedichte

1. Die Kindsmörderin

2. Resignation / An die Freude

3. Die Götter Griechenlands

4. Die Bürgschaft

5. Das Lied von der Glocke

VIII. Schriften zur Ästhetik

1. Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen

2. Über naive und sentimentalische Dichtung

IX. Historische Schriften: Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

X. Der Briefwechsel mit Goethe

XI. Wirkung

XII. Literatur

Glossar

Abbildungsverzeichnis

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I. Friedrich Schiller im 21. Jahrhundert

Wer aufmerksam durch Deutschland reist und dabei nach Zeugnissen der kulturellen Tradition Ausschau hält, wird von kaum einem anderen Dichter so viele handfeste Spuren finden wie von Friedrich Schiller. In fast allen größeren Ortschaften existiert eine Schillerstraße oder ein Schillerplatz; den Namen »Schillerstraße« hat sich auch eine zeitweise außerordentlich populäre Comedy-Serie des Fernsehsenders SAT 1 ausgeborgt, ganz so, wie sich eine nicht gerade erfolglose deutsche Pop-Band nach Schiller benannt hat. Die Zahl der Schulen, die Schillers Namen tragen, ist Legion. Vor allem dem 19. Jahrhundert ist die Einrichtung zahlreicher Schiller-Denkmäler zu verdanken. Auch in anderen Ländern, sogar in außereuropäischen, gibt es das eine oder andere Monument dieser Art, und in der Schweiz wird Schiller rund um den Vierwaldstättersee an vielen Stellen gehuldigt, da er mit seinem Drama Wilhelm Tell so etwas wie die verbindliche Form des nationalen Entstehungsmythos formuliert hat. Wer noch genauer hinschaut, entdeckt Schiller-Reminiszenzen selbst im Bereich der Flora: bei Bäumen, die zu seinen Ehren gepflanzt worden sind, insbesondere Schillerbuchen und -linden. Schillerlocken dagegen kann man essen: als Fischgericht oder als Gebäck.

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Schillers Allgegenwart

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Schillerdenkmäler

Friedrich Schiller ist im Alltagsleben also nach wie vor in hohem Maße präsent, und das gilt auch für unsere verbale Kommunikation: Es kursieren zahlreiche Phraseologismen, Redewendungen, die seinen Texten entstammen. Dies reicht von Sprichwörtern, denen zufolge etwa die Axt im Haus den Zimmermann erspart, bis zu der immer wieder gern ins kluge Gespräch gebrachten These, der Mensch sei nur da ganz Mensch, wo er spielt. Ein Wort wie »Kabale« ist nicht eben sehr gebräuchlich, aber es wäre völlig aus unserem Sprachschatz verschwunden, tauchte es nicht im Titel eines Dramas von Schiller auf.

Solche Zeugnisse könnten in ihrer Mehrheit freilich auch für eine Größe stehen, die zwar vor langer Zeit Aufmerksamkeit auf sich gezogen, inzwischen aber an Interesse verloren hat und nur noch unter historischen bzw. musealen Aspekten Beachtung erntet. Dies ist jedoch bei Schiller offensichtlich nicht der Fall. Die jüngsten ihm gewidmeten Gedenktage – der 200. Todestag im Jahr 2005 und der 250. Geburtstag 2009 – zogen eine derartige Fülle von Veranstaltungen, Ausstellungen und Publikationen auf sich, dass der Gedanke gar nicht erst aufkommen kann, hier werde nur in der bei solchen Anlässen üblichen Form routiniert einer eigentlich längst obsoleten kulturellen Koryphäe von vorgestern gehuldigt. Die Ruhrfestspiele des Jahres 2011 präsentierten unter dem höchst bezeichnenden Motto In die Zeit gefallen: SCHILLER mehrere Inszenierungen von Theaterstücken des Autors sowie andere Veranstaltungen, in deren Mittelpunkt er stand. Überhaupt werden auf den Bühnen Schillers Dramen weiterhin häufig inszeniert. Dass Friedrich Schiller immer noch ein Lieblingskind der literaturwissenschaftlichen Forschung ist und kontinuierlich mit einer Vielzahl germanistischer Publikationen bedacht wird, kann man ohne Mühe beim Blick in einschlägige Bibliografien feststellen. An der Lektüre von Schillertexten kommt kaum ein Schüler höheren Alters vorbei. Die traditionsreiche Deutsche Schillergesellschaft zählt mit mehr als dreitausend Mitgliedern zu den größten literarischen Gesellschaften Deutschlands und spielt eine maßgebliche Rolle für die Arbeit des Deutschen Literaturarchivs in Marbach.

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München

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Mannheim

Kein Zweifel: Friedrich Schiller ist nicht nur einer der stabilsten Faktoren im kulturellen Gedächtnis der Deutschen; er wirkt auch im 21. Jahrhundert noch so lebendig, wie man sich das von einem vor allem im 18. Jahrhundert tätigen Schriftsteller überhaupt nur vorstellen kann. Von einem Kraftwerk Schiller spricht schon der Titel einer Broschüre, die im Schillerjahr 2009 in Drogeriemärkten (!) vertrieben wurde und deren Untertitel so lautet: Was der Dichter uns heute zu sagen hat (vgl. Lin/Arthen 2009). Hinsichtlich solcher Vitalität wäre ihm wohl nur Goethe an die Seite zu stellen und allenfalls noch, aber mit beträchtlichem Abstand, Lessing.

Aktualität

Woraus ergibt sich nun diese besondere Aktualität Friedrich Schillers oder, genauer gesagt, der Eindruck heutiger Menschen, er könne uns mit beträchtlichen Teilen seines Werkes weiterhin sehr direkt erreichen? Zunächst einmal ist da, unabhängig von allen feinsinnigen germanistischen Interpretationen, anzuführen, dass er in seinen literarischen Fantasien oft Geschichten darbietet, die immer noch mitreißend und aufregend wirken. Schiller ist ein höchst unterhaltsamer Autor, einer, der die Konflikte seiner Figuren zumeist in abenteuerlicher und damit für viele Leser reizvoller Zuspitzung vermittelt. Dies gelingt ihm, indem er etwa die Dissonanzen, die das Verhältnis von zwei Söhnen untereinander und mit ihrem Vater prägen, in weitgespannte Intrigen und kriminelle Aktivitäten ausufern lässt (Die Räuber). An anderer Stelle verwandelt er die Einhaltung eines ohnehin schon spektakulär-riskanten Versprechens mithilfe unerwarteter und wiederum abenteuerlicher Umstände zu einem Unternehmen auf Leben und Tod (Die Bürgschaft). Wer entsprechend aufmerksam liest, wird darüber hinaus registrieren, dass der Autor gelegentlich auch – wohl eher unfreiwillig – mit dem Reiz von Handlungselementen operiert, die wie ins Groteske übersteigert anmuten: In der gerade genannten Ballade droht der Protagonist binnen weniger Stunden erst zu ertrinken und dann zu verdursten. Das Drama Die Verschwörung des Fiesko zu Genua eröffnet Schiller mit der Klage einer Frau, ihr Ehemann habe soeben einer anderen in aller Öffentlichkeit das zugefügt, was man heute vielleicht eine Mischung aus Vampirbiss und Knutschfleck nennen könnte - »Das wirft mich nieder« (II, S. 437). Es ist, salopp formuliert, einiges los in vielen Werken Schillers. Spannend im schlichtesten Sinne geht es dort zu, und Bestseller-Autoren unserer Zeit könnten sich von Schillers Darbietungen dessen, was man Action nennt, durchaus inspirieren lassen. Sie könnten aber auch von seiner Fähigkeit lernen, diese Dinge mit ganz andersartigen Stimmungen, wie etwa melancholischen Anwandlungen seiner Figuren, und mit erotischen Komplikationen zu verknüpfen.

Allerdings bliebe das Unterhaltungspotenzial von Schillers Storys ineffektiv, verbände es sich nicht mit Elementen, die uns noch auf einer anderen Ebene ansprechen. Ginge es bei der anhaltenden Wirkung ganz überwiegend um eine geschickte Abfolge von Sex and Crime, müssten uns weit verbreitete Unterhaltungsromane der damaligen Zeit, beispielsweise der fulminante Räuberroman Rinaldo Rinaldini von Goethes Schwager Christian August Vulpius (1798/99), ebenfalls noch unmittelbar in ihren Bann ziehen. Gerade die Autoren der Publikationen, die in den genannten Gedenkjahren erschienen sind, versichern immer wieder, dass Schiller vor allem ein außerordentlich moderner Autor sei: in seiner Darstellung komplexer und komplizierter Figuren, in der Schilderung der vielfältigsten Probleme, in die sie mehr oder weniger zwangsläufig geraten, in der schwierigen Suche nach Lösungen für all diese Probleme und nicht zuletzt in der Reflexion über die Möglichkeiten, diesen Sachverhalten literarisch gerecht zu werden. So hat beispielsweise die Zeitschrift Der Deutschunterricht Schiller 2004 ein eigenes Heft gewidmet. Schon im Editorial wurde hervorgehoben, dass man mittels seiner Werke die »Problematik der Geschlechterbeziehung diskutieren« könne, aber auch »die Identitätsprobleme des modernen Individuums«. Hervorgehoben wird, »wie verblüffend aktuell Schillers anthropologischer Ansatz war, welch genauen psychologischen Blick er hatte und wie treffend er die Problemzonen der modernen Gesellschaft [...] zu erfassen vermochte, wenn er auf die Vereinzelung und Entfremdung des Individuums schaute oder die Frage nach den neuen Formen der Gemeinschaft – im kleinen oder im großen Sozialverband – stellte« (Der Deutschunterricht 2004, S. 5f.). Das sind Beobachtungen, wie sie sonst meistens in Bezug auf Autoren getroffen werden, die uns zeitlich viel näher stehen: in Bezug auf Max Frisch etwa, was die Identitätsprobleme betrifft, und in Bezug auf Franz Kafka hinsichtlich der Problematik von Vereinzelung und Entfremdung.

Zeitliche Distanz

Natürlich sind das aber auch erst einmal recht pauschale Kategorisierungen: Sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Friedrich Schiller als Gestalt des 18. und frühen 19. Jahrhunderts in seinem Denken, Empfinden und Schreiben dann doch sehr weit von den Lebensverhältnissen des 21. entfernt ist. Überhaupt erschiene es unsinnig, all das ignorieren zu wollen, was die Beschäftigung mit diesem Autor, seiner Attraktivität zum Trotz, beschwerlich macht und vielleicht gar abstoßend wirkt: Seine Neigung zu lauten, pathetischen Tönen etwa kann nüchtern gestimmte Leser der Räuber oder von Kabale und Liebe ins Stolpern bringen. Die Lektüre des Wilhelm Tell hingegen mag an einigen Stellen den Eindruck erwecken, hier habe unter anderem eine Vorform heutiger Fremdenverkehrsvereine dem Autor die Feder geführt. Schiller ist denn auch in der Tat gelegentlich mit Hohn und Spott belegt worden, von Friedrich Nietzsche beispielsweise, der sich über den »Moral-Trompeter von Säckingen« mokiert hat. Aber diese Kritik, die neben völlig anderen Beurteilungen steht, verweist indirekt auch auf den Facettenreichtum des literarischen Phänomens Schiller, und gerade solche Widerständigkeit trägt zu dessen Reiz bei: Als klar konturierte Orientierungsgröße, als leicht konsumierbarer, sozusagen ohne Weiteres anschlussfähiger Ratgeber für den Leser unserer Zeit taugt Schiller nicht. Wohl aber ist er ein eigenwilliger Schriftsteller aus einer längst vergangenen Epoche, dessen Werk anhaltend ungelösten Problemen gewidmet ist. Dabei bedient er sich diverser Strategien, die uns teilweise antiquiert und befremdlich, teilweise aber auch höchst aktuell erscheinen mögen.

II. Zeittafel

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Schillers Geburtshaus, um 1850

1759

10. November: Geburt in Marbach/Neckar als Sohn des beim Militär tätigen Johann Caspar Schiller und der Gastwirtstochter Elisabetha Dorothea, geb. Kodweiß

1765

Einschulung Schillers

1766

Nach mehreren anderen Umzügen Übersiedlung der Familie nach Ludwigsburg

1773

Eintritt in die Herzögliche Militair-Akademie (Carlsschule) auf Schloss Solitude

1775

Verlegung der Akademie nach Stuttgart Medizinstudium

1776

Erste Veröffentlichung Schillers: Gedicht Der Abend im Schwäbischen Magazin

1780

Anerkennung der Dissertation Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen

Beginn der Tätigkeit als Regimentsmedikus

1781

Anonyme Veröffentlichung der Räuber im Selbstverlag

1782

13. Januar: Uraufführung der Räuber in Mannheim

22. September: Flucht aus Stuttgart

1783

Nach Aufenthalten an verschiedenen Orten Anstellung als Theaterdichter in Mannheim

Veröffentlichung von Die Verschwörung des Fiesko zu Genua

1784

Veröffentlichung von Kabale und Liebe

Freundschaft mit Charlotte von Kalb, Bekanntschaft mit Herzog Carl August von Weimar

1785

Übersiedlung nach Leipzig bzw. Dresden

Beginn der lebenslangen Freundschaft mit Christian Gottfried Körner

1787

Veröffentlichung von Dom Karlos (später: Don Karlos)

Aufenthalt in Weimar, Bekanntschaft mit Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland

Freundschaft mit Charlotte von Lengefeld und ihrer Schwester Caroline von Beulwitz

1788

Aufenthalt in Volkstedt und Rudolstadt

Erste Begegnung mit Goethe im Hause Lengefeld

1789

Unbesoldete Professur für Geschichtswissenschaft in Jena, Umzug nach Jena

1790

22. Februar: Heirat mit Charlotte von Lengefeld

1791

Deutliche Verschlechterung des seit Langem schon labilen Gesundheitszustands

Finanzielle Unterstützung durch Erbprinz Friedrich Christian von Schleswig-Holstein-Augustenburg

1792

Die Pariser Nationalversammlung ernennt Schiller zum Ehrenbürger Frankreichs

1793

Reise nach Schwaben (bis Mai 1794) mit Aufenthalten in Heilbronn, Ludwigsburg, Stuttgart und einem Besuch der Carlsschule

1794

Freundschaft mit Goethe und Wilhelm von Humboldt, der auf Anregung Schillers nach Jena zieht

Geschäftliche Verbindung zu dem Verleger Johann Friedrich Cotta

1795

Die Horen beginnen zu erscheinen. Veröffentlichung von Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen und Beginn der Veröffentlichung von Über naive und sentimentalische Dichtung

1797

Entstehung zahlreicher Balladen

1799

Fertigstellung der Wallenstein-Trilogie

Umzug nach Weimar

1800

Fertigstellung von Maria Stuart

1801

Fertigstellung von Die Jungfrau von Orleans

1802

Kauf eines Hauses in Weimar

Schiller erhält das Reichsadelsdiplom

1803

Fertigstellung von Die Braut von Messina

1804

Freundschaft mit Johann Heinrich Voß

Fertigstellung des Wilhelm Tell

Reise nach Berlin

Verdoppelung des Jahresgehalts

1805

Am 9. Mai stirbt Schiller an akuter Lungenentzündung

1827

Die sterblichen Überreste Schillers werden in die Fürstengruft in Weimar überführt

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Fürstengruft in Weimar, 19. Jahrhundert

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Karte von Württemberg aus dem Jahr 1619

III. Biografischer Überblick

Von Marbach nach Weimar

Die beiden bekanntesten Schiller-Denkmäler befinden sich im schwäbischen Marbach, Schillers Geburtsort, und in Weimar, seinem letzten Wohnsitz. In Weimar steht die Schiller-Figur neben derjenigen Goethes, des Freundes der späten Lebensjahre, auf dem Platz vor dem Deutschen Nationaltheater. Das sonst wenig bekannte Städtchen am Neckar und der Ort, mit dem sich bei vielen die Vorstellung von der Weimarer Klassik als dem Gipfel der deutschen Literaturgeschichte verbindet: Man könnte angesichts solcher geografischer Eckpunkte annehmen, Schillers Lebensweg sei zielstrebig und geradlinig verlaufen. Aber diese Vermutung trügt. Die Lebensgeschichte Goethes in ihren äußeren Abläufen kann man sich tatsächlich recht gut vor Augen führen, wenn man sich an die Geburtsstadt Frankfurt und den späteren Wohnsitz Weimar hält – und als Nebenschauplätze einige Studienorte und wichtige Reiseziele hinzunimmt. Schillers Leben verlief erheblich unruhiger, obwohl es weit weniger Jahre umspannte. Das gilt nicht nur für die Orte, an denen er wohnte, sondern auch in Bezug auf wechselnde Ambitionen und Tätigkeiten.

Herzog Carl Eugen

Schillers Kindheit und Jugend stehen mittelbar und unmittelbar im Zeichen des Württemberger Herzogs Carl Eugen (1728–1793), eines absolutistischen Herrschers. Carl Eugen sichert sich unter anderem schon dadurch einen stabilen, aber wenig rühmlichen Platz in der deutschen Literaturgeschichte, dass er 1777 den Schriftsteller Christian Friedrich Daniel Schubart für zehn Jahre auf der Festung Hohenasperg einsperren lässt, nachdem dieser in seiner Deutschen Chronik Kritik an den bedrückenden Umständen des Feudalsystems geübt hat.

Familie

In Marbach also wird Johann Christoph Friedrich Schiller am 10. November 1759 – inmitten des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) – als zweites Kind seiner Eltern geboren; die Mutter Elisabetha Dorothea (1732–1802) ist Tochter eines Gastwirts, der Vater Johann Caspar (1723–1796), der sich zunächst als Wundarzt in Marbach niedergelassen hat, dient dem Herzog in verschiedenen militärischen Funktionen. Nach den überlieferten Berichten scheint die Mutter weitgehend den Typus der frommen, ganz auf die Familie konzentrierten Hausfrau zu verkörpern, während der Vater mit bemerkenswertem autodidaktischem Engagement verschiedenste Interessen pflegt. Diese Flexibilität erntet ihren Lohn, als er 1775 zum Leiter der Hofgärten auf dem herzoglichen Schloss Solitude berufen wird und so einen zuvor kaum absehbaren Gipfelpunkt seines beruflichen Weges erreicht.

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Johann Caspar Schiller

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Elisabetha Dorothea Schiller

Porträts von Ludovike Simanowiz, 1793

Ausbildung

Bis es so weit ist, zieht die Familie mehrfach um. Friedrich Schiller beginnt seine Schulausbildung 1765 in Lorch im Remstal und erhält zusätzlich Lateinunterricht bei Pfarrer Philipp Ulrich Moser, dem Vater eines Freundes. 1767 tritt er in die Lateinschule in Ludwigsburg ein, wo die Familie seit dem vorigen Jahr wohnt. Zu diesem Zeitpunkt zeichnet sich für ihn eine Zukunft als Geistlicher ab, zumal er mit Erfolg die Prüfungen ablegt, deren Bestehen eine Voraussetzung für die Aufnahme des theologischen Studiums bildet. Aber der Wille des Herzogs treibt ihn in eine andere Richtung: Carl Eugen hat auf der Solitude eine sogenannte militärische Pflanzschule gegründet, eine pädagogische Einrichtung, an der die begabtesten männlichen Landeskinder erzogen werden sollen. Diese Schule muss von Januar 1773 auch der junge Schiller besuchen – gegen den eigenen Willen und den der Eltern. Die Möglichkeit zu einem Theologiestudium besteht hier nicht; stattdessen entscheidet sich Schiller, mit mäßigem Interesse, zunächst für das Studium der Rechtswissenschaft und später für das der Medizin. Der größte Teil des Unterrichts an der Hohen Carlsschule, die 1775 nach Stuttgart verlegt wird, erfolgt freilich nicht speziell in diesen Bereichen, sondern gilt der klassisch-humanistisch inspirierten Förderung im Bereich alter und neuer Sprachen, der Mythologie und Geschichte, der Philosophie, Mathematik und Rhetorik.

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Ansicht Schloss Solitude, um 1850

Die Erfahrungen, die Schiller in dieser Phase seines Lebens macht, fallen extrem zwiespältig aus. Zum einen gelangt er in den Genuss einer umfassenden und anregenden Bildung auf den verschiedensten Gebieten. An der Carlsschule sind überaus kompetente Pädagogen tätig, die sowohl reichhaltiges traditionelles Wissen als auch aufklärerische Positionen vermitteln. So unterrichtet Jakob Friedrich Abel, Schillers wohl wichtigster Lehrer, Philosophie. Er entwickelt dabei Gedanken zum Beispiel über das Wesen des Genies, die bestens zu den aktuellen Vorstellungen des Sturm und Drang passen, dem später Schillers erste größere literarische Arbeiten verpflichtet sind. Andererseits aber zeigt sich die Carlsschule eben auch als eine militärische Einrichtung und treibt den Drill, dem ihre Zöglinge ausgesetzt sind, sehr weit: Der Tagesablauf ist streng reglementiert, die Uniform tragenden Schüler müssen die Kontakte zur eigenen Familie weitgehend einstellen, und es wird von ihnen verlangt, dass sie Berichte über ihre Mitschüler schreiben, um deren Entwicklung zu fördern – eine Pflicht, die man auch als Aufforderung zur Denunziation verstehen darf. Nach eigener späterer Darstellung empfindet Schiller das alles wie eine Folter und als Absperrung von den Verhältnissen in der übrigen Welt.

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Jacob Friedrich Abel, um 1800

Friedrich Schillers literarisches Werk wird sich in erster Linie auch dadurch auszeichnen, dass es immer wieder Figuren auf der Suche nach Freiheit und Selbstbestimmung, nach einem eigenen Weg und eigenen Zielen zeigt. Der Gedanke liegt nahe, dass solche Ambitionen einschließlich der mit ihnen verbundenen Irrtümer biografisch durch die leidvollen Erfahrungen vorgeprägt sind, die ihr Urheber auf der Carlsschule macht. Das Fundament für die Fähigkeit, literarisch tätig zu werden, wird hier ebenfalls gehärtet: Der frühzeitig an der Dichtung interessierte Schiller arbeitet sich jetzt, teilweise angeleitet von seinen Lehrern, in weite Bereiche der Literaturgeschichte ein. Shakespeare zählt ebenso zu den bevorzugt gelesenen Autoren wie die Zeitgenossen des Sturm und Drang, die Shakespeare zu ihrem Idol erkoren haben, aber Schiller lernt auch eine Vielzahl weiterer deutscher und fremdsprachiger Autoren kennen.

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John Taylor: W. Shakespeare, um 1610

Dissertation

Es bleibt nicht bei einer eher passiv-rezeptiven Beziehung zu vorhandenem Schrifttum: Schiller wird nun selbst schreibend aktiv und verzeichnet damit Erfolge. In diesem Zusammenhang ist weniger daran zu denken, dass er nach anfänglichen Schwierigkeiten schließlich doch mit einer Dissertation über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen im Dezember 1780 sein Studium als Doctor medicinae zu Ende bringen kann. Vielmehr entstehen nun erste literarische Texte, die auch veröffentlicht werden: Im Oktober 1776 debütiert er im Schwäbischen Magazin mit dem Gedicht Der Abend. Ein Trauerspiel, Cosmus von Medicis, das in demselben Jahr entsteht, bleibt zwar unpubliziert, aber ein Jahr später beginnt er mit der Arbeit an einem weiteren Drama, das bald seinen Ruhm begründen wird: Die Räuber.

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Titelseite von Schillers Dissertation

Regimentsmedikus

Nach der Entlassung aus der strengen Carlsschule arbeitet Schiller als Regimentsmedikus in Stuttgart, stellt sich also formal in den Dienst des Herzogs. Eine umfassende und heftige persönliche Reaktion auf die vorherigen Disziplinierungserfahrungen bleibt nicht aus: »Nach Berichten von Augenzeugen trank er viel (mehr, als er von seinem kärglichen Gehalt bezahlen konnte), huldigte dem Karten- und Kegelspiel, konsumierte Unmengen an Schnupftabak und machte nun endlich die ersten intimen Bekanntschaften mit dem weiblichen Geschlecht« (Oellers 2005, S. 44f.). Aber er forciert auch seine literarische Tätigkeit, setzt unter anderem die Arbeit an den Räubern fort und veröffentlicht das Werk 1781 anonym im Selbstverlag – die Auflagenhöhe beträgt 800 Exemplare. Das Drama findet das Interesse Heribert von Dalbergs, des Intendanten am Mannheimer Nationaltheater; er möchte es auf die Bühne bringen und bittet Schiller um eine entsprechende Überarbeitung des Textes. Am 13. Januar 1782 werden Die Räuber in Anwesenheit ihres Verfassers mit Erfolg uraufgeführt. Da er sich jedoch nicht nur aus diesem Anlass, sondern auch noch einmal einige Monate später ohne Erlaubnis auf die Reise nach Mannheim begibt und das unbotmäßige Verhalten entdeckt wird, schickt ihn der Herzog für vierzehn Tage in Arrest. Schiller nutzt die Haftzeit für die Arbeit an dem inzwischen begonnenen Drama Die Verschwörung des Fiesko zu Genua und entwickelt erste Überlegungen für ein Stück mit dem Titel Luise Millerin (später: Kabale und Liebe). Der Herzog verbietet jedoch weitere literarische Aktivitäten, und Schiller erkennt nun endgültig, dass er in dessen Herrschaftsbereich nicht bleiben mag: Am 22. September 1782 flieht er im Schutz der Dunkelheit aus Stuttgart, begleitet von seinem Freund Andreas Streicher.

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Ph. F. v. Hetsch: Schiller als Regimentsarzt, um 1781/82

Wanderjahre

Kann man die Jahre in der Carlsschule als Schillers Lehrjahre bezeichnen – wobei sich die Weisheit, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind, in diesem Fall geradezu modellhaft bestätigt –, so folgen nun gewissermaßen die Wanderjahre: Schillers Leben zeichnet sich fortan erst einmal durch einen stetigen Wechsel des Aufenthaltsortes aus. Die Perspektive einer konventionellen bürgerlichen Berufslaufbahn hat er mit seinem Weggang aus Stuttgart endgültig aufgegeben. Die naheliegende Alternative einer Existenz als freier Schriftsteller erweist sich jedoch, den ersten literarischen Erfolgen zum Trotz, als ein überaus heikles Unterfangen. Tatsächlich sind die Verhältnisse im Bereich des Theaters und der Literatur zu jener Zeit nicht derart, dass ein auch noch so begabter Autor darauf mit Gewissheit eine materiell gesicherte Zukunft gründen kann: Das, was man später den literarischen Markt nennen wird, bildet ein kleines, zudem juristisch noch kaum geregeltes Feld, in dem beispielsweise erfolgreiche Bücher regelmäßig von Raubdruckern kopiert werden, ohne dass sich die Opfer dagegen mit Erfolg wehren könnten. Entsprechend sind die Verkaufszahlen, von denen ein Autor profitiert, gering. Überdies gilt Schiller aufgrund der Umstände seines Verschwindens aus Stuttgart als Deserteur und damit als Straftäter, dem die Verfolgung durch die Häscher des Herzogs droht.

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W. H. v. Dalberg

Schillers erste Stationen nach der Flucht sind Mannheim, Frankfurt, Oggersheim – wo er unter dem Namen Doktor Schmidt I auftritt –, das Gut Bauerbach bei Meiningen – wo er sich Doktor Ritter nennt – und wiederum Mannheim. Dort erhält er im Juni des Jahres 1783 von Dalberg einen Einjahresvertrag als Theaterdichter, demzufolge er für 300 Gulden drei Dramen fertigstellen muss. Es gelingt ihm jedoch nicht, sich in Mannheim dauerhaft zu etablieren; der Vertrag wird nicht verlängert, und Schiller gerät abermals in Not, zumal ihm nunmehr auch sein Vater jegliche finanzielle Unterstützung entzieht. Außerdem plagt ihn im Winter 1783/84 eine hartnäckige fiebrige Erkrankung.

Glückliche Umstände helfen weiter: Einige sächsische Verehrer des in einschlägigen Kreisen nun schon recht prominenten Dichters, darunter Christian Gottfried Körner (1756–1831), suchen brieflich den Kontakt zu ihm und laden ihn zu einem Besuch in ihrer Heimat ein. Die Aufnahme der persönlichen Bekanntschaft verläuft so erfreulich, dass Schiller die nächsten zwei Jahre in Leipzig und Dresden verbringt (1785–1787). Körner, Jurist und selbst als Autor aktiv, entwickelt sich zum besten Freund, den Schiller je hat; er vermittelt ihm Kontakte, die bei weiteren Publikationen hilfreich sind, und seine soliden pekuniären Verhältnisse erlauben es ihm, den Schriftsteller materiell großzügig zu unterstützen. Dieser nimmt die Hilfe zunächst gern an; aber im Lauf der Zeit wird ihm mit wachsendem Unbehagen bewusst, dass er immer noch ein Leben in Abhängigkeit von anderen führt.

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Anton Graff: C. G. Körner, 1794

Dabei kann er mittlerweile eine intensive literarische Produktivität auf verschiedensten Gebieten vorweisen. Die oben genannten Dramenprojekte sind zum Abschluss gebracht worden, dazu wird Dom Karlos (später: Don Karlos) fertiggestellt, ein besonders umfangreiches Theaterstück. Schiller betätigt sich darüber hinaus als Übersetzer ebenso wie als Lyriker, verfasst die Erzählung Verbrecher aus InfamieAnthologie auf das Jahr 1782Rheinische ThaliaThalia