Klaus-Peter Willsch widmet dieses Buch seiner Frau Annette, seinen Kindern Klara, Anna, Fabian, Johannes und Sebastian sowie seinen Eltern Josef und Lina, die ihn gelehrt haben, eine gerade Furche zu ziehen.
Christian Raap widmet dieses Buch Tatiana & Katharina.
Meine persönliche Geschichte zum Euro begann im Sommer 1989 in Bonn. Damals leitete ich im Bundesfinanzministerium das Referat »Nationale Währungsfragen«. Der Delors-Bericht1 über die Möglichkeiten einer Europäischen Währungsunion lag seit einigen Monaten vor. Im Hause und zwischen den Ressorts diskutierten wir heftig darüber. Nur im Auswärtigen Amt sah man das Projekt positiv. Sonst aber kannte ich kaum jemanden, der das Projekt nicht für riskant und illusionär hielt. Zunächst aber beanspruchte nach dem Fall der Mauer die Deutsche Währungsunion meine ganze Kraft. Das war ein elementar politisches Projekt als Vorstufe zur Deutschen Einheit und würde, wie ich auch gegenüber meinen Vorgesetzten nicht verhehlte, einen erheblichen Transferbedarf nach Ostdeutschland (damals noch die DDR) auslösen. Ich war trotzdem dafür. Nach Vollendung der Deutschen Währungsunion kümmerte ich mich um die dem Bund neu zugewachsene Treuhandanstalt und ging schließlich im Sommer 1991 als Finanzstaatssekretär nach Mainz.
Die Entstehung des Maastricht-Vertrages und die weiteren Vorbereitungen zur Europäischen Währungsunion betrachtete ich aus der Ferne als interessierter Zuschauer. Ich war gespalten: Eigentlich konnte es kaum funktionieren, aber wenn doch, war es faszinierend. Im Sommer 1996 beschäftigte ich mich intensiv mit den Vertragsgrundlagen und ökonomischen Rahmenbedingungen und schrieb ein Buch zum Euro.2 Resümee: Es könnte funktionieren, wenn man (1) den No-Bailout-Grundsatz3 und das Verbot der monetären Staatsfinanzierung durch die Europäische Notenbank strikt beachtet und (2) die Arbeits- und Gütermärkte durch ordnungspolitische Reformen ausreichend flexibel gestaltet.
Beim letzteren Punkt war ich skeptisch und sah Arbeitslosigkeit sowie Wachstumsverluste für jene Länder voraus, die sich den Gesetzmäßigkeiten einer gemeinsamen Währung nicht beugten. Umso wichtiger waren die ersten beiden Bedingungen, die Deutschland in solch einem Falle schützen würden. Die Verträge und der ergänzende Stabilitätspakt schienen mir in diesem Punkt ausreichend klar formuliert. Dass Deutschland jemals die Missachtung dieser beiden zentralen Sicherungsklauseln des Maastricht-Vertrages zulassen würde, kam mir nicht in den Sinn. Schon ein entsprechender Verdacht wäre mir damals absurd erschienen.
Wie wir wissen, kam es anders. Im Mai 2010 begruben die Staats- und Regierungschefs mit dem ersten Griechenland-Paket und dem ersten Rettungsschirm das No-Bailout-Prinzip und gleichzeitig erschütterte die EZB mit dem ersten Ankaufprogramm für Staatsanleihen von Krisenländern das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Bundesbankpräsident Axel Weber, gegen dessen Votum die Entscheidung im EZB-Rat gefallen war, rang noch einen Tag später erkennbar um Fassung, als er darüber im Bundesbank-Vorstand berichtete. Für ihn war offenbar eine Welt eingestürzt. Ich teilte seine Gefühle, hatte jedoch die Erfahrung gemacht, dass ökonomische Fachfragen von Werturteilen und politischen Entscheidungen selten sauber zu trennen sind. Deshalb besaß ich ein gewisses Grundverständnis für fachliche Positionen und politische Entscheidungen, die ich für sachlich falsch hielt.
Der eigentliche Schock war für mich die Ungerührtheit, mit der der eklatante Vertrags- und Gesetzesbruch begangen wurde. Weniger, dass Griechen, Italiener und Franzosen das so wollten (dagegen wollte man sich ja gerade durch die rigide Vertragsgestaltung absichern), sondern dass die deutsche Politik das nicht nur mittrug, sondern geradezu aktiv förderte. Dieser Schock, der mir 2010 im immerhin vorgerückten Alter von 65 Jahren zustieß, hat mein Staatsvertrauen und den darauf gründenden Teil meines Weltbildes nachhaltig erschüttert. Meine Sozialisation ist die eines staatsgläubigen deutschen Ministerialbeamten. Im Alter von 29 Jahren war ich ins Bundesfinanzministerium eingetreten und hatte seitdem viel Unfug und eine Menge politischer Fehlentscheidungen erlebt. Das ist normal und gehört zur politischen Wirklichkeit. Dieser eklatante Rechtsbruch aber stößt in andere Dimensionen vor. Wenn man so anfängt, ist im Staat nichts mehr sicher, sobald die Politiker sich darüber einig sind. Und mit diesem nagenden Gefühl lebe ich seit 2010. Ich bemerke, wie es schleichend mein Weltbild infiziert und meine Einstellung zum Staat ändert. Der Begriff der Gewaltenteilung bekommt für mich eine ganz neue, elementare Bedeutung: Auch die Gewaltenteilung hilft nämlich nicht, wenn sich die Gewalten beim Rechtsbruch einig sind. Rechtsanwendung als angewandter Opportunismus. Darüber könnte man glatt zum Anarchisten werden. Dafür bin ich natürlich zu alt. Aber das Prestige der Staatsgewalt hat bei mir stark gelitten. Wo das Gesetz gebrochen wird, fehlt der Gewalt die Legitimität, und dann ist grundsätzlich alles möglich. (Stark zugespitzt könnte man fragen: Wieso musste Ulli Hoeneß eigentlich ins Gefängnis, wenn Gesetzesbrecher an höchsten Stellen mit staatlichem Lorbeer bekrönt werden?)
Natürlich haben die Gründe der eingetretenen Entwicklung mich auch in der Sache beschäftigt, und ich habe meinen eigenen Grundirrtum erkannt: Solange wir keine Edelmetall- oder anderweitige Warenwährung haben, die dem staatlichen Zugriff vollständig entzogen ist, ist Geld immer ein staatliches und damit politisches Produkt, dessen Entstehung und Verbreitung mit der Staatsverfassung und den staatlichen Finanzen untrennbar verbunden ist. Wer Kreditgeld schafft, schafft auch Staatskredit. Der Versuch, beides zu trennen, ist künstlich und zum Scheitern verurteilt. Darum wird eine EZB, die in Ausübung ihrer Unabhängigkeit monetäre Staatsfinanzierung betreibt, zum Staat im Staate. Und darum glaubt die griechische Regierung nicht ganz zu Unrecht, dass zum Wesen der griechischen Staatlichkeit auch der mehr oder weniger ungehinderte Zugriff auf Notenbankkredite gehört.
Auch die nach dem Zweiten Weltkrieg getroffene deutsche Entscheidung, die Währung durch die gesetzliche Unabhängigkeit der Bundesbank zu entpolitisieren, war eine elementar politische Entscheidung, und sie trug auch nur so lange wie der dahinter stehende Wille der Politik. Der deutsche Grundirrtum bei der Aushandlung und dem Abschluss des Maastricht-Vertrages war, dass man politikfernes Geld vertraglich vereinbaren könne. Als sich zeigte, dass das unmöglich ist, erschien der krasse Rechtsbruch als das politisch kleinere Übel. Man wird sehen, wohin das führt. Das Schiff der Europäischen Währungsunion segelt unter uneinigen Steuermännern in unbekannte Gewässer.
Dies alles zu diskutieren, ist für die Politik äußerst lästig. Es ist übrigens auch geistig sehr anstrengend. Geld- und Währungspolitik sind fachlich äußerst anspruchsvoll, und kaum je kommt etwas wirklich Sicheres dabei heraus. Seit meiner ersten Übungsarbeit über Diskontpolitik vor 48 Jahren an der Universität Bonn habe ich meine eigenen Meinungen und Einschätzungen immer wieder geändert und höre nicht auf zu lernen. Ich kann es keinem Abgeordneten übel nehmen, wenn er sich da heraushält und einfach den Entscheidungsvorlagen vertraut, die ihm die jeweilige Regierung liefert.
Man muss allerdings kein Währungsexperte sein, um einen Rechtsbruch zu erkennen. Dazu reichen die Fähigkeit, einen eindeutigen Gesetzestext verständig zu lesen, und ein gesunder Menschenverstand. Zutiefst empörend und geradezu unheimlich ist es, wenn jene politisch abgestraft werden, die einen Rechtsbruch klar benennen und ihr Abstimmungsverhalten als Parlamentarier entsprechend ausrichten. Darum habe ich gerne zugesagt, ein Vorwort zu schreiben, als Klaus-Peter Willsch bei mir anfragte.
1 Bericht zur Schaffung einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (1988/89), der zur Grundlage für den Vertrag von Maastricht wurde. Von 1985 bis 1995 war Jacques Delors Präsident der EG/EU-Kommission.
2 Thilo Sarrazin, Der Euro, Chance oder Abenteuer, Bonn 1997.
3 Nichtbeistands-Klausel. Schließt die Haftung der Europäischen Union sowie aller Mitgliedstaaten für Verbindlichkeiten einzelner Mitgliedstaaten aus.