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| KAROLINA MERAI | JULIANE METZNER-KLÄRING | SUSANNE SCHRÖDER | SABINE SÜTTERLIN

DENKEN FÖRDERN

Thinktanks als Instrumente wirkungsvoller Stiftungsarbeit

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Herausgeber:

Bundesverband Deutscher Stiftungen e. V.

Mauerstraße 93 | 10117 Berlin

Telefon (030) 89 79 47-0 | Fax -10

www.stiftungen.org

Vodafone Stiftung Deutschland gGmbH

Am Seestern 1 | 40547 Düsseldorf

Telefon (0211) 533 5306 | Fax (0211) 533 1898

www.vodafone-stiftung.de

Berlin, Dezember 2011

V. i. S. d. P.:

Prof. Dr. Hans Fleisch,

Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen

Projektleitung:

Juliane Metzner-Kläring

Autorinnen:

Karolina Merai, Juliane Metzner-Kläring,

Susanne Schröder, Sabine Sütterlin

Redaktion:

Benita von Behr, Dr. Antje Bischoff, Dr. David Deißner,

Prof. Dr. Hans Fleisch, Karolina Merai, Juliane Metzner-Kläring,

Susanne Schröder, Dr. Mark Speich

Wissenschaftliches Lektorat:

Prof. Dr. Berit Sandberg, Dr. habil. Martin Thunert

Korrektorat:

Nicole Woratz

Gestaltung und Layout:

trafodesign GmbH, Düsseldorf

Druck:

Druckstudio GmbH, Düsseldorf

ISBN: 978-3-941368-20-0
eISBN: 978-3-941368-44-6

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Einführung:

Thinktanks sind Themenmotoren für gesellschaftlichen Wandel

2 Thinktanks in den USA und Großbritannien:

Wie machen es die Angelsachsen?

3 Stiftungen und Thinktanks in Deutschland:

Noch viel Spielraum für unabhängiges Denken und Forschen

4 Wie Stiftungen Thinktanks unterstützen können:

Expertenbefragung und Empfehlungen

Anhang

Vorwort

Deutschland – Land der Ideen. Die Nation der Dichter und Denker sei insgesamt eine „Ideenschmiede“, hören und lesen wir allenthalben. Der wichtigste Rohstoff Deutschlands stecke in den Köpfen. Bezogen ist das oft auf technische Erfindungen und Innovationen, auf Naturwissenschaft und Technik, auf wirtschaftlich Verwertbares. Wohlstand und Zukunftsfähigkeit unseres Landes beruhen indes nicht nur auf Weltmarktführung bei Schrauben, Kolben und Kettensägen. Zu den wesentlichen Grundlagen gehören vielmehr ein Gesellschaftssystem und ein ordnungspolitischer Rahmen, die zusammen die Grundlage schaffen für die Entwicklung einer global konkurrenzfähigen Wirtschaft und für die Entstehung von Wohlstand in einem weiteren Sinne: Angesichts knapper werdender Ressourcen geht es künftig darum, unsere Wohlfahrtsstaatlichkeit intelligenter zu organisieren. Das stellt die Gesellschaft vor neue, große Herausforderungen. Neue Ideen und Konzepte für die Weiterentwicklung der Gesellschaft sind vonnöten – und Institutionen, die diese liefern: Denkfabriken. Unabhängige Thinktanks, die ohne staatliche Unterstützung und abseits der Forschungs- und Entwicklungslabors der Wirtschaft zu gesellschaftlicher Innovation beitragen, sind hierzulande jedoch vergleichsweise dünn gesät.

Deutschland – Land der Stiftungen. Die Zahl der Stiftungen wächst hierzulande seit Jahrzehnten kontinuierlich und noch dynamischer als anderswo. Dennoch kann der Stiftungssektor auf absehbare Zeit größere Finanzlücken an anderer Stelle nicht ausgleichen, allenfalls punktuell oder eingeschränkt. Die Bedeutung der Stiftungen liegt darum weniger in der Frage, welche Finanzmittel sie zusätzlich einbringen, sondern darin, wie sie ihre Ressourcen effizient einsetzen können: eben anders als staatliche Akteure oder Unternehmen.

Das Anschieben und langfristige Fördern unabhängiger Thinktanks bietet gemeinnützigen Stiftungen besonders gute Möglichkeiten, ihre spezifischen Aktivitäten zugunsten des Gemeinwohls zu entfalten. Wer einen Thinktank auf den Weg bringt, ihn fördernd entwickelt und stabilisiert, erntet nicht unbedingt den schnellen Erfolg von Einzelprojekten, die gesellschaftlichen Wandel im Kleinen vorantreiben, konkret und berechenbar, aber zeitlich und örtlich begrenzt. Erfolgreiche Thinktank-Arbeit eröffnet die Chance, mittel- und langfristig außerordentliche Hebelwirkung zu erreichen. Stiftungen besitzen den dafür notwendigen langen Atem. Das ist ihr entscheidender Vorteil gegenüber Politik und Wirtschaft, die immer stärker den Zwängen des Augenblicks unterliegen.

Mit dieser kurzen Studie wollen die Vodafone Stiftung Deutschland und der Bundesverband Deutscher Stiftungen diese meist vernachlässigte Chance näher ausleuchten. Wir hoffen, damit einen konstruktiven Beitrag zur Diskussion über effektives Stiftungshandeln zu liefern. Unser Dank gilt den Autorinnen Juliane Metzner-Kläring, Susanne Schröder, Sabine Sütterlin und Karolina Merai.

Dr. Mark Speich

Prof. Dr. Hans Fleisch

GESCHÄFTSFÜHRER

GENERALSEKRETÄR

VODAFONE STIFTUNG DEUTSCHLAND

BUNDESVERBAND DEUTSCHER STIFTUNGEN

Einführung:

Thinktanks sind Themenmotoren für gesellschaftlichen Wandel

1

VERMITTLER ZWISCHEN WISSEN UND MACHT

Denkfabrik, Konzeptschmiede, Ideenagentur – es gibt verschiedene mehr oder weniger geglückte Versuche, den englischen Begriff Thinktank ins Deutsche zu übertragen. Ohnehin ist er schwer eingrenzbar. Gemeinhin bezeichnet er ein praxisorientiertes Forschungsinstitut, öffentlich oder privat finanziert, in dem Wissenschaftler und Experten unterschiedlicher Fachdisziplinen gemeinsam politische oder wirtschaftliche Konzepte und Strategien entwickeln.

Die moderne Wissensgesellschaft braucht Orientierung. Dabei gewinnen Thinktanks zunehmend an Bedeutung. Sie beraten direkt Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, oder sie beeinflussen die öffentliche Sphäre über die Medien.1 Diese Einmischung in den politischen und gesellschaftlichen Diskurs kann sowohl die Politik als auch die Öffentlichkeit in ihrer Meinungs- und Willensbildung unterstützen. Der Ökonom und Philosoph Birger P. Priddat bezeichnet Thinktanks sogar als eine „Lobby der Vernunft“2, weil sie durch aktive Medienarbeit die Öffentlichkeit von einem Konzept überzeugen, bevor dieses in die Nähe politischer Entscheidungsfindung tritt. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) spricht von Brücken zwischen Wissen und Macht.3

→ GRAFIK 1

Die vorliegende Publikation richtet sich in erster Linie an Stiftungen, um ihnen den Thinktank-Sektor näherzubringen. Sie will zeigen, dass Thinktanks eine starke Hebelwirkung entfalten können – weit effektiver, als dies punktuelle Einzelprojekte vermögen. Dies kann der Stiftungsarbeit neue Impulse verleihen, so der Ausgangspunkt. Ziel ist, eine Debatte darüber anzustoßen, wie und mit welchen Mitteln und welchen Grenzen Stiftungen in den politischen und gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess eingreifen und Entwicklungen im Sinne des Gemeinwohls mitgestalten können.

VOM GELEHRTENZIRKEL ZUM THINKTANK

Weltweit gibt es nach den jüngsten Schätzungen von The Global „Go-To Think Tanks“ fast 6.500 Thinktanks. Unter die sehr breit gefasste Definition dieses jährlich erscheinenden Berichts fallen dabei sowohl unabhängige Nichtregierungsorganisationen als auch Forschungsinstitute, die Regierungen, Parteien, Interessengruppen oder Branchenverbänden zugehören.4 Allein 30 Prozent der rund 6.500 Institute entfallen auf Nordamerika. Deutschland belegt den fünften Rang unter allen Nationen mit Thinktanks. In den USA gibt es jedoch fast zehnmal mehr Thinktanks, und auch auf die Einwohnerzahl bezogen weisen die Vereinigten Staaten im Vergleich zu Deutschland immer noch zweieinhalbmal so viele Thinktanks pro Kopf auf.5

→ GRAFIKEN 2 UND 3

Das ist zunächst wenig überraschend, denn Thinktanks sind eine angloamerikanische Erfindung. Der Begriff Thinktank kam während des Zweiten Weltkrieges in den USA auf. Er wurde für einen abhörsicheren Raum (tank) verwendet, der militärischen und zivilen Experten als Ort zur Entwicklung von Invasionsplänen und militärischen Strategien diente (think). Im Verlauf der 1960er- und 1970er-Jahre ging man dazu über, den Begriff auch als Bezeichnung für praxisorientierte Forschungsinstitute außerhalb der Außen- und Sicherheitspolitik zu benutzen.6

Grafik 1: Thinktanks – intermediäre Institutionen in pluralistischen und demokratischen Gesellschaften

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Quelle: Braml, Josef: Think Tanks versus „Denkfabriken“? U.S. and German Policy Research Institutes‘ Coping with and Influencing Their Environments.

Baden-Baden 2004 (= Aktuelle Materialien zur Internationalen Politik, Bd. 68), S. 53.

Grafik 2: Wie sich die 6.480 Thinktanks weltweit auf die Regionen verteilen

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Quelle: McGann, James: The Global „Go To Think Tanks“ 2010. The Leading Public Policy Research Organizations In The World. Final United Nations University Edition, 18. January 2011.

http://www.chathamhouse.org.uk/files/18404_2010globalgotoreport-thinktankindex.pdf (Zugriff: 11. April 2011), S. 15.

Grafik 3: Die 23 Länder mit den meisten Thinktanks

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Quelle: McGann, James: The Global „Go To Think Tanks“ 2010. The Leading Public Policy Research Organizations In The World. Final United Nations University Edition, 18. January 2011.

http://www.chathamhouse.org.uk/files/18404_2010globalgotoreport-thinktankindex.pdf (Zugriff: 11. April 2011), S. 18.

Indes waren die ersten Organisationen, die wissenschaftliche Erkenntnisse gezielt für die Öffentlichkeit nutzbar machten, bereits Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA und in Großbritannien gegründet worden. Vorläufer der heutigen Thinktanks sind die philosophischen Clubs und Gelehrtenzirkel, die im 19. Jahrhundert insbesondere in London entstanden. Bereits in der viktorianischen Epoche gab es das noch heute bestehende Royal United Services Institute, eine frühe sicherheitspolitische Denkfabrik.

In den USA wurden die Frühformen heutiger Thinktanks ursprünglich als „Brain Box“ bezeichnet und waren zum Teil bereits größere, mit eigenem Personal und Geld ausgestattete Einrichtungen. Finanziert wurden sie meist von philanthropischen Stiftungen mit sozialreformerischer Grundausrichtung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen Stiftungen, die häufig einer bestimmten Weltanschauung zuzuordnen waren, die Förderung amerikanischer Thinktanks. Vor allem konservative Familienstiftungen haben seit den 1960er-Jahren in den USA massiv auf diese Form der öffentlichen Einflussnahme gesetzt, haben politische Positionen gefördert, Meinungen und Themen gesteuert sowie effektiv auf die politische Prioritätensetzung und auf Budgetentscheidungen eingewirkt. Aber auch linksliberale Stiftungen setzten immer mehr auf die Förderung privater Ideenschmieden. Seit den 1980er-Jahren sind viele kleine, aber schlagkräftige Thinktanks hinzugekommen, die sich – unabhängig von weltanschaulichen Richtungen – auf ein spezifisches Fachgebiet konzentrieren.

AKADEMISCH ODER PUBLIKUMSWIRKSAM?

In Deutschland gibt es Denkfabriken in nennenswerter Zahl seit der Nachkriegszeit. Dass es weniger sind als in den angelsächsischen Ländern, liegt jedoch hauptsächlich an unterschiedlichen Auffassungen davon, was ein Thinktank soll und darf. Dies ergab ein im Jahre 2004 erschienener umfassender Ländervergleich: Während in den USA privat finanzierte „advokatorische“ Institute den Marktplatz der Ideen beherrschen, dominiert in Deutschland der „akademische“ Thinktank.7

Die Zuweisung zu einer dieser beiden Kategorien kann je nach Definition im Einzelfall abweichen. Als akademisch werden jedoch in der einschlägigen Literatur8