Dankwart Mattke
Ulrich Streeck
Oliver König

Praxis stationärer und teilstationärer Gruppen

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Printausgabe: ISBN 978-3-608-89154-6

E-Book: ISBN 978-3-608-10826-2

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20277-9

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

IMuss ich in eine Gruppe?
Dankwart Mattke

1Kontextuelle Anwendung des Verfahrens Gruppentherapie

2Das Problem: Ich muss in eine Gruppe

3Ausbildung – Fortbildung – Weiterbildung

4Bedeutungsverlust der Gruppen

5Die Supervision in der Aus-, Fort- und Weiterbildung zum Gruppenpsychotherapeuten

6Vorbereitung auf die stationäre/teilstationäre Gruppentherapie – ein Manual

Anleitung für Therapeuten zur Motivation der Patienten

Handout für Patientinnen und Patienten

Vertiefte Informationen: Wie Gruppentherapie wirkt und warum Gruppentherapie nützlich ist!

7Zu den Besonderheiten der stationären gegenüber den ambulanten Gruppentherapien

8Im Visier: Eine allgemeine, integrative Gruppentheorie

9Welche Gruppenformate haben sich entwickelt? Die aktuelle Praxis

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IIGruppe als Chance – Interpersonelle Beziehungen im Brennpunkt
Ulrich Streeck

1Gruppentherapie – eine ungeliebte Pflichtveranstaltung in der stationären Psychotherapie?

2Der therapeutische Schwerpunkt ›Interpersonalität‹

3Zum therapeutischen Nutzen des Schwerpunktes ›interpersonelle Beziehungen‹

4Innerseelische Prozesse – interpersonelle Störungen

5Über implizites Beziehungswissen

6Gruppentherapie – Handeln im Kontext des Handelns von anderen

7Das soziale Feld Krankenhaus: ein Viel-Personen-Setting

8Der therapeutische Blick auf das ›Zwischen‹

9Zum Nutzen von Gruppentherapie

10Vor der therapeutischen Arbeit in der Gruppe

11Zur interaktiven Produktion des Gruppengeschehens

12Zur therapeutischen Arbeitsweise in Gruppen mit dem Schwerpunkt ›Interpersonalität‹

13Einige Schwerpunkte interpersonellen Geschehens in der Gruppe

14Zur Entwicklung des Zusammenseins im Gruppenverlauf

15Komplikationen und Gefährdungen des Rahmens

16Chancen von Gruppentherapie in der Klinik, die auf das ›Zwischen‹ fokussiert

IIISozialwissenschaftliche Überlegungen zum interaktionellen Raum stationärer Gruppen
Oliver König

1Vorbemerkung

2Die Entwicklung des Gruppenparadigmas in den Sozialwissenschaften: Gruppe als soziale Form und als Prinzip

3Kleingruppenforschung und Gruppendynamik

4Die Idee der Gruppe in der Gruppenpsychotherapie

5Sozialwissenschaftliche Ideen zu Macht in Gruppen

6Gruppen und ihre inneren und äußeren Umwelten

7Gruppe und ihre sich verändernde kulturelle Bedeutung: Von der interpersonellen zur strukturellen Macht

8Von der interpersonellen zur verinnerlichten Macht

9Anstelle der fehlenden Empirie: Eine Fallvignette

10Schlussbetrachtung

Literatur

Anmerkungen

Die Autoren

Vorwort

Die nordamerikanische Gruppen-Community bezeichnet stationäre Gruppen als »captive groups« – als gefangene Gruppen. Die Zusammensetzung der Gruppe nach Alter, Geschlecht und Indikation, Häufigkeit der Treffen und Gesamtdauer der Gruppenbehandlung, alles wird fremdbestimmt über die strukturellen Rahmenbedingungen der Organisation Klinik, durch Krankenkassen und Gesundheitspolitik. Die Fremdbestimmung gilt für Therapeuten wie Patienten gleichermaßen, auch Letztere müssen in Gruppen und zu Therapeuten, die sie nicht frei wählen konnten. Die fortschreitende Verkürzung der Aufenthalts- und Behandlungsdauer in den psychosomatisch-psychotherapeutischen, psychiatrisch-psychotherapeutischen und rehabilitativen Kliniken hat diese Situation noch verschärft.

Dieses »Gefangensein« wird von vielen klinisch Tätigen beklagt. An diese Personengruppe wendet sich unser Buch: Nicht nur an GruppentherapeutInnen im engeren Sinne, sondern an alle in der Organisation Krankenhaus professionell Arbeitenden. Es geht uns darum, diesen sozialen Ort und die darin stattfindenden vielfältigen sozialen Situationen so zu beschreiben, dass trotz der bestehenden Überkomplexität Verstehen möglich wird als Voraussetzung dafür, dass Gruppentherapie unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen erfolgreich praktiziert werden kann.

Alle betroffenen Berufsgruppen arbeiten zwar während ihrer Aus- und Weiterbildung in Krankenhäusern, Reha-Kliniken, Tagkliniken auch mit Gruppen. Sie tun dies zumeist vor Abschluss irgendeiner einzel- oder gar gruppentherapeutischen Ausbildung, wenn eine solche überhaupt gesucht wird. Damit wird ihnen als Anfängern eine behandlungstechnisch schwierige Therapieform anvertraut. Und während die einzeltherapeutischen Lehrfälle per Verordnung supervidiert werden müssen, um die Anerkennung im jeweiligen Ausbildungsgang zu gewährleisten, so gilt dies nicht für Gruppentherapien. Das ist Sache der Kontraktkliniken (für die Psychologischen Psychotherapeuten) oder der Ärztekammern, die die Weiterbildungsbefugnisse erteilen.

Gleichwohl haben sich Gruppentherapien als Verfahren in breiter Auffächerung und fachlicher Differenzierung in Kliniken und Tageskliniken gut etabliert. In einer epidemiologischen Studie zu psychotherapeutischen Methoden in stationären Einrichtungen heißt es: »Insgesamt überwiegen gruppentherapeutische Behandlungen im Vergleich zu einzeltherapeutischen Behandlungen.« (Baarghan 2009, S. 83 f.) Dieser widersprüchliche Befund, dass ein wesentlicher Teil stationärer psychotherapeutischer Versorgung in Gruppen stattfindet, zugleich die damit verbundenen Verfahren und psychotherapeutischen Kompetenzen nachrangig behandelt werden, ist Ausgangspunkt dieses Buches.

Die drei Autoren nähern sich jeweils aus unterschiedlicher Perspektive. Dankwart Mattke beginnt seine Analyse der Rahmenbedingungen gegenwärtiger Gruppenwelten in Krankenhäusern und Tageskliniken mit der Frage, ob die Aus-, Fort- und Weiterbildungsinstitute und die sie tragenden und beauftragenden Fachgesellschaften und Berufsverbände das Verfahren »Gruppenpsychotherapie« noch zu sehr in seinem historischen Entstehungskontext insbesondere der 1970er- und 1980er-Jahre sehen. Dass dieser gesellschaftliche und kulturelle Kontext sich seitdem massiv verändert hat, bekundet auch die stagnierende Nachfrage nach ambulanter Gruppentherapie, obgleich ja hier, für Therapeuten wie Patienten gleichermaßen, das Gefangensein so nicht gegeben wäre. Die Gruppen-Community hierzulande hat, so die These von Mattke, die Ausdifferenzierung der Gruppenverfahren überhaupt und insbesondere zwischen ambulanten und stationären/teilstationären/rehabilitativen Kontexten bisher nicht vollzogen. Daraus ergibt sich die Frage, wie die vielfältigen stationären Gruppenformate zu beschreiben wären und welche Kompetenzen sich Therapeutinnen und Therapeuten dafür aneignen müssten.

In einem kurzen Streifzug durch die Entwicklungsgeschichte der Gruppenpsychotherapie zeigt Mattke auf, aus welchen Kontextbedingungen sich die verschiedenen Arbeitsansätze stationärer und teilstationärer Gruppenpsychotherapie entwickelt und welche Veränderungen seitdem stattgefunden haben. Was dies für die Praxis bedeutet, erläutert er an zahlreichen Fallvignetten aus Supervision, Aus- und Weiterbildung. Besondere Aufmerksamkeit widmet er der Vorbereitung auf Gruppenpsychotherapie. Er stellt Manuale für Therapeuten wie Patienten vor. Und er widmet sich den zahlreichen weiteren Gruppenkontexten, die den Alltag einer Klinik prägen, insbesondere den Teams der therapeutisch Tätigen.

Ulrich Streeck beschäftigte sich in den letzten 25 Jahren damit, die psychodynamischen Gruppentherapien mit den Erkenntnissen der Mikrosoziologie in Verbindung zu setzen. Dies führt ihn dazu, die Störungen des Patienten nicht aus dessen individuellen Unbewussten und/oder psychischen Dispositionen zu erklären, sondern sich auf die interpersonellen Beziehungen zu konzentrieren, auf das »Dazwischen«. Schwere Entwicklungsstörungen manifestieren sich vor allem als Störungen in interpersonellen Beziehungen. Und weil Beziehungen eben nie das Produkt einer einzelnen Person sein können, sondern von allen Beteiligten im Zuge ihrer Interaktionen hervorgebracht werden, liegt es nahe, zu deren Untersuchung und Behandlung das interpersonelle Geschehen, das Geschehen im »Zwischen«, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken.

Therapeutisch geht es bei dem psychoanalytisch-interaktionellen Ansatz um Veränderung impliziten Beziehungswissens, anders gesagt, um Veränderung der Mittel, mit denen Interaktion und interpersonelle Beziehungen hervorgebracht werden. Wir können in der Regel das Zusammensein mit anderen gestalten, aber wir wissen nicht, wie wir das genau machen und wie wir dabei welche Mittel einsetzen. Die therapeutische Antwort darauf ist nicht die Deutung, sondern der Therapeut als Gegenüber macht aus einer antwortenden Haltung heraus kenntlich, was der Patient in der konkreten Interaktion oder in dieser Sequenz momentan in ihm hervorruft.

Die Gruppe ist für ein solches Verständnis gruppenpsychotherapeutischer Veränderung der ideale Ort und die stationäre Therapie ein ausgezeichnetes Setting, wenn genau dies zum Schwerpunkt der Therapie gemacht wird. In der stationären Therapie gibt es über die eigentliche Gruppentherapie hinaus zahlreiche weitere Interaktionsräume, in denen die Patienten erfahren können, wie sie interpersonelle Situationen gestalten bzw. mitgestalten und wie sie Mittel erproben und weiterentwickeln können, mit denen sie in »gesünderer« und befriedigenderer Weise am sozialen Leben teilnehmen können. Das setzt voraus, dass Situationen wie Visiten, Stationsversammlungen, zufällige Begegnungen u. v. a. so verstanden und auch genutzt werden. Eine Visite ist dann nicht mehr nur eine Visite in gewohnter medizinischer Bedeutung, sondern ist eine interpersonelle Situation, in der das implizite Beziehungswissen, das hier zur Geltung kommt, zum Gegenstand der gemeinsamen Aufmerksamkeit und therapeutischen Einflussnahme werden kann.

Der dritte Beitrag von Oliver König versucht aus sozialwissenschaftlicher Perspektive aufzuzeigen, welche sozialen Prozesse auf die Wirklichkeit stationärer Gruppenpsychotherapie einwirken. Dafür gibt er einen kurzen Einblick in die Entwicklung des Gruppenparadigmas in den Sozialwissenschaften und führt dabei die Unterscheidung ein von Gruppe als sozialer Form und als Veränderungsprinzip. Es folgen Überlegungen zur Kleingruppenforschung und Gruppendynamik als dem Hintergrund, aus dem dann die Gruppenbewegung insgesamt und die Gruppenpsychotherapie im Besonderen wichtige Impulse bekamen. Nach dieser dominant historisch orientierten Darstellung folgt der Versuch, ausgehend vom gruppendynamischen Blick auf Gruppe ein systematisches Argument zu entwickeln, welche Kräfte dazu beitragen, dass der interaktionelle Raum Gruppe in dieser historischen Entwicklung quasi von seinen Rändern her unter Druck gerät und damit auch die Gruppe als Arbeitsprinzip zunehmend an Bedeutung verliert.

Bei aller Kritik an der gegenwärtigen Theorie und Praxis stationärer und teilstationärer Gruppen ist und bleibt es ein Anliegen aller drei Autoren, den heute im stationären Feld Tätigen den Mut zur Weiterentwicklung des Verfahrens vermitteln zu wollen.

München/Göttingen/Köln im Mai 2015

I Muss ich in eine Gruppe?

Rahmenbedingungen gruppentherapeutischen Arbeitens in Kliniken und Tageskliniken

Dankwart Mattke

1 Kontextuelle Anwendung des Verfahrens Gruppentherapie

Gruppenpsychotherapie in Kliniken heute – eine Bestandsaufnahme

Wir wollen in diesem Buch versuchen, den sozialen Raum einer Krankenhausstation oder Tagesklinik tiefer zu verstehen. Insbesondere soll die Gruppenpsychotherapie als omnipräsente Behandlungsform klinisch-praktisch und von den theoretischen Voraussetzungen her beleuchtet werden. Ärzte und Therapeuten finden konkretes Anschauungsmaterial, wie Gruppentherapie im klinischen oder teilstationären Kontext erfolgreich umgesetzt werden kann.

In meinem Beitrag werde ich zunächst auf die Rahmenbedingungen von Gruppentherapie im Kontext der Klinik eingehen sowie auf die Situation der Aus-, Fort- und Weiterbildung und der Supervision der Ärzte und Psychotherapeuten, die stationäre Gruppentherapie anbieten (müssen). Ein besonderer Praxisschwerpunkt gilt dann dem Thema »Vorbereitung auf die Gruppentherapie«. In Zusammenarbeit mit Michael Nerad habe ich ein Kurz-Manual für diese Phase entwickelt, das an dieser Stelle erstmals vorgestellt wird. Die drei Einheiten des Manuals können auch als Download heruntergeladen werden. Im letzten Teil des Beitrags kommen die Besonderheiten der stationären Therapie zur Sprache, und ich gebe einen Überblick über die historische Entwicklung dieses Settings zum vertieften Verständnis unserer heutigen Situation.

Patienten wie Behandler haben in den sozialen Prozessen – gemeinhin als Gruppenprozesse aufgefasst – immer weniger Gestaltungsmöglichkeiten. Es geht inzwischen eher um Anpassungsprozesse an die Kontexte der umgebenden Strukturen und – wie König es in diesem Buch formuliert – um Veränderung in den Subjekten oder Verinnerlichung von hierarchischen Strukturen. Der interaktionelle Raum in der Patienten-Gruppe wie in der Team-Gruppe wird durch die zu beschreibenden Strukturen erheblich eingeschränkt.

Wir stützen uns neben einigen empirischen Arbeiten auf konzeptuelle Einsichten und »Forderungen«, wie sie seit den 1980er-Jahren beispielsweise von Senf (1988) formuliert wurden, dass letztlich »jede Therapie im stationären Setting eine Gruppentherapie ist, da der therapeutische Prozess auf einer Station immer von der Gesamtgruppe (d. h. Mitpatienten und Team) getragen wird«.

Noch konsequenter hat Yalom bereits 1983 die stationäre Gruppentherapie als eine getrennt von der ambulanten Gruppentherapie zu verstehende – und zu erlernende! – Therapieform aufgefasst. Leider ist Yaloms Buch auf Deutsch über 20 Jahre später (2005) unter dem irreführenden Titel »Im Hier und Jetzt – Richtlinien der Gruppenpsychotherapie« erschienen1.

Dass die Leitung einer stationären Gruppentherapie besondere Fertigkeiten erfordert und weder Erfahrungen in Einzeltherapie noch in ambulanter Gruppentherapie helfen, blieb in der deutschsprachigen Literatur bisher ungesagt.

Aber auch in Nordamerika hat es bis zum Januar 2014 gedauert, bis im führenden internationalen Gruppen-Journal der Herausgeber anlässlich seines »Amtsantritts« dazu aufforderte, mehr Arbeiten zur stationären Gruppenpsychotherapie einzureichen. Zur Markierung dieser späten Wende schrieb der Herausgeber eine interne Mail an die Mitglieder der nordamerikanischen und internationalen Gruppentherapievereinigung AGPA (American Group Psychotherapy Association), die ich zunächst im Original wiedergeben möchte und anschließend sinngemäß übersetzen werde:

As editor of IJGP I am interested in receiving submissions on the difficulty of leading therapy groups in the inpatient setting, where so many groups take place. Often there is no stable core membership, and there are huge differences in ability to function interpersonally. Revolving door therapy is one of the politer descriptive terms. Theory is very difficult to apply here, even for those who have been well trained in leading groups. I am interested in developing serious articles – with appropriate lively discussion – based on scholarship, best practices, narrative experiences, thoughtful proposals and grim warnings. In such settings »group therapy« may even elicit professional and patient cynicism. I think this situation presents a great opportunity for AGPA members to make proposals that guide group therapists who do this important work. I would be happy to discuss proposals and queries (Grundyd4@earthlink.net).

Dominick Grundy

Editor, International Journal of Group Psychotherapy (IJGP)

Sinngemäß plädiert Dominick Grundy, wie Yalom bereits 1983, dafür, stationäre Gruppen als ein eigenständiges Therapieverfahren in Training, Anwendung und Forschung zu konzeptualisieren. Zugespitzt spricht er sogar von Zynismus, der sich bei Therapeuten wie Patienten gegenüber dieser vernachlässigten professionellen Aufgabe entwickeln könnte.

In der zweiten Nummer/Volume 64 (2014) ist nun tatsächlich ein ganzes Heft diesem Thema gewidmet. Der Herausgeber Dominick Grundy knüpft an seine oben zitierte Mail an:

In the hospital setting, almost all mental health patients will find themselves in a group somewhere between arrival and discharge. Yet there is, unfortunately, no professional agreement about how these should be conducted, who should lead them, and what their focus should be. Between the point of entry and the point of return to life on the »outside«, what can the group setting provide that is most curative, or least harmful?

Wiederum sinngemäß: Grundy betont die professionelle Ratlosigkeit, ja fast Hilflosigkeit unserer Konzepte und Anwendungen in der stationären Gruppenwelt. Und er erwähnt schließlich auch die Möglichkeit, mehr zu schaden als zu nutzen. Denn der Druck sei groß für Patienten wie Behandler in dem Übergangsraum zwischen Aufnahme und Entlassung aus der jeweiligen Institutionswelt.

Können wir davon ausgehen, dass dieses Problembewusstsein auch hierzulande unter denen, die jetzt trotz aller aufgezeigten Bedenken in der stationären Gruppenwelt arbeiten, vorhanden und empirisch nachweisbar ist? Tatsächlich geht es nicht darum, ob, sondern wie stationäre Gruppen praktisch durchgeführt werden und theoretisch verstanden werden können. Denn für die stationäre und teilstationäre Welt gilt für Patienten wie Therapeuten:

2 Das Problem: Ich muss in eine Gruppe

In einer Umfrage (Strauß et al., 2013) sollte geklärt werden, ob sich Psychotherapeuten, die in stationären und teilstationären psychotherapeutischen Einrichtungen tätig sind, ausreichend ausgebildet fühlen, um Gruppentherapie durchzuführen, und welche spezifische Weiterbildungsbedürfnisse sie haben.

Mit einem Fragebogen wurden insgesamt 175 Therapeuten aus verschiedenen Kliniken und mit unterschiedlicher Profession befragt. Die Befragung zielte auf Ausbildungserfahrungen zur aktuellen Praxis mit Gruppen und auf Weiterbildungswünsche.

Es stellt keine große Überraschung dar, dass nur ein Teil der Befragten als Gruppentherapeut ausgebildet war. Die Therapeuten sehen sich mit einer Vielzahl an Gruppenformaten und unterschiedlichen Patienten konfrontiert und machen ein differenziertes Spektrum an Weiterbildungswünschen deutlich.

Auch wenn die Befragung nicht repräsentativ ist, zeigen die Ergebnisse doch allgemeine und spezifische Bedürfnisse von Therapeuten in Kliniken und unterstreichen die Bedeutung der Ausbildung und der therapeutischen Erfahrungen bei der Reduktion von Unsicherheiten gegenüber Gruppenpsychotherapien.

In Deutschland gibt es nach Schätzungen von Barghaan et al. (2005) mehr als 40 000 Psychotherapiebetten in psychotherapeutisch-psychosomatischen, psychiatrischen sowie psychosomatischen Rehakliniken und Suchtkliniken. Insgesamt überwiegen gruppentherapeutische Behandlungen (Barghaan et al., 2009). Dies wird empirisch auch belegt durch die Zahlen des Klinikführers (Schauenburg et al., 2007). Brockhaus et al. (2005) haben in einer Internetrecherche für die stationäre psychosomatische Rehabilitation recherchiert, dass Gruppentherapie als Bestandteil des therapeutischen Programms in allen befragten Kliniken genannt wird. Eine spezielle Gruppenqualifikation der Therapeuten wurde aber in keinem einzigen Fall aufgeführt. Es werde von vielen klinisch Tätigen beklagt, dass sie vor Abschluss irgendeiner einzel- oder gruppentherapeutischen Ausbildung in ihren Institutionen regelmäßig Gruppen leiten müssten, womit ihnen als Anfängern die behandlungstechnisch schwierigste Therapieform anvertraut wird.

Schauen wir uns dazu die aus der erwähnten Arbeit (Strauß et al., 2013) entnommene Tabelle auf S. 16 mehr im Detail an.

Es ergeben sich aus den Nachfragen zu den Fort- und Weiterbildungswünschen folgende »Brennpunkte«:

Der Umgang mit unmotivierten Patienten, mit passiven, mit strukturell stärker gestörten und/oder traumatisierten, mit entwertenden, mit monologisierenden Patienten ist schon einzeltherapeutisch eine Herausforderung. Wenn in der Gruppe oder auch im sozialen Raum der Station sich die Dynamik des »Dazwischen« entfaltet, sind alle ohne basale gruppendynamische Grundkenntnisse und Erfahrungen überfordert. Sehr oft werden einzeltherapeutische Interventionen versucht, sei es psychotherapeutisch, sei es psychopharmakologisch. Schnell kann es zu Eskalationen mit Sündenbockphänomenen kommen, nicht selten eventuell sogar zu disziplinarischen Maßnahmen.

In der Originalarbeit, der die Tabelle entnommen ist, werden weitere Einzelheiten wie teilweise signifikante Unterschiede zwischen Ärzten und Psychologen oder zwischen den Verfahrensschulen angesprochen. Es folgt dort auch ein Exkurs zu Aus-, Fort- und Weiterbildungsfragen, die alle stationär Tätigen betrifft. Basierend auf dieser Arbeit und einer Arbeit aus dem Lehrbuch Gruppenpsychotherapie (Strauß & Mattke, 2012) hier einige Details, die auch für dieses Buch relevant sind:

In der Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten wie in der Weiterbildung zum Arzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie zum ärztlichen Psychotherapeuten steht das Erlernen von Einzeltherapie in Theorie und Praxis im Zentrum.

Zwar arbeiten die entsprechenden Berufsgruppen während ihrer Aus- und Weiterbildung meist in Krankenhäusern, Reha-Kliniken, Tagkliniken auch mit Gruppen. Die einzeltherapeutischen Lehrfälle müssen per Verordnung supervidiert werden, um die Anerkennung im jeweiligen Ausbildungsgang zu gewährleisten. Nicht so die Gruppentherapien! Das ist Sache der Kontraktkliniken (für die Psychologischen Psychotherapeuten) oder der Ärztekammern, die die Weiterbildungsbefugnisse erteilen. Eine spezifische Anleitung oder/und kontinuierliche Supervision der Gruppenarbeit findet in der Regel nicht statt. So werden Berufsanfänger mit einer technisch sehr anspruchsvollen Behandlungsmethode völlig allein gelassen: Nicht nur Patienten, auch Therapeuten müssen in eine Gruppe.

Das Erlernen von Gruppentherapie ist eine Zusatzqualifikation, je nach Qualifikation curricular oder im Bausteinverfahren in den Formaten Theorie, Supervision, Selbsterfahrung; je nach Träger bzw. Qualifikationsziel in der Regel in freien Instituten und/oder Praxen angeboten. Wie effektiv und auf heutige Erfordernisse bezogen sind diese Angebote?

Tab. 1: Angaben zum Weiterbildungsbedarf, bezogen auf 26 vorgegebene Themen, geordnet nach der Höhe des Bedarfs (1 = geringer Bedarf, 5 = sehr starker Bedarf): Durchschnittlicher Bedarf (M, SD), bezogen auf die Gesamtgruppe, Bereiche mit Unterschieden bezüglich der Profession (Ärzte/Psychologen), der Ausbildungserfahrung in Gruppenpsychotherapie (ja/nein) und dem Verfahren (nur Personen mit abgeschlossener Ausbildung in den Richtlinienverfahren)

Weiterbildungsthema M SD Personen mit/ohne Ausbildung* Ärzte vs. Psychologen** Verfahren mit größtem Bedarf***
Umgang mit Aggressionen und Konflikten 3,01 1,5 < < VT
Entwertende Patienten 2,89 1,43 <
Dominierende Patienten 2,81 1,35 < <
Umgang mit negativen Übertragungsreaktionen 2,70 1,46 < VT/PD
Umgang mit vereinfachenden/raumgreifenden Patienten 2,67 1,43 <
Arbeit mit Patienten mit niedrigem Strukturniveau 2,65 1,55 < PD
Traumatische Vorerfahrungen, Traumageschichte 2,52 1,52 < VT
Unmotivierte Patienten 2,48 1,48 < < VT
Umgang mit Gegenübertragung 2,42 1,54 < < PD/VT
Sozialmedizinische Problempatienten 2,25 1,52
Umgang mit Schweigen und Widerstand 2,22 1,61 < < PD
Sündenbockphänomen 2,20 1,43 < <
Verbinden der Anliegen des Einzelnen und der Gruppe 2,16 1,47 < <
Aktivierung passiver Mitglieder 2,10 1,52 < < VT
Vermeidung von Einzeltherapie in der Gruppe 2,02 1,48
Motivation zu konstruktivem Feedback 1,93 1,38 < <
Kombination Einzel- und Gruppentherapie 1,91 1,59
Indikationszweifel Einzel vs. Gruppe 1,68 1,49
Hilfe beim Formulieren von Anliegen Einzelner 1,62 1,23 <
Männer für Gruppen motivieren 1,60 1,45
Verlassen der Gruppe während der Sitzung 1,53 1,37
Angst des Gruppenleiters 1,48 1,46 <
Gruppenregeln, Rahmen 1,37 1,33 <
Einführung neuer Patienten, Abschiede 1,28 1,31 <
Gruppen auf Akutstationen 1,24 1,48
Beendigung v. Gruppen 1,05 1,19

* < = sign. Unterschied (t-Test): geringerer Bedarf bei Ausgebildeten; ** < sign. Unterschied (t-Test): geringerer Bedarf bei Ärzten; *** Nur Themen mit signifikanten Unterschieden zwischen Verfahren: VT = Verhaltenstherapie, PD = psychodynamische Therapie

3 Ausbildung – Fortbildung – Weiterbildung

In einem Themenheft der Zeitschrift »Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik« (2009) wird von den Autoren Hermanns, Mattke, Schultz-Venrath & Döring, Strauß & Mattke (alle 2009) die Frage aufgeworfen, ob die Weiterbildungs- und Fortbildungsprogramme hierzulande noch zeitgemäß, versorgungsrelevant und zielgruppengerecht gestaltet werden. Dies gilt im Übrigen nicht nur für stationäre Gruppentherapie, denn die genannten Institute bilden aus, weiter und fort auch für die gesamten Anwendungsbereiche von Gruppentherapie, also auch für das ambulante Spektrum. Ein einziges dieser Institute (GRAS) hat sich bisher für eine wissenschaftliche Untersuchung geöffnet (GRAS, vgl. Strauß & Kirchmann, 2004). Ein Ergebnis war, dass viele Teilnehmer angaben, sie würden in ihrer Selbsterfahrungsgruppe und in der Weiterbildung eher »zur Fortsetzung der psychoanalytischen Selbsterfahrung mit anderen Mitteln« teilnehmen, weniger zur Professionalisierung ihrer eigenen gruppentherapeutischen Kompetenz. Die Mehrzahl der Kandidatinnen und Kandidaten gab an, gar keine Gruppenbehandlungen durchzuführen bzw. durchführen zu wollen.

Wird die konzeptuelle Einsicht, dass stationäre Behandlung immer auch als Gruppentherapie zu verstehen ist, in den Instituten wirklich berücksichtigt?

Hermanns (2009) beispielsweise befasst sich in dem genannten Themenheft mit der Geschichte der Weiterbildungsinstitute für analytische Gruppentherapie in Deutschland und resümiert: »Das Praxismodell angewandter Gruppenanalyse als Block-Ausbildung hat ganz offensichtlich inzwischen seine selbständige Existenzberechtigung bewiesen und den ursprünglichen Charakter einer Notlösung verloren. Ob es allerdings als Vorbereitung für das Arbeiten mit eigenen kontinuierlichen Therapiegruppen besonders hilfreich ist, bedarf der weiteren Diskussion.« (Hermanns, 2009, S. 122)

Hermanns rekurriert hier auf die Geschichte der Gruppentherapien, insbesondere im Nachkriegsdeutschland und Österreich, die weitgehend von englischen Lehrtherapeuten vorangebracht wurde. Diese Kolleginnen und Kollegen kamen zu Blockveranstaltungen an Wochenenden oder wochenweise und deckten in zunehmend curricular organisierten Weiterbildungsprogrammen Gruppen-Selbsterfahrung, Supervision und Theorie ab.

Schultz-Venrath und Döring (2009) beschreiben die Geschichte dieser Weiterbildungsinstitutionen als um einen »Gründungsmythos« gruppiert. In ihrer Kommunikation untereinander würden »Dialekte« verwendet, die sich auf die jeweiligen Gründungsmütter und -väter beziehen. Die Institutionen hätten sich wissenschaftlich zunehmend isoliert.

Es gibt allerdings noch einen Grund für die Präferenz überregionaler Aus-, Fort- und Weiterbildungsprogramme: Persönliche Öffnung im Selbsterfahrungsteil der Programme ist in der Gruppe mit Kolleginnen und Kollegen der näheren Umgebung tatsächlich erschwert. In überregionalen Programmen aber eher sogar beliebt, manchmal regressiv genossen. Man wohnt für die Woche oder das Wochenende im gleichen Hotel oder Tagungszentrum, und die Selbsterfahrung geht weiter wie in einer stationären Behandlung. Insofern ähneln sich die Kontexte, und das könnte dem Ausbildungsziel auch nutzen. Nur, wie ein Kollege es einmal formulierte: »Das sind dann eher Gruppen für intelligente Neurotiker und schwer übertragbar auf lebenswirkliche Behandlungskontexte in unseren Kliniken.«

Die mangelnde Relevanz dieser Weiterbildungsprogramme für die Versorgung wird im Editorial zum genannten Themenheft akzentuiert (Mattke, 2009) mit der Frage: »Lässt sich möglicherweise das für die Selbsterfahrung erprobte Gruppenmodell gar nicht auf zeitgemäße Versorgungsmodelle in Ambulanzen und Kliniken übertragen?«

4 Bedeutungsverlust der Gruppen

Oliver König (2011) und andere Autoren aus der Sozialwissenschaft haben in den letzten Jahren eingehend auf den »Bedeutungsverlust« von Gruppen im Allgemeinen und der Gruppentherapie im Besonderen hingewiesen. Die gruppentherapeutische Fachöffentlichkeit hat bisher nur wenig dazu Stellung genommen. Abgesehen von den wenigen in diesem Buch zitierten Arbeiten fehlen bisher Publikationen, die die aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskurse aufgreifen.

Andererseits ist in den sozialwissenschaftlichen Communities die aktuelle, sich rasch ändernde Kliniklandschaft einerseits und die ambulante Welt andererseits nicht so präsent. Auch die im Folgenden ausführlich zu beschreibenden Dilemmata und Komplexitäten der Aus-, Fort- und Weiterbildungsstrukturen sind wenig bekannt.

Der Bedeutungsverlust von Gruppen könnte sich auch darin spiegeln, dass in der Gruppen-Community selber die Professionalisierung auf dem Stand der 1970er-Jahre stehen geblieben ist. So diskutiert König (2011) u. a. die These: »Die Gruppenverfahren gehen an ihrem Unvermögen ein, sich den Erfordernissen veränderter gesellschaftlicher Bedingungen anzupassen und sich zu modernisieren.« Richters Bestseller »Die Gruppe« (1972) konnte noch für die Gruppe und sein Buch werben mit dem Untertitel: »Hoffnung auf einen neuen Weg, sich selbst und andere zu befreien.« Das war weniger gruppentechnisch gemeint, eher soziologisch mit Thematiken wie »Die Krise des Individuums und die soziale Rolle der Psychoanalyse«, um »Elterngruppen«, »Initiativen in Ghettos«, um »Das sozialistische Patientenkollektiv Heidelberg«.

Gruppenpsychotherapie war in dieser Zeit im ambulanten Bereich eine feste Größe. Ziemlich konstant bis Mitte der 1980er-Jahre waren ca. 10 Prozent aller ambulanten psychotherapeutischen Leistungen gruppenpsychotherapeutische. Der Abfall auf heute ca. 1 Prozent wurde lange Zeit mit dem ebenfalls fallenden Honorar begründet. Dies ist inzwischen ausgeglichen durch eine deutliche Anhebung auf die Hälfte einer Einzelsitzung, multipliziert mit der Anzahl der jeweiligen Gruppenteilnehmer. Es wurde die Koppelung wieder eingeführt, dass bei jeder Honoraranhebung, die im Bewertungsausschuss der Bundes-KV vorgenommen wird, die Gruppentherapie-Bewertung mit der Einzeltherapie-Bewertung entsprechend angehoben wird. (Derzeit ab Januar 2015 ergeben sich für EBM 35 2002, 35 203, 35 211 jeweils € 41,81 bei 100 Minuten Sitzungsdauer und für EBM 35 222 und 35 224 jeweils € 21,06 für 50 Minuten Sitzungsdauer.)

Zwischenzeitlich steht sogar in der Koalitionsvereinbarung von 2014 , dass Gruppentherapie zu fördern ist.

Trotzdem entsteht der Eindruck, dass diese Leistung womöglich nur noch von vergleichsweise wenigen Enthusiasten auf dem Gebiet angeboten wird. Walendzik et al. (2011) fanden in einer Erhebung zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung, dass 24,2 Prozent aller befragten Psychotherapeuten eine Abrechnungsgenehmigung für Gruppentherapie innehaben, aber nur knapp ein Drittel davon tatsächlich Gruppenpsychotherapie anbietet. Bezogen auf alle in dieser Studie befragten Psychotherapeuten waren es nur 7,7 Prozent, die gruppenpsychotherapeutische Behandlungen in ihrem Praxis-Angebot haben. Interessanterweise waren auf dem Land niedergelassene Psychotherapeuten die mit Abstand aktivste Gruppe im Hinblick auf Gruppenpsychotherapien. Die Autoren der Befragung begründen dies mit einem außergewöhnlich starken Versorgungsdruck außerhalb der großen Städte.

Der Psychotherapieforscher Weber (2012) nennt vielfältige mögliche Gründe, die davon abhalten würden, Gruppen anzubieten: »der hohe zeitliche Aufwand in der Antragsstellung, räumliche Hindernisse und lange Wartezeiten für motivierte Patienten«. Ganz anders ist die Situation im klinischen stationären und teilstationären System. Hier argumentiert beispielsweise Baarghan (2009, S. 83 f.): »Insgesamt überwiegen gruppentherapeutische Behandlungen im Vergleich zu einzeltherapeutischen Behandlungen.« Auf dieses Versorgungssystem fokussiert unser Buch mit der These, dass die Gruppen-Community hierzulande die Ausdifferenzierung der Gruppenverfahren überhaupt und insbesondere zwischen ambulanten und stationären/teilstationären/rehabilitativen Kontexten bisher nicht vollzogen hat. Fast könnte man von einem kontrafaktischen Festhalten an sozialhistorischen Gegebenheiten der 1970er-Jahre sprechen.

Aus-, Fort- und Weiterbildungsprogramme, obwohl – wie ausgeführt – dringend reformbedürftig, können und werden verständlicherweise nicht sogleich umgestellt werden. Ein Problembewusstsein im dreigliedrigen System der entsprechenden Programme könnte sich die »Supervision« betreffend entwickeln. Dies ist durchaus jetzt schon der Fall. Nur wird darüber noch eher wenig gesprochen oder gar publiziert. Dazu würde dann auch eine Professionalisierung der Supervisionstheorie und Supervisionstechnik selbst gehören (Rappe-Giesecke, 2009). Darum an dieser Stelle ein kurzer Abriss zu einer zeitgemäßen Supervisionskunde.

5 Die Supervision in der Aus-, Fort- und Weiterbildung zum Gruppenpsychotherapeuten

Für die therapeutische Leitung einer Gruppe muss eine ganz spezifische Haltung erlernt werden, wie beispielsweise ein Gefühl für die Gruppe als Ganzes, ebenso wie spezielle Leitungstechniken. Je nach Zusammensetzung der Gruppe, nach sozialem Ort der Gruppe (Klinik, Tagesklinik, freie Praxis) muss ein Gruppentherapeut gruppendynamische Grundregeln kennen. Die Gruppendynamik lehrt, dass eine Gruppe mehr ist als die Summe ihrer Teile. Jeder Gruppentherapeut ist also mit einer Überkomplexität konfrontiert, die er lernen muss zu reduzieren, um wahrnehmend und intervenierend tätig werden zu können (siehe hierzu König S. 197 ff., der dazu den Machtbegriff einführt). Er ist darüber hinaus bei allem Tun und Nicht-Tun immer sichtbar in Mimik, Gebärden, Gesten und Haltungen. Gruppe ist ein halböffentlicher Raum, in dem gelacht, geweint, gesprochen, geschwiegen, verschwiegen, bewusst und unbewusst interagiert wird wie in einem Saal voller Spiegel (Foulkes). Dies kann durchaus für Anfänger wie auch für »Profis« immer wieder beängstigend sein und Schamprozesse triggern.

Ein typisches Problem bei der Ausbildung (Weiterbildung) zum Gruppenpsychotherapeuten besteht darin, dass das bisher Gelernte, z. B. die Arbeit und Haltung als Einzeltherapeut, zumeist nicht weiterhilft. Insofern ist verständlich, dass immer wieder versucht wurde, das Erlernen von Haltung und Interventionstechnik als Gruppentherapeut als eine eigenständige Ausbildung mit dem entsprechenden berufsrechtlich verankerten Abschluss zu etablieren. Letztlich sind dies zwar fachlich wie inhaltlich durchaus begründbar nachvollziehbare, aber leider illusorische Projekte, bei denen sozialrechtliche und klinische Realitäten nicht genügend beachtet werden.

Als Beispiel für ein gruppenpsychotherapeutisch konzipiertes Weiterbildungscurriculum findet sich in der Literatur die Arbeit von Brockhaus et al. (2005): »Wie vermittelt man Gruppenanalyse? Oder: Gruppenanalyse im gesellschaftlichen Kontext – ein Weiterbildungsprojekt.« Hier werden anschaulich »Wechselwirkungsprozesse« in der Dreigliedrigkeit des Weiterbildungsprogramms zwischen den Teilen Theorie, Selbsterfahrung und Supervision beschrieben. Was Gruppentherapeuten lernen, verdichtet sich inhaltlich (Theorie) und erfahrungsgeleitet (Selbsterfahrung) in der Supervision der ersten selbstgeleiteten Gruppenbehandlung. Diese wird zu einem zentralen Raum: Supervision der eigenen Gruppenbehandlung in einer Supervisionsgruppe. Im Prinzip geht das auch im Einzelsetting, allerdings ist der Supervision in der Gruppe der Vorzug zu geben.

Gruppe und Supervision

Neben der Kritik am Selbsterfahrungsteil im Format der blockweisen Organisation der Weiterbildungsgänge zur Qualifizierung in Gruppentherapie gibt es eine wachsende Literatur, die das Element »Supervision« in der strukturellen Trias der Weiterbildungsgänge untersucht (siehe hierzu Themenheft Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik 2006 und 2009).

Das nach seinem Entwickler Michael Balint benannte methodische Arbeiten in Gruppen wird als eine der Wurzeln von Supervision angesehen. Michael Balint brachte bereits in den 40er-Jahren Sozialfürsorgerinnen und später auch Ärzte in Gruppen zusammen. Balint wollte in seinen Gruppen mit Ärzten diesen die Entwicklung von der »Organmedizin« zur ganzheitlichen Medizin vermitteln (Professionsentwicklung), zum anderen die Ärzte trainieren, ihre Person und ihre Gefühle in der Behandlung von Patienten als Instrument einzusetzen (Methodenentwicklung).

Wie ein Prisma das weiße Licht in Farben zerlegt, spiegelt die entsprechend geleitete Supervisionsgruppe die vielfältigsten Beziehungsaspekte der Therapeut-Patienten-Beziehung. Für viele Ärztinnen und Ärzte bzw. Therapeutinnen und Therapeuten ist es immer wieder ein quasi entkrampfendes Erlebnis, von Kollegen nicht nur abgefragt und kontrolliert zu werden, sondern zu erleben, wie im Behandlungsraum Beziehungsarbeit mitläuft, die nicht als störend herausgehalten werden muss. Ganz im Gegenteil: Die im Objekt (beim Patienten) gefangen gehaltenen eigenen Gefühle (des Therapeuten) können die professionelle Performance und damit die Behandlungsergebnisse ganz erheblich verändern und verbessern. Dies ist das »Proto-Modell« von Supervision im Gruppenkontext.

Der Gruppenvorteil in Supervisionen

Der »Gruppenvorteil« in Supervisionen wird historisch einerseits durch die andauernde Erfolgsgeschichte der Balint-Gruppen belegt, andererseits durch den Eintritt der angewandten Gruppendynamik in die Supervisions-Szene. Gruppendynamiker waren es dann auch, die unser Augenmerk auf die institutionellen Rahmenbedingungen lenkten, in denen supervidierte Gruppen stattfinden (siehe ausführlicher dazu die Arbeiten von König in diesem Buch sowie Haubl [2012]). Die Sozialpsychologie von Gruppen ist neben der Interventionslehre und der Theorie von spezifischen Gruppenwirkfaktoren Hauptbestandteil der Theorieteile in den Curricula Supervision, zwar auch im Einzelsetting, vor allem aber, wenn sie in Gruppen stattfindet, fokussiert auf:

  • die zu supervidierende Person (Gruppentherapie Lernende),
  • die Therapiegruppe, mit der die lernende Person zur Supervision kommt,
  • das soziale System, in dem der zu supervidierende Prozess sich ereignet (Ausbildungssystem bzw. Fort- oder Weiterbildungssystem, Klinik, Tagesklinik).

Im Unterschied zur Supervision im Einzelsetting ist in der Gruppensupervision die Verknüpfung von individuellen und sozialen Reflexionen zum Fall möglich und erforderlich. Es ist eine soziale Reflexion, wenn sich die Supervisanden in der Supervisionsgruppe über die zunächst noch latente Struktur und Dynamik ihres Supervisionssystems verständigen. Diese Selbstverständigung schließt alle Mitglieder der Supervisionsgruppe, also auch die Leitung, mit ein. Ihre Funktion ist es, Daten über das System zu bekommen, das nicht direkt beobachtet werden kann. Aber, so die Hypothese: Innerhalb des informationsverarbeitenden Systems Supervisionsgruppe werden die Interaktionen aus der zu supervidierenden Therapiegruppe, über die in der Supervisionsgruppe berichtet wird, gespiegelt und reinszeniert (Fallmaterial und Theorie dazu u. a. bei Mattke, 2006; Rappe-Giesecke, 2009; Möller, 2003).

Ausbildungs- versus berufsbegleitende Supervision

Um Ausbildung geht es in der Supervision, wenn Psychotherapeuten die Behandlungsmethode »Gruppenpsychotherapie« erlernen wollen. Berufsbegleitende Supervision findet in diesem Kontext insofern statt, als die Lernenden nach dem augenblicklichen Stand der Ausbildungsbestimmungen u. U. eine abgeschlossene Einzeltherapieausbildung absolviert haben und bereits einzelpsychotherapeutisch oder in ihrem Grundberuf als Psychologen oder Ärzte therapeutisch tätig sind. Sie erlernen zwar eine neue Methode, werden aber nicht für einen neuen Beruf ausgebildet. Wir sprechen dann von »Ausbildungssupervision«, wenn Gruppentherapie in einem Curriculum mit den Teilen Selbsterfahrung, Supervision, Theorie erlernt werden soll. Von »berufsbegleitender Supervision« dann, wenn nach Abschluss des Ausbildungscurriculums zum Gruppentherapeuten die therapeutische Tätigkeit in einer Gruppe supervidiert wird.

Nicht selten ist die Reihenfolge aber zunächst umgekehrt: Durch die Teilnahme an einer Balint-Gruppe oder einer Teamsupervision wird der Wunsch nach einer eigenen Gruppenpsychotherapieausbildung geweckt. In diesen Fällen geht die Teilnahme an einer berufsbegleitenden Supervision der Teilnahme an einer Ausbildungssupervision voraus.

Ausbildungssupervision ist in der Regel eingebettet in ein übergreifendes Ausbildungssystem. Es geht darum, die Behandlungsmethode »Gruppenpsychotherapie« und damit verbunden eine bestimmte professionelle Rolle (Haltung) zu erlernen. In der Ausbildung zum Gruppentherapeuten begleiten erfahrene Kollegen/Gruppenlehrtherapeuten die Auszubildenden in deren beginnender professioneller Praxis. Hier spielt es dann eine eminent wichtige Rolle, an welchem sozialen Ort die erste selbstgeleitete Gruppentherapie stattfindet. Der soziale Ort gehört zu den strukturellen Faktoren nach einem Schema, das ich später illustrieren werde.

Ziel von Ausbildungssupervision ist es:

  • die Methode zu erlernen,
  • den Professionalisierungsprozess zu begleiten,
  • die Entwicklung einer neuen professionellen Identität (Haltung) zu fördern.

Ein typisches Problem bei der Ausbildung zum Gruppenpsychotherapeuten besteht darin, dass zunächst eine Überidentifizierung mit dem neuen »Gruppentherapielernen« bestehen kann. Damit verbundene Irritationen und Verunsicherungen werden z. B. von Haubl (2005) beschrieben, der sich auf eine der wenigen empirischen Arbeiten zu Professionalisierungsprozessen von Gruppentherapeuten stützt (Tschuschke & Greene, 2002).

Haubl kommentiert ausführlich den Befund von Tschuschke und Greene, dass bei idealisierten Lehrgruppenleitern besser gelernt wurde. Diese wurden als kompetenter wahrgenommen und ihnen wurde mehr »Macht und Kontrolle« eingeräumt. Haubl problematisiert anhand dieser Ergebnisse die Identifikationsdynamik in Ausbildungssystemen. Er weist darauf hin, dass Identifikation auch ein Abwehrmechanismus gegen Ohnmachtsgefühle sein könne. Wo eine solche Identifikation mit einem Aggressor vorliege, bleibe die Identitätsentwicklung stecken.

Der Autor untersucht dann Identifikationsdynamiken anhand eines Modells von Habermas. Habermas unterscheidet eine präkonventionelle, eine konventionelle und eine postkonventionelle Identifikationsformation. Und wieder spielt der soziale Ort, an dem die eigene Praxis und Praxisbegleitung in der Supervisionsgruppe stattfindet, eine wichtige differenzierende Rolle. Kann und muss ich meine Gruppe – wie in einer eigenen Praxistätigkeit – selbst zusammenstellen? Oder bin ich – wie im Übrigen meine Gruppenpatienten auch – abhängig von strukturellen und konzeptuellen Rahmenbedingungen einer Klinik oder Tagesklinik? Oder im Slang der nordamerikanischen Gruppen-Community: Bin ich mit meinen Patienten in einer »Captive Group«?

Präkonventionelle Identifikation liegt vor, wenn wir mit signifikanten personalen Vorbildern identifiziert sind. Lehrtherapeuten, besonders wenn die supervidierte erste eigene Therapiegruppe im Einzelsetting begleitet wird, können sich zur Identifikation anbieten. Wenn wir »es so machen wie er/sie, dann wird es schon klappen«, beispielsweise mit der Zusammenstellung der ersten eigenen Gruppe: notabene ist das überhaupt nur möglich in der eigenen Praxis. Vor allem Praxisanleitung wird nachgefragt und gegeben, und es wird oft nicht hinterfragt bzw. thematisiert, wie der Rollenwechsel vom Einzel- zum Gruppentherapeuten sich ausgestaltet, welche Ängste und Ideale die anfängliche Rollenfindung begleiten.

Konventionelle Identifikation liegt vor, wenn ein erster Schritt zur Entpersonalisierung getan wird. Im Vordergrund steht nicht eine Identifikation mit dem Lehrer, sondern eine Identifikation mit den Lehrinhalten, d. h. mit den Theorien und Normen eines Ausbildungssystems oder einer bestimmten gruppentherapeutischen Schule und Veränderungstheorie.

Postkonventionelle Identifikation liegt vor, wenn sich die Identifikation auf den Diskurs über bestimmte Theorien und Normen erstreckt. Die Teilnahme an diesem Diskurs findet nicht in persönlichen Beziehungskontakten statt, sondern durch Beiträge auf Kongressen und in Zeitschriften, die über Kontroversen die Entwicklung der Theorien und Normen des Faches vorantreiben. Postkonventionelle Identifikation kann sich auch in einer berufsbegleitenden Gruppensupervision ereignen. Es ist hier zu bedenken, welchen Unterschied es macht, wo supervidiert wird und aus welchem Setting die supervidierte Gruppe stammt.

Die Teilnahme an einer Selbsterfahrungsgruppe vor der Therapieausbildung stellt einen typischen Ort präkonventioneller Identifikationsentwicklung dar. Eine eindrucksvolle Kasuistik zu dieser Dynamik liefert uns Irvin Yalom (2005) in seinem Roman »Die Schopenhauer-Kur«: Zwei Mitglieder einer Therapiegruppe, die von einem an Krebs erkrankten Analytiker geleitet wird, der nur noch ein Jahr zu leben hat, beginnen nach dessen Tod eine Ausbildung zum Gruppentherapeuten. Und nicht nur das: Die Schilderung ihrer gruppentherapeutischen Arbeit lässt keine Zweifel daran, dass sie die professionelle Haltung und die Methoden ihres verstorbenen Gruppenleiters tradieren wollen.

Als Ort konventioneller professioneller Identitätsentwicklung kann die Gruppensupervision im Rahmen eines Ausbildungssystems gesehen werden und als Ort postkonventioneller Identifikationsentwicklung berufsbegleitende Supervision nach der Graduierung als Gruppentherapeut, z. B. in Teamsupervisionen, frei gewählten Supervisions- oder Intervisionsgruppen, gruppentherapeutischen Fallseminaren, durch Lektüre oder auf Kongressen.

Insbesondere in Ausbildungssupervisionen geht es zunächst um die Anwendung von Wissen, das in den Theorieseminaren des Ausbildungscurriculums gelehrt wird. Die beiden Teile des Curriculums »Selbsterfahrung« und »Instruktion« (Theorieseminare) werden in der Gruppensupervision systematisch miteinander verknüpft. Die Verknüpfung erfolgt meistens in einem Wechselschritt: Es wird über problematische Situationen aus der professionellen Praxis der Lernenden berichtet, und es kann sich zunächst die Dynamik einer Selbsterfahrungsgruppe entwickeln.

Meist erst im zweiten Schritt wird versucht, aus dem sich entwickelnden Prozess in der Gruppe Maximen für professionelles Handeln mit der zu erlernenden Methode abzuleiten. Wobei zum Erlernen der neuen professionellen Rolle mit der neuen Methode immer auch die mitlaufende soziale Selbstreflexion gehört, dass die Anwendung sich ereignet in einem Rahmen von sozialpolitischen Regularien, die von außen gesetzt sind: Instruktion dazu in den Theorieseminaren.

Fallmaterial zur Frage der Differenzierung zwischen Selbsterfahrungsgruppe, Supervisionsgruppe und Theorievermittlung findet sich bei Brockhaus et al. (2005): Zum Beispiel wurde in einem Seminar zur Theorie von sozialen Gruppen die Teilnehmergruppe des Curriculums als soziale Gruppe thematisiert. Es entwickelte sich eine heftige Dynamik, gespeist teilweise aus den Erfahrungen in den Selbsterfahrungsgruppen des Curriculums, teils aus den Erfahrungen in den Supervisionsgruppen, teils auch eine Reaktion auf die Gesamtorganisation des Curriculums. In diesem Beispiel wird die Verschränkung zwischen Selbsterfahrung und Instruktion illustriert. Die Supervisionsgruppe könnte hier als Schnittstelle und Drehscheibe zwischen Instruktion und Aufnahme von Wissen einerseits und selbstanzueignenden Erfahrungsprozessen andererseits fungieren.

Lernprozesse an dieser Schnittstelle zu begleiten, ist eine primäre professionelle Aufgabe für die Leitung von Supervisionsgruppen. Denn die Verarbeitung von neuem Wissen kann einen psychodynamischen Prozess auslösen, der häufig unterschätzt wird (siehe oben die sozialwissenschaftlichen Überlegungen dazu von Habermas).