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Hans Bentzien

Bruder Martinus

Doktor Martin Luthers Leben und Werke in seinen jungen Jahren mit vielen Zeugnissen von ihm und seinen Zeitgenossen, Freunden und Feinden

ISBN 978-3-95655-449-0 (E-Book)

 

Die Druckausgabe erschien erstmals 1983 in DER KINDERBUCHVERLAG BERLIN

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta unter Verwendung des Bildes „Luther verbrennt die Papstbulle“ von Paul Thumann

 

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Die Kinderjahre

Die wittenbergische Nachtigall,

die man jetzt höret überall

 

Wacht auf, es naht der helle Tag!

Ich höre singen im grünen Hag

Eine wonnesame Nachtigall,

Und Berg und Tal durchdringt ihr Schall.

Im Osten ist, indes die Nacht

sich westwärts neigt, der Tag erwacht;

Das Morgenrot, ein Flammenmeer,

Zerteilt die Wolken ringsumher,

Und flüchtend vor dem Sonnenlicht

Verbirgt der Mond sein Angesicht.

 

Dieses Gedicht, eines der schönsten in deutscher Sprache, hat der Nürnberger Schuhmacher Hans Sachs im Jahre 1523 geschrieben. Mit der wittenbergischen Nachtigall meinte er Martin Luther, der zu dieser Zeit auf der Höhe seines Kampfes gegen die römisch-katholische Kirche stand.

In diesem Buch soll erzählt werden, wer das war: Martin Luther, Bruder Martinus.

 

„Ich bin ein Bauernsohn; der Urgroßvater, mein Großvater, der Vater sind richtige Bauern gewesen. Ich hätte eigentlich wie jener [gemeint ist sein Freund Philipp Melanchthon] sagte, ein Vorsteher, ein Schultheiß und was sie sonst im Dorf haben, irgendein oberster Knecht über die anderen werden müssen. Danach ist mein Vater nach Mansfeld gezogen und dort ein Berghäuer geworden. Dorther bin ich.“

Die Luthers waren kleine Bauern, jedoch waren sie in den Thüringer Dörfern in einer besseren Lage als ihre Klassengenossen in den anderen Landesteilen, denn hier hatten die Bauern noch ein größeres Maß an Selbstständigkeit. Ihre Äcker waren sogenannte Erblehen. Für ihre Nutzung mussten sie an den Landbesitzer, den Kurfürsten, Zins zahlen: einen Gulden für jedes Gespann Zugvieh, gleich ob es Ochsen oder Pferde waren. Das war nicht wenig, aber es war zu ertragen, wenn man gut wirtschaftete.

Den Bauern in den anderen Landesteilen ging es weit schlechter. Im Laufe der vergangenen Jahrhunderte hatten ihnen die Ritter, die Adligen, den Boden geraubt. Stück für Stück eigneten sie ihn sich an und wurden zu Gutsbesitzern. Landsknechte verrichteten dies Geschäft für sie, abhängige Richter hatten den Raub zu einer gesetzlichen Handlung erklärt, und so bearbeitete der Bauer das Land, pflegte das Vieh, den Wald und die Seen, aber fast die ganze Ernte musste er dem Adligen abgeben, zu wenig blieb für ihn und seine Familie.

Von einem Landstück, einer Hufe, das ein Bauer von einem Kloster gepachtet hatte, sind uns folgende jährliche Abgaben bekannt: ein Frischling, fünf Hühner und zehn Eier. Vier Schweine musste er für das Kloster mästen, ein halbes Ackerfeld pflügen, wöchentlich drei Tage Frondienst und weitere Hilfsarbeiten mit einem Pferd leisten; seine Ehefrau musste ein Leinen- und ein Wollstück abliefern, Malz bereiten und Brot backen. Die im Einzelnen verlangten Leistungen waren so vielfältig wie die landwirtschaftliche Produktion und ihre Produkte.

Die Kirche, die in jedem Dorf einen Pfarrer hatte, verlangte von allem den Zehnten, den zehnten Teil der Ernte.

Für die kleinsten Vergehen wurden hohe Strafen ausgesprochen. Wurde ein Bauer beim Holzsammeln im Wald ertappt oder fing er ein paar Fische im Bach, musste er eine Geldstrafe zahlen, konnte er ausgepeitscht oder eingesperrt werden. Er war ein Leibeigener geworden. Doch die Zeit, da der Bauer frei war, lebte in den Erinnerungen fort, und immer wieder traten die Bauern zum Kampf gegen die Leibeigenschaft und für ihre Freiheit an.

Einige Jahre vor Luthers Geburt erhoben sich im Schwarzwald die Bauern zu einem Aufstand. Ihr Führer, Pfeiferhänslein, wurde 1476 auf dem Scheiterhaufen verbrannt, aber die Kunde vom Aufruhr lief durch die Lande, und es bildete sich eine geheime Bauernorganisation, der Bundschuh. Heimlich versammelten sich seine Anhänger, schickten Sendboten in andere Dörfer und Gegenden, stellten Waffen her und vergruben sie für den großen Kampf, der bald kommen musste. Im Land gärte es unter der Bauernschaft.

Obgleich es den Eltern Martin Luthers besser ging als den Bauern allgemein, mussten sie ihr Möhra, bei Eisenach, verlassen. Das Dorf lebte nach Gesetzen, die sich die Bauern selber gegeben hatten. Sie wählten ihren Bürgermeister, den Schultheiß, selber und auch die anderen Beamten, zum Beispiel den Verwalter der Gemeindekasse. Sie hatten festgelegt, dass die kleinen Höfe nicht weiter geteilt werden durften, denn dann reichten die Erträge nicht mehr aus, die Familie zu ernähren und die Steuern zu zahlen. Auch der Anteil an den Gemeindewäldern, -feldern und -gewässern, deren Erträge allen zugutekommen, würde für den einzelnen Hof immer geringer werden. Schließlich würden die ärmsten Bauern ihre Familie nicht mehr ernähren können. Doch wo konnten sie etwas hinzuverdienen?

Großvater Heine Ludher hatte vier Söhne. Der jüngste Sohn erbte den Hof, und die älteren Söhne mussten woanders ihr Glück versuchen. Martin Luthers Vater Groß-Hans musste den Hof des Großvaters 1483 verlassen. Sein Weg führte ihn nach Eisleben. In den Kupfergruben rings um Möhra, seinem Heimatdorf, hatten ihm die Bergleute erzählt, dass der Bergbau bei Eisleben für einen jungen, strebsamen Mann gute Arbeit böte. Dorthin lenkten Groß-Hans und seine Frau Margarethe ihre Schritte; ihr erstes Kind, ein Sohn, lag auf dem kleinen Wagen.

Der Bergbau war einer der Industriezweige, die sich in den letzten zweihundert Jahren stetig entwickelt hatten. Viele neue Gewerke waren entstanden; neben dem Handwerk der Eisenschmieder die Gold- und Silberschmiede, die Gewerke der Kupferstecher, Waffenschmiede, Medaillierer und Buchdrucker. Sie alle und noch viele andere brauchten Rohstoffe, und die lagen im Berg und mussten von den Bergleuten gehoben werden. So gingen viele Bauernsöhne in die Industriegebiete und wurden Arbeiter und Handwerker.

Die neuen Waren wurden in alle Gegenden verschickt. So erweiterte sich auch der Handel kräftig. Die alten Handelswege von Süden nach Norden und von Osten nach Westen liefen durch Deutschland. Sie wurden ausgebaut, und neue Straßen kamen dazu. Augsburg, Nürnberg, Erfurt, Köln und andere Städte, die an diesen Straßen lagen, wurden reich.

Als Hans Luther sich eine Bleibe in Eisleben suchte, wurde ihm dort der zweite Sohn, den er nach dem Tagesheiligen Martin nannte, geboren. Es war am 10. November 1483. Doch die Luthers fanden in Eisleben keine ausreichende Existenz, im Frühjahr des nächsten Jahres zogen sie weiter, in das Zentrum des Bergbaus dieser Gegend, nach Mansfeld. Die Kupfergruben und -schächte gehörten den Grafen, die Fundstellen an Handwerker verpachteten. Hier arbeitete der Vater Martins als Berghauer, er ist also für diese Zeit ein treffendes Beispiel für die Verwandlung der Bauern in Arbeiter. Nach sieben Jahren hatte er so viel gespart, dass er sich an einer Genossenschaft beteiligen konnte. Diese Genossenschaften waren damals recht zahlreich. Obwohl sie klein waren, vereinigten sie doch die Kraft mehrerer Gesellen, und so konnten sie den Erzbergbau günstiger betreiben. Doch Vater Hans wollte mehr. Er tat sich mit einem anderen Bergmann zusammen und lieh sich bei einem Kupferhändler aus Mansfeld Geld. Er pachtete sogar eine kleine Hütte zur Erzverarbeitung. Das Geld musste er natürlich pünktlich zurückzahlen, und so wurde alles, was einkam, weggelegt. Sehr, sehr wenig blieb zum Leben.

Martin verlebte eine harte Jugend, da es an allem in der Familie mangelte. Der Vater wollte in möglichst kurzer Zeit das Darlehen zurückzahlen, um unabhängig zu werden. Fast zwanzig Jahre brauchte er, dann hatte er es zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Bis dahin war es weit: „Meine Eltern waren zuerst arme Leute. Die Mutter hat all ihr Holz auf dem Rücken eingetragen. Sie haben harte Arbeit ausgestanden, dergleichen die Welt jetzt nicht mehr erträgt.“ Man kann sich vorstellen, was Martin meinte, wenn man bedenkt, dass er wahrscheinlich noch neun Geschwister hatte, man weiß das nicht genau, von denen eins ganz jung gestorben ist. Schließlich wurde sein Vater zu einem Kleinunternehmer, der aus bescheidenen Anfängen zu einem kleinen Vermögen kam. Als er 1534 starb, hinterließ er der Familie 1250 Gulden und Vermögensanteile an acht Kupferschächten und drei Hütten.

Der kleine Martin kannte schon viele wichtige Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens: Das Tagwerk der Bauern und der einfachen Handwerker, er wusste vom Leben der Grafen und der Hüttenarbeiter, er hörte von Geldverleihern und armen, besitzlosen Gesellen, von Fahrenden und Bettlern, die sich in den Städten ansammelten, weil sie in den Dörfern nicht bleiben konnten.

Als Luther fünf Jahre alt war, schickten ihn seine Eltern in die städtische Lateinschule.

Schon im Elternhaus war er sehr streng erzogen worden. Wir können es uns vorstellen: Der Zwang zur Sparsamkeit und die vielen Kinder ließen die Eltern manchmal zu harten Maßnahmen greifen. „Meine Mutter stäupte mich um einer einzigen Nuss willen, bis Blut floss. Mein Vater stäupte mich einmal so sehr, dass ich ihn floh, und dass ihm bange wurde, bis er mich wieder an sich gewöhnte.“ Luther klagt über die Schläge und meint, dass die Eltern es nicht verstanden, das richtige „Verhältnis von natürlicher Anlage und Bestrafung einzuhalten“. Als er später über seine Jugend nachdachte, kam er zu einer für unser Verständnis seines weiteren Lebenswegs wichtigen Erkenntnis: „Durch diese strenge Zucht trieben sie mich schließlich ins Kloster; obwohl sie es herzlich gut meinten, wurde ich dadurch nur verschüchtert.“

In der Schule ging es ähnlich streng zu. Alle Jahrgänge saßen in einem Raum. So blieb dem einzigen Lehrer nichts weiter übrig, als den Kleinsten das Lesen und Schreiben beizubringen und gleichzeitig den Älteren die lateinische Grammatik einzubläuen. Außer dem Sprachunterricht wurde noch gesungen. Rechnen kannte man in den Schulen nicht, auch einen besonderen Religionsunterricht gab es nicht, denn der gesamte Schulstoff war religiös. In der Fibel standen die christlichen zehn Gebote, die Regeln des Betragens der Menschen untereinander: Du sollst nicht stehlen! Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten! Du sollst nicht töten! so lauteten die Texte. Wenn die Forderungen auch allgemein richtig waren und es auch heute noch sind, so regneten sie doch nur in Form von Verboten auf die Kinder herab. Es war eine primitive Paukschule, an die sich Martin ungern erinnert: „Es ist ein bös Ding, wenn Kinder ihren Eltern gram werden oder Schüler ihren Lehrern Feind sind. Denn viele ungeschickte Schulmeister haben feine Geister mit ihrem Poltern, Stürmen, Streichen und Schlagen verdorben. Es ist ein Teil der Lehrer so grausam wie die Henker. Ich wurde einmal vormittags fünfzehnmal gestäupt ohne jede Schuld, denn ich sollte deklinieren und konjugieren und hatte es doch noch nicht gehabt.“

Diese Schulausbildung dauerte acht Jahre. Wir dürfen nicht annehmen, dass Martin es besonders schlecht gehabt hat. Das Elternhaus und die Schule waren so, wie damals üblich. Doch ein „feiner Geist“ wie Martin litt unter der Paukerei, unter Stumpfsinn und Unrecht. So hat er es wohl freudig begrüßt, dass sein Vater einwilligte, ihn mit seinem Freund Hans Reinecke nach Magdeburg zu schicken. Dort besuchte er im Jahre 1497 die Klosterschule der „Brüder vom gemeinsamen Leben“. Diese Schule mag etwas besser gewesen sein, denn in den Klöstern, den Wohn- und Arbeitsstätten der Mönche, war damals das Wissen konzentriert. Sie verfügten über zahlreiche Bücher und zum Teil auch über gebildete Männer.

Die Schulverhältnisse waren wohl besser, aber Martin musste als Dreizehnjähriger für seinen Lebensunterhalt selbst sorgen. Ein Beamter des Magdeburger Erzbischofs, der aus Mansfeld stammte, nahm die Jungen in sein Haus, doch beköstigen konnte Paul Moshauer die beiden nicht. So bettelten sie mit anderen armen Jungen um ein Stück Brot, indem sie singend von Haus zu Haus zogen. Das war damals üblich, und Luther wehrte sich gegen eine Geringschätzung dieses Tuns: „Darum verachte mir nicht die Gesellen, die vor der Türe das ,Ein Brot um Gottes Willen!‘ sangen und den Brotreigen singen. Ich bin auch so ein Partekenhengst gewesen und habe das Brot vor den Häusern genommen.“

Alles schien fest gefügt. Oben saßen die großen Fürsten, die geistlichen und die weltlichen, mit dem Kaiser, dazwischen die mittleren Adligen und dann der niedrige Adel, die Gutsbesitzer, und die Ritter. Für sie alle mussten die Bauern produzieren, Geld und Waren herbeischaffen für ihre Ernährung, Kleidung und alles, was für ein Leben in Luxus nötig war.

Das Bürgertum in den Städten wurde mit dem wachsenden Handel immer vermögender und einflussreicher. Die mächtigsten Handelsherrn machten sogar den Kaiser und den Papst, aber auch Könige und Bischöfe von sich abhängig. Immer mehr Gold wurde gebraucht. Man holte es mit großen Schiffen aus Übersee, plünderte die Schatzkammern der Einheimischen, ihre Bergwerke und Minen. Auch in den Dörfern tauchten die Münzen auf, und wer sie hatte, konnte dafür kaufen, was er sich wünschte. Überall, in den Städten und Dörfern, in Schlössern und Klöstern suchte man möglichst viel davon zu erhaschen.

Hier in Magdeburg lernte Martin Menschen kennen, die Geld und Gut nicht wichtig nahmen, aber sich um ein zufriedenes Leben bemühten, das sie im Dienst an anderen Menschen fanden. In der italienischen Stadt Assisi hatte sich am Anfang des 13. Jahrhunderts der reiche Kaufmannssohn Franz entschlossen, seinem Hab und Gut zu entsagen und an Bedürftigen Dienst zu tun. Er und seine Anhänger lebten ganz anspruchslos, meistens als Krankenpfleger. Sie gründeten Spitäler und wuschen die Wunden der Kranken. Das war die Absage an eine Welt, in der Reichtum zur Schau gestellt wurde, in der Prunk und Spiele der Reichen ohne Rücksicht auf die Lage der Ärmsten große Summen verschlangen.

Einen solchen Anhänger der Lehre Franziskus’ lernte Martin in Magdeburg kennen, und dieser Mann mag auf ihn wohl einen tiefen Eindruck gemacht haben. Es war schon ein alter und gebrechlicher Mann, der da durch die Magdeburger Straßen zog und bettelte, ein ehemaliger Fürst, Wilhelm von Anhalt, der seine Besitztümer verlassen hatte und in den Franziskanerorden eingetreten war. Ihm diente er nun als Mönch. Bettelnd sammelte er Brot und Geld in einen Sack, den er auf seinem krummen Rücken trug. Er klagte nicht über das karge Leben, er war zufrieden mit seinem Dienst an den Armen, denen er das gesammelte Geld und das Brot gab und für sich selbst nur das Nötigste behielt.

Unter den vielen Orden der Kirche war der Franziskanerorden eine Ausnahme. Gewiss hatten auch alle anderen ihre Besonderheit, aber sie waren sich doch sehr ähnlich, denn sie hatten die gemeinsame Aufgabe, die Macht der Kirche zu stärken und ihren Reichtum zu mehren.

Die Kirche war der größte Grundbesitzer des Mittelalters. Wie die Gutsherren Steuern und Abgaben von den Bauern verlangten, so auch die Kirche, und der Zehnte kam noch dazu. Obgleich sie sehr reich war, langte das Geld nie, denn die vielen Bischöfe und Erzbischöfe, die Äbte, Priore und Prälaten hatten es sich angewöhnt, genau so üppig zu leben wie die weltlichen Feudalherren. Das rief den Hass des Volkes auf die Pfaffen hervor. Sie predigten ein bescheidenes Leben, hielten sich aber nicht daran. Anders stand es mit den Predigern in den Dörfern. Diese kamen aus den niederen Schichten, wurden am schlechtesten von der Kirche bezahlt und standen dem einfachen Volk am nächsten, kannten seine Sorgen und Armut, und oft genug ergriffen sie die Partei der Bauern und lieferten ihnen die Argumente im Kampf gegen den Adel. Viele von ihnen wurden verbrannt oder hingerichtet. Die Bauern wussten wohl zu unterscheiden zwischen denen, die für sie eintraten, und den Schindern und Schröpfern.

„Wie über den Fürsten und dem Adel der Kaiser, so stand über den hohen und niederen Pfaffen der Papst. Wie dem Kaiser der ,gemeine Pfennig‘, die Reichssteuern, bezahlt wurden, so dem Papst die allgemeinen Kirchensteuern, aus denen er den Luxus am römischen Hofe bestritt. In keinem Lande wurden diese Kirchensteuern - dank der Macht und Zahl der Pfaffen - mit größerer Gewissenhaftigkeit und Strenge eingetrieben als in Deutschland ... Mit den steigenden Bedürfnissen wurden dann neue Mittel zur Beschaffung des Geldes erfunden: Handel mit Reliquien, Ablass- und Jubelgelder usw. Große Summen wanderten so alljährlich aus Deutschland nach Rom, und der hierdurch vermehrte Druck steigerte nicht nur den Pfaffenhass, er erregte auch das Nationalgefühl, besonders des Adels, des damals nationalsten Standes.“ So beschrieb Friedrich Engels die Kirche am Ausgang des Mittelalters.

Vor der Erfindung des Buchdrucks hatte die Kirche das alleinige Vorrecht des Wissens, hatte ihre Mönche, die lesen und schreiben konnten, und solche, die eine höhere Ausbildung hatten. Überall saßen sie in den Ämtern und beeinflussten auch die weltlichen Behörden an den Höfen. Neuerdings kamen Juristen, die weltlicher Herkunft waren und den Bedürfnissen der Handelsbourgeoisie dienten, von den Universitäten. Allmählich drangen sie auch in die Ämter der Städte und Höfe vor. So merkte man, dass die Kirche überflüssig werden konnte, man brauchte sie nicht unbedingt. Allerdings waren das alles nur Anzeichen, noch war sie mächtig, die straff geleitete Kirche, und dank der Ehelosigkeit ihrer Priester war ihr Besitz, den sie erwarb, erpresste und eintrieb, unteilbar, ein unermesslicher Reichtum.

Martins Aufenthalt in Magdeburg dauerte nur ein Jahr, da beschlossen seine Eltern, den Jungen zu einer Tante der Mutter nach Eisenach zu geben. Deren Mann war der Küster der Nikolaikirche, Konrad Hutter. Die Eheleute nahmen ihn zwar anfänglich auf, konnten ihm aber für die Dauer kein Freiquartier geben. So musste er in den für arme Schüler eingerichteten Kammern in einer Schule oder einem Spital übernachten. Das Essen erbettelte er sich wie in Magdeburg durch Singen. Dabei fiel er der Frau des reichen Kaufmanns Heinrich Schalbe auf, die ihn zum Essen an ihren Tisch holte. Dafür musste er den kleineren Sohn beaufsichtigen und auch seine Schularbeiten kontrollieren. Das war eine Kleinigkeit für den Martin, und so hatte er, nachdem seine Verpflegungssorgen vorbei waren, mehr Zeit zum Lernen. Gewohnt hat er wahrscheinlich im Hause der Familie Cotta, die Ehefrau Ursula war mit den Schalbes verwandt. Das als Cottasches Haus bezeichnete schöne Gebäude in Eisenach ist heute ein Luthermuseum.

In Eisenach war er bei guten Lehrern, bei Johann Trebonius und Wiegand Güldennapf. Unter ihrer freundlichen Obhut lernte er gern. Er war schließlich so gut in Latein, dass Trebonius ihm nichts mehr beibringen konnte und seinem Vater vorschlug, ihn auf eine Universität zu schicken. Leipzig lag nahe, und auch Erfurt war von Mansfeld nicht schwer zu erreichen. Der gute Ruf der Erfurter Universität, an der bekannte Humanisten lehrten, gab schließlich den Ausschlag. Der Vater, nun schon nicht mehr verschuldet, gab seine Einwilligung und kam für den Unterhalt des jungen Studenten Martin auf. Ende April 1501 wurde er als Martinus ludher ex mansfeld in die Liste der Universität Erfurt eingeschrieben.

Die Studien

Der Freund Luthers, Philipp Melanchthon, hat uns von den besonderen Fähigkeiten Martins berichtet, die sich schon in Eisenach zeigten: „Da er sowohl einen ausgezeichneten Verstand besaß, als besonders zur Wohlredenheit Anlage hatte, eilte er schnell seinen Mitschülern voran und übertraf sowohl im Ausdruck und Reichtum der Rede im Sprechen, als auch im Schreiben in ungebundener Rede, sowie in Versen leicht die übrigen Jünglinge, die mit ihm lernten.“

So kam er mit den besten Gaben auf die Universität und mietete sich in einer Burse ein. Er hatte Glück, dass er einen freien Platz in einem dieser Internate fand, denn wer nicht nachweisen konnte, dass er in einer Burse wohnte, wurde gleich der Universität verwiesen. Die Ordnung dort war sehr streng. Die Studenten durften nicht essen, schlafen, ausgehen oder studieren, wann sie wollten, sondern alles war genau festgelegt, und der Tagesablauf wurde vom Rektor und den Professoren genau überwacht. Es war vorgeschrieben, eine Art Uniform zu tragen, damit die Studenten sofort überall zu erkennen waren.