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Petros Markaris

Faule Kredite

Ein Fall für
Kostas Charitos

Roman

Aus dem Neugriechischen von

Michaela Prinzinger

 

 

 

 

 

 

 

 

Titel der 2010 bei Samuel Gavrielides Editions, Athen,

erschienenen Originalausgabe: ›Ληξιπρόθεσμα δάνεια‹

Die deutsche Erstausgabe erschien 2012 im Diogenes Verlag

Copyright © 2010 by Petros Markaris und Samuel Gavrielides Editions

Covermotiv: Foto (Ausschnitt): Copyright © ddp images

Dieser Band wurde für die deutsche Fassung in Zusammenarbeit mit dem Autor

nochmals durchgesehen

 

 

Für

Josefina und Can

 

 

All rights reserved

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2017

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 24206 5 (6. Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60178 7

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5] Was ist ein Einbruch in eine Bank
gegen die Gründung einer Bank?

Bertolt Brecht,
Die Dreigroschenoper,
3. Akt, 9. Szene

[7] 1

Ich sitze auf glühenden Kohlen. Jetzt ist es schon Viertel nach sechs. Um halb sieben werden wir in der Kirche erwartet. Adriani und Katerina haben sich im Schlafzimmer verbarrikadiert, um – wie sie sich ausdrücken – noch einmal letzte Hand ans Brautkleid zu legen. Warum man an einem sündhaft teuren Brautkleid noch etwas ändern muss, ist mir schleierhaft.

»Wenn ihr nicht bald fertig seid, springt uns Fanis noch ab!«, rufe ich aus dem Wohnzimmer hinüber.

Meine Warnung verhallt ungehört. Ungeduldig laufe ich in Paradeuniform auf und ab, und zwar nicht auf dem Syntagma-Platz, sondern im Wohnzimmer. Ich habe das gute Stück seit Jahren nicht mehr getragen, es ist mir viel zu eng geworden und fühlt sich an wie ein Korsett.

Ich wette, dass sie Fanis mit Absicht warten lassen. Es geht um die Tradition: Der Bräutigam soll an der Kirchenpforte der Braut entgegenfiebern. Wahrscheinlich hat Adriani in dieser Angelegenheit die Federführung übernommen, denn Katerina ist in solchen Dingen unbedarft. Das sage ich aus Erfahrung, bei unserer Hochzeit ist es genauso gelaufen. Es fehlte nicht viel, und ich hätte zum Popen gesagt: »Pater, wir fangen schon mal ohne Braut an, zum Jawort wird sie rechtzeitig da sein.«

Punkt halb sieben öffnet sich die Schlafzimmertür. Die [8] Korrekturmaßnahmen in letzter Minute sind für mich mit bloßem Auge nicht zu erkennen: Katerinas Brautkleid und Adrianis dunkelblaues Kostüm sehen nicht anders aus als vorhin.

»Ist euch klar, dass wir schon längst in der Kirche sein sollten?«

»Immer mit der Ruhe! Wir werden schon nicht zu spät kommen«, meint Adriani. »Trauungen fangen nie pünktlich an.«

Vor dem Haus steht ein herausgeputzter Seat Ibiza. Seit vier Monaten bin ich im Besitz eines neuen Wagens, doch an seinen Anblick habe ich mich immer noch nicht gewöhnt. Die Erinnerung an meinen Mirafiori, der Katerinas Hochzeit zum Opfer fiel, lässt mir keine Ruhe. Als wir eines Abends vor dem Fernseher saßen, fiel Adriani plötzlich ein, dass wir für die Trauung ein festlich geschmücktes Taxi bestellen sollten.

»Wieso denn ein Taxi? Ich dachte, wir fahren einfach mit unserem Wagen«, entgegnete ich.

»Wie bitte? Wir sollen Katerina mit dem Mirafiori zur Kirche fahren? Mit dieser Rostlaube?«, empörte sie sich. »Denk doch mal an deine Kollegen, wenn du schon auf deine Tochter keine Rücksicht nimmst. Es gibt in ganz Griechenland keinen Polizeibeamten, der nicht mindestens einen Hyundai fährt!«

Da hatte sie recht. Die einen fuhren Hyundai, die anderen Toyota oder Suzuki, manche einen Opel Corsa. Mein Mirafiori aber war im ganzen Polizeikorps einzigartig. Alle wussten, dass niemand außer mir diesen Wagen in Gang setzen konnte. Und daher nannten sie ihn spöttisch »Password«.

[9] Adriani interpretierte mein Schweigen als Zustimmung und fuhr fort: »Also Kostas, ich muss mich doch manchmal sehr über dich wundern. Sonst tust du Katerina jeden Gefallen, und ausgerechnet jetzt, zu ihrer Hochzeit, ist sie dir keinen neuen Wagen wert? Deine Schwäche für diese Rostlaube ist mir ein Rätsel!«

Der Mirafiori war mir tatsächlich ans Herz gewachsen. Ich brachte es nicht über mich, ihn so einfach aus dem Verkehr zu ziehen. Doch Adriani ließ nicht locker. »Da fahre ich ja lieber in einem Pritschenwagen vor!«, sagte sie.

Aber dann schlug Katerina, wie immer, einen Kompromiss vor. Wir sollten mit dem Wagen von Fanis fahren.

»Und wer soll am Steuer sitzen?«, fragte Adriani verwundert.

»Na… Fanis.«

»Meine liebe Katerina, die Braut wird von ihrem Vater in die Kirche geführt. Nicht vom Bräutigam.«

Am Ende hatten sie mich so weit, dass ich mir sagte, der Mirafiori sei nunmehr so alt, dass ich ihn ohne Schuldgefühle in den Ruhestand schicken konnte. Doch mein innerer Kampf war durch diese Entscheidung noch nicht beendet, denn nun musste ich nach einem Nachfolger suchen. Ich hatte keine Ahnung, was für ein Auto ich kaufen sollte. Und wenn man keine Ahnung hat, beginnt man herumzufragen. Und je mehr man herumfragt, desto unschlüssiger wird man.

»Herr Kommissar, machen Sie kurzen Prozess, kaufen Sie einen Hyundai«, riet mir Dermitsakis, mein Assistent. »Da stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis, ganz abgesehen davon, dass das halbe Polizeikorps diese Marke fährt und wir beim Händler Rabatt bekommen.«

[10] »Hören Sie nicht auf die Kollegen«, meinte Gikas, mein Chef. »Lassen Sie die Finger von diesen Japanern, kaufen Sie einen Europäer, einen VW oder einen Peugeot. Damit sind Sie auf der sicheren Seite. Das sind noch Autos!«

Am Ende kam Fanis und sagte: »Kauf dir einen Seat Ibiza.«

»Wieso gerade den?«, fragte ich.

»Aus Solidarität. Die Spanier stecken doch momentan genauso in der Klemme wie wir. Zusammen mit Portugal, Italien und Irland zählen wir doch zu den PIIGS-Staaten. Aber im Schweinestall lebt es sich immer noch besser als im Haifischbecken. Bislang haben wir versucht, dort mitzuschwimmen, aber wir sind kläglich abgesoffen. Schweine können eben nicht schwimmen. Also kauf dir einen Seat.«

Das überzeugte mich. Der Seat-Händler musterte den alten Mirafiori wie einen Dinosaurier.

»Darf ich Ihnen einen Rat geben, Herr Kommissar?«

»Gerne.«

»Überlassen Sie ihn lieber dem Fiat-Museum, da kriegen Sie mehr dafür.«

Dann absolvierte ich ein intensives Lernprogramm, das etwa eine Woche dauerte. Jedes Mal, wenn ich das Lenkrad einschlug, drohte ich in einem Pfeiler oder Schaufenster zu landen. Und jedes Mal, wenn ich Gas gab, sprang der Seat los wie eine Raubkatze. Der armselige Mirafiori hatte noch keine Servolenkung, und schnell losfahren konnte man nur, wenn man das Gaspedal durchtrat.

Adriani sitzt neben mir. Sie überlässt Katerina beide Rücksitze, damit das Brautkleid nicht zerknittert. Katerina und ich hatten für die Trauung eigentlich die Himmelfahrtskirche [11] ausgesucht, die nur zwei Querstraßen von unserer Wohnung entfernt ist.

»Unter gar keinen Umständen!«, lautete Adrianis kategorisches Urteil. »Wie sollen alle Bekannten von Fanis und alle deine Kollegen plus Verwandtschaft von beiden Seiten in der Himmelfahrtskirche Platz haben? Die Trauung findet in der Agios-Spyridon-Kirche statt, und damit basta.«

Als wir nun in den Vorhof treten, muss ich zugeben, dass Adriani richtig entschieden hat. Erstens wäre die Himmelfahrtskirche viel zu klein gewesen, denn selbst hier ist der Vorhof mit unseren Hochzeitsgästen, darunter eine lange Reihe von Uniformträgern, zum Bersten gefüllt. Zweitens ist noch eine andere Trauung im Gange, so dass wir vor dem Portal warten müssen.

Da geschieht etwas Unerwartetes: Als Braut und Brautvater den Vorhof betreten, spielt die Polizeikapelle, die neben den Portalstufen Aufstellung genommen hat, einen Tusch.

»Papa, das wirst du mir büßen«, zischt mir Katerina ins Ohr. Ich spüre, wie ihre Hand vor Wut zittert.

»Ich plädiere auf Freispruch«, flüstere ich zurück. »Ich bin weder der Täter noch der Anstifter.« Der Auftritt der Polizeikapelle war garantiert Gikas’ Idee. Und morgen im Büro muss ich mich dafür auch noch bedanken.

»Gut, dass heute kein Nationalfeiertag ist. Sonst hättet ihr auch noch die Panzerbrigade auffahren lassen«, flüstert Fanis, als ich ihm Katerina zuführe.

Auf der anderen Seite des Hofes herrscht der gegenteilige Eindruck. »Glückwunsch, lieber Kostas. Die Philharmoniker machen das Ganze zu einem einzigartigen Erlebnis«, [12] bemerkt Adriani mit zuckersüßer Miene. Prodromos, Fanis’ Vater, kommt begeistert auf mich zu. »Bravo, mein Lieber. Dadurch wird die Hochzeit allen unvergesslich bleiben«.

Die unverdienten Lobeshymnen nehme ich gelassen entgegen. Mein Schweigen wird als Bescheidenheit gedeutet, dabei verbirgt sich bloß mein schlechtes Gewissen dahinter.

Zum Glück ist die andere Trauung jetzt zu Ende. Fanis und Katerina schreiten die Treppe hinauf, die Polizeikapelle spielt den Hochzeitsmarsch, und alle Gäste strömen in die Kirche.

Wenn gleich mehrere Trauungen stattfinden, dauert die Zeremonie meist nicht länger als zwanzig Minuten. Der Pope spult die Hymnen und Fürbitten herunter und überspringt das halbe Brevier, um schnell zur nächsten Trauung überzugehen. Doch dem Popen sind weder die Fanfaren noch die Uniformen entgangen. Dadurch kommen wir in den Genuss des vollen Programms mit besonders langgezogenen Psalmengesängen. Es dauert eine Dreiviertelstunde, bis wir zum »Tanz des Jesaja« kommen. Am Schluss nehmen wir die Glückwünsche der Gäste entgegen, was wiederum eine halbe Stunde in Anspruch nimmt.

Sissis fällt mir erst auf, als er den Jungvermählten gratuliert. Er trägt zu seinem altmodischen Anzug ein weißes Hemd, aber keine Krawatte. Da ich um Katerinas Besuche bei ihm weiß, nehme ich an, dass sie ihn eingeladen hat. Sissis drückt erst Fanis und dann Katerina die Hand. Sie umarmt ihn herzlich. Dann kommt er auf mich zu.

»Alles, alles Gute«, meint er. »Deine Tochter ist ein Schatz, und mit dem Schwiegersohn kannst du auch zufrieden sein. Glückwunsch!«

[13] Als wir aus der Kirche treten, ist es schon dunkel. Sobald das Brautpaar auf der Treppe vor dem Portal erscheint, hebt die Polizeikapelle erneut zu einem Tusch an.

[14] 2

Gikas verausgabt sich auf der Tanzfläche beim Seimbekiko-Solo. Die gesamte Polizeidirektion der Präfektur Attika ist in die Knie gegangen und begleitet durch rhythmisches Klatschen die Tanzschritte ihres Leitenden Kriminaldirektors. Auch ich klatsche mit, allerdings nicht an vorderster Front, sondern vom Platz der Brautleute aus.

Die Hochzeitsfeier findet in Epikurs Garten statt, einem Ausflugslokal, das aber nicht auf dem Land liegt, sondern in einem Stadtteil von Chalandri. Da es über »Räume für gemütlich-gediegene Festlichkeiten aller Art mit Livemusik« verfügt, stellte sich die Frage, ob mit oder ohne Livemusik. Wie üblich setzte sich Adriani durch: »Polizisten sind leidenschaftliche Tänzer. Ohne Musik und Gesang kommt keine Stimmung auf.«

Ungefähr fünfzig Gäste unterschiedlichster Herkunft sind eingeladen. Von Fanis’ Seite sind fünf Ärzte samt Gattinnen erschienen, Katerina hat einige Rechtsanwälte aus der Kanzlei eingeladen, in der sie ihr Praktikum absolviert. Die Übrigen stammen aus meinem Kollegenkreis. Außer Gikas und seiner Frau sind Sechtaridis, der Leiter des Rauschgiftdezernats, sowie Lasaridis aus der Abteilung für Wirtschaftsdelikte da und auch meine beiden Assistenten Vlassopoulos und Dermitsakis mit von der Partie. Der eine von ihnen lebt in Scheidung und ist allein gekommen. Der [15] andere hat seine Ehefrau mitgebracht, die im Justizministerium arbeitet. Dann sitzen da noch Fakidis, der neue Chef der Kriminaltechnik, die DNA-Spezialistin Apostolopoulou und der Gerichtsmediziner Stavropoulos. Stathakos von der Antiterrortruppe war nicht eingeladen. Wir können einander nicht riechen. Immerhin hat er ein Glückwunschtelegramm übersandt: »Lauter Liebe, Glück und Frieden sei dem jungen Paar beschieden!«

Am einen Ende des Festsaals ist die Ärzteschaft, am anderen das Polizeikorps platziert, und zwischen diesen beiden entfernten Welten die Jungvermählten mit ihren Angehörigen. An der Tafel der Brautleute sitzt ein Mann im Rollstuhl. Er beachtet den Teller vor sich mit keinem Blick und scheint stattdessen lieber die Gäste zu beobachten, mit einem merkwürdig starren Lächeln auf den Lippen. Ich gehe davon aus, dass es ein Bekannter von Fanis ist, und achte nicht weiter auf ihn.

Ich blicke mich nach Sissis um, doch ich kann ihn nirgends entdecken. »Ist Sissis nicht hier?«, flüstere ich Katerina zu.

»Er hat sich entschuldigt. Aber er hat ein Geschenk geschickt.«

»Was für ein Geschenk?«

»Einen Wasserkocher.«

Ich bin wahrscheinlich der einzige Bulle, der bei der Hochzeitsfeier seiner Tochter einen befreundeten Altkommunisten auf die Gästeliste setzt, den er aus der ehemaligen Folterzentrale der Junta in der Bouboulinas-Straße kennt. Gikas, der Tänzer, vollendet gerade sein Solo unter anhaltendem Beifall. Während er auf mich zukommt, gestikuliert er in Richtung seiner Frau.

[16] »Mit Ihrer Erlaubnis werden wir uns jetzt zurückziehen«, erläutert er in wohlgesetzten Worten.

Gikas, wie er leibt und lebt, denke ich mir. Ganz wie in den Besprechungsrunden, wo er immer das letzte Wort behält, hat er auch hier den letzten Tanz für sich reserviert. Zunächst umarmt er Katerina, dann schüttelt er Fanis und der übrigen Verwandtschaft die Hand. Mich hebt er sich für den Schluss auf, als Tüpfelchen auf dem i.

Doch zu meiner Überraschung drückt er mich plötzlich an sich. »Herzlichen Glückwunsch!«, sagt er, um dann auch noch hinzuzufügen: »Ich mag Sie, Sie Schlitzohr. Auch wenn wir uns manchmal in die Haare kriegen: Sie sind in Ordnung.«

Sieh an, wozu so eine Hochzeit alles gut sein kann, denke ich mir. Man bekommt sogar vom Chef eine Liebeserklärung zu hören.

»Was wollte denn Gikas von dir?« Adriani entgeht nichts.

»Er hat mir eine Liebeserklärung gemacht«, antworte ich. Adriani wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu. Sie glaubt, ich wolle sie auf den Arm nehmen.

»Eine rundum gelungene Feier, mein lieber Kostas.« Fanis’ Mutter ist begeistert. »Also, von der Polizeikapelle bis zum Hochzeitsessen war alles perfekt organisiert.«

»Und vergiss die uniformierten Kräfte nicht«, ergänzt Prodromos Ousounidis. »Heute hat uns die Polizei-Elite Attikas die Ehre gegeben.«

Adriani wirft mir einen ihrer bedeutungsschwangeren Blicke à la »Ohne mich hättet ihr das nie so gut auf die Reihe gekriegt…« zu. Ich begnüge mich damit, Fanis’ Eltern zuzulächeln und Adrianis Blick schlicht zu ignorieren. [17] Durch ein Gespräch mit meiner Tochter und ihrem Angetrauten könnte ich mich jetzt aus der Affäre ziehen, doch die beiden unterhalten sich gerade angeregt mit ihren Gästen. Daran nehme ich mir ein Beispiel und steuere auf meine Kollegen zu, doch ich beginne nicht bei den Ranghöchsten, sondern bei meinen beiden Assistenten.

»Herzlichen Glückwunsch, Herr Kommissar«, sagen Dermitsakis und Gattin wie aus einem Munde, und Letztere fügt die berühmte Floskel hinzu: »Was für ein schönes Paar!«

Und Vlassopoulos sagt: »Unsere kleine Katerina, ich bin so stolz auf sie…« Ganz offensichtlich kämpft er gegen seine Rührung an. »Ich kenne sie doch schon, seit ich auf der Dienststelle bin. Hoffentlich halten die beiden immer zusammen. Denn wenn eine Beziehung erst mal zu bröckeln beginnt, dann wird’s kritisch.«

»Lass gut sein, mein Lieber«, meint Dermitsakis. »Das ist jetzt der falsche Zeitpunkt für intime Geständnisse.«

»Was denn für Geständnisse?« Vlassopoulos ist verärgert. »Es ist doch unbestritten, dass eine von drei Ehen vor dem Scheidungsrichter endet. Die Schulen sind heutzutage voll von Scheidungswaisen.«

»Ja schon, aber das heißt noch lange nicht, dass die Ehe von Katerina und Fanis nicht hält.« Dermitsakis versucht es mit Besonnenheit, doch das kann den Eindruck nicht verhindern, dass schon am Hochzeitstag das Scheitern von Katerinas Ehe heraufbeschworen wird.

»Das meinte ich ja auch gar nicht. Ich sagte nur, Zusammenhalten ist das A und O einer Beziehung. Wenn es nicht damit enden soll, dass man bloß samstags seine Kinder zu [18] sehen bekommt, so wie man einmal wöchentlich zum Großeinkauf geht.«

Vlassopoulos erhebt sich abrupt und bleibt knapp vor mir stehen. »Tut mir leid, Herr Kommissar«, wispert er. »Aber meine Kinder fehlen mir. Sehr sogar.« Dann setzt er seinen Weg zur Toilette fort.

»Muntere ihn ein wenig auf, er ist ja völlig durcheinander«, sage ich zu Dermitsakis. Ich bin heilfroh, dass wir im Moment keinen schwierigen Fall zu bearbeiten haben.

»Ich versuch’s ja, aber leicht ist das nicht. Er ist todtraurig. Er nimmt sich die Sache ziemlich zu Herzen.«

»Sein Ego ist getroffen«, bemerkt Frau Dermitsakis. »Seit Jahren waren sie zerstritten, aber jetzt wurmt es ihn, dass sie ihn verlassen hat. Wäre es umgekehrt gelaufen, würde sich das ganz anders anhören. Hier geht’s nur um verletzte Eitelkeit…«

»Hör doch auf mit deiner Psychoanalyse! Der Mann ist am Boden zerstört, siehst du das nicht?«

Koula, Gikas’ Privatsekretärin, kommt vom Nebentisch, an dem die Spurensicherung sitzt, auf uns zu.

»Ich will mich ja nicht einmischen«, flüstert sie, »aber der ganze Saal hört mit. Wenn bei Vlassopoulos demnächst im Dienst irgendetwas schiefläuft, schickt ihn die Führungsetage schnurstracks in psychiatrische Behandlung.«

Dermitsakis und seine Gattin schweigen betroffen, und ich nutze die Gelegenheit, mich zum Tisch der Rauschgift- und Wirtschaftsdelikte mit Sechtaridis und Lasaridis abzuseilen.

»Herzlichen Glückwunsch«, sagt Sechtaridis. »Du warst ja schon immer vernarrt in Katerina.«

[19] »Was, ich? Vernarrt?«

»Wir waren früher zusammen bei der Rauschgiftfahndung«, erläutert Sechtaridis den anderen. »Da war Katerina noch ganz klein, und Kostas hat uns jeden Tag ausführlich berichtet, was seine Tochter wieder alles ausgeheckt hatte. Heute kann ich das verstehen, wenn ich sehe, was aus ihr geworden ist«, fügt er noch hinzu.

Am besten, ich stecke das Lob ein und setze mich ab, bevor er wieder unpassende Scherze macht. Fanis und Katerina sind auch gerade zurückgekehrt. Als ich meinen Platz neben dem Brautpaar wieder einnehme, nähert sich der Mann im Rollstuhl.

»Ich muss jetzt an den Tropf zurück«, sagt er zu Fanis, dann wendet er sich an mich: »Ich wünsche dem Brautpaar alles Gute.« Er drückt mir die Hand, und bevor er sich entfernt, fügt er hinzu: »Ihr Schwiegersohn ist ein großartiger Arzt.«

»Ist das ein Kollege von dir?«, frage ich Fanis.

»Wer? Tsolakis? Nein, ein Patient. Er lässt sich von niemandem behandeln außer von mir, und er richtet es immer so ein, dass er während meiner Dienstzeit zur Kontrolle kommt. Aber besser, ich erzähle dir erst gar nicht, woran er alles leidet. Das würde dir wahrscheinlich aufs Gemüt schlagen.«

»Papa, darf ich bitten?« Katerina fordert mich zum Tanz auf.

»Ach, tanz doch mit Fanis.«

»Lieber nicht. Der trampelt mir immer nur auf den Zehen herum.«

»Außer Kalamatianos tanze ich aber nur Tango«, sage ich ausweichend.

[20] »Keine Sorge, alles schon arrangiert.«

Und das kleine Ensemble, das vorhin noch Gikas die Gelegenheit bot, beim Seimbekiko zu glänzen, lässt nun La Comparsita erklingen: mit Geige, Akkordeon, Baglama und Bouzouki.

[21] 3

Am Tag nach der Hochzeit betätige ich mich als Süßwarenlieferant. Ich bin mit zwei Tüten Mandelkonfekt ins Büro gekommen und verteile es an die Kollegen in den verschiedenen Stockwerken.

Die Glückwünsche und Danksagungen kommen zwar von Herzen, sind jedoch kurz angebunden. Die Kollegen wahren die Form, obwohl ihre Gedanken bei ganz anderen, dringlicheren Themen sind. Angesichts der bevorstehenden drastischen Lohnkürzung werden wir nämlich aus Spargründen gezwungen sein, sogar noch unsere Scheiße zu trocknen, um sie weiterzuverwerten. Anderthalb Monatsgehälter weniger, das ist für niemanden ein Klacks.

Ich bin heilfroh, dass uns für Katerinas Studium und Doktorarbeit vierzehn Monatsgehälter zur Verfügung standen. Nun vertraue ich auf Adrianis Talent, mit dem auszukommen, was sie in ihrem Portemonnaie hat. Unser privates Sparprogramm kann ich ihr gegenüber gut rechtfertigen, da ich mitten in der Wirtschaftskrise die Raten für den Seat Ibiza abstottern muss. Schließlich war es Adriani, die auf einem neuen Wagen bestanden hatte.

Die Stimmung unter den Kollegen erinnert mich an die Mobilmachung unter der Junta im Jahr 74, als Griechenland auf die türkische Invasion in Zypern reagieren musste. So wie damals brodelt die Gerüchteküche, und jeder gibt seinen [22] Senf dazu. Der eine sagt, das ganze dreizehnte Monatsgehalt würde gestrichen, ein anderer behauptet, nur das halbe Weihnachtsgeld, ein Dritter ist wieder anderer Meinung: Weihnachts-, Oster- und Urlaubsgeld würden zu einem Viertel gekürzt…

Und in dieser Atmosphäre verteile ich das Hochzeitskonfekt! Besser wären ein paar Scheiben Zwieback, da ich auch noch ein Hochzeitsbankett mit Musikbegleitung abzubezahlen habe. Und das bei schrumpfendem Gehalt.

»Da haben die Deutschen ihre Finger im Spiel«, meint Kalliopoulos von der Antiterrorabteilung. »Die üben Druck aus und ziehen die Strippen in der EU. Deshalb setzt man uns die Pistole auf die Brust.«

»Unsinn«, wirft Stathakos ein, der Leiter der Antiterrortruppe. Er steht in der Tür und mustert seine Untergebenen mit ärgerlichem Blick. »Wieso die Deutschen? Wir haben selber den Karren in den Dreck gefahren, und jetzt erwarten wir auch noch, dass die Deutschen die Zeche zahlen.«

Er streckt die Hand nach dem Mandelkonfekt aus, das ich ihm entgegenhalte, und murmelt eine Glückwunschfloskel, die genauso halbherzig ist wie meine eigene Geste. Dann verschwindet er in seinem Büro.

»Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm«, flüstert mir Sgouros, sein Stellvertreter, zu.

»Wieso sagst du das?«

»Weil er aus einer Familie stammt, die den Deutschen immer freundlich gesinnt war. Sein Großvater diente als Adjutant bei Tsolakoglou, dem Ministerpräsidenten unter der deutschen Besatzung.«

»Ich verstehe nicht, warum die Deutschen unsere [23] Errungenschaften verdammen, statt sie zu übernehmen«, fragt sich Kalliopoulos. »Wäre es denn so schlimm, wenn auch sie ein vierzehntes Monatsgehalt einführen würden? Statt uns das dreizehnte zu beschneiden?«

Ich verpasse die Fortsetzung der IQ-Analyse der Deutschen, die anscheinend zu dumm sind, um unsere Tricks und Bluffs zu imitieren, da mein Handy läutet.

»Herr Kommissar, Gikas möchte Sie dringend sprechen«, höre ich Dermitsakis’ Stimme.

Ich fahre mit meinen beiden halbvollen Tüten in die fünfte Etage hoch, als käme ich gerade vom Einkauf auf dem Wochenmarkt. »Gehen Sie rein, er erwartet Sie schon. Drinnen herrscht dicke Luft«, erläutert mir Koula, seine Sekretärin.

»Könnten Sie mir einen Gefallen tun und das restliche Konfekt verteilen?«, frage ich sie.

»Aber natürlich. Lassen Sie die Tüten hier, ich kümmere mich darum.«

Gikas marschiert in seinem Büro auf und ab: ein schlechtes Zeichen. »Nichts als Scherereien«, meint er und bleibt bei meinem Anblick abrupt stehen. »Seien Sie froh, dass die Hochzeit schon vorüber ist, denn jetzt müsste ich Ihnen raten, sie aufzuschieben.«

»Was ist passiert?«

»Sissimopoulos wurde ermordet.«

Als er meine ratlose Miene sieht, meint er: »Sagt Ihnen der Name nichts?«

»Nein.«

»Nikitas Sissimopoulos war Chef der Central Bank. Er hat ihren Börsengang organisiert und sie auf europäischen Standard gebracht. Unter seiner Leitung fuhr sie legendäre [24] Gewinne ein. Vor fünf Jahren ist er in den Ruhestand gegangen, doch auf der von ihm geschaffenen Basis hat die Bank auch die letzte Krise gut überstanden.«

»Wo wurde er umgebracht?«

»Im Garten seiner Villa in Koropi.«

»Wer hat ihn gefunden?«

»Der Gärtner. Seine Frau ist vor zwei Jahren verstorben, und seine beiden Söhne leben in London. Der Gärtner kommt jeden Morgen ganz früh, um die Pflanzen zu gießen. Eine Hausangestellte hat die Polizeiwache in Koropi verständigt. Zum Glück war der dortige Leiter klug genug, mich direkt zu kontaktieren. So konnten wir die Sache vor der Presse geheim halten.«

»Wurde er erschossen?«

»Nein…«, Gikas legt eine kleine Pause ein, »…enthauptet.«

»Wie bitte?«

»Sie haben ganz richtig gehört. Deshalb bin ich so froh, dass die Medien noch keinen Wind davon bekommen haben.«

Ich frage mich, was gegen Pistolen, Jagdflinten, Messer oder auch Gift als Tatwaffen spricht. Köpfen wird als Hinrichtungsmethode weltweit nur noch selten eingesetzt, und auch in Griechenland sind seit den Tagen von Ali Pascha und den Räuberbanden des 19. Jahrhunderts keine Enthauptungen mehr vorgekommen.

Früher wäre ich mit dem Mirafiori nach Koropi gefahren. Da ich meinen Seat noch schonend behandle, sitze ich nun mit meinen beiden Assistenten in einem Streifenwagen. Vor dem Bau der Attika-Ringstraße brauchten wir über eine [25] Stunde von Messoja nach Koropi, denn auf der einspurigen Strecke half auch die lauteste Sirene nichts. Nun erreichen wir die entsprechende Abfahrt innerhalb von zehn Minuten. Das bringt mir die prachtvolle Zeit der Olympiade in Erinnerung, der wir den Ausbau der Strecke verdanken, und lässt mich die Schulden vergessen, die wir seitdem abstottern müssen.

An der Ausfahrt erwartet uns bereits ein Streifenwagen der örtlichen Polizeiwache. Sissimopoulos’ Villa liegt ein wenig außerhalb von Koropi, in einer Straße mit lauter zweistöckigen Bauten, die alle durch großzügige Gärten voneinander getrennt sind.

Die Villa befindet sich inmitten einer weitläufigen Grünanlage. Schon von weitem sind Reporter mitsamt ihren Mikrofonen vor dem Eingangstor zu erkennen, Fernsehteams und Fotografen blockieren die Einfahrt.

»Hätte mich ja gewundert, wenn denen die Sache entgangen wäre«, sagt Vlassopoulos grinsend.

»Blink die da vorne an, damit sie anhalten«, sage ich zu Dermitsakis und deute auf den vor uns fahrenden Streifenwagen.

Wutentbrannt stürme ich nach vorne. »Wer hat die Medien informiert? Der Leitende Kriminaldirektor Gikas hat mir versichert, dass Ihr Vorgesetzter nur ihn persönlich benachrichtigt hat.«

Der Beifahrer mustert die Landschaft zur Rechten, als beträfe ihn die Diskussion überhaupt nicht. Der Fahrer muss mir notgedrungen antworten und zuckt unschlüssig die Schultern: »Tja, Herr Kommissar.«

»Tja? Ist das Ihre Antwort? Das wird Ihr Vorgesetzter [26] Herrn Gikas aber erklären müssen.« Und ich bedeute ihm weiterzufahren.

»Die undichte Stelle werden wir wohl kaum finden«, bemerkt Dermitsakis.

»Prüf mal nach, wer in zwei Monaten mit einem neuen Wagen vorfährt, dann hast du sie«, halte ich ihm entgegen.

»Bleiben wir realistisch, Herr Kommissar. Die Sender haben höchstens einen Monatslohn für die Information bezahlt.«

»Du hast ja keine Ahnung. Der eine Sender übernimmt die Anzahlung für den neuen Wagen und ein anderer die Raten.«

Mit unseren beiden Streifenwagen versperren wir die Einfahrt, um der Meute den Zutritt zu verwehren. Sobald wir aussteigen, gehen sie geschlossen zum Angriff über.

»Was können Sie dazu sagen, Herr Kommissar?«

»Stimmt es, dass man ihm den Kopf abgeschlagen hat?«

»Gibt es irgendeinen Hinweis auf den Täter?«

»Fassen Sie sich in Geduld, ich muss mir erst einmal die Leiche aus der Nähe ansehen«, erkläre ich und betrete die Gartenanlage.

Aus der Ferne nähern sich ein Transporter und ein PKW: die Spurensicherung und Gerichtsmediziner Stavropoulos.

[27] 4

Mit Gerichtsmediziner Stavropoulos gehe ich in den hinteren, sanft ansteigenden Teil des Gartens. Der Leiter der Kriminaltechnik, Fakidis, der bei diesem Einsatz persönlich dabei sein wollte, führt mit Dimitriou, seinem tüchtigsten Mitarbeiter, das Team der Spurensicherung an. Zwei Motorradfahrer der mobilen Einsatztruppe, die nach dem Anruf der Hausangestellten als Erste am Tatort waren, zeigen uns den Weg.

Das terrassierte Haus erstreckt sich über zwei Etagen. Der vordere Teil des Gartens, der vom Eingangstor bis zur Mitte des Grundstücks reicht, beeindruckt durch seine üppigen Rosenbeete. Danach folgt eine Abteilung mit Tomaten und anderem Gemüse. Eine weitreichende, verzweigte Bewässerungsanlage versorgt das ganze Gelände, und zwischen den Beeten verlaufen kleine Wege. Wir betreten einen der beiden Pfade, die den Gemüsegarten einfassen.

Am Haus vorbei gelangen wir in den hinteren Teil der Anlage mit einem reichen Baumbestand, der von Zypressen über Platanen bis hin zu Apfel-, Birn- und Kirschbäumen reicht. Der Rest besteht aus einer gepflegten Rasenfläche.

»Hier haben wir ihn gefunden«, erklärt der Motorradfahrer an der Spitze des Zuges.

Auf einer kleinen Lichtung linker Hand liegt ein von Weinreben umrankter Pavillon, der grau aus dem Grün des [28] Gartens hervorsticht. Im Schatten der Weinranke stehen ein Gartentisch und zwei einfache Klappstühle. Vor dem Pavillon ist unter einem weißen Laken der Umriss eines Körpers zu erkennen.

Getrieben von professioneller Neugier, lüftet Stavropoulos als Erster das Laken: Sissimopoulos’ kopflose Leiche kommt zum Vorschein. Es würgt mich in der Kehle, doch ich kämpfe den aufsteigenden Brechreiz nieder.

Zum Todeszeitpunkt trug der füllige Sissimopoulos ein khakifarbenes Hemd und eine gleichfarbige Hose, die mit Socken bekleideten Füße stecken in Sandalen.

Stavropoulos wirft einen schnellen Blick auf die Leiche. »Zunächst einmal sehe ich keine weitere Verletzung. Das heißt, der Kopf wurde nicht nachträglich abgetrennt. Sein Tod ist durch die Enthauptung eingetreten.«

An der linken Seite des Hemdes wurde ein weißes DIN-A4-Blatt mit einem riesigen »D« angeheftet.

»Ein Computerausdruck. Das gefällt mir gar nicht.«

»Mir auch nicht.«

Uns beiden ist klar, was dieses »D« alles bedeuten kann: eine Botschaft, die Handschrift eines Serienmörders, ein persönliches Markenzeichen. Dieses »D« und die Tatsache, dass er enthauptet wurde, deuten darauf hin, dass es noch weitere Morde geben wird. Und wir haben keine Ahnung, wer das nächste Opfer sein wird.

»Habt ihr den Kopf gefunden?«, fragt Stavropoulos.

Der zweite Motorradfahrer deutet auf einen kleineren Umriss, zehn Schritte entfernt am Fuß eines Apfelbaums. Diesmal ist Dimitriou schneller und lüftet als Erster das darübergebreitete Tuch. Als ich drankomme, sehe ich den [29] Kopf eines fünfundsechzig bis siebzig Jahre alten Mannes. Er trägt einen Kinnbart, und das verbliebene Haar an den Schläfen ist schütter. Seine Augen sind weit aufgerissen und starren voller Entsetzen in den Apfelbaum hoch. Der abstoßende Anblick der zerstückelten Leiche ruft allseits betretenes Schweigen hervor.

»Seine Kleidung lässt darauf schließen, dass er bei der Gartenarbeit überrascht wurde«, sagt Fakidis nach einer Weile.

»Geh, hol mir den Gärtner, der die Leiche gefunden hat«, sage ich zu Dermitsakis. Suchend blicke ich mich um. »Doch wenn er im Garten gearbeitet hat, müssen entsprechende Geräte herumliegen. Auf den ersten Blick sehe ich aber nichts.«

Vlassopoulos rüttelt an der Tür eines nahe gelegenen Schuppens. Dass sie verschlossen ist, entkräftet erneut die Hypothese der Gartenarbeit.

»Ich gehe den Schlüssel holen.«

»Spar dir die Mühe. Den hat der Gärtner bestimmt dabei«, entgegne ich, da der junge Mann gerade in Dermitsakis’ Begleitung auf uns zukommt. Er ist in den Dreißigern, trägt einen Overall und Sportschuhe und erinnert eher an den Mitarbeiter eines Kurierdienstes als an einen Gärtner.

»Liegt Sissimopoulos noch genau so da, wie Sie ihn vorgefunden haben?«

Er heftet seinen Blick auf den Geräteschuppen, bevor er mir antwortet: »Ja, genau so.«

»Schauen Sie auch wirklich hin, damit ein Irrtum ausgeschlossen ist«, beharrt Vlassopoulos.

»Glauben Sie mir, wie er dagelegen hat, vergesse ich mein [30] Lebtag nicht mehr. Der Anblick wird mich bis in meine Träume verfolgen«, erwidert der Gärtner.

Da die Frage rein theoretischer Natur ist, bestehe ich nicht weiter darauf. Wer hätte denn ein Interesse haben können, in den Garten einzudringen und die Position der Leiche zu verändern?

»Können Sie sich an die genaue Uhrzeit erinnern?«, frage ich.

»Ich komme jeden Morgen um sieben. Es kann heute auch eine Viertelstunde früher oder später gewesen sein.«

»Werden in dem Schuppen dort Werkzeug und Geräte aufbewahrt?«

»Genau.«

»Haben Sie den Schlüssel dazu?«

»Ja, ich schließe Ihnen auf.« Und vor lauter Erleichterung, die Leiche nicht mehr sehen zu müssen, stürmt er zum Geräteschuppen.

»Schau dich dort drinnen mal um«, sage ich zu Vlassopoulos.

»Wenn ihn der Gärtner heute Morgen gegen sieben gefunden hat, ist der Mord womöglich gestern Abend geschehen«, schlussfolgert Stavropoulos.

»Nicht unbedingt. Vielleicht war er ein Frühaufsteher und machte gerne einen Morgenspaziergang.«

»Dann haben wir vielleicht Glück, und es meldet sich jemand, dem ein Auto oder Moped in der Nähe der Villa aufgefallen ist«, stellt Dermitsakis fest.

»Kann sein, aber wahrscheinlicher ist, dass er ihm nachts im Garten aufgelauert hat«, halte ich ihm entgegen. »Hier scheint es keine Alarmanlage zu geben.«

[31] »Der Gärtner meint, alles Werkzeug sei an seinem Platz«, ruft Vlassopoulos vom Geräteschuppen herüber.

»Kann ich jetzt gehen?«, fragt der Gärtner, der dem grausigen Anblick ein für alle Mal entkommen möchte.

»Einen Moment noch. Hat sich Sissimopoulos selbst um den Garten gekümmert?«

»Nahezu täglich. Besonders um die Rosenbeete, die waren seine große Leidenschaft.«

»Wenn die Werkzeuge alle im Schuppen sind, können wir jedoch davon ausgehen, dass er nicht bei der Gartenarbeit getötet wurde. Dann lassen wir jetzt am besten Stavropoulos und Fakidis ihre Arbeit tun«, sage ich zu meinen Assistenten. »Gibt es festangestelltes Hauspersonal?«, frage ich den Gärtner.

»Ja, Frau Maria, die Haushälterin, und dann ist da noch Bill.«

»Und wer ist dieser Bill?«, frage ich überrascht.

»Sein Kammerdiener. Ein Afrikaner, glaube ich. Wie heißt so jemand schnell auf Englisch?«

»Butler«, meint Fakidis, der in England eine Weiterbildung absolviert hat.

»Ja, genau.«

Ich schicke meine beiden Assistenten los, um in Koropi eventuellen Hinweisen nachzugehen. In Begleitung des Gärtners steuere ich auf die Villa zu, steige die Marmortreppe hoch und trete in die Empfangshalle.

Erst jetzt wird mir die Größenordnung des Bauwerks bewusst. Sissimopoulos muss ein Vermögen dafür hingeblättert haben. Gleich hinter dem Eingang führt eine Treppe in die obere Etage hoch, rechts davon liegt eine kleine [32] Kammer, die als Mantelgarderobe dient. Auf derselben Seite führt eine zweiflügelige Tür in das Speisezimmer. Allein der riesige Esstisch mit seinen zwölf Stühlen nimmt den halben Raum ein, während in den Zimmerecken je ein Sessel steht. Zwei Glasvitrinen mit Silber- und Kristallgeschirr stehen einander an den Wänden gegenüber.

Anliegend befindet sich ein Wohnzimmer ähnlichen Ausmaßes – mit ausladenden Polstermöbeln, Sofas, eleganten Lehnsesseln und niedrigen, gedrechselten Tischchen. Die hintere Wand ist zur Gänze von einem Bücherregal verdeckt, davor steht ein Schreibtisch mit einem Computer. Offenbar hat Sissimopoulos das Wohnzimmer auch als Arbeitszimmer genutzt.

Nebenan befindet sich ein kleiner Raum mit Fernseher, Stereoanlage und entsprechendem Zubehör. Die Villa ist so weitläufig, dass man sich vorstellen kann, wie Sissimopoulos stundenlang durch die Zimmer wanderte, um seiner Einsamkeit zu entkommen.

»Und wo liegt die Küche?«, frage ich den Gärtner, da ich die Orientierung verloren habe.

»Kommen Sie.«

Hinter dem Aufgang zur ersten Etage führt eine weitere Treppe ins Untergeschoss. Obwohl ich es kaum erwarten kann, endlich diesen Bill kennenzulernen, fange ich lieber nach alter Tradition bei der einheimischen Haushälterin an.

Sie steht in einer Küche, die auch zu einem großen Restaurant gehören könnte. Sie ist um die sechzig, einfach gekleidet, mit ergrautem Haar und einem sanften, freundlichen Gesicht. Ihre Augen sind vom Weinen geschwollen.

»Ich möchte Sie jetzt nicht mit meinen Fragen quälen«, [33] erkläre ich ihr. »Ich frage nur das Nötigste, und wenn ich noch etwas brauche, dann melde ich mich bei Ihnen. Wohnen Sie im Haus?«

»Nein, aber hier in der Nähe. Ich komme um acht und bleibe bis fünf Uhr nachmittags.«

»Erzählen Sie, was heute Morgen geschehen ist.«

»Iordanis, der Gärtner, hat am Gartentor auf mich gewartet. Er war so aufgeregt, dass er zunächst kein Wort herausgebracht hat. Als mir klar wurde, was passiert war, bin ich sofort ins Haus gelaufen und habe die Polizei gerufen.«

»Warum hat der Gärtner das nicht gleich selbst getan?«

»Weil er nicht ins Haus kann. Er hat nur den Schlüssel zum Garten, den Zugangscode für die Villa kennt er nicht.«

»Gibt es noch weiteres Hauspersonal?«

»Noch zwei Bulgarinnen, die zweimal die Woche zum Reinemachen kommen.«

»Und der Afrikaner?«

»Herr Bill kümmert sich…« Sie hält inne und korrigiert sich: »…kümmerte sich ausschließlich um Herrn Sissimopoulos.«

»Und was ist Ihr Aufgabenbereich?«

»Ich komme morgens und bringe das Gröbste in Ordnung. Dann bestelle ich die Einkäufe, bereite das Essen zu und halte mich bis fünf vorwiegend in der Küche auf. Zum Schluss richte ich das Abendessen her, das Herr Bill dann serviert.«

Da sie für Bill stets die Anrede »Herr« verwendet, muss sie ihn als eine Art Vorgesetzten betrachten.

»Sind Ihr Chef und Bill gut miteinander ausgekommen?«

[34] Sie macht eine hilflose Handbewegung. »Schwer zu sagen, sie haben Englisch miteinander gesprochen. Ob sie sich jetzt beschimpft oder nur Freundlichkeiten ausgetauscht haben, kann ich nicht sagen, weil ich kein Wort verstand.« Nach einer kurzen Pause fügt sie mit einem Hauch von Bitterkeit hinzu: »Jedenfalls ist Herr Sissimopoulos gegen Herrn Bill nie laut geworden.«

Logisch, denke ich mir. Selbst ein griechischer Banker ist im Verhältnis zu einem englischen Butler ein Bauerntölpel. Da ich kaum mehr aus ihr herausbekommen werde, beschließe ich, den Afrikaner aufzusuchen. Von Frau Maria erfahre ich, dass er in der ersten Etage wartet.

Das Zimmer des Afrikaners ist klein und mit Schrank und Nachttischchen schlicht möbliert. Mit hängendem Kopf sitzt er auf dem Rand seines Einzelbettes. Als er mich erblickt, steht er auf, tritt auf mich zu und bleibt hoch aufgerichtet und mit ernstem Gesicht vor mir stehen. Er trägt eine dunkle Hose mit weißem Hemd, darüber ein dunkles Gilet. Er ist schwarz und ein richtiger Hüne mit kahlrasiertem Kopf.

»Charitos, from the police.« Mit diesen Worten stelle ich mich vor.

»Ja, bitte«, entgegnet er auf Griechisch mit fremdländischem Akzent.

»Ah, Sie können Griechisch? Wie lange sind Sie schon hier?«

»Bevor ich hergekommen bin, war ich bei griechische Familie in Johannesburg. Dort habe ich die Sprache gelernt.«

Daraus schließe ich, dass er Südafrikaner sein muss.

»Und wie lange sind Sie schon hier im Haus?«

[35] »Drei Jahre.«

»In welcher Eigenschaft?«

»Servant«, erklärt er. »Dienstbote.«

»Butler, wohl eher.« Jetzt, da ich das Wort schon mal gelernt habe, sollte es auch zum Einsatz kommen.

»Nein, nein. No butler. Dienstbote.«

»Und was waren Ihre Aufgaben?«

»Ich habe ihm das Frühstück gemacht. Habe mich um die Wäsche gekümmert. Took care of his medication.«

»Medication? Hat er regelmäßig Medikamente eingenommen?«

»Ja, wegen sein Herz.«

»Zeigen Sie mir mal sein Schlafzimmer.«

Es ist geräumig, mit einem Doppelbett und Einbauschränken, und liegt gleich nebenan. Hinter der Tür steht ein kleines Bücherregal und davor ein Lehnsessel. Das Bett ist noch zerwühlt, was darauf hinweist, dass er wahrscheinlich heute Morgen umgebracht wurde.

»Sind Sie heute früh nicht zu Sissimopoulos ins Schlafzimmer gegangen?«

»No. I always waited for his call. Immer erst, wenn er mich gerufen hat.«

»Wann ist er denn normalerweise in den Garten gegangen?«

»Abends, morgens, den ganzen Tag war er in Garten. Bei Regen war er schlecht gelaunt.«

So bestätigt sich die Aussage des Gärtners, dass er sich ständig mit seinem Grünzeug beschäftigte. Die Schubladen überlasse ich der Spurensicherung und inspiziere stattdessen die übrigen Räume des Obergeschosses, zwei weitere [36] Schlafzimmer mit unberührten Betten. Offenbar übernachteten dort seine Söhne, wenn sie ihn besuchten.

Dann begebe ich mich wieder hinunter ins Erdgeschoss und erneut in den Garten. Stavropoulos ist immer noch über die Leiche gebeugt, während die Kriminaltechniker die Gartenanlage durchkämmen. Als ich gerade einen Blick in den Geräteschuppen werfen will, läutet mein Handy, und Vlassopoulos ist dran.

»Herr Kommissar, Sissimopoulos hat sich nicht oft in Koropi sehen lassen. Wir haben aber den Immobilienmakler ausfindig gemacht, der ihm das Grundstück vermittelt hat. Der sagt, er wisse so allerhand. Wollen Sie mit ihm sprechen?«

»Ja, ich komme.«

Der Schuppen ist mit Gartengeräten aller Art ausgestattet, doch der aufgeräumte Zustand und die perfekte Ordnung lassen mein Interesse erlahmen, und ich kehre zu Stavropoulos zurück.

»Spontan würde ich sagen, er muss zwischen dem späten gestrigen Abend und dem heutigen Morgen getötet worden sein. Genaueres kann ich erst nach der Autopsie sagen.«

»Nicht nötig. Das Bett wurde benutzt, was darauf hindeutet, dass er heute früh umgebracht wurde.«

»Schön, dann ist das ja schon mal geklärt. Und wie ich schon sagte, Todesursache ist eindeutig die Enthauptung. Der Körper weist keine anderen Verletzungen auf. Vermutlich wurde der Hieb von hinten ausgeführt, doch dazu kann ich erst nach der Obduktion Stellung nehmen. Der Mörder muss sehr geübt im Umgang mit der Waffe sein, weil er mit einem einzigen Hieb zum Ziel kam. Die Tatwaffe kann nur [37] ein Schwert sein. So etwas schafft man mit einem Messer nicht.«

»Welcher Grieche kann heutzutage noch mit dem Schwert umgehen? Die letzten bekannten Schwertkämpfer waren, soweit ich weiß, unsere legendären Freiheitshelden, die gegen die Türkenherrschaft revoltierten.«

»Da fragen Sie mich zu viel. Morgen kann ich jedenfalls mehr sagen.«

Zwei Fragen treiben mich um: Wer ist dieser Schwertkämpfer? Und was steckt hinter diesem »D«? Mir gefällt weder die eine noch die andere.

[38] 5

Das Maklerunternehmen nennt sich Immobilien – Real Estate Koropi. Das Schaufenster ist mit Annoncen dermaßen zugekleistert, dass man dahinter kaum mehr den Geschäftsraum erkennen kann.

Da gibt es auch nicht viel zu sehen: Die gesamte Einrichtung besteht aus einem großen Schreibtisch, hinter dem der Inhaber Jannis Mertikas sitzt, und einem kleineren, an dem seine Tochter arbeitet.

»Sie haben ja eine Unmenge von Angeboten«, eröffne ich das Gespräch mit Mertikas.

»Tja, der neue Jeep Cherokee ist gerade auf den Markt gekommen. Bei jedem Modell, das neu lanciert wird, vor allem bei Jeep oder Landrover, kriege ich viele Immobilienangebote«, erläutert er lachend.

»Wieso?«

»Weil jeder Zweite ein Grundstück verkauft, um sich das neue Modell zu leisten.«

»So hat auch Sissimopoulos sein Grundstück erworben? Von jemandem, der einen Jeep Cherokee kaufen wollte?«

»Sissimopoulos’ Immobilie besteht aus zwei Teilstücken. Der Besitzer des einen wollte eine Wohnung im Stadtzentrum erwerben. Das andere gehörte zwei Geschwistern. Die Schwester wollte verkaufen, als die Grundstückspreise noch hoch waren. Doch ihr Bruder konnte sich nicht davon [39] trennen. Für ihn war es eine Art Erbstück, das man in Ehren hält, so etwas wie eine Silberschale oder ein Kerzenleuchter. Trotz allen Drängens seiner Schwester blieb er stur. Am Schluss steckte sie Sissimopoulos zu, dass ihr Bruder bei einer Bank um einen Kredit angesucht hatte, um ein Haus auf Syros zu bauen. Sissimopoulos setzte Himmel und Erde in Bewegung, um die Kreditvergabe hinauszuzögern, bis dem Bruder das Geld ausging. Wenn er weiterbauen wollte, musste er verkaufen.«

»Was für ein Mensch war Sissimopoulos?«

Mertikas zuckt mit den Schultern. »Ein Banker eben. Er war knallhart, aber an Abmachungen hat er sich gehalten. Andererseits hat er jeden vor Gericht zitiert, der wortbrüchig wurde.«

»Demnach hat er sich nicht viele Freunde gemacht.«

»Bis auf die Grundmauern hat er den größten Teil seiner Villa von auswärtigen Handwerkern bauen lassen. Er hat keine hiesigen Firmen beauftragt.« Nach einer kurzen Pause fügt er gepresst hinzu: »Wenn man sogar den Kammerdiener aus England importiert, dann macht man sich hier keine Freunde.«

»Wieso aus England? Der kommt doch aus Afrika.«

»Ja schon, aber Sissimopoulos’ Söhne haben ihn aus London rübergeschickt. Als ob man hier niemanden gefunden hätte, der sich um ihn kümmert! Es gibt doch eine Riesenauswahl von Griechinnen, Russinnen, Bulgarinnen und Ukrainerinnen. Doch er hat sich auf einen Schwarzen kapriziert, der sich benimmt wie ein Lord. Wir jedenfalls nennen ihn Zulu. Das ist nicht diskriminierend, denn er hat Frau Maria erzählt, dass er von den Zulu abstammt. Und die sind [40] ja bekanntlich sehr kriegerisch und kennen sich mit Waffen jeder Art gut aus.«

Bei diesen Worten wirft er mir einen bedeutungsschwangeren Blick zu. Ich halte mich zwar mit Kommentaren zurück, doch ich habe schon begriffen, was er meint. Vielleicht sind Sissimopoulos und Bill tatsächlich immer ruhig und zivilisiert miteinander umgegangen, wie Frau Maria erzählt, doch das sagt wenig aus. Schwarze Südafrikaner wie Bill sind es nach so vielen Jahren der Unterdrückung gewohnt, den Kopf einzuziehen und dann ganz unerwartet, lautlos und aus dem Hinterhalt zuzuschlagen. Das behaupten zumindest die Weißen, vielleicht auch in bösartiger Absicht. Dass er enthauptet wurde, deutet andererseits darauf hin, dass sich Täter und Opfer gekannt und persönlichen Kontakt gehabt haben müssen. Aus drei Meter Entfernung klappt das nicht. Man muss schon sehr nahe an jemanden herankommen, um ihm den Kopf abzuschlagen. Das Vertrauensverhältnis zu Sissimopoulos bot Bill diese einzigartige Möglichkeit. Ganz abgesehen davon, dass die Angehörigen dieser Stämme besonders geschickt mit Schwert oder Messer umgehen. Einzig und allein das »D«, das dem Opfer an die Brust geheftet wurde, könnte meine Ansicht entkräften. Doch vielleicht ist es auch ohne weitere Bedeutung. Möglicherweise hat es der Mörder dort nur platziert, um uns in die Irre zu führen.

All das geht mir durch den Kopf, während ich mit Dermitsakis ins Athener Zentrum zurückfahre. Vlassopoulos haben wir zu weiteren Nachforschungen in Koropi zurückgelassen.

Kaum sitze ich an meinem Schreibtisch und habe mein [41] Croissant in der Hand, das seit dem Morgen unberührt daliegt, läutet das Telefon. Koula ist am Apparat: »Sind Sie zurück, Herr Kommissar? Der Chef erwartet Sie.«

Ich stecke das Croissant zurück in die Zellophanhülle und fahre in die fünfte Etage hoch. Koula empfängt mich mit einem verschwörerischen Lächeln.

»Stathakos ist auch da«, sagt sie spöttisch, da sie meine Abneigung gegen den Leiter der Antiterrortruppe teilt.

Gut, dass sie mich vorgewarnt hat, aber nun betrete ich Gikas’ Büro in denkbar schlechter Laune.

Stathakos hat es sich auf meinem Platz bequem gemacht. Bei meinem Eintritt redet er gerade auf Gikas ein, doch nach bewährter Methode bricht er mitten im Satz ab. Damit erweckt er den Eindruck, sein Zwiegespräch mit dem Chef sei privater Natur und unterliege strengster Geheimhaltung.

»Was haben Sie herausgefunden?«, fragt Gikas ungeduldig. »Fassen Sie sich kurz, der Minister will ständig auf dem Laufenden gehalten werden.«

»Sind wirklich keine Sender und Zeitungen informiert worden?«, werfe ich in die Runde.

Kurz ist er sprachlos, doch sogleich wehrt er entschieden ab: »Ganz sicher nicht. Die Medien wurden weder von uns noch von der Polizeiwache in Koropi benachrichtigt. Das hat mir der Leiter ausdrücklich bestätigt.«

»Mich hat jedenfalls eine Horde von Kamerateams und Reportern vor Sissimopoulos’ Villa empfangen. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie jetzt im Vorzimmer des Ministers stünden und auf eine Presseerklärung pochten.«

Von Panik übermannt, stürzt er zum Telefon. »Rufen Sie [42] sofort das Büro des Ministers an, und fragen Sie nach, ob in der Sache Sissimopoulos schon Medienvertreter eingetroffen sind. Wenn nicht, dann warnen Sie unverzüglich den Empfang vor.«

Stathakos sucht meinen Blick, doch meine Augen schweifen im Raum umher und wandern über den Athener Stadtplan. Gikas beendet das interne Gespräch mit Koula und blickt mich erleichtert an.

»Sie müssen noch am Tatort sein.«

Stathakos schaltet den Fernseher gegenüber von Gikas’ Schreibtisch an. Am oberen Bildschirmrand erscheint die Aufschrift »Sondersendung«, darunter die Moderatorin und drei geöffnete Fensterchen. Aus dem einen spricht die Korrespondentin des Senders, die anderen zeigen die Fundorte von Sissimopoulos’ Leiche und Kopf. Beide wurden durch rotes Band abgesperrt, und anstelle der Leichenteile sind nur noch die skizzierten Umrisse zu sehen.